Spezifische Sprachentwicklungsstörungen - Jürgen Cholewa - E-Book

Spezifische Sprachentwicklungsstörungen E-Book

Jürgen Cholewa

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Beschreibung

SSES auf der Spur Die meisten Kinder erwerben Sprache so mühelos und vollständig, dass man leicht vergisst, wie kompliziert die mentalen Prozesse sind, die dem Verstehen und Produzieren von Sprache zugrunde liegen. Leidet ein Kind an einer Spezifischen Sprachentwickungsstörung, dann hat das weit reichende Folgen für seine schulische und persönliche Entwicklung und es braucht eine professionelle Sprachtherapie. Dieses Buch stellt ein Konzept zur modellgeleiteten Sprachdiagnostik bei SSES vor. Die Besonderheit: SSES werden vor dem Hintergrund von zwei psycholinguistischen Modellen erklärt, eines zur Produktion und eines zum Verstehen von Sprache. In diesen Modellen werden phonetisch-phonologische, lexikalische, grammatische und pragmatische Teilschritte der sprachlichen Informationsverarbeitung abgebildet. So erhalten Sie eine genaue Vorstellung davon, welche Teilfähigkeiten sich entwickeln müssen, damit das Produzieren und das Verstehen von Sprache gelingt. Sie erfahren, welche Aufgaben- und Stimulusformate es gibt, um die sprachliche Informationsverarbeitung gezielt zu untersuchen. Und wie Sie das modellgeleitete Diagnostikkonzept nutzen, um psycholinguistisch begründete Ziele für die Sprachtherapie- oder Förderung zu finden und für das therapeutische Vorgehen einzusetzen. Online erhalten Sie umfangreiches Zusatzmaterial, das Sie beispielsweise in Präsentationen zur Verdeutlichung der beschriebenen Sprachverarbeitungsprozesse einsetzen können. Außerdem eine Übersicht aller in diesem Konzept berücksichtigten deutschsprachigen Tests samt Zuordnung zu den entsprechenden Aufgaben- und Stimulusformaten. Jederzeit zugreifen: Der Inhalt des Buches steht Ihnen ohne weitere Kosten digital in der Wissensplattform eRef zur Verfügung (Zugangscode im Buch). Mit der kostenlosen eRef App haben Sie zahlreiche Inhalte auch offline immer griffbereit.

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Seitenzahl: 626

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Forum Logopädie

Spezifische Sprachentwicklungsstörungen

Modellgeleitete Sprachdiagnostik

Reihe herausgegeben von Norina Lauer, Dietlinde Schrey-Dern

Jürgen Cholewa

42 Abbildungen

Forum Logopädie

Herausgegeben von Dietlinde Schrey-Dern und Norina Lauer

In dieser Reihe sind folgende Titel bereits erschienen:

Achhammer B, Büttner J, Sallat S, Spreer M: Pragmatische Störungen im Kindes- und Erwachsenenalter.Bauer A, Auer P: Aphasie im Alltag. Bigenzahn W: Orofaziale Dysfunktionen im Kindesalter, 2. Aufl. Biniek R: Akute Aphasie. Aachener Aphasie-Bedside-Test, 2. Aufl. Bongartz R: Kommunikationstherapie mit Aphasikern und Angehörigen. Grundlagen – Methoden – Materialien. Brockmann M, Bohlender JE: Praktische Stimmdiagnostik. Theoretischer und praktischer Leitfaden. Bühling S: Logopädische Gruppentherapie bei Kindern und Jugendlichen. Corsten S, Grewe T: Logopädie in der Geriatrie. Costard S: Störungen der Schriftsprache, 2. Aufl. Grande M, Hußmann K: Einführung in die Aphasiologie, 3. Aufl. Huber W, Poeck K, Springer L: Klinik und Rehabilitation der Aphasie – Eine Einführung für Patienten, Angehörige und Therapeuten. Jaecks P: Restaphasie. Jahn T: Phonologische Störungen bei Kindern. Diagnostik und Therapie, 2. Aufl. Knels C: Sprache und Ernährung bei Demenz.Kotten A: Lexikalische Störungen bei Aphasie. Lauer N: Auditive Verarbeitungsstörungen im Kindesalter, 4. Aufl. Lauer N, Birner-Janusch B: Sprechapraxie im Kindes- und Erwachsenenalter, 2. Aufl. Masoud V: Gruppentherapie bei neurologischen Sprachstörungen. Möller D, Spreen-Rauscher M: Frühe Sprachintervention mit Eltern – Schritte in den Dialog. Nebel A, Deuschl G: Dysarthrie und Dysphagie bei Morbus Parkinson, 2. Aufl. Nobis-Bosch R, Rubi-Fessen I, Biniek R, Springer L: Diagnostik und Therapie der akuten Aphasie. Nonn K: Unterstützte Kommunikation in der Logopädie. Rittich E, Tormin S, Bock B: Prävention von Stimmstörungen.Sandrieser P, Schneider P: Stottern im Kindesalter, 4. Aufl. Scharff Rethfeldt W: Kindliche Mehrsprachigkeit. Grundlagen und Praxis der sprachtherapeutischen Intervention. Schlenck C, Schlenck KJ, Springer L: Die Behandlung des schweren Agrammatismus. Schnitzler CD: Phonologische Bewusstheit und Schriftspracherwerb. Schrey-Dern D: Sprachentwicklungsstörungen. Logopädische Diagnostik und Therapieplanung. Sick U: Poltern, 2. Aufl. Spital H: Stimmstörungen im Kindesalter. Stadie N, Hanne S, Lorenz A: Lexikalische und semantische Störungen bei Aphasie. Wachtlin B, Bohnert A: Kindliche Hörstörungen in der Logopädie. Weigl I, Reddemann-Tschaikner M: HOT – Ein handlungsorientierter Therapieansatz für Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen, 2. Aufl. Wendlandt W: Sprachstörungen im Kindesalter. Materialien zur Früherkennung und Beratung, 8. Aufl. Wendlandt W: Stottern im Erwachsenenalter. Ziegler W, Vogel M: Dysarthrie – verstehen, untersuchen, behandeln.

“Language is so readily acquired and so universal that it is easy to forget what a complex phenomenon it is.”

Bishop ▶ [53]; S. 1

“Problems in understanding or producing language are among the most frustrating and isolating handicaps that a child can experience.”

Hulme u. Snowling ▶ [231]; S. 129

“When children cannot learn a language on their own, they must be taught.”

Rice ▶ [381]; S. 448

“Prior to being taught their problems have to be identified.”

De Jong u. Fletcher ▶ [116]; S. 219

Vorwort der Herausgeberinnen

Die Komplexität von Sprachentwicklungsstörungen stellt für Therapeuten und Therapeutinnen eine große Herausforderung dar. Einerseits ist ein profundes Wissen über die Sprachentwicklung und die Prozesse der Sprachverarbeitung erforderlich, andererseits eine hohe diagnostische und therapeutische Kompetenz unabdingbar, um dem Anspruch an ein evidenzbasiertes Vorgehen zu genügen. Dies mag erklären, warum psycholinguistische Ansätze unbestreitbar eine wesentliche Grundlage diagnostisch-therapeutischer Arbeit sind, auch weil sie psychosoziale Konsequenzen, die eine solche Entwicklungsstörung mit sich bringen, berücksichtigen.

In der vorliegenden Publikation steht eine Diagnostik-Konzeption im Mittelpunkt, die im Wesentlichen auf zwei Sprachverarbeitungsmodellen – jeweils zur Rezeption und Produktion von Sprache – basiert. Mit dem von Cholewa entwickelten Ansatz wird versucht, die Komplexität und den Prozess der sprachlichen Verarbeitung transparent zu machen. Das hier beschriebene modellorientierte Konzept erfüllt in hohem Maße den Anspruch eines prozessdiagnostischen Vorgehens, das unbestritten erforderlich ist, um die im Therapieverlauf erkennbaren z. T. entwicklungsbedingten Veränderungen fortlaufend diagnostisch zu hinterfragen und das therapeutische Vorgehen entsprechend anzupassen.

Nicht selten taucht in der Praxis das Problem auf, dass unklar ist, welche der diagnostischen Verfahren tatsächlich geeignet wären, um das beobachtete Problem zu untersuchen. Des Weiteren kann es passieren, dass die eingesetzten Verfahren die Antwort schuldig bleiben, welche Bereiche der Sprachverarbeitung tatsächlich gestört sind und in welcher Weise dann therapeutisch interveniert werden kann. Im Praxisalltag führt dies dazu, dass mit Hilfe von auf den Einzelfall abgestimmten von Therapeuten und Therapeutinnen entwickelten Untersuchungsverfahren versucht wird, diesem Mangel zu begegnen. In dieser Situation unterbreitet die vorliegende Publikation ein Angebot für die Praxis. Auf psycholinguistischer Grundlage werden unterschiedliche Aufgaben- und Stimulusformate zur Überprüfung des Sprachverständnisses und der Sprachproduktion angeboten, die gleichzeitig auch als Konzeptvorlage für das therapeutische Vorgehen genutzt werden können.

Auf der Grundlage einer terminologischen Klärung des Begriffs „Sprachentwicklungsstörungen“ und der Beschreibung der psycholinguistischen Grundlagen zum modularen Aufbau von Sprachverarbeitung werden die Aufgaben- und Stimulusformate zur Durchführung einer modellgeleiteten Diagnostik für alle Teilbereiche der Rezeption und Produktion von Sprache abgeleitet. Die Gesamtübersicht (Kap. ▶ 7) erlaubt einen Zugang zu allen Aufgaben- und Stimulusformaten und gibt immer dann Hinweise auf bereits in der Anwendung befindliche Diagnostikverfahren, wenn das Verfahren bzw. Teilbereiche den jeweiligen Aspekt der Sprachverarbeitung untersuchen. Auf diese Weise können in der Praxis gezielt die jeweiligen Untersuchungsbereiche ausgewählt werden, die aus Sicht der Untersuchenden am ehesten zur Klärung des beobachteten Sprachverarbeitungsproblems beitragen.

Die Beschreibung der Aufgaben- und Stimulusformate ist operationalisiert, um die Ableitung eigener Aufgaben zur Diagnostik, aber auch zur Therapie zu ermöglichen.

Darüber hinaus wird Online-Zusatzmaterial für Lehrende (Kap. ▶ 9) angeboten, das in Ergänzung zur Beschreibung der Sprachverarbeitungsmodelle (Kap. ▶ 4) Präsentationen zur Vermittlung in der Lehre anbietet.

Wir hoffen, mit dieser Publikation einen weiteren Impuls für eine psycholinguistisch fundierte Diagnostik und Therapie von Sprachentwicklungsstörungen zu setzen und insbesondere in der Praxis Tätige dazu zu ermutigen, die hier angebotenen Aufgaben- und Stimulusformate für die eigene Arbeit zu nutzen.

Regensburg und Aachen, Februar 2020

Norina Lauer

Dietlinde Schrey-Dern

Vorwort

Ein Vorwort eröffnet die Möglichkeit, Überlegungen an den Anfang eines Buches zu stellen, die erst während oder sogar am Ende der Arbeit an Konzept und Text entstanden sind. Das Vorwort kann helfen, die Leserschaft auf Inhalt und Anliegen des Buches einzustimmen und es kann auf nicht erfüllbare Erwartungen und unvermeidbar gebliebene Unzulänglichkeiten des Buches hingewiesen werden.

Im vorliegenden Buch wird der Versuch unternommen, ein umfassendes Konzept zur modellgeleiteten Sprachdiagnostik bei Spezifischen Sprachentwicklungsstörungen (SSES) zu entwickeln. Ausdrücklich darauf hingewiesen sei bereits an dieser Stelle, dass es sich bei dem vorgeschlagenen Konzept nicht um einen standardisierten Test oder eine Testbatterie handelt. Vielmehr wird ein Ordnungssystem dargestellt und begründet, das sprachdiagnostischen PraktikerInnen dabei helfen kann, Untersuchungsergebnisse und Beobachtungen, die mit unterschiedlichen Test- und Prüfverfahren gesammelt wurden, modellorientiert einzuordnen und in einen psycholinguistisch begründeten Zusammenhang zu bringen. Damit soll ein Beitrag geleistet werden zur Verbesserung von Transparenz, Systematik und Trennschärfe in diesem anspruchsvollen und komplizierten Bereich der logopädischen bzw. sonderpädagogischen Diagnostik.

Als Kernelement des vorgeschlagenen Ansatzes werden zwei psycholinguistische Modelle der Sprachverarbeitung eingeführt und beschrieben – eines zur Sprachproduktion und eines zum Sprachverstehen. Damit soll verdeutlicht werden, welche Mechanismen der kognitiv-sprachlichen Informationsverarbeitung es ermöglichen, Sprache uneingeschränkt verstehen und produzieren zu können.

Mit Bezug auf die beiden Modelle wird dann ein breites Spektrum bei SSES vorkommender Defizite der sprachlichen Informationsverarbeitung im Überblick dargestellt und systematisiert und es werden sprachdiagnostische Vorgehensweisen beschrieben, die sich aus psycholinguistischer Perspektive – vor dem Hintergrund der beiden zuvor beschriebenen Modelle – für eine differenzierte Untersuchung phonetischer, phonologischer, lexikalischer, grammatischer und pragmatischer Defizite der expressiven und der rezeptiven Sprache eignen.

Den Forschungsstand in einem so breiten, interdisziplinären, unübersichtlichen und kontroversen Feld destillieren und für die klinisch-praktische Diagnostik im Rahmen einer Monographie – das heißt mehr oder weniger im Alleingang – nutzbar machen zu wollen, ist ein gewagtes, vielleicht sogar ein wenig anmaßendes Unterfangen. Der Autor gesteht, während der mehrjährigen Arbeit an Konzept und Manuskript wiederholt an der Machbarkeit gezweifelt zu haben. Es sei frei heraus bekannt, dass das Buch und der darin vorgeschlagene Ansatz zur modellgeleiteten Sprachdiagnostik bei SSES in vielerlei Hinsicht vorläufig, unvollkommen, unvollständig und verbesserungsbedürftig sind. Perspektiven für mögliche Verbesserungen und Weiterentwicklungen werden im abschließenden Kapitel „Fazit und Ausblick“ skizziert.

Eine wichtige Funktion des Vorworts ist schließlich die Danksagung an alle, die an der Entstehung des Buches mittelbar oder unmittelbar beteiligt waren.

Sehr profitiert hat der Autor von zahllosen Diskussionen mit Studierenden der sonderpädagogischen Lehramtsstudiengänge an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Im Rahmen von sprachwissenschaftlichen Lehrveranstaltungen wurden immer wieder Fragen thematisiert, die die Konzeption und den Inhalt des Buches an vielen Stellen beeinflusst haben.

Ein herzliches Dankeschön geht an meine Tochter Hannah für die schönen Bildvorlagen von „Igel“, „Vogel“, „Biene“, „Junge“ und „Mädchen“. Besonderer Dank gilt den Kolleginnen und Kollegen, die sich der Mühe unterzogen haben, frühere Entwürfe des Manuskripts kritisch zu redigieren, namentlich Margit Berg, Frauke Janz, Susanne Daniel, Stefanie Mantey, Michaela Jungmann und Dietlinde Schrey-Dern. Das Buch hat sehr von den vielen inhaltlichen, stilistischen und konzeptuellen Rückmeldungen – positiven wie kritischen – profitiert. Die verbliebenen Unzulänglichkeiten gehen natürlich voll und ganz zu Lasten des Autors.

Hervorzuheben ist weiterhin die große Geduld und Kompetenz, mit denen die beiden Herausgeberinnen der Themenreihe Forum Logopädie, Norina Lauer und Dietlinde Schrey-Dern sowie der Thieme-Verlag die Entstehungsgeschichte des Buches unterstützt und begleitet haben – auch und gerade in Phasen, in denen sich der Autor von der selbst gewählten Aufgabe überfordert gefühlt hat.

Besonderer Dank gilt abschließend meiner Frau Stefanie Mantey, die mich immer wieder mit ihrem fachlichen und persönlichen Rat unterstützt hat.

Heidelberg, Februar 2020

Jürgen Cholewa

Inhaltsverzeichnis

Titelei

Forum Logopädie

Zitate

Vorwort der Herausgeberinnen

Vorwort

1 Einleitung

2 Was ist SSES?

2.1 Definition

2.2 Diagnostik und Differenzialdiagnostik

2.3 Häufigkeit und Verlauf

2.4 Auswirkungen auf andere Entwicklungsbereiche

2.5 Leitsymptome (Marker), Subtypen und Heterogenität

2.6 Ursachen

2.6.1 Innere Einflussfaktoren (Ursachen)

2.6.2 Äußere Einflussfaktoren (Moderatorvariablen)

2.6.3 Mono- und multikausale Ursachenmodelle

2.7 Terminologische und definitorische Kontroversen

3 Psycholinguistische Grundlagen

3.1 Die modulare Struktur des Sprachverarbeitungssystems

3.2 Entwicklungsmodularität

3.3 Modularität und Nativismus

3.4 Neurophysiologische Korrelate kognitiver Module

3.5 Modulare Modelle der Sprachverarbeitung

3.5.1 Sprachverständnis

3.5.2 Sprachproduktion und Sprechplanung

4 Modellgeleitete Sprachdiagnostik bei SSES

4.1 Grundannahmen und Ziele der modellgeleiteten Sprachdiagnostik

4.2 Elemente der modellgeleiteten Sprachdiagnostik

4.2.1 Auswahl und Beschreibung der Verarbeitungsmodelle

4.2.2 Ableitung sprachdiagnostischer Fragestellungen

4.2.3 Auswahl und Zuordnung von Aufgaben- und Stimulusformaten

4.2.4 Zuordnung publizierter Tests zu Aufgaben- und Stimulusformaten

4.2.5 Anwendung des Diagnostik-Konzepts in der Praxis

5 Sprachverarbeitung und modellgeleitete Diagnostik bei SSES: Sprachverstehen und rezeptive Sprachstörungen

5.1 Auditiv-phonetische Analyse

5.1.1 Funktion und Arbeitsweise der auditiv-phonetischen Analyse

5.2 Prälexikalisch-phonologische Dekodierung

5.2.1 Prosodische Hinweise für die Erkennung von Wortgrenzen

5.2.2 Silbenstrukturelle Hinweise für die Erkennung von Wortgrenzen

5.2.3 Die prälexikalische Gliederung des Sprachschalls in Phoneme

5.3 Phonologisches Arbeitsgedächtnis

5.3.1 Funktion und Arbeitsweise des Arbeitsgedächtnisses

5.4 Lexikalische Dekodierung

5.4.1 Funktionen und Arbeitsweise des mentalen Lexikons

5.4.2 Lexikalischer Zugriff/Erkennung von Lexemen

5.4.3 Morpho-phonologische Informationen im mentalen Lexikon

5.4.4 Semantische Informationen im mentalen Lexikon

5.5 Grammatische Dekodierung

5.5.1 Funktion der grammatischen Dekodierung

5.5.2 Aufgaben- und Stimulusformate zur Untersuchung der grammatischen Dekodierung

5.5.3 Teilsysteme bzw. Schritte der grammatischen Dekodierung

5.6 Pragmatische Verarbeitung: Verstehen von Sätzen im Kontext

5.6.1 Kontextuelle Einflüsse auf das Sprachverstehen

6 Sprachverarbeitung und modellgeleitete Diagnostik bei SSES: Sprachproduktion und expressive Sprachstörungen

6.1 Aufbau des präverbalen Konzepts

6.1.1 Planung von Makro- und Mikrostruktur

6.2 Aktivierung semantischer Repräsentationen im mentalen Lexikon

6.2.1 Funktion und Arbeitsweise der semantisch-lexikalischen Kodierung

6.3 Grammatische Kodierung

6.3.1 Funktion der grammatischen Kodierung

6.3.2 Aufgaben- und Stimulusformate zur Untersuchung der grammatischen Kodierung

6.3.3 Aktivierung grammatischer Informationen im mentalen Lexikon

6.3.4 Aufbau der Argument-Struktur

6.3.5 Satzsemantische Festlegung und morpho-syntaktische Kennzeichnung grammatischer Funktionen

6.3.6 Positionierung der grammatischen Funktionen

6.3.7 Festlegung der inneren Struktur von Konstituenten

6.4 Aktivierung von (morpho-)phonologischen Formen im mentalen Lexikon

6.4.1 Auswahl und Unterscheidung von Lexemen

6.5 Postlexikalisch-phonologische Kodierung

6.5.1 Segmental-phonologische und rhythmisch-metrische Gliederung der Lexem-Kette

6.5.2 Schritte der postlexikalisch-phonologischen Kodierung

6.6 Neuromuskuläre Steuerung von Sprechbewegungen

6.6.1 Silbische und subsilbische Verarbeitung

6.6.2 Untersuchungsmethoden und Defizite der Steuerung von Sprechbewegungen bei SSES

6.6.3 Fragestellungen und ASFs zur Überprüfung der neuromuskulären Sprechplanung

7 Detaillierte Beschreibung und Modellbezug der Aufgaben- und Stimulusformate

8 Fazit und Ausblick

9 Online-Material

9.1 Mit einem Klick

9.2 Extras im Netz

10 Literaturverzeichnis

Anschriften

Sachverzeichnis

Impressum

1 Einleitung

Spezifische Sprachentwicklungsstörungen (SSES) bilden den Ausgangspunkt einer oft lebenslangen Dynamik, durch welche die Chancen auf Bildung und Partizipation erheblich eingeschränkt sein können ▶ [99]. Wegen der vielfältigen Erscheinungsformen von SSES wird einer differenzierten Sprachdiagnostik große Bedeutung beigemessen ▶ [49], ▶ [117]. Denn es wird angenommen, dass bei SSES unterschiedliche Defizite der kognitiv-sprachlichen Informationsverarbeitung zugrunde liegen können und dass Sprachtherapie oder -förderung nur dann erfolgreich sein kann, wenn sie auf einer „zielgenauen Diagnose der sprachlichen Informationsverarbeitungsfähigkeiten“ beruht (Grimm et al. ▶ [200], S. 7).

Im vorliegenden Buch wird vorgeschlagen, für eine systematische und differenzierte Sprachdiagnostik bei SSES von einem psycholinguistischen Modell des Sprachverarbeitungssystems auszugehen. Modellgeleitete Diagnoseverfahren haben sich bisher besonders bei erworbenen Sprachstörungen (Aphasien, Dyslexien und Dysgraphien) etabliert. Im vorliegenden Buch wird ein umfassendes Konzept für die modellgeleitete Sprachdiagnostik bei SSES entwickelt und begründet.

In Kap. ▶ 2 wird zunächst in klinische Aspekte von SSES eingeführt sowie in die psychosozialen Konsequenzen dieser vielschichtigen, heterogenen und immer noch oft unterschätzten Entwicklungsstörung.

In Kap. ▶ 3 werden wichtige psycholinguistische Grundlagen des vorgeschlagenen Diagnostikansatzes dargelegt. Insbesondere wird auf die für den Ansatz zentrale Auffassung eingegangen, dass die Produktion und das Verstehen von Sprache erst durch das Zusammenspiel spezialisierter Teilsysteme der kognitiv-sprachlichen Informationsverarbeitung, sog. Module, ermöglicht werden und dass die Teilsysteme bei SSES in unterschiedlichem Ausmaß von der sprachlichen Entwicklungsstörung betroffen sein können. Konkretisiert wird die Vorstellung einer modularisierten Sprachverarbeitung in Kap. ▶ 3 durch die Einführung der beiden Sprachverarbeitungsmodelle (zum Sprachverstehen und zur Sprachproduktion), die dem vorgeschlagenen Diagnostik-Konzept zugrunde gelegt wurden.

In Kap. ▶ 4 werden die Elemente des modellgeleiteten Diagnostik-Konzepts erläutert. Den Ausgangspunkt bilden sprachdiagnostische Fragestellungen, die aus den beiden Sprachverarbeitungsmodellen abgeleitet werden. Jeder Fragestellung sind sprachdiagnostische Aufgaben- und Stimulusformate zugeordnet, die sich aus psycholinguistischer Perspektive zur Untersuchung der Fragestellung eignen. Die Formate sind nicht als konkrete Tests oder Testitems konzipiert, sondern als modellorientiert begründete, sprachdiagnostische Kategorien, die in unterschiedlicher Weise inhaltlich ausgestaltet und konkretisiert werden können (z.B. für unterschiedliche Schwierigkeitsgrade und Altersgruppen).

Im Online-Zusatzmaterial (Kap. ▶ 9) findet sich außerdem eine tabellarische Zuordnung von publizierten Tests bzw. Untertests aus der sprachdiagnostischen Literatur zu den einzelnen Aufgaben- und Stimulusformaten. Dadurch sollen verfügbare, psychometrisch abgesicherte und teilweise altersnormierte Testverfahren in das hier vorgeschlagene Diagnostik-Konzept eingebunden werden können.

In Kap. ▶ 5 (Sprachverstehen) und Kap. ▶ 6 (Sprachproduktion) werden dann detaillierte Erläuterungen zu Aufbau, Arbeitsweise und Funktion der einzelnen kognitiven Teilsysteme gegeben, die nach den beiden zugrunde gelegten Modellen an der kognitiv-sprachlichen Informationsverarbeitung beteiligt sind. Im Online-Zusatzmaterial (Kap. ▶ 9) finden sich ergänzend zum Text Präsentationen, in denen die Funktionsweise der Teilsysteme anhand von Beispielsätzen grafisch veranschaulicht wird. Außerdem werden in Kap. ▶ 5 und Kap. ▶ 6 Untersuchungsmethoden skizziert, die in der psycholinguistischen Forschung verwendet werden, um die verschiedenen Teilsysteme bei Kindern mit SSES möglichst gezielt zu überprüfen. Diese Forschungsmethoden bilden die Vorlagen für die anschließend beschriebenen sprachdiagnostischen Aufgaben- und Stimulusformate.

In Kap. ▶ 7 werden weiterführende Erläuterungen zu den Aufgaben- und Stimulusformaten gegeben. So werden hier u.a. Vorschläge gemacht, nach welchen Kriterien die Aufgabenstellungen und das Stimulusmaterial variiert werden könnten, und es werden ausführliche Erläuterungen und Begründungen zum Modellbezug jedes Formats gegeben.

Kap. ▶ 8 gibt einen Ausblick auf mögliche Ergänzungen und Weiterentwicklungen des vorgeschlagenen Diagnostik-Konzeptes.

3 Psycholinguistische Grundlagen

Merke

Psycholinguistische Sprachverarbeitungsmodelle bilden einen wichtigen Ausgangspunkt für die Suche nach den unterschiedlichen kognitiven Defizitmechanismen, die bei SSES zugrunde liegen können (z.B. ▶ [97], ▶ [231], ▶ [330], ▶ [432]).

Die Psycholinguistik beschäftigt sich mit den mentalen Vorgängen, die der menschlichen Fähigkeit zum Erwerb und zur Verwendung mündlicher und schriftlicher Sprache zugrunde liegen (z.B. ▶ [5], ▶ [96], ▶ [151], ▶ [202], ▶ [271]). Aktivitäten wie Sprechen, Sprachverstehen, Lesen und Schreiben erfolgen meist automatisch und unterliegen überwiegend nicht der bewussten Kontrolle. Deshalb können Sprachverwender auch keine zuverlässige Auskunft etwa darüber geben, wie es ihnen gelungen ist, einen Satz zu verstehen oder zu produzieren. Die unbewussten und hochautomatischen Mechanismen der sprachlichen Informationsverarbeitung werden in der Psycholinguistik mit experimentellen Methoden erforscht und in Form von Sprachverarbeitungsmodellen veranschaulicht.

Viele Psycholinguisten verstehen ihr Fach als Teilgebiet der Kognitionswissenschaften. In diesem interdisziplinären Forschungsfeld arbeiten Psychologen, Linguisten und Neurowissenschaftler zusammen, um die Vorgänge aufzuklären, die den sog. kognitiven Leistungen zugrunde liegen. Hierzu werden neben der Fähigkeit zur Produktion und zum Verstehen mündlicher und schriftlicher Sprache u.a. auch auditive und visuelle Wahrnehmung, Gedächtnis, Denken, Lernen sowie Bewegungs- und Handlungsplanung gezählt (z.B. ▶ [161], ▶ [183]). Auch Genetiker beteiligen sich zunehmend an der Erforschung kognitionswissenschaftlicher Fragestellungen (vgl. ▶ [198], ▶ [372]).

3.1 Die modulare Struktur des Sprachverarbeitungssystems

“Language is a highly complex system that consists of different subsystems or ‘components’ […]: syntax – the structural rules combining words into sentences; morphology – the rules combining words or parts of words into new words (e.g. jump-ed); and grammatical-phonology – the rules for combining sounds into words. […] In addition to these grammatical components, another essential aspect of language, among many, is the lexicon (vocabulary) – the store of words. […] Different SLI subgroups evince different degrees of impairment across language components.“

van der Lely ▶ [468]; S. 54

Ein grundlegendes Merkmal vieler kognitionswissenschaftlicher bzw. psycholinguistischer Verarbeitungsmodelle ist ihr modularer Aufbau ▶ [74], ▶ [98], ▶ [231] , ▶ [274], ▶ [383], ▶ [417]. Komplexe kognitive Leistungen wie etwa das Erkennen eines Gesichtes oder Gegenstandes, Lesen eines Wortes oder Verstehen eines Satzes, erbringt das Verarbeitungssystem nach dieser Modellvorstellung durch das Zusammenspiel verschiedener Teilkomponenten, sog. Module.

Auf der obersten Strukturebene des Systems werden Makromodule unterschieden, z.B. für die Verarbeitung von Laut- und Schriftsprache oder für die Objekterkennung ( ▶ Abb. 3.1). Makromodule sind in spezialisiertere Teilkomponenten gegliedert. So enthält das Makromodul, das für die Verarbeitung von Lautsprache zuständig ist, u.a. ein Grammatikmodul und ein Lexikonmodul. Auch für diese funktional spezialisierten Teilkomponenten wird wiederum eine modulare Gliederung in noch spezialisiertere Teilsysteme angenommen, so für verschiedene Aspekte der lexikalischen oder grammatischen Verarbeitung. Jedes hochspezialisierte Teilsystem vermag nur einen bestimmten Beitrag zum Gelingen des Gesamtprozesses zu leisten, diesen jedoch – infolge der funktionalen Spezialisierung – sehr schnell und zuverlässig.

Modulare Struktur des kognitiven Systems.

Abb. 3.1

Das Konzept der Modularität hat seit seiner Einführung durch den Psycholinguisten Jerry Fodor (1983) in vielen Bereichen der Kognitionswissenschaft, aber auch in der Entwicklungspsychologie großen Einfluss gewonnen. Als zentrales Merkmal von Modulen gilt, dass sie domänenspezifisch arbeiten, d.h., nur wenn ein Modul den jeweils adäquaten Input erhält, wird es aktiv ▶ [98]. So werden für das Lesen erforderliche Module beispielsweise nur bei schriftsprachlichem Input aktiv und für das auditive Sprachverstehen erforderliche Module nur, wenn der Input aus Sprachschall besteht. Zudem operiert ein Modul, sofern es mit einem geeigneten Input versorgt wird, automatisch bzw. unwillkürlich (mandatory) und seine Aktivität kann nicht durch bewusste Kontrolle unterdrückt oder gesteuert werden.

Wichtige Hinweise für den modularen Aufbau bzw. die sog. funktionale Architektur des kognitiven Systems, wurden durch die Untersuchung von Patienten mit Schädigungen umschriebener Hirnareale gefunden (z.B. als Folge eines Schlaganfalls oder einer Hirnblutung). Denn diese Patienten zeigen oft selektive Beeinträchtigungen bestimmter kognitiver Leistungsbereiche, sog. Dissoziationen zwischen kognitiven Leistungen ▶ [74], ▶ [225]. So können Störungen der Lautsprache (Aphasien), der Schriftsprache (Dyslexien und Dysgraphien) oder auch beim Erkennen von Objekten (sog. Objektagnosie) bei Patienten mit Hirnschädigungen unabhängig voneinander auftreten. Manche Patienten weisen z.B. nur eine Aphasie oder nur eine Dyslexie auf. Dies wird als Beleg für die funktionale Eigenständigkeit der jeweils domänenspezifischen kognitiven Makromodule gedeutet.

Häufig liegen nach Hirnschädigungen auch noch speziellere Beeinträchtigungen kognitiver Leistungen vor. So haben manche Patienten mit Dyslexie nur beim Lesen sog. Kunst- bzw. Pseudowörter (z.B. KLUHN) Schwierigkeiten, zeigen jedoch unauffällige Leseleistungen bei Realwörtern (z.B. STUHL), während bei anderen Patienten das reziproke Leseleistungsmuster beobachtbar ist. Auch Patienten mit Aphasie zeigen in den meisten Fällen keinen globalen Sprachverlust, sondern umschriebene Defizite bei bestimmten sprachlichen Leistungen. So können Beeinträchtigungen der phonologischen, der lexikalischen oder der grammatischen Verarbeitung unabhängig voneinander auftreten – und auch noch wesentlich enger eingegrenzte sprachliche Defizite kommen vor, beispielsweise nur bei der Ausführung ganz bestimmter grammatischer Operationen. Solche hochspezifischen Funktionsstörungen gelten als Beleg für die Gliederung bzw. die Fraktionierung des kognitiven Systems in funktionell hochspezialisierte Teilsysteme, die aufgrund von Hirnschädigungen unabhängig voneinander beeinträchtigt werden können.

Teilschritte der kognitiv-sprachlichen Informationsverarbeitung Die Vertreter des Modularitätskonzepts gehen wie bereits erwähnt davon aus, dass mehrere kognitive Teilsysteme in geordneter Abfolge zusammenarbeiten bzw. dass hintereinander mehrere Schritte der sprachlichen Informationsverarbeitung ausgeführt werden müssen, um komplexe sprachliche Leistungen erbringen zu können. Beim Verstehen eines Satzes ist beispielsweise zunächst eine phonetisch-phonologische Analyse des Sprachschalls erforderlich. Darauf aufbauend können die im Sprachschall enthaltenen Wortformen erkannt und aufbauend auf der Worterkennung kann der Satz dann auch grammatisch entschlüsselt werden ( ▶ Abb. 3.2).

Zusammenarbeit von Modulen am Beispiel Satzverstehen.

Abb. 3.2

Schwierigkeiten beim Satzverstehen im Rahmen einer Sprach- oder Sprachentwicklungsstörung könnten demnach auf Verarbeitungsdefizite in unterschiedlichen Teilsystemen der rezeptiven Sprachverarbeitung zurückführbar sein, d.h. bei der phonetisch-phonologischen, lexikalischen oder grammatischen Verarbeitung sowie auch auf Kombinationen von Verarbeitungsdefiziten in mehreren dieser Teilsysteme. Erst aus einer lückenlosen Untersuchung der verschiedenen Teilsysteme, die für die erfolgreiche Bearbeitung einer sprachlichen Aufgabenstellung benötigt werden, ergibt sich nach dieser Auffassung ein differenziertes Bild der Defizitmechanismen, die einer Beeinträchtigung des Satzverstehens und analog auch der Satzproduktion zugrunde liegen ▶ [65], ▶ [78], ▶ [330].

Arbeitsweise kognitiver Module: Speicherung und Verwendung von „Sprachwissen“ Damit kognitive Teilsysteme ihren spezifischen Beitrag zur Sprachverarbeitung leisten können, muss das hierfür erforderliche (intuitive) Sprachwissen mental gespeichert sein. So muss, um ein im Sprachschall enthaltenes Wort zu verstehen, u.a. eine möglichst genaue Vorstellung der phonologischen Form und der Bedeutung des Wortes im mentalen Lexikon abgelegt sein. Diese mentale Repräsentation der Wortform muss so differenziert angelegt sein, dass eine Verwechslung mit semantisch oder phonologisch ähnlichen Wortformen ausgeschlossen ist. Analog setzt ein gelingendes Satzverstehen voraus, dass grammatisches Wissen mental gespeichert ist, beispielsweise zu den morpho-syntaktischen Regeln, nach denen das grammatische Subjekt eines Satzes erkannt oder zwischen einem Fragesatz und einem Aufforderungssatz unterschieden werden kann. In vielen psycholinguistischen Erklärungsansätzen wird davon ausgegangen, dass bei Sprach(entwicklungs)störungen oft das für die Sprachverarbeitung erforderliche Sprachwissen nicht oder zumindest nicht mit hinreichender bzw. altersgemäßer Differenziertheit angelegt werden konnte (vgl. ▶ [291]). Werden etwa beim Sprachverstehen semantisch oder phonologisch ähnliche Wörter verwechselt (z.B. ROSE mit TULPE oder mit HOSE), so kann dies daran liegen, dass für ROSE im mentalen Lexikon nur ungenaue phonologische bzw. semantische Wortmerkmale abgelegt bzw. repräsentiert sind.

Andererseits können bei Sprachentwicklungsstörungen aber auch Schwierigkeiten bei der Verwendung bzw. beim Abruf von sprachlichen Wissensrepräsentationen zugrunde liegen. Die Annahme ist hier, dass das erforderliche Sprachwissen zwar aufgebaut werden konnte, dass aber der Zugriff auf dieses Wissen nicht mit hinreichender Zuverlässigkeit oder Geschwindigkeit gelingt, um mit den hohen zeitlichen Anforderungen beim Verstehen oder Produzieren von Sprache schritthalten zu können. So müssen beim Satzverstehen bereits bei normaler Sprechgeschwindigkeit die phonologischen, semantischen und grammatischen Repräsentationen von drei bis fünf Wörtern im mentalen Lexikon aufgefunden und aktiviert werden können. Im selben Zeitfenster muss gleichzeitig noch auf grammatische Wissensrepräsentationen zugegriffen werden, um die Bedeutung eines Satzes entschlüsseln zu können. Aus zahlreichen Studien liegen Hinweise darauf vor, dass Kinder mit SSES sprachliche Informationen langsamer, mit einer anderen zeitlichen Taktung oder weniger effizient verarbeiten und integrieren als altersgemäß entwickelte Kinder ▶ [61], ▶ [104], ▶ [285], ▶ [296], ▶ [323] , ▶ [329].

3.2 Entwicklungsmodularität

Die Anwendung des Modularitätskonzepts auf Entwicklungsprozesse und Entwicklungsstörungen wird kontrovers diskutiert. Viele EntwicklungspsychologInnen gehen davon aus, dass Modularität ein Zustand ist, den das kognitive System erst im Erwachsenenalter nach vielen Jahren der Ausdifferenzierung in vollem Ausmaß erreicht. Während der Entwicklung werden dagegen vielfältige Wechselwirkungen zwischen den Verarbeitungskomponenten und -prozessen angenommen, die sich in ihrem Auf- und Ausbau gegenseitig beeinflussen ▶ [456]. Weist ein Kind beispielsweise bereits bei der phonetisch-phonologischen Verarbeitung von Sprachschall Entwicklungsdefizite auf, so können hieraus Schwierigkeiten der lexikalischen und der grammatischen Entwicklung sekundär folgen, ohne dass die Teilsysteme primär von der Entwicklungsstörung betroffen sein müssen (vgl. Kap. ▶ 2.6.3). Denn die lexikalische und grammatische Verarbeitung (und damit auch die zugrunde liegenden Vorgänge der lexikalischen und grammatischen Entwicklung) sind auf einen optimal aufbereiteten phonetisch-phonologischen Input angewiesen (vgl. ▶ Abb. 3.2).

Jedoch kommen auch bei Entwicklungsstörungen selektive Defizite für bestimmte kognitive Leistungen sowie heterogene Stärken- und Schwächenprofile häufig vor ▶ [134]. Beispielsweise kann SSES auch ohne Lese-Rechtschreib-Störung (LRS) auftreten und umgekehrt ▶ [79], ▶ [370]. Die Makromodule für Laut- und Schriftsprache (vgl. ▶ Abb. 3.1) scheinen sich demnach zumindest teilweise unabhängig voneinander entwickeln zu können. Bei SSES wurden außerdem häufig umschriebene Defizite in bestimmten sprachlichen Leistungsbereichen beobachtet. So können Wortfindungsstörungen von unauffälligen syntaktischen Leistungen begleitet sein ▶ [130]. Aber auch das reziproke Leistungsmuster – schwere syntaktische Defizite bei altersgemäß oder zumindest wesentlich besser entwickeltem Wortschatz – wurde beobachtet ▶ [347], ▶ [468]. Auch müssen phonologische Defizite nicht mit syntaktischen Defiziten einhergehen (z.B. ▶ [55], ▶ [182]) und umgekehrt kommen syntaktische Defizite zusammen mit altersgemäßen phonologischen Leistungen vor (z.B. ▶ [438]).

Friedmann u. Novogrodzky ▶ [171] fanden unter 36 ca. 10- bis 11-jährigen Kindern mit SSES nur drei, bei denen sowohl syntaktisches als auch phonologisches und lexikalisches Verarbeiten von der Entwicklungsstörung betroffen waren. Bei den weitaus meisten Kindern lagen entweder nur in syntaktischen, nur in lexikalischen oder nur in phonologischen Aufgaben nicht-altersgemäße Leistungen vor ( ▶ Abb. 3.3).

Dissoziationen zwischen sprachlichen Defiziten in der Untersuchung von 36 Kindern mit SSES von Friedmann und Novogrodsky (2008).

Abb. 3.3

Dissoziationen zwischen Leistungsdefiziten sowie heterogene Stärken- und Schwächenprofile bei SSES sind vor dem Hintergrund des Konzepts der Entwicklungsmodularität keineswegs unerwartet und sie können folgendermaßen erklärt werden ▶ [78], ▶ [170], ▶ [171]: Wenn das kognitive System aus unterschiedlichen Teilsystemen besteht, die sich zumindest teilweise unabhängig voneinander entwickeln, so sollten bei Entwicklungsstörungen (z.B. LRS oder SSES) heterogene Leistungsprofile beobachtbar sein, die die modulare Struktur des Systems bzw. den unausgewogenen Entwicklungsstand seiner Komponenten widerspiegeln. Altersgemäß entwickelte Teilsysteme könnten es einem Kind ermöglichen, bestimmte sprachliche Leistungen auf einem altersgemäßen Niveau zu erbringen. Bei anderen sprachlichen Leistungen könnte dasselbe Kind mehr oder weniger weit hinter seine Altersgruppe zurückfallen, weil hierfür nicht-altersgemäß entwickelte Teilsysteme der kognitiv-sprachlichen Informationsverarbeitung benötigt werden.

3.3 Modularität und Nativismus

In Psycholinguistik und Kognitionswissenschaft wird häufig von der Annahme ausgegangen, dass viele der speziellen Funktionen und Arbeitsweisen von Modulen angeboren bzw. prädisponiert sind, ihre Entfaltung unter der Kontrolle genetisch gesteuerter neurobiologischer Reifungsprozesse steht und nur begrenzt durch äußere Faktoren beeinflusst werden kann (vgl. ▶ Abb. 2.2). Dies wird in sog. nativistischen Spracherwerbstheorien für viele Aspekte des kognitiven Moduls angenommen, das für die grammatische Verarbeitung von Sätzen zuständig ist (z.B. ▶ [236], ▶ [362], ▶ [461]).

In Pädagogik und Entwicklungspsychologie wird dem nativistischen Ansatz und damit auch dem Modularitätskonzept traditionell mit größerer Skepsis begegnet als in den Kognitionswissenschaften. Ein Grund hierfür könnte darin liegen, dass zumindest extrem nativistische Positionen weniger Raum für pädagogischen und sonderpädagogischen Optimismus zu bieten scheinen als konstruktivistische, instruktionalistische, interaktionistische oder neobehavioristische Ansätze (vgl. ▶ [383]).

Allerdings spiegelt sich der nativistische Grundgedanke durchaus auch in den Annahmen einflussreicher Pädagogen wider. So stimmen Pestalozzi, Fröbel und Montessori darin überein, dass das Anliegen von Erziehung darin bestehe, eine Entwicklung der kindlichen Natur – auch seiner mentalen Fähigkeiten – zu ermöglichen bzw. dieser Entwicklung nicht im Wege zu stehen (vgl. ▶ [428]).

Außerdem eröffnen moderat-nativistische Ansätze bzw. Verknüpfungen von konstruktivistischem mit nativistischem Gedankengut durchaus Spielräume für einen Einfluss von Umweltfaktoren auf die kognitive Entwicklung (z.B. ▶ [244], ▶ [247]). In solchen Hybridmodellen wird die Entwicklung in den verschiedenen Modulen bzw. Domänen (z.B. Lautsprache, Lesen und Schreiben, mathematische Fähigkeiten, Theory of Mind) als Entfaltung eines biologisch vorgegebenen Potenzials in einem spezifischen soziokulturellen Kontext aufgefasst. Nur in den durch dieses Potenzial vorgegebenen Grenzen können die im Input enthaltenen Informationen als sog. Intake erfasst, Probleme gelöst und mentale Wissensrepräsentationen und Verarbeitungssysteme aufgebaut werden.

Ob sprachliche Verarbeitungs- und Entwicklungsdefizite durch gezielte Interventionen effektiv vermindert werden können, gilt heute im Übrigen als empirische Frage. Die Antwort hierauf kann letztlich nur durch methodisch adäquate Effektivitätsstudien gefunden werden, nicht jedoch auf der Basis von entwicklungspsychologischen Grundpositionen ▶ [55], ▶ [261]. Als Ausgangspunkt und Grundlage für solche Effektivitätsstudien haben sich die modularen und oft nativistisch inspirierten Modelle der Psycholinguistik als sehr produktiv und hilfreich erwiesen. Dabei wird davon ausgegangen, dass sprachliche Entwicklungsdefizite in unterschiedlichen Teilsystemen vorliegen können – mit jeweils unterschiedlichen Konsequenzen für den Erwerb sprachlicher Teilleistungen und für die Wirksamkeit von hierauf gerichteten sprachtherapeutischen Interventionen.

3.4 Neurophysiologische Korrelate kognitiver Module

Ob die Module des Sprachverarbeitungssystems mit bestimmten Hirnregionen korrelieren, ist eine Frage, die in den kognitiven Neurowissenschaften intensiv erforscht und kontrovers diskutiert wird. Mit bildgebenden Verfahren wurden bereits neuronale Korrelate verschiedener Teilsysteme identifiziert (z.B. ▶ [41], ▶ [146], ▶ [148], ▶ [170], ▶ [205], ▶ [218], ▶ [223], ▶ [232], ▶ [233], ▶ [234], ▶ [300], ▶ [354]). Bei SSES wurden subtile und heterogene Besonderheiten der neuronalen Verarbeitung in unterschiedlichen Arealen des sprachverarbeitenden Netzwerks beobachtet ▶ [27], ▶ [92], ▶ [114], ▶ [115], ▶ [166], ▶ [219], ▶ [398], ▶ [480], ▶ [483], ▶ [489].

Die Erforschung der Zusammenhänge zwischen den genetischen, neurobiologischen und kognitiven Mechanismen, die der Verarbeitung und Entwicklung von Sprache und auch bei SSES zugrunde liegen, gilt als eine zentrale Herausforderung der Kognitionswissenschaft. Ramus ▶ [372] beschreibt das so:

“The matter is to understand the entire chain of events, from molecular variations in DNA to altered protein synthesis to the countless molecular events involved in the construction, development, functioning and disruption of the brain, to brain systems and cognitive functions.”

Ramus ▶ [372]; S. 248

3.5 Modulare Modelle der Sprachverarbeitung

▶ Abb. 3.4 zeigt ein modulares, psycholinguistisches Modell verschiedener Teilsysteme der sprachlichen Informationsverarbeitung, die für das Verstehen von Sprache bzw. für die rezeptive Sprachverarbeitung erforderlich sind (in Anlehnung an ▶ [111], ▶ [165]). ▶ Abb. 3.5 zeigt ein entsprechendes Modell der Sprachproduktion bzw. der Sprechplanung (in Anlehnung an ▶ [58], ▶ [232], ▶ [274]). Die beiden Modelle liegen dem in diesem Buch vorgeschlagenen Konzept zur modellgeleiteten Sprachdiagnostik bei SSES zugrunde.

Hinweis

Alle am Verstehen bzw. an der Produktion von Sprache bzw. am Sprechen beteiligten Systeme, die in ▶ Abb. 3.4 und ▶ Abb. 3.5 dargestellt sind, können bei SSES grundsätzlich von der Entwicklungsstörung betroffen sein und müssten idealerweise bei einer modellgeleiteten Sprachdiagnostik möglichst gezielt überprüft werden können.

Die Funktion der einzelnen Teilsysteme wird in den beiden folgenden Kapiteln (Kap. ▶ 3.5.1 und Kap. ▶ 3.5.2) zunächst nur im Überblick skizziert. Genauere Erläuterungen zur Funktionsweise, zu Beeinträchtigungen bei SSES und zu geeigneten Untersuchungsmethoden finden sich in Kap. ▶ 5 (Sprachverstehen und rezeptive Sprachstörungen) und in Kap. ▶ 6 (Sprachproduktion und expressive Sprachstörungen).

3.5.1 Sprachverständnis

“Speech […] is a code. The listener has the key and can unravel the code to reveal the message it contains. But the unravelling is one of fearsome complexity.”

Cutler u. Clifton ▶ [111]; S. 125

Beim Verstehen von Sprache verläuft der Informationsfluss vom akustischen Signal hin zu den darin enthaltenen Bedeutungen bzw. zu den kommunikativen Intentionen des Sprechers. Das akustische Sprachsignal wird vom Hörer zunächst durch die auditive bzw. phonetische Analyse (1 in ▶ Abb. 3.4) einer temporalen und spektralen Analyse unterzogen, um die enthaltenen phonetischen Merkmale zu extrahieren. Das Ergebnis dieses Analyseprozesses, der sog. phonetische Code, wird dann durch die prälexikalisch-phonologische Dekodierung (2, 3, 4) in eine mentale Repräsentation überführt, die aus phonologischen Einheiten besteht, also etwa aus Silben, Silbenkonstituenten und Phonemen. Außerdem erfolgt hier auch die Erkennung prosodischer Merkmale wie etwa der Akzentstruktur.

Nach der segmental-phonologischen Verarbeitung erfolgt die Worterkennung durch die Aktivierung von Einträgen auf der Lexem-Ebene (7) des mentalen Lexikons. Hier sind Informationen über die phonologische und morphologische Form von Wörtern gespeichert. Es findet dabei ein Aktivierungswettbewerb statt, bei dem verschiedene lexikalische Einträge je nach phonologischer Ähnlichkeit mit dem phonologischen Code in unterschiedlichem Ausmaß aktiviert werden. Für die Dauer der lexikalischen Dekodierung muss die phonologische Repräsentation im phonologischen Arbeitsgedächtnis (5, 6) gespeichert werden.

Nachdem der korrekte Eintrag auf der Lexemebene des mentalen Lexikons aktiviert wurde, erfolgt der lexikalische Zugriff auf Informationen zu den grammatischen Wortmerkmalen (z.B. zur Verb-Argument-Struktur, zur Wortart und zum grammatischen Geschlecht), die auf der Lemma-Ebene (8) des mentalen Lexikons gespeichert sind, und schließlich auf die Wortbedeutung (Semantik-Ebene, 9).

Durch die Aktivierung der Informationen zu den grammatischen Eigenschaften des Wortes werden dann verschiedene Teilprozesse zur grammatischen Dekodierung (10–13) ausgelöst, beispielsweise die Dekodierung der Konstituentenstruktur, der Verb-Argument-Struktur und der morpho-syntaktischen Struktur. Die grammatische Dekodierung ist beim Sprachverstehen beispielsweise erforderlich, um den Konstituenten eines Satzes satzsemantische Rollen (z.B. Aktor und Patiens) zuordnen zu können oder den mit der Äußerung intendierten Sprechakt zu erschließen (z.B. Aussage, Frage oder Aufforderung).

Außerdem muss der Hörer über die sprachliche Dekodierung einer Äußerung hinaus den verbalen und nonverbalen Kontext der Äußerung berücksichtigen (14). Denn durch unausgesprochene Bezugnahme auf den Kontext kann der Sprecher seiner Äußerung zusätzliche Bedeutungskomponenten hinzugefügt haben, ohne die seine Intention vom Hörer nur unvollständig erschlossen werden kann. Der Sprecher geht dabei intuitiv von der Erwartung aus, dass der Hörer auch diese (nonverbalen und verbalen) kontextuellen Informationen erkennen und bei der Interpretation der explizit versprachlichten Informationen mitberücksichtigen kann.

Erst durch das feinabgestimmte Zusammenspiel dieser verschiedenen phonetischen, phonologischen, lexikalischen, grammatischen sowie pragmatischen Verarbeitungsprozesse kann der Hörer beim Sprachverstehen die vom Sprecher intendierte kommunikative Botschaft optimal erfassen.

Informationsverarbeitung beim Sprachverstehen.

Abb. 3.4

3.5.2 Sprachproduktion und Sprechplanung

“Talking is one of our dearest occupations. We spend hours a day conversing, telling stories, teaching, quarreling, and, of course, speaking to ourselves. Speaking is, moreover, one of the most complex cognitive, linguistic, and motor skills. Articulation flows automatically, at a rate of about fifteen speech sounds per second, while we are attending only to the ideas we want to get across to our interlocuters.”

Levelt ▶ [274]; S. XIII

Informationsverarbeitung bei der Sprachproduktion.

Abb. 3.5

Der Sprecherbeginnt die Produktion eines Satzes nach dem in ▶ Abb. 3.5 dargestellten Modell mit dem Aufbau eines präverbalen Konzeptes (15 und 16 in ▶ Abb. 3.5). Denn noch bevor die eigentliche Sprachproduktion erfolgen kann, muss vorsprachlich entschieden werden, welche Sprechakt-Intentionen (z.B. Frage, Bericht, Aufforderung) mit welchen konkreten Inhalten (Akteuren, Vorgängen, Zuständen etc.) im bevorstehenden kommunikativen Turn versprachlicht werden sollen. Damit der Kommunikationsvorgang gelingen kann, muss der Sprecher bei dieser präverbalen Konzeptualisierung auch den bisherigen Gesprächsverlauf und das Vorwissen bzw. die kommunikative Erwartungshaltung des Hörers berücksichtigen.

Das präverbale Konzept muss dann vom Sprecher durch die sog. sprachliche Kodierung in eine sprachliche Form gebracht werden, die letztlich ausgesprochen und auf diese Weise an den Hörer übermittelt werden kann.

Die sprachliche Kodierung beginnt mit der Aktivierung von Einträgen auf der Semantik-Ebene des mentalen Lexikons (17), die geeignet sind, um die Komponenten und Intentionen des präverbalen Konzepts zum Ausdruck zu bringen. Durch die Aktivierung von Wortbedeutungen werden auch korrespondierende Informationen über die grammatischen Eigenschaften der Wörter auf der Lemma-Ebene des mentalen Lexikons (18)zugreifbar (z.B. die Wortart, das grammatische Geschlecht, die zugehörigen Konjugations- und Deklinationskategorien), die mit den Wortbedeutungen verknüpft sind. Diese grammatischen Merkmale werden so für den weiteren sprachlichen Kodierungsprozess verfügbar gemacht.

Die Aktivierung der grammatischen Wortmerkmale bildet den Ausgangspunkt für die Einleitung verschiedener grammatischer Kodierungsprozesse (19–22). Hierbei wird zunächst ein grammatisches Grundgerüst aufgebaut, das die in dem geplanten Satz benötigten grammatischen Funktionen (z.B. Subjekt, Prädikat, ggf. Objekte) festlegt. Anschließend wird dieses Grundgerüst weiter ausgearbeitet, indem die Reihenfolge und die innere grammatische Struktur der Konstituenten konkretisiert und differenziert werden.

Am Ende der grammatischen Kodierung hat das Verarbeitungssystem eine noch formlose sprachliche Repräsentation erzeugt, die aus semantischen und grammatischen Informationen besteht. Die sprachliche Repräsentation bildet alle intentionalen und semantischen Aspekte ab, die im präverbalen Konzept vorgesehen sind. Die phonologische Form des geplanten Satzes wurde jedoch bis zu diesem Zeitpunkt des Sprachproduktionsprozesses noch nicht ausgearbeitet. Aus diesem Grunde ist der geplante Satz auch noch nicht aussprechbar. Um die sprachliche Äußerung für die Planung und Ausführung von Sprechbewegungen vorzubereiten, werden auf der Lexem-Ebene des mentalen Lexikons (23) die zur grammatischen und semantischen Repräsentation passenden phonologischen Formen von Wörtern bzw. Morphemen aktiviert. Analog zur lexikalischen Verarbeitung beim Sprachverstehen findet auch bei der Sprachproduktion ein Aktivierungswettbewerb phonologisch ähnlicher Formen statt.

Auf der Ebene der post-lexikalischen phonologischen Kodierung (24–26) wird die aus hintereinander gereihten Lexemen bestehende sprachliche Repräsentation des geplanten Satzes endgültig für die neuromuskuläre Planung von Sprechbewegungen vorbereitet, indem die Lexeme in silbisch gegliederte Formschablonen eingesetzt werden, die aus Platzhaltern für die Konstituenten der Silbenstruktur (Onset, Reim, Nukleus und Koda) bestehen. Die Silbifizierung der Wortform erfolgt, indem die Phoneme, aus denen die Lexeme bestehen, von links nach rechts den Platzhaltern zugeordnet werden. Als Ergebnis der postlexikalisch-phonologischen Verarbeitung liegt eine silbifizierte und mit Akzentmerkmalen versehene phonologische Repräsentation der geplanten Äußerung vor. Diese bilden den Input für die nachfolgende neuromuskuläre Planung von Sprechbewegungen (25).