Spielend leicht erziehen - Stefanie Diekmann - E-Book

Spielend leicht erziehen E-Book

Stefanie Diekmann

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Beschreibung

Wollen Sie als Eltern alles richtig machen? Wünschen Sie sich, dass ihr Kind glücklich wird und das Leben meistert? Doch oft erleben Sie das Familienleben oft als fordernd und stressig. Fehlt Ihnen die Begleitung und Unterstützung durch erfahrene Mütter und Väter? Dann sind Sie hier richtig! Mit fröhlichen und nachdenklichen Episoden aus dem turbulenten Alltag zeigt dieses Buch, wie wenig Sie als Familie brauchen und dass es oft der eigene Anspruch ist, der das Miteinander kompliziert macht. Die Autorin ermutigt Sie, das eigene Handeln wahrzunehmen, zu reflektieren und Ihren eigenen Stil zu entwickeln. Denn Erziehung braucht nicht mehr als Nähe und Klarheit.

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Der SCM Verlag ist eine Gesellschaft der Stiftung Christliche Medien, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

ISBN 978-3-7751-7366-7 (E-Book)

ISBN 978-3-7751-5764-3 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book:CPI books GmbH, Leck

© der deutschen Ausgabe 2017

SCM-Verlag GmbH & Co. KG · Max-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen

Internet: www.scm-verlag.de · E-Mail: [email protected]

Die Bibelverse sind, wenn nicht anders angegeben, folgender Ausgabe entnommen:

Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006

SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten.

Übersetzung: Verlag Herder GmbH

Umschlaggestaltung: Kathrin Spiegelberg, Weil im Schönbuch

Titelbild: stocksy.com

Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach

Inhalt

Über die Autorin

Vorwort

Nah-Aufnahme

Melodieträger

Hinsehen

Bodenturnen

Flügelentdecker

Eckbankweisheit

Liebevoller Blick

Gott im Alltag entdecken

Checkliste: Glückliche Kinder …

Nah-Bereich

Kuschelzeit

Goldnuggets

Jesusfolger

Tempobremser

Liebhaber

Kraft-Verstärker

Schatzhüter

Nacktes Glück

Tischgemeinschaft

Festgenuss

Nah-Kampf

Hürdensprung

Alarmmacher!

Belastungsprobe

Liebe, die schwerfällt

Willensstark

Ringkämpfe

Scherbenhaufen

Wutwelle

Checkliste: Nah sein

Klar-Sicht

Mücke und Elefant

Verknüpfungen

Klare Botschaften

Nur das Beste?

Dauerbaustelle »Ich«

Blick von außen

Was für eine Lüge!

Gedankenzupfer

Prägungen

Seelenfresser

Obsttelleransichten

Klar-Text

Klare Worte

Das muss!

Den Ascona in der Garage lassen

Deckungsgleich

Verlässlich!

Dauernörgelnummer

Jammertal

Klar-Stellung

Zerstörerische Wut

Angstklammer

Farbnuancen entdecken

Vorbilder

Muttertröster

Schuldverschieber

Schule ist genial!

Schweigealarm

Checkliste: Klar sein

Ein kleines Wort zum Schluss

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Über die Autorin

Stefanie Diekmann ist Diplom-Pädagogin und Pastorenfrau. Sie und ihr Mann haben drei (fast erwachsene) Kinder. Stefanie Diekmann hält Familienkurse, begleitet und berät Familien und schreibt regelmäßig für das Magazin »Family«.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Vorwort

Erziehung – so einfach geht das!

Dieses Buch ist kein Ratgeber. Es ist ein Lebensanstupser. Es soll Sie als Eltern einladen, Familie mit Nähe und Klarheit zu leben und dabei jede Menge Spaß zu haben. Ja, Spaß – keine Dauerseufzer, wie fordernd doch die Mutterrolle ist oder wie wichtig eine gesunde Mahlzeit. Die Anstupser möchten dabei helfen, den eigenen Weg zum Miteinander zu entwickeln. Und das macht Spaß.

Immer wieder reden wir mit unseren Kindern, die inzwischen 14, 16 und 18 sind, über das Abenteuer unseres gemeinsamen Weges. Dabei stellen wir fest, wie oft sich Familien festbeißen: an Problemen, Sorgen, Streit, an Prinzipien und Regeln. Heraus kommen Funkstille, Distanz und etwas, das nichts mit Zusammenhalt zu tun hat. Unsere Kinder sind Familienliebhaber. Sie beobachten interessiert und gespannt andere Familien und stellen fest: »Das geht einfacher! Klare Linien im Familienleben helfen im Leben. So bleiben Familien mehr eine Einheit.«

Klare Linien sind Aufgabe der Eltern und fordern uns heraus, Vorstellungen zu entwickeln, einzufordern und immer wieder mit dem Kind abzustimmen. Damit ein Kind sicher und geborgen aufwachsen kann, sind klare Alltagsregeln, klare Tagesstrukturen und klare Worte notwendig. In den Kapiteln geht es um Klartext, Umgang mit Trotz, das Kennenlernen der eigenen Wut und das Verhandeln von Klarheit und Alltagsregeln.

Ich suche immer wieder nach inneren Linien und Wegen, um unseren Familienalltag einfacher und klarer zu machen. Das Leben ist bunt, fordernd und wild genug. Nicht selten belege ich Termine doppelt oder vergesse, wo mein Schlüssel liegt.

Schlüssel zur Einfachheit

Ich bin Fan von einfacher und klarer Erziehung. Mir hilft es, mir nicht zu viel »Sollte ich nicht …?«- und »Wäre es nicht doch besser, wir würden …?«-Fragen aufzuerlegen. Ich möchte mich nicht in zu viele Sorgen um Förderung und Forderung meiner Kinder verzetteln. Deshalb lasse ich mir einen Tipp aus der Bibel geben.

Jesus hat dort die Grundregeln für das Leben zusammengefasst: »Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst!« Diese Grundhaltung für das Leben prägt auch unsere Familie und unsere Aufgabe als Eltern. Wir möchten unseren Kindern Gott als Erdenker ihrer Identität, als Retter, Erlöser, Regent der Welt lieb machen. Wir wollen ihnen deutlich machen, wie viel im anderen steckt und eine respektvolle Haltung verdient. Und wir möchten ihnen helfen, sich selbst als Ich zu entdecken, zu verstehen und zu fördern. Jede Phase, jede Krise und jeder intensive Glückmoment kann mit dieser Grundhaltung von Jesus in Verbindung gebracht werden.

Was Kinder dabei aufsaugen, ist die Nähe zu uns. Ja, sie lieben es, mit uns zusammen zu sein und unsere Zuneigung zu spüren. Viele klare Momente, die mit dem Ablehnen der kindlichen Wünsche zu tun haben, können für ein Kind (und auch für die Eltern) mit einer stabilen Basis von Nähe besser verarbeitet werden. Nähe strengt uns Eltern manchmal an. Da werden wir schnell müde, wenn es darum geht, Ideen zu finden, wie wir einen Tag gestalten oder ein Fest feiern können. In den Kapiteln um Nähe wird der Wert von Blicken, Worten und Berührungen beschrieben, aber auch, wie Gott im Alltag entdeckt werden kann.

Alltagssplitter

In den vorliegenden Episoden soll es um Alltagssplitter gehen. Ich werfe einen Blick auf eine kleine Situation des Alltags oder des Erziehens und überlege, wie dabei die tiefere Ebene des Erlebens berührt wird: Was braucht das Kind? Was lernt das Kind aus dieser Situation über das Leben – über Gott, den anderen und sich?

In diesen Fragen bilden sich zwei Grundpfeiler ab: Nähe und Klarheit. Diese beiden Eckpunkte im Blick zu behalten, hat mir geholfen, die innere Verletzlichkeit meiner Mutter-Rolle zu verstehen und die Spannungen in mir einzuordnen. Ich will immer mehr den Kopf freikriegen, um Familie im Alltag feiern und genießen zu können. Die Fragezeichen und Ausrufezeichen nach jeder Episode sollen Anregungen sein, damit das Familienleben noch mehr Spaß macht und entspannter erlebt werden kann.

Die Episoden sollen Anstupser sein, um eigene Erziehungsmomente zu beobachten und zu überdenken. Nicht als neuer Druck, sondern als kleines »Aha! Da achte ich mal drauf!« Vielleicht kann es passend sein, nur eine Episode zu lesen, vielleicht machen gerade mehrere Sinn.

Nicht alle Texte sprechen ausschließlich von dem Zeitraum der ersten sechs Lebensjahre. Manche Themen lassen sich aus dem Rückblick als Teen-Mutter neu bewerten und bekommen so für die jüngeren Kinder Gewicht. Ich habe daher zum Beispiel eine Episode zum Thema Schule und Mithilfe im Haushalt eingebunden oder auch Bezüge zu älteren Kindern in den Episoden hergestellt.

Wir sind miteinander unterwegs und entdecken immer noch unsere Art, Familie zu sein. Unsere Kinder haben für dieses Buch die Episoden miterdacht und die Beispiele zu ihrem Leben freigegeben. Sie ermöglichen mir so, in sehr schwierige Momente Einblick geben zu dürfen, aber auch in unser gemeinsames Genießen.

Mir helfen Impulse, um mich zu reiben und eine eigene Position zu entwickeln. Die Familienzeitschrift Family ist für mich nicht nur Ort des Schreibens, sondern auch Quelle für Anregungen und neue Gedankenwege. Schon dort hat Bettina Wendland aus meinem emotionalen schriftlichen Stammeln verständliche Texte gemacht. Ohne sie wäre dieses Buch weniger klar und weniger nah.

Ich bin Gott so dankbar für einen Mann, der mich fördert und das Beste in mir hervorbringt und mit mir das wundervolle Abenteuer Familie lebt. Unsere Kinder sind die coolsten, die wir haben, nicht wahr?

Stefanie Diekmann

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Nah-Aufnahme

MELODIETRÄGER

Julian liebt Rhythmus. Schon früh wippt sein Fuß im Takt, wenn er Musik hört. Als Grundschüler entdeckt er das Schlagzeug und hat beim Unterricht erstaunlich schnell auch schwierige Rhythmen im Griff. Sarah ist immer wieder erstaunt über ihren Sohn. Sie hört zwar gern Musik, hat aber nie ein Instrument gelernt. Sie hat ihn gerne tanzend herumgetragen, wenn Julian unruhig war, und sie hört zu Hause viel Musik. In der Kirchengemeinde singen sie im Familien-Projektchor. Trotzdem wundert Sarah sich über die Begabung ihres Kindes: »Woher hat er das nur? Manchmal denke ich: Vererbt ist das nicht. Von uns hat er nichts mitbekommen. Julian bringt etwas ganz Neues mit.«

Ich lausche den Tönen eines Liedes. Immer wieder bewegt mich diese Melodie. Ich atme mit den Melodiebögen und verharre in den Pausen. Gerne höre ich Musik laut. Leise Musik zu genießen, ist für mich schwer, weil ich in der Gefahr stehe, den Melodiebogen zu verlieren und meine Aufmerksamkeit anderen Dingen zuzuwenden. Ich bin auch als Mutter eine Melodie-Entdeckerin. Ich gehe davon aus, dass Gott in jeden Menschen seine Grundmelodie hineingelegt hat. Ich bringe meine Melodie mit, meine Kinder die jeweils ihre. In meinem Kind ist diese Melodie angelegt, aber sie ist noch nicht voll hörbar. Es ist, als fehlten nach dem Refrain noch Strophen.

Die Bibel stellt mir Gott und die Menschen vor. Sie beschreibt, wie sie leben und wie sie darum ringen, ihre Lebensmelodie auszudrücken. Viele falsche und schiefe Sequenzen sind darin, wenn ich zum Beispiel an den Betrüger Jakob, den jähzornigen Mose, den streitenden Petrus oder den kämpferischen Paulus denke. Es tröstet mich als Mutter, dass Gott jede Melodie liebt und kennt. Ihm ist kein Mensch unter schrägen Vorzeichen misslungen. Jeder ist ein vollkommenes Kunstwerk.

Diese Grundidee motiviert mich als Mutter: Mein Kind ist eine vollkommene Idee Gottes. Die Anlagen in ihm sind aus Gottes Genialität entstanden. Und doch bleibt mir als Mutter eine Aufgabe. Ich lese aus der Bibel, dass es einen Kampf um das Gelingen des Lebens gibt (zum Beispiel Römer 8,5-8). Wir sind herausgefordert, im täglichen Trott zwischen Förderndem und Behinderndem zu unterscheiden. Als Eltern sind wir Gestalter, nicht nur untätig Liebende. Ich darf aktiv handeln, um die Melodie meines Kindes zu stärken. Ich versuche Vorzeichen, die diese Grundmelodie verfälschen wollen, zu entdecken. Ich höre auf die Melodie meines Kindes und bleibe mit Gott im Gespräch, um gute Verläufe der Melodie zu stärken.

Choral oder Pop-Song?

Eltern bringen ihre eigene Melodie gestaltend in die Beziehung zu den Kindern mit ein. Schon da treffen sehr verschiedene Themen aufeinander. Kinder nehmen die Atmosphäre aus den Elterntönen als Fundus für ihre Melodien auf. Natürlich geben auch Freunde, Schule und Umgebung Material für die Entwicklung des Kindes.

Um das Kind gut begleiten zu können, ist es hilfreich, sich bewusst zu machen, dass unsere Entscheidungen als Eltern von unseren eigenen Melodien geprägt sind. Ich bin von Gott eher melancholisch erdacht, mein Mann ist dagegen ein entspannter Choral. Ich wäre lieber ein fröhlicher Pop-Song, auch wenn ich weit und breit keinen in meiner Großfamilie entdecken kann, also auch wenig Material zur Orientierung zu meiner Verfügung ist. Es fällt mir nicht leicht, meine melancholische Grundmelodie zu akzeptieren. Oft bleibe ich an den Blue Notes kleben, die meine Melodie zwar interessant, aber schwerer zu hören machen. An manchen Tagen sehe ich nur die Andersartigkeit meiner Töne und nicht die unbedingte Liebe Gottes zu mir. Und dann soll ich für die Grundmelodien meiner Kinder Begleiter sein? Hier ist mein Hinhören gefragt: Bekommt mein Kind Raum zur Entfaltung seines Wesens? Höre ich die zaghaften und leisen Töne noch oder nur die lauten Paukenschläge? Kann ich noch die Melodie erkennen? In meinem Hören liegt eine Verantwortung. Höre ich nicht mehr hin und verliere den Faden zu meinem Kind, kann es sein, dass ich mich nach einigen Jahren über schräge Töne wundere oder erschrecke.

Bis zum Alter von zwei Jahren testet ein Kind erste Versuche seiner Melodie aus. Bis es sechs Jahre alt ist, braucht es eine Begleitung im Erproben der nächsten Töne. Es ist nicht egal, was Kinder lesen oder hören, was sie sehen oder aussprechen. Es prägt mein Kind, wie ich rede, denke und schweige – welche Melodie ich ihm vorspiele. Kinder dürfen korrigiert und ermutigt werden, Gutes und Nicht-Gutes für sich zu entdecken.

Die Frage: »Was braucht mein Kind?« sortiert manche Töne aus. Es gibt Kinder, die Filme erst mit acht Jahren aufnehmen können und welche, die mit sechs Jahren begeistert im Kino sitzen können. Ich fühle mich oft etwas speziell, weil wir um der sanften Melodien unserer Kinder willen und wegen meiner empfindsamen Lebensmelodie zum Beispiel auf sämtliche Hexengeschichten verzichtet haben. Zu den Melodien von meinem Mann und mir hat diese Entscheidung gepasst. Sie war schlüssig. Es hat andere Familien angeregt zu prüfen, ob diese Entscheidung auch ihnen gut tun kann. Viele finden uns bis heute in diesem Bereich »speziell«. Aber mir war in der Zeit, in der unsere Kinder ihren Charakter entdeckten, wichtig, auf Einflüsse zu achten, die ihr Bild von Gott oder dem Leben gestalten. Kräfte, die Gott entgegentreten, kann ich nicht locker im Auto als Unterhaltung hören.

Bis zur Schule haben wir als Eltern den Kindern viele Anregungen für ihre Melodie angeboten. Vor allem haben wir ihnen Gottes Genialität nahegebracht, die sich in Geschmack, Farben, Gerüchen und Geräuschen sinnlich entdecken lässt. Wir haben in dieser Phase viel gesungen. Dabei haben wir uns über Gott gefreut oder einfach Quatschlieder genossen. Wir haben beten geübt. Wir haben versucht, Streit und Versöhnung zu verstehen. Alles, damit die Melodie unseres Kindes viel Material bekommt, um zu reifen. Material, das uns wichtig war. Die Anzahl an Tönen, die von Gott berichten, wird oft in der Schule und durch den stärkeren Einfluss von Freundschaften kleiner. Deshalb war es uns wichtig, diese Grundlagen im Kindergartenalter zu legen.

Die Melodie verfälscht?

Ab dem Grundschulalter mussten wir neu hinhören. Kinder testen in dieser Zeit neue Variationen ihrer Melodie aus. Auch Variationen, die uns nicht gefallen. Ich habe gelernt, dass es Menschen mit anderer Grundmelodie gibt. Menschen, die anders leben und andere Themen und Gedanken für ihre Kinder wichtig finden. Wo wir als Eltern zum Beispiel bewusst auf die Storys um den Osterhasen und den Weihnachtsmann verzichtet haben, gab es Menschen, die dies unbedingt als Note in der Melodie ihrer Kinder haben wollten.

Ich habe andere Eltern beobachtet und mich oft hinterfragt: Habe ich die Lebensmelodie meines Kindes verfälscht, weil ich als Mutter eine Entscheidung getroffen habe? Aber die feinfühligen Reaktionen unserer Kinder auf Menschen und ihre Geschichten und auf die unsichtbare Wirklichkeit im Glauben an Gott bestärkten mich darin, dass wir beim Hören auf ihre Bedürfnisse richtig entschieden haben. Immer wieder komme ich zu dem Schluss: Selbst wenn mein Hören auf die Bedürfnisse der Kinder falsch gewesen sein sollte, Gottes Kerngedanken verfälsche ich nicht. Das ist für mich die Grundlage einer entspannten Haltung zur Erziehung.

Es ist mein Job als Mutter zu hören. Den Tonartwechsel bei Kummer wahrzunehmen oder festzustellen, dass die Melodie wenige Töne zur Verfügung hat. Erschrocken war ich über das Achselzucken einer Mutter: »Was soll ich machen? Meine Kinder interessieren sich für nichts. Nur für Fernsehen!« Ein anderer Vater meinte: »Meine Kinder gehen nicht raus. Das sind Stubenhocker. Wir sind nie draußen. Ich wüsste gar nicht, was wir da sollten!« Gottes supergeniale Grundmelodie wird reduziert, weil die Eltern keine Ideen haben, die Kinder zu fördern und zu formen.

Es gibt in meinem Leben als Mutter Momente, wo ich nur Stille höre. Wo meine Kinder sich für Pause entscheiden. Ich übe mich im Vertrauen, dass Gott meine Kinder weiter sieht und formt. Ich liebe es, wenn ich dann – nach Seufzen und innerem Aktivismus, was wohl zu tun ist – bei diesem Gedanken mein Zuhause finde: Gott hat in jeden eine wundervolle Melodie gelegt. In jeden. Auch, wenn sie mal verstummt, mal eine Pause braucht.

Ich bin für das Hinhören da. Da ich Musik laut liebe, werde ich immer wieder üben müssen, die leisen Abschnitte auch wahrzunehmen. Mich nicht ablenken zu lassen, wenn mein Kind keine Paukenschläge verwendet, sondern leise Tonfarben nutzt. Seit 18 Jahren bin ich Mutter. Ich habe meine eigene Melodie noch nicht völlig verstanden. Ich übe mich. Und ich übe mich im Fördern anderer Melodien. Auch da gibt es Tage, an denen ich gern ein Notenblatt über Gottes Idee für meine Kinder hätte. Ich möchte meine wichtige Aufgabe erfüllen: Hörende sein.

???

• Welche Angebote biete ich meinem Kind an, seine Melodie zu entwickeln? Welche Musik ist mir wichtig? Welche Bücher lesen wir vor? Wen besuchen wir? Wie entdecken wir eine Stadt?

• Wie bringe ich Gottes Wesen zur Sprache? Wie lernen wir zusammen beten?

• Welche eigenen Tonfarben und Melodieverläufe kenne ich von mir?

!!!

• Kinder saugen aus der Atmosphäre im Alltag und aus dem, was sie tun, Material für ihre Charakterentwicklung heraus.

• Das Kind bringt Gottes geniale Grundidee für seine Identität mit!

HINSEHEN

Im Bekleidungsgeschäft ist heute ganz schön was los. Ich suche gleichzeitig für fünf Personen nach Schnäppchen. Verschwitzt und abgekämpft stehe ich nach einigen Anproben in der Schlange und warte. Mein Blick bleibt an einer jungen Frau hängen. Müde sieht sie aus und zerknirscht. Sie kaut an ihrem Fingernagel und fährt sich immer wieder durch die halblangen Haare. Mit unruhigen Bewegungen schiebt sie ruckartig den Kinderwagen hin und her. Das Jammern von dort wird lauter. Mechanisch stopft sie den Schnuller ins Gesicht des Kindes und drückt die Decke fest. Fast möchte ich ihr den Leitsatz meiner Mutter zurufen: »Wenn wir schwitzen in einem Geschäft, warum sollten es die Babys und Kleinkinder nicht auch tun?« Was mich allerdings viel mehr beschäftigt, ist, dass die Mutter das Kind nicht ansieht.

Wie oft ruht mein Blick eher auf dem Handy oder dem Angebotsprospekt, und ich reagiere automatisch auf das Kind? Ohne hinzusehen. Ohne es anzusehen. Einfach schnell erledigen …

Natürlich kann ich mir ausmalen, was gedanklich alles in der jungen Mutter vorgeht. Ich erinnere mich sofort an meine Kinderwagenzeiten. Viel arbeitet in ihr und sicher auch viel Forderndes. Und dann noch das zermürbende Weinen des Kindes … Aber die kleinen Gesten des Alltags sagen viel aus über unsere Beziehungen. Diese kleinen Gesten – Hinschauen, Streicheln, Halten – sind Grundlagen, die bis in die Pubertät reichen. Und spätestens dann brauchen wir dringend eine tragfähige Beziehung mit unseren Teens.

Was geht in dem Kind vor? Es spürt ein Gefühl mit dringendem Meldebedürfnis: zu warm, zu durstig oder müde. Wird es in dieser Situation angesehen? Wird wahrgenommen, was es äußert? Wird das Bedürfnis gesehen? Oder bekommt das Kind als Reaktion nur ein Stöhnen oder Seufzen? Nur ein liebloses »Schnuller rein«? Nah sein heißt zu spüren, was mein Kind braucht. Sein Bedürfnis wahrnehmen und ihm begegnen. Lieber ein Top weniger anprobieren und dafür erkennen, dass das Kind schwitzt. Nicht immer gibt’s dann die Beruhigungsgarantie. Auch wenn ich hingesehen habe, konnten meine Kinder problemlos weiter knurren oder nörgeln. Aber ein Kind, das sich gesehen fühlt und Nähe bekommt, fühlt sich geliebt.

Vorausschauend

Das Hinsehen ist für mich eine gute Grundlage von Erziehung. Es ist der erste Schritt, um Nähe herzustellen. Durch das Hinsehen konnte ich zum Beispiel bemerken, wenn mein Kind sich im Spiel mit einem Gastkind unwohl fühlte oder wenn Bauchschmerzen im Anmarsch waren. Einmal hatte ich mit einer Freundin eine gemütliche Teerunde. Unsere Kinder spielten im Garten, wir gaben uns gegenseitig Buchtipps. Auf einmal sagte sie: »Wenn unsere zwei gleich kommen: Beide nehmen sich ständig die Schaufel weg. Wir halten uns raus!« Ich sah sie irritiert an. Sie hatte bei unserem Gequatsche mitbekommen, wie sich das Ringen um die Schaufel abspielte. Wenn sie nicht hingesehen hätte, hätten wir uns eingemischt. So konnten die Kinder selbst versuchen, ihren Streit zu lösen. In diesem Moment habe ich neu verstanden: Hinsehen ist Teil meiner Erziehungsaufgabe.

Nadine bat um ein Gespräch, da sie so unter dem wilden Charakter ihres Sohnes litt. Sie erzählte, dass ständig etwas kaputtgehe und schlechte Stimmung sei. Während unseres Gespräches versuchten wir, Tee aus kleinen Tässchen zu trinken – mit drei Kleinkindern in einem kleinen Raum. Als wäre das nicht schwer genug, gab es den Tee auf einem Couchtisch in Kniehöhe. Während Nadine versuchte, ihre Situation zu schildern, turnte ihr Sohn an der Babyschale meines Babys herum. Immer mal wieder griff er, ohne hinzusehen, in das Glas mit Salzstangen. Jedes Mal, wenn seine Hand Richtung Glas griff, hielt ich das Glas fest. Mir fiel auf, dass die Mutter keine Anstalten dazu machte. Beim nächsten Turn-Ess-Versuch sah ich nur zu. Mit lautem Klirren fiel das Glas um. Die restlichen Salzstangen rollten über den Glascouchtisch und auf den Teppich. Nadine sprang überrascht und schimpfend auf und entschuldigte sich immer wieder für ihren Sohn. Als der Trubel vorbei war, fragte ich sie: »Hast du gesehen, dass er nach dem Glas griff?« Erstaunt sah sie mich an: »Nein. Ich kann doch nicht auf alles achten.« Wenn Eltern wachsam hinsehen, können sie an der Art des Sitzens sehen, ob ihr Kind im nächsten Moment aufstehen möchte. Sie können erahnen, ob das Kind sich einen Hocker zum Klettern heranziehen möchte oder nach dem großen Brotmesser greift. Hinsehen spart Nerven.

Enge Bindung

Hinsehen hat für mich noch eine Nuance. Ich warte ungern und bin schnell an meinem Handy. Hätte ich heute ein Baby oder Kleinkind, müsste ich das Handy wegschließen, um nicht ständig draufzusehen. Als Timna ein Baby war, habe ich irgendwann beschlossen, beim Stillen kein TV zu sehen. Für manche klingt das selbstverständlich. Für mich war ein bewusster Entschluss nötig. Ich bin ein eher zappeliger Mensch und habe es üben müssen, dem Kind in die Augen zu sehen und Kontakt aufzunehmen. Wenn ich Eltern sehe, die ihr Kind ohne Augenkontakt füttern, möchte ich gern mit einem klitzekleinen Vortrag anfangen, warum diese Form von Nähe die Grundlage zum Glücklichsein bildet.

In den ersten drei Lebensjahren wird die Bindung zwischen Eltern und Kind so gestaltet, dass ein Kind sich im besten Fall versorgt und sicher fühlt. Dies geschieht durch feinfühliges Hinsehen und Reagieren auf das Kind. Eine sichere Bindung ermöglicht es dem Kind, Lust auf das Lernen zu entwickeln und Krisen zu meistern. Denn die emotionale Umgebung, in die ein Baby hineingeboren wird, hat großen Einfluss darauf, wie sich das Nervensystem des kleinen Menschen entwickelt.

Ich also hörte auf, beim Stillen TV zu sehen und sprach mit dem trinkenden Baby, später mit dem krabbelnden Kleinkind und dem kräftemessenden Schulkind. Und ich sah hin. Mal mehr, mal weniger motiviert. Mich der Beziehung zu stellen und die Bindung des Kindes an mich zuzulassen, ist Arbeit. Aber sie geschieht quasi von selbst – durch das Hinsehen.

???

• Wo kann ich bewusster hinsehen und mein Kind wahrnehmen?

• Ich sehe mein Kind an, wenn es weint – wie geht es ihm? Was erzählt mir ein Blick auf mein Kind?

• Sehe ich mehr auf mein Handy als in das Gesicht meines Kindes?

BODENTURNEN

»Wie war dein Tag?«, fragt Henrik. »Wie ging’s mit den Kindern? Was habt ihr Schönes gemacht?« Ich seufze und erinnere mich an Wutausbrüche wegen des Mittagessens, Streit um die Lieblings-CD und krakelige Hausaufgaben. Und dann war schon wieder ein Tag unseres Lebens fertig gelebt. War ich den Kindern als Mutter nah genug? Habe ich es geschafft, ihre Persönlichkeit zu fördern oder einfach nur versucht, das Chaos zu überleben? Ich antworte: »Wie immer: wild«, und bleibe mit dem mulmigen Gefühl zurück, meine Kinder nicht wahrgenommen zu haben.

Das Leben mit Kindern rinnt jeden Tag durch die Finger. Es sammeln sich dabei gute und fordernde Momente. Und schon ist wieder ein Tag vorbei. Eine große Falle für Selbstzweifel ist der Gedanke: »Ich habe gar keine Zeit für mein Kind!« Irgendwann las ich den Tipp: »Zehn Minuten pro Tag auf dem Boden«. »Bodenturnen – nicht mit mir!«, dachte ich. »Geht doch auch auf dem Sofa oder am Esstisch.« Meine Selbstversuche haben mir aber gezeigt: Es macht Sinn, den Boden als Begegnungsfläche zu nutzen.

Jeden Tag habe ich mit meinen Kindern »Bodenzeiten« gehabt. Zeiten, in denen ich nicht wegkonnte, in denen ich nicht neben Bobo Siebenschläfer noch die Socken sortieren konnte. Ich war ganz da. Wir hatten ungeteilte Nähe. Bei unseren drei Kindern lief das sehr unterschiedlich. Während mir das eine Kind mit dem Befehl »Halt mal!« die Betreuung der Babypuppe übertrug, wollte das andere Kind mit mir durchs Zimmer toben und rollen. Und das dritte wollte lieber vorgelesen bekommen und kuscheln. Unsere Kinder haben diese Nähe genossen. Alle drei haben ihre Art genutzt, um Nähe aufzusaugen. Und ich hatte erziehungsfrei, keinen Druck, in diesen Minuten etwas an der Persönlichkeit richten oder formen zu müssen. Ich konnte einfach als liebender Gast ins Leben der Kinder eintauchen. Konnte spüren: Wer ist dieser Mensch? Was mag er? Was kann ich ihm geben? Oder von ihm bekommen?

Ich gebe zu, ich bin oft seufzend die Treppe zu den Kinderzimmern hochgeschlichen. »Jetzt noch Bodenturnen! Ich müsste doch noch und sollte doch …« Nicht selten haben mich diese Zeiten auf dem staubigen Boden der Kinderzimmer erfüllt und neu an mein Kind gebunden. Mein Mann ist davon überzeugt, dass meine enge Bindung zu den Kindern aus diesem »Bodenturnen« resultiert. Ich habe in diesen Zeiten versucht, gute Worte auszusprechen und nicht die zerknickten Bücherseiten zu thematisieren. Ich habe versucht, Fragen zu stellen und mich mit entspannten »Nö«-Antworten zufriedenzugeben und nicht nachzubohren, wenn unser Kind lieber schweigen will. Bis heute gehe ich ins Zimmer und frage: »Darf ich mich setzen?« Und wenn ich darf, bewege ich meine steifen Knie auf den Boden.

Nähe üben

Jedes Kind hat seine Bodenzeit bekommen, allerdings nicht sklavisch jeden Tag. Das war möglich, weil ich auf Lücken im Tag geachtet habe. Wenn ein Kind noch im Kindergarten war oder eher ins Bett ging, hatte ich die Chance, mit einem anstatt mit allen dreien Nähe zu üben. Unsere Kinder wussten auch, dass es nicht um tagesfüllende Programme mit mir geht, sondern um einen Zehn-Minuten-Besuch. Ein Kind hat mich oft so begrüßt: »Besuchst du mich wieder? Heute können wir nichts spielen. Ich male.« Dann gab es für mich die Aufgabe, zuzusehen und auch zuzuhören. Unglaublich, was mein Kind beim Malen alles so denken kann. Ich hätte so viel verpasst, wenn ich mich wieder rausgeschlichen hätte mit dem inneren Triumph, diese zehn Minuten »gespart« zu haben.

Nähe ist nicht einfach da. Gute Beziehungen entstehen nicht über Nacht. Nähe will umworben und geübt werden. Es gibt Flauten und Missverständnisse, murrende Momente voller Ratlosigkeit. Aber bewusst in Nähe zu investieren, ist so viel mehr wert, als erschöpfte Kleinkindeltern oft denken.

???

• Wie kann ich das »Bodenturnen« mit meinem Kind im Alltag umsetzen?

• Wie kann ich mich an die zehn Minuten für das einzelne Kind erinnern?

FLÜGELENTDECKER

Wir sind mit Timna (3 Jahre) und Rieka (5 Monate) im Zoo. Nach einigen Tieren ist ein Abenteuerspielplatz zu entdecken. Timna klettert und schaukelt und will auf die Rutsche. Henrik geht mit ihr. Oben angekommen wird ihm bewusst, wie hoch diese Rutsche ist. Unmöglich für eine Dreijährige. Ein Blick zurück zur Leiter macht ihm schnell klar: Das geht auch nicht. Zusammen rutschen ist ebenfalls nicht möglich, denn die Rutsche ist für einen großen Mann nicht konstruiert. Als Henrik mich ruft, höre ich: Hier stimmt was nicht. Der Unterton ist panisch: »Steffi, guck Timna die ganze Zeit an, bitte! Bis sie unten bei dir ist!« Ich stelle mich vor die Rutsche und bekomme feuchte Finger – so weit oben ist mein Kind. »Guck sie an!«, ruft Henrik noch mal von oben, und ich winke meiner Tochter zu. Henrik lässt sie los und sie rutscht viele, viele Meter. Als Henrik sich die steile Leiter heruntergemüht hat, zittern ihm die Knie. »Das war Erziehungskurs pur! Mein kleines Mädchen loslassen – puh! Ich hatte so Angst, dass sie sich über den Rand lehnt oder einfach bremst und aufsteht!« Ich schlucke mit ihm zusammen den Schrecken runter. »Deshalb wollte ich, dass du sie ansiehst«, erklärt er. »Damit sie weiß, wohin sie muss!« Timna zupft an Henriks Hosenbein und fragt: »Noch mal? Bitte noch mal?« Henrik beugt sich zu ihr: »Nein, mein Schatz, einmal Loslassen üben reicht mir heute!«

Loslassen ist eine Übung, die schneller beginnt, als Eltern es sich ausmalen. Für mich war es und ist es immer wieder überraschend. Da habe ich mich gerade daran gewöhnt, dass unsere Kinder mit uns leben – »Schwups« übernachten sie mit fünf Jahren bei Freunden und sind nur noch selten zu Hause. Sie organisieren ihren Nachmittag und die Schulbelange. Waren wir nicht gerade erst in der Bauchwehphase? Und in der Phase mit den aufgeschrammten Knien vom Inlinerfahren? Zwischen all diesen Phasen sind wir Begleiter der Flügelentdecker. Zunächst sind die Flügel unserer Kinder klein. Da reicht es gerade dafür, um bei einer fremden Person auf den Schoß zu klettern oder im Supermarkt den Lieblingsjoghurt zu suchen. Irgendwann ist eine erste Besorgung allein in die Stadt oder das eigenständige Hinfahren zum Fußballtraining oder Musikkurs dran. Bei allen Ängsten der Eltern und Befürchtungen der Kinder (s. Kapitel »Angstklammer«): Das Loslassen stärkt die Flügel der kleinen Entdecker. Es ist wie eine Gymnastik, die hilft, die Flügel zu nutzen.

Manchmal klopft es an meine Terrassentür. Seit Marvin drei Jahre alt ist, wird er von seinen Eltern mit kleinen Infos oder ausgeliehenen Gegenständen zu uns geschickt. Er stapft durch seinen Garten, zwängt sich durch die mit einem Gummi verschlossene Gartentür, kommt die Treppe hoch, zieht seine Schuhe aus und richtet uns nach dem Klopfen sein Anliegen aus. Mit vier hat er Radfahren gelernt und raste mit Vollmotivation auf die Querstraße bei uns zu. Als wir riefen: »Anhalten! Straße!«, meinte er cool: »Weiß ich, habe ich doch mit meinen Eltern geübt!« Herzklopfen hatten alle Zuschauer dennoch. Marvin nicht. Ein kleiner Kerl, der es gewohnt ist, Sachen selbst zu können.

Flügel wieder eingepackt

Flügelentdecker brauchen Rückenwind. Eltern sind dabei in einem andauernden Wechselbad der Gefühle. Ermutigen oder lieber warnen? Pusten und antreiben oder bremsen und halten? Wir sind schon viele Jahre in der Jugendarbeit aktiv. Schon vor unseren eigenen Kindern haben wir einige andere zum Nutzen ihrer Flügel ermutigt. Jutta schüttete Henrik ihr Herz aus, dass ihr Sohn Fabian auf keinen Fall mit neun Jahren auf eine Zeltfreizeit fahren könne: Er sei doch ihr Baby. Lachend überredete Henrik sie, und der Junge hatte eine fröhliche Zeit auf der Freizeit. Als mein Baby dann sogar zehn Jahre alt war, habe ich mich gedrückt und ihn lieber zur Fußballschule angemeldet. Da konnte er zu Hause schlafen. Unsere Töchter haben das durchschaut und mich streng ans Loslassen erinnert: »Mama, wie soll er lernen, wer er ist, wenn du alles für ihn managst? Er muss auch mal ohne euch sein!«, meinte die eine. Und die andere ergänzte: »Wir mussten schon mit acht Jahren auf Freizeiten, ob wir wollten oder nicht. Und das war gut.« Im Sommer darauf brach sich unser Sohn den Arm. Ich seufzte erleichtert, dass er so nicht zur Freizeit fahren konnte. Und der Sohn packte grinsend seine kleinen Flügel wieder ein. Erst mit zwölf Jahren fuhr er zu einer Zeltfreizeit und fand es großartig! Flügel genutzt und für gut befunden. Und ich lag betend im Bett und schüttelte über mich selbst den Kopf. Besonders grinste der Mann, der im Ehebett neben mir liegen darf. Immer wieder erinnerte er mich: »Weißt du noch, als Jutta Fabian nicht mit auf die Freizeit schicken wollte?«