Spontaner Trip nach Sachsenhausen - Sofie Lichtenstein - E-Book

Spontaner Trip nach Sachsenhausen E-Book

Sofie Lichtenstein

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Beschreibung

Es ist Aurich so ziemlich Latte, ob es nun zum Steineanglotzen geht oder ins Konzentrationslager. Wobei, eigentlich ist es schon geiler ins Konzentrationslager zu gehen, weil das bestimmt arschlustig wird mit Robin, und Lucas erstmal, und dann hitlern die sich gegenseitig und schreien wie geil, wie geil, lol alter, Aurich könnt jetze schon bei dem Gedanken derbe ablachen.

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Seitenzahl: 54

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Sofie Lichtenstein

Spontaner Trip nachSachsenhausen

SuKuLTuR

Sofie Lichtenstein

Spontaner Trip nachSachsenhausen

SuKuLTuR2015

Schöner Lesen Nummer 142 ein SuKuLTuR-Produkt

1. Auflage August 2015 Alle Rechte vorbehalten

Text: Sofie Lichtenstein Cover: Michael Blümel

eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net

SuKuLTuR, Wachsmuthstr. 9, 13467 [email protected] · www.sukultur.de

ISBN 978-3-95566-047-5

PHASE I

Das Konzentrationslager kostet wenigstens nichts, murmelt Lehrerin Keblatt in sich hinein und kommt zu dem weisen Entschluss, mit der Klasse nach Sachsenhausen zu fahren als Kompromiss für die geplante und ob eines Brandunglücks nunmehr ins Wasser gefallene Bildungsreise ins Naturkundemuseum. Denkt sie genauer darüber nach, ist das Brandunglück eigentlich für alle Beteiligten – sieht man von den Museumsangestellten ab – das Beste, was geschehen konnte. Wie sollten auch ein paar vermeintlich bemerkenswerte Mineralien hinter den Vitrinen eines Gurkenmuseums das Quasi-Weltwunder vollbringen, die Aufmerksamkeit der in Zeiten der hormonellen und neuronalen Überlastung befindlichen Jugendlichen an sich zu reißen; wo doch selbst sie als lebende, sich durch Kommunikation bemerkbar machen könnende Materie daran scheitert? Keblatt hört die betagte Stimme der Museumsmitarbeiterin im Kopf, von faszinierender Fluoreszenz hat sie gesprochen und dass es mit dieser nun ob der Brandschäden ein für alle Mal vorbei sei. Als ob faszinierende Fluoreszenz es nun gerissen hätte. Keblatt macht ein spöttisches Gesicht. Mit Verlaub, aber wenn Jugendliche darauf erpicht sind, bunte Lichter zu sehen, machen die sich schon selbst einen Bunten mit psychologisch bedenklichen Substanzen, kommentiert sie ins Leere. Und wahrscheinlich wäre dergleichen sogar für sie selbst weitaus unterhaltsamer, als ein paar bescheuerte Steine bei ultraviolettem Licht rot, blau, gelb oder wie auch immer leuchten zu sehen und sich gemäß der Etikette für Lehrkörper den Anschein der Ergriffenheit zu geben. Keblatt versucht sich das Brand beschädigte Erdgeschoss des Museums vorzustellen und die mit Ruß bedeckten Mineralien. Hin und wieder ist auf die jämmerliche, aus Stumpfsinn randalierende Jugend doch noch Verlass, wird sie gewahr.

Es ist Aurich so ziemlich Latte, ob es nun zum Steineanglotzen geht oder ins Konzentrationslager. Wobei, eigentlich ist es schon geiler ins Konzentrationslager zu gehen, weil das bestimmt arschlustig wird mit Robin, und Lucas erstmal, und dann hitlern die sich gegenseitig und schreien wie geil, wie geil, lol Alter, Aurich könnt jetze schon bei dem Gedanken derbe ablachen. Er findet es übrigens auch sehr geil, dass ihn jetze alle Aurich nennen, weil, das ist voll der fette Spitzname, richtig gut, dass Kaki darauf gekommen is und das jetze auch alle so mitmachen. Sein Spitzname ist jetze mit Abstand der Beste im ganzen Jahrgang, findet Aurich, der hat so richtig Ecken und Kanten und spiegelt auch wider, wie er drauf ist, der hat, wie soll er sagen, so Wiederkennungswert und so guten Sound.

Von der alternden Museumsangestellten hat sie sich am Telefon sagen lassen, die Hells Angels seien womöglich für den kleinen Brand verantwortlich gewesen, was Keblatt für ziemlichen Stuss hält, glaubt sie doch, dass die Mafia lukrativere Verbrechen zu pflegen hat, als in einem im Nirgendwo verorteten Museum rumzukokeln. Hells Angels…, Keblatt macht einen verächtlichen Laut. Hörten das die gemeinen Provinzstippies, die mutmaßlich den Brand entfacht und sich an ihm gelabt haben, als wären sie, statt Menschenaffen, die Entdecker des Feuers gewesen, kämen sie doch glatt in die Verlegenheit, sich geschmeichelt zu fühlen – zu Unrecht.

In Keblatts Kopf wiederholen sich ohrwurmartig die beinahe schon ans herzige grenzenden Salven der Betroffenheit und Empörung, Stellen Sie’s sich mal vor, die haben doch tatsächlich die Holzvitrine mit den Steinen angezündet, sprach die Angestellte nahezu aufgedreht – Keblatt konnte am Hörer vernehmen, wie sich dieselbe mit der Hand gegen den Kopf schlug. Ich mein, entschuldigen Sie, aber mal ganz ehrlich: Was muss in einem Hirn vorgehen, um es auf Steine abzusehen? Ich mein, Steine! Keblatt, die lediglich dachte, die Frau habe Steine im Hirn, versuchte sich den Anschein zu geben, nach einer Antwort zu suchen, indem sie mit den Schultern zuckte und einen dezenten Schmollmund machte, ohne derweil zu bedenken, dass derartige Gesten sich bei einem Telefonat als einigermaßen müßig darstellen.

Sich in dieser Erinnerung ergehend, kommt Keblatt nicht umhin, vor sich hinzugackern; nicht zuletzt auch wegen ihres lustigen, leider nur im Geiste geäußerten Spruchs, die Frau habe Steine im Hirn. Während sie sich durch die Website der Gedenkstätte Sachsenhausen klickt, stellt sie sich vor, die Steine-im-Hirn-Bemerkung vor einer Gruppe Menschen zum Besten zu geben, wildes Gelächter zu erzeugen und anerkennende Blicke zugeworfen zu bekommen angesichts dieser, ja man kann sagen, Sentenz. Vielleicht sollte sie aufstehen und den Versuch wagen, mangels großem Publikum wenigsten einen Lacher bei ihrem Mann zu ernten, überlegt sie und verwirft diesen Gedanken wieder, als ihr einfällt, dass er die Geschichte, die zum Verstehen des Ausspruchs zwingend und mit der Pointe nach dem Vorbild siamesischer Zwillinge verknüpft ist, noch gar nicht kennt. Scheiß Gedenkstätte, raunt sie, wiewohl sie eigentlich sagen wollte, scheiß Zwillinge – warum auch immer. Sie fragt sich, wie es zu dieser verbalen Verwechslung kommen konnte, und erklärt sie sich nach einigen, von Hypochondrie gekitzelten Überlegungen schließlich damit, dass offenbar der Header Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen daran schuld sei, den sie einen Augenblick zuvor mit den Augen überflogen hat. Eigentlich wäre eine Führung nicht schlecht, findet Keblatt, allerdings ist es nicht möglich, innerhalb der nächsten zwei Tage noch das nötige Geld von allen Schülern einzutreiben. Die nichtsnutzige und Sprechverbot würdige Bagage schafft es nicht einmal in einem Zeitraum von vier Wochen, die erforderlichen Beträge für Veranstaltungen und Klassenausflüge mitzubringen. Hab’ ich vergessen, hab’ ich vergessen. Keblatt zieht die Augenbrauen hoch. Wie wollt ihr Gehirnphantome etwas vergessen, das nie in eurem Bewusstsein angekommen ist?

Auf einmal plagen Keblatt Zweifel: Ist es wirklich eine gute Entscheidung, eine Exkursion zur KZ-Gedenkstätte zu unternehmen? Schließlich sind die Kinder in der schlimmsten sowie beschämendsten Phase des Lebens: der Pubertät; die Episode, in der man für gewöhnlich außerstande ist, mehr zu sehen als sich selbst, in der die Abhängigkeit von dem Bildnis, das die Welt sich von einem machen soll, am stärksten ist, in der man verunsichert ist wie nie zuvor und danach und mithin versucht ist, das eigene selbst aufzuwerten, indem man andere abwertet, in der man eine Rolle unter seinesgleichen sucht. Keblatts Zweifel erhärten sich. Die Jungs könnten sie blamieren. Warum sollten diese oberlippenbefläumten Investitionsruinen auf dem KZ-Gelände auf einmal davon absehen, Heil Hitler