Sports from Hell - Rick Reilly - E-Book

Sports from Hell E-Book

Rick Reilly

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Beschreibung

Dame auf G4, Faust auf die Zwölf Rick Reilly berichtete von den größten Sportveranstaltungen der Welt, aber irgendwann waren ihm Super Bowl, Indy 500 und Wimbledon einfach zu langweilig. Er macht sich auf eine abenteuerliche Suche nach den durchgeknalltesten Sportarten des Planeten – und nimmt selbst an ihnen teil. Reilly schreckt weder vor Schachboxen, Extremsaunieren, ja, noch nicht einmal vor Frettchen in der eigenen Hose zurück und schreibt im wahrsten Sinne des Wortes brüllend komisch über seine waghalsigen Selbstversuche.

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Seitenzahl: 320

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Rick Reilly

Sports from Hell

Die verrücktesten Sportarten der Welt

Aus dem Amerikanischen von Rainer Schmidt

Fischer e-books

Einführung: Die Regeln

Sportberichterstattung kann so knallhart sein wie Boxershorts aus Kaninchenfell. Ich habe in Wimbledon Erdbeeren mit Sahne gelöffelt, auf dem Kentucky Derby Mint Juleps geschlürft und bei den Masters in die Azaleen geniest. Ich habe zwischen Dubai und Del Mar auf den Ledersofas im Pressezentrum vor prachtvollen Großbildschirmen gesessen, während mir Sportlerzitate seitenweise per Hand überreicht wurden. Ich war am Court bei den Final Four und am Spielfeldrand beim Super Bowl, und Mary Lou Retton landete bei ihrem berühmten Olympiasieg 1984 beinahe auf meinem Fuß. Ich habe über alle Sportarten berichtet, die jeder unbedingt sehen will.

Haben Sie eine Ahnung, wie LANGWEILIG das wird?

Nachdem ich einunddreißig Jahre lang über solchen Kram berichtet hatte, wollte ich versuchen, über Sportarten zu schreiben, die völlig neu waren, absolut obskur und unfassbar … dämlich. Je dämlicher, desto besser. Ich wollte sehen, ob ich nicht den Planeten absuchen und die eine allerdümmste Idee für einen sportlichen Wettkampf finden könnte, die sich die Welt jemals ausgedacht hatte. Ich wollte das Prickeln des Triumphs spüren, wollte mir an die Stirn schlagen und fragen: »Warum MACHT ihr das?« Mein Motto lautete: Wenn euer Sport wirklich total schwachsinnig und witzlos ist, dann bin ich der Mann, der darüber schreibt.

Unterstützt von meiner kurvenreichen Freundin Cynthia Puchniarz alias TLC (The Lovely Cynthia) – ehemals Highschool-Lehrerin aus Glendale, Kalifornien, ehemals Miss Teen California, zurzeit Recherche-Zauberkünstlerin – machte ich mich im Januar 2006 an die Arbeit. Aber zuerst legten wir bei vielen, vielen Tequilas ein paar Grundregeln fest:

 

1. Es musste wirklich ein Sport sein. Anders gesagt, es musste etwas sein, wobei die Leute wirklich versuchten zu gewinnen, woran ihnen etwas lag, und woran jeder teilnehmen konnte. Es gibt Dutzende von Wettkämpfen à la »Wer fliegt am weitesten vom Ende des Piers?«, sackweise Regatten, bei denen es darauf ankommt, wer das lächerlichste Boot baut, um damit auf dem Dry River zu segeln. Pah! Diese Sportart musste bekloppt sein für alle außer denen, die dabei mitmachten. Ja, die Daumenregel lautete: Wenn du eins aufs Maul kriegst, weil du einem Typen gesagt hast, sein Sport ist bekloppt, dann erfüllt der Sport die Bedingungen.

 

2. Es durfte nicht blöd um der Blödheit willen sein. Die Weltmeisterschaft im Schienbeintreten, zum Beispiel: Hier legen jeweils zwei Wettkämpfer sich die Hände auf die Schultern und treten einander gegen die Schienbeine, so fest sie können. Sieht nach echtem Blödheitspotential aus. Aber dann fanden wir ein Zitat von einem Schienbeintreter-Funktionär, der sich um die Zulassung des Schienbeintretens zur Olympiade 2012 bemühte: »Dopingkontrollen sind nicht notwendig. Zur Dummheit wird bei uns allenfalls noch ermuntert!« Damit war die Sache entschieden. Man durfte nicht WISSEN, dass sein Sport dumm war.

 

3. Es durfte nicht hauptsächlich als Touristenattraktion existieren. Es durfte nicht in großen bunten Lettern dranstehen: »Ja, es ist ein bekloppter Sport, und deshalb haben die Jungs vom Stadtmarketing ihn erfunden: Damit IHR herkommt und eure ganzen Euros hier ausgebt!« Die Briten sind einfach schrecklich in dieser Hinsicht. Das Sumpfschnorcheln zum Beispiel: Da taucht man in einen mit ekelhaftem Modder gefüllten Graben und schwimmt etwa hundert Meter, und dabei darf man den Kopf nicht aus dem Wasser heben. Wenn man es doch tut, stellt man im Übrigen fest, dass man immer noch in Mid Wales ist, und dann schwimmt man sowieso weiter. Oder das Käsekullern: Dabei lässt man ein riesiges Double-Gloucester-Käserad einen Berg hinunterrollen, was einer Meute von volltrunkenen Zwanzigjährigen Anlass gibt, Arsch über Guinness hinterher zu stolpern, um als Erster hinter dem Käse durch das Ziel zu gehen. 2008 wurden achtzehn der fünfzig Teilnehmer dabei verletzt.

Wissen Sie, was ich dazu sage?

Gut so.

 

4. Wir mussten tatsächlich dabei zusehen können. Es gab ein paar wunderbar hirnrissige Sportarten, die aber nicht mehr existieren. Nehmen Sie zum Beispiel die Housekeeping-Weltmeisterschaft. Sie fand im Opryland Hotel statt und wurde in den siebziger Jahren von siebzehn Hotels ins Leben gerufen, um den professionellen Stolz der Zimmermädchen zu befördern. Die Zimmermädchen kämpften bis zum letzten Atemzug um den Sieg in Disziplinen wie »Bettenmachen mit verbundenen Augen«, »Kissenbeziehen« und einem »Slalom«, bei dem Zweierteams mit einem Besen Seifenriegel und andere hübsche Dinge durch einen Parcours aus »Vorsicht, nasser Boden!«-Schildern schieben mussten. Wie cool ist das? Da fehlte nur ein Wettbewerb: »Morgens um sieben Minuten nach sechs am lautesten klopfen und dabei das ›Bitte nicht stören‹-Schild ignorieren.«

 

5. Es durfte kein bisschen berühmt sein. Eine Sportart, über die ich zu Anfang unbedingt berichten wollte, war das Nudeln. So heißt die Kunst, Fische mit bloßen Händen zu fangen – die perfekte Lösung für den, der von den hohen Kosten für Angelruten und Würmer die Nase voll hat. Ein Volkssport für Blödhausen – es war sogar schon vorgekommen, dass Nudler dabei zu Tode gekommen waren. Wir nahmen uns vor, uns bei dem alljährlichen großen Nudler-Turnier in Oklahoma einem Nudler – irgendeinem Nudler – an die Fersen zu hängen. Der Erste, den wir fragten – ein Klempner –, erzählte TLC: »Nee, ich hab dieses Jahr exklusiv mit Discovery Channel abgeschlossen.« Wir versuchten es bei einem Bootsschlosser mit sehr unregelmäßigem Zahnbestand. »Na klar«, sagte er. »Ihr habt hoffentlich nichts dagegen, dass ’ne Crew von National Geographic dabei ist.« Der Letzte – ich glaube, er war professioneller Landstreicher – spuckte nur: »Sorry, ich hab schon einen Typen von Time.« Da beschlossen wir abzuwarten, bis das Musical herauskommt.

 

6. Ich wollte nicht sterben, während ich darüber berichtete. Damit fiel Buzkashi aus. Das geht haargenau so wie Polo, nur dass man anstelle eines kleinen Holzballs den blutigen Kadaver eines kürzlich enthaupteten Kalbs verwendet. Ein Riesenspaß auf jeder Party! Es ist der Nationalsport Afghanistans. Reitermannschaften müssen den Kalbskadaver – der mit Sand vollgestopft wurde – mit Seilen in den Zielkreis zurückschleifen, während Hunderte anderer Reiter versuchen, sie daran zu hindern, oft mit Hilfe von Peitschen, und das tagelang. Eine geradezu prachtvolle Dämlichkeit. Aber ich mochte mir einfach nicht vorstellen, dass meine Kinder den Leuten erzählten: »Dad ist in Kabul ums Leben gekommen, weil drei Buzkashisten ihn mit einer kopflosen Ziege verwechselten.«

 

7. Ich durfte nicht schon darüber berichtet haben. Zum Beispiel: Rasenmäherrennen – bis heute der einzige Motorsport der Welt, bei dem man das Feld vorbeifahren sehen, sich eine Bratwurst und ein Bier holen und rechtzeitig zur nächsten Runde zurück sein kann. Mir hat es trotzdem gefallen, schon wegen der Namen, die sie ihren Maschinen gegeben haben: Sodzilla, The Lawn Ranger und The Yankee Clipper. Und Luftschiffrennen hatte ich mir schon angesehen, auch wenn da nur ein einziges Luftschiff in der Luft gewesen war, nämlich das, mit dem ich fuhr: der Goodyear-Blimp. Wenn Sie jemals vorhaben sollten, so was zu machen – machen Sie’s nicht. Das Tempolimit der Dinger liegt bei fünfzehn Meilen pro Stunde, und es gibt kein Klo. Deshalb – falls Sie vor ein paar Jahren bei dem Freundschaftsspiel der Indianapolis Colts gegen die Baltimore Ravens gewesen sein sollten, möchte ich mich bei Ihnen entschuldigen. Das war kein milder Sommerregen damals.

 

8. Es musste zumindest Ähnlichkeit mit einem Sport haben. Damit fielen aus: Extrembügeln (was ich aber auf dem Parkett der New Yorker Börse trotzdem gemacht habe, nur wegen des Fotos), die Luftgitarren-Meisterschaft und Schrotflintengolf, bei dem man den Golfball mittels einer Schrotflinte vorantreibt. Letzteres übrigens erwies sich als komplett erfunden und für wahr ausgegeben durch den verstorbenen Hunter S. Thompson. Ich wäre auch ungern als Caddy dabei.

 

Jedenfalls machten wir uns an die Arbeit. Dreieinhalb Jahre, acht Länder und ungefähr 373 Red Roof Inns sollten notwendig werden, um unser Projekt zu vollenden. Wir haben dreizehn Sportarten gefunden, die unserer Ansicht nach dämlicher sind als alles, was ein Komitee aus Dennis Rodman, John Daly und Courtney Love sich ausdenken könnte. Die Dinge, die ich dabei getan, die Interviews, die ich geführt, und die Sätze, die ich plötzlich geschrieben habe, haben tatsächlich meinen IQ vermindert. So sehr, dass ich bei der Ablieferung des Manuskripts schließlich nur noch denken konnte: »War doch gut gewesen, was?«

1Sauna-Weltmeisterschaft

Okay, Leute, die Aufgabe für heute: Ihr geht in die nächste Pizzeria in eurer Nachbarschaft, lasst den Ofen auf 127 Grad einstellen und schiebt euch mit dem ganzen Körper hinein. Die Spitzen eurer Ohren fangen Feuer. Die Außenseiten eurer Arme schreien laut. Eure Kehle fühlt sich an, als habe jemand eine Maori-Fackel hineingeschoben. Riesige unsichtbare Waschbären beißen euch in die Lippen. Ihr schwört, nach Alaska zu ziehen. Und ihr seid noch nicht mal dreißig Sekunden drin gewesen.

Jetzt macht das Gleiche über zehn Minuten oder länger, und ihr habt eine Vorstellung davon, wie es ist, an einem Wettkampf im möglicherweise dämlichsten Sport der Welt teilzunehmen: an der Sauna-Weltmeisterschaft.

Ich weiß es schon. Ich habe mitgemacht.

 

Wir befinden uns auf der 9. Jährlichen Sauna-Weltmeisterschaft, ausgetragen in Heinola, Finnland, einem malerischen kleinen Städtchen inmitten zahlloser Seen, ungefähr einhundertvierzig Kilometer nördlich von Helsinki. Ich habe schon über viele faszinierende Sportveranstaltungen berichtet, aber noch nie über Menschen, die in einer kleinen Kammer hocken und schwitzen. Was für Weltmeisterschaften gibt es eigentlich noch? Mittagsschläfchen machen? Sesselpupen? Vor dem Kühlschrank stehen?

KOMMENTATOR: Und jetzt greift Struhdler nach dem übriggebliebenen Thunfisch – nein! Nein! Er wechselt zur Karamellcreme!

Auf der Fahrt dorthin ging mir durch den Kopf, was ein Teilnehmer bei der Sauna-Weltmeisterschaft den Journalisten nachher in der Garderobe erzählen könnte. »Wurde ziemlich heiß. Was soll ich sagen?«

Ich ging die Regeln noch einmal durch. In jeweils »sechsköpfiger Hitze« – so hieß es ganz ohne Ironie – tritt das Teilnehmerfeld von vierundachtzig Männern (darunter ich) und achtzehn Frauen gegeneinander an, um zu sehen, wessen Haut als Letzte kocht. Als Bekleidung sind nur Badehosen zugelassen, die das Bein über maximal zwanzig Zentimeter bedecken. Frauen dürfen einteilige Badeanzüge tragen. Man darf sich den Schweiß aus dem Gesicht, aber nicht vom Körper wischen. Man darf seine Ohren nicht bedecken. Man darf sich nicht zu weit vorbeugen. Man bekommt eine Verwarnung, danach ist man draußen. Krankenwagen stehen einsatzbereit. Viel Glück!

Ob es beim Saunahocken wohl die gleiche Sprücheklopferei wie bei anderen Sportarten gab? Zum Beispiel, wie wär’s denn, wenn ich an meinem ersten Tag mit einer brennenden Winston und einer Tasse Kaffee in die Hitze käme? Ich könnte den anderen fünf einen Blick zuwerfen und sagen: »Hey, wann schalten die das Ding denn ein?« Ans Fenster klopfen und schreien: »Macht’s mal ein bisschen wärmer! Oder soll man sich hier den Tod holen?« Ich könnte auch meinem Banknachbarn zwischen die Beine gucken und sagen: »Das ist irre. Ich dachte, er schrumpft bei KÄLTE.« Ich könnte auch vor der Sauna warten, wenn sechs andere Typen reingehen, und ihnen einen halbfertigen Nudelauflauf mitgeben. »Macht’s euch was aus, den mit reinzunehmen? Er müsste in ungefähr zwanzig Minuten fertig sein.«

Bei ihren Recherchen hatte TLC herausgefunden, dass es eine australische Glücksspiel-Website gab, die die Quoten festsetzte. Der dreifache Rekordhalter Timmo (der Große) Kaukonen war Favorit mit 2,15 zu 1. Ich stand mit 101 zu 1 in der Liste.

Schön wär’s.

Zunächst mal: Außer den Finnen hat noch niemand die Sauna-Weltmeisterschaft gewonnen. Genauer gesagt, außer den Finnen hat noch niemand das sechsköpfige Finale erreicht. Es gibt 5,2 Millionen Finnen und drei Millionen Saunen. Der Sage nach sind die meisten Finnen in der Sauna geboren. Für einen Finnen ist die Sauna ein heiliger Ort. Andererseits, das ist die Hölle auch.

Zweitens: Ich hätte nicht mal bei 1 000 001 zu 1 auf mich gewettet. Zu dem Zeitpunkt war ich fünfmal in meinem Leben in der Sauna gewesen. Ich hatte ungefähr so große Chancen wie eine neapolitanische Eiswaffel. Aber als ich die Website sah, wurde mir auch klar, wie einfach es für Timmo den Großen wäre, dabei abzusahnen. Er brauchte ja nur auf seinen Hauptkonkurrenten zu setzen (einen jungen Kerl namens Markku mit einem Charlie-Chan-Schnurrbart), bis zum Zweierfinale dabeizubleiben und dann sofort auszusteigen, so dass »Fu Manchu« Markku gewann. Er müsste es nur echt aussehen lassen. Wäre ja unangenehm, wenn der Schiedsrichter sagen würde: »Äh, Timmo … ob du wohl warten könntest, bis wir die Sauna eingeschaltet haben?«

Als wir ankamen, stand Heinola schon unter Volldampf. Es handelt sich um ein Ereignis von überregionaler Bedeutung, über das sogar im Fernsehen berichtet wird, und in allen Kneipen herrschte saunationale Begeisterung. In einer waren sechs Typen, schon jetzt volltrunken, mit weiß-grün angemalten Gesichtern und mit Rentier-Pulverhörnern in ihren Umhängetaschen (Damit dein Horn steif bleibt, stand auf den Taschen, nicht zu lange im Mund behalten!) und Birkenzweigen an den Gürteln. Die Finnen nehmen solche Ruten mit in die Sauna und klatschen sich damit auf den Rücken, um den Blutkreislauf anzuregen.

»Wir sind für Redneck und Ironback!«, schrie einer der Weißgrünen – ein Mann namens Samu – aus voller Brust. »Einer von beiden wird Meister!« Saunisten hatten Spitznamen? Wer konnte das wissen? Und wie würde ich dann heißen? Babyback?

Samu war erstaunlich betrunken für elf Uhr vormittags. »Du gehst da rein?«, sabberte er und starrte mich fassungslos an. »Hör mal, ich bin Finne, und nicht mal ich gehe da rein!« Dann hängte er sich an TLC und wollte wissen, was sie so machte. »Ich bin Lehrerin«, sagte sie. Er kam bis auf zwei Fingerbreit an ihr Gesicht heran, so dass sein Finlandia-Atem ihre Wimpern welken ließ, und sagte: »Und ich bin ein Säufer.«

Ach was?

Bei der Registrierung musste ich mein Hemd ausziehen, und man schrieb mir mit Filzstift eine »82« auf jeden Bizeps – meine Wettkampfnummer. Ich erfuhr, dass ich in einer Hitze mit dem Tiger Woods der Saunisten gelandet war, mit dem dreifachen Champion und Favoriten Timmo dem Großen. Und im selben Augenblick – wie auf ein Stichwort – rollte sein gigantisches, von einer Saunafirma gesponsertes und mit einer Sauna ausgestattetes Wohnmobil draußen an. Der Mann reiste sogar in einer Sauna.

Schatzi, ich fahre rasch in den Supermarkt, Milch holen und eine Runde schwitzen. Willst du auch was?

Timmo der Große watete durch eine Gruppe von Autogrammjägern (kein Witz) und blieb mit einer Literflasche Wasser in der Hand am Registrierungstisch stehen. Seine Haut ist dauerhaft kirschrot und sieht hart und glänzend aus, wie bei einem frischlackierten Auto. Er hat lange blonde Haare (wie sich herausstellt, schützen sie die Ohren), und er ist stämmig, untersetzt, vielleicht ein bisschen mollig. Er hat schmale Lippen (auch eine gute Eigenschaft für einen Saunisten – Angelina Jolie wäre hier furchtbar schlecht geeignet). Timmos Puls steigt im Wettkampf bis auf 200, und er absolviert tatsächlich ein aerobisches Training mit viel Radfahren und Laufen. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, warum. Er ist außerdem sehr still. Man darf hier aber auch kein Mensch sein, der viel Bewegung braucht. Man muss glücklich sein, wenn man einfach dasitzen darf, zumal wenn die Organe im Leib zu kochen anfangen.

Kurz gesagt, er ist der berühmteste Saunist der Welt. Wahrscheinlich gibt es ein spezielles Birkenruten-Rückenpeitsch-Modell mit seiner Unterschrift.

Mit Hilfe eines Dolmetschers interviewte ich ihn.

ICH: Wie viel Zeit verbringen Sie momentan in der Sauna?

TIMMO DER GROSSE: Alles in allem, Tag und Nacht, ungefähr zwanzig Sitzungen täglich.

ICH: O mein Gott! Bei welcher Temperatur?

TIMMO DER GROSSE: In letzter Zeit waren’s ungefähr 140 Grad Celsius.

ICH: Gütiger Himmel! Trinken Sie vor dem Wettkampf viel Wasser oder so was?

TIMMO DER GROSSE: O ja, ungefähr zehn Liter am Tag in den letzten drei Tagen. (Er lächelt über meine Reaktion.) Sie doch sicher auch, oder?

ICH: Gilt Bier auch?

TIMMO DER GROSSE: Nein.

Ich war am Arsch.

Weil ich einer der ersten Amerikaner war, die jemals an der Sauna-Weltmeisterschaft teilgenommen hatten, durfte ich auch ein paar sehr kleine Interviews geben. Alle möglichen Fernsehteams waren hier – aus der Ukraine, aus Schweden, Deutschland und Russland. Abwechselnd tat ich so, als dächte ich, die Wettkampfteilnehmer führten die Sauna oder es handelte sich um einen Heißbadewettbewerb, und manchmal behauptete ich, ich hätte für den Wettkampf trainiert, indem ich Jalapeños gegessen hätte. Ich hatte meinen Basketball-Kumpel aus Wisconsin mitgebracht, den eins neunzig großen Billy »Thor« Pearson mit seinem dichten weißen Haar, und er schaltete sich hin und wieder hilfreich ein, als wäre er mein Pressesprecher. »Rick hat keinen Zugang zu einer Sauna«, vertraute er einem Reporter an. »Deshalb sitzt er einfach bei Zimmertemperatur, aber dafür sehr, sehr lange.«

Alle nickten ernsthaft.

Es gab alle möglichen sonderbaren Teilnehmer. Ein japanischer Schlagersänger war da, ein Teenie-Idol namens Kazumi Morohoshi. Er wurde auf Schritt und Tritt verfolgt von seinem Manager, seinem Agenten, seinem Coach, ein paar Fans und einem japanischen Fernsehteam. Seine Quote betrug lächerliche 13:1. Ich hätte mein letztes Saunamobil gegen ihn gewettet. Er war dünn und bleich und viel zu hübsch, um zu leiden wie mein Timmo.

Der einzige andere amerikanische Teilnehmer war der Software-Designer Rick Ellis, geboren in der Sowjetunion, der so sehr auf Sauna stand, dass er sich in sein Haus in Upstate New York eine eingebaut hatte. »Ich hab sogar daran gedacht, zweitausend Dollar auf mich selbst zu setzen, aber ich hab nicht rausgekriegt, wie das geht.« Er habe bei 110 Grad trainiert, sagte er, und einmal habe er sechzehn Minuten geschafft. Seine Frau sah ihn betrübt an und schüttelte den Kopf, und er drehte sich genervt zu ihr um. »Was ist?«

Ganz plötzlich war es Zeit zum Anfangen, und mehr als fünfhundert Saunafans nahmen ihre Plätze auf der Open-Air-Tribüne ein. Auf der Bühne standen zwei sechseckige, verglaste Saunen und zwei gigantische Großbildschirme. Die Gladiatoren der ersten Hitze wurden herausgeführt, allesamt tropfnass von der eiskalten Einleitungsdusche. Mit düsterer Miene öffnete ein kleiner Mann die Tür zur Sauna, und die sechs marschierten beklommen hinein wie Hähnchenschenkel in einer Fritteuse. Die Fans jubelten wie verrückt. Saunajubel? Man glaubt es nicht:

Wir lieben Boris!

Ab wird er düsen!

Er kann nicht schwitzen!

Er hat keine Drüsen!

Wie langweilig muss einem zumute sein, wenn man Leuten beim Schwitzen zusieht? Aber tatsächlich würden Sie sich wundern, wie viel Spaß es macht, dabei zuzusehen, wie ein erwachsener Mann sich auflöst wie ein Neun-Dollar-Pullover von Walgreens. Wie oft kann man schon miterleben, wie ein normaler Mann innerhalb von zehn Minuten verrückter wird als Ross Perot? Anfangs saß er ganz vernünftig da und kümmerte sich um seinen eigenen Kram. Alle dreißig Sekunden prasselte ein gnadenloser Wasserschwall aus einer Dusche in der Mitte der Sauna auf die glühend heißen Steine und trieb die Luftfeuchtigkeit in einem Raum, in dem Gold geschmolzen wäre, auf hundert Prozent. Nach zwei Minuten fing unser Mann an, sich ein bisschen vor und zurück zu wiegen. Nach drei Minuten ging ein merkwürdiges Blinzeln los. Nach vier begann er zu zucken. Nach fünf wurden seine Augen riesig. Nach sechs Minuten schluckte er jeden Atemzug wie einen Mundvoll kochend heiße Suppe. Dann starrte er wie wild in der Sauna umher, als wollte er die andern fragen: »Hey, seid ihr verrückt? Seht ihr nicht, was hier vorgeht? Die haben uns in einem Römertopf eingeschlossen!« Er wischte sich wie ein Wahnsinniger über Augen und Mund und wollte sich dann über die Schenkel streichen, begriff, dass er es nicht durfte, und tat es dann trotzdem wie verrückt, als sei er von Läusen bedeckt. Die Kampfrichter zeigten ihm die Karte, dann noch einmal, aber er hörte nicht auf zu wischen. Dann plötzlich taumelte er zur Tür und war draußen. Kalte Luft und ein gesunder Verstand rauschten zurück in sein Gehirn, und plötzlich lächelte er wieder ganz normal.

Es war ein bisschen, als sähe man ein Interview mit Tom Cruise.

Einer ging rein, setzte sich hin und war sofort wieder draußen, bevor sie die Tür schließen konnten. Er packte ein Mikrophon und schrie: »Da drin hat einer gefurzt!« Es stellte sich heraus, dass er ein deutscher Fernsehkomiker war. Hinter den Kulissen hielt sich ein Holländer zwei Eisbeutel an die Ohren, weil er dachte, das könnte helfen. Es half nicht. Er verlor. Ich hörte, wie einer beim Herauskommen zu einem sagte, der hineinging: »Jede Sekunde über sechs Minuten ist die reine Hölle.« Ein Deutscher behauptete, seine provisorischen Zahnfüllungen hätten die ganze Zeit geklappert. Nicht eben das, was Ihr Held gern hören wollte, bevor er selbst hineinging.

In der Eröffnungsrunde kamen jeweils zwei von sechsen weiter, und unser Freund Rick Ellis aus New York schaffte es mit 08:03 in die nächste Runde. Ich wollte ihm gerade gratulieren, als ich etwas Furchtbares erblickte. Auf seiner Oberlippe, direkt unter den Nasenlöchern, fehlten zwei große Hautfetzen.

»Mann, hast du da drin vielleicht zufällig durch die Nase geatmet?«

»Ja«, sagte er. »Warum?«

»Du hast keine Haut mehr unter der Nase! Sie ist verbrannt!«

Entsetzt betastete er seine Oberlippe und rannte zum Spiegel. Es war alles noch schlimmer. Die Spitzen seiner Ohren waren gespalten und brutzelten. Unter den Armen und auf dem Rücken hatte er leuchtend rote Flecken. Seine Stirn sah aus, als sei sie knallrot angestrichen. Sie warf Blasen. Ich zog ihn zum Abkühlen in den Biergarten, aber es half nichts. Er schwitzte wie Pamela Anderson in der Bibelstunde. »Mann, bin ich verbrannt. Sogar meine Zunge ist verbrannt.« Seine Frau flehte ihn an auszusteigen, aber er lehnte ab. Er habe zu hart trainiert, sagte er. Sie schüttelte den Kopf.

»Was ist?«, fragte er.

Und dann wurde meine Hitze aufgerufen.

Schluck.

 

Auf dem Weg nach hinten sah ich den großen finnischen Saunisten Leo Pusa, den vierzehnfachen Champion, einen steingesichtigen Greyhound-Bus von einem Kerl. Ich bat ihn um ein paar kurze Worte der Weisheit: Gab es ein Geheimnis, das ihm geholfen hatte, alle diese Titel zu erringen? »Ich bin länger sitzen geblieben als die andern«, sagte er.

Das muss ich mir aufschreiben.

Ich nahm mir vor, alles zu tun, was Timmo der Große tat. Er trank etwas. Ich trank etwas. Er reckte den Hals. Ich reckte den Hals. Dreimal nahm er im Backstage-Bereich eine eiskalte Dusche, und ich tat das Gleiche. Als ich endlich vorgestellt wurde, bibberte ich wie ein frisch geschorener Chihuahua. Während uns die Regeln vorgelesen wurden, schwenkten die Fans der Wettkämpfer ihre Nationalflaggen und skandierten anfeuernde Gesänge. Dann sah ich TLC unter den Zuschauern. Ihr Mund formte die Worte: »Tu es nicht!« Das hatte sie auch gesagt, bevor ich ging. »Du weißt, dass du nicht gewinnen kannst. Warum willst du nicht sofort aussteigen? Du wirst doch sowieso verlieren.« Natürlich hatte sie recht. Ich meine, warum wollte ich in einem Fresswettbewerb gegen Kirstie Alley antreten?

Ich zog den Platz Nr. 6 neben der Tür. Timmo der Große bekam Nr. 2. Wir gingen hinein, und es war sofort so erschreckend und so irrsinnig heiß, dass mein Gehirn die Arbeit einfach einstellte. Es war, als spazierte man in ein Osterfeuer und setzte sich mittendrin auf einen Stuhl. Es war, als hängte man das Gesicht über die glühenden Kohlen seines Gartengrills und klappe den Deckel über sich zu. Wenn mir diese Sauna und die Hölle gehörte, würde ich in der Hölle wohnen und diese Bude hier vermieten. So heiß war es.

Meine Strategie bestand darin, hineinzugehen und die verstrichene Zeit anhand der dreißigsekündlichen Wasseraufgüsse zu messen, aber dieser Plan war nach ungefähr sieben Sekunden im Eimer. Es war einfach so verdammt heiß, dass ich nicht denken konnte. Das Denken tat weh. Ich versuchte, die Steine anzustarren und nicht mit der Wimper zu zucken, weil das Wimpernzucken wehtat. Ich versuchte, nur selten zu atmen, weil das Atmen wehtat. Leo Pusa hatte mir gezeigt, wie man sitzen musste: leicht vorgebeugt, die Hände rechts und links unter den Armen hindurch nach hinten geschoben, wo sie die empfindliche Haut im Kreuz schützten. Aber ich verfluchte Leo Pusa, weil es nicht half. Das Sitzen tat am meisten weh.

Mein Rücken hatte anscheinend angefangen zu brennen. Ich war sicher, dass bei jedem Atemzug Flammen aus meinem Mund kamen. Ich war sicher, dass auch meine Ohren loderten, aber wenn ich mich auch nur ein kleines bisschen bewegte, würde der Schmerz noch schlimmer werden. Ich versuchte, aufrecht zu sitzen, aber je höher man kam, desto heißer wurde es. Ich versuchte, mich tiefer zusammenzuducken, aber damit kam ich den entsetzlichen, unerbittlichen Steinen näher. Es war so schrecklich, dass ich mir nur wünschen konnte, Barry Bonds wäre auch hier. Und dann kamen die abscheulichen, grausamen, gnadenlosen Aufgüsse, die immer ungefähr drei Sekunden dauerten. Ich zählte sie nicht mehr. Ich schaute niemanden an. Ich hörte niemanden. Ich sah niemanden, nur die rot glühenden Steine, die lachten und mich verhöhnten. Lieber hätte ich mir bei PitStop eine Niere herausnehmen lassen, als weiter hier zu sitzen.

Ich beschloss, an irgendetwas zu denken, das mich von den quälenden Schmerzen ablenken würde: Ich zählte jede Mannschaft der National Football League auf. Aber mein Gehirn brauchte ein STRG-ALT-ENTF. Ich zählte die New York Jets. Zweimal. Ich wollte gerade hinaus an die frische Luft flitzen, als wie durch ein Wunder der lange Dünne auf Platz Nr. 1 neben mir plötzlich aufsprang und hinausrannte. Unglaublich! Ich war nicht der Letzte! Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war – vier Minuten? Sechs? Ich war entzückt darüber, dass er gegangen war, denn man hatte mir erzählt, wenn jemand rausgeht, kriegt man einen herrlichen Schwall kalter Luft ab, bei dem man sich fünf bis zehn Sekunden lang erholen kann. Ich freute mich mit jeder Zelle meines Körpers darauf, aber es kam nicht. Nichts kam. Zwei Helfer ließen den Mann sehr schnell hinaus, und weiter kam nichts Gutes dabei herum. Es war niederschmetternd. Als ob man ein großes Weihnachtspaket aufmachte und Hausaufgaben darin fände. Ich versprach mir etwas: Wenn es so weit ist, dass ich es nicht mehr aushalte, zähle ich noch sechzig Sekunden ab und gehe dann raus.

Vier Sekunden später kam ich zu dem Schluss, dass ich es nicht mehr aushalten konnte.

Ich fing an zu zählen. Eins, zwei, drei … Ich war ziemlich sicher, dass ich das »undzwanzig« bei jeder Zahl wegließ. Trotzdem war es die längste Minute meines Lebens. Wenn ich es mir jetzt überlege, bin ich nicht sicher, ob ich wenigstens die halbe Minute erreicht habe, denn ich kann mich nicht erinnern, noch einen Aufguss gesehen zu haben. Mindestens einen hätte ich doch sehen müssen, oder? Aber ich sage Ihnen, in einem solchen Glutofen schaltet Ihr Verstand einfach komplett in den Paris-Hilton-Modus. Bei sechzig schoss ich so schnell zur Tür, dass die Helfer mich nicht reibungslos hinauslassen konnten. Ich musste auf sie warten! Mistkerle! Mögen eure Töchter in einem von diesen Dingern heiraten!

Als ich bei den anderen Hitzen zugeschaut hatte, hatte ich mich gefragt, weshalb auch die Verlierer grinsend und mit triumphierend erhobenen Händen herauskamen, aber jetzt weiß ich es. Die kühle Luft war so schön, so erlösend, so lebenspendend, dass man nicht anders konnte: Man musste strahlen wie ein Honigkuchenpferd und mit der Faust in die Luft stoßen, wenn man sie einatmete. Ich bin draußen. Ich atme schöne, frische, eiskalte Luft. Ich könnte Osama bin Laden einen Zungenkuss geben.

Ich sah auf die Uhr. Drei Minuten zehn Sekunden? 03:10? Das war alles?

»Aber ihr wart schon gut sechs Sekunden drin, als sie die Uhr gestartet haben«, sagte mein Kumpel Thor.

Na, okay. Und wann ist der Erste geflitzt?

»Nach 02:40.«

Das hieß, ich hatte dreißig Sekunden gebraucht, um meine sechzig Sekunden zu zählen. Als Rechtsanwalt könnte ich prima Rechnungen schreiben.

Ich nahm eine wundervoll eiskalte Dusche und sah mir den Rest der Hitze hinten im Fernsehen an. Timmo der Große und ein blonder Teamkollege (sie trugen den Namen einer Saunafirma über dem Dödel auf der Badehose) kamen mit knapp über 07:30 ins Viertelfinale. Sieben Minuten dreißig Sekunden? Ich war entsetzt für sie. Der Schmerz von weiteren vier Minuten und zwanzig Sekunden war für mich unfassbar. Im Backstage-Bereich sah Timmo überraschend rosig aus. Ich ging kumpelhaft auf ihn zu, gratulierte ihm und schlug ihm auf den Rücken. Er sah mich an, als wollte er mich erstechen.

Notiz: Rückenklopfen unter Saunisten absolut tabu.

 

Das japanische Teenie-Idol hatte sich zurückgezogen. Er hatte es bis ins Viertelfinale geschafft, aber jetzt ließ sein Trainer ihn nicht weitermachen. »Es ist gut, wenn dir die Sauna wichtig ist«, tadelte er. »Aber auch die Fans müssen dir wichtig sein. Das Gesicht, das sie lieben, muss dir wichtig sein.« Wahrscheinlich hatte er recht. Der Typ war so verwüstet von Hitzepickeln, dass er aussah wie eine bestreuselte Zuckerstange.

Thor hatte in der Pause eine fabelhafte Idee gehabt. Er wollte in der Sauna etwas zum Lunch kochen. Mit zwei Eiern in der Hand ging er hinein, aber die Hitze schlug sofort ein, und er wusste nicht mehr, was er hatte tun wollen. Er lernte, was auch ich gelernt hatte: Zehn Sekunden, und dein IQ entspricht dem eines Monstertruck-Fans. Er legte das eine Ei auf die Bank und das andere ins Regal, aber schon dabei gelang es ihm, sich auf das erste Ei zu setzen. Es fing sofort an zu braten. Im Ernst, es brutzelte wie in einem Schnellimbiss. Es war so heiß, dass er gar nicht erst versuchte, es wegzuwischen, sondern sofort ausstieg. »O … mein … Gott …« Mehr sagte er nicht.

Dann war da die Schreckensgeschichte von meinem Freund Rick Ellis, des transplantierten Russen aus New York. Er zog mit Dutzenden von Blasen am ganzen Körper ins Viertelfinale ein. Wir alle erklärten ihn für verrückt, aber er hatte keinen Trainer, und seine Frau hatte nichts zu sagen. Er stieg in die gefürchtete heiße Kiste, und wir alle sahen von Grauen erfüllt zu. Als er hineinging, sah er aus wie die größten Verlierer beim Herauskommen. Man sah sofort, sogar er hatte begriffen, dass er einen Fehler in der Größenordnung von Three Mile Island beging.

»Mann, ich wusste gleich, dass ich Probleme hatte«, sagte er nachher. »Sowie ich mich hinsetzte, war mir klar, dass ich keine Chance hatte. Aber als ich dann meinen Rücken betastete und im Kreuz eine daumendicke Blase fühlte, sagte ich mir: ›Okay, das reicht, ich steige aus.‹«

Er kam als Erster heraus, nach 04:15, und als wir ihn begrüßten, hätte ich fast gekotzt. Er schmolz wie die Böse Hexe von Oz. Seine Stirn, seine Lippen und seine Ohren waren riesige Brandgeschwüre. Sein Trizeps war von Dutzenden von kieselsteingroßen Blasen übersät. So viel Haut hing an ihm herunter, dass er aussah wie der erfolgreichste Magenbypass-Patient der Welt. Seine Stirn war ein Science-Fiction-Film. Seine Nase sah aus wie eine Bockwurst, die man im Kochwasser vergessen hatte. Und das war nur das, was wir sehen konnten.

»Ich weiß ja nicht, Mann«, sagte ich, »aber vielleicht solltest du dich ärztlich versorgen lassen.«

»Nee, mir geht’s prima!«, beharrte er. »Obwohl, dahinten tut’s ein bisschen weh.« Er zog sein Hemd hoch, und da war er: ein grauenerregender, mit Flüssigkeit gefüllter Sack, so groß wie ein Drei-Dollar-Pfannkuchen, hing unter seiner Achsel. Seine Frau schrie auf. TLC wandte sich entsetzt ab. Thor und ich schluckten fasziniert. »Mann!«, sagten wir beide.

Wir schleiften ihn zum Sanitäter, und der sagte: »Sie müssen ins Krankenhaus. Wenn diese Blasen platzen, werden Sie innerhalb von vierundzwanzig Stunden eine Menge Flüssigkeit verlieren. Und Sie werden höchst infektionsgefährdet sein. Hier können wir für Sie nichts tun. Die Sache ist zu ernst.«

Also packten TLC und ich ihn in unseren gemieteten Volvo und brachten ihn ins Krankenhaus. Als wir dort wegfuhren, schüttelte seine Frau den Kopf.

 

Als ich zurückkam, erfuhr ich, dass ich für das sogenannte Joker-Finale ausgelost worden war – als einer von sechs in der Vorrunde ausgeschiedenen Verlierern, deren Leiden die Zuschauer aus irgendwelchen Gründen so sehr erheitert hatten, dass sie eine Zugabe haben wollten. Fabelhaft. Ich nahm mir vor, bis 03:11 zu gehen.

Diesmal war es noch heißer, wenn das möglich ist. Die Bank war ein Wok. Die Haut auf meinem Rücken erinnerte mich an die erste Nacht eines Florida-Urlaubs, wenn man sich einen bestialischen Sonnenbrand geholt hat. Aber diesmal zählte ich alle Autos, die ich je besessen hatte, und damit hielt ich vier Minuten durch und ging wieder als Zweiter hinaus. Exakt vier Minuten. Sieger war am Ende ein Weißrusse mit insgesamt acht Zähnen, der etwas mehr als sechs Minuten drinblieb. Der Zweite, ein milchweißer Schwede, den ich Casper nenne, stand in der Dusche und sah deprimiert aus. »Ich wusste, dass ich ihn nicht besiegen konnte«, sagte er. »Ich glaube, er war betrunken. Ich weiß nicht, ob er wirklich wusste, was er tat.«

Gute Daumenregel: Lass dich niemals auf einen Saunawettkampf mit einem Mann ein, der schon beim Hineingehen keinen Schmerz empfindet.

 

Furchteinflößender als die Männer waren die Frauen. Sie waren die brutalsten, härtesten und unattraktivsten Frauen diesseits von Rikers Island. Sie waren große Klötze von versteinertem Holz, mit Haaren aus Stroh und rohen Gesichtern, und sie sahen aus, als ob sie zum Lunch gekochte Kinder und Hoden verzehrten. In der Sauna waren sie noch strenger als die Männer, und mindestens genauso gut. Eine ehemaliger Meisterin – Natalja Trifanowa, ebenfalls eine Weißrussin – hielt im Finale der Damen sogar länger durch als Timmo der Große bei den Herren, aber Timmo behauptete steif und fest, er hätte noch länger durchhalten können, wenn er dazu gezwungen gewesen wäre. Man sprach davon, dass Damen und Herren demnächst gemeinsam antreten würden – wie beim Boston Marathon –, damit ein für alle Mal klar ist, wer am besten leiden kann.

»Frauen sind von Natur aus leidensfähiger als Männer«, grunzte Natalja. »Weil sie Kinder kriegen und so weiter.« Sie war kaum weniger beeindruckend als eine Gulag-Mauer. Ich fragte sie, ob sie einen Freund hätte. »Ja. Wir trainieren zusammen.« Kein Lächeln. Kein nichts. Diesem Mädel kaufte man keine Dessous. Und man machte ihr auch keinen Heiratsantrag. Eine wie sie kommt einfach eines Tages vorbei und bellt: »Heute heiraten wir!«, und dann schlägt sie dir eine Schaufel über den Schädel und schleift dich bei den Haaren zum Standesamt.

Aber unsere Favoritin war eine Finnin namens Leila Kulin, die aussah wie Brunhildes lesbische Tante. Sie trug zwei lange Zöpfe, und mit ihrem riesigen roten Gesicht hätte sie einen Caterpillar-Frontlader zum Stehen bringen können. Sie war ungefähr eins sechzig und wog einhundert Kilo. Das meiste davon war das Gesicht, der Rest reine Willenskraft. Sie saß mit dem Rücken zur glühend heißen Bank, dieses Gesicht blickte starr geradeaus, und sie rührte sich nie. Sie ruckte nicht, sie zuckte nicht, sie beugte sich nicht vor und nicht zur Seite, sie rührte nicht mal einen Finger. Ihre Blutgruppe hieß Asbest. Eine Schaufensterpuppe zappelte mehr als sie.

Im Finale der Damen trafen deshalb naturgemäß Brunhilde und die backsteinerne Natalja aufeinander, und es war sicher das großartigste Finale aller Zeiten und beider Geschlechter in der gesamten Geschichte der Sauna-Weltmeisterschaft.

Nach sieben Minuten bekam Natalja erste Risse. Sie rutschte hin und her, wischte sich über das Gesicht, kontrollierte ungeduldig ihre Füße und schaute zur Decke. Dazu kam, dass sie mit einem Berg zu konkurrieren hatte, mit Leila dem Felsen, die sich immer noch nicht gerührt hatte, nicht einen Millimeter. Nichts. Sie war kein Mensch. Sie war ohne Nervenenden zur Welt gekommen. Und ohne Hypothalamus. Neben dieser granitenen Gegnerin sah Natalja aus wie ein Eichhörnchen in der Mikrowelle. Sie blinzelte jetzt dreimal pro Sekunde. Sie rang nach Luft. Sie schob ihre Hinterbacken hierhin und dahin und suchte nach einer bequemen Stelle. Der Witz war natürlich: Es gab keine.

Ihre Augen waren jetzt so groß wie Radkappen. Sie wollte ihre Beine reiben, als ständen sie in Flammen und müssten gelöscht werden, aber sie wusste, dass sie das nicht durfte, und deshalb bremste sie sich. Stattdessen rieb sie die Luft über ihren Beinen, ungefähr einen Fingerbreit darüber, als könnte es schon helfen, in der Nähe der Beine zu reiben. Wir sahen vor uns eine Frau, die immer mehr unter Strom stand. Eine Batterie nach der anderen wurde zugeschaltet, vor unseren Augen, und schließlich hielt sie es nicht mehr aus und brannte durch. Sie rieb ihre Beine wie eine Verrückte. Der Kampfrichter sprang auf, zeigte ihr die Rote Karte und winkte sie heraus. Disqualifiziert. Aber jetzt kommt’s: Sie kam nicht! Der Kampfrichter winkte noch einmal. Raus! Aber nein!

Sie sah aus wie ein halb gebratenes Kaninchen, das aus dem Backofen entkommen wollte. Sie wollte aufstehen, aber ihre Beine waren schon knusprig. Sie war gelähmt! Die Zuschauer schrien auf. Sie winkte den Helfern, sie sollten sie herausholen, aber die taten es nicht. Sie waren wie gebannt von dieser Situation. Vielleicht zögerten sie aber auch bei dem Gedanken, in ein brennendes Gebäude zu spazieren. Und was tat der Stein, während gleich nebenan eine Frau komplett durchdrehte? Nichts. Der Stein war erbarmungslos. Der Stein sah die arme Natalja nicht einmal an.

Du stirbst? Ich kenne dich nicht.

Natalja winkte noch einmal nach draußen: Holt mich hier raus! Endlich gingen sie hinein – und man sah, dass die Hitze sie ins Gesicht traf wie Holyfields Rechte –, aber sie kriegten sie nicht von der Bank herunter! Als wäre sie festgeklebt! Ein Versuch! Noch einer! Nichts! Sie würde da drin sterben, vor fünfhundert Zuschauern. Schließlich holten sie einen dritten Mann dazu, und gemeinsam gelang es ihnen, sie von der Bank zu kratzen. Sie wollten sie in einen Rollstuhl setzen, aber genauso gut hätten sie eine ausgewachsene Ulme in eine Schuhschachtel packen können – eine Ulme mit Krämpfen. Aber endlich hatten sie sie doch hineingefaltet und schoben sie im Eiltempo unter die kalte Dusche.

Und jetzt endlich bewegte sich der Stein. Und was für Bewegungen waren das! Hochbeglückt sprang Brunhilde von der Bank und stürmte zur Tür heraus wie Jesse James aus dem »Silver Dollar«. Sie sprang auf und ab, während der arme, zuckende Klumpen, der einmal Natalja gewesen war, abtransportiert wurde. Sie hatte mit 10:31 gewonnen, aber man hatte den Eindruck, sie hätte auch noch drinbleiben und sich Dr.Schiwago ansehen können. »Fünfzehn hätte ich mindestens geschafft«, erklärte sie. Ich glaubte es.

Hinten übergossen sie Natalja unterdessen aus drei verschiedenen Richtungen mit Eiswasser, um ihr Leben zu retten. Und in der vierten Dusche stand ganz still der Große Timmo, der in wenigen Minuten zum Finale der Herren antreten würde. Er sah sie und schaute weg, schüttelte kurz den blonden Kopf, atmete tief die reinigende Luft und versuchte, das Bild vor seinem geistigen Auge zu vertreiben.

Beruhigend konnte es nicht sein. Er war der nächste Gladiator, nachdem sie den vorigen in dreiundsechzig Teilen aus der Arena gekarrt hatten.

 

Kurz vor dem Finale der Herren kam Rick Ellis aus dem Krankenhaus zurück. Er war ein wandelnder Verband. Mull bedeckte seine Ohren, seine ganze Stirn, seine Nase, jeden Quadratzoll seines Rückens und seiner Seiten, einen Teil seiner Brust – praktisch alles außer seinen Fingerknöcheln. Dem Gesicht seiner Frau war anzusehen, was als Nächstes kommen würde: Sie würden seine Sauna zu einem Schuhschrank umbauen. »Ich glaube, ich bin froh, dass ich nicht auf mich selbst gewettet hab«, gestand er.

Endlich kam das Finale der Herren, vier Prätendenten rannten um ihr Leben, und die beiden Favoriten blieben übrig: Timmo der Große und Markku der Fu. Sie hockten da und schwitzten und warfen einander verstohlene Blicke zu: Sie warteten ab, ob der eine dem andern vielleicht den großen Gefallen tun würde, einfach tot umzufallen, damit der Letzte endlich hinauskönnte. Zehn Minuten. Elf. Zwölf. Ein Patt im Hades.