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Die Entscheidung, ein behindertes Kind auf die Welt zu bringen mit allen Hürden, die eine seltene Erkrankung mit sich bringt, wird aus Sicht der Mutter festgehalten. Die wahre Geschichte eines Jungen mit Kloakenekstrophie startet vorgeburtlich und wird chronologisch bis ins junge Erwachsenalter erzählt. Viele Erfahrungen, Ängste und Tabuthemen werden angesprochen.
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Seitenzahl: 273
Veröffentlichungsjahr: 2023
Sprung ins Leben mit Kloakenekstrophie
Wie das Leben so spielt
Sonnenschein aus deinen Augen
– wie ein offener Bauch Geschichte schreibt ;-)
Von Christina Maibücher
Vorwort
Ich bin 43 Jahre alt, Mutter meines starken Sohns Malte, 13 Jahre alt und mit Kloakenekstrophie (*1) geboren, und einer noch stärkeren Tochter Alina, 14 Jahre alt.
Ich bin Krankenschwester, geschieden und im Moment arbeitslos. Ich lebe mit Malte in unserem kleinen Fachwerkhaus und schreibe diese Geschichte auf, um festzuhalten, wie das Leben so spielt, welche Hürden man nehmen kann, ohne zu verzweifeln und wie weit man gehen kann, darf und muss.
Ich frage mich die ganze Zeit, für wen ich das hier schreibe. Ich glaube, in erster Linie für mich selbst. Es ist an der Zeit, meine Vergangenheit aufzuräumen und Klarheit zu schaffen. Ich schreibe aber auch für meine Familie, Freunde und Betroffene. Vielleicht finden sie sich hier ein Stück weit wieder?
Vielleicht schreibe ich unsere Geschichte aber auch für Pflegepersonal und Azubis auf, um ihnen nahezubringen, in welche Situationen Angehörige geraten, oder sogar für Ärzte, die so vielleicht einen Blick von der menschlichen Seite auf ihre Arbeit werfen können.
Und ich schreibe diese Geschichte auch für Krankenkassenmitarbeiter, Sozialarbeiter und andere Berufsgruppen auf, die mit andersartigen Menschen in Berührung kommen.
Vor allem aber auch für Betroffene und deren Angehörige. Also eigentlich für alle? Erstaunlich – habe ich eine solche Botschaft weiterzugeben? Es scheint so. Egal – ich pack's an!
Los geht`s.
Cover
Titelblatt
Teil 1
Mittendrin
Zurück zum Anfang
Rückblick – die Geburt
Die Kinderklinik
Zu Hause
Österreich
Der Broviac-Katheter
Drei Monate später
Ein Jahr Pause
Ein Jahr später
Kannst du mir einen Pipimann machen?
Die Rückverlagerung
Sieben Jahre Pause
Die Windel muss weg
Neue Klinik Klappe, die Erste
Eine Woche zu Hause und dann …
Never ending Story
Der Bauchdeckenverschluss
Zwölf Tage daheim
Die Rückverlegung
Krone richten, weiter gehen
Never ending Story, again and again
Ich wünschte, es wäre anders, aber …
Nachwort
Teil 2
Die Seifenblase platzt
1. Dezember 2018
Eine Woche später
Es weihnachtet sehr
Silvester vor der Tür
Neujahr
H., wir kommen.
Tatsächlich zu Hause
Kurzer Stopp
Resümee
Epilog
Es ist an der Zeit, Danke zu sagen:
Anhang
Maltes OP- und Krankenhaus-Lebenslauf
Glossar
*1 Kloakenekstrophie
*2 Stomata
*3 ZVK
*4 Aterie
*5 Port
*6 Lungenreife
*7 Sectio- Kaiserschnitt
*8 Anorektale Fehlbildungen
*9 Blasenekstrophie
*10 Urogenitale Fehlbildung
*11 Omphalozele
*12 Analatresie
*13 Stomaanlage / Künstlicher Darmausgang
*14 Amnion/Mutterkuchen
*15 extubiert, Extubation
*16 Stomatherapie
*17 Stoma Pflege/ Versorgungwechsel
*18 Hydrogel Auflagen
*19 Wundgitter
*20 somatischen Pflege
*21 SoMA e.V.
*22 Symphyse
*23 Visite
*24 Beckenosteotomie
*25 Durchzug
*26 Gore Tex Patch
*27 VACTERL
*28 Chromosomen
*29 Natrium
*30 Elektrolyte
*31 parenterale Ernährung
*32 Kurzdarmsyndrom
*33 große (obere und untere) Hohlvene
*34 Broviac Katheter
*35 PDK- peridural Katheter
*36 KE-Kind
*37 Rückverlagerung
*38 Penisrekonstruktion
*39 Propofol
*40 Übertragung
*41 Darmspülung/ Bouwel Management
*42 soziale Kontinenz
*43 Kontinenz
*44 Ileostoma
*45 Colostoma
*47 Colitis Ulcerosa
*48 Entzündliche Darmerkrankung
*49 konvexe Stomaversorgung
*50 Monti Stoma
*51 Urostoma
*52 PJler
*53 Nierenkatheter, Harnleiterschiene/ Uretherschiene
*54 Pouch, hier künstliche Darmblase
*55 suprakubischer Blasenkatheter
*56 Laparotomie
*57 Fistelbauch/Darmfistel
*58 NFK, Nierenfistelkatheter- Nephrostomie
*59 Urosepsis
*60 Uretherhautfistel/ Uretherokutaneostomie
*61 Bauchdeckenverschluss
*62 Fisteln (hier am Bauch)
*63 temporäres Jejunostoma
*64 Hb, Hämoglobin
*65 Anastomosen
*66 parastomale und peristomale Haut
*67 Fibrinbeläge
*68 Katecholamine
*69 Lasix
*70 Diurese
*80 Selbstporträt
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Teil 1
Mittendrin
Heute ist der 8. Januar 2018. Ich sitze hier auf meiner grün-weiß gestreiften Bettwäsche in der Klinik und schaue auf das Bett neben mir. Da liegt mein geliebter Sohn Malte und ist in seine neue Nintendo Switch-Konsole vertieft: Autorennen, Level 14 in zwei Tagen. Er sieht sehr zufrieden aus.
Hauptsache Normalstation: Hier fühlt er sich schon wie zu Hause. Er kennt alle Schwestern und Pfleger und macht seine Späße mit ihnen. Auch die meisten Ärzte sind ihm bekannt, ebenso der Tagesablauf der Klinik, der für ihn zum Alltag geworden ist.
Ich erinnere mich daran, wie wir hierherkamen:
31.12.2017 Silvester 5.00 Uhr: Mein Handy klingelt - halb wach klettere ich über meinen Lebensgefährten zum Telefon: Malte ruft mich an. Ich krieche aus dem Bett und stolpere die Treppe hoch in sein Zimmer. Es ist wieder soweit! Malte erbricht grüne Galle, weint und schreit vor Angst, was da auf ihn zukommt.
Ich versuche ihn und mich zu beruhigen, beziehe sein Bett frisch und messe Fieber – 39,8 °C.
Es geht wieder los! Ich gebe ihm die fiebersenkenden Medikamente oral und sage ihm, er muss erst mal weiterschlafen. Ich habe immer noch diese Hoffnung, das Fieber könne ja wieder runtergehen und ein erneuter Krankenhausaufenthalt bliebe ihm erspart. Heute ist Silvester.
Aber dann wird klar, daraus wird nichts. Nach ein paar Stunden Schlaf sagen wir alles Geplante für die Silvester-Nacht ab. Die „Ehrlich Brothers Karten“ verkauft mein Freund über Ebay. Ich packe Maltes „Beutelutensilien“ ein. Das ist eine ziemlich große Kiste, gefüllt mit Beuteln, Platten, Hautschutzplatten, Pasten, Hautschutzringen, Ablaufbeuteln, Gürtel mit Ring, Sprays zur Hautpflege, Desinfektion und Pflaster-Entferner zur Versorgung der Bauchsituation und der Stomata (*2). Natürlich auch unsere Kleidung für einen längeren Krankenhausaufenthalt. Malte schläft die meiste Zeit. Ich warte auf den besten Moment, um ihn ins Auto zu bugsieren. Ich glaube, heute wird es schwierig, denn er ist sehr schläfrig. Das Fieber sinkt kaum. Ich rufe die Kinderstation an, Schwester U. geht dran, sie kennt uns gut. Auf meine Frage, ob wir direkt auf die Station kommen können: „Malte geht es sehr schlecht!“, bekomme ich wie versprochen nach zehn Minuten ein: „Okay, das können wir so machen“. Ich bin dankbar, dass es so einfach geht, die Notaufnahme und anschließend die Polykinderklinik zu umgehen. Meine Angst wächst, ich wecke Malte auf – er muss es jetzt die Treppen runter schaffen. Mir bleibt nichts anderes übrig als zu sagen: „Wenn du es nicht selbst bis ins Auto schaffst, muss ich einen Krankenwagen rufen, und der fährt dich dann nicht die 115km in die Klinik, sondern hier in die Klinik“. Das wirkt. Er kämpft sich sitzend die Treppe herunter und fällt dann auf die Rückbank des vorbereiteten Autos. Kissen unter dem Kopf, Decke, Kotztüte und Wasserflasche parat.
Kein Anschnallen – das ist in einer solchen Situation nicht mehr möglich, und ich fahre die 115 Kilometer über die Autobahn in anderthalb Stunden. Ich hole den seltsam aussehenden gelben Rollstuhl aus der Eingangshalle des Klinikums; er wirkt wie ein Einkaufswagen.
Malte kann sich kaum noch halten: Die Kräfte sind weg, der Flüssigkeitsmangel ist zu groß.
Auf der Station bekommt er sofort sein Bett; sein Blutdruck ist 60/20 – nach dem zweiten Messen sage ich zu Schwester U., die mich ratsuchend anblickt: „Ja, ich glaube dem Gerät“. Das ist definitiv schon sehr niedrig! Sogar ich bekomme Angst.
Dann geht alles ganz schnell, die Dienstärztin legt Malte den Zugang. „Wasser marsch – endlich Flüssigkeit!“ scheint sein Körper zu schreien. Malte schlottert sich zu enormen Fieberkurven hoch, die Schwestern kennen ihn schon und haben das ausgezeichnet im Griff. Jetzt stehen schon zwei Ärzte neben Malte und geben ihm an zwei Zugängen jeweils Boli (Bolusgabe) an Flüssigkeit: Paracetamol- und Antibiotika-Infusionen im Wechsel. Puh!
Die Verlegung auf die Intensivstation schwebt drohend über uns, aber dank Schwester E. und der diensthabenden Ärztin verbringen wir Silvester auf der Kinderstation. Vom Balkon aus haben wir einen fantastischen Blick auf die Stadt. Noch nie habe ich ein Gewitter mit Blitz und Donner als Antwort auf das Spektakel hier unten auf Erden erlebt an Silvester, wohl aber in dieser Nacht. Das war wirklich sehr beeindruckend!
Aber dann ist es nicht mehr tragbar. Am 1.1.18 um 9.00 Uhr weckt mich die Dienstärztin mit den Worten: „Wir müssen ihn jetzt auf die Intensivstation verlegen!“. Ein Blick in Maltes Gesicht reicht mir, um zu sehen, dass sie Recht hat. Er hat jede Menge Flüssigkeit eingelagert, man sieht es deutlich, er ist ganz aufgequollen. Dann folgen der ZVK (*3) und eine Arterie (*4), um den Blutdruck besser kontrollieren zu können. Maltes Angst wächst, sobald er die Verlegung auf die Intensivstation nur ahnt.
Er fühlt sich da wie im Gefängnis. Überwacht und mit tausend Schläuchen, die an ihm kleben und ihn daran hindern, sich zu bewegen. Ständig piepsen die Geräte, und eine angespannte Stimmung liegt in der Luft. Die Schwestern sind genau so nett wie die unten auf der Kinderstation, aber es gibt hier oben keine ruhige Minute. Keine Tür zum Zumachen, kein Abschalten, keine wirkliche Intimsphäre und dann geht die Mama nachts zum Schlafen auch noch außer Haus.
Diesmal muss ich mir allerdings anhören, ob mir klar sei, dass ich mit dem Leben meines Sohnes spiele, wenn ich so lange damit warte, in die Klinik zu kommen. Ich höre wohl nicht richtig? Und ob man ihm nicht besser einen Port (*5) einpflanzen solle? Das war doch seit längerer Zeit meine Bitte gewesen! Ich spüre die Wut in mir aufsteigen. Es sollte ein Informationsgespräch werden, aber ich empfinde nur dieses hoffnungslose Ausgeliefertsein. Meistens sind diese Krisen – in der Regel eine Urosepsis (*59) – nach zwei, spätestens drei Tagen so weit überstanden, dass Malte wieder auf die normale Kinderstation zurück darf. Dann sitzt mein Sohn aufrecht in seinem Bett und genießt die Fahrt nach unten, scherzt und ist fröhlich, manchmal singt er sogar dabei.
In einem solchen Zustand füllen wir dann zusammen die Essenspläne aus. Mittlerweile rufe ich manchmal die Diätberatung selbstständig an und sie organisiert Wunschessen und doppelte Portionen. Dann geht es Malte gleich besser.
Und es gibt auch eine Küche mit „Strammen Jungs“, so heißen hier die Bockwürstchen.
Hauptsache wieder auf die Normalstation!
Das war jetzt für über ein Jahr unser zweites Zuhause.
Dies ist die wahre Geschichte von Malte Maibücher, geboren 2004 mit einer Kloakenekstrophie (*1).
Zurück zum Anfang
Malte – als ich diesen Namen im Abspann eines Films las, wusste ich sofort, so soll er heißen. Mein Sohn, den ich in mir trug und der jetzt schon für so viel Aufregung sorgte. In der elften Schwangerschaftswoche sagte mir mein Gynäkologe: „Da stimmt was nicht, eigentlich müsste diese Öffnung im jetzigen Stadium schon geschlossen sein“. Dabei wollte ich doch diesmal wirklich eine Hausgeburt durchziehen. Da war jetzt eine leichte Wölbung am Bauch zu sehen, in diesem Gummibärchenstadium. Der Arzt sollte Recht behalten. Leider holt die Entwicklung des Embryos solche Versäumnisse nicht im Laufe einer Schwangerschaft zu einem späteren Zeitpunkt nach.
Was auch immer dazu geführt haben mag, es gab keine Erklärung. Es war einfach so. Nun folgten ziemlich viele pränatale (vorgeburtliche) Untersuchungen. Wir wussten bald, dass alle Chromosomen in Ordnung sind und dass es ein Junge wird. In der 17. Schwangerschaftswoche hörte ich bei einer 3D-Ultraschalluntersuchung dann die Worte: „Infaust – nicht lebensfähig! Peng!“
Ich wäre am liebsten von der Liege gesprungen, denn egal welche höhere Macht es war, die hier im Spiel war: ich hatte ein paar Minuten zuvor meinen Sohn zum ersten Mal in mir treten gespürt und dieses Glücksgefühl erlebt, wenn neues Leben in einem spricht: „Hallo, hier bin ich… ich bin wirklich da und kann mich bewegen, spürst du mich? Ich lebe!“.
Es kam mir völlig absurd vor, als die anwesenden Ärzte vorschlugen, am nächsten Tag zur Abtreibung zu kommen. Natürlich belastete uns die Aussage „nicht lebensfähig“ extrem. Zwar gab uns eine zweite Meinung Hoffnung, dass es möglicherweise doch nicht ganz so schlimm kommen könnte, aber das Drama nahm bereits seinen Lauf. Ich sagte damals den Menschen in meinem Umfeld, ich könne einen Termin zur Abtreibung bekommen, aber ich werde nicht hingehen. Ich hatte selbst einmal einer jungen Freundin - sie war damals erst 18 Jahre alt - zur Abtreibung geraten. Aber jetzt bei mir selbst, 30 Jahre alt, Mutter einer süßen Tochter im zarten Alter von einem halben Jahr wollte das jetzt nicht, auf keinen Fall! Ich wünschte mir Kinder, am liebsten ganz viele! Und so blieb Malte in mir. Meine Hebamme riet mir, Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe aufzunehmen. Unter „Sternenkinder“ findet man heute schnelle Hilfe . Das tat ich, und es erwies sich als sehr hilfreich für mich.
Die Gespräche bestätigten mir, dass es vielen Eltern (auch todgeweihter Kinder) nach einer Abtreibung sehr schlecht ging und sie sich im Nachhinein wünschten, das Kind doch zur Welt gebracht zu haben. Ich traf mich mit einer betroffenen Mutter. Als sie uns besuchte, berichtete sie bereitwillig von ihrem Weg.
Ihr verstorbenes Kind hatte an einem „offenem Kopf“ gelitten und keine Überlebenschance. Sie empfahl uns den Film „Mein kleines Kind“. Er handelt von einer Hebamme, die ein Kind austrägt, und das nach zwei Tagen verstirbt. Es hatte eine Krankheit namens „Potter Syndrom“, soweit ich mich erinnere etwas mit den Nieren. Ob ich den Namen „Malte“ im Abspann dieses Films gesehen habe? Ich glaube es beinahe. So bekam mein Sohn seinen Namen schon sehr früh. Das Kind zur Welt zu bringen war eine schwierige Entscheidung; bereut habe ich sie nie. Oder doch: einmal, als ich dachte, ich habe ein „Monster“ geboren.
Es wäre noch wichtig zu sagen, dass uns als Diagnose während der Schwangerschaft eine „vesikointestinale Fissur“ (*1) genannt wurde.
Ich weiß nicht, wie oft ich das gegoogelt habe. Eine offene Bauchspalte - “Omphalozele“ (*11) – so nannten es die anderen Ärzte, möglicherweise behandelbar mit drei bis fünf Operationen.
Die Erstdiagnose Ärzte gingen davon aus, dass die Spaltung weiter bis ins Genital führt. In den 70er Jahren waren diese Kinder noch nicht behandelbar gewesen und verstarben.
Wir hatten dann vor der Geburt Kontakt zur Kinderklinik. Dort sprachen wir mit dem Oberarzt und Chirurgen Dr. E., einer Seele von Mensch. Er versuchte uns zu erklären: „Wenn die Leber nicht ganz draußen liegt“ (was auch immer das heißen mag, dachte ich damals), „dann hat er möglicherweise eine Überlebenschance“. Aber er bräuchte ein Hobby wie z.B. Fußballspielen, etwas, für das es sich zu leben lohnt.
Er sprach von Hobbys, und ich hatte mir den Friedhof angeguckt. Es war eine riesige Bandbreite von Gefühlen, die gleichzeitig in mir arbeiteten. Zum Glück konnten wir, mein Freund und Vater meiner Kinder und ich, alle diese Termine gut wahrnehmen, da meine Eltern meine kleine Tochter Alina zu sich nahmen oder meine beste Freundin auf sie aufpasste. Alina war eine extrem fitte, gut entwickelte, noch nicht ein Jahr alte junge Dame. Im Pekip-Kurs krabbelte sie allen davon, und schon als sie erst vier Monate alt war, begann ich zuzufüttern, da sie mit ihren Zähnen beim Stillen bereits kräftig zubiss – Autsch! Und zur Geburt ihres Bruders lief sie dann ihre ersten Schritte in die Klinik. Strahlend blond und so herrlich sorglos und vertrauensvoll nahm sie unser Schicksal und ihren kranken Bruder ganz selbstverständlich an. 13 Monate liegen die beiden auseinander.
Malte hatte von Anfang an eine große und starke Schwester an seiner Seite, die immer für ihn da war.
3D Ultraschallbild, die Wölbung vor dem Bauch zeigt die Omphalozele sehr deutlich.
Rückblick – die Geburt
Tagebucheinträge
31.7.2004 34. Schwangerschaftswoche Wir hatten vor ein paar Tagen die Uniklinik besucht, diese Informationsabende für werdende Eltern und Schwangere. Wo man ebenso hingeht, wenn man die Absicht hat, zu entbinden.
Ich war in der 34. Woche, ab der 36. Woche ist die Lungenreife (*6) voll ausgebildet. Das ging mir durch den Kopf, als ich früh morgens mit Bauchkrämpfen aufwachte. Ich konnte nicht wieder einschlafen, es tat so weh – vielleicht eine Magen-Darm-Verstimmung?
Allmählich dämmerte mir, dass es Wehen waren.
Oh nein, die Lungenreife!
Da die Bauchkrämpfe nicht aufhörten, kontaktierte ich meine Hebamme. Sie sprach deutliche Worte und fragte mich: „Ist Schleim abgegangen?“ Ich musste das bejahen. "Dann mach dich darauf gefasst, dass es jetzt bald losgeht. Nimm dir nochmal Zeit, dich seelisch auf alles vorzubereiten, kaufe einen Strampler, zünde eine Kerze an oder schreibe einen Brief!"
Es war immer noch sehr früh am Morgen, und außer mir schliefen noch alle. Ich nahm eine Kerze, zündete sie an und schrieb diesen Brief, den ich bis heute besitze:
„Lieber Malte,
Heute ist der 31.7.2004. Ich hatte letzte Nacht Wehen, und auch jetzt noch, Schleim ist abgegangen – heißt das, dass Du loslegst?
Das geht jetzt aber flott – ich möchte Dir noch eine Liebeserklärung mitgeben!
Du bist mein kleines Leben, mittendrin in mir.
Auch wenn ich viel geweint habe – Ich bin froh, dass Du zu mir/zu uns gekommen bist.
Ich liebe Dich so sehr, wie mein Leben.
Wenn Du nicht bei uns bleiben willst/kannst, dann ist das o.k.
Du hast so viel Leben in Dir, so viel gestrampelt und mir Lebenszeichen gegeben – ich hoffe nur, Du leidest nicht!
Die Angst, das Falsche zu tun, ist groß in mir – wo Du auch und wie Du auch das Licht der Welt entdeckst – falls es dazu auch kommt – wir wollen das Beste für Dich!
Ich wünschte, ich könnte immer bei Dir sein – aber solltest Du gehen in diese andere Welt – ist mir das wahrscheinlich nicht möglich und das tut weh – aber Alina und dein Vater sind hier und wir werden Dein Andenken ehren! Fest versprochen!
Mein kleiner Sohn, schon über 2.000 g schwer – vergeß uns nicht – wie wir Dich auch nie vergessen werden – NIE und NIMMER!
(Ich möchte schreiben: Verlaß uns nicht – aber dazu habe ich kein Recht!)
Danke für unsere gemeinsame Zeit – Danke für Dein kleines Leben in mir, Danke für unsere Verbundenheit, für unsere Liebe!
Ich küsse Dich, kleiner Schatz und halte Dich in Gedanken ganz fest in meinen Armen.
Amen, Gott schütze und begleite Dich! Deine MamaDanach ging es mir etwas besser, aber was blieb mir auch anderes übrig? Jetzt gab es kein Zurück mehr!
Also brachten wir Alina hinüber zu den Großeltern und machten uns auf den Weg, vorbei an den Schildern der Kinderklinik zur Uni-Klinik. Den Weg kannten wir ja schon.
Es war früher Sonntagnachmittag, die Hebamme am Empfang begrüßte uns nach kurzer Schilderung der Situation mit den Worten: “Oh nein, nicht noch eine Risiko-Geburt“. Es waren wohl schon sechs weitere da, alle mit geplanter Sectio /Kaiserschnitt (*7).
Es wurde besprochen, dass ich eine Teilnarkose wünschte und die Geburt mitbekommen wollte. Dachte ich jedenfalls.
Am Wehenschreiber verbrachten wir etwas längere Zeit, aber nichts passierte, keine Wehen.
Ich entspannte mich etwas und wir machten sogar Scherze, alles schien auf einmal nicht mehr so angespannt. Mir kam der Gedanke: "Gleich gehen wir wegen Fehlalarms einfach wieder nach Hause". Ich hatte nicht den Eindruck einer bevorstehenden Geburt, es war nicht zu vergleichen mit dem 18-Stunden-Marathon bei Alinas Geburt. Die hatte ich damals übrigens drei Wochen übertragen, weil wir noch mitten im Renovierungs Stress waren.
Dann sollte ich zur ärztlichen Untersuchung. Im Rollstuhl wurde ich ins Untersuchungszimmer geschoben. Eine wirklich nette Gynäkologin untersuchte mich und sagte dann: „Ja, der Muttermund ist fünf Zentimeter geöffnet.“ Aus der Traum davon, wieder nach Hause zu gehen!
Jetzt brach es aus mir heraus. Die Anspannung löste sich mit einem jämmerlichen Weinkrampf, ich schluchzte auf das Erbärmlichste. Ich konnte einfach nicht anders, es musste raus, bevor ich mich dem, was da nun kommen sollte, stellen konnte. Danach ging es mir besser. Aber dann ging alles ganz schnell, die Ärztin schaute mir betroffen hinterher. In ihren Augen las ich echtes Verständnis und mitfühlende Trauer. Dann hieß es, der Professor komme und bestehe wegen der Verletzungsgefahr für das Kind auf einer Vollnarkose für den Fall, dass ich mich während der Geburt bewegen sollte.
Um mein Herz legte sich eine Kette aus Stahl. Ich bettelte darum, dabei sein zu dürfen, also mental anwesend. Aber sie blieben hart. Mein Weinkrampf wurde wohl als Labilität gedeutet, und für so etwas ist im Operationssaal kein Platz. Mit mir sprach nur der Anästhesist.
Ich erinnere mich, wie sie mir im Operationssaal Arme und Beine festbanden. Mir kam der Gedanke an eine Kreuzigung, so fühlte es sich an. Dazu flog eine Fliege herum, die vom Personal unter Späßen mit Desinfektionsspray gejagt wurde. Zu guter Letzt sagte die jetzt anwesende Anästhesistin auch noch: „Jetzt wird alles gut“ zu mir.
Ich hätte schreien können! Was sollte daran gut sein, die Geburt oder den Tod meines Kindes nicht miterleben zu dürfen?
Irgendwann rüttelte jemand fürchterlich an mir, wer war das? Ich erkannte meinen Freund, der mir sagte: „Sie bringen ihn in die Klinik, für die Fahrt wird er beatmet. Ich fahre jetzt hinterher!".
„Hier steht ein Foto für dich. Sie haben dir die dreifache Menge des Narkosemittels geben müssen, um dich zu betäuben!". So fühlte es sich auch an. Ich war ganz weit weg gewesen. Dann ging er, ich wurde langsam wach und klar. Ich erinnerte mich wieder, wer, wo und warum ich hier war, und allmählich drangen seine Worte in mein Bewusstsein.
Mein Sohn lebte! Ich schaute auf das Bild neben mir auf dem Nachtschrank – was ich sah, waren ein Kopf und ein abgedecktes Kind, das beatmet wurde. Was lag unter dem weißen Tuch, wie sah er darunter aus? Wieder dieses ohnmächtige Gefühl, den Ärzten ausgeliefert zu sein. Keine Informationen. Doch Moment, mein Freund hatte etwas von „beatmet für die Fahrt“ gesagt, das hieß, Malte hatte selbstständig geatmet, also waren die Lungen ausgereift. Und ich fühlte Stolz auf meinen kleinen Kämpfer! Später erfuhr ich, dass er nach der Entbindung sogar geschrien hatte.
Nach gefühlt unendlich langer Zeit wurde ich auf die Normalstation gebracht. Neben mir lag eine frisch entbundene Mutter – auch mit Kaiserschnitt – der es anscheinend schwerfiel, wieder auf die Beine zu kommen. So wollte ich da nicht liegen bleiben. Also entließ ich mich am nächsten Tag um 10:00 Uhr selbst aus der Klinik, nicht ohne mir vorher noch etwas über Rückbildungsgymnastik anhören zu müssen - das war die Bedingung.
Unten am Ausgang traf ich noch den Arzt vom Infoabend, der mich ansprach und sagte: "Na, waren die Lungen doch schon ausgereift.“ Grinsend stimmte ich zu und konnte mich auf meinen Sohn freuen.
Hinzuzufügen wäre noch, dass ich später der pränatalen Praxis einen Brief geschrieben habe. Ich legte ein Foto von Malte bei und schrieb mit rotem Edding „Er lebt!“ darauf. Ich erklärte darin, wie wichtig es sei, vor der Geburt die Diagnose „Kloakenekstrophie“ zu kennen, da es eine Selbsthilfegruppe namens „SoMA e.V.“ für anorektale Fehlbildungen (*8/*21) und eine Selbsthilfegruppe „Blasenekstrophie / Epispadie e.V.“ für urogenitale Fehlbildungen (*10) gebe. Außerdem Operationstechniken und Spezialisten, an die man sich schon während der Schwangerschaft wenden könne. Es war mir wichtig, diese Informationen weiterzugeben. Ich bekam dann einen netten Antwortbrief, und damit war das Ganze erledigt.
Erste Fotos von Malte.
Die Kinderklinik
Eine relativ kleine und alte Klinik erwartete uns.
Allerdings lagen hier nur Kinder, sehr kranke Kinder mit ihren teils verzweifelten Eltern. Die Klinik war uns bei solchen anorektalen Fehlbildungen empfohlen worden.
Ich sah Malte erst am späten Nachmittag nach seiner ersten, neunstündigen Operation, wie er beatmet auf der Kinderintensivstation lag. Ihn auf den Arm zu nehmen war nicht möglich.
Nur ein Staunen, 2.375 g schwer und sechs Wochen zu früh um 18.31 Uhr auf die Welt geholt. Du hast deinen ersten Atemzug selbstständig gemacht und geschrien!
An diesem Abend bekam ich ein Zimmer in einem alten Nebengebäude der Klinik, einem alten Backsteinhaus, das in früheren Tagen einmal ein Schwesternwohnheim gewesen war. Hier gab es die sogenannten Elternzimmer, ich glaube sogar kostenlos. Im Zimmer befanden sich ein Bett, ein Schrank, ein Tisch mit Stühlen und ein Waschbecken. Ach ja, und ein Telefon! An diesem Abend telefonierte ich dann mit meinem Erstkontakt zur SHG SoMA e.V. (*8), einem selbst betroffenen Kinderarzt. Den Kontakt hatten mir die Schwestern der Intensivstation vermittelt, es gebe da eine Selbsthilfegruppe.
Ich erinnere mich noch gut, denn in dem Zimmer mit Blick auf eine Backsteinwand kamen mir diese Gedanken:
„Was habe ich getan?“
„Was habe ich Malte angetan?“
„Was für ein Leben habe ich ihm da geschenkt, anstatt ihm diesen Weg durch eine Abtreibung zu ersparen?“
Ich hatte vorher gar nicht wirklich darüber nachgedacht, was es für ihn bedeuten würde, mit dieser Behinderung leben zu müssen. Ich war doch immer davon ausgegangen, dass er seine Geburt wahrscheinlich gar nicht überlebt!
Da war er: der Gedanke, ein Monster auf die Welt gebracht zu haben. Der einzige Moment, in dem ich an dem zweifelte, was ich getan hatte.
Das Telefonat ließ diese Gedanken aber ganz schnell verschwinden. Er erzählte mir, dass er selbst mit einer Blasenekstrophie (*9) geboren worden sei und mittlerweile als Kinderarzt arbeite.
Ich hörte seine Worte und in mir erwachte die Hoffnung auf ein Ende dieses Alptraums.
Er erzählte von der Selbsthilfegruppe, die für uns hilfreich sein könne und von einem Arzt, der sehr erfahren in der Behandlung solcher Kinder sei, allerdings in Österreich praktiziere.
Und er gab mir die Möglichkeit der Kontaktaufnahme zur SoMA e.V. Kloakenekstrophie. Diesen Begriff hörte ich zum ersten Mal. Eine Kloake (bei den Vögeln) bedeutet, dass Stuhl und Urin aus einem gemeinsamen Ausgang ausscheiden.
Malte ist eines von drei Kindern, die – statistisch gesehen – jährlich in Deutschland mit dieser Erkrankung geboren werden, also 1:250.000. Wie ein Sechser im Lotto, habe ich mir angewöhnt zu sagen!
Er erzählte mir von einer Studie, an der er arbeite, um dieser Fehlbildung ein bisschen auf die Schliche zu kommen. Er würde sich freuen, von uns Eltern eine Blutprobe zu bekommen, und bat uns, einen Fragebogen auszufüllen, beides ganz anonym. Es gebe bisher keine Studien und auch keine Erklärung, was genau zu der Fehlbildung führe. Und er bestätigte mir, dass es früher kaum Behandlungsmöglichkeiten gegeben habe und die Kinder ohne chirurgische Behandlung verstarben.
Erst im Lauf der Zeit erfuhr ich, wie viele unbekannte seltene Erkrankungen es gibt, man sagte mir, es seien etwa 4.000!
Der Kontakt zu SoMA e.V. /KE-Gruppe (*21) war Gold wert! So erhielt ich endlich alle nötigen Informationen.
Stück für Stück wurde mir unsere Lage klar: ich hatte ein Kind geboren, das einen langen Weg mit vielen Operationen vor sich hatte.
Die Fehlbildung, in der Embryonalphase ausgelöst wodurch auch immer, umfasste bei Malte eine offene Bauch- Omphalozele (*11) mit einer offenen Blasenhälften- Blasenekstrophie (*9), einem gespaltenen Penis und darunter entfernt liegenden Hoden, nur einer Niere und einer Analatresie (*12). Das bedeutet, dass der Darm nicht am Po-Loch endet, es ist gar keins angelegt. Zudem hat er auch noch einen verkürzten Darm, der bei der Geburt nach außen offen auf dem Bauch lag.
Bei Maltes erster Operation bekam er einen künstlichen Darmausgang – eine Stomaanlage (*13) -, die Blasenhälften wurden adaptiert, aneinander genäht, und der offene Bauch mit Amnion (*14) – Mutterkuchen – abgedeckt.
Malte verbrachte seine ersten vier Lebenswochen auf der Kinderintensivstation. Wir Eltern pendelten, Tag für Tag.
Nach acht Tagen war es dann so weit: Malte durfte das erste Mal auf Mamas und später auch noch auf Papas Arm. Das war ein unvergesslicher Moment, auf den ich lange gewartet hatte: endlich mein Kind in den Armen halten zu dürfen. Natürlich flossen Tränen. Auch beim Vater!
Einen Tag später wurde er sogar extubiert (*15), danach war es viel einfacher, ihn auf den Arm zu nehmen.
Nun durfte Alina ausnahmsweise Malte besuchen. In der sogenannten Schleuse (Vorraum) der Intensivstation trafen die beiden nach drei Wochen zum ersten Mal aufeinander. Diese Erinnerung hat sich tief in mein Herz eingebrannt. Malte mit allen möglichen Schläuchen versehen und einem Infusionsständer im Schlepptau, beuge ich mich mit ihm auf dem Arm in der engen Schleuse zu Alina runter, und sie fast ehrfürchtig den ZVK- Schlauch (*3) an, ganz vorsichtig. Es ist nichts passiert, aber erst mal ist mir das Herz in die Hose gerutscht: bloß nicht den zentralen Zugang ziehen!
Sie lief aufrecht in die Klinik, um ihren neugeborenen Bruder zu sehen. Da war sie 13 Monate alt. Sie bewältigte unsere Situation schon in ihrer frühesten Kindheit mit großer Selbstverständlichkeit, was mich einerseits traurig stimmte, da sie sehr viel zurückstecken musste, andererseits aber auch mit Stolz erfüllte, eine so tolle Tochter zu haben! Schon in diesen jungen Jahren lernte sie das Leben auf eine ganz besondere Art und Weise kennen, und sie entwickelte eine enorme Persönlichkeit in unserem doch sehr speziellen Alltag.
In den vielen Tagen auf der Intensivstation erlebten wir auch die folgende Situation, von der ich später oft meinen Patienten erzählte, wenn sie verzweifelt waren.
Bei uns lief soweit alles ganz gut. Malte war problemlos extubiert worden, und über die Magensonde kam der Nahrungsaufbau mit meiner abgepumpten Milch in Gang, als ich eines Tages bemerkte, dass im Zimmer neben uns etwas Ungewöhnliches vorging.
Ich fragte eine Schwester, was denn da los sei. Es war einfach stark spürbar, dass da etwas nicht stimmte. Obwohl es eigentlich verboten war, gab sie mir Auskunft. Sie sagte, dass nebenan gleich die Geräte abgestellt würden. Ich war innerlich wie erstarrt, denn da war er wieder – der Tod.
Sie erzählte mir, dass das Kind nebenan beinahe schon mit Beatmung und einem Kinderpflegedienst nach Hause geschickt worden wäre, als sich die Situation plötzlich stark verschlechtert habe. Dazu kam auch noch, dass diese Familie jetzt schon das zweite Kind verlieren würde.
Ich war sprachlos und tief betroffen – unsere Situation erschien mir auf einmal so wundervoll. Ich hatte eine putzmuntere Tochter und einen neugeborenen Sohn, der dem Tod gerade von der Schippe gesprungen war. Was wollte ich mehr?
Wir begegneten dieser Familie am gleichen Tag noch im Untergeschoss, als sie Abschied nahmen. Kennengelernt haben wir uns nie, aber diese kurze Erfahrung hat mich sehr geprägt. Ich