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Am Weihnachtsabend bleibt ein junger, erfolgreicher Anwalt mit seinem Wagen in einem Schneesturm liegen. Zu Fuß folgt er einer Schlittenspur in den verschneiten Wald und wird in Ereignisse verstrickt, die sich dem menschlichen Verstand entziehen. Eine Geschichte für kalte Herbstabende und auch für den Heiligen Abend, geschrieben in der Tradition englischer Ghost Stories, mit einem Hauch Charles Dickens und einer Prise Peter Rosegger.
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Seitenzahl: 42
Veröffentlichungsjahr: 2016
© E.A.Birk 2016
Covergestaltung: Remy Schön
Gewidmet unseren Töchtern
Sabrina und Laura
Danke für all die wundervollen Weihnachtsfeste,
danke für Eure leuchtenden Augen.
Peter Seybold war zufrieden. Zwei Tage hatte die Konferenz auf Schloss Manstein gedauert. Unter Führung des alten Manstein hatten ein halbes Dutzend Konzernanwälte, zwei Fachanwälte für Erb- und Steuerrecht, eine Handvoll Buchprüfer und er selbst, als Vertreter der alteingesessenen Steuerberatungskanzlei Schröder, Schroeter & Heimburg, das Testament des alten Mannes so gefasst, dass das Scherflein des Finanzministers möglichst klein ausfiel. Nach Weihnachten würden die Konzernanwälte das Dokument fertig haben und ihm mailen. Zwei Kollegen würden es noch einmal gegenlesen und noch in diesem Jahr an den Notar weiterleiten, um es beglaubigen zu lassen – und dann würde ein achtstelliger Betrag auf das Konto der Kanzlei überwiesen werden. Sein Bonus war damit gesichert, und nun würde auch kein Weg mehr daran vorbeiführen, dass er das dritte ‚S‘ im Firmennamen werden würde.
Er hatte sich den Urlaub redlich verdient, der vor ihm lag. Morgen um diese Zeit würde er schon im Flieger nach Neuseeland sitzen, wo er mit seiner Freundin dem scheußlichen deutschen Winter mitsamt seinem Weihnachtstrubel entfliehen konnte. Weihnachten war für ihn ohnehin nur eine Gelegenheit zum Ausspannen, und gelegentlich auch die Zeit, um die Dinge aufzuarbeiten, die seit dem Sommer wegen seines vollen Terminkalenders liegen geblieben waren.
Hoffentlich machte ihm das Wetter keinen Strich durch die Rechnung. Es schneite seit Mittag, und als er sich von den anderen Konferenzteilnehmern verabschiedet hatte, war der Niederschlag in heftiges Schneetreiben übergegangen. Draußen wurde es schon dunkel. Er sah auf seine Armbanduhr – vier Uhr vorbei. In Gedanken war er schon in seiner Wohnung in der Stadt, wo Natascha auf ihn warten würde. Sie hatten einen Tisch bei Giorgio reserviert, und wie immer würde sie eines der hinreißenden Kleider tragen, die ihre langen Beine so hervorragend zur Geltung brachten, vor allem, wenn sie lange Stiefel trug. Er genoss die bewundernden, ja, bisweilen neidischen Blicke anderer Männer, wenn sie sie sahen, und noch mehr genoss er das Versprechen, das ihm ihre grünen Katzenaugen zu geben pflegten. Nur musste er erst noch nach Hause kommen.
Er drückte die Telefontaste am Lenkrad und sagte "Kanzlei", woraufhin die Nummer der Kanzlei im Display angezeigt wurde. Er drückte auf das grüne Telefonsymbol und wartete, bis sich die Empfangschefin meldete. Er bat sie darum, mit seiner Assistentin verbunden zu werden.
„Und schöne Weihnachten, Peter!“, sagte die Empfangschefin, bevor sie ihn durchstellte.
„Schöne Weihnachten, Carola“, antwortete er, aber da war schon seine Assistentin in der Leitung.
„Neumaier?“
„Ah, Sabine. Noch so fleißig!“
Er versuchte, jovial zu wirken, aber er wusste, dass sie eine allein erziehende Mutter war und jeden Cent brauchte. Deswegen meckerte sie auch nicht darüber, dass er sie am Heiligen Abend noch so spät beschäftigte. Trotzdem wäre sie sicher lieber bei ihrer Familie gewesen, und dem Klang ihrer Stimme war das auch anzumerken.
„Hallo, Herr Seybold“, sagte sie kühl.
Mädchen, dachte er, ich habe gerade deinen Job für das ganze nächste Jahr gesichert. Ein klein wenig Dankbarkeit werde ich ja wohl erwarten können.
„Planen Sie bitte ein, dass Sie nach Weihnachten den Vertrag und das Testament des alten Manstein an Becker und Krüger schicken, und mir und Heimburg als cc. Becker und Krüger ausgedruckt, Heimburg und mir reicht als E-Mail.“
„Ist in Ordnung. Hat alles geklappt?“ War da ein Anzeichen von Interesse?
„Ja. Der alte Herr war zufrieden. Legen Sie bitte Schroeter noch ein Memo hin, dass er den Vertrag noch einmal kalkulieren soll – das Volumen liegt um dreihundert Millionen höher als wir gedacht haben.“
„Dreihundert Millionen?“ Ihr Erstaunen klang echt.
„Ja. Scheint so, als will der alte Mann reinen Tisch machen, bevor er abtritt.“
Er grinste beim Gedanken an die entsetzten Gesichter der Konzernanwälte, als der alte Mann, vielleicht in einem Anfall von weihnachtlicher Gefühlsduselei, die Dokumente über die Vermögenswerte in Bahrein und auf den Cayman Islands auf den Tisch geworfen hatte. „Ich weiß, meine Herren“, hatte er gesagt, „Sie haben es gut gemeint. Aber ich werde nicht als Schurke in Erinnerung bleiben.“
„Aber das heißt …“ Anscheinend hatte sie schnell durchgerechnet, was das hieß.
„Das heißt, dass Sie sich nächstes Jahr mal was richtig Tolles gönnen können, so wie jeder in der Firma.“
„Danke, Herr Seybold. Jetzt kann an Ihnen keiner mehr vorbei.“
Bildete er sich das ein, oder war ihre Stimme wärmer geworden? Aber ja, sie hatte Recht, und auch sie würde davon profitieren, dass sie künftig Partner-Assistentin sein würde. „Kommen Sie heute noch einmal rein?“
„Nein, Sabine. Sie können dann nach Hause gehen. Wir sehen uns im Neuen Jahr!“
Er legte auf und hörte nicht mehr, wie ihm Frau Neumaier frohe Weihnachten wünschte.
Grinsend legte er das Telefon zurück auf die Ablage. Ein Büro im zehnten Stock. Ein eigener Schlüssel für den Lift, der ganz nach oben fuhr. Eine Bar im Büro und ein eigenes Bad. „Partner bei Schroeder, Schroeter, Heimburg und … VERDAMMTE SCHEISSE!“