Spürst du Gott schon oder liest du noch die Bibel? - Thorsten Brenscheidt - E-Book

Spürst du Gott schon oder liest du noch die Bibel? E-Book

Thorsten Brenscheidt

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Beschreibung

Der Buchtitel in Anlehnung an das Motto einer Möbelhauskette macht deutlich: Es wächst die Sehnsucht, Gott nicht mehr nur in der Bibel zu finden, sondern ihn sinnlich zu erfahren. Einige erfolgreiche Prediger und Autoren wie Sarah Young, Joyce Meyer, Bayless Conley und Anselm Grün scheinen eine attraktive Botschaft zu vermitteln: „Spüre Gottes Liebe und genieße dein Leben!“ Thorsten Brenscheidt gleicht dies mit den Aussagen der Bibel ab. Der Leser wird jedoch nicht nur mit Zitaten „gefüttert“, sondern erhält hilfreiches Hintergrundwissen aus Soziologie und Trendforschung. Teilweise beanspruchen die in dem Buch zitierten Prediger, ihre Botschaften übernatürlich zu empfangen. Hierzu regt Brenscheidt seine Leser an, über Bedeutung und Wert göttlicher Offenbarung nachzudenken. Das Buch gibt dazu biblisch fundierte Antworten und ist zudem ein praktischer Ratgeber für ein solides und zugleich erweckliches Glaubensleben.

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Thorsten Brenscheidt

SPÜRST DU GOTT SCHON ODER LIEST DU NOCH DIE BIBEL?

Neue Trends unter Evangelikalen

Thorsten Brenscheidt, Jahrgang 1969, studierte an evangelikalen Ausbildungsstätten Theologie und arbeitet derzeit als Finanzbuchhalter in einem christlichen Werk und als theologischer Mitarbeiter einer freien Gemeinde. Er ist Autor der Bücher Gott auf charismatisch, Max Lucado verstehen und Freiheit für Blasphemie?. Seit 1991 schreibt er zu zeitkritischen, apologetischen und glaubensstärkenden Themen in christlichen Zeitschriften. Außerdem hält er Vorträge in Gemeinden, auf christlichen Tagungen, Freizeiten und Konferenzen.

Bibelzitate sind in der Regel der revidierten Schlachter-Übersetzung, Version 2000, entnommen und werden nach den „Loccumer Richtlinien” abgekürzt. Andere verwendete Übersetzungen sind:

LUT      revidierte Lutherbibel, 1984

ELB      revidierte Elberfelder Bibel, 2006

Rechtschreib- oder Ausdrucksfehler in angeführten Zitaten werden an der jeweiligen Stelle mit [sic!] gekennzeichnet.

Zitate, die den Regeln der alten Rechtschreibung folgen, werden aus Gründen der Einheitlichkeit in neue Rechtschreibung übertragen.

Thorsten Brenscheidt

Spürst du Gott schon oder liest du noch die Bibel?

1. Auflage 2014

2. Auflage 2014

© Lichtzeichen Verlag GmbH, Lage

Umschlag/Satz: Gerhard Friesen

ISBN: 9783869549095

Bestell-Nr. 548909

E-Book Erstellung:

LICHTZEICHEN Medien

www.lichtzeichen-medien.com

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Erlaubnis des Verlegers in irgendeiner Form reproduziert werden.

Inhalt

VorwortWort oder Bild, Glauben oder Schauen?Hintergrundwissen aus Philosophie, Soziologie und TrendforschungApologetik – umstritten, aber notwendigDie Frage nach der Bibeltreue oder nach der Farbe meiner SpiritualitätHören, spüren, fühlen, erleben - sonst ist Gott tot?! oder: „Spürst du Gott schon oder liest du noch die Bibel?”Spüren bei Jenna Lucado Bishop in den Spuren von Max LucadoRob Bell und die Befreiung des Glaubens von Gericht und HölleAnselm Grün für Evangelikale? Seine Lebenshilfen im Licht der BibelWer ist „dieser” Jesus bei Sarah Young?Neuer Umgang mit Gottes Wort durch Bayless ConleyDas Leben genießen mit Joyce MeyerGenießer oder Sklave? – Die wahre Identität in ChristusPlädoyer für die „Stille Zeit” – Anregungen und Hilfen zur BibelleseWas „Bibelmüde” wirklich brauchenBibelstellenregisterAnmerkungen

Vorwort

In einer auf Erlebnisse und das Sichtbare fixierten Kultur entsteht der Wunsch, auch den Glauben an diese Bedürfnisse anzupassen. Wache Beobachter bezeichnen den momentanen Zustand der europäisch-nordamerikanischen Gesellschaften als Postmoderne. Nach den Aussagen ihrer Hauptvertreter soll damit die Moderne als kulturgeschichtliche Epoche abgelöst werden.

Vertraute man im Mittelalter bedenkenlos biblischer Offenbarung und geistlichen Autoritäten, trat an diese Stelle in der beginnenden Moderne der freie, aufgeklärte und selbstbestimmte Mensch. Immer noch ging man von gültigen Wahrheiten aus und von einem letztlichen Ziel der Geschichte. Nun sollten nicht mehr Gott und Kirche, sondern der Verstand und die Wissenschaft allgemeingültige Wahrheit offenlegen. Als Ideal galten „beweisbare” Naturgesetze. Der Glaube wurde aus dem Bereich objektiver Realität in die subjektive Gefühlswelt des Einzelnen abgeschoben. Die historische Bibelkritik trug das Ihrige dazu bei, rationalen Zweifel am Wort Gottes zu schüren, weil es nicht den Erkenntnissen der jeweils herrschenden Sicht der Naturwissenschaften entsprach. In der Spätoder Postmoderne kam man dann zur Einsicht, dass auch Wissenschaft und Rationalität keine unbezweifelbaren Wahrheiten bieten können, die von allen Menschen akzeptiert werden. Folglich beerdigte man jeden Anspruch auf Wahrheit, auf eine gültige Erklärung der Welt und des Seins.

Nach aktueller Lesart ist Wahrheit lediglich eine subjektive Konstruktion. Jeder hat seine eigene Wahrheit, die jeweils gleich-gültig ist. Keiner solle demnach dem Anderen mit eigenen Wahrheitsansprüchen zu nahe treten. Jeder müsse die Weltsicht des Anderen ohne Wenn und Aber stehenlassen. Objektives sei schlichtweg nicht mehr auszumachen. Vor allem gilt das in der Postmoderne natürlich für Ethik, Werte, Lebensentwürfe und Religion. Glaubensaussagen sind generell obsolet geworden, vor allem wenn sie sich auf Offenbarungen wie die Bibel beziehen und für sich das Wahrsein behaupten. Religion wird nur noch als spirituelle, subjektive Erfahrung geduldet. Letztendlich spricht Gott subjektiv und für andere unhörbar zu jedem Menschen anders – vielleicht vernimmt er aber auch nur die Stimme seines eigenen Unterbewusstseins. Letztlich ist das für den postmodernen Menschen auch vollkommen egal. Wichtig ist vor allem die momentane Erfahrung, das spontane Gefühl. Etwas wird als wahr und real angesehen, weil es gefühlt wird, weil man eine Erfahrung damit verbindet. – Natürlich ist das Gefühl auch aus biblischer Sicht integraler Bestandteil jeder Person. Aber es ist eben kein Instrument, um Wahrheit wahrzunehmen und kein befriedigender Ersatz für den Blick auf Gott, die Welt und den Sinn des Lebens.

Angesichts dieser allgemein akzeptierten Gefühlsorientierung wundert es kaum, dass sich immer stärker die Esoterik als Trend-Religion der Postmoderne in Europa etabliert. Hier geht es in erster Linie um persönliche, zum Teil wirklich beeindruckende Erfahrungen. Dabei werden unterschiedslos Methoden und Gedankenmodelle aller bekannten Religionen herangezogen, wenn sie praktikabel erscheinen. Wichtig ist für den esoterisch ausgerichteten Menschen, dass er etwas Spirituelles fühlt, empfindet, wahrnimmt. Die Echtheit der Erfahrung steht eindeutig über der Wahrheit ihres Inhalts. Religionen verkommen zu einem globalen religiösen Eintopf, der das irdische Leben schmackhafter gestalten soll.

Für Christen sollte dabei klar sein, dass Gott sich zu allen Zeiten Menschen mitgeteilt hat, wenn er das für nötig hielt. Immer wieder griff er durch Wunder und Erscheinungen in die irdische Welt ein, auch ohne sich an die Gesetze der Naturwissenschaft gebunden zu fühlen. Nie aber ließ sich Gott durch religiöse Methoden zum Handeln zwingen. Nie sah er im religiösen Erlebnis selbst das eigentliche Ziel seines Handelns. Postmoderne Menschen wollen, wie Augustinus es ausdrückt, „Gott gebrauchen, um die Welt zu genießen”. In der Bibel aber geht es weit mehr darum, dass Gott groß herauskommt, dass durch die Weltgeschichte und das Leben des einzelnen Menschen vor dem ganzen Universum Gott präsentiert und verherrlicht wird.

Immer häufiger suchen Christen heute nach Mitteilungen Gottes jenseits der ausgetretenen Pfade. Angeregt durch esoterische und fremdreligiöse Praktiken wollen sie Gottes Stimme im Rauschen des Windes, im Flackern der Kerze, in nächtlichen Träumen oder den freien Assoziationen während meditativer Übungen vernehmen. In einer kalten und weitgehend orientierungslosen Zeit ist diese Sehnsucht durchaus verständlich, aber eben auch gefährlich. Nicht nur, dass sich falsche Stimmen unter das vorgebliche „Reden Gottes” mischen können, auch führt diese Praxis Christen in eine religiöse Abhängigkeit von kurzlebigen Gefühlen und Erlebnissen. Fast nie findet eine ernsthafte Kontrolle „prophetischer Äußerungen”, „hörenden Gebets” oder „geisterfüllter Zungenrede” statt. Niemand kann sicher sagen, wer da wirklich redet und aus welchem Interesse.

Doch Gott hat sich in der Bibel ein für alle Mal klar und deutlich ausgedrückt. Wenn Christen der Ansicht sind, dass sie ganz exklusiv die Stimme Gottes hören, stehen dahinter häufig nichts anderes als Machtinteresse und Geltungssucht. In einer maßlosen Selbstüberschätzung meinen heute viele Christen, jede innere oder äußere Stimme stamme von Gott. Vielfach hat man verlernt, seine eigenen Hoffnungen, Wünsche, Ängste, Sympathien und Assoziationen von Gottes Reden zu unterscheiden. Damit werden die eindeutigen Aussagen Gottes in der Bibel entwertet, weil ihre Glaubwürdigkeit auf dieselbe Stufe gestellt wird wie die Spekulation offenbarungshungriger Christen.

Der Wunsch, einen heißen Draht direkt zu Gott zu haben, ist mehr als verständlich. Doch sollte es zu denken geben, wenn eine solche Informationsdichte von vorgeblichen Mitteilungen Gottes nicht einmal zu biblischen Zeiten Realität war. Es verwundert Christen heute viel zu selten, wenn es beim vermeintlich „sicheren Reden Gottes” regelmäßig zu skurrilen und auch widersprüchlichen Äußerungen kommt. Noch seltsamer ist, dass kaum jemand über die Menge an nachweislich falschem, häufig lediglich wunschgeleitetem „Reden Gottes” irritiert wird. Stattdessen werden frühere „Offenbarungen” oftmals lediglich vergessen oder verdrängt, um sich für weitere übernatürliche Nachrichten aus der jenseitigen Welt zu öffnen.

In der Bibel haben selbst die großen Propheten und Apostel relativ selten direkte Mitteilungen Gottes erhalten. Und wenn, handelte es sich gewöhnlich nicht um private Entscheidungshilfen, sondern um Wegweisungen für das ganze Volk Israel oder die gesamte Gemeinde. Richtete sich Gott an Einzelpersonen, waren das entweder Repräsentanten der angesprochenen Gruppe oder Gott wollte sie als Zeichen für das Volk / die Gemeinde benutzen. Zu allen Zeiten aber sprach und spricht Gott durch die Bibel, sein Wort, an die Menschen, absolut wahrhaftig, wenn auch nicht immer leicht verständlich.

„Alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Zurechtweisung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, dass der Mensch Gottes vollkommen sei, zu allem guten Werk geschickt.” (2Tim 3,16-17 LUT)

Michael Kotsch

Wort oder Bild, Glauben oder Schauen?

In diesem Buch werden Phänomene aus der evangelikalen Welt behandelt, die vor vielleicht zwanzig bis dreißig Jahren noch als undenkbar galten. Die Auszüge aus Predigten, Vorträgen und Büchern bekannter und heute etablierter Persönlichkeiten üben bei vielen Christen eine Faszination aus, die vielerorts auch zu Verwirrungen und Spaltungen führt. Es geht dabei nicht um Randerscheinungen oder unbedeutende Themen, sondern um einflussreiche Prägungen auf Christen, die sich dem evangelikalen und reformatorischen Glauben verbunden fühlen. Die Persönlichkeiten, die hier zu Wort kommen, verbuchen einen immer größer werdenden Erfolg, eine stetig wachsende Popularität sowie einen enormen und vieles verändernden Einfluss.

Nichts bleibt mehr wie es war – das gilt nicht nur für die Veränderungen im Zeitalter der Globalisierung, sondern auch für Lehre und Leben in der christlichen Gemeinde. Diejenigen, die sich allen neuen Trends und Wellen zum Trotz weiterhin an der Bibel orientieren wollen, sind sehr herausgefordert. Im Zeitalter der sogenannten Postmoderne gilt: Wahr ist, was ich erleben kann. Die Erkenntnisseite des Glaubens weicht der Erfahrungsseite. Spüren ist „in”. Gefragt ist Schauen statt Glauben. Schauen geht einfacher und direkter, Glauben erfordert etwas:

„Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, eine Überzeugung von Tatsachen, die man nicht sieht.” (Hebr 11,1)

Christen wissen also, was Glauben ist. Sie wissen auch, was Wahrheit ist:

„Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater als nur durch mich!” (Joh 14,6)

„Dein Wort ist Wahrheit.” (Joh 17,17b)

In Jesus Christus ist die Wahrheit eine Person. Er selbst ist das lebendige Wort Gottes, das den Menschen offenbart wurde. Gottes Wort ist ebenso Wahrheit. Da jedoch in der Postmoderne die Wahrheit nicht rational bzw. verstandesmäßig erfasst wird, gilt eine neue Reihenfolge: Zuerst erleben, dann erklären.

Die Bibel offenbart mehrfach einen Widerspruch zwischen Glauben und Schauen. Das äußert sich zum Beispiel, als der auferstandene Herr Jesus seinen Jüngern erscheint.

Thomas macht ein vorbildliches Bekenntnis:

„Und Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott!” (Joh 20,28)

Der zunächst zweifelnde Thomas hatte begriffen, dass der Auferstandene wirklich der Sohn Gottes ist. Er musste es aber erst selber „ertasten”, also „sinnlich spüren”. Von daher schränkt der auferstandene Herr den Wert dieses wahren Bekenntnisses gewissermaßen ein:

„Jesus spricht zu ihm: Thomas, du glaubst, weil du mich gesehen hast; glückselig sind, die nicht sehen und doch glauben!” (Joh 20,29)

Der Glaube hat echten und länger anhaltenden Bestand, wenn er unabhängig ist von den menschlich-irdischen Sinnen.

Schließlich stellt der Apostel Johannes das Ziel mit seinem Evangelium heraus:

„Noch viele andere Zeichen tat Jesus nun vor seinen Jüngern, die in diesem Buch nicht geschrieben sind. Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus, der Sohn Gottes ist, und damit ihr durch den Glauben Leben habt in seinem Namen.” (Joh 20,30-31)

Hier wird deutlich, dass die Leser des Evangeliums zum Glauben kommen sollen. Dieser Glaube gründet sich jedoch nicht auf ein Nachspüren dessen, was zum Beispiel Thomas erleben konnte, sondern auf das, was geschrieben ist. Biblischer Glaube entsteht nicht aufgrund eines sinnlichen Erlebnisses, sondern aufgrund des Verstehens des Wortes. Demnach kann der Glaubende sich nicht auf ein Gefühl berufen, sondern auf das, was er verstehen konnte. Das durch die Heilige Schrift Offenbarte soll verstanden und nicht gefühlt werden. Das Geschriebene wird gelesen und spricht zuerst den Verstand an. Dort bleibt es natürlich nicht allein, sondern soll auch von ganzem Herzen geglaubt und gelebt werden. Andernfalls bliebe es bei einem bloßen Fürwahrhalten von dem, was geschrieben ist. Es ist also eine geschriebene Botschaft, durch die Glauben entsteht. Der Apostel Petrus verdeutlicht, dass echter Glaube unabhängig ist vom Sehen, also vom sinnlichen Betrachten:

„Ihn liebt ihr, obgleich ihr ihn nicht gesehen habt; an ihn glaubt ihr, obgleich ihr ihn jetzt nicht seht.” (1Petr 1,8a)

Die Leser des Petrusbriefes sind bei Jesu irdischem Wirken nicht dabei gewesen und haben seine Taten auch nicht erlebt. Von seinen Wunderwirkungen und persönlichen Begegnungen konnten sie ausschließlich hören bzw. lesen. Auch der Apostel Paulus erklärt, was biblischer Glaube ist und stellt dem das Sinnliche entgegen:

„Denn wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen.” (2Kor 5,7)

Der Glaubende lebt also nicht unmittelbar mit seinem Gott, sondern mittelbar. Das Wort Gottes ist das Mittel, um glauben zu können. Gottes Heilshandeln ist niedergeschrieben, „damit ihr glaubt”, wie der Apostel Johannes seinen Lesern schreibt. Christen sind in ihrem irdischen Leben noch nicht am Ziel, dass sie Gottes Gegenwart und Herrlichkeit bereits sehen, schauen und unmittelbar erleben. Sie leben im Glauben an Wirklichkeiten, „die man nicht sieht” gemäß Hebr 11,1. Und sie leben in der Hoffnung auf das Ziel, das sie ebenfalls noch nicht sehen.

Was man als Christ an Geistlichem jetzt schon sieht oder zu sehen meint, kann zum geistlichen Problem werden, wenn es an die Stelle von Gott gesetzt wird oder wenn es Gottes Wort widerspricht.

Der Apostel Johannes stellt einen Gegensatz heraus zwischen dem Willen Gottes oder auch Reich Gottes und der gefallenen Welt, zwischen Geistlichem und Sichtbarem. Es hat schließlich Konsequenzen, wenn man sich von dem einen oder anderen leiten und bestimmen lässt:

„Denn alles, was in der Welt ist, die Fleischeslust, die Augenlust und der Hochmut des Lebens, ist nicht von dem Vater, sondern von der Welt.” (1Joh 2,16)

Bei der Betonung bzw. Überbetonung des Sinnlichen ist Vorsicht geboten. Es hat keinen Bestand und ist vergänglich. Gottes Wort ist dagegen unvergänglich. Sich an dem Geistlichen, dem Unsichtbaren zu halten, was von Gott kommt, hat Ewigkeitswert:

„Und die Welt vergeht und ihre Lust; wer aber den Willen Gottes tut, der bleibt in Ewigkeit.” (1Joh 2,17)

Die Lust am Irdischen, Weltlichen und Materiellen „ist nicht von dem Vater”, schreibt der Apostel Johannes. Er stellt dem Weltlichen den Willen Gottes gegenüber. Wer sich um eigenes Wohlergehen bemüht und danach strebt das eigene Leben zu genießen, ist demnach weltlich und nicht geistlich gesinnt. Johannes warnt im Umkehrschluss sogar davor, dass derjenige nicht in Ewigkeit bei Gott bleibt. Seine Aufmerksamkeit auf das Irdische zu lenken, was schließlich vom Himmlischen ablenkt und wegbringt, ist ein Mittel der Verführung. Die Konsequenzen sind deutlich in einigen biblischen Berichten zu sehen. Wo begann die Augenlust und die Sehnsucht nach Sinnlichem und Sichtbarem? Beim Sündenfall zählte das Sichtbare mehr als das Wort Gottes:

„Und die Frau sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre, und dass er eine Lust für die Augen und ein begehrenswerter Baum wäre, weil er weise macht.” (Gen 3,6a)

Die Übertretung eines Gebotes wegen etwas Sichtbarem hatte den geistlichen Tod zur Folge und negative Auswirkungen auf die ganze Welt.

Ein weiteres Beispiel, wie das Schauen dem Glauben und das Sichtbare dem Göttlichen vorgezogen wurde, ist der Tanz um das goldene Kalb. Dieser Bericht offenbart insgesamt zwölf negative Kennzeichen des Volkes Gottes, die auch für die heutige Zeit lehrreich sind und sehr zu denken geben. Mose, der Anführer des Volkes Gottes, war insgesamt 40 Tage auf dem Berg Sinai. Das Volk Israel hatte Gott mehrfach übernatürlich erlebt, sie waren von Mose klar belehrt worden:

„Mose aber sprach zum Volk: Fürchtet euch nicht, denn Gott ist gekommen, euch zu versuchen, damit ihr’s vor Augen habt, wie er zu fürchten sei, und ihr nicht sündigt.” (Ex 20,20 LUT)

Sie wussten, was Gottes Wille ist und auch, wie Sünde zu vermeiden ist. Aber das Volk Gottes war

1. ungeduldig:

„Als aber das Volk sah, dass Mose lange nicht von dem Berg herabkam, da sammelte sich das Volk um Aaron und sprach zu ihm: Auf, mache uns Götter, die uns vorangehen sollen!” (Ex 32,1a)

„Auf, mache uns was!” – Das Volk Gottes überlegte nicht in Ruhe, was von Gottes Weisungen her zu tun ist, sondern trat ungeduldig selbst in Aktion. Eine Belehrung im Neuen Testament lautet:

„Geduld aber habt ihr nötig, damit ihr den Willen Gottes tut und das Verheißene empfangt.” (Hebr 10,36 LUT)

Das Volk Gottes war

2. unwissend:

Sie wollten „Götter, die uns vorangehen”. Sie hatten scheinbar Gottes Weisungen, die sie gelernt hatten, völlig vergessen. Und auch Mose selbst, der ihnen voranging, sollte jetzt einfach ersetzt werden.

Bei diesen eigenen Überlegungen waren sie auch

3. unabhängig:

Sie machten ihr Eigenes und nicht das, was Gott anordnete oder ihnen von Gott bekannt war.

Das Volk Gottes war

4. ungläubig:

Sie zweifelten, anstatt Vertrauen zu haben:

„Denn wir wissen nicht, was mit diesem Mann Mose geschehen ist, der uns aus dem Land Ägypten heraufgeführt hat.” (Ex 32,1b)

Ihr Unwissen nahmen sie als Begründung für ihren Götzendienst.

Im Neuen Testament werden die Christen in Beröa als Vorbild erwähnt, da sie täglich in Gottes Wort gelesen haben, um zu wissen was richtig ist:

„Diese aber waren edler gesinnt als die in Thessalonich und nahmen das Wort mit aller Bereitwilligkeit auf; und sie forschten täglich in der Schrift, ob es sich so verhalte.” (Apg 17,11)

In diesem Teilvers fällt auf, dass das Volk auch abfällig oder zumindest distanziert von ihrem Anführer spricht, den es bisher noch geehrt und respektiert hat. Sie sprachen von „diesem Mann Mose” und sind daher

5. respektlos.

Dann tritt Aaron, der Stellvertreter Moses, in Aktion:

„Da sprach Aaron zu ihnen: Reißt die goldenen Ohrringe ab, die an den Ohren eurer Frauen, eurer Söhne und eurer Töchter sind, und bringt sie zu mir!” (Ex 32,2)

Das Volk Gottes bzw. Aaron ist hier

6. unweise:

Aaron handelt verantwortungslos. Da ist kein Überdenken des Drängelns, das vom Volk ausgeht oder Nachsinnen über die Situation. Aaron war nicht so standhaft und kompromisslos wie Mose. Er regierte nicht mit göttlichen Regeln, sondern reagierte nur noch auf menschliche Wünsche. Er reagierte unweise. Ein Rat im Neuen Testament lautet:

„Wenn es aber jemand unter euch an Weisheit mangelt, so erbitte er sie von Gott, der allen gern und ohne Vorwurf gibt, so wird sie ihm gegeben werden.” (Jak 1,5)

Was tut nun das Volk?

„Da riss sich das ganze Volk die goldenen Ohrringe ab, die an ihren Ohren waren, und sie brachten sie zu Aaron.” (Ex 32,3)

Es waren nicht nur die Frauen und Kinder, die Aarons Aufruf folgten, auch die Männer machten mit, da es heißt: „das ganze Volk”. Der Ohrschmuck war scheinbar in der ägyptischen Sklaverei auch bei den Männern üblich.

Das Volk Gottes war

7. unzufrieden:

Sie waren unzufrieden mit dem Unsichtbaren. Sie wollten nicht nur glauben, sondern schauen. Das gegossene Kalb wurde für sie ein sichtbarer Gott.

„Und er nahm es aus ihrer Hand entgegen und bildete es mit dem Meißel und machte ein gegossenes Kalb.” (Ex 32,4a)

Aaron wollte wohl kein Götzenbild schaffen, das man anbetet. Sonst, so könnte man annehmen, wäre er hinterher auch getötet worden.

Weiter heißt es:

„Da sprachen sie: Das sind eure Götter, Israel, die dich aus dem Land Ägypten heraufgeführt haben!” (Ex 32,4b)

Das Volk wollte ein sichtbares Zeichen der Gegenwart Gottes. Und das war schlicht und einfach falsch. Wahrscheinlich kannten sie so ein geschnitztes und mit Gold überzogenes Stierbild noch aus Ägypten.

Im Neuen Testament erklärt der Apostel Paulus, welcher Segen von Gott kommt. Es ist – vor allem im Neuen Bund – in erster Linie ein geistlicher, also ein unsichtbarer Segen und kein materieller, sichtbarer Segen:

„Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit jedem geistlichen Segen in den himmlischen [Regionen] in Christus.” (Eph 1,3)

Diesem Segen glaubt man und vertraut ihm, auch wenn man ihn nicht sieht. Hier sei noch einmal an die Aussage Jesu bei der Begegnung mit dem zweifelnden Thomas erinnert:

„Glückselig sind, die nicht sehen und doch glauben!” (Joh 20,29b)

Das Volk Gottes war

8. ungeistlich:

Mit seinem ganzen Handeln zeigt das Volk Gottes, dass es eigenen Wünschen und Ideen nachgeht. Dadurch, dass Gottes Wort keine Bedeutung für das Volk hat, verhält es sich ungeistlich und gesetzlos. Mit dem Ruf nach dem goldenen Kalb verstößt es gleich gegen das erste, das zweite und das dritte Gebot zusammen:

„Du sollst keine anderen Götter neben mir haben!” (Ex 20,3)

„Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen.” (Ex 20,4a)

„Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen!” (Ex 20,7a)

Das Volk hat sich einen anderen Gott geschaffen, sich davon ein Bild gemacht und dieses Götzenbild mit dem Namen Gottes verbunden, was im nächsten Vers deutlich wird:

„Als Aaron das sah, baute er einen Altar vor ihm und ließ ausrufen und sprach: Morgen ist ein Fest für den Herrn!” (Ex 32,5)

Dies offenbart das nächste Kennzeichen. Das Volk Gottes war

9. ungehorsam:

Es missachtete die Zehn Gebote, die ihnen zwölf Kapitel zuvor schon bekannt waren. Den ersten drei Geboten gegenüber war das Volk Gottes ungehorsam und verhielt sich mit seinem Fest pragmatisch und zweckmäßig. Aaron hatte es wohl gut gemeint mit dem Altarbau und der Ankündigung des „Festes für den Herrn”, aber es war ein falscher Kompromiss, Götzendienst mit Gottesdienst zu verbinden.

Mit dem Fest selbst offenbart sich das nächste Kennzeichen. Das Volk Gottes war

10. unbesonnen:

„Da standen sie am Morgen früh auf und opferten Brandopfer und brachten dazu Friedensopfer; und das Volk setzte sich nieder, um zu essen und zu trinken, und sie standen auf, um sich zu belustigen.” (Ex 32,6)

Zu diesem Belustigen gehörten Geschrei, Jauchzen und Reigentänze:

„Als nun Josua das Geschrei des Volkes hörte, das jauchzte, sprach er zu Mose: Es ist ein Kriegsgeschrei im Lager! Er aber antwortete: Das klingt nicht wie Siegesgeschrei oder wie Geschrei der Niederlage, sondern ich höre einen Wechselgesang! Es geschah aber, als er nahe zum Lager kam und das Kalb und die Reigentänze sah, da entbrannte Moses Zorn, und er warf die Tafeln weg und zerschmetterte sie unten am Berg.” (Ex 32,17-19)

Der Apostel Paulus ermahnt zur Nüchternheit:

„Lasst euch nicht irreführen: Schlechter Umgang verdirbt gute Sitten! Werdet doch wirklich nüchtern und sündigt nicht! Denn etliche haben keine Erkenntnis Gottes; das sage ich euch zur Beschämung.” (1Kor 15,33-34)

Wie ist nun Gottes Reaktion?

„Da sprach der Herr zu Mose: Geh, steige hinab; denn dein Volk, das du aus dem Land Ägypten heraufgeführt hast, hat Verderben angerichtet!” (Ex 32,7)

Gott spricht zu Mose distanziert über Israel als „dein Volk”. Er sah es nicht mehr als sein Volk. Das ist eine erschreckende Feststellung, dass Gott sich von seinem Volk abwenden muss. Gott erkennt auch im Handeln des Volkes nichts anderes als Sünde:

„Sie sind schnell abgewichen von dem Weg, den ich ihnen geboten habe; sie haben sich ein gegossenes Kalb gemacht und haben es angebetet und ihm geopfert und gesagt: Das sind eure Götter, Israel, die dich aus dem Land Ägypten heraufgeführt haben!” (Ex 32,8)

Doch die negativen Kennzeichen gehen noch weiter. Das Volk Gottes bzw. Aaron ist

11. unwahrhaftig:

Aaron wird von Mose zur Rede gestellt:

„Zu Aaron aber sprach Mose: Was hat dir dieses Volk angetan, dass du eine so große Sünde über sie gebracht hast?” (Ex 32,21)

Aaron beschreibt die Situation und versucht dann, sich als Unbeteiligter reinzuwaschen:

„Da sprach ich zu ihnen: Wer Gold hat, der reiße es ab! Da gaben sie mir’s, und ich warf es ins Feuer; daraus ist dieses Kalb geworden!” (Ex 32,24)

Aaron will Mose weismachen, das Kalb sei ganz von selbst entstanden. Er handelt damit unwahrhaftig.

Die ganze Aktion brachte dem Volk Israel sogar Spott bei ihren benachbarten Feinden ein. Die Abkehr vom Glauben zum Schauen, vom Wort zum Bild durch Sinnfreuden und Götzendienst hatte auch negative Auswirkungen auf die Umgebung:

„Als nun Mose sah, dass das Volk zügellos geworden war — denn Aaron hatte ihm die Zügel schießen lassen, seinen Widersachern zum Spott.” (Ex 32,25)

Mose agiert schließlich mit entschiedener Konsequenz:

„Da stellte sich Mose im Tor des Lagers auf und sprach: Her zu mir, wer dem Herrn angehört! Da sammelten sich zu ihm alle Söhne Levis.” (Ex 32,26)

Diesen Aufruf „Her zu mir!” konnten alle Beteiligten, die schuldig geworden waren, hören. Alle könnten nun umkehren. Aber es handelt nur der Stamm Levi. Wahrscheinlich waren die Leviten beim Tanz um das goldene Kalb und der Belustigung auch dabei, sie haben dies aber bereut. Von den anderen Stämmen kam jedoch keiner. Dies offenbart das letzte Kennzeichen. Das Volk Gottes war

12. uneinsichtig:

Bis auf einen Stamm hat das Volk Israel seine Schuld nicht erkannt, eingesehen und bereut. Die Chance war da, aber der Großteil blieb unbußfertig. Dieser Abfall vom Glauben, ohne die Möglichkeit der Umkehr zu ergreifen, endete schließlich im Tod. Dieser Abfall begann durch den Ersatz vom Wort zum Bild, vom vertrauensvollen Glauben zum sinnlichen Erleben.

Was bedeutet das für uns heute? Damals gab es Ungeduld beim Warten auf Mose, heute beim Warten auf Christus. Das Volk Gottes zeigte Kennzeichen des Abfalls, je länger sie auf Moses Wiederkunft warteten. Heute fallen im Volk Gottes ebenfalls Kennzeichen des Abfalls auf, je länger es auf Jesu Wiederkunft wartet.

Wenn man die Entwicklung bei christlichen Büchern und Zeitschriften sieht und auch die Texte neuer christlicher Lieder mit älteren vergleicht, fällt zumindest eine Tendenz auf: Wir erleben heute eine Veränderung vom Wort-Christentum zum sinnlichen Christentum, vom Denken und Bekennen zum Fühlen und Spüren, vom Wort zum Bild. Auch das Gottesbild scheint sich zu ändern. Während früher meistens noch ehrfurchts- und respektvoll „Herr Jesus” gesagt wurde, rutscht der Herr vermehrt auf eine menschliche Ebene als Kumpel, Partner, Liebhaber und Kuschelgott. Das erinnert an das zweite Kennzeichen „respektlos”, bei dem Israel eher distanziert und abfällig von „diesem Mann Mose” sprach.

Zwei kurze Beispiele zur Wirkung von modernen Lobpreisliedern verdeutlichen die Sehnsucht nach Fühlen und Spüren:

Ein junger Mann berichtet nach einem schwierigen Tag: „Ich bin so down; ich brauche jetzt erst mal Anbetung!” Er erwartet einen neuen „Kick”, eine Euphorie, um sich selber aufzupeppen. Ein weiblicher Teenager aus einer freien Brüdergemeinde wurde zu den Dillenburger Jugendtagen eingeladen. Sie bejahte ihre Teilnahme mit den Worten: „Ich will Worship!” Der Schwerpunkt dieser Aussage liegt auf dem „Ich”. Warum? Weil mir das gut tut. Durch die tiefe, aufwühlende, als schön und befreiend erlebte Gefühlsreaktion glaubt man, endlich ein gewisses Etwas gefunden zu haben, eine Erfrischung, Erneuerung, neue Kraft. Das normale Christsein erscheint schal, bieder und langweilig – ein „Knäckebrot-Christsein”, trocken und farblos. Durch Lobpreislieder will man sich aufladen. Wenn jedoch die Stimmung und der Rhythmus mehr im Vordergrund stehen als der Text, besteht die Gefahr, dass Seelisches mit Geistlichem verwechselt wird. Im Neuen Testament gibt es kein Beispiel für seelische Stimulation. „Richtige” Anbetung geschieht im Geist und in der Wahrheit. Falsche Anbetung geschieht in Schwärmerei und Heuchelei. Im Gespräch mit der Frau am Jakobsbrunnen (Joh 4,21-24) unterscheidet der Herr Jesus zwischen Anbetung im Alten und im Neuen Bund und hebt die alte Anbetungsform sozusagen auf. Diese war bekannt mit Rhythmusinstrumenten und Reigentänzen, also auch körperlich, während die neue „wahre Anbetung” in Geist und Wahrheit geschieht.

Eine interessante Stelle verdeutlicht, wann das Singen geboten ist:

„Leidet jemand von euch Unrecht? Er soll beten! Ist jemand guten Mutes? Er soll Psalmen singen!” (Jak 5,13)

Die Anweisung lautet also nicht: „Ist jemand schlecht drauf, dann soll er Musik hören, um in gute Stimmung zu kommen.” Abhilfe gegen schlechte Stimmung soll im Gebet beim Herrn gesucht werden; froher Gesang ist hingegen ein Ausdruck innerlich bereits vorhandener Freude. Man muss es wohl so deutlich sagen: Es ist Heuchelei, wenn man in erster Linie Lobpreis singt, weil es einem selbst gut tut. Echter Lobpreis führt immer zu Ehrfurcht und Respekt vor Gott. Er enthält Würde und Niveau, seine Texte sind inhaltsreich und haben geistlichen Tiefgang und Qualität.

Daher sollte man im eigenen Glaubensleben und auch in der Gemeinde auf geistliche Qualität achten, auf das, was seriöse, solide und tragfähige biblische Lehre ist. An mehreren Stellen sagt der Herr Jesus: „Wer an mich glaubt, der wird [...]” Dabei ist eines entscheidend:

„Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen.” (Joh 7,38 LUT)

Der echte Glaube orientiert sich an dem, was die Schrift sagt. Man kann auch an einen Jesus glauben, „wie der Zeitgeist sagt”. Das ist dann ein eigener, persönlicher Jesus, der aber in Wirklichkeit wohl eher ein vergoldetes Kalb ist. Es ist daher fatal, den Boden der Schrift zu vernachlässigen oder gar zu verlassen und der Versuchung zu erliegen, seine eigenen „Anbetungskälber” aufzustellen, weil sie vielleicht so schön sind. Gehaltvolle biblische Lehre mit Tiefgang sollte in der Gemeinde beachtet und gefördert werden. Es kommt nämlich nicht nur auf das „Was”, sondern auch auf das „Wie” an. Jeder Gläubige trägt Verantwortung, wie er an „Gottes Bau” mitbaut:

„Denn wir sind Gottes Mitarbeiter; ihr aber seid Gottes Ackerfeld und Gottes Bau. Gemäß der Gnade Gottes, die mir gegeben ist, habe ich als ein weiser Baumeister den Grund gelegt; ein anderer aber baut darauf. Jeder aber gebe acht, wie er darauf aufbaut.” (1Kor 3,9-10)

Hintergrundwissen aus Philosophie, Soziologie und Trendforschung

Wir leben in Zeiten epochaler Veränderungen, die sich immer schneller vollziehen, auch im christlichen Kontext. Auf der Titelseite der katholischen Zeitschrift „Christ in der Gegenwart” wird dieser Wandel mit einem ernüchternden Ergebnis festgestellt:

„Spaß haben, genießen, glücklich sein – das ist für die weitaus meisten Menschen der Sinn des Lebens. Das bestätigen immer wieder Umfragen. Sie belegen außerdem einen Gesinnungswandel: Vor vier Jahrzehnten wurden Religion und Gewissen noch weitaus häufiger genannt. Dass man ein gottgefälliges Leben führen, dass man tun wolle, was Gott von einem erwartet – solchen Aussagen stimmen allenfalls noch verschwindende Minderheiten zu. Heilig sein wollen ist ‚megaout’.”1

Johannes Röser (geb. 1956), der Chefredakteur der oben genannten Zeitschrift, stellte heraus, dass bei Jugendlichen der Glaube vom Lebensgefühl und der Jugendkultur abhängt:

„Das ‚Religiöse’ oder Quasi-Religiöse bildet sich in den Jugendszenen freilich nicht mehr ab in fixen Systemen oder Institutionen von Religion. Es äußert sich – wenn überhaupt – indirekt, versteckt, unscheinbar. Es ist als solches nicht leicht zu identifizieren. [...]”2

Der Soziologe Thomas Luckmann (geb. 1927) spricht hierbei von „einer unsichtbaren Religion”3, „die sich nicht mehr nur in der institutionalisierten Form von Kirchlichkeit manifestiert”4.

Religiöse Bedürfnisse bzw. die Sehnsucht nach Spiritualität verschwinden demnach nicht, sondern verlagern sich weg von Vorgaben in Bibel, Kirche oder Unterricht hin zu individualistischen Entdeckungen.

Röser zitiert den Religionspsychologen Heinz Streib (geb. 1951):

„‚Zum Kern der Religiosität gehört die Transzendierung des Alltags’, Anschauung und Gefühl, Sinn und Geschmack fürs Unendliche.”5

Der Mensch kann auf Religion nicht verzichten, macht sich aber mehr und mehr unabhängig von den erwähnten Vorgaben. Röser erklärt:

„Diese Schlüsselempfindungen sind nicht einfachhin auszulöschen. Gerade die Begrenztheit des Daseins stößt manche Ahnung an: ‚Das kann doch nicht alles sein.’ In der Religion wie in der individuellen Religiosität geht es ‚ums Ganze’. Viele Menschen verstehen sich allerdings nicht mehr als ‚religiös’. Trotzdem sagen sie: ‚Ich bin spirituell.’ Sogar ‚spirituelle Atheisten’ weist der soziologische Befund aus. Die traditionellen Einordnungen von Religiosität und Religion lösen sich auf. Religiosität zeigt sich immer weniger eingebettet in ‚etablierte’ Religion, so Streib: ‚Sie findet sich oft außerhalb.’”6

Der Religionspädagoge Manfred Pirner spricht daher von einer „Transzendenzoffenheit des Individuums”7.

Vor allem Jugendliche aber lassen sich nicht mehr „klassische Lehrauffassungen oder Sichtweisen überstülpen”8.

Röser beschreibt dieses Phänomen, das in diesem Kapitel noch als Kennzeichen der Postmoderne untersucht wird:

„Die offenen Suchbewegungen und fragmentarischen Antworten würden von den jungen Leuten nicht mehr als etwas Minderwertiges betrachtet, sondern als wahr, echt, authentisch.”9

Gemäß der postmodernen Maxime wird erst das für wahr gehalten, was sie selber durchdenken und erleben können und nicht, was von außen vorgegeben wird. Das Problem liegt auf der Hand, auch wenn Röser es nicht als Problem sieht:

„Fertige, selbstsichere Konzepte von Glauben wecken Misstrauen.”10

Auch in christlichen Gemeinden sind gewisse soziologische Beobachtungen auszumachen: Jugendliche sind nicht mehr so belastbar. Sie sind individualistisch und auf ihr eigenes Wohl bedacht. In den Gemeinden übernehmen immer weniger Männer echte Verantwortung. Die Vorbilder und „Leitwölfe” scheinen auszusterben. Und so wächst eine Generation von Unverbindlichen heran, deren Verbindlichkeit darin besteht, unverbindlich zu sein: „Komm’ ich heut’ nicht, komm’ ich morgen!” Neben der Gleichgültigkeit und dem Desinteresse wächst das Komsumdenken: „Was bringt mir das? Was habe ich davon?” Markus Spieker, ARD-Hauptstadtkorrespondent, greift eine Analyse der Zeitschrift „New Yorker” auf, die von der „verwöhnteste(n) Generation der Menschheit”11 spricht. Besorgt berichtet Spieker:

„Fatalerweise orientieren sich auch immer mehr kirchliche Angebote – vor allem in den Vereinigten Staaten – an den Bedürfnissen von Teenagern und solchen, die sich auch als Erwachsene noch so aufführen. Der Lobpreis muss vor allem ‚geil’ sein, die Predigten ‚cool’ oder ‚krass’, die Atmosphäre ‚chillig’. Der amerikanische Religionssoziologe Thomas Berger (Huntington-Universität) hat eine Studie über die ‚Juvenalisierung der amerikanischen Christenheit’ geschrieben. Er kommt zu dem Schluss, dass ein jugendlich-naives Christentum auf dem Vormarsch ist und dass viele heutige Christen davon ausgehen, dass Glauben ‚Spaß machen und Unterhaltung bieten muss’. [...]”12

In der evangelikalen Teenager-Zeitschrift „teensmag” berichtet eine Jugendliche unter der Überschrift „Sau rauslassen und worshippen”, wie sie mit ihren Freundinnen ihren Glauben lebt:

„Bei meinen Freunden kann ich so sein, wie ich bin. Sie sind ehrlich und total aufgedreht. Ab und zu veranstalten wir eine Spiel- und Fressparty nur für uns. Dort kann man so richtig die Sau rauslassen. Natürlich worshippen wir auch viel zusammen und erleben krasse Sachen mit Jesus. [...]”13

Im Artikel „Himmel trifft Erde” will „teensmag” den Teenagern helfen, Gottes Stimme zu hören, indem diese ihren „persönlichen Style”14 finden. Der eine erlebt Gott in der Natur, der andere „schnappt sich eben seine Bibel”15 und ein weiterer feiert gerne Parties. Und dann gibt es den „Fünf-Sinne-Genießer”16:

„Kim begegnet Gott am liebsten mit allen fünf Sinnen. Das kann ein leckeres Essen mit Freunden sein, denn bei dem wird sie voll dankbar, dass es ihr so gut geht. Oder beim Hören toller Musik, wenn sie durch ihr Zimmer tanzt. Oder wenn sie einen wunderschönen Sonnenuntergang sieht und die herrliche Sommerabendluft dabei einatmet. Einfach dann, wenn sie sich quietschlebendig fühlt. Dann hört sie Gottes Reden am meisten und hält alle Sinne auf Empfangsbereitschaft. [...]”17

Diese Beispiele verdeutlichen die Sehnsucht vieler Jugendlicher nach Echtheit, nach Praktischem, Erlebbbarem und Sinnlichem. Dabei sind Jugendliche in der postmodernen westlichen Welt zumeist eher enttäuscht statt glücklich. Der rationale Vernunftglaube habe sich als Illusion erwiesen. Das Eindimensionale sei gescheitert. Auf nichts ist mehr Verlass. Trotz wachsenden Fortschritts nehmen die Probleme nicht ab, sondern zu: Wirtschaftsund Finanzkrisen, Marktradikalismus mit Sozialabbau, Rationalisierungen mit Arbeitsplatzverlusten, erhöhter Arbeitsdruck durch Mobbing und Bossing, Lebensmittelvergiftungen, Ehescheidungen, Kirchenskandale usw. Die wachsende Enttäuschung führt zu einem Ruf nach mehr Recht auf Selbstbestimmung statt moralischer Fremdbestimmung, nach Selbstentfaltung statt Pflichtbewusstsein, nach Erlebnis- und Genusssucht statt Selbstbeherrschung. Mit dem postmodernen Motto „Suchen Sie keinen Sinn, sondern Geschmack” warb eine Zigarettenfirma und eine Gaststube.18

Hintergründe der Postmoderne

Auch im privaten Bereich nimmt die Unzufriedenheit nicht ab. Trotz der Vereinfachungen im Medien- und Informationszeitalter mit E-Mail, Chat, Smartphone, Internet und Einkaufsmöglichkeiten mit Erlebnischarakter nehmen Stress und Hektik zu. Der Wissenszugang ist explodiert, das Allgemeinwissen implodiert. Die Komplexität dieser Zugänge und Angebote verursacht eine Reizüberflutung. Das Überangebot erleichtert nicht und ist keine Hilfe. Man hat nicht das Vorrecht der Wahl, sondern die Qual der Wahl. Dies führt von einer Überfluss- zur Überdrussgesellschaft. Die schier unbegrenzten Erlebnismöglichkeiten auch in den Weltanschauungen und Glaubensgrundsätzen verstärken die Innenorientiertheit: „Was passt denn eigentlich noch zu mir?” Eine regelrechte Schwemme an unterschiedlichen Glaubensrichtungen erweckt den Eindruck von Beliebigkeit. Die Auswirkungen sind entsprechend: Man fühlt sich labil und abgestumpft. Man ist passiv und innerlich leer. Daher entsteht vermehrt die Suche nach einem transzendenten Ausgleich.

Der evangelische Theologe Peter Bubmann (geb. 1962) erklärt die Hintergründe und Ursachen der aufkommenden Erlebnisfrömmigkeit:

„Bekanntlich haben die Durchsetzung der Dialektischen Theologie sowie die Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Missbrauch quasireligiöser Erlebnisrituale dazu geführt, dass die Theologie des religiösen Erlebens (jedenfalls in der deutschsprachigen systematischen evangelischen Theologie) weithin in die Defensive geriet. Erst die neu gewachsene ökologische Sensibilität für die Gemeinschaft allen Lebens auf der Erde ab den 70er Jahren, die Aufbrüche zu ganzheitlicheren spirituellen Formen im Kontext von New Age-Bewegung und charismatischer Bewegung ab den 80er Jahren, schließlich die postmodernen Tendenzen zur vollständigen Ästhetisierung der (stark medial bestimmten) Lebenswelten in den 90er Jahren, haben die Theologie dazu genötigt, sich dem religiösen Erleben wieder stärker zuzuwenden. [...]”19

Es gibt also seit circa 1990 eine Renaissance der Transzendenz und Spiritualität. Die Enttäuschung der Fortschrittsversprechen in der Moderne brachte ein Versagen einzelner Glaubensvorstellungen und Weltanschauungen. In Deutschland scheint es seit 1945 eine Identitätskrise zu geben. Mit der Überwindung des Nationalsozialismus ging eine Enttraditionalisierung einher. Die daraus folgende Orientierungslosigkeit führte zur Individualisierung. Auch in der Philosophie gibt es individualistische Trends. Im Eudämonismus heißt es: Das gelingende oder schöne Leben als Ziel allen Strebens führt zum Glück.20 Und im Hedonismus gilt: Wertvoll ist Lust bzw. Freude und Vermeidung von Schmerz bzw. Leid.21 Allen Angeboten und Möglichkeiten zum Trotz macht sich Verunsicherung breit. „Dubito ergo sum.”, zu Deutsch: „Ich zweifle, also bin ich.” Diese Aussage ist nach dem Soziologen Ulrich Beck (geb. 1944) das Grundgefühl der Postmoderne.22

Was ist nun eigentlich die Postmoderne? Das lateinische Wort „post” bedeutet hinter bzw. nach. Es geht also um eine Zeitepoche nach der Moderne. Die Postmoderne gilt als „eine politisch-wissenschaftlich-künstlerische Richtung, die sich gegen bestimmte Institutionen, Methoden, Begriffe und Grundannahmen der Moderne wendet und diese aufzulösen und zu überwinden versucht”23.

Aufgelöst werden soll das Rationale, das Verstandesmäßige. In den Fokus rücken dagegen Erfahrungen, ein persönliches Fühlen und Spüren. Bewährte Grundsätze will man nicht mehr einfach nur übernehmen, sondern erleben und selber nachspüren. Die Folge wäre das Ende der Ideologien und Lehrsätze. Auch in der Theologie sind entsprechende Auswirkungen erkennbar: Dogmatik, Apologetik und Ethik, also das Lehrhafte, sind eher „out” und neue Formen ganzheitlicher, erlebnisreicher und sinnlicher Frömmigkeit und Events sind „in”. Dachte man in der Moderne noch eher dualistisch und diskutierte über objektive Wahrheiten, ist das Denken heute sehr vernetzt, integral und multiperspektivisch. In der Postmoderne wird über subjektive Erfahrungen nicht mehr gestritten. Da gibt es nichts mehr zu diskutieren oder mit theoretischen Vorgaben zu vergleichen. Es herrscht die Selbstlegitimation.

Der Philosoph Wolfgang Welsch (geb. 1946) bezeichnet „radikale Pluralität”24 als Hauptkennzeichen der Postmoderne. Er erklärt:

„Postmoderne Phänomene liegen dort vor, wo ein grundsätzlicher Pluralismus von Sprachen, Modellen und Verfahrensweisen praktiziert wird, und zwar nicht bloß in verschiedenen Werken nebeneinander, sondern in ein und demselben Werk.”25

Damit hat der postmoderne Mensch anzuerkennen, „dass es auch andere Wege, Modelle und Orientierungen von gleicher Legitimität gibt”26.

„Patchwork” nannte dies der Architekturtheoretiker Charles Jencks (geb. 1939), der beim Entwurf eines Hauses verschiedene Stilrichtungen miteinander verband.27 Zwischen Moderne und Postmoderne zeigen sich auch Gegensätze im Verständnis von Pluralismus. In der Moderne gab es noch einen praktischen Pluralismus, nämlich die Freiheit, eine andere Meinung zu haben.

In der Postmoderne dagegen zählt ein weltanschaulicher Pluralismus, nämlich die Freiheit, ein gleiches Maß an Wahrheit zuzugestehen. Demzufolge ist Wahrheit nicht mehr objektiv, da Entgegenstehendes dann ja unwahr wäre. Die Konsequenz: Wenn alle Wahrheiten gleich gültig sind, ist alles gleichgültig. Das ist ein absoluter Relativismus. Wahr ist dann eigentlich nur, dass es gar keine objektive Wahrheit gibt. Wenn Wahrheit von Wahrnehmung abhängt, hat jeder Mensch seine eigene Wahrheit. Und Wahrheiten gibt es dann so viel, wie es Menschen gibt. In der Moderne dagegen gab es noch eine Unterscheidung von Wahrheit und Irrtum durch die Vernunft.

Der Philosoph Jean-Francois Lyotard (1924-1998) definierte:

„‚Postmoderne’ bedeutet, dass man den Meta-Erzählungen keinen Glauben mehr schenkt.”28

Gemeint sind damit Aufklärung, Kritikfähigkeit, Fortschritt, Leistung und die Suche nach dem Wahren, Richtigen, Guten und Vernünftigen. Und wenn das alles nicht mehr zählt und aufhört, gilt das, was der Philosoph Paul Feyerabend (1924-1994) schlussfolgert: „Anything goes” – alles ist möglich.29 Dieses Buch galt bei seinem ersten Erscheinen 1970 als Angriff auf die etablierten Wissenschaften, auf das Zeitalter der Moderne und den Rationalismus mit seinem Sinn nach Objektivität, Klarheit und Nachprüfbarkeit.

In der Postmoderne vollzieht sich die Abkehr vom Objektiven, dem wissenschaftlich Fundierten und Nachgewiesenen, hin zum Subjektiven. Statt allgemeiner Fakten sind nunmehr eigene Erfahrungen, die selbst gemacht und beurteilt werden, der letztgültige Maßstab, weil er der eigene, innere Maßstab ist. Das Lebensgefühl, das sich dadurch entwickelt, hat eine Neigung zur Emotionalität, zum Fühlen und Spüren. In Glaubensfragen sind die neuen Werte persönliche Spiritualität mit Betonung von Ganzheitlichkeit, Harmonie, Romantik, Sanftheit und Zartheit.

„Gott 9.0” – Es gibt keinen feststehenden Glauben

Der evangelische Pfarrer und Bestsellerautor Werner Tiki Küstenmacher (geb. 1953) sieht in der postmodernen Entwicklung hin zum Unglauben und zur Beliebigkeit kein Problem. Im Gegenteil, er gratuliert allen Zweiflern mit folgenden Worten:

„[...] Glückwunsch! Wenn Sie nicht mehr an Gott glauben können, ist Ihnen nicht Ihr Glaube abhanden gekommen, sondern Ihr Bewusstsein hat sich weiterentwickelt!”30

In seinem Buch „Gott 9.0” teilt er verschiedene Arten zu glauben in farbliche Stufen ein, die sich an der Entwicklung der Menschheit vor 100.000 Jahren bis heute orientieren.31 Mittels eines Tests kann der Leser herausfinden, auf welcher Bewusstseinsstufe er selbst steht. Denkt er biblisch, befindet er sich in der einen Phase, nämlich blau, denkt er nicht biblisch, ist er eben in einer anderen Phase, zum Beispiel orange.

Küstenmacher spricht von „den drei Gesichtern Gottes”32.

Gott sei erfahrbar als „Naturhaftigkeit”, „Personhaftigkeit” und als „Geisthaftigkeit”.33

Die verschiedenen Religionen werden als gleichberechtigter Ausdruck der Erkenntnis von Gott bzw. Erfahrung mit Gott angesehen:

„‚Das 3-2-1-Gottes’-Modell hat großes Potenzial, die vielfältigen Gotteserfahrungen der großen Weltreligionen auf eine nonduale Weise zusammenzuhalten. Gleichzeitig kann dieses Modell Menschen in allen Religionen helfen, ihre eigenen Gotteserfahrungen besser einzuordnen. Alle drei Gesichter Gottes können auf allen Stufen erfahren werden, und für alle liegen mystische Zeugnisse in beeindruckender Zahl vor.”34

Die Autoren greifen die unterschiedlichen spirituellen Entwicklungen und Möglichkeiten auf und wollen helfen, den eigenen Weg zu finden. Dabei bleiben sie völlig undogmatisch und werten die unterschiedlichen Wege nicht. Jede spirituelle und sinnliche Erfahrung Gottes habe ihre Berechtigung. Der Leser erfährt, wo er spirituell steht. Welchen Weg er geht, bleibt jedem selbst überlassen. Im Leben sei der Glaube ohnehin ständigen Veränderungen unterworfen:

„Mit dem Modell von Gott 9.0 wollen wir zeigen, dass Glaube kein ein für allemal feststehendes Set von Überzeugungen ist. Glaube ist nicht statisch, sondern lebendiges Wachstum. Er lebt von immer neuen Wandlungen. [...]”35

Spiritualität statt Frömmigkeit

Der Begriff „Spiritualität” ersetzt vermehrt den Begriff „Frömmigkeit”. Er umfasst mittlerweile ein breites Spektrum von Christlichem über New Age und Aberglauben bis zu einer politischen Partei: „Die Violetten – für spirituelle Politik”.

Der katholische Theologe Josef Sudbrack (1925-2010) sieht in Spiritualität „das Herzwort der schwer fassbaren ‚Neuen Religiosität’: ‚Spirituelle Wege’ zielen auf innere Transformation mit Hilfe ‚spiritueller Techniken’ aus den Bereichen östlicher Meditation und westlicher Psychologie, häufig verbunden mit entsprechenden Vorstellungen (Reinkarnation und Karma) und Lebensweisen. Dogmatische Eindeutigkeit und institutionelle Bindung werden abgelehnt zugunsten einer ‚Bezogenheit auf das umgreifende eine Sein, das den Menschen als unfassbares Geistiges, Transmaterielles, Metaphysisches erscheint’ [...]”36

Bei einer interkulturellen Studie zweier Universitäten wurden 773 Deutsche und 1.113 US-Amerikaner befragt, was sie unter Spiritualität und Religiosität verstehen. Dabei wurde festgehalten:

„‚Ich bin eher spirituell als religiös’ – diesen Satz bejaht die Hälfte der Befragten. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie einer Kirche angehören oder nicht.”37

Weiter heißt es im Bericht:

„Auffällig ist den Forschern zufolge, dass der Begriff ‚Spiritualität’ auch von Personen für sich in Anspruch genommen wird, die noch nie einer Religionsgemeinschaft angehört haben oder aus Kirchen und Religionsgemeinschaften ausgetreten sind, darunter eine erstaunliche Minderheit, die sich ausdrücklich als Atheisten, Nontheisten, Agnostiker bezeichnen. [...]”38

Da Spiritualität umfangreicher, mehrdeutiger und damit verschwommener gefasst wird, fällt ein Bekenntnis leichter, spirituelle statt geistliche oder religiöse Bezüge zu haben. Weil der Begriff und die Identifikation geläufiger werden, bekannte sich auf dem 30. Deutschen Evangelischen Kirchentag 2005 in Hannover der damalige Bundespräsident Horst Köhler (geb. 1943) zur Evangelischen Kirche als „seine spirituelle Heimat”39.

Immer mehr spirituell Suchende kehren aber den beiden Großkirchen den Rücken, weil „ihr großer Hunger nach spiritueller Erfahrung dort keine Nahrung mehr fand [...]”40, wie Hartmut Meesmann, Leiter des Ressorts „Kirchen und Theologie” bei der Zeitschrift „Publik-Forum”, erklärt. Seine Begründung:

„Diese Menschen wollen nicht einfach nur vorformulierten Glaubenssätzen folgen, die für sie ohne wirkliches Leben geblieben sind. Sie finden, dass Dogmen eigene Erfahrungen eher verhindern als ermöglichen. Diese Suchenden wollen eigene religiöse Erfahrungen machen und mit dem Heiligen, dem großen Geheimnis, mit Gott in Berührung kommen. [...]”41

Der katholische Theologe und Zen-Lehrer Alexander Poraj (geb. 1964) versteht den Unmut derer, die aus den Kirchen ausgetreten sind:

„Entweder glauben sie an andere, in ihren Augen vielversprechendere Götter; oder sie müssen nicht mehr glauben, weil sie den zuvor geglaubten Inhalt endlich ‚geschmeckt’ haben oder schmecken möchten, und zwar hier und heute und nicht als jenseitige Belohnung eines moralisch einwandfrei geführten Lebens. Mit anderen Worten: Die Menschen konnten eine Gotteserfahrung machen oder wollen sie machen. Sie möchten ihren Glauben nicht mehr einfach nur glauben. [...]”42

Poraj bietet die Meditation als Lösung an, um Gott nicht mehr nur zu glauben, sondern unmittelbar zu erleben:

„Anstatt zu denken, gehen sie ins Spüren und Wahrnehmen dessen, was Ihnen Augenblick für Augenblick begegnet. [...]”43

Stille und Meditation sind für ihn „die wirkliche Nachfolge Jesu”:

„[...] Oder Sie befinden sich in einer Kirche: Lauschen Sie ganz bewusst der Stille, die Ihnen dort begegnet. Lassen Sie alle Gedanken, Vorstellungen, auch Gebete fallen, seien sie [sic!] ganz da! Es braucht Mut, den Glauben auf das Geglaubte hin zu durchschreiten und die wirkliche Nachfolge Jesu anzutreten, die eben nicht in seiner äußeren Nachahmung, sondern in der Erfahrung innerer Gleichheit mit ihm besteht.”44

Poraj wünscht sich, wir „ernähren uns von dem, was wirklich nährt”45.

Dort sei die Quelle wirklicher Spiritualität. Und „so werden wir zu Mystikerinnen und Mystikern”46.

Sinnlich erfahrbare Spiritualität ist für ihn lebendig und sättigend, alte Glaubensgrundsätze sind nur theoretisch und führten zum Verhungern und zum Tod.

Aus biblischer Sicht dagegen wird zwischen menschlicher und göttlicher Weisheit unterschieden:

„Und meine Rede und meine Verkündigung bestand nicht in überredenden Worten menschlicher Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft.” (1Kor 2,4)

„Die Worte, die ich zu euch rede, sind Geist und sind Leben.” (Joh 6,63b)