Staats- und Europarecht - Marc Röckinghausen - E-Book

Staats- und Europarecht E-Book

Marc Röckinghausen

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Beschreibung

Dieses Lehrbuch bietet eine in sich geschlossene, zusammenhängende Darstellung der Lehr- und Prüfungsinhalte des Staats- und Europarechts und eignet sich sowohl zum begleitenden Nacharbeiten der Lehrveranstaltungen als auch zur Prüfungsvorbereitung. Es ist orientiert an den Modulen der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) NRW. Mit seinem Inhalt entspricht es aber auch vielen vergleichbaren Studiengängen anderer Hochschulen und Universitäten.

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Staats- und Europarecht

von

Prof. Dr. Patrick Ernst Sensburg

Prof. Dr. Frank Bätge

Prof. Dr. Frank Braun

Prof. Dr. Uta Hildebrandt

Prof. Dr. Lars Oliver Michaelis

Prof. Dr. Marc Röckinghausenalle an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen (HSPV NRW)

3., überarbeitete Auflage

Deutscher Gemeindeverlag

3. Auflage 2023

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-555-02292-5

E-Book-Formate:

pdf:  ISBN 978-3-555-02293-2

epub:  ISBN 978-3-555-02294-9

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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Dieses Lehrbuch bietet eine in sich geschlossene, zusammenhängende Darstellung der Lehr- und Prüfungsinhalte des Staats- und Europarechts und eignet sich sowohl zum begleitenden Nacharbeiten der Lehrveranstaltungen - als auch zur Prüfungsvorbereitung. Es ist orientiert an den Modulen der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) NRW. Mit seinem Inhalt entspricht es aber auch vielen vergleichbaren Studiengängen anderer Hochschulen und Universitäten.

Prof. Dr. Frank Bätge, Prof. Dr. Frank Braun, Prof. Dr. Uta Hildebrandt, Prof. Dr. Lars Oliver Michaelis, Prof. Dr. Marc Röckinghausen, Prof. Dr. Patrick Ernst Sensburg, M.A. lehren an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen (HSPV NRW).

Vorwort zur 3. Auflage

Das Staats- und Europarecht ist Kernbereich jeder Beschäftigung mit dem deutschen Recht. Nur wenn fundierte Kenntnisse im Staats- und Europarecht vorliegen, lassen sich Grundlagen und Feinheiten anderer Rechtsgebiete verstehen und anwenden. Die gemeinsame Darstellung des Staats- und Europarechts lässt sowohl Gemeinsamkeiten wie auch Unterschiede deutlich erkennen. Zugleich wird das Verhältnis zu anderen Rechtsfächern und der Einfluss auf sie deutlich nachvollziehbarer.

Im vorliegenden Lehrbuch wird das Staatsrecht daher ganz klassisch von den verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen ausgehend, über das Staatsorganisationsrecht und die allgemeinen Grundrechtslehren bis hin zu den einzelnen Grundrechten detailliert erläutert. Die Darstellung der Verfassungsbeschwerde rundet den Staatsrechtsteil ab.

Aufgrund des inzwischen hohen Grades der europäischen Integration und der umfassenden Rechtssetzung durch die EU sind vertiefte Kenntnisse im Recht der Europäischen Union unentbehrlich. Dies zeigt sich nicht nur beim öffentlichen Recht, sondern auch im Zivilrecht oder Strafrecht. Nach der Darstellung des europäischen Integrationsprozesses sowie der Organe und Strukturen der EU werden schwerpunktmäßig das Gemeinschaftsrecht und die Grundfreiheiten erläutert.

Zahlreiche Fallbeispiele und Tipps für die Klausurbearbeitung veranschaulichen einprägsam die prüfungsrelevanten Inhalte und befähigen zu einer sicheren Einordnung des Lernstoffes in die praktische Fallbearbeitung. Mit der 3. Auflage erscheint das Lehrbuch nun in der Reihe Verwaltung in Praxis und Wissenschaft im Verlag Kohlhammer Deutscher Gemeindeverlag.

Das vorliegende Lehrbuch bietet eine in sich geschlossene, zusammenhängende Darstellung der Lehr- und Prüfungsinhalte des Staats- und Europarechts und eignet sich sowohl zum begleitenden Nacharbeiten der Lehrveranstaltungen – als auch zur Prüfungsvorbereitung. Es ist orientiert an den Modulen der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) NRW. Mit seinem Inhalt entspricht es aber auch vielen vergleichbaren Studiengängen anderer Hochschulen und Universitäten. Für Anregungen und Hinweise finden Sie die E-Mail-Adressen der Autoren unter den Hinweisen zu den Autoren.

Köln, im August 2023Patrick Ernst Sensburg

Zu den Autoren

Prof. Dr. Frank Bätge: Der Autor ist Professor an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW. Er ist zudem Mitglied des Landesjustizprüfungsamtes Nordrhein-Westfalen. Vor seiner Berufung zum Professor war er in leitender Funktion als Justiziar in der Kommunalverwaltung tätig.

E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. Frank Braun: Der Autor ist seit Februar 2010 zunächst als hauptamtlicher Dozent und sodann als Professor für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Eingriffsrecht an der Hochschule für öffentliche Verwaltung NRW tätig (Abteilungen Münster und Hagen). Im Nebenamt lehrt er IT-Recht an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Landshut. Aus seiner wissenschaftlichen Tätigkeit resultierten zahlreiche Veröffentlichungen, vor allem zu sicherheitsrechtlichen Themen im Schnittbereich von IT-, Datenschutz- und Verfassungsrecht.

E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. Uta Hildebrandt: Die Autorin studierte Rechtswissenschaften in Augsburg und Heidelberg und wurde 1999 mit einer Arbeit zu Verfassungsfragen des Religionsunterrichts an der Martin-Luther-Universität Halle/Saale promoviert. Nach kurzer Tätigkeit als Rechtsanwältin in Brüssel und Berlin wechselte sie 2001 in den Staatsdienst des Landes Berlin und war dort viele Jahre in verschiedenen Funktionen in der Senatskanzlei des Landes Berlin beschäftigt. Seit 2010 lehrt sie hauptamtlich an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW, Abteilung Köln, mit Schwerpunkten im Staats- und Verwaltungsrecht.

E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. Lars Oliver Michaelis: Der Autor lehrt seit 2012 Staats- und Europarecht sowie Beamtenrecht an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW. Zuvor war er Juniorprofessor für deutsches und europäisches Verwaltungsrecht an der FernUniversität in Hagen sowie von 2005 bis 2012 Leiter verschiedener Rechtsabteilungen und Rechtsbereiche der E.ON Ruhrgas AG in Essen. Seine Promotion erfolgte im Jahr 2000 zum Recht der Verfassungsschutzämter.

E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. Marc Röckinghausen: Der Autor war im Anschluss an sein Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Trier beim dortigen Institut für Umwelt- und Technikrecht als wissenschaftlicher Mitarbeiter (Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio) beschäftigt. 1998 wurde er mit einer Arbeit zum Europäischen Umweltrecht promoviert. Praktische Erfahrungen sammelte er als Rechtsdezernent beim Staatlichen Umweltamt Duisburg, bevor er 2004 an die Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW berufen wurde. Dort lehrt er neben dem Staats- und Europarecht Allgemeines Verwaltungsrecht sowie Umweltrecht.

E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. Patrick Ernst Sensburg, M.A: Der Autor ist Professor an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW und dort Studiengangsleiter des Master of Public Management (MPM). Seit 2016 ist er zugleich Gastprofessor an der Universität Wien und der Academia de Studii Economice din București. Von 2006 bis 2008 war er Professor für öffentliches Recht und Europarecht an der Hochschule des Bundes (HS Bund). Von 2009 bis 2021 war er Mitglied des Deutschen Bundestages und ist seit 2022 Mitglied der G10-Kommission des Deutschen Bundestages.

E-Mail: [email protected]

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur 3. Auflage

Zu den Autoren

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

1. KapitelVerfassungsrechtliche Grundentscheidungen

A.Begriff des Staatsrechts

B.Bedeutung und Wertgebundenheit des Grundgesetzes

C.Inhalt und Auslegung des Grundgesetzes

D.Vorgängerverfassungen und Entstehung des Grundgesetzes

I.Internationale Verfassungsentwicklung

II.Deutsche Verfassungsentwicklung

III.Abschnitte und Entwicklungstendenzen des Grundgesetzes

E.Allgemeine Staatslehre

I.Elemente eines Staates

II.Staatsgebiet, Staatsvolk, Staatsgewalt bezogen auf die BR Deutschland

F.Verfassungsrechtliche Grundentscheidungen

I.Verfassungsprinzipien

II.Staatszielbestimmungen

III.Freiheitlich demokratische Grundordnung

G.Demokratie

I.Begriff und normativer Ansatz

II.Formen der Demokratie

III.Konkretisierungen des grundgesetzlichen Demokratiebegriffs

H.Rechtsstellung der Parteien

I.Bedeutung für die Demokratie

II.Definition und Rechtsnatur

III.Demokratische Binnenstruktur

I.Rechtsstaat

I.Begriff und normativer Ansatz

II.Konkretisierungen des grundgesetzlichen Rechtsstaatsprinzips

J.Bundesstaat

I.Begriff, Funktion und normativer Ansatz

II.Bundesstaatliche Ordnung nach dem Grundgesetz

K.Sozialstaat

I.Normative Herleitung und Definition des Sozialstaatsprinzips

II.Ausprägungen des Sozialstaatsprinzips

L.Republik

I.Begriff

II.Rechtliche Bedeutung

2. KapitelStaatsorganisationsrecht

A.Verfassungsorgane

I.Der Bundestag

II.Der Bundesrat

III.Die Bundesregierung

IV.Der Bundespräsident

V.Das Bundesverfassungsgericht

B.Staatsfunktionen des Bundes

I.Gesetzgebung

II.Exekutive

III.Rechtsprechung

3. KapitelAllgemeine Grundrechtslehren

A.Die Geschichte der Grund- und Menschenrechte

B.Der Begriff der Grundrechte

C.Die Funktionen der Grundrechte

I.Die Grundrechte als subjektives Recht

II.Die Grundrechte als objektives Recht

D.Grundrechtsarten

I.Unterteilung nach dem Schutzgut: Freiheits-, Gleichheits- und Justizgrundrechte

II.Unterteilung der Grundrechte nach dem begünstigten Personenkreis: Menschen- und Bürgerrechte

E.Grundrechtsfähigkeit, Grundrechtsberechtigung und Grundrechtsmündigkeit

I.Grundrechtsfähigkeit und Grundrechtsberechtigung

II.Grundrechtsmündigkeit

F.Grundrechtsadressaten

I.Staatsgerichtetheit der Grundrechte

II.Drittwirkung der Grundrechte

G.Prüfung von Grundrechtsverletzungen

I.Verletzung von Freiheitsgrundrechten

II.Verletzung von Gleichheitsgrundrechten

4. KapitelDie einzelnen Grundrechte

A.Der Schutz der Menschenwürde

I.Überblick

II.Schutzbereich

III.Eingriff

IV.Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

B.Die allgemeine Handlungsfreiheit

I.Überblick

II.Schutzbereich

III.Eingriff

IV.Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

C.Das allgemeine Persönlichkeitsrecht

I.Überblick

II.Schutzbereich

III.Eingriff

IV.Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

D.Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit

I.Überblick

II.Schutzbereich

III.Eingriff

IV.Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

E.Die Freiheit der Person

I.Überblick

II.Schutzbereich

III.Eingriff

IV.Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

F.Die Glaubens- und Gewissensfreiheit

I.Überblick

II.Schutzbereich

III.Eingriff

IV.Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

G.Die Kommunikationsfreiheiten

I.Überblick

II.Schutzbereich

III.Eingriff

IV.Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

H.Die Freiheit der Kunst

I.Überblick

II.Schutzbereich

III.Eingriff

IV.Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

I.Die Freiheit der Wissenschaft

I.Überblick

II.Schutzbereich

III.Eingriff

IV.Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

J.Die Freizügigkeit

I.Überblick

II.Schutzbereich

III.Eingriff

IV.Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

K.Die Berufsfreiheit

I.Überblick

II.Schutzbereich

III.Eingriff

IV.Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

L.Die Unverletzlichkeit der Wohnung

I.Überblick

II.Schutzbereich

III.Eingriff

IV.Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

M.Eigentum und Erbrecht

I.Überblick

II.Schutzbereich

III.Eingriff

IV.Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

N.Das Gleichheitsgebot

I.Überblick

II.Prüfungsaufbau

III.Die speziellen Gleichheitsrechte

O.Übungsfall

5. KapitelDie Verfassungsbeschwerde

A.Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde

I.Beschwerdefähigkeit (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG)

II.Prozessfähigkeit

III.Beschwerdegegenstand (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG)

IV.Beschwerdebefugnis (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG)

V.Rechtswegerschöpfung und Subsidiarität (§ 90 Abs. 2 BVerfGG)

VI.Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis

VII.Form (§§ 23 Abs. 1, 92 BVerfGG)

VIII.Frist (§ 93 BVerfGG)

IX.Beispiel für eine Zulässigkeitsprüfung mit Lösung

B.Begründetheit

I.Prüfungsumfang bei der Urteilsverfassungsbeschwerde

II.Das Ergebnis

6. KapitelDer europäische Integrationsprozess

A.Die Gründung der europäischen Gemeinschaften

I.Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS)

II.Die gescheiterte Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG)

III.Die Europäische Atomgemeinschaft (EAG)

IV.Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG)

V.Die Bildung der Europäischen Freihandelszone (EFTA)

VI.Die einheitliche Europäische Akte (EEA)

B.Die Entwicklung der Europäischen Union

I.Der Vertrag von Maastricht

II.Der Amsterdamer Vertrag

III.Der Vertrag von Nizza

IV.Der Vertrag über eine Verfassung für Europa

V.Der Vertrag von Lissabon

C.Rechtscharakter und Supranationalität

I.Die Rechtsnatur der EU

II.Die Kompetenzverteilung und die Subsidiaritätskontrolle

7. KapitelDie Organe und Struktur der EU

A.Die Organe der Europäischen Union

I.Das Europäische Parlament – Art. 14 EUV und Art. 223–234 AEUV

II.Der Europäische Rat – Art. 15 EUV und Art. 235, 236 AEUV

III.Der Rat – Art. 16 EUV und Art. 237–243 AEUV

IV.Die Kommission – Art. 17 EUV und Art. 240–250 AEUV

V.Die europäischen Gerichte – Art. 19 EUV, Art. 251–281 AEUV

VI.Die Europäische Zentralbank – Art. 283–284 AEUV

VII.Der Rechnungshof – Art. 285–287 AEUV

VIII.Die beiden Nebenorgane

IX.Sonstige Institutionen

X.Andere europäische Organisationen außerhalb der EU

B.Die Gerichtsverfahren in der EU

I.Das Vertragsverletzungsverfahren gem. Art. 258 und 259 AEUV

II.Die Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 AEUV

III.Das Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 267 AEUV

8. KapitelEuropäisches Gemeinschaftsrecht

A.Das Primärrecht einschließlich der Grundrechte

I.Die Rechtsquellen des Primärrechts

II.Die unmittelbare Anwendbarkeit des Primärrechts

III.Grundrechte im Unionsrecht

B.Das Sekundärrecht

I.Die Verordnungen – Art. 288 Abs. 2 AEUV

II.Die Richtlinien – Art. 288 Abs. 3 AEUV

III.Die Beschlüsse – Art. 288 Abs. 4 AEUV

IV.Die Empfehlungen und Stellungnahmen – Art. 288 Abs. 5 AEUV

V.Rechtsakte ohne Gesetzescharakter – Art. 290, 291 AEUV

C.Auslegung des Unionsrechts

D.Verhältnis des Unionsrechts zu deutschem Recht

I.Anwendungsvorrang des EU-Rechts

II.Verhältnis EU-Recht zum Grundgesetz

III.Umsetzung und Vollzug in deutsches Recht

9. KapitelGrundfreiheiten

A.Einführung

I.Bedeutung der Grundfreiheiten für den Binnenmarkt

II.Arten und Charakter der Grundfreiheiten

III.Berechtigte und Adressaten

IV.Die Prüfung der Grundfreiheiten

B.Die Warenverkehrsfreiheit, Art. 28–44 AEUV

I.Anwendung

II.Eingriff

III.Rechtfertigung

C.Die Arbeitnehmerfreizügigkeit, Art. 45–48 AEUV

I.Anwendung

II.Eingriff

III.Rechtfertigung

D.Die Niederlassungsfreiheit, Art. 49–55 AEUV

I.Anwendung

II.Eingriff

III.Rechtfertigung

E.Die Dienstleistungsfreiheit, Art. 56–62 AEUV

I.Anwendung

II.Eingriff

III.Rechtfertigung

F.Die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit, Art. 63–66 AEUV

I.Anwendung

II.Eingriff

III.Rechtfertigung

Stichwortverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

AAAuswärtiges Amta. A.Anderer Ansichta. a. O.am angegebenen OrtABl.AmtsblattAbs.AbsatzAdRAusschuss der RegionenAlt.AlternativeArt.ArtikelArtt.Artikel (Plural)AEUVVertrag über die Arbeitsweise der Europäischen UnionAKPAfrikanisch/Karibisch/PazifischAPRAllgemeines Persönlichkeitsrechtarg.ArgumentAStVAusschuss der Ständigen VertreterBayVBl.Bayerische Verwaltungsblätter (Fachzeitschrift)Bd.BandBeschl.BeschlussBGBBürgerliches GesetzbuchBGBl.BundesgesetzblattBGHBundesgerichtshofBsp.BeispielBQFGBerufsqualifikationsfeststellungsgesetzBR BundesrepublikBRDBundesrepublik DeutschlandBVerfGBundesverfassungsgerichtBVerfGEEntscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (amtliche Sammlung)BVerwGBundesverwaltungsgerichtBVerwGEEntscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (amtliche Sammlung)bzw.beziehungsweiseDDRDeutsche Demokratische Republikd. h.das heißtd. i.das istDÖVDie Öffentliche Verwaltung (Fachzeitschrift)DRiZDeutsche Richterzeitschrift (Fachzeitschrift)DVBl.Deutsches Verwaltungsblatt (Fachzeitschrift)DVerwPrDeutsche Verwaltungspraxis (Fachzeitschrift)EEntscheidungEAEuropa-Archiv (Fachzeitschrift)EEAEinheitliche Europäische AkteEFSFEuropean Financial Stability FacilityEFTAEuropean Free Trade AssociationEGEuropäische GemeinschaftEGKSEuropäische Gemeinschaft für Kohle und StahlEGMREuropäischer Gerichtshof für MenschenrechteEIBEuropäische InvestitionsbankEmpf.EmpfehlungEMRKEuropäische MenschenrechtskonventionEntschl.EntschließungEPEuropäisches ParlamentEPAEuropäisches PatentamtEPZEuropäische Politische ZusammenarbeitEUEuropäische UnionEuGEuropäisches Gericht (Gericht erster Instanz)EuGHEuropäischer GerichtshofEuGHESammlung der Rechtsprechung des Europäischen GerichtshofesEuREuroparecht (Fachzeitschrift)EURATOMEuropäische AtomgemeinschaftEUVVertrag über die europäische UnionEuZWEuropäische Zeitschrift für WirtschaftsrechtEVGEuropäische VerteidigungsgemeinschaftEWFEuropäischer WährungsfondsEWGEuropäische WirtschaftsgemeinschaftEWIEuropäisches WährungsinstitutEWSEuropäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Fachzeitschrift)EZBEuropäische Zentralbankf./ff.folgendeFSFestschriftGGesetzGASPGemeinsame Außen- und Sicherheitspolitikgem.gemäßGGGrundgesetz für die Bundesrepublik Deutschlandggf.gegebenenfallsGRCh.GrundrechtechartaGVBl.Gesetz- und Verordnungsblatth. M.herrschende MeinungHrsg.HerausgeberHSHalbsatzi. d. R.in der RegelIGHInternationaler Gerichtshofi. S. d.im Sinne desi. S. v.im Sinne voni. Ü.im Übrigeni. V. m.in Verbindung miti. W.im WesentlichenIWFInternationaler WährungsfondsJAJuristische Arbeitsblätter (Fachzeitschrift)JRJuristische RundschauJuraJuristische Ausbildung (Fachzeitschrift)JuSJuristische Schulung (Fachzeitschrift)JZJuristenzeitung (Fachzeitschrift)KOMEuropäische KommissionKSZEKonferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in EuropaLGLandgerichtLsbl.LoseblattsammlungMDRMonatszeitschrift für Deutsches Rechtm. E.meines Erachtensm. w. N.mit weiteren NachweisenNATONorth Atlantic Treaty OrganizationNJNeue JustizNJWNeue Juristische Wochenschrift (Fachzeitschrift)NVwZNeue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (Fachzeitschrift)NWVBl.Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter (Fachzeitschrift)o. Ä.oder Ähnliche(s)OLGOberlandesgerichtOVGOberverwaltungsgerichtPartGParteiengesetzRLRichtlinieRn.RandnummerRs.RechtssacheRsp.RechtsprechungRVVerfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871sog.sogenanntStAGStaatsangehörigkeitsgesetzStGBStrafgesetzbuchStPOStrafprozessordnungStr.strittigs. u.siehe untenUAbs.Unterabsatzu. a.unter anderemUEFAUnion of European Football Associationsusw.und so weiteru. U.unter Umständenv.vom (Datumsangabe)v. a.vor allemVerwArchVerwaltungsarchiv (Fachzeitschrift)vgl.vergleicheVOVerordnungVwGOVerwaltungsgerichtsordnungVwVfGVerwaltungsverfahrensgesetzWEUWesteuropäische UnionWRVWeimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919ZARZeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitikz. B.zum BeispielZEUSZeitschrift für europarechtliche Studien (Fachzeitschrift)z. T.zum Teil

Literaturverzeichnis

Monographien/Lehrbücher:

Arndt, Hans-Wolfgang/Fischer, Kristian/Fetzer, Thomas, Europarecht, 12. Aufl. 2019

Bätge, Frank, Staatsorganisationsrecht, 5. Aufl. 2021

Battis, Ulrich/Gusy, Christoph, Einführung in das Staatsrecht, 6. Aufl. 2018

Benda, Ernst/Klein, Eckart, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2011

Bethge, Herbert, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, 1985

Bieber, Roland/Epiney, Astrid/Haag, Marcel, Die Europäische Union, 14. Aufl. 2021

Bogdandy, Armin von/Bast, Jürgen (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl. 2009

Borchardt, Klaus-Dieter, Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union, 6. Aufl. 2015

Degenhart, Christoph, Staatsrecht I. Staatsorganisationsrecht, 33. Aufl. 2017

Drews, Bill/Wacke,Gerhard/Vogel, Klaus/Martens, Wolfgang, Gefahrenabwehr, 9. Aufl. 1986

Ehlers, Dirk/Germelmann, Claas Friedrich, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 5. Aufl. 2023

Eichholz, Christiane, Europarecht, 4. Aufl. 2018

Epping, Volker, Grundrechte, 9. Aufl. 2021

Fetzer, Thomas/Fischer, Kristian, Europarecht, 12. Aufl. 2019

Frenz, Walter, Handbuch Europarecht, Bd. 1: Europäische Grundfreiheiten, 2. Aufl. 2012

Gröpl, Christoph, Staatsrecht I, 9. Aufl. 2017

Hakenberg, Waltraut, Europarecht, 9. Aufl. 2021

Haratsch, Andreas/Koenig, Christian/Pechstein, Matthias, Europarecht, 13. Aufl. 2023

Herdegen, Matthias, Europarecht, 24. Aufl. 2023

Hesse, Konrad, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1999

Hobe, Stephan, Europarecht, 11. Aufl. 2023

Hufen, Friedhelm, Staatsrecht II, 10. Aufl. 2023

Ipsen, Jörn, Staatsrecht I, 30. Aufl. 2018

Isensee, Josef/Kirchhof, Paul, Handbuch des Staatsrechts. Band III: Demokratie – Bundesorgane, 3. Aufl. 2005

Katz, Alfred/Sander, Gerald, Staatsrecht, 19. Aufl. 2019

Kingreen, Thorsten/Poscher, Ralf, Grundrechte Staatsrecht II, 38. Aufl. 2022

Lang, Heinrich/Wilms, Heinrich, Staatsrecht II – Grundrechte, 2. Aufl. 2020

Manssen, Gerrit, Staatsrecht II, 15. Aufl. 2018

Maurer, Hartmut/Schwarz Kyrill, Alexander, Staatsrecht I, 7. Aufl. 2023

Maurer, Hartmut/Waldhoff, Christian, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020

Morlok, Martin/Michael, Lothar, Staatsorganisationsrecht, 3. Aufl. 2017

Müller-Franken, Sebastian, Familienwahlrecht und Verfassung, 2013

Oppermann, Thomas/Classen, Claus Dieter/Nettesheim, Martin, Europarecht, 9. Aufl. 2021

Pechstein, Matthias, EU-Prozessrecht, 4. Aufl. 2011

Pestalozza, Christian, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 1991

Schlaich, Klaus/Korioth, Stefan, Das Bundesverfassungsgericht, 12. Aufl. 2021

Schmidt, Rolf, Staatsorganisationsrecht, 22. Aufl. 2022

Schoch, Friedrich, Übungen im Öffentlichen Recht I, 2000

Schroeder, Daniela, Grundrechte, 5. Aufl. 2019

Schroeder, Werner, Grundkurs Europarecht, 7. Aufl. 2021

Schulze, Reiner/Zuleeg, Manfred/Kadelbach, Stefan, Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 3. Aufl. 2015

Schwacke, Peter, Juristische Methodik, 5. Aufl. 2011

Sensburg, Patrick Ernst, Europarecht. Ein Studienbuch für die Polizei, 2. Aufl. 2009

Sodan, Helge/Ziekow, Jan, Grundkurs Öffentliches Recht, 9. Auflage 2020

Starck, Christian/Schmidt, Thorsten Ingo, Prüfe dein Wissen, Staatsrecht, 3. Aufl. 2013

Stern, Klaus/Sodan, Helge/Möstl, Markus, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 2022

Streinz, Rudolf, Europarecht, 12. Aufl. 2023

Thiele, Alexander, Europarecht, 18. Aufl. 2022

Tschentscher, Axel, Examenskurs Grundrechte, 2002

Winkler, Heinrich August, Der lange Weg nach Westen, Band I (Deutsche Geschichte 1806–1933) und Band II (Deutsche Geschichte 1933–1990), 2000

Zuck, Rüdiger/Eisele, Reiner, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, 6. Aufl. 2022

Kommentare

Bätge, Frank, Wahlen und Abstimmungen in Nordrhein-Westfalen, Loseblatt-Kommentar, Stand: 2023

Bieber, Roland/Ehlermann, Claus-Dieter/Haag, Marcel (Hrsg.), Handbuch des europäischen Rechts. Systematische Sammlung mit Erläuterungen, Lsbl., Stand 2020

Callies, Christian/Ruffert, Matthias, EUV, AEUV-Kommentar, 6. Aufl. 2022

Dreier, Horst, Grundgesetz Kommentar, Band I: Art. 1–19, 3. Aufl. 2013

Dürig, Günter/Herzog, Roman/Scholz, Rupert, Grundgesetz, 99. Aufl. 2022

Engelbrecht, Knut/Bätge, Frank, Europawahlrecht, Loseblatt – Kommentar Praxis, Stand: 2023

Friauf, Karl-Heinrich/Höfling, Wolfram, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Loseblatt Stand 2023

Geiger, Rudolf/Kotzur, Markus/Khan,Daniel-Erasmus, EUV/AEUV, 7. Aufl. 2023

Gröpl, Christoph/Windhorst, Kai/von Coelln, Christian, Grundgesetz Studien-kommentar, 3. Aufl. 2017

Jarass, Hans D./Pieroth, Bodo, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 17. Aufl. 2022

Kahl, Wolfgang/Waldhoff, Christian/Walter, Christian, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 2018

Sachs, Michael, Grundgesetz, 8. Aufl. 2018

Schmidt-Bleibtreu, Bruno/Hofmann, Hans/Hopfauf, Axel, Grundgesetz, Kommentar, 14. Aufl. 2017

Schmidt-Bleibtreu, Bruno/Klein, Franz/Bethge, Herbert, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Loseblatt Stand 2022

Schwarze, Jürgen (Hrsg.), EU-Kommentar, 4. Aufl. 2019

Stern, Klaus/Becker, Florian, Grundrechte-Kommentar, 3. Aufl. 2019

Streinz, Rudolf (Hrsg.), EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018

Vedder, Christoph/Heintschel von Heinegg, Wolff (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Handkommentar, 2. Aufl. 2018

v. Mangoldt, Hermann/Klein, Friedrich/Starck, Christian, Grundgesetz, Band I: Präambel, Art. 1–19, 7. Aufl. 2018

v. Münch, Ingo/Kunig, Philip, Grundgesetz Kommentar, Band 1: Art. 1–69, 7. Aufl. 2021

Fallsammlungen

Brauner, Roman/Stollmann, Frank/Weiß, Regina, Fälle und Lösungen zum Staatsrecht, 7. Aufl. 2003

Degenhart, Christoph, Klausurenkurs im Staatsrecht I: Ein Fall- und Repetitionsbuch für Anfänger, 4. Aufl. 2016

Fetzer, Thomas/Fischer, Kristian, Fälle zum Europarecht, 9. Aufl. 2019

Höfling, Wolfram, Fälle zu den Grundrechten, 2. Aufl. 2013

Höfling, Wofram, Fälle zum Staatsorganisationsrecht, 5. Aufl. 2014

Hummer, Waldemar/Vedder, Christoph/Lorenzmeier, Stefan, Europarecht in Fällen, 7. Aufl. 2020

Musil, Andreas/Burchard, Daniel, Klausurenkurs im Europarecht, 6. Aufl. 2022

Pache, Eckhard/Knauff, Matthias, Fallhandbuch Europäisches Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2010

Pechstein, Matthias, Entscheidungen des EuGH, Kommentierte Studienauswahl, 12. Aufl. 2023

Schwabe, Winfried, Staatsrecht II, Lernen mit Fällen, 4. Aufl. 2017

1. KapitelVerfassungsrechtliche Grundentscheidungen

Literatur: Michaelis, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, JA 2021, 573; Michl, Der demokratische Rechtsstaat in Krisenzeiten, JuS 2020, 507; Morlok, Die Grundzüge des Wahlrechts, JuS 2022, 1019; Schröder, Die Gewaltenteilung, JuS 2022, 23 (Teil 1) und 122 (Teil 2); Schwenke, Die grundgesetzliche Ausprägung des parlamentarischen Regierungssystems, JuS 2021, 713; Voßkuhle, Der Wandel der Verfassung und seine Grenzen, JuS 2019, 417; Voßkuhle/Heizer, Verfassungsauslegung, JuS 2023, 312; Voßkuhle/Kaiser, Wehrhafte Demokratie, JuS 2019, 1154; Voßkuhle/Kaufhold, Die politischen Parteien, JuS 2019, 763; Waldhoff, „Weimar“ als Argument – Die Weimarer Reichsverfassung als Vorbild und Gegenbild für das Grundgesetz, JuS 2019, 737

A.Begriff des Staatsrechts

1Das Staatsrecht ist Teil des öffentlichen Rechts. Im öffentlichen Recht sind die Rechtsbeziehungen des Staates zu den Bürgern sowie diejenigen innerhalb des Staates normiert. Das Staatsrecht regelt hierbei die fundamentalen Grundlagen der staatlichen Ordnung.

2Zu diesen gehören das Staatsorganisationsrecht und die Grundrechte. Beim Staatsorganisationsrecht geht es um die grundlegenden Verfassungsprinzipien, den Aufbau und die Funktionen des Staates. Die Grundrechte stellen die inhaltliche Wertordnung des Staates dar und sind zugleich Abwehr-, Leistungs-, Schutz- und Teilhaberechte der Privatpersonen gegenüber dem Staat.

3Die Normierung des Staatsrechts ergibt sich im Wesentlichen aus der Verfassung selbst. Diese Verfassungsurkunde ist in der Bundesrepublik Deutschland das Grundgesetz (GG). Die Beschreibung des Grundgesetzes bezeichnet man deshalb auch als formelles Verfassungsrecht. Inhaltlich wird das Staatsrecht aber auch durch darüber hinaus gehende Regelungen ausgestaltet. Diese bilden zusammen mit dem formellen Verfassungsrecht das materielle Verfassungsrecht. Auch die staatsrechtlichen Normen außerhalb des Grundgesetzes haben häufig dort ihren Ursprung.

Beispiel:

Das Grundgesetz beschränkt sich in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 nur auf wenige grundlegende Aussagen zum Wahlsystem für die Wahl der Abgeordneten des Bundestags. Es normiert die Wahlrechtsgrundsätze und die Wahlberechtigung. Das „Nähere“ überlässt das Grundgesetz nach Art. 38 Abs. 3 GG den Regelungen im Bundeswahlgesetz. Nicht aus dem Grundgesetz, sondern auch dem Bundeswahlgesetz ergeben sich deshalb die Zahl der zu wählenden Abgeordneten, das Verhältniswahlsystem und die Fünf-Prozent-Sperrklausel, die als fundamentale Grundlagen der staatlichen Ordnung zum materiellen Verfassungsrecht gehören.

B.Bedeutung und Wertgebundenheit des Grundgesetzes

4Das Grundgesetz ist die geschriebene Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Es steht an der Spitze der nationalen Normenhierarchie und bindet nicht nur die Verwaltung und die Gerichte, sondern auch den Gesetzgeber selbst (Art. 20 Abs. 3 GG).

Beispiel:

Der Bundestag beschließt ein Bundesgesetz in nichtöffentlicher Sitzung, ohne dass vorher die Öffentlichkeit ordnungsgemäß im Sinne des Art. 42 Abs. 1 Satz 2 GG ausgeschlossen worden ist. Wegen Verstoßes gegen die höherrangigen Vorschriften des Art. 77 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 42 Abs. 1 Satz 1 GG ist das Gesetz verfassungswidrig und damit nichtig.

5Will der Gesetzgeber das Grundgesetz ändern, so geht dies nur unter den erschwerten Voraussetzungen des Art. 79 Abs. 1 und Abs. 2 GG. Besonders prägende Wesensmerkmale, insbesondere die Grundsätze der Art. 1 und Art. 20 GG, sind gemäß Art. 79 Abs. 3 GG gar nicht abänderbar.

Beispiel:

Der Bundestag beschließt mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit und Zustimmung von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates die Abschaffung der Republik zugunsten einer erbrechtlichen Monarchie. Die damit insbesondere verbundenen Änderungen des Art. 20 Abs. 1 GG und der Art. 54 ff. GG wären nach Art. 79 Abs. 3 GG verfassungswidrig.

6Die Vorgaben des Grundgesetzes prägen damit wesentlich die gesellschaftlichen Entwicklungen der Bundesrepublik Deutschland. Das Grundgesetz ist dabei nicht wertneutral, vielmehr steht es für bestimmte Werte. Hierzu gehört an vorderster Stelle der Eintritt für die Menschenwürde. Diesem Konzept liegt der Gedanke zugrunde, dass der Staat für die Menschen besteht und nicht umgekehrt. Es heißt deshalb in Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG:

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

7Weiter zählen hierzu die grundlegenden Staatsstrukturprinzipien. Danach ist die Bundesrepublik Deutschland ein sozialer Rechtsstaat, der als bundesstaatliche Republik organisiert ist und demokratischen Grundsätzen entsprechen muss (vgl. Art. 20 GG).

8Da das Grundgesetz für die beschriebenen Werte eintritt, erwartet es auch von den Funktionsträgern, dass diese jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung des Grundgesetzes eintreten.

Beispiele:

–  Art 5 Abs. 3 GG erwähnt für Hochschullehrer die Treue zur Verfassung.

–  Zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG gehört der jederzeitige Eintritt für die freiheitlich demokratische Grundordnung.

–  Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind nach Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG verfassungswidrig.

C.Inhalt und Auslegung des Grundgesetzes

9Es ist daher unerlässlich zu erkennen, welche verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen das Grundgesetz trifft. Der Inhalt des Grundgesetzes ist hierfür zunächst ablesbar am Wortlaut der entsprechenden Artikel. Es ist daher sinnvoll, sich den Text des Grundgesetzes einmal vollständig durchzulesen. Dabei fällt auf, dass dieser trotz der Bedeutung des Grundgesetzes überwiegend knapp gefasst ist. In Zweifelsfragen ist es deshalb erforderlich, dass neben dem Wortlaut auch der Zusammenhang mit anderen Vorschriften des Grundgesetzes herangezogen werden muss (systematischer Zusammenhang). Das Grundgesetz ist nämlich keine Sammlung einzelner Bestimmungen, sondern ist als Einheit zu betrachten.

Beispiel:

In Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ist ausgeführt, dass die Kunst frei ist. Eine Beschränkung der Kunstfreiheit enthält der Wortlaut dieser Bestimmung nicht. Sofern der „Graffitikünstler“ K meint, er könne deshalb seine Bilder auf Wände von Gebäuden anderer Personen sprühen, so übersieht er, dass die Grundstückseigentümer sich ihrerseits auf ihren Eigentumsschutz nach Art. 14 Abs. 1 GG berufen können.

10Neben der Berücksichtigung des Wortlauts und des systematischen Zusammenhangs einer Bestimmung des Grundgesetzes kann es zudem ratsam sein, auf den Normzweck der Bestimmung einzugehen. Es stellt sich hierbei die Frage, welche Absicht der Gesetzgeber mit der Regelung verfolgt hat.

Beispiel:

Nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG kann die Berufsausübung durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden. Dieser Satz bezieht sich seinem Wortlaut nach nicht auf die in Satz 1 normierte Berufswahl. Art. 12 Abs. 1 GG ist jedoch seinem Normzweck nach als einheitliches Grundrecht der Berufsfreiheit zu interpretieren, da die Berufsausübung die getroffene Berufswahl konkretisiert und die Berufswahl prägend ist für die Berufsausübung.1 Deshalb ist Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG auch auf die Berufswahl anwendbar.

11Die Inhalte des Grundgesetzes erschließen sich aber oftmals nur dann vollumfänglich, wenn der historische Kontext berücksichtigt wird.2 Die Kenntnis des historischen Kontextes und der Rückgriff auf die Entstehungsgeschichte der Norm können Rückschlüsse auf die gesetzgeberische Absicht erlauben und damit den historischen Normzweck erklären.

Beispiel:

Gemäß Art. 5 Abs. 2 GG darf die Meinungsfreiheit nur durch „allgemeine Gesetze“ beschränkt werden. Dies sind solche Gesetze, die sich nicht gegen eine bestimmte Meinung richten. Nach § 130 Abs. 4 StGB wird allerdings bestraft, „wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt“. § 130 Abs. 4 StGB ist damit eigentlich kein allgemeines Gesetz, da es sich gegen die Kundgabe einer ganz bestimmten Meinung richtet. Das Bundesverfassungsgericht3 hat aber mit Blick auf die Entstehungsgeschichte des Art. 5 Abs. 2 GG entschieden, dass in Bezug auf das nationalsozialistische Regime in den Jahren zwischen 1933 und 1945 auch Eingriffe durch Vorschriften erlaubt sind, die nicht den Anforderungen an ein allgemeines Gesetz entsprechen. Das bewusste Absetzen von der Unrechtsherrschaft des Nationalsozialismus sei historisch zentrales Anliegen aller an der Entstehung wie Inkraftsetzung des Grundgesetzes beteiligten Kräfte, insbesondere auch des Parlamentarischen Rates und bilde ein inneres Gerüst der grundgesetzlichen Ordnung (vgl. nur Art. 1, Art. 20 und Art. 79 Abs. 3 GG). Das Grundgesetz könne weithin geradezu als Gegenentwurf zu dem Totalitarismus des nationalsozialistischen Regimes gedeutet werden und sei von seinem Aufbau bis in viele Details hin darauf ausgerichtet, aus den geschichtlichen Erfahrungen zu lernen und eine Wiederholung solchen Unrechts ein für alle Mal auszuschließen.

12Der historische Kontext hat deshalb in zahlreichen Bestimmungen Einzug gehalten und war prägend für die damit verfolgte gesetzgeberische Absicht. Zum historischen Kontext gehören auch die Lehren aus den Erfahrungen mit den Vorgängerverfassungen. Dies gilt in ganz besonderem Maße nach einem Katastrophenszenario, in dem sich Nachkriegsdeutschland nach Terrorherrschaft, Krieg, Zusammenbruch und Teilung befand. Der Parlamentarische Rat hatte daher zu konstatieren, dass die formal geltende Weimarer Reichsverfassung offenbar keine wirksamen Schutzmechanismen enthielt. Er wollte und hat es deshalb in vielen Aspekten anders gemacht.4 Um nun zu verstehen, welche Inhalte „anders“ geregelt sind und welche Intentionen damit verbunden ist, muss man die Verfassungsentwicklung und die Vorgängerverfassungen, insbesondere die jüngste näher in den Blick nehmen.

D.Vorgängerverfassungen und Entstehung des Grundgesetzes

I.Internationale Verfassungsentwicklung

13Unter einer Verfassung versteht man die für einen Staat grundlegende Ordnung, nach der sich das Zusammenleben und Zusammenwirken innerhalb des auf Dauer angelegten Gemeinwesens vollzieht.5

14Die Errungenschaft einer schriftlich fixierten Verfassungsurkunde resultiert insbesondere aus dem Gedanken der Aufklärung. Die Bindung des Monarchen und der gesamten Staatsgewalt an die Verfassung war in Denken und der Vorstellungswelt vor dem 17. Jahrhundert noch überwiegend etwas völlig Neues, da die Stellung des Monarchen vielfach als gottgegeben angesehen worden war und der Monarch sich als eins mit dem Staat betrachtete („L'état, c'est moi.“).

15Die erste geschriebene Verfassung entstand 1776 in Form der „Virginia Declaration of Rights“, kurz bevor sich die dreizehn neuenglischen Kolonien vom Mutterland lossagten und in der Unabhängigkeitserklärung vom 4.7.1776 zu selbstständigen Staaten erklärten.

16Die Verfassung der Vereinigten Staaten vom 17.9.1787 legt deren politische und rechtliche Grundordnung fest. Die 1789 beschlossenen „Bill of Rights“ enthalten die ersten zehn Zusatzartikel. Diese sichern den Einwohnern im Rahmen einer freien und demokratischen Gesellschaft bestimmte unveräußerliche Grundrechte zu. So heißt es in insbesondere in Art. 1, dass alle Menschen von Natur als gleich und unabhängig sind und gewisse angeborene Rechte haben. Die besondere Bedeutung der Bill of Rights ergibt sich aus der Verbindung mit dem Grundsatz der Verfassungsgerichtsbarkeit, das heißt, die Rechte sind von jeder Person vor jedem Gericht des Bundes oder eines Bundesstaates, in letzter Instanz vor dem Obersten Gerichtshof, einklagbar, auch gegenüber dem staatlichen Gesetzgeber, der nicht verfassungskonform gehandelt hat.

17In Europa verabschiedete die verfassungsgebende Nationalversammlung in Frankreich im Zuge der Französischen Revolution die erste Verfassung. Ihr vorausgegangen war die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (Déclaration des Droits des l’Homme et du Citoyen). Diese Déclaration von 1789 ist damit der älteste europäische Grundrechtskatalog. Er differenziert – wie das heutige Grundgesetz – zwischen den allen Menschen von Natur aus gegebenen Menschenrechten und den nur den Bürgern zukommenden Bürgerrechten.

II.Deutsche Verfassungsentwicklung

1.Paulskirchenverfassung von 1849

18Das im Jahre 962 durch die Kaiserkrönung Ottos I. gegründete Deutsche Reich, welches etwa seit 1500 den Titel „Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation“ trug, hatte demgegenüber während seines Bestehens keine umfassende Verfassungsurkunde. Es ging im Jahre 1806 mit dem Niederlegen der Kaiserkrone durch Franz II. unter.

19Nach den erfolgreichen Befreiungskriegen (1813, Völkerschlacht bei Leipzig) und dem Sturz Napoleons (1815, Schlacht bei Waterloo und Verbannung auf die Insel St. Helena) wurde das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“ nicht wieder erneuert. Stattdessen herrschten kleinstaatlichen Strukturen vor. Die deutschen Fürsten einigten sich auf dem „Wiener Kongress“ nur zu einem Staatenbund (Deutscher Bund), einem „völkerrechtlichen Verein der deutschen souveränen Fürsten und freien Städte“. Der Deutsche Bund hatte als Bundesorgan die Bundesversammlung mit Sitz in Frankfurt.

20In einigen süddeutschen Staaten gab es in den Jahren 1818 bis 1820 erste Verfassungen, die teilweise durch Vereinbarung zwischen dem König und der Volksvertretung zustande kamen (Württemberg) und teilweise einseitig vom Monarchen erlassen worden waren (Bayern, Baden, Hessen-Darmstadt). Diese sollten die liberaldemokratische Bewegung des Bürgertums verfassungsrechtlich auffangen und den jeweiligen Staat auf eine dauerhafte, von der jeweiligen Person des Monarchen unabhängige Basis stellen.

21Die im 1848 ausgebrochene französische Februarrevolution von 1848 griff auch auf Deutschland über und löste dort die Märzrevolution aus. Diese verfolgte als Ziele einerseits die Anerkennung der bürgerlichen und politischen Freiheiten und anderseits die Herstellung eines einigen und freien Nationalstaates. Beide Ziele sollten durch Verabschiedung einer deutschen Gesamtverfassung durch ein gewähltes Parlament verwirklicht werden.

22Die vom Volk gewählte Nationalversammlung beschloss am 27.3.1849 in der Paulskirche in Frankfurt die wegen ihres Entstehungsortes sogenannte „Paulskirchenverfassung“. Sie heißt eigentlich „Deutsche Reichsverfassung“ und ist das erste ausschließlich demokratische Verfassungswerk der deutschen Verfassungsgeschichte. Die Paulskirchenverfassung ist nicht rechtswirksam geworden, da der König von Preußen, Friedrich Wilhelm IV., der von der Nationalversammlung zum deutschen Kaiser gewählt wurde, die Kaiserwürde ablehnte. In ihr ist die erste systematische Gesamtdarstellung der Grundrechte des deutschen Volkes enthalten (§§ 130 bis 189). Als Staatsform wurde die konstitutionelle (Erb-)Monarchie gewählt. Der Monarch wäre damit an die Verfassung gebunden und in seiner Macht durch den Reichstag erheblich beschränkt. Der Reichstag setzte sich aus dem Staatenhaus als Länderkammer (§§ 86 ff.) und dem Volkshaus als Parlament (§§ 93 ff.) zusammen.

2.Verfassung des Deutschen Reiches von 1871

23Die am 1.1.1871 vollzogene Gründung des Deutschen Reiches erfolgte in zwei Schritten: Nach Gründung des Norddeutschen Bundes in den Jahren 1866/1867 – erster deutscher Bundesstaat –, traten Ende 1870 die süddeutschen Staaten diesem bei und erweiterten damit den Norddeutschen Bund zum Deutschen Reich. Die Kaiser-Proklamation am 18.1.1871 im Schloss Versailles bei Paris während des deutsch-französischen Krieges hatte insofern keine konstitutive Bedeutung.

24Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16.4.1871 war im Wesentlichen staatsorganisationsrechtlich geprägt und enthielt keinen Grundrechtskatalog. Die Staatsform war eine konstitutionelle (Erb-) Monarchie; der preußische König war zugleich Deutscher Kaiser mit allen damit verbundenen Kompetenzen (Art. 11 Abs. 1). Da es sich um einen Bundesstaat handelte und Preußen das größte und einwohnerstärkste Bundesland war, vereinigte der Preußische König und Deutsche Kaiser zahlreiche Kompetenzen in einer Person. Als Deutscher Kaiser konnte er insbesondere den Reichskanzler ernennen (Art. 15 RV) und war Oberbefehlshaber von Heer und Marine (Art. 63 bzw. Art. 53 RV).

25Neben dem Deutschen Kaiser bildeten der Bundesrat, der Reichstag und der Reichskanzler die weiteren obersten Staatsorgane. Der Bundesrat bestand aus weisungsgebundenen Vertretern der (monarchischen) Gliedstaaten. Im Vergleich zu dem vom Volk gewählten Reichstag war er deutlich mächtiger: Er übte zusammen mit dem Reichstag legislative Funktionen aus (Gesetzesinitiative, Beschlussfassung), wirkte beim Erlass der allgemeinen Verwaltungsvorschriften und teilweise der Rechtsverordnungen mit, übte die Aufsicht über die Ausführung der Reichsgesetze aus und war für weitere wesentliche Grundsatzfragen zuständig (Zustimmung zur Kriegserklärung, Exekution gegen Bundesmitglieder etc.). Die wesentliche Aufgabe des Reichstages lag in der Mitwirkung bei der Gesetzgebung, wozu auch das Budgetrecht gehörte (Art. 5, 23, 69 RV). Der Reichskanzler wurde vom Deutschen Kaiser ernannt und war Vorsitzender des Bundesrates (Art. 15 RV). Er war Leiter der gesamten Reichsverwaltung.

3.Weimarer Reichsverfassung von 1919

26Im Zuge der Niederlage im ersten Weltkrieg (1914–1918) kam es im Deutschen Reich zur Novemberrevolution und zum endgültigen Waffenstillstand am 11.11.1918. Der Deutsche Kaiser Wilhelm II. war bereits vorher in das Exil geflüchtet und dankte förmlich am 28.11.1918 ab, in dem er „für alle Zukunft“ auf die Krone Preußens und die deutsche Kaiserkrone verzichtete. Die zentralen Regierungsgeschäfte übernahm in Berlin der „Rat der Volksbeauftragten“ unter dem Vorsitz des sozialdemokratischen Abgeordneten Friedrich Ebert. Am 19.1.1919 wurde eine Nationalversammlung gewählt, die sich in Weimar konstituierte. Diese beschloss eine neue „Verfassung des Deutschen Reichs“, welche am 11.8.1919 durch den Reichspräsidenten unterschrieben wurde und am 14.8.1919 in Kraft trat. Sie wird wegen ihres Entstehungsortes auch „Weimarer Reichsverfassung“ genannt.

27Als Staatsform wurde für das Deutsche Reich erstmalig eine Republik auf bundesstaatlicher Grundlage vorgesehen. Staatsoberhaupt war ein unmittelbar für die Dauer von sieben Jahren vom Volke gewählter Reichspräsident. Dieser vereinigte eine erhebliche Machtfülle in seiner Person („Ersatzkaiser“): Er konnte die Reichsregierung ernennen und entlassen, hatte das Recht zur Auflösung des Reichstages, war Oberbefehlshaber über die gesamte Wehrmacht des Reiches, hatte die Möglichkeit zur Reichsexekution gegen einzelne Gliedstaaten, konnte Volksentscheide über Gesetze anordnen und hatte das Notverordnungsrecht nach Art. 48 Abs. 2 WRV. Die Ermächtigung des Art. 48 Abs. 2 WRV sah vor, dass der Reichspräsident die „zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen kann“, „wenn im Deutschen Reich die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird“. Zu diesem Zweck durfte er vorübergehend auch bestimmte Grundrechte „außer Kraft setzen“. Zwar bedurften alle Anordnungen und Verfügungen des Reichspräsidenten nach Art. 50 WRV der Gegenzeichnung durch den Reichskanzler oder den zuständigen Reichsminister, allerdings konnten diese nach Art. 53 WRV vom Reichspräsidenten entlassen werden, so dass das Erfordernis der Gegenzeichnung kein wirksames Korrektiv zur Machtfülle des Reichspräsidenten darstellte.

28Weitere oberste Staatsorgane waren insbesondere der Reichstag, der Reichsrat und die Reichsregierung. Der Reichstag wurde nach dem Verhältniswahlsystem ohne wahlrechtliche Sperrklausel auf vier Jahre gewählt. Er war zwar das maßgebliche Gesetzgebungsorgan, konnte aber vom Reichspräsidenten ohne weitere Voraussetzungen jederzeit aufgelöst werden (Art. 25 Abs. 1 WRV). Weitere Einschränkungen bestanden infolge des Notverordnungsrechts des Reichspräsidenten. Zwar konnte der Reichstag diese nach Art. 48 Abs. 3 WRV wieder außer Kraft setzen, musste für diesen Fall aber seine Auflösung befürchten.

29Der Reichsrat war die Vertretung der Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Reiches (Art. 60 WRV). Seine Kompetenzen waren gegenüber der Vorgängerverfassung deutlich vermindert. Insbesondere im Gesetzgebungsverfahren besaß er neben dem Initiativrecht kein echtes Mitentscheidungs-, sondern lediglich ein Einspruchsrecht.

30Die Reichsregierung war neben dem mächtigen Reichspräsidenten das zweite Exekutivorgan. Sie bestand aus dem Reichskanzler und den Reichsministern. Die Ernennung der Regierung stand dem Reichspräsidenten zu und bedurfte der Bestätigung durch den Reichstag. Der Rücktritt eines Regierungsmitgliedes konnte sowohl vom Reichstag beschlossen als auch vom Reichspräsidenten angeordnet werden. Das Misstrauensvotum des Reichstages war destruktiver Natur, d. h. es war nicht an die Mehrheit für einen neuen Amtsinhaber gekoppelt.

31Die Weimarer Reichsverfassung enthielt des Weiteren einen Grundrechtskatalog. Einige dieser Grundrechte wie die Justizgrundrechte, die Versammlungsfreiheit in geschlossenen Räumen und die Eigentumsgarantie galten unmittelbar, andere aber waren durch formal legale Gesetze oder durch Notverordnung des Reichspräsidenten abänderbar. Zudem gab es weder eine Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung der Grundrechte noch eine Verfassungsgerichtsbarkeit zu ihrem Schutz.

4.Die nationalsozialistische Zeit

32Die Weimarer Reichsverfassung wurde auch in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft 1933 bis 1945 formal nicht außer Kraft gesetzt. Sie wurde aber unter dem nationalsozialistischen Terrorregime durch gesetzgeberische Maßnahmen derart demontiert und ausgehöhlt, dass sich die Staatsform des Deutschen Reiches hin zu einem „totalitären, autoritären Einparteien- und Führerstaat auf völkischer und rassischer Grundlage“ wandelte.6

33Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30.1.1933 erfolgte im Zuge des Reichstagsbrands die Verordnung des Reichspräsidenten Hindenburg „zum Schutze von Volk und Staat“ („Reichstagsbrandverordnung“). Gestützt auf Art. 48 Abs. 2 WRV wurden wichtige Grundrechte wie die Freiheit der Person, die Unverletzlichkeit der Wohnung, die Meinungsfreiheit und die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit außer Kraft gesetzt. Die Reichstagsbrandverordnung war während der gesamten Dauer des NS-Regimes in Kraft und beseitigte damit faktisch den Rechtsstaat zugunsten eines Polizeistaates.

34Am 24.3.1933 wurde vom Reichstag das Ermächtigungsgesetz(„Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“) beschlossen. Lediglich die SPD-Fraktion stimmte dagegen, die Abgeordneten der KPD-Fraktion waren von der Abstimmung ausgeschlossen. Die Reichsregierung konnte nunmehr ohne Mitwirkung des Reichstages Gesetze beschließen, die sogar von der Reichsverfassung abweichen konnten. Damit war die gesetzgeberische Gewalt praktisch auf die Exekutive übergegangen und die Gewaltenteilung beseitigt.

35Durch Gesetz der Reichsregierung vom 14.7.1933 wurde die NSDAP zur „einzigen politischen Partei“ erklärt und andere Parteien verboten („Einparteienstaat“). Anfang 1934 wurden sodann die Länder samt ihrer Parlamente aufgelöst und der Reichsrat aufgehoben. Auch auf kommunaler Ebene wurde das „Führerprinzip“ eingeführt.7 Das Deutsche Reich war damit zu einem Einheitsstaat geworden.

36Nach dem Tode Hindenburgs am 2.8.1934 wurde durch das „Gesetz über das Staatsoberhaupt“ das Amt des Reichspräsidenten beseitigt und dessen Befugnisse mit denen des Reichskanzlers auf den „Führer und Reichskanzler“ übertragen. Dadurch wurde die Diktatur vollendet. Die Funktionen des Staatsoberhauptes, des Gesetzgebers, des Regierungschefs, des Oberbefehlshabers über die Wehrmacht und die des Führers der einzigen Partei wurden von einer Person ausgeübt. Vom Reichstag ließ sich Hitler 1942 noch zum „obersten Gerichtsherrn“ proklamieren.

37Der totalitäre Unrechtsstaat führte ab 1939 einen Angriffskrieg gegen seine Nachbarn und weite Teile der Welt, der zu über 60 Millionen Kriegstoten und zum Zusammenbruch des Deutschen Reiches führte.

5.Kapitulation und Besatzungsherrschaft

38Die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches wurde am 7. und 8.5.1945 unterschrieben und trat am 8.5.1945 in Kraft.

39Die vier Siegermächte (Sowjetunion, USA, Großbritannien und Frankreich) setzten auf den besetzten Gebieten Militärverwaltungen ein und übernahmen die oberste Regierungsgewalt in Deutschland.

6.Frankfurter Dokumente

40Nachdem sich zeigte, dass eine Einigung der vier Siegermächte über die Zukunft Gesamtdeutschlands nicht zu erreichen war, beschlossen die Westalliierten die Errichtung eines westdeutschen Teilstaates.

41Hierzu überreichten am 1.7.1948 die Militärgouverneure der drei Westzonen den Ministerpräsidenten der (mittlerweile errichteten) Länder die sogenannten Frankfurter Dokumente. Hierin wurden die Ministerpräsidenten beauftragt, eine zu wählende Verfassungsgebende Versammlung einzuberufen. Inhaltliche Vorgaben betrafen die Errichtung einer föderativen Staatsform, die die deutsche Einheit wieder herstellen kann, den Schutz der Rechte der Länder, die Schaffung einer angemessenen Zentralinstanz und die Garantien der individuellen Rechte und Freiheiten. Schließlich wurden die Voraussetzungen des Inkrafttretens der Verfassung bestimmt, nämlich die Genehmigung der Militärgouverneure und die Annahme durch Volksabstimmung mit einfacher Mehrheit in mindestens zwei Dritteln der Länder.

7.Herrenchiemseer Verfassungsentwurf

42Die Ministerpräsidenten beriefen zur Vorbereitung der Beratungen des Parlamentarischen Rates einen Sachverständigenausschuss ein, der einen Verfassungsentwurf als Beratungsgrundlage erstellen sollte. Jedes Land konnte einen Vertreter in das Gremium entsenden. Der Ausschuss tagte vom 10. bis 23.3.1948 auf der Insel Herrenchiemsee in Bayern.

8.Beschluss des Parlamentarischen Rates, Genehmigung und Konstituierung der Bundesrepublik Deutschland

43Zur Ausarbeitung der Verfassung waren die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates berufen. Diese wurden im Laufe des Augusts 1948 von den Landtagen gewählt. Der Herrenchiemseer Verfassungsentwurf diente dem Parlamentarischen Rat als Beratungsgrundlage. Am 8.5.1949 beschloss der Parlamentarische Rat das Grundgesetz. Statt der Bezeichnung „Verfassung“ wurde bewusst die Bezeichnung „Grundgesetz“ gewählt, um den vorläufigen Übergangscharakter als Provisorium bis zu Vollendung der staatlichen Einheit zu betonen.

44Nach der Genehmigung durch die drei westlichen Militärgouverneure war noch die Annahme durch die Landtage von zwei Dritteln der Länder erforderlich. Auf eine Volksabstimmung wurde verzichtet, um dadurch gleichfalls den Provisoriumscharakter des Grundgesetzes herauszustellen.

45Mit Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23.5.1949 entstand die Bundesrepublik Deutschland.8 Es wurde sodann noch vom Parlamentarischen Rat ein von den Militärgouverneuren genehmigtes Wahlgesetz erlassen, auf dessen Grundlage am 14.8.1949 der erste Deutsche Bundestag gewählt wurde. Die daraufhin gebildete Bundesversammlung wählte am 12.9.1949 Theodor Heuss zum ersten Bundespräsidenten. Konrad Adenauer wurde vom Bundestag am 15.9.1949 zum ersten Bundeskanzler gewählt. Die Bundesrepublik verfügte damit über entsprechende Staatsorgane und wurde handlungsfähig.

III.Abschnitte und Entwicklungstendenzen des Grundgesetzes

46Das Grundgesetz besteht aus den folgenden Abschnitten:

I.  Die Grundrechte

II.  Der Bund und die Länder

III.  Der Bundestag

IV.  Der Bundesrat

IVa.  Gemeinsamer Ausschuss

V.  Der Bundespräsident

VI.  Die Bundesregierung

VII.  Die Gesetzgebung des Bundes

VIII.  Die Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung

VIIIa.  Gemeinschaftsaufgaben, Verwaltungszusammenarbeit

IX.  Die Rechtsprechung

X.  Das Finanzwesen

Xa.  Verteidigungsfall

XI.  Übergangs- und Schlussbestimmungen

47Es wurde seit dem Inkrafttreten mit den dafür erforderlichen verfassungsändernden Mehrheiten des Art. 79 Abs. 2 GG mehrfach geändert. Dies ist trotz der erschwerten Abänderbarkeitsvoraussetzungen für eine Verfassung nicht unüblich, da eine solche die grundlegenden politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen der Jahrzehnte aufzunehmen, zu bewerten und normativ auszugestalten hat. Trotz dieser dynamischen Entwicklung ist die grundlegende Weichenstellung auf eine wertgebundene Verfassung mit Ausrichtung auf die Menschenwürde und Bekenntnis zur demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und bundesstaatlichen Republik unverändert geblieben.

1.„Lehren von Weimar“

48Bevor auf wesentliche Entwicklungstendenzen des Grundgesetzes seit dessen Inkrafttreten eingegangen wird, seien einige Inhalte zusammengefasst, welche als unmittelbare Reaktionen auf die Vorgängerverfassung und der nationalsozialistischen Terrorherrschaft zu bewerten sind. Diese Aspekte werden oftmals als „Lehren von Weimar“ bezeichnet, obwohl die nationalsozialistische Regierungszeit keinesfalls einseitig der Weimarer Reichsverfassung angelastet werden kann, sondern neben der besonderen Rücksichtslosigkeit und Brutalität des NS-Regimes verschiedene weitere politische, wirtschaftliche und historische Gründe hatte, auf die hier aus Kapazitätsgründen im Einzelnen nicht eingegangen werden kann.9 Nicht zuletzt scheiterte die Weimarer Republik auch am fehlenden Engagement der Bürger und der Inhaber öffentlicher Ämter.

49Den Protokollen über die Beratungen des Parlamentarischen Rates10 ist zu entnehmen, dass sich die Mitglieder des Parlamentarischen Rates sehr umfangreich mit den Regelungen der Weimarer Reichsverfassung und den damit gemachten Erfahrungen auseinandergesetzt haben. Man wollte insbesondere aus den „Fehlern von Weimar“ lernen. Vor allem aber wollte man sich bewusst von der Unrechtsherrschaft des Nationalsozialismus absetzen. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht das Grundgesetz auch zutreffend „als Gegenentwurf zu dem Totalitarismus des nationalsozialistischen Regimes“ gedeutet.11

50Als Reaktionen auf die Verbrechen des Nationalsozialismus können insbesondere folgende Bestimmungen gewertet werden:

–  die Ausrichtung der Verfassung auf die unantastbare Menschenwürde, deren Schutz durch staatliche Gewalt und deren Unabänderlichkeit (Art. 1 Abs. 1, Art. 79 Abs. 3 GG),

–  die Bindung aller staatlichen Gewalten inklusive der Gesetzgebung an die Grundrechte, welche unmittelbare subjektive Rechte darstellen (Art. 1 Abs. 3 GG),

–  das Bekenntnis zu den unveräußerlichen Menschenrechten (Art. 1 Abs. 2 GG),

–  das Verbot des Angriffskrieges (Art. 26 GG) und

–  die Abschaffung der Todesstrafe (Art. 102 GG).

51Eine bewusste Abkehr von Regelungen der Weimarer Reichsverfassung aufgrund der gemachten Erfahrungen vollzog das Grundgesetz insbesondere in folgenden Bereichen („Lehren von Weimar“):

–  der Bundespräsident als Staatsoberhaupt wird nicht unmittelbar vom Volke gewählt und hat – anders als der Reichspräsident in der Weimarer Reichsverfassung – überwiegend repräsentative, staatsnotarielle und integrative Funktionen;

–  das Grundgesetz ist anders als die Weimarer Reichsverfassung wertgebunden, tritt daher für die freiheitlich demokratische Grundordnung ein und wehrt sich gegen ihrer Gegner („wehrhafte Demokratie“); dies zeigt sich in der Möglichkeit eines Parteiverbotes nach Art. 21 Abs. 2 GG, der Verwirkung von Grundrechten nach Art. 18 GG und der Treuepflicht von Beamten nach Art. 33 Abs. 4, 5, Art. 5 Abs. 3 GG;

–  der Bundeskanzler kann vom Parlament nur gestürzt werden, wenn sich eine entsprechende Mehrheit für einen neuen Bundeskanzler findet (konstruktives statt destruktives Misstrauensvotum, Art. 67 GG);

–  auf Volksentscheide auf Bundesebene wird weitgehend verzichtet, stattdessen wird die repräsentative parlamentarische Demokratie deutlich gestärkt;

–  Grundrechte sind unmittelbar geltende subjektive Rechte und gerichtlichdurchsetzbar, Art. 19 Abs. 4 GG (später auch Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG);

–  anders als die Weimarer Reichsverfassung kann das Grundgesetz nicht durch abweichende Gesetze modifiziert werden, ohne dass nicht der Text des Grundgesetzes ausdrücklich geändert worden ist (Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG) und

–  bestimmte Verfassungsänderungen sind nach Art. 79 Abs. 3 GG gar nicht möglich („Ewigkeits- oder Sperrklausel“).

2.Wesentliche Entwicklungstendenzen

52Seit Inkrafttreten des Grundgesetzes ist das Grundgesetz mehrfach geändert worden. Zu unterscheiden sind hierbei isolierte Änderungen einzelner Vorschriften und ganze Reformpakete aufgrund wesentlicher gesellschaftspolitischer Weichenstellungen. Nachfolgend sollen exemplarisch einige besonders bedeutsame Reformen dargestellt werden.

–  Wehrverfassung (1954–1956) durch Regelungen über die allgemeine Wehrpflicht (Art. 12 a GG), die Gesetzgebungskompetenz des Bundes in Verteidigungsangelegenheiten (Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG), die Einordnung der Bundeswehr in den Exekutivbereich (Art. 87 a und b GG), die militärische Führung (Art. 65 a GG) und die parlamentarische Kontrolle (Art. 45 a und b GG);

–  Notstandsverfassung (1968) insbesondere durch Regelungen für den Verteidigungsfall (militärischer Angriff von außen), namentlich Art. 115 a – 115 l GG, Art. 53 a GG;

–  Deutsche Wiedervereinigung: Nachdem die Volkskammer der vormals bestehenden DDR mit Beschluss vom 23.8.1990 den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich der BR Deutschland mit Wirkung vom 3.10.1990 erklärt hat, kam es zu einer Reihe von beitrittsbedingten Änderungen des Grundgesetzes (z. B. Änderung der Präambel, Neuverteilung der Sitze im Bundesrat, Ergänzung des Art. 146 GG etc.);

–  Europäischer Integrationsprozess; Nach Bildung der Europäischen Union und mit Blick auf den Lissabonner Vertrag kam es 1992 bzw. 2008 insbesondere zur Neuregelung des Europaartikels (Art. 23 GG), zur pflichtigen Einrichtung eines Bundestagsausschusses für Europäische Angelegenheiten (Art. 45 GG) und zur Stärkung des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union (Art. 52 Abs. 3a GG) und

–  Reform des Bundesstaates mit Regelungen zur Verteilung der Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen sowie der Steuermittel zwischen Bund und Ländern.

E.Allgemeine Staatslehre

I.Elemente eines Staates

53Die mit Inkrafttreten des Grundgesetzes entstandene sowie nach Wahl bzw. Bestellung ihrer Bundesorgane handlungsfähige Bundesrepublik Deutschland ist ein Staat im völkerrechtlichen Sinne. Sie ist als solcher Mitglied in einigen Staatengemeinschaften, von denen die Vereinten Nationen (UNO), die Europäische Union (EU), das Verteidigungsbündnis der Nordatlantikpakt-Organisation (NATO) und die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) hervorgehoben werden sollen. Die Mitgliedschaft in solchen Staatengemeinschaften wird durch völkerrechtliche Verträge erworben. In der Regel wird hierfür die Eigenschaft als Staat vorausgesetzt, wie z. B. nach Art. 3 und 4 UN-Charta. Teilweise können auch supranationale Organisationen, die sich ihrerseits aus Staaten zusammensetzen, wie z. B. die Europäische Union, solchen Gemeinschaften (z. B. der EMRK) beitreten.

54Es stellt sich daher die grundsätzliche Frage, welche Elemente überhaupt einen Staat kennzeichnen und inwieweit diese Elemente bei der BR Deutschland gegeben sind.

55Nach der Drei-Elementen-Lehre sind für das Gefüge eines Staates erforderlich ein Staatsgebiet, ein Staatsvolk und eine Staatsgewalt.

1.Staatsgebiet

56Das Staatsgebiet ist ein abgegrenzter, beherrschbarer Teil der natürlichen Erdoberfläche, der zum dauernden Aufenthalt von Menschen geeignet ist.12 Die Grenzen des Staatsgebietes orientieren sich an der tatsächlichen Beherrschbarkeit und sind im Einzelnen weitgehend völkerrechtlich konkretisiert. Zum offenen Meer hin rechnet die Zwölfmeilenzone, gerechnet von der Küste zum Meer hin, noch zum Hoheitsgebiet des Küstenstaates (vgl. Art. 3 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen). Hinsichtlich der maximalen Zugehörigkeit des Luftraumes zum Staatsgebiet ist mangels völkerrechtlicher Verträge nach allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen von der tatsächlichen Beherrschbarkeit auszugehen, die bei 80–100 km oberhalb der Erdoberfläche liegen dürfte.13

2.Staatsvolk

57Das Staatsvolk ist die Summe der Staatsangehörigen. Sie haben bestimmte Rechte (z. B. Wahlrecht für das nationale Parlament) und Pflichten (z. B. Wehrpflicht), die andere Personen nicht haben. Es handelt sich insofern um einen dauerhaften Personenverband, der eine rechtliche und politische Schicksalsgemeinschaft darstellt. Jeder Staat ist grundsätzlich berechtigt, seine Staatsangehörigkeit selbst zu bestimmen.

Beispiele:

Im Staat A richtet sich die Staatsangehörigkeit einer Person nach derjenigen der Eltern („Abstammungsprinzip“). Hierauf kommt es im Staat B nicht an; dort kann die Staatsangehörigkeit auch durch Geburt im Staatsgebiet erworben werden, obwohl die Eltern eine andere Staatsangehörigkeit haben („Territorialprinzip“). Staat C ermöglicht den Erwerb der Staatsangehörigkeit auch durch Zahlung eines bestimmten Geldbetrages.

3.Staatsgewalt

58Staatsgewalt (Staatshoheit) wird als originäre Herrschaftsgewalt des Staates über sein Gebiet (Gebietshoheit) und die auf ihm befindlichen Personen (Personalhoheit) verstanden.14

Beispiele:

–  Der Europäischen Union fehlt die Staatsgewalt, da deren Hoheitsbefugnisse nicht originärer Natur (ursprünglich) sind, sondern auf vertraglicher Basis abgeleitet sind von derjenigen der Mitgliedsstaaten.

–  Auch die Kommunen haben keine originäre Hoheitsgewalt. Diese ist vielmehr vom Bund (Art. 28 Abs. 2 GG) und vom jeweiligen Bundesland (Landesverfassung, Gemeindeordnung etc.) abgeleitet.

–  Hingegen haben in einem Bundesstaat (z. B. Vereinigte Staaten von Amerika oder BR Deutschland) die Gliedstaaten (Bundesländer) die erforderliche originäre Staatsgewalt (vgl. Art. 30 GG).

II.Staatsgebiet, Staatsvolk, Staatsgewalt bezogen auf die BR Deutschland

59Die Drei-Elementen-Lehre lässt sich bezogen auf die BR Deutschland wie folgt anwenden und nachweisen.

1.Staatsgebiet

60Das Staatsgebiet der BR Deutschland ist in Satz 2 der Präambel beschrieben. Das Bundesgebiet besteht danach aus den Gebieten der sechzehn Bundesländer. Es gibt deshalb kein Bundesgebiet, welches nicht auch Landesgebiet wäre (anders als z. B. der bundesunmittelbare Hauptstadtdistrikt Washington D.C. in den Vereinigten Staaten).

2.Staatsvolk

61In der BR Deutschland richtet sich die Definition des Staatsvolkes nach Art. 116 Abs. 1 GG. Danach besteht – die den Auswirkungen des zweiten Weltkrieges geschuldete – Besonderheit, dass zum deutschen Staatsvolk nicht nur die deutschen Staatsangehörigen gehören, sondern auch die sog. Statusdeutschen.

62Statusdeutsche sind Personen deutscher Volkszugehörigkeit, die im Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31.12.1937 als Flüchtlinge oder Vertriebene Aufnahme gefunden haben. Das Datum des 31.12.1937 wurde gewählt, weil das Deutsche Reich zu diesem Zeitpunkt noch in anerkannten Grenzen bestand.15

Beispiel:

Eine Person, die in einem der Ostgebiete des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31.12.1937 (z. B. Ostpreußen) gewohnt hat und nach dem Rückzug der deutschen Wehrmacht von dort geflüchtet oder vertrieben worden ist, ist ein Statusdeutscher. Dieser wird rechtlich den deutschen Staatsangehörigen gleichgestellt.

63Aufgrund der früheren Regelung des § 40 a Staatsangehörigkeitsgesetz („Wer am 1. August 1999 Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes ist, ohne die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen, erwirbt an diesem Tag die deutsche Staatsangehörigkeit.“) haben die meisten Statusdeutschen zum 1.8.1999 kraft Gesetzes die deutsche Staatsangehörigkeit erworben.

64Die deutsche Staatsangehörigkeit bestimmt sich nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG). Die Erwerbsgründe der deutschen Staatsangehörigkeit sind im Einzelnen in § 3 StAG aufgeführt. Grundsätzlich erwirbt danach ein Kind die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt (Abstammungsprinzip). Das Staatsangehörigkeitsgesetz eröffnet aber auch die Möglichkeit des Erwerbs nach dem Territorialprinzip: Nach § 4 Abs. 3 StAG erwirbt ein Kind ausländischer Eltern durch die Geburt in der BR Deutschland die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und insbesondere ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzt.

65Weitere Erwerbsgründe, wie etwa durch Einbürgerung, Erklärung, Annahme als Kind, Bescheinigung, sind möglich und im Einzelnen im Staatsangehörigkeitsgesetz ausgeführt.

3.Staatsgewalt

66In der BR Deutschland geht nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG alle Staatsgewalt vom Volke aus. Das Volk ist damit Träger der Staatsgewalt. Die Ausübung der Staatsgewalt ist in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG geregelt. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen unmittelbar ausgeübt, im Übrigen mittelbar durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung.

F.Verfassungsrechtliche Grundentscheidungen

I.Verfassungsprinzipien

67Das Grundgesetz ist eine wertgebundene Verfassung, welche auf bestimmten grundlegenden Prinzipien („Verfassungsprinzipien“) aufgebaut ist. Diese Prinzipien bilden das Fundament des Grundgesetzes und damit der Gesellschaft der BR Deutschland. Es handelt sich um die Ausrichtung an eine unantastbare Menschenwürde sowie um bestimmte grundlegende Aufbauprinzipien (Staatsstrukturprinzipien), denen das Bild eines freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates zugrunde liegt, der föderal strukturiert ist.

1.Bedeutung und normative Verankerung

68Diese Verfassungsprinzipien sind in Art. 1 Abs. 1 GG (Menschenwürde) und in Art. 20 GG (Staatsstrukturprinzipien) normativ verankert.

2.Besonderer Schutz durch Art. 79 Art. 3 GG

69Die besondere Bedeutung dieser Verfassungsprinzipien wird deutlich durch die Regelung des Art. 79 Abs. 3 GG, wonach die in den Art. 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätze selbst mit den erforderlichen verfassungsändernden Mehrheiten unabänderlich sind („Ewigkeits- oder Sperrklausel“).

II.Staatszielbestimmungen

70Das Grundgesetz enthält an verschiedenen Stellen sogenannte Staatszielbestimmungen, die von den Verfassungsprinzipien abzugrenzen sind. Hierzu gehören vor allem der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere nach Art. 20 a GG sowie die Verwirklichung eines vereinten Europas nach Art. 23 Abs. 1 GG.

71Staatszielbestimmungen bilden nicht das Fundament der Verfassung und sind auch mit verfassungsändernder Mehrheit abänderbar. Auch sind sie keine Grundrechte, die als unmittelbares Recht vom Bürger unmittelbar einklagbar sind. Allerdings stellen sie rechtlich bindende Direktiven für das staatliches Handeln und die Auslegung von Gesetzen dar.16

Beispiele:

–  Ein Hirnforscher der Universität A führt Experimente mit Affen durch, die für diese mit erheblichen Schmerzen verbunden sind. Er beantragt bei der zuständigen Behörde eine Genehmigung nach dem Tierschutzgesetz zur Durchführung weiterer solcher Versuche und beruft sich hierbei auf sein Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG).

Die Behörde wird bei ihrer Entscheidung und bei der Auslegung des Tierschutzgesetzes im konkreten Fall die beiden verfassungsrechtlichen Bestimmungen der Wissenschaftsfreiheit (Grundrecht) und des Tierschutzes (Staatszielbestimmung) miteinander abzuwägen haben.17

–  Künstler K möchte im Garten seines im Außenbereich gelegenen Wochenendhauses Monumentalfiguren in Höhe von 7 m auf einen ca. 7 m hohen Sockel aufstellen. Die zuständige Bauaufsichtsbehörde verweigert ihm hierfür wegen des bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsgebotes (§ 35 Abs. 3 BauGB) die Baugenehmigung. Das Bundesverwaltungsgericht18 gab der Bauaufsichtsbehörde recht, da sich K zwar auf sein Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) berufen könne, allerdings die Vorschrift des § 35 Abs. 3 BauGB einen Wert von Verfassungsrang, nämlich die Staatszielbestimmung „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ (Art 20 a GG) konkretisiere. In der Abwägung dieser verfassungsrechtlichen Positionen habe die Staatszielbestimmung im konkreten Fall Vorrang.

Ansprüche können sich aber aus Grundrechten ergeben, die durch die Missachtung von Staatszielbestimmungen gefährdet sind.

Beispiel:

Art. 20a Var. 1 GG verpflichtet den Staat zur Herstellung von Klimaneutralität und Generationsgerechtigkeit. Hiermit sind Beschränkungen der Bürger und damit ihrer Freiheitsgrundrechte (z. B. freie Entfaltung der Persönlichkeit, Berufsfreiheit etc.) verbunden, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden sind. Das BVerfG sieht daher die Freiheitsrechte von Vertretern der jüngeren Generation verletzt, wenn der aktuelle Gesetzgeber unter Verstoß gegen Art. 20a Var. 1 GG unverhältnismäßig hohe Lasten auf Emissionsminderung auf Zeiträume nach 2030 verschiebt und damit die künftige Generation mit drastischen Einschränkungen bedroht.19

III.Freiheitlich demokratische Grundordnung

72Sowohl von den Staatstrukturprinzipien als auch den Staatszielbestimmungen sind Zweck, Begriff und Konzeption der freiheitlich demokratischen Grundordnung zu differenzieren. Das Grundgesetz tritt als wertgebundene Verfassung für eine freiheitlich demokratische Grundordnung ein. Anders als die Vorgängerverfassung, die Weimarer Reichsverfassung, ist sie damit nicht inhaltlich neutral eingestellt. Das Grundgesetz tritt nicht nur inhaltlich für die freiheitlich demokratische Grundordnung ein, sondern schützt sie auch vor Personen, die sie beeinträchtigen oder beseitigen wollen. Als „Lehre von Weimar“ ist dieser Schutz Ausprägung der wehrhaften Demokratie. Es handelt sich um einen Selbstschutzmechanismus der Verfassung. Dieser soll sicherstellen, dass Verfassungsfeinde nicht unter Berufung auf die Freiheiten, die das Grundgesetz gewährt, und unter ihrem Schutz die Verfassungsordnung oder den Bestand des Staates gefährden, beeinträchtigen oder zerstören.20

73Unter der freiheitlichen demokratischen Grundordnung versteht das Bundesverfassungsgericht21 eine Ordnung, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Es handelt sich hierbei vereinfacht, aber auch mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts22 ausgedrückt, um „das Gegenteil des totalen Staates, der … Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit ablehnt“.

74Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung gehören nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mindestens

–  die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung,

–  die Volkssouveränität,

–  die Gewaltenteilung,

–  die Verantwortlichkeit der Regierung,

–  die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung,

–  die Unabhängigkeit der Gerichte,

–  das Mehrparteienprinzip und

–  die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung der Opposition.

75Der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wird in verschiedenen Bestimmungen des Grundgesetzes konkretisiert:

–  Gemäß Art. 21 Abs. 2 GG sind Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, verfassungswidrig. Hierüber entscheidet allein das Bundesverfassungsgericht. Man spricht daher vom „Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts“ und damit vom „Parteienprivileg“, da sonstige Vereinigungen (z. B. kommunale Wählergruppen oder andere Vereine) von den zuständigen Behörden (das für Inneres zuständige Bundes- bzw. Landesministerium) verboten werden können (vgl. Art. 9 Abs. 2 GG).

–  Gemäß Art. 18 Satz 1 GG können nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bestimmte Grundrechte verwirkt werden, wenn diese zum Kampf gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung missbraucht werden.

–  Für Beamte besteht ein hergebrachter Grundsatz des Beamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG des Inhaltes, dass sie die Gewähr dafür bieten müssen, jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung einzutreten.23 Dieser Grundsatz ist auch einfachgesetzlich in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Beamtenstatusgesetz konkretisiert.

G.Demokratie

76Die in Art. 20 GG normierten Staatsstrukturprinzipien sind als fundamentale Verfassungsprinzipien neben der in Art. 1 Abs. 1 GG geregelten Menschenwürde von besonderer Bedeutung. Die Staatsstrukturprinzipien der Republik, der Demokratie und des sozialen Rechtsstaates gelten nach der „Homogenitätsklausel“ des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG auch als Vorgaben für die Verfassungen der Bundesländer.

77Zu den tragenden Staatsstrukturprinzipien gehört das in Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG normierte Demokratieprinzip.

I.Begriff und normativer Ansatz

78Das griechisch-stämmige Wort „Demokratie“ lässt sich mit Volksherrschaft übersetzen. Diese Übersetzung trifft auch den Kern dessen, was unter Demokratie im Sinne des Grundgesetzes zu verstehen ist. Es geht darum, dass das Volk Träger der Staatsgewalt ist.

79Dieses Verständnis wird im Normtext des Art. 20 GG deutlich:

–  Nach Abs. 1 ist die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer Bundesstaat.

–  Abs. 2 Satz 1 macht dann die Vorgabe, dass „alle Staatsgewalt…vom Volke“ ausgeht.

–  Die Staatsgewalt wird dabei gemäß Abs. 2 Satz 2 „vom Volke in Wahlen und Abstimmungen… ausgeübt“.

II.Formen der Demokratie

80Bevor auf die Ausprägungen und Konkretisierungen des Demokratiebegriffes im Einzelnen eingegangen wird, sollen zunächst die Formen der Ausübung der Demokratie vorgestellt werden.

1.Unmittelbare und mittelbare Demokratie

81Grundsätzlich sind zwei Formen der Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk möglich. In der Reinform der unmittelbaren Demokratie trifft das Volk die anstehenden Sachentscheidungen selbst. Die unmittelbare Entscheidung über Sachthemen wird „Abstimmung“ genannt. In der Reinform der mittelbaren Demokratie wählt das Volk Vertreter, die die Sachentscheidungen im Namen des Volkes treffen. Anders als bei Abstimmungen geht es bei Wahlen also stets um Personalentscheidungen.

82Aufgrund der Bevölkerungszahlen sowie der Vielzahl und der Komplexität der Sachentscheidungen kommt die Reinform der unmittelbaren Demokratie heutzutage in den bestehenden Staaten nicht mehr vor. Sie ist allerdings als theoretisch mögliches Modell für Gemeinden im Grundgesetz in Art. 28 Abs. 1 Satz 4 GG („Gemeindeversammlung“ an die Stelle einer gewählten Körperschaft) normiert. In aller Regel bestehen in den Staaten Mischformen dergestalt, dass das Volk Vertreter wählt, die die Sachentscheidungen treffen und nur ausnahmsweise im Wege von Abstimmungen selbst Sachentscheidungen trifft.

2.Grundsatz der mittelbaren Demokratie im Grundgesetz

83Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG lässt bei der Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk vom Wortlaut her sowohl die Möglichkeit der Wahl von Vertretern als auch diejenige von Abstimmungen zu. Bezieht man jedoch die übrigen Bestimmungen des Grundgesetzes in die Betrachtung ein und beleuchtet den Gesamtzusammenhang, so wird deutlich, dass das Grundgesetz in der derzeitigen Struktur die Grundkonzeption der mittelbaren (parlamentarisch repräsentativen) Demokratie verfolgt.

84Danach wählt das Volk seine Vertreter durch die Wahl der Abgeordneten des Bundestages (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG). Die Abgeordneten sind nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG Vertreter des ganzen Volkes. Das Volk gilt mithin als im Parlament vollständig vorhanden gedacht. Man spricht deshalb von einer repräsentativen Demokratie. Jeder einzelne Abgeordnete vertritt dabei das gesamte Volk und nicht etwa nur seinen Wahlkreis, seine Wähler oder seine Partei. Deshalb sind die Abgeordneten auch nicht an Aufträge und Weisungen gebunden, sondern nur ihrem Gewissen unterworfen (Grundsatz des freien Mandates).

85Alle wesentlichen Entscheidungen des Gemeinwohls werden vom Bundestag getroffen. Der Bundestag ist das zentrale Gesetzgebungsorgan und Kontrollorgan gegenüber der Bundesregierung. Insoweit spricht man von einer parlamentarischen Demokratie.

86Demgegenüber enthält das Grundgesetz – anders als viele Landesverfassungen und die Kommunalgesetze – keine Regelungen über Volksentscheide auf Bundesebene. Dies gilt auch für die vermeintliche Ausnahme der Neugliederung des Bundesgebietes nach Art. 29 Abs. 2 und 3 GG, da hierüber nicht das gesamte Volk, sondern nur die Teilvölker der betroffenen Bundesländer zu entscheiden haben. Auch Art. 146 GG ist kein Volksentscheid im Rahmen des Grundgesetzes, sondern betrifft die Beschlussfassung des deutschen Volkes über eine neue Verfassung.

3.Unmittelbare Demokratie im Grundgesetz

87Angesichts der Grundkonzeption des Grundgesetzes zugunsten einer parlamentarischen und repräsentativen Demokratie stellt sich die Frage, ob auf Bundesebene überhaupt die (viel und aktuell wieder diskutierte) Einführung von Elementen unmittelbarer Demokratie möglich ist. Hierbei sind zunächst die verfassungsrechtlich gängigen Beteiligungsformen zu beschreiben.

88Bei den Formen der unmittelbaren Demokratie sind entsprechend der länder- und kommunalrechtlichen Regelungen drei Instrumente zu differenzieren:

–  Die Volksinitiative ist der Antrag an das Parlament, eine bestimmte Sachfrage zu behandeln und zu entscheiden, d. h. die Entscheidung wird vom Volk nur initiiert und allein vom Parlament getroffen.

–  Das Volksbegehren