Stadt, Angst, Schweigen - Norbert W. Schlinkert - E-Book

Stadt, Angst, Schweigen E-Book

Norbert W. Schlinkert

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Beschreibung

Ein Mann erwartet bis Sonnabendmittag den Anruf seines HNO-Arztes Prof. Dr. Kofler, der ihm das Ergebnis aufwändiger Untersuchungen mitteilen wird, die seiner immer stärker werdenden Heiserkeit wegen vorgenommen werden mussten. Von Unruhe getrieben verlässt der Mann am späten Freitagabend seine Wohnung im Prenzlauer Berg und gerät gehend immer tiefer in seine eigene, abgründige Gedankenwelt hinein. Er denkt nach über seine Herkunft, die Untersuchungen bei Kofler und dessen immer aufreizend gekleidete Sprechstundenhilfe, seinen Vorgesetzten Kranzler und dessen unerträglichen Körpergeruch, die überaus attraktive Frau Semper, die er selbst Kranzler als dessen Assistentin ausgesucht hat, die Krämer, die er, so Kranzler, als Sekretärin einfach mitbenutzen solle … - Norbert W. Schlinkert erzählt in einer zwischen innerem Monolog und einem Bewusstseinsstrom changierenden, furiosen und nicht selten bitter-komischen Art und Weise von einer Nacht der Angst, in der der unbedingte Drang des sich schonungslos selbstquälenden Geistes offenbar wird, die Wahrheit eines ganzen Lebens zu begreifen.

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Seitenzahl: 199

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Norbert W. Schlinkert

Stadt, Angst, Schweigen

Heraklitischer Fließtext

Elsinor Verlag

INHALT

Über den Autor

Über dieses Buch

Denke auch an Morgen, mein Bruder, wenn du nach Abend siehest, und wenn vor dir eine Sonne untergeht, so wende dich um und siehe wieder in Morgen einen Mond aufsteigen: der Mond ist der Bürge der Sonne, wie die Hoffnung die Bürgin der Seligkeit. Jean Paul

Wie früh es nun, dachte er, dunkel wird. November. Wie trüb es ist. Das hatte er schon den ganzen Tag über gedacht, immer wieder in den Erker an das nach Osten schauende Fenster tretend und auf die Straße blickend. Und dass die Hoffnung, nicht die allgemeine, wohlfeil zu bekommende, sondern die seine, seine als solche, nun aufgebraucht war, auch daran hatte er gedacht. Den ganzen Tag schon. Wann nur war ihm dieser Gedanke gekommen? An langgezogenen, grünen Hälsen hingen die Köpfe der Straßenlaternen zwischen ihm und der Straße unten, um sie herum ein gelblicher Kranz aus Nebel und Dunst mit fast cremiger Konsistenz. Von der Kreuzung her ein Hupen, das Rattern der Tram. An der Apotheke, sah er, jenseits der Kreuzung, flammte jetzt ein Licht auf und übergoss das Trottoir mit Helligkeit. Eine Werbemaßnahme ohne Zweifel, deren positive Wirksamkeit sicher belegbar wäre, denn man müsste nur, dachte er, mit der größtmöglichen Genauigkeit die Umsatzsteigerung und alle notwendigen Werbekosten, also Kauf und Installation der Lampe sowie die zusätzlichen Stromkosten, miteinander in Beziehung setzen. Natürlich würde der Effekt verpuffen, zögen andere Apotheken nach, eines Tages wäre sicher der Gehweg vor jeder Apotheke auf das grellste beleuchtet, was aber durchaus, dachte er jetzt, im Gegenteil vielleicht dann doch einen Gesamteffekt und Gesamteindruck machte, von dem alle profitierten. Aber sind das nicht unnütze Gedanken, dachte er, die Schultern hochziehend. Er wandte sich vom Fenster ab, durchschritt das Wohnzimmer und ging, am Telefon vorbei, in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Wohlgeordnet lagen Butter, Käse und abgepacktes Brot bereit. Er nahm einen kleinen Apfel aus dem sonst leeren Gemüsefach und steckte ihn in die rechte Tasche seiner Hausjacke, ein Vorgang, der zu nichts gut war, außer dazu, dem Gefühl, auf alles vorbereitet zu sein, Nahrung zu geben. , hatte sein Großvater immer gesagt, wenn er, der Enkel, einen besonders schönen Apfel, den der Großvater, auf der Leiter stehend, ihm hinunterreichte, in die Jackentasche gleiten ließ. Hatte er je einen dieser Äpfel gegessen? Das Gefühl aber stellte sich auch jetzt ein, das Gefühl, gerüstet zu sein, allen Widrigkeiten trotzen zu können. Er ging, wieder am Telefonapparat vorbei, zurück ins Wohnzimmer und stellte sich wieder ans Fenster. Eine alte Frau, sah er, zog sich am Haltebügel die schräge Ebene zur Apotheke hoch. Die Tür öffnete sich automatisch. Diente die Beleuchtung vielleicht doch eher der Sicherheit als der Werbung, überlegte er. Und waren Stufen an Apotheken nicht mehr erlaubt? Könnte durchaus sein. Bei Gelegenheit müsste er das erfragen, das mit dem Licht und auch das mit den Stufen, jetzt aber, heute Abend, nur aus diesem einzigen Grunde hinunter zu gehen, kam nicht in Frage, er benötigte vorläufig nichts. Zudem waren diese Fragen nicht wichtig, er stellte sie sich selbst, das war alles. Nicht jede Frage ist es wert, beantwortet zu werden, dachte er. Unwichtig, ob der gewissenhafte Apotheker eher seinen Gewinn oder die Gesundheit seiner Kundschaft und der anderer Passanten im Sinn hatte, als er sich entschied, das Flutlicht anzubringen, das ja tatsächlich den Gehsteig überflutet wie ein unendlich dünner Film aus gleißendem Licht, leichter als Wasser und schwerer als Gas. , dachte er, diesmal fast unwirsch, jetzt eines Handwerkers gewahr werdend, der aus einem Firmenwagen ausstieg, dem Fahrer zunickte und vielleicht ein mit den Lippen formte, ohne tatsächlich die Stimmbänder in Schwingung zu versetzen. Der Mann verschwand im Hauseingang links neben der Apotheke. Möglicherweise steht auch er, so er im Vorderhaus wohnt, in wenigen Minuten am Fenster, um, noch in Arbeitskleidung, hinauszuschauen, auch wenn er anstelle der Apotheke und der Bäckerei den Zeitungsladen und das Wäschegeschäft gegenüber sehen muss. Er selbst brauchte nur das Fenster zu öffnen, sich nur ein wenig hinauszulehnen und nach rechts zu blicken, über die Hochbahnbrücke hinweg, auf der im Augenblick zwei gelbe U-Bahn-Schlangen, ihm den Blick versperrend, sich begegneten, um das Licht des Wäschegeschäfts zu sehen, wie es den Gehweg schwachgelblich überzog, so wie der Handwerker ebenfalls nur das Fenster zu öffnen brauchte, um, nach links blickend, das Apothekenlicht zu sehen. Unwichtig, unwichtig, dachte er wieder, alles von außen Betrachtete ist unwichtig! Doch sobald nur ein einziger Gedanke an das Geschehen angeheftet wird, was fast automatisch geschieht, erscheint es auf einmal wichtig. Einem selbst. Aber auch wenn kein Gedanke, sann er weiter, keine Überlegung und keine Frage auf ein Geschehen folgt, es zu belegen und zu kommentieren, so erfordert allein die Entscheidung zum Nichtbedenken, Nichtüberlegen und Nichtbefragen wieder einen Denkimpuls. Auch ein Nicht-daran-Denken ist, wenn nicht immer, so doch oft, ein Daran-Denken. Er holte tief Luft und tastete zugleich nach seinem Apfel. Ohne Belang, all das, dachte er weiter, nur um nicht das Wort denken zu müssen, welches ihm gleichzeitig in den Kopf geschossen war. auch das hatte der Großvater gesagt. Oder habe ich, dachte er, mir das hinzugedichtet? Das mit der Hoffnung?

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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