Stakeholder-Kapitalismus - Klaus Schwab - E-Book

Stakeholder-Kapitalismus E-Book

Klaus Schwab

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Beschreibung

Unser globales Wirtschaftssystem ist kaputt. Es ist geprägt von globalen Umbrüchen, Unsicherheit und mangelnder Nachhaltigkeit. Aber wir können das derzeitige ökonomische System durch ein anderes ersetzen - eine Wirtschaft, die für alle Menschen und den Planeten funktioniert. Was müssen wir dafür tun? Erstens müssen wir die steigende Einkommensungleichheit innerhalb von Gesellschaften beseitigen, in denen sich das Produktivitäts- und Lohnwachstum verlangsamt hat. Zweitens müssen wir die dämpfende Wirkung der monopolistischen Marktmacht großer Konzerne auf Innovationen und Produktivitätssteigerungen reduzieren. Und schließlich muss die kurzsichtige Ausbeutung natürlicher Ressourcen beendet werden, die die Umwelt zersetzt und das Leben vieler Menschen zum Schlechten beeinflusst. Die Debatte über die Ursachen der kaputten Wirtschaft ist vielfältig - von Laissez-faire-Regierungen, über schlecht gemanagte Globalisierung bis hin zum Aufstieg der Technologie zu Gunsten einiger weniger, um nur einige Punkte zu nennen. Das Buch argumentiert überzeugend, dass unser derzeitiges System uns weiterhin im Stich lassen wird, wenn wir nicht damit beginnen, die wahre Form unserer Probleme zu erkennen. Um uns zu helfen, unsere Herausforderungen klarer zu sehen, sucht Schwab - der Gründer und Executive Chairman des Weltwirtschaftsforums - nach den wahren Ursachen für die Unzulänglichkeiten unseres Systems und nach Lösungen in bewährten Praktiken aus der ganzen Welt an so unterschiedlichen Orten wie China, Dänemark, Äthiopien, Deutschland, Indonesien, Neuseeland und Singapur. Dabei findet Schwab Beispiele für neue Wege, die Anlass zur Hoffnung geben, darunter: - Individuelles Handeln: wie Länder und Politik einen Unterschied gegenüber großen externen Kräften machen können. - Ein klar definierter Gesellschaftsvertrag: Die Einigung auf gemeinsame Werte und Ziele ermöglicht es Regierungen, Wirtschaft und Individuen, die besten Ergebnisse zu erzielen. - Planung für künftige Generationen: Kurzsichtiges Denken schadet unserer gemeinsamen Zukunft und der derjenigen, die noch geboren werden. - Bessere Maßstäbe für wirtschaftlichen Erfolg: weg vom kurzsichtigen Fokus auf das Bruttoinlandsprodukt, hin zu umfassenderen, auf den Menschen bezogenen Maßstäben für gesellschaftliches Wohlergehen. Durch die genaue Beschreibung unserer realen Situation ist der hier vorgestellte Stakeholder-Kapitalismus in der Lage, erreichbare Wege zur Lösung unserer Probleme aufzuzeigen. Kapitel für Kapitel zeigt uns Professor Schwab, dass es für jeden auf allen Ebenen der Gesellschaft Möglichkeiten gibt, die zerbrochenen Teile der globalen Wirtschaft neu zu formen und - Land für Land, Unternehmen für Unternehmen und Bürger für Bürger - wieder so zusammenzusetzen, dass wir alle davon profitieren können.

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Das englische Original erschien 2021 unter dem Titel Stakeholder Capitalism. A Global Economy that works for progress, People and Planet bei John Wiley & Sons, Inc., Hoboken, New Jersey

Copyright © 2021 by World Economic Forum.

All rights reserved.

This translation published under license with the original publisher »John Wiley & Sons, Inc«.

Alle Bücher von WILEY-VCH werden sorgfältig erarbeitet. Dennoch übernehmen Autoren, Herausgeber und Verlag in keinem Fall, einschließlich des vorliegenden Werkes, für die Richtigkeit von Angaben, Hinweisen und Ratschlägen sowie für eventuelle Druckfehler irgendeine Haftung

© 2022 Wiley-VCH GmbH

Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form – durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren – reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen oder sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige gesetzlich geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche markiert sind.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Print ISBN: 978-3-527-51085-6ePub ISBN: 978-3-527-83632-1

Umschlaggestaltung Susan Bauer, Mannheim, in Anlehnung an das Cover des englischen OriginalsCoverbild -stock.adobe.com

Für meine Eltern, Eugen Wilhelm Schwab (†) und Erika Epprecht (†), die mir aus erster Hand den Wert von Bildung, Zusammenarbeit und dem Stakeholder-Prinzip vermittelt haben

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titelblatt

Impressum

Widmung

Vorwort

Teil I: DIE WELT, IN DER ICH AUFGEWACHSEN BIN

1 75 Jahre globales Wachstum und Entwicklung

Grundlagen der Weltwirtschaftsordnung in der Nachkriegszeit

Die dreißig glorreichen Jahre im Westen

Die turbulenten 1970er- und 1980er-Jahre

Die Wende

Globalisierung in den 1990er- und 2000er-Jahren

Der Zusammenbruch eines Systems

Anmerkungen

2

Der Kuznets-Fluch:

Die Probleme der Weltwirtschaft heute

Die ursprüngliche Kuznets-Kurve: Das BIP als Maß für den Fortschritt

Der zweite Kuznets-Fluch: Ungleichheit

Der dritte Kuznets-Fluch: Die Umwelt

Anmerkungen

3 Der Aufstieg Asiens

Chinas Sonderwirtschaftszonen

Der Preis des Fortschritts

Schwellenländer im Windschatten Chinas

Wachstum in Indien

Das große Ganze

Anmerkungen

4 Gespaltene Gesellschaften

Deutsche Teilung und Wiedervereinigung

Die Erosion der politischen Mitte

Gesellschaftliche Unruhen

Die Lehre, die man aus einer gespaltenen Gesellschaft ziehen muss

Anmerkungen

Teil II: TREIBER VON FORTSCHRITT UND PROBLEMEN

5 Globalisierung

Indonesien und die Globalisierung

Frühe Anfänge und Gewürzrouten

Das Zeitalter der Entdeckungen (15. bis 18. Jahrhundert)

Die erste Welle der Globalisierung (19. Jahrhundert bis 1914)

Die zweite und dritte Welle der Globalisierung

Globalisierung 4.0

Globalisierung heute

Anmerkungen

6 Technologie

Ein sich verändernder Arbeitsmarkt

Unternehmenslandschaft im Wandel

Vorindustrielle Revolutionen

Die erste industrielle Revolution

Die zweite industrielle Revolution

Die dritte industrielle Revolution

Die vierte industrielle Revolution

Anmerkungen

7 Mensch und Planet

Thunberg in Davos

Anmerkungen

Teil III: STAKEHOLDER-KAPITALISMUS

8 Konzept

Die Geschichte des Stakeholder-Konzepts

Das Stakeholder-Modell heute

Prinzipien und Überzeugungen, die dem Stakeholder-Modell zugrunde liegen

Werte schaffen und teilen

Stakeholder-Kapitalismus in der Praxis

Anmerkungen

9 Unternehmen

Mærsk

Anmerkungen

10 Gemeinschaften

Neuseeland während der COVID-19-Krise

Die Hauptaufgaben der nationalen Regierungen

Singapur als Modell einer Stakeholder-Regierung

Neuseeland und die Abkehr vom BIP

Zivilgesellschaft und die internationale Gemeinschaft

Anmerkungen

Schlussfolgerung: Der Weg zum Stakeholder-Kapitalismus

Anmerkungen

Danksagungen

Über die Autoren

Stichwortverzeichnis

Stimmen zum Buch

End User License Agreement

Illustrationsverzeichnis

Kapitel 2

Abbildung 2.1: Das weltweite BIP-Wachstum ist seit den 1960er-Jahren ten...

Abbildung 2.2: Kuznets-Wellen: Wie die Einkommensungleichheit über...

Abbildung 2.3: Der Einfluss von China und Indien auf die globale Einkommen...

Abbildung 2.4: In den USA ist die Einkommensungleichheit stark angestiegen...

Abbildung 2.5: Erwartetes Muster der Veränderungen der Ungleichheit i...

Abbildung 2.6: Der »Earth Overshoot Day« findet seit 1970 fast j...

Kapitel 3

Abbildung 3.1: Nach einem von China angeheizten Boom in den 2000er-Jahren bl...

Abbildung 3.2: Bis 2019 gab es in Südostasien mindestens 14 Tech-»...

Abbildung 3.3: Nach einigen Maßstäben hat das asiatische Jahrhunde...

Abbildung 3.4: Die Ungleichheit in China und Indien ist in den letzten Jahre...

Kapitel 4

Abbildung 4.1: Prozentualer Anteil der Stimmen für rechtspopulistische P...

Kapitel 5

Abbildung 5.1: Nova Totius Terrarum orbis Geographica ac Hydrographica Tabul...

Abbildung 5.2: Die Maschinenfabrik von Richard Hartmann in Chemnitz. Hartman...

Kapitel 6

Abbildung 6.1: Wachstum des Pro-Kopf-BIP in Singapur (1965–2019)

Abbildung 6.2: Die Elefantenkurve der globalen Ungleichheit und des Wachstum...

Kapitel 7

Abbildung 7.1: Globale CO2-Emissionen seit der industriellen Revolution

Kapitel 8

Abbildung 8.1: Das Unternehmen im Mittelpunkt seiner Stakeholder

Abbildung 8.2: Das vereinfachte Stakeholder-Modell, mit Mensch und Planet im...

Abbildung 8.3: Mensch und Planet im Zentrum des globalen Stakeholder-Modells...

Kapitel 10

Abbildung 10.1: Darstellung des neuseeländischen Lebensstandard-Rahmens

Orientierungspunkte

Cover

Titelseite

Impressum

Widmung

Vorwort

Inhaltsverzeichnis

Fangen Sie an zu lesen

Schlussfolgerung: Der Weg zum Stakeholder-Kapitalismus

Danksagungen

Über die Autoren

Stichwortverzeichnis

Stimmen zum Buch

End User License Agreement

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Vorwort

Anfang Februar 2020 saß ich in Genf, um mit einem Kollegen über dieses Buch zu sprechen, als das Telefon in meinem Büro klingelte. Dies sollte sich als Wendepunkt erweisen, als sich der Blick von der Zeit vor COVID-19 auf die Realität nach COVID-19 verlagerte.

Vor diesem Anruf hatten sich meine Kollegen und ich mit den langfristigen Herausforderungen der Weltwirtschaft beschäftigt, einschließlich Klimawandel und Ungleichheit. Ich hatte eingehend über das globale Wirtschaftssystem nachgedacht, das in den 75 Jahren seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und in den 50 Jahren seit der Gründung des Weltwirtschaftsforums geschaffen wurde. Dabei habe ich mich mit den verschiedenen Elementen unserer heutigen globalisierten Welt beschäftigt, einschließlich der Vorteile, Kompromisse und Gefahren. Dann dachte ich darüber nach, welche Änderungen am System in den nächsten 50 bzw. 75 Jahren notwendig wären, um sicherzustellen, dass es gerechter, nachhaltiger und widerstandsfähiger für zukünftige Generationen wird.

Doch mit einem Anruf wurde diese langfristige Agenda auf den Kopf gestellt. Mein Fokus verlagerte sich auf die unmittelbare Krise, mit der wir alle, in jedem Land der Erde, konfrontiert werden sollten.

Am anderen Ende der Leitung war der Leiter unserer Pekinger Repräsentanz in China. In der Regel handelt es sich bei diesen Anrufen um Routineangelegenheiten, die die Möglichkeit bieten, sich über bestehende Initiativen und Programme zu informieren. Aber diesmal war es anders. Der Direktor hatte mich angerufen, um mich über die Epidemie zu informieren, die China Anfang des Winters schwer getroffen hatte: Covid-19. Ursprünglich auf die Stadt Wuhan beschränkt, wurde dieses neuartige Coronavirus, das häufig schwere Atemwegserkrankungen auslöst, schnell zu einem landesweiten Problem für die öffentliche Gesundheit. Unser Kollege erklärte, dass viele Einwohner Pekings zu den Feierlichkeiten zum Neujahrsfest außerhalb der Stadt gereist waren und bei ihrer Rückkehr das neuartige Coronavirus mitbrachten, was zu einem großen Ausbruch und der anschließenden Abriegelung der Hauptstadt führte.

Mein Kollege behielt einen kühlen Kopf und lieferte objektive Fakten darüber, was der Lockdown für unsere Mitarbeiter und den Betrieb bedeutete. Aber an seiner Stimme konnte ich erkennen, dass er sehr besorgt war. Seine Familie und alle Menschen in seinem Leben waren davon betroffen, da sie mit den Gefahren einer Infektion und der Abriegelung konfrontiert waren. Die von den Behörden ergriffenen Maßnahmen waren drastisch. Angestellte waren gezwungen, auf unbestimmte Zeit von zu Hause aus zu arbeiten, und durften ihre Wohnungen nur unter sehr strengen Auflagen verlassen. Wenn jemand Symptome zeigte, wurde er sofort getestet und unter Quarantäne gestellt. Aber selbst mit diesen drakonischen Maßnahmen war es nicht sicher, dass die Gesundheitsbedrohung in Schach gehalten werden konnte. Die Epidemie breitete sich so schnell aus, dass die Menschen, auch wenn sie das Haus kaum verlassen konnten, Angst vor einer Ansteckung mit dem Virus hatten. In der Zwischenzeit kam aus den Krankenhäusern die Nachricht, dass die Krankheit sehr aggressiv und schwer zu behandeln sei und das Gesundheitssystem überfordere.

In der Schweiz wussten wir seit unserer Jahrestagung Ende Januar 2020 von SARS-CoV-2, dem Virus, das COVID-19 verursacht. Es war ein Gesprächsthema in Diskussionen über die öffentliche Gesundheit, unter Teilnehmern aus oder mit größeren Betrieben in Asien. Aber bis zu diesem Telefonat hatte ich gehofft, dass der Ausbruch in seiner Dauer und geografischen Ausbreitung begrenzt sein würde, ähnlich wie die Coronaviren SARS und MERS unter Kontrolle gebracht worden waren. Ich hoffte, dass es nicht so viele meiner Kollegen, Freunde und Familienangehörigen persönlich betreffen würde.

Während des Telefongesprächs änderte sich mein Verständnis für die globale Bedrohung der öffentlichen Gesundheit. In den Tagen und Wochen danach stoppte ich die Arbeit an diesem Buch, und das Weltwirtschaftsforum ging in den Krisenmodus. Wir richteten eine spezielle Task Force ein, baten alle Mitarbeiter, von zu Hause aus zu arbeiten, und konzentrierten all unsere Bemühungen auf die Unterstützung der internationalen Notfallmaßnahmen. Es war keinen Moment zu früh. Eine Woche später erzwang das Virus einen Lockdown in weiten Teilen Europas, und ein paar Wochen später sah sich der Großteil der Welt einer ähnlichen Situation gegenüber, einschließlich der Vereinigten Staaten. In den folgenden Monaten starben mehrere Millionen Menschen oder wurden in Krankenhäuser eingeliefert, hunderte Millionen Menschen verloren ihre Arbeit oder ihr Einkommen, und unzählige Unternehmen und Regierungen gingen physisch oder virtuell bankrott.

Während ich dieses Vorwort im Herbst 2020 schreibe, ist der globale Ausnahmezustand, der durch die erste COVID-19-Welle ausgelöst wurde, weitgehend abgeklungen, aber schon versetzt eine neue Infektionswelle die Welt erneut in höchste Alarmbereitschaft. Länder auf der ganzen Welt haben das soziale und wirtschaftliche Leben vorsichtig wieder aufgenommen, jedoch verläuft die wirtschaftliche Erholung sehr ungleichmäßig. China gehörte zu den ersten großen Ländern, die ihre Lockdowns beendeten und die Geschäfte wieder öffneten, und es wird sogar ein Wachstum der Wirtschaft über das gesamte Jahr 2020 erwartet.

In Genf, New York, San Francisco und Tokio, unseren anderen ständigen Büros, wurden auch Teile des öffentlichen Lebens wieder aufgenommen, wenn auch auf viel fragilere Weise. Und überall auf der Welt gingen viele Menschenleben und Existenzen verloren; Milliarden wurden ausgegeben, um Menschen, Unternehmen und Regierungen über Wasser zu halten; bestehende soziale Spaltungen vertieften sich und neue entstanden.

Inzwischen haben wir uns von der anfänglichen Krise etwas entfernt, und viele von uns – mich eingeschlossen – sind zu der Erkenntnis gelangt, dass die Pandemie und ihre Auswirkungen eng mit Problemen verbunden sind, die wir bereits mit dem bestehenden globalen Wirtschaftssystem in Verbindung gebracht hatten. Diese Perspektive brachte mich zurück zu dem Gespräch, das ich im Februar 2020 am Tag jenes schicksalhaften Anrufs aus Peking geführt hatte. Viele der Analysen, an denen wir zuvor gearbeitet hatten, trafen nun mehr denn je zu. Sie werden in diesem Buch etwas darüber erfahren. Im Folgenden werde ich meine Beobachtungen zur zunehmenden Ungleichheit, zum verlangsamten Wachstum, zur stockenden Produktivität, zur unhaltbaren Verschuldung, zum immer schneller fortschreitenden Klimawandel, zur Verschärfung gesellschaftlicher Probleme und zur mangelnden globalen Zusammenarbeit im Hinblick auf einige der dringendsten Herausforderungen der Welt darlegen. Und diese Beobachtungen sind, wie Sie mir hoffentlich zustimmen werden, nach COVID-19 ebenso gültig wie vorher.

Eines hat sich jedoch in der Zwischenzeit zwischen Vorher und Nachher geändert: Ich stelle fest, dass es in der Bevölkerung, in der Wirtschaft und in der Regierung ein größeres Verständnis dafür gibt, dass man für eine bessere Welt zusammenarbeiten muss. Der Ansatz, dass der Wiederaufbau nach COVID anders sein müsse, wird weitgehend geteilt. Die plötzliche und allumfassende Wirkung von COVID-19 hat uns – viel mehr als die allmählichen Auswirkungen des Klimawandels oder die zunehmende Ungleichheit – vor Augen geführt, dass ein von egoistischen und kurzfristigen Interessen geleitetes Wirtschaftssystem nicht nachhaltig ist. Es ist unausgewogen, anfällig und erhöht die Wahrscheinlichkeit von gesellschaftlichen, ökologischen und gesundheitlichen Katastrophen. Wie COVID-19 zeigt, stellen solche Katastrophen eine unerträgliche Belastung für die öffentlichen Systeme dar.

In diesem Buch werde ich darlegen, dass wir nicht mit einem Wirtschaftssystem weitermachen können, das von egoistischen Werten angetrieben wird, wie kurzfristige Gewinnmaximierung, die Umgehung von Steuern und Auflagen oder die Externalisierung von Umweltschäden. Stattdessen brauchen wir eine Gesellschaft, Wirtschaft und internationale Gemeinschaft, die darauf ausgerichtet ist, für alle Menschen und den gesamten Planeten zu sorgen. Konkret sollten wir von einem System des »Shareholder-Kapitalismus«, das in den letzten 50 Jahren im Westen vorherrschte, und einem System des »Staatskapitalismus«, das in Asien an Bedeutung gewann und auf das Primat des Staates ausgerichtet ist, zu einem System des »Stakeholder-Kapitalismus« übergehen. Das ist die Kernbotschaft dieses Buches. Im Folgenden werde ich aufzeigen, wie ein solches System aufgebaut werden kann und warum es so notwendig ist, dies jetzt zu tun.

Teil I (Kapitel 1 bis 4) liefert einen Überblick über die globale Wirtschaftsgeschichte seit 1945, sowohl im Westen als auch in Asien. Er untersucht die wichtigsten Errungenschaften und Nachteile des Wirtschaftssystems, in dem wir leben, einschließlich des verstärkten Wirtschaftswachstums, aber auch der Ungleichheit, der Umweltzerstörung und der Schulden für zukünftige Generationen. Außerdem wird untersucht, wie gesellschaftliche Trends, wie z. B. die zunehmende politische Polarisierung, mit dem Zustand der Wirtschaft und unserer Regierungssysteme zusammenhängen. Teil II (Kapitel 5 bis 7) befasst sich eingehender mit den möglichen Ursachen und Folgen der Probleme und Fortschritte unserer Volkswirtschaften. Hierbei wird untersucht, welche Rolle technologische Innovationen, Globalisierung und Handel sowie die Nutzung natürlicher Ressourcen spielen. Teil III (Kapitel 8 bis 10) beschäftigt sich schließlich mit möglichen Veränderungen in unserem globalen Wirtschaftssystem. Er liefert eine Definition des Stakeholder-Kapitalismus und zeigt, was dieser in der Praxis für Unternehmen, Regierungen, internationale Organisationen und die Zivilgesellschaft bedeuten kann.

Im gesamten Buch habe ich versucht, fair und unparteiisch zu sein, sei es bei der Darstellung der globalen Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, ihrer möglichen Ursachen und Folgen sowie der Lösungen, die ich sehe, um in der Zukunft eine bessere Welt zu schaffen. Aber ich möchte gleich hinzufügen, dass die hier dargestellten Ansichten meine eigenen sind, zwangsläufig geprägt durch meine persönlichen Lebenserfahrungen. Über einige dieser prägenden Erfahrungen als Kind, Student und junger Berufstätiger spreche ich im ersten Kapitel dieses Buches. Ich hoffe, sie helfen Ihnen als Leser, meine Weltsicht zu verstehen, die auf der Überzeugung beruht, dass die besten Ergebnisse in einer Gesellschaft und Wirtschaft aus der Zusammenarbeit entstehen, sei es zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor oder zwischen Völkern und Nationen aus aller Welt.

Ich hoffe, dieses Buch inspiriert Sie, wer auch immer Sie sind, zum Aufbau eines solchen Systems beizutragen. Indem wir zusammenarbeiten, um ein Wirtschaftssystem aufzubauen, das auf Inklusivität, Nachhaltigkeit und Gleichberechtigung beruht, können wir das Erbe von COVID-19 verändern. Auch wenn es zwangsläufig Tod und zerstörte Leben und Existenzen beinhaltet, kann es uns vielleicht helfen, uns in Richtung einer widerstandsfähigeren Welt zu orientieren. Und so hoffe ich, dass die Welt nach der Pandemie für unsere Generation das sein kann, was die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg für die Generation meiner Eltern war: ein Moment der Einheit, in dem die jüngste Vergangenheit eine drastische Erinnerung an eine Welt ist, die niemand will, und wo Gegenwart und Zukunft die Chance bieten, eine Welt zu schaffen, in der alle ein erfolgreiches und erfülltes Leben führen können.

In den Jahrzehnten nach dem Krieg taten wir dies, indem wir gesellschaftliche Regeln im eigenen Land aufbauten – einschließlich einer sozialen Marktwirtschaft in Europa und einer »Great Society« in den USA. Wir haben auch ein multilaterales System geschaffen, das darauf abzielt, den Frieden zu erhalten, die Zusammenarbeit zu fördern und ein finanzielles Zuhause zu schaffen – einschließlich Institutionen wie der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds und der UN.

Nun hoffe ich, dass wir den Aufschwung nach COVID nutzen werden, um einen Stakeholder-Kapitalismus bei uns und ein nachhaltigeres globales Wirtschaftssystem auf der ganzen Welt zu etablieren.

Vielen Dank fürs Lesen,

Klaus Schwab

Genf, Dezember 2020

Teil IDIE WELT, IN DER ICH AUFGEWACHSEN BIN

175 Jahre globales Wachstum und Entwicklung

In den 75 Jahren seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat sich die Wirtschaft weltweit rasant entwickelt. Dennoch lebt die Welt in zwei Realitäten.

Einerseits ging es uns selten so gut wie heute. Wir leben in einer Zeit des relativen Friedens und des absoluten Wohlstands. Im Vergleich zu früheren Generationen leben viele von uns länger und meist gesünder. Unsere Kinder können zur Schule gehen, oft sogar aufs Gymnasium, und Computer, Smartphones und andere technische Geräte verbinden uns mit der Welt. Noch vor ein oder zwei Generationen konnten unsere Eltern und Großeltern von unserem heutigen Lebensstil nur träumen, wie auch von dem Komfort, der mit dem Überfluss an Energie, dem technologischen Fortschritt und dem globalen Handel einhergeht.

Auf der anderen Seite sind unsere Welt und unsere Zivilgesellschaft von einer unerträglichen Ungleichheit und einem gefährlichen Mangel an Nachhaltigkeit geplagt. Die COVID-19-Gesundheitskrise ist nur ein Beispiel, an dem deutlich wird, dass nicht jeder die gleichen Chancen im Leben hat. Menschen, die mehr Geld haben, über bessere Verbindungen verfügen oder in gehobeneren Wohngegenden leben, waren weniger schwer von COVID betroffen; sie konnten eher von zu Hause aus arbeiten, dicht besiedelte Gebiete verlassen und erhielten eine bessere medizinische Versorgung, wenn sie sich doch ansteckten.

Dies ist die Fortsetzung eines Musters, das in vielen Gesellschaften nur allzu vertraut geworden ist. Die Armen sind immer wieder von globalen Krisen betroffen, während die Wohlhabenden diese viel besser überstehen.

Um zu verstehen, wie es dazu gekommen ist – und wie wir aus dieser Situation herauskommen können –, müssen wir einen Blick auf die Ursprünge unseres globalen Wirtschaftssystems werfen. Wir müssen uns das Bild der wirtschaftlichen Entwicklung der Nachkriegszeit wieder vor Augen führen und ihre Meilensteine betrachten. Der logische Ausgangspunkt dafür ist das »Jahr Null« für die moderne Weltwirtschaft: 1945. Und es gibt wahrscheinlich keinen besseren Ort, von dem aus man diese Geschichte erzählen kann, als Deutschland, für das dieses Jahr wirklich ein Neubeginn war.

Grundlagen der Weltwirtschaftsordnung in der Nachkriegszeit

Kinder wie ich, die 1945 in Deutschland in die Grundschule kamen, waren zu jung, um zu verstehen, warum das Land, in dem sie lebten, zuvor im Krieg gewesen war oder warum es in den nächsten Jahren zu so großen Veränderungen kommen würde. Aber wir verstanden nur zu gut, dass zukünftige Konflikte um jeden Preis vermieden werden sollten. Wie schon in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg wurde »Nie wieder Krieg« in ganz Deutschland zur zentralen Parole. Die Menschen hatten genug von Konflikten. Sie wollten ihr Leben in Frieden neu aufbauen und gemeinsam auf eine bessere Lebensqualität hinarbeiten.

Das würde nicht leicht werden, weder in Deutschland noch anderswo. Als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, lag das Land in Schutt und Asche. Kaum ein Fünftel der historischen Gebäude in den deutschen Großstädten stand noch. Millionen von Häusern waren zerstört worden. Schwaben, die Region in Süddeutschland, in der ich aufgewachsen bin, war da keine Ausnahme. In der am stärksten industrialisierten Stadt, Friedrichshafen, wurde fast jede Fabrik dem Erdboden gleichgemacht. Darunter auch die von Maybach und Zeppelin, zwei legendären Auto- und Flugzeugherstellern, deren Produktionskapazitäten während des Krieges von der NS-Regierung für militärische Zwecke genutzt wurden.

Eine meiner frühesten Erinnerungen ist, wie wir auf dem Dach des Hauses meiner Eltern, nur 18 Kilometer von Friedrichshafen entfernt, die Brände beobachteten, die Friedrichshafen vernichteten. Wir beteten, dass es nicht auch unsere Heimatstadt treffen würde, und zum Glück tat es das nicht, aber 700 Menschen starben allein beim letzten Luftangriff auf Friedrichshafen. Ich weiß noch, wie meine Eltern weinten, als sie die Nachricht hörten, da sie viele Menschen in dieser Nachbarstadt persönlich kannten. Von den ursprünglich 28 000 Einwohnern Friedrichshafens war am Ende des Krieges nur noch ein Viertel übrig.1 Der Rest war geflohen, verschwunden oder gestorben.

Ravensburg, wo ich lebte, war eine der wenigen Städte, die von der Bombardierung durch die Alliierten verschont blieben, ein Schicksal, das wahrscheinlich auf den Mangel an militärisch-industriellen Kapazitäten zurückzuführen war. Aber die Folgen des Krieges waren überall um uns herum zu sehen. Zu Kriegsende, als die französische Armee der Alliierten einrückte, war Ravensburg zu einem riesigen Auffanglager für Binnenflüchtlinge, Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und verwundete Soldaten geworden.2 Das Chaos in der Stadt war komplett. Der einzige Lichtblick um Mitternacht des 8. Mai 1945 war, dass der Krieg wirklich zu Ende war. In Deutschland wurde dieser Moment als »Stunde Null« bezeichnet. Historiker wie Ian Buruma bezeichneten später das folgende Jahr als »Jahr Null«.3 Deutschlands Wirtschaft lag am Boden und konnte nur noch darauf hoffen, noch einmal neu beginnen zu dürfen.

Die anderen Achsenmächte, Italien und Japan, standen vor ähnlichen Herausforderungen. Ihre Produktionskapazitäten waren dezimiert worden. Turin, Mailand, Genua und andere italienische Städte waren Opfer umfangreicher Bombardierungen geworden, und Hiroshima und Nagasaki erlebten eine beispiellose Verwüstung durch die Atombomben. Auch andere europäische Länder standen unter Schock und erlebten eine erste Phase des Chaos. Weiter östlich waren China und große Teile Südostasiens in innere Konflikte verwickelt. Die Volkswirtschaften Afrikas, des Nahen Ostens und Südasiens waren immer noch durch die Kolonialherrschaft gefesselt. Die Sowjetunion hatte während des Zweiten Weltkriegs enorme Verluste erlitten. Nur die Volkswirtschaften Amerikas, allen voran die der Vereinigten Staaten, hatten den Krieg weitgehend unbeschadet überstanden.

Es lag also an Washington und Moskau, die Nachkriegszeit zu gestalten, jeder in seinem Einflussbereich. In Schwaben, damals Teil des von den Alliierten besetzten Deutschlands, hing die Zukunft zu einem großen Teil von den Entscheidungen ab, die die Vereinigten Staaten treffen würden.

Amerika stand vor einem schwierigen Balanceakt. Es war entschlossen, die Fehler aus dem Versailler Vertrag, der den Ersten Weltkrieg beendete, nicht zu wiederholen. Der 1919 unterzeichnete Versailler Vertrag hatte den besiegten Mittelmächten (Deutschland, Österreich-Ungarn, dem Osmanischen Reich und Bulgarien) eine praktisch untragbare Schuldenlast aufgebürdet. Dies bremste ihre wirtschaftliche Entwicklung und führte zu einer ungleichmäßigen wirtschaftlichen Erholung, welche die Saat für den Zweiten Weltkrieg legte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg verfolgte Washington eine andere Strategie. Es wollte die europäischen Volkswirtschaften, die in seinem Einflussbereich lagen, wiederbeleben, einschließlich der Teile Deutschlands, die unter britischer, französischer und amerikanischer Besatzung standen. Die Vereinigten Staaten wollten den Handel, die Integration und die politische Zusammenarbeit fördern. Bereits 1944 hatten Amerika und seine Verbündeten wirtschaftliche Institutionen wie den Internationalen Währungsfonds und die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (heute Teil der Weltbankgruppe) geschaffen.4 In den folgenden Jahrzehnten setzten sie ihre Bemühungen fort, ein stabiles, wachsendes Wirtschaftssystem in Westdeutschland und ganz Westeuropa zu etablieren.

Ab 1948 leisteten die Vereinigten Staaten und auch Kanada gezielte regionale Hilfe. Durch den Marshall-Plan, benannt nach dem damaligen US-Außenminister George Marshall, halfen die Vereinigten Staaten den westeuropäischen Ländern beim Kauf amerikanischer Waren und beim Wiederaufbau ihrer Industrien, einschließlich Deutschland und Italien. Die Hilfe für die ehemaligen Achsenmächte war eine umstrittene Entscheidung, die jedoch als notwendig erachtet wurde, da es ohne den deutschen Wirtschaftsmotor kein starkes, industrielles Europa geben konnte. (Die Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OEEC), der Vorläufer der OECD, spielte eine wichtige Rolle bei der Verwaltung des Programms.)

Amerika beschränkte seine Bemühungen nicht auf Hilfe. Es förderte auch den Handel, indem es europäische Märkte für Kohle, Stahl und andere Rohstoffe schuf. Das führte zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, der Vorstufe der heutigen Europäischen Union. Auch in Asien gewährten die Vereinigten Staaten Ländern wie Japan, China, der Republik Korea und den Philippinen Hilfe und Kredite. Andernorts weitete die Sowjetunion ihren Einflussbereich aus und förderte ein Wirtschaftsmodell, das auf zentraler Planung und staatlichem Eigentum an der Produktion basierte.

Auch lokale Regierungen, Industrien und Arbeiter spielten eine Rolle beim Wiederaufbau. So übertrug die Zeppelin-Stiftung 1947 fast ihr gesamtes Vermögen an die Stadt Friedrichshafen,5 in der Hoffnung, den Zeppelin-Unternehmen und ihren Arbeitern wieder eine prosperierende Zukunft zu ermöglichen. Zur gleichen Zeit arbeiteten die Friedrichshafener Bürger tagein, tagaus am Wiederaufbau ihrer Häuser. Frauen spielten dabei eine besonders wichtige Rolle, da sie einen großen Teil der ersten Wiederaufbauarbeit leisteten. Das deutsche Magazin Der Spiegel erinnerte sich später: »Da so viele Männer im Krieg gefallen waren, stützten sich die Alliierten bei den schweren Aufräumarbeiten auf Frauen.«6

So wie bei einem Puzzle jedes Teil an die richtige Stelle gesetzt werden muss, damit ein vollständiges Bild entsteht, erforderte die Arbeit des Wiederaufbaus den Einsatz aller Ressourcen und die Mobilisierung aller Arbeitskräfte. Es war eine Aufgabe, die sich die gesamte Gesellschaft zu Herzen nahm. Einer der größten und erfolgreichsten Hersteller in Ravensburg war ein Familienunternehmen, das sich später in Ravensburger umbenannte.7 Es nahm die Produktion von Puzzles und Kinderbüchern wieder auf, ein Geschäft, das bis heute fortgeführt wird. Und in Friedrichshafen kehrte ZF, eine Tochter der Zeppelin-Stiftung, als Hersteller von Autoteilen zurück. Unternehmen wie diese, oft aus dem berühmten deutschen Mittelstand, der das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bildet, spielten eine entscheidende Rolle in der wirtschaftlichen Transformation der Nachkriegszeit.

Die dreißig glorreichen Jahre im Westen

Für viele Menschen in Europa – mich eingeschlossen – wich die Erleichterung über das Ende des Krieges bald der Angst vor einem neuen. Der marktwirtschaftliche Ansatz im von den USA besetzten Westdeutschland und im übrigen Westeuropa kollidierte mit dem planwirtschaftlichen Modell der Sowjetunion, die Ostdeutschland und das übrige Osteuropa kontrollierte. Was würde sich durchsetzen? War eine friedliche Koexistenz möglich, oder musste es zu einem offenen Konflikt kommen? Nur die Zeit würde uns darauf eine Antwort geben.

Zu diesem Zeitpunkt war der Ausgang weder für uns noch für andere klar. Es war ein Kampf der Ideologien, der Wirtschaftssysteme und der geopolitischen Hegemonie. Jahrzehntelang zementierten beide Mächte ihre Positionen und ihre miteinander konkurrierenden Systeme. In Asien, Afrika und Lateinamerika spielte sich der gleiche ideologische Kampf zwischen Kapitalismus und Kommunismus ab.

Im Nachhinein wissen wir, dass die von den Vereinigten Staaten geschaffenen Wirtschaftsinstitutionen, die auf Kapitalismus und freien Märkten basieren, Bausteine für eine Ära unvergleichlichen gemeinsamen wirtschaftlichen Wohlstands waren. Kombiniert mit dem Willen vieler Menschen zum Wiederaufbau legten sie den Grundstein für jahrzehntelangen wirtschaftlichen Fortschritt und die wirtschaftliche Dominanz des Westens über den »Rest« der Welt. Auch das sowjetische Modell der zentralen Planwirtschaft trug zunächst Früchte und ermöglichte eine prosperierende Entwicklung, die aber später zusammenbrechen sollte.

Neben den wirtschaftlichen Verschiebungen prägten auch andere Faktoren unsere Neuzeit. In vielen Teilen der Welt, auch in den USA und Europa, gab es einen Babyboom. Die Arbeiter wurden von den unsinnigen Anforderungen der Kriegsproduktion zur gesellschaftlich produktiven Arbeit in Friedenszeiten hingezogen. Bildung und industrielle Tätigkeit expandierten. Auch die Führung durch Regierungschefs wie Konrad Adenauer in Deutschland oder Yoshida Shigeru in Japan war ein entscheidendes Teil des Puzzles. Sie verpflichteten sich und ihre Regierungen, ihre Wirtschaft und Gesellschaft umfassend wieder aufzubauen und starke Beziehungen zu den Alliierten zu entwickeln, die auf einen dauerhaften Frieden abzielten, anstatt dem Streben nach Rache nachzugeben, das nach dem Ersten Weltkrieg vorherrschend war. Angesichts des nationalen Fokus auf den gemeinschaftlichen und wirtschaftlichen Wiederaufbau kam es zu einem Anstieg des gesellschaftlichen Zusammenhalts (den ich in Kapitel 4 näher erläutern werde).

Zwischen 1945 und den frühen 1970er-Jahren führten all diese Faktoren zu dem sogenannten Wirtschaftswunder in Deutschland und dem Rest Europas. Ein ähnlicher Boom setzte in den Vereinigten Staaten, Japan und Südkorea (und anfangs auch in der Sowjetunion) ein. Der Westen trat in sein goldenes Zeitalter des Kapitalismus ein, und die Innovationen der zweiten industriellen Revolution wurden auf breiter Front umgesetzt: Es wurden massenhaft Autobahnen für den PKW- und LKW-Verkehr gebaut, das Zeitalter der kommerziellen Luftfahrt begann und Containerschiffe füllten die Seewege der Welt.

Auch in Schwaben hielten im Zuge des Wirtschaftswunders neue Technologien Einzug. Bei Ravensburger zum Beispiel verdreifachte sich der Umsatz in den 1950er-Jahren und leitete die Phase der industriellen Massenproduktion ein, die 1962 begann. Gesellschaftsspiele wie die »Rheinreise« erfreuten sich bei den heranwachsenden Kindern des Babybooms8 größter Beliebtheit. In den 1960er-Jahren expandierte Ravensburger weiter,9 als das Unternehmen Puzzles in sein Sortiment aufnahm. (Das Logo der Marke, ein blaues Dreieck an der Ecke der Kartonschachteln, wurde zur Ikone.) Etwa zur gleichen Zeit tauchte ZF Friedrichshafen in den 1950er-Jahren wieder als Hersteller für Kfz-Getriebe auf und ergänzte sein Sortiment ab Mitte der 1960er-Jahre um Automatikgetriebe.10 Das Unternehmen verhalf deutschen Automobilherstellern wie BMW, Audi, Mercedes und Porsche in einer Zeit, in der die europäische Autoindustrie boomte, zu einem Aufstieg an die Spitze. (Der Erfolg von ZF hält bis heute an, denn das Unternehmen erzielte 2019 einen weltweiten Umsatz von über 40 Milliarden US-Dollar, beschäftigte weltweit fast 150 000 Mitarbeiter und war in über 40 Ländern der Welt vertreten.)

Betrachtet man die Wirtschaftsindikatoren in den führenden Volkswirtschaften der Welt, so schien es, als ob alle gewinnen würden. Das jährliche Wirtschaftswachstum betrug im Durchschnitt bis zu 5, 6 und sogar 7 Prozent. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist der Geldwert der in einer bestimmten Volkswirtschaft produzierten Waren und Dienstleistungen. Es wird oft als Maß für die wirtschaftliche Aktivität in einem Land verwendet und verdoppelte, verdreifachte und vervierfachte sich in einigen westlichen Volkswirtschaften in den folgenden ein bis zwei Jahrzehnten. Mehr Menschen besuchten das Gymnasium und fanden Mittelschichtjobs und viele Babyboomer waren die ersten in ihren Familien, die an der Universität studierten und einen Aufstieg auf der sozialen Leiter schafften.

Für Frauen hatte das Erklimmen dieser Leiter eine zusätzliche Dimension. Erst langsam, dann stetig schritt die Emanzipation im Westen voran. Mehr Frauen gingen zur Universität, traten ins Berufsleben ein und blieben dort, und trafen bewusstere Entscheidungen über ihre Work-Life-Balance. Die boomende Wirtschaft bot reichlich Platz für sie, aber sie wurden auch durch Fortschritte in der medizinischen Empfängnisverhütung, die bessere Zugänglichkeit von Haushaltsgeräten und natürlich die Emanzipationsbewegung unterstützt. In den USA zum Beispiel stieg die Erwerbsbeteiligung der Frauen zwischen 1950 und 1970 um 15 Prozent, von etwa 28 auf 43 Prozent.11 In Deutschland stieg der Anteil der Studentinnen an den Hochschulen von 12 Prozent im Jahr 1948 auf 32 Prozent im Jahr 1972.12

Auch bei der Firma Ravensburger traten die Frauen in den Vordergrund. Ab 1952 stand mit Dorothee Hess-Maier, einer Enkelin des Firmengründers, neben ihrem Cousin Otto Julius die erste Frau an der Spitze des Unternehmens. Diese Entwicklung war beispielhaft für einen allgemeineren Trend. Die Emanzipation der Frauen in den westlichen Gesellschaften setzte sich im verbleibenden 20. Jahrhunderts und bis ins 21. Jahrhundert fort. Im Jahr 2021 sind in vielen Ländern der Welt, darunter die USA und Saudi-Arabien13(!), mehr Frauen als Männer an den Universitäten eingeschrieben, und in vielen Ländern stellen Frauen fast die Hälfte der Arbeitskräfte. Trotzdem bestehen weiterhin Ungleichheiten bei der Bezahlung und hinsichtlich anderer Faktoren.14

Im Laufe dieser ersten Nachkriegsjahrzehnte nutzten viele Länder ihren wirtschaftlichen Aufschwung, um die Grundlagen für eine soziale Marktwirtschaft zu schaffen. In Westeuropa bot der Staat vor allem Arbeitslosengeld, Kindergeld und Ausbildungsunterstützung, eine allgemeine Gesundheitsversorgung und Renten. In den Vereinigten Staaten war eine soziale Politik weniger im Kommen als in Europa, aber dank des rasanten Wirtschaftswachstums stiegen mehr Menschen als je zuvor in die Mittelschicht auf, und die Sozialversicherungsprogramme verzeichneten einen Zuwachs sowohl bei der Zahl der Begünstigten als auch bei den dafür bereitgestellten Mitteln, insbesondere in den beiden Jahrzehnten von 1950 bis 1970.15 Die Durchschnittslöhne stiegen stark an, und die Armut ging zurück.

Frankreich, Deutschland, die Benelux-Länder und die skandinavischen Länder förderten ebenfalls Tarifverhandlungen. So wurde in den meisten deutschen Unternehmen durch das Betriebsrätegesetz von 1952 festgelegt, dass ein Drittel der Mitglieder des Aufsichtsrates von den Arbeitnehmern gewählt werden musste. Eine Ausnahme bildeten Familienunternehmen, da dort die Bindung zwischen den Mitarbeitern und der Firmenleitung normalerweise stark war und soziale Konflikte seltener auftraten.

Da ich in diesem goldenen Zeitalter aufwuchs, entwickelte ich eine große Wertschätzung für die aufgeklärte Rolle, die die Vereinigten Staaten für Deutschland und den Rest Europas gespielt hatten. Ich war überzeugt, dass wirtschaftliche Zusammenarbeit und politische Integration der Schlüssel zum Aufbau friedlicher und prosperierender Gesellschaften sind. Ich habe sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz studiert und kam zu der Überzeugung, dass die Grenzen zwischen den europäischen Nationen eines Tages wegfallen würden. In den 1960er-Jahren hatte ich sogar die Möglichkeit, ein Jahr in den Vereinigten Staaten zu studieren und mehr über die dortigen Wirtschafts- und Managementmodelle zu erfahren. Es war eine prägende Erfahrung.

Wie so viele andere meiner Generation war auch ich ein Nutznießer der bürgerlichen, solidarischen Gesellschaft, die die europäischen Länder entwickelt hatten. Schon früh war ich fasziniert von den sich ergänzenden Rollen, die Wirtschaft und Regierung bei der Gestaltung der Zukunft eines Landes spielten. Deshalb war es naheliegend, eine meiner Abschlussarbeiten über das richtige Gleichgewicht zwischen privaten und öffentlichen Investitionen zu schreiben. Nachdem ich über ein Jahr lang im Produktionsbereich von Unternehmen gearbeitet und echte Erfahrung als Fabrikarbeiter gesammelt hatte, entwickelte ich auch viel Respekt vor dem Beitrag der Arbeiter zur Entwicklung des wirtschaftlichen Wohlstands. Ich war der Überzeugung, dass die Wirtschaft wie auch andere Akteure in der Gesellschaft eine wichtige Rolle bei der Schaffung und Aufrechterhaltung von gemeinsamem Wohlstand spielen müssen. Der beste Weg, um dies zu erreichen, war meiner Meinung nach ein Stakeholder-Modell, bei dem die Unternehmen nicht nur ihren Aktionären, sondern auch der Gesellschaft dienen.

Ich beschloss, diese Idee in die Tat umzusetzen, indem ich ein Managementforum organisierte, auf dem sich Wirtschaftsführer, Regierungsvertreter und Akademiker treffen konnten. Davos, eine Stadt in den Schweizer Bergen, die in viktorianischer Zeit für ihre Sanatorien zur Behandlung von Tuberkulose berühmt geworden war (bevor Antibiotika wie Isoniazid und Rifampicin16 erfunden wurden), bot einen optimalen Rahmen für eine Art globales Dorf,17 dachte ich. Hoch oben in den Bergen, in dieser malerischen Stadt, die für ihre saubere Luft bekannt ist, konnten die Teilnehmer bewährte Praktiken und neue Ideen austauschen und sich gegenseitig über dringende globale soziale, wirtschaftliche und ökologische Probleme informieren. Und so organisierte ich dort 1971 das erste Treffen des Europäischen Management Forums (dem Vorläufer des Weltwirtschaftsforums), mit Gästen wie dem damaligen Dekan der Harvard Business School, George Pierce Baker, der Professorin der Columbia University, Barbara Ward, dem IBM-Präsidenten Jacques Maisonrouge und mehreren Mitgliedern der Europäischen Kommission.18

Die turbulenten 1970er- und 1980er-Jahre

Doch genau dann, Anfang der 1970er-Jahre, wurde klar, dass das Wirtschaftswunder nicht von Dauer sein würde. Als wir uns in Davos versammelten, waren bereits Risse im System an der Oberfläche sichtbar. Der Nachkriegsboom war abgeklungen und soziale, wirtschaftliche und ökologische Probleme zeichneten sich ab. Meine Hoffnung war jedoch, dass europäische Geschäftsleute, Politiker und Akademiker durch aktiveres Erlernen erfolgreicher amerikanischer Managementpraktiken den Wohlstand auf dem Kontinent weiter ankurbeln könnten.

Tatsächlich haben viele europäische Unternehmen den Schritt in Richtung der benachbarten internationalen Märkte gewagt. Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), die sich, wie der Name schon sagt, auf einen gemeinsamen Markt für einige wenige Schlüsselressourcen konzentrierte, hatte sich in den vorangegangenen Jahren zur umfassenderen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) entwickelt. Sie ermöglichte einen freieren Handel von Waren und Dienstleistungen auf dem gesamten Kontinent. Viele mittelständische Unternehmen nutzten diese Öffnung, um Tochtergesellschaften zu gründen und den Vertrieb in benachbarten EWG-Ländern aufzunehmen. Nicht zuletzt dank dieser Zunahme des intraregionalen Handels konnte das Wachstum in den 1970er-Jahren fortgesetzt werden. Aber einige wirtschaftliche Variablen, die sich entscheidend auf Wachstum, Beschäftigung und Inflation auswirken, wie z. B. der Energiepreis, entwickelten sich ungünstig. Öl, das neben Kohle den Nachkriegsboom befeuert hatte, sorgte für einen ersten Schock im System. Der Preis für den wichtigsten Energieträger der Welt stieg 1973 um das Vierfache und verdoppelte sich 1979, als die großen erdölproduzierenden und -exportierenden Länder (OPEC) – viele von ihnen ehemalige Kolonien der europäischen Mächte im Nahen Osten und in Arabien – ihre Muskeln spielen ließen. Die OPEC-Staaten, die zu jener Zeit den größten Teil der weltweiten Ölversorgung kontrollierten, verhängten als Reaktion auf den Jom-Kippur-Krieg ein Ölembargo. Während dieses Krieges stellten sich viele der arabischen Mitglieder der OPEC gegen Israel, das während und nach dem bewaffneten Konflikt sein Territorium in der Region erweiterte. Das Embargo, das sich hauptsächlich gegen Israels westliche Verbündete, darunter die USA und Großbritannien, richtete, war äußerst effektiv.

Kein Wunder also, dass die OPEC-Länder ihre neu gewonnene Marktmacht nutzten. In den vorangegangenen zwei Jahrzehnten hatten viele ihrer Mitglieder – oft ehemalige europäische Kolonien in Asien, dem Nahen Osten und Afrika – endlich ihre Unabhängigkeit erlangt. Aber im Gegensatz zu den meisten westlichen Ländern in jener Zeit waren diese Entwicklungsländer oft von politischen und sozialen Unruhen geplagt. Der wirtschaftliche Aufschwung in Europa und den Vereinigten Staaten blieb für viele der neuen unabhängigen Länder in Asien, dem Nahen Osten und Afrika unerreichbar. Zu den wenigen Ausnahmen gehörten die OPEC-Staaten, deren wichtigste Ressource, das Erdöl, die Weltwirtschaft ankurbelte.

Angesichts des in den drei vorangegangenen Jahrzehnten so großen wirtschaftlichen und industriellen Fortschritts im Westen gab es auch Stimmen, die davor warnten, dass diese Expansion nicht nachhaltig und ein neues Wirtschaftssystem nötig sei, das nachhaltiger für den Planeten, seine begrenzten natürlichen Ressourcen und letztendlich auch für die Menschen selbst ist. Dazu gehörten europäische Wissenschaftler und Industrielle des Club of Rome, die zu der Überzeugung gelangt waren, dass der Zustand der Welt, insbesondere die Umweltzerstörung des Planeten, ein großes Problem für die menschliche Gesellschaft darstellte. In der Tat gab es deutliche Warnzeichen für jeden, der sie zur Kenntnis nehmen wollte, und bei den Treffen des Forums in Davos haben wir genau hingeschaut. 1973 hielt Aurelio Peccei, der Präsident des Clubs, in Davos eine Grundsatzrede über die Erkenntnisse seiner Organisation und warnte vor einem bevorstehenden Ende des Wachstums.

Doch nachdem die Welt mehrere Rezessionen überstanden und einige Energiesparmaßnahmen wie die Sommerzeit und autofreie Sonntage eingeführt hatte, kehrte sie in den 1980er-Jahren schließlich auf den gewohnten Wachstumspfad zurück. Die Zeiten des 5- und 6-prozentigen BIP-Wachstums waren vorbei (zumindest im Westen), aber Wachstumsraten von 3 bis 4 Prozent waren dort keinesfalls ungewöhnlich. Andere Volkswirtschaften, darunter die asiatischen Tigerstaaten (Südkorea, Taiwan, Hongkong und Singapur), halfen, den Rückstand auszugleichen. Doch seit den 1980er-Jahren zeichnete sich ein grundlegender Perspektivenwechsel in der Frage ab, was das Wirtschaftswachstum der Nachkriegszeit ermöglicht hatte. In den unmittelbaren Nachkriegsjahren glaubte man, dass der gestiegene wirtschaftliche Wohlstand etwas sei, zu dem jeder beigetragen habe, und dass er daher von allen geteilt werden müsse. Es war ein industrielles Fortschrittsmodell, das auf der Partnerschaft zwischen Firmeninhabern und ihren Arbeitskräften aufbaute. Im Gegensatz dazu basierte die Wachstumsphase der 1980er-Jahre mehr auf Marktfundamentalismus und Individualismus und weniger auf staatlichen Eingriffen oder dem Aufbau eines Gesellschaftsvertrages.

Ich denke, das war ein Fehler. Das Stakeholder-Modell verlangt von den Unternehmen, über ihre direkten, primären Interessen hinaus zu denken und die Belange der Mitarbeiter und ihres Umfelds in ihre Entscheidungen einzubeziehen. In den Anfangsjahren unseres Davoser Treffens hatten sich die Teilnehmer sogar in einem »Davoser Manifest« dazu verpflichtet:19

DAS DAVOSER MANIFEST VON 1973

Der Zweck des professionellen Managements liegt darin, Kunden, Aktionären, Arbeitern und Angestellten sowie der Gesellschaft zu dienen und die unterschiedlichen Interessen der Stakeholder in Einklang zu bringen

.

Das Management muss seine Kunden bedienen. Es muss die Bedürfnisse seiner Kunden erfüllen und ihnen den besten Wert bieten. Der Wettbewerb unter den Unternehmen ist der übliche und akzeptierte Weg, um sicherzustellen, dass die Kunden das beste Angebot erhalten. Das Ziel des Managements ist es, neue Ideen und technologischen Fortschritt in kommerzielle Produkte und Dienstleistungen zu übertragen

.

Das Management muss seinen Investoren eine Rendite bieten, die höher ist als die Rendite von Staatsanleihen. Diese höhere Rendite ist notwendig, um eine Risikoprämie in die Kapitalkosten zu integrieren. Die Geschäftsführung ist der Treuhänder der Aktionäre

.

Das Management hat seinen Mitarbeitern zu dienen, denn in einer freien Gesellschaft muss die Führung die Interessen der Geführten integrieren. Insbesondere muss das Management die Kontinuität der Mitarbeiter, die Verbesserung des Realeinkommens und die Humanisierung des Arbeitsplatzes sicherstellen

.

Das Management hat der Gesellschaft zu dienen. Es muss die Rolle eines Treuhänders des materiellen Universums für zukünftige Generationen übernehmen. Es muss die ihm zur Verfügung stehenden immateriellen und materiellen Ressourcen optimal nutzen. Es muss den Wissensstand im Bereich Management und Technologie kontinuierlich erweitern. Es muss gewährleisten, dass sein Unternehmen angemessene Steuern an die Gemeinschaft zahlt, damit diese ihre Ziele erfüllen kann. Das Management muss auch sein eigenes Wissen und seine Erfahrung der Gemeinschaft zur Verfügung stellen

.

Das Management kann die oben genannten Ziele durch das Wirtschaftsunternehmen, für das es verantwortlich ist, erreichen. Aus diesem Grund ist es wichtig, das langfristige Bestehen des Unternehmens zu sichern. Ohne ausreichende Rentabilität kann die langfristige Existenz nicht gesichert werden. Somit ist die Rentabilität das notwendige Mittel, damit das Management seinen Kunden, Aktionären, Mitarbeitern und der Gesellschaft dienen kann

.

Doch trotz der anfänglichen Begeisterung für das Davoser Manifest und den darin propagierten Stakeholder-zentrierten Ansatz setzte sich vor allem in den Vereinigten Staaten ein engeres Shareholder-zentriertes Modell durch. Dabei handelte es sich um jenes, das der Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Milton Friedman von der University of Chicago ab 1970 vertrat. Er vertrat die Ansicht, dass die »einzige soziale Verantwortung der Wirtschaft darin besteht, ihre Gewinne zu steigern«20 und dass freie Märkte über allem anderen stehen. (Dies wird in Kapitel 8 näher erläutert.)

Das Ergebnis war ein unausgewogenes Wachstum. In den 1980er-Jahren kam das Wirtschaftswachstum zurück, jedoch profitierte ein immer kleinerer Teil der Bevölkerung davon, und es wurde dem Planeten noch mehr Schaden zugefügt, um dieses Wachstum zu erreichen. Die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder ging zurück, und Tarifverhandlungen wurden seltener (obwohl große Teile Kontinentaleuropas, darunter Deutschland, Frankreich und Italien, bis in die 2000er-Jahre daran festhielten, was einige, wie Belgien, noch heute tun). Die Wirtschaftspolitik in zwei der führenden westlichen Volkswirtschaften – dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten – war weitgehend auf Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung ausgerichtet sowie auf den Glauben, dass eine unsichtbare Hand die Märkte zu ihrem optimalen Zustand führen würde. Viele andere westliche Volkswirtschaften folgten später diesem Weg, in einigen Fällen, nachdem es den eher linksgerichteten Regierungen nicht gelungen war, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Positiv zu vermerken ist, dass auch neue Technologien ihren Beitrag leisteten und zu einer dritten industriellen Revolution führten. Der PC wurde erfunden und sollte zu einem der wichtigsten Bestandteile jeder Organisation werden.

Die Wende

Diese Trends sind nicht isoliert entstanden. Im Laufe der 1980er-Jahre begannen die Volkswirtschaften Osteuropas zu kollabieren. Ihr Scheitern an diesem industriellen Wendepunkt zeigte, dass das staatlich gelenkte Wirtschaftsmodell der Sowjetunion weniger widerstandsfähig war als das marktwirtschaftliche, das der Westen propagierte. In China begann die Regierung des neuen Führers Deng Xiaoping 1979 ihre eigene Reform und Öffnung und führte schrittweise eine kapitalistische und marktwirtschaftliche Politik ein (siehe Kapitel 3).

1989 erlebte Deutschland einen Moment der Euphorie, als die Berliner Mauer, die Ost und West trennte, fiel. Kurze Zeit später wurde die politische Wiedervereinigung Deutschlands endlich vollzogen. Und 1991 hatte sich die Sowjetunion offiziell aufgelöst. Viele Volkswirtschaften, die in ihrem Einflussbereich lagen, darunter Ostdeutschland, die baltischen Staaten, Polen, Ungarn und Rumänien, wandten sich dem Westen und seinem kapitalistischen, marktwirtschaftlichen Modell zu. »Das Ende der Geschichte«, wie Francis Fukuyama es später nennen würde,21 war gekommen, so schien es. Europa bekam einen weiteren Schub, der diesmal zu einer noch stärkeren politischen und wirtschaftlichen Integration und zur Errichtung eines gemeinsamen Marktes und einer Währungsunion mit der Euro-Währung als deren Krönung führte.

Auch in Davos haben wir den Wind der Veränderung gespürt. War das European Management Forum anfangs vor allem ein Treffpunkt für europäische und amerikanische Akademiker, Politiker und Unternehmer, so wurde es im Laufe der 1980er-Jahre global. In den 1980er-Jahren wurden Vertreter aus China, Indien, dem Nahen Osten und anderen Regionen aufgenommen und eine gemeinsame, globale Agenda aufgestellt. 1987 war eine Namensänderung notwendig geworden. Wir waren von nun an als Weltwirtschaftsforum (World Economic Forum) bekannt. Das war passend für die Ära der Globalisierung, die folgen sollte.

Globalisierung in den 1990er- und 2000er-Jahren

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden die Volkswirtschaften der Welt für mehr als ein Jahrzehnt immer stärker miteinander verflochten. Länder auf der ganzen Welt begannen, Freihandelsabkommen zu schließen, und die Motoren des globalen Wachstums waren vielfältiger denn je. Die relative Bedeutung Europas nahm ab, und sogenannte Schwellenländer, wie Südkorea und Singapur, aber auch größere, wie Brasilien, Russland, Indien, Südafrika und natürlich China, rückten in den Vordergrund. (Es gibt keine offizielle Definition von Schwellenländern, da es sich um eine Klassifizierung handelt, die von bestimmten privaten Finanzinstitutionen vorgenommen wird, aber ein gemeinsames Merkmal ist, dass es sich um nicht-westliche Volkswirtschaften handelt, die oft überdurchschnittliche Wachstumsraten haben oder hatten, was ihnen helfen könnte, im Laufe der Zeit den Status eines Industrielandes zu erlangen oder wiederzuerlangen.)

Auf diese Weise wurde die Globalisierung – ein Prozess wachsender gegenseitiger Abhängigkeit zwischen den Volkswirtschaften der Welt, der sich in zunehmenden Waren-, Dienstleistungs-, Personen- und Kapitalströmen ausdrückt – zu einer dominierenden wirtschaftlichen Kraft. Die Globalisierung des Handels, gemessen am Anteil des internationalen Handels am weltweiten Bruttoinlandsprodukt, erreichte im Jahr 2001 mit 15 Prozent ihren bisherigen Höchststand, nachdem sie im Jahr 1945 (dem »Jahr Null«) mit 4 Prozent ihren Tiefststand hatte.

Auf dieser Globalisierungswelle surften auch namhafte schwäbische Unternehmen. »China stand bei ZF ganz oben auf der Agenda«, so Siegfried Goll, damals ein bekannter ZF-Manager, in der Firmenchronik.22 »Die Entwicklung unserer Geschäftsbeziehungen begann bereits in den 80er-Jahren, zunächst über Lizenzverträge. Als ich 2006 in den Ruhestand ging, hatten wir nicht weniger als 20 Produktionsstandorte in China.« »Das erste Joint Venture wurde 1993 gegründet«, heißt es in den firmeneigenen Aufzeichnungen, und 1998 war »die Position von ZF in China so gefestigt, dass erstmals eine eigene chinesische Tochtergesellschaft gegründet werden konnte: ZF Drivetech Co. Ltd. in Suzhou.«

Für einige ging diese Globalisierung jedoch zu schnell und zu weit. 1997 erlebten mehrere asiatische Schwellenländer eine schwere Finanzkrise, die zu einem großen Teil durch unkontrollierte finanzielle Globalisierung oder den Fluss von heißem Geld, also internationalem Investorengeld, das auf der Jagd nach Rendite, gelockerten Kapitalkontrollen und Anleihespekulationen von einem in ein anderes Land fließt, verursacht wurde. Zur gleichen Zeit setzte im Westen eine Anti-Globalisierungsbewegung ein, da multinationale Unternehmen mehr Kontrolle über die nationalen Volkswirtschaften erlangten.

Auch Ravensburger blieb von der Gegenreaktion nicht verschont. 1997 kündigte die Unternehmensleitung an, sie wolle »einen ›Standortsicherungsvertrag‹ umsetzen, als ›Präventionsmaßnahme zur Erhaltung der nationalen und internationalen Wettbewerbsfähigkeit‹ «, so European Observatory of Working Life (Europäische Beobachtungsstelle für das Arbeitsleben) in einer späteren Fallstudie zu dieser Angelegenheit.23 Das Ergebnis war das sogenannte Ravensburger Bündnis, in dem das Unternehmen seinen Mitarbeitern Arbeitsplatzsicherheit im Gegenzug für Zugeständnisse bot.

Obwohl der Vertrag von den meisten Arbeitnehmern akzeptiert wurde, führte er auch zu einer Verschlechterung der Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehungen. Die Industriegewerkschaft argumentierte, dass dies gegen die Tarifverträge der Branche verstoße und unnötig sei, da das Unternehmen wirtschaftlich gut dastehe. Letztlich führte der heiß umkämpfte Vertrag dazu, dass alle Parteien ihr Verhältnis zueinander neu überdachten. Die Gewerkschaft, die in dem Familienunternehmen typischerweise schwach war, wurde stärker, und die Geschäftsleitung ging künftig konstruktiver mit ihrem Betriebsrat um.

In Deutschland führten ähnliche gesellschaftliche und unternehmerische Spannungen rund um Wirtschaftswachstum, Beschäftigung und die Integration der neuen Bundesländer schließlich Anfang der 2000er-Jahre zu einem neuen Sozialpakt mit neuen Gesetzen zu Mitbestimmung, Minijobs und Arbeitslosengeld. Doch das neue Gleichgewicht war für einige weniger vorteilhaft als zuvor, und obwohl Deutschland danach zu einer Phase mit hohem Wirtschaftswachstum zurückkehrte, wurde die Situation für viele andere moderne Volkswirtschaften bald prekärer.

Ein erstes Warnzeichen war der Dotcom-Crash Ende 2000 und Anfang 2001, als Amerikas Technologiewerte in den Keller stürzten. Aber der größere Schock für die US-Gesellschaft und das internationale Wirtschaftssystem kam später im Jahr 2001. Im September dieses Jahres sahen sich die USA mit dem größten Angriff auf ihr Land seit dem Angriff auf Pearl Harbor im Zweiten Weltkrieg konfrontiert: den Terroranschlägen vom 11. September. Dabei wurden Gebäude getroffen, die sowohl das wirtschaftliche als auch das militärische Zentrum Amerikas darstellten: die Zwillingstürme des World Trade Center in Manhattan und das Pentagon in Washington, DC.

Ich war an jenem Tag in New York auf einem Arbeitsbesuch bei der UN, und wie jeder dort war ich zutiefst erschüttert. Tausende Menschen starben. Die Vereinigten Staaten kamen zum Stillstand. Als Zeichen der Solidarität organisierten wir im darauffolgenden Januar unser Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums in New York – das erste, das außerhalb von Davos stattfand. Nach dem Dotcom-Crash und 9/11 gerieten die westlichen Volkswirtschaften in eine Rezession. Für einige Zeit war der Weg des Wirtschaftswachstums durch Handel und technologischen Fortschritt in der Schwebe.

Doch die Saat für einen erneuten Wirtschaftsaufschwung war bereits gelegt worden. China, das bevölkerungsreichste Land der Welt, hatte sich nach 20 Jahren Reform und Öffnung zu einer der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften entwickelt, wie die verstärkte Präsenz von ZF zeigte, und trat 2001 der Welthandelsorganisation bei. Was andere Länder an wirtschaftlicher Dynamik verloren hatten, gewann China und übertraf es sogar. Das Land wurde zur »Fabrik der Welt«, holte hunderte Millionen seiner eigenen Bürger aus der Armut und war auf seinem Höhepunkt für mehr als ein Drittel des globalen Wirtschaftswachstums verantwortlich. Davon profitierten nicht nur die Rohstoffproduzenten von Lateinamerika bis zum Nahen Osten und Afrika, sondern auch die westlichen Verbraucher.

Währenddessen begannen die verbliebenen sowie neuen Technologieunternehmen auf den Trümmern des Dotcom-Crashs den Grundstein für eine vierte industrielle Revolution zu legen. Technologien wie das Internet der Dinge (IoT, Internet of Things) rückten in den Vordergrund, und maschinelles Lernen – heute als »künstliche Intelligenz« bezeichnet – erlebte ein Revival und gewann schnell an Zugkraft. Mit anderen Worten: Handel und Technologie waren wieder einmal die beiden Motoren des globalen Wirtschaftswachstums. Im Jahr 2007 hatten die Globalisierung und das weltweite Bruttoinlandsprodukt neue Höchststände erreicht. Aber es war das letzte Hurra der Globalisierung.

Der Zusammenbruch eines Systems

Ab 2007 begann sich die Weltwirtschaft zum Schlechteren zu verändern. Die Motoren der größten Volkswirtschaften der Welt gerieten ins Stocken. Den Anfang machten die USA, wo eine Immobilien- und Finanzkrise in eine mehrere Quartale andauernde große Rezession mündete. Es folgte Europa mit einer Schuldenkrise, die 2009 begann und mehrere Jahre andauerte. Die meisten anderen Volkswirtschaften der Welt steckten in der Mitte fest, mit einer globalen Rezession im Jahr 2009 und einem realen Wirtschaftswachstum, das in der folgenden Dekade zwischen 2 und 3 Prozent schwankte. (Genauer gesagt, zwischen einem Tiefststand von 2,5 Prozent in den Jahren 2011 und 2019 und einem Höchststand von 3,3 Prozent im Jahr 2017, laut der Weltbank.24)

Langsames Wachstum scheint nun die neue Normalität zu sein, da der Motor allen Wirtschaftswachstums, die Produktivitätssteigerung, fehlt. Viele Menschen im Westen stecken in schlecht bezahlten, unsicheren Jobs fest, ohne Aussicht auf Besserung. Außerdem hatte der IWF schon lange vor der COVID-Krise festgestellt, dass die Welt ein nicht mehr tragbares Verschuldungsniveau erreicht hatte.25 Auch die Staatsverschuldung, die zuvor in den Krisen der 1970er-Jahre einen Höchststand erreicht hatte, lag im Jahr 2020 in vielen Ländern wieder auf oder kurz vor dem Rekordniveau. Laut dem Fiskalmonitor 2020 des IWF erreichte die Staatsverschuldung in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften im Zuge der COVID-Krise mehr als 120 Prozent des BIP, ein Anstieg von über 15 Prozent in einem einzigen Jahr, und in den Schwellenländern schnellte sie auf über 60 Prozent des BIP hoch (von knapp über 50 Prozent im Jahr 2019).26

Schließlich stellen immer mehr Menschen in Frage, wie sinnvoll es überhaupt ist, Wachstum als Indikator für Fortschritt zu verfolgen. Laut dem Global Footprint Network hat die Weltwirtschaft27 1969 das letzte Mal die Ressourcen der Natur für den Planeten nicht »verschwendet«. Fünfzig Jahre später ist unser ökologischer Fußabdruck größer denn je, da wir mehr als das 1,75-fache der Ressourcen verbrauchen, die die Welt wieder auffüllen kann.

All diese makroökonomischen, sozialen und ökologischen Trends spiegeln sich in den allmählichen Auswirkungen von Entscheidungen wider, die von Einzelpersonen, Unternehmen und Regierungen auf lokaler und nationaler Ebene getroffen werden. Und es konfrontiert dieselben Gesellschaften, die das Zeitalter der Kriege, der Armut und der Zerstörung so weit hinter sich gelassen haben, mit einer unangenehmen neuen Realität: Sie sind reich geworden, aber auf Kosten von Ungleichheit und fehlender Nachhaltigkeit.

* * *

Das Schwabenland im 21. Jahrhundert ist in vielerlei Hinsicht so wohlhabend wie eh und je, mit hohen Löhnen, geringer Arbeitslosigkeit und vielen Freizeitmöglichkeiten. Die schönen Innenstädte von Ravensburg und Friedrichshafen erinnern in keiner Weise an den traurigen Zustand, in dem sie 1945 waren. Ravensburg nimmt immer noch Flüchtlinge auf, aber diesmal sind die Kriege weiter weg. Sogar der Puzzle-Hersteller der Stadt hat sich an eine Welt der globalen Lieferketten und Puzzles angepasst, die durch digitale Spiele beeinträchtigt wird.

Aber das Puzzle, das die Menschen in dieser Region, ihre Getriebe- und Puzzle-Hersteller und andere gesellschaftliche Akteure hier und in anderen Teilen der Welt zu lösen haben, ist nicht einfach. Es ist ein globales Puzzle mit vielen komplexen und voneinander abhängigen Teilen. Bevor wir also versuchen, es zu lösen, müssen wir diese Teile auflisten. Dieser Aufgabe werden wir uns im nächsten Kapitel widmen. Und zu unserer Orientierung werden wir die Hilfe eines berühmten Wirtschaftswissenschaftlers in Anspruch nehmen.

Anmerkungen

1

   70 Jahre Kriegsende, Schwäbische Zeitung, Anton Fuchsloch, Mai 2015

http://stories.schwaebische.de/kriegsende#10309

.

2

   Wie der Krieg in Ravensburg aufhört, Schwäbische Zeitung, Anton Fuchsloch, Mai 2015,

http://stories.schwaebische.de/kriegsende#11261

.

3

   

Year Zero, A History of 1945

, Ian Buruma, Penguin Press, 2013, .

4

   Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), Eurostat,

https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/pdfscache/1488.pdf

.

5

   Friedrichshafen, Geschichte der Zeppelin-Stiftung,

https://www.zeppelin-stiftung.de/stiftung-stifter/geschichte-der-stiftung/

.

6

   Der Spiegel, Ein Jahrhundertprojekt, Oktober 2010,

https://www.spiegel.de/fotostrecke/fotogalerie-ein-jahrhundert-projekt-fotostrecke-56372-5.html

.

7

   Das Unternehmen wurde als Otto Maier Verlag gegründet und änderte seinen Namen später in Ravensburger.

8

   Unternehmensinterview mit Heinrich Hüntelmann und Tristan Schwennsen, August 2019.

9

   Ravensburger, Über Ravensburger,

https://www.ravensburger-gruppe.de/de/ueber-ravensburger/unternehmenshistorie/index.html#1952-1979

.

10

 Erbe, ZF,

https://www.zf.com/mobile/de/company/heritage_zf/heritage.html

.

11

 Our World in Data,Working women: Key facts and trends in female labour force participation,

https://ourworldindata.org/female-labor-force-participation-key-facts

.

12

 Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung, Entwicklung des Studentinnenanteils in Deutschland seit 1908,

https://www.gesis.org/cews/unser-angebot/informationsangebote/statistiken/thematische-suche/detailanzeige/artikel/entwicklung-des-studentinnenanteils-in-deutschland-seit-1908/

.

13

 School Enrollment,Tertiary, Saudi Arabia,World Bank, 2018,

https://data.worldbank.org/indicator/SE.TER.ENRR?locations=SA

.

14

 Global Gender Gap Report 2018,

http://reports.weforum.org/global-gender-gap-report-2018/key-findings/

.

15

 Historical Background and Development Of Social Security, Social Security Administration,

https://www.ssa.gov/history/briefhistory3.html

.

16

 Tuberculosis Treatment, Mayo Clinic,

https://www.mayoclinic.org/diseases-conditions/tuberculosis/diagnosis-treatment/drc-20351256

.

17

 Der Begriff »Globales Dorf« wurde in den 1960er-Jahren von dem kanadischen Vordenker Marshall McLuhan geprägt.

18

 »The World Economic Forum, a Partner in Shaping History, 1971–2020«, p. 16

http://www3.weforum.org/docs/WEF_A_Partner_in_Shaping_History.pdf

.

19

 The Davos Manifesto, 1973, World Economic Forum

https://www.weforum.org/agenda/2019/12/davos-manifesto-1973-a-code-of-ethics-for-business-leaders/

.

20

 »A Friedman Doctrine-The Social Responsibility of Business Is to Increase Its Profits«, Milton Friedman,

The New York Times

, September 1970,

https://www.nytimes.com/1970/ 09/13/archives/a-friedman-doctrine-the-social-responsibility-of-business-is-to.html

.

21

 

The New York Times Magazine

, »What Is Fukuyama Saying? And to Whom Is He Saying It?«, James Atlas, Oktober 1989,

https://www.nytimes.com/1989/10/22/magazine/what-is-fukuyama-saying-and-to-whom-is-he-saying-it.html

.

22

 »Pioneers in China«,1993, ZF Heritage,

zf.com/mobile/en/company/heritage_zf/heritage.html

.

23

 Eurofound, »Pacts for Employment and Competitiveness: Ravensburger AG«, Thorsten Schulten, Hartmut Seifert und Stefan Zagelmeyer, April 2015, .

24

 BIP-Wachstum, jährlich (%), 1961–2019, The World Bank,

https://data.worldbank.org/indicator/NY.GDP.MKTP.KD.ZG

.

25

 International Monetary Fund, New Data on Global Debt,

https://blogs.imf.org/2019/01/02/new-data-on-global-debt/

.

26

 Gross debt position, Fiscal Monitor, April 2020, International Monetary Fund,

https://www.imf.org/external/datamapper/datasets/FM

.

27

 Global Footprint Network,

https://www.footprintnetwork.org/2019/06/26/press-release-june-2019-earth-overshoot-day/

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2Der Kuznets-Fluch: Die Probleme der Weltwirtschaft heute

Vielleicht hätte niemand das Puzzle der Weltwirtschaft besser zusammensetzen können als Simon Kuznets, ein russischstämmiger1 amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler, der 1985 starb.

Es mag auf den ersten Blick seltsam erscheinen, dass ein Mann, der Mitte der 1980er-Jahre verstorben ist, für die heutigen globalen wirtschaftlichen Herausforderungen so wichtig ist, aber ich glaube, dass die Probleme, mit denen wir heute konfrontiert sind, vielleicht nicht so groß geworden wären, wenn wir die Lehren dieses Wirtschaftswissenschaftlers und Nobelpreisträgers besser beherzigt hätten.

In der Tat mahnte Kuznets schon vor mehr als 80 Jahren, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ein schlechtes Instrument für die Wirtschaftspolitik sei. Ironischerweise hatte er einige Jahre zuvor mitgeholfen, das Konzept des BIP auf den Weg zu bringen, und seinen Teil dazu beigetragen, dass es zum heiligen Gral der wirtschaftlichen Entwicklung wurde. Er wies auch darauf hin, dass seine eigene Kuznets-Kurve, die zeigte, dass die Einkommensungleichheit mit der Entwicklung einer Volkswirtschaft sank, auf »fragilen Daten« basierte,2 d. h. Daten aus einer relativ kurzen Periode des westlichen Wirtschaftswunders der Nachkriegszeit, das in den 1950er-Jahren stattfand. Sollte sich der Zeitraum seiner Studie als Anomalie herausstellen, wäre die Theorie dieser Kurve widerlegt. Auch der Ableger der Kurve, die sogenannte Umwelt-Kuznets-Kurve, der zufolge die von den Ländern produzierten