Star Trek - Deep Space Nine: Gamma - Ursünde - David R. George III. - E-Book

Star Trek - Deep Space Nine: Gamma - Ursünde E-Book

David R. George III.

0,0

Beschreibung

Ende 2385 entsendet die Sternenflotte Captain Benjamin Sisko und die Mannschaft der U.S.S. Robinson auf eine ausgedehnte Forschungsmission in den Gamma-Quadranten. Doch drei Monate nach Beginn der Mission greift eine fremde Spezies unprovoziert die Robinson an. 78 der 1300 Besatzungsmitglieder werden entführt – darunter Siskos Tochter Rebecca. Rebecca ist vor Jahren schon einmal von religiösen Eiferern entführt worden, einer Sekte, die daran glaubte, dass ihre Geburt die Prophezeiung der Ankunft des kindlichen Wegbereiters erfüllte. Hat ihr erneutes Verschwinden etwas mit den qualvollen Ereignissen der Vergangenheit zu tun? Und zu welchem Zweck haben diese Feinde Siskos Tochter und die übrigen Vermissten entführt?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 520

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



STAR TREK™

DEEP SPACE NINE

URSÜNDE

DAVID R. GEORGE III

Based on

Star Trek and Star Trek: The Next Generation

created by Gene Roddenberryand

Star Trek: Deep Space Nine

created by Rick Berman & Michael Piller

Ins Deutsche übertragen von

René Ulmer

Die deutsche Ausgabe von STAR TREK – DEEP SPACE NINE: GAMMA – URSÜNDEwird herausgegeben von Cross-Cult, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg.Herausgeber: Andreas Mergenthaler, Übersetzung: René Ulmer;verantwortlicher Redakteur und Lektorat: Markus Rohde; Lektorat: Katrin Aust;Korrektorat: André Piotrowski; Satz: Rowan Rüster; Cover-Illustration: Doug Drexler;Print-Ausgabe gedruckt von CPI Moravia Books s.r.o., CZ-69123 Pohorelice.Printed in the Czech Republic.

Titel der Originalausgabe: STAR TREK – DEEP SPACE NINE: GAMMA – ORIGINAL SIN

German translation copyright © 2020 by Cross Cult.

Original English language edition copyright © 2017 by CBS Studios Inc. All rights reserved.

™ & © 2020 CBS Studios Inc. STAR TREK and related marks and logos are trademarks of CBS Studios Inc. All rights reserved.

This book is published by arrangement with Pocket Books, a Division of Simon & Schuster, Inc., pursuant to an exclusive license from CBS Studios Inc.

Print ISBN 978-3-96658-061-8 (April 2020) · E-Book ISBN 978-3-96658-062-5 (April 2020)

WWW.CROSS-CULT.DE · WWW.STARTREKROMANE.DE · WWW.STARTREK.COM

Für Kirsten Beyer,eine Frau, gesegnet mitleidenschaftlichem Talent und Können,eine brillante Mitstreiterin,und am allerwichtigsten,eine wunderbare Freundin.

Inhalt

Historische Anmerkung

PROLOG: Katalysator

KAPITEL: Reaktion

Gamma-Quadrant, 2386

Bajor, 2380

Gamma-Quadrant, 2386

Bajor, 2380

Gamma-Quadrant, 2386

Bajor, 2380

Gamma-Quadrant, 2386

Bajor, 2380

Gamma-Quadrant, 2386

Bajor, 2380

Gamma-Quadrant, 2386

Bajor, 2380

Gamma-Quadrant, 2386

Bajor, 2380

Gamma-Quadrant, 2386

Bajor, 2380

Gamma-Quadrant, 2386

Bajor, 2380

Gamma-Quadrant, 2386

Bajor, 2380

Gamma-Quadrant, 2386

Bajor, 2380

Gamma-Quadrant, 2386

Bajor, 2380

Gamma-Quadrant, 2386

EPILOG: Reagens

Danksagungen

Über den Autor

Historische Anmerkung

Die Hauptgeschichte dieses Romans spielt nicht lange nach den Ereignissen der DEEP SPACE NINE-Romane »Vorherrschaft« und »Lichter im Dunkel«. Da sie nicht mehr die Aufgabe haben, nach dem Attentat auf die Föderationspräsidentin Nanietta Bacco im Sektor um Deep Space 9 zu patrouillieren, brechen Captain Sisko und die Besatzung der Robinson endlich zu ihrer Forschungsmission in den Gamma-Quadranten auf.

Die Ursünde verleiht dem Menschen die Möglichkeit,seine eigene Perfektion zu erkennen,und verwehrt ihm, sie zu erreichen.

– Reinhold Niebuhr

PROLOG

Katalysator

Blendendes Licht brach aus dem improvisierten Gerät hervor und hüllte den Mann ein, der es hielt, als die Explosion seinen Körper verschlang. Die Explosion warf auch die Männer und Frauen, die neben Rejias Norvan standen, gebrochen, verbrannt und blutend zu Boden. Die Druckwelle löste ein weiteres Gerät aus, das die Gruppe mit sich führte, dann noch eines und verschiedene weitere. Explosionen füllten die immerwährende Nacht, große Feuerstöße in Gelb und Rot zeichneten sich dramatisch gegen den kalten, schwarzen Himmel Endallas ab.

Aus einiger Entfernung beobachtete Radovan Tavus die Kette der Zerstörung, die sich über die Oberfläche von Bajors größtem Mond zog. Flammenwellen rollten wie ein brennender Tsunami über die Versammelten, die Trümmer hinterließen auf ihrem Weg nichts als Tod und Verwüstung. Als die Feuersbrunst abflaute, bedeckten verkohlte und zerstörte Körper den Boden. Wo die toten Ohalavaru lagen, hatte sich die stumpfgraue, unebene Oberfläche Endallas dank der gewaltigen Hitze in eine glatte Fläche aus schwarzem Glas verwandelt.

Düstere Stille senkte sich über die Landschaft. Die plötzliche Ruhe ließ Radovan stehen bleiben. Er starrte die grauenhafte Szenerie an, genauso unfähig, sich zu bewegen, wie die Hunderten Toten vor ihm.

Aber dann sah Radovan eine Bewegung. Nahe dem Ursprung des Flammeninfernos reckte sich ein Arm in die Luft. Er gehörte zu einem Körper in einem verbrannten Druckanzug und zuckte einen Moment, bevor er nach vorn und unten schoss, als wollte er nach etwas greifen.

Radovan hatte die Möglichkeit nicht einmal in Betracht gezogen, dass es Überlebende geben könnte, aber einen zu sehen, löste seine Schockstarre. Er rannte mitten in die grausame Szenerie hinein. Er verlor den sich bewegenden Arm und den Körper, zu dem er gehörte, aus den Augen, rannte aber weiter in diese Richtung. Er schlängelte sich durch die versengten und verdrehten Leichen und trat zwischen reglose Körper, bis er die verbrannten und gebrochenen Überreste Rejias Norvans erreichte. Des charismatischen Anführers, der eine extremistische Ohalavaru-Sekte nach Endalla gebracht hatte, um dort nach stichhaltigen Beweisen zu suchen, die Ohalus Schriften belegen würden.

Gleich hinter Rejias hob sich der Arm erneut. Radovan sah hin und entdeckte die Gestalt in ihrem Druckanzug, aber ohne Helm. Er erkannte den Mann, der versuchte, sich mit einem Arm vorwärtszukämpfen. Den anderen zog er nutzlos hinter sich her. Der Mann wand sich zuckend über den Boden, nichts war von der Würde geblieben, die ihn für gewöhnlich umgab, und trotzdem lag in dem grässlich anzusehenden Versuch des Abgesandten, sich über die Mondoberfläche zu ziehen, eine gewisse verzweifelte Eleganz.

Radovan sah in die Richtung, in die Benjamin Sisko kroch, um zu erkennen, was den sterbenden Mann antrieb. Er entdeckte nichts als tote Bajoraner, verbrannte Haufen aus leblosem Fleisch und Knochen, die zumindest jetzt, im Tode, alle gleich waren. Einer sah wie der andere aus. Sie alle …

Moment, dachte Radovan, dort …

Einer der Gefallenen unterschied sich von den anderen – all den Leichen, die im Explosionsradius verstreut lagen. Radovan ging in dieselbe Richtung und überquerte das Schlachtfeld, bis er erreichte, was anscheinend die Aufmerksamkeit des Abgesandten geweckt hatte. Da es so viel kleiner als die anderen Kadaver war, musste es sich um ein Kind handeln.

Nein, kein Kind, korrigierte er sich. Ein Kleinkind.

Neben der auf dem Bauch liegenden, reglosen Hülle ging er in die Hocke und fragte sich nicht, warum sich Sisko so sehr bemühte, sie in den offensichtlich letzten Momenten seines Lebens zu erreichen. Trotzdem stupste Radovan gegen die Seite des Kleinkinds. Der Körper ließ sich ohne Schwierigkeiten umdrehen und offenbarte ein Gesicht, das irgendwie von der Explosion verschont geblieben war – ein Gesicht, das man auf ganz Bajor kannte. Vor fast dreieinhalb Jahren war die Geburt von Rebecca Jae Sisko mit der Rückkehr des Abgesandten aus dem Himmlischen Tempel, nach seinem geheimnisvollen Aufenthalt dort, zusammengefallen. Aufgrund uralter Schriften betrachteten die Ohalavaru sie als kindliche Heilsbringerin und sahen in ihr eine neue Hoffnung für das bajoranische Volk, die Prophezeiung eines immer größer werdenden, kollektiven Bewusstseins, das ihrer Gesellschaft Klarheit und eine glückliche Zukunft bescheren würde.

Das kleine Mädchen starrte Radovan mit leeren Augen an. Im Tod wirkte sie nicht ruhig, sondern ängstlich und überrascht. In ihrem Antlitz erkannte er die Spuren von mehr Jahren, als Rebecca tatsächlich gelebt hatte. Das entmutigte ihn auf eine Weise, die er nicht in Worte fassen konnte. Er hatte nie gewusst, was er von der Behauptung der Ohalavaru über die kindliche Heilsbringerin halten sollte, und dass sie so jung starb, verwirrte ihn nur noch mehr. Er betrachtete ihr erstarrtes Gesicht und staunte über die Launenhaftigkeit des Lebens.

Und dann blinzelte Rebecca Sisko.

Radovan sprang so hastig auf die Füße, dass er fast das Gleichgewicht verlor. Er schaffte es, sich zu fangen, und sah dann, wie das Kleinkind zu ihm aufblickte und den Mund öffnete. In dem Moment bevor sie sprach, erwartete Radovan, eine tiefe, erwachsene Stimme zu hören, wie bei einem verfluchten Wesen – einem Pah-Geist oder einem Feuerdämon –, der Besitz vom toten Körper der Heilsbringerin ergriffen hatte. Stattdessen hörte er die leise, traurige Stimme eines kleinen Mädchens.

»Was wirst du tun?«, fragte sie. Ihre Augen brannten geradezu vor Intelligenz.

Zu intelligent – zu scharfsinnig – für jemand so Junges, dachte Radovan. »Ich … ich …«, stammelte er, unfähig zu antworten. Schon während seines täglichen Lebens fiel es ihm schwer zu entscheiden, wie er leben und was er als Nächstes tun sollte. Er konnte sich nicht einmal vorstellen, was Rebecca Sisko da von ihm wissen wollen könnte.

In dem Moment spürte Radovan eine Hand auf seiner Schulter. Er fuhr herum und sah, dass Benjamin Sisko sein Ziel erreicht und sich auf die Füße gewuchtet hatte. Von Nahem sah der Abgesandte genauso tot aus wie die anderen Leichen um sie herum. Die Hälfte seines Gesichts war verbrannt, an manchen Stellen konnte man durch die versengte Haut den Schädel erkennen. Seine geschwärzte Zunge schob sich wie ein Stück verkohltes Fleisch an seinen Zähnen vorbei. Eines seiner Augen war ausgelaufen.

»Was wirst du tun?«, wollte der Abgesandte wissen.

Radovan öffnete den Mund, um zu schreien …

… und schreckte im Bett hoch. Sein Herz hämmerte wie wild in seiner Brust. Er schwitzte am ganzen Körper. Sein Kopf dröhnte.

Radovan zog die Beine an und legte die Arme auf die Knie. So saß er schweigend in der Dunkelheit und versuchte, sich zu beruhigen. Er griff sich an die Schläfen und massierte sie langsam, um das Gefühl, sein Kopf säße in einem Schraubstock, zu lindern. Die Erinnerung an einen Schrei schien noch in seinen Ohren nachzuhallen. Hatte er im Schlaf geschrien? Er wusste es nicht, aber er dachte – er hatte das Gefühl –, dass er es vermutlich getan hatte. Träge griff er sich an die Schulter, die Stelle, an der ihn der tödlich verletzte Benjamin Sisko in seinem Albtraum berührt hatte. Radovan spürte nur seine nackte Haut.

Nackt? Das war falsch. Normalerweise trug er immer etwas im Bett – für gewöhnlich Unterwäsche und ein leichtes, kurzärmeliges Oberteil. Warum hatte er …

»Alles in Ordnung?«, hörte er eine verschlafene Stimme aus dem Schatten neben sich fragen. Radovan riss die Bettdecke zur Seite und sprang aus dem Bett, während Einzelheiten des vergangenen Abends in sein Bewusstsein sickerten. Er erinnerte sich an die Frau in seinem Bett, die darauf bestanden hatte, ihn nach der Ohalavaru-Kundgebung nach Hause zu begleiten.

Am liebsten hätte Radovan die Frau – Winser Ellevet – richtig geweckt und weggeschickt, aber er hatte genug Anstand, um zu verstehen, dass er das nicht einfach so tun konnte. Stattdessen sagte er ihr mit vom Schlaf rauer, tiefer Stimme: »Schlaf weiter.« Aber er brachte es nicht über sich, zu lügen und zu behaupten, alles wäre in Ordnung – er hatte noch nie ein Talent dafür gehabt, sich Unwahrheiten auszudenken –, er wusste allerdings, wie er vermeiden konnte, die Wahrheit zu sagen. Er blieb still stehen und hoffte, Winser würde nicht vollends aufwachen. Sie sagte nichts mehr und nach ein paar Sekunden hörte Radovan, wie sie sich auf die Seite drehte. Er wartete weiter reglos in der Dunkelheit, bis ihre Atmung langsamer und tiefer wurde, was belegte, dass sie wieder schlief. Dann tappte er leise durch das dunkle Zimmer und tastete nach der Tür zum Bad. Sobald er drinnen war, schloss er leise die Tür, schaltete jedoch das Licht nicht ein. Nachdem er seinen Bademantel ertastet hatte, zog er ihn hastig über und schloss ihn. Das zweckmäßige Kleidungsstück bedeckte seine Nacktheit, schaffte es aber nicht, seine Scham zu lindern.

Mit nach wie vor schmerzendem Kopf öffnete Radovan einen Schrank und griff aus Gewohnheit in das oberste Ablagefach. Mit den Fingern berührte er die diversen Medikamente, Palliativa und Schmerzmittel, mit denen man seine Mutter während ihres letzten Jahrs behandelt hatte und die er beim Ausräumen ihres Zuhauses an sich genommen hatte. Er bemerkte seinen Irrtum, griff stattdessen ins unterste Ablagefach und tastete zwischen den schwachen Schmerzmitteln umher, die er dort aufbewahrte. Er litt nicht an einer seiner Migräneattacken, aber es war eine schlechte Entscheidung gewesen, Winsers Einladung, in eine Kneipe zu gehen, anzunehmen, nachdem sie nach der Kundgebung zusammen etwas gegessen hatten. Radovan trank nur selten und das Pochen in seinem Kopf – in Verbindung mit der Tatsache, dass er Winser gestattet hatte, ihn nach Hause zu begleiten – ermahnte ihn, warum. Er öffnete das Medikamentenfläschchen, holte zwei Tabletten heraus und wartete, bis sie sich unter seiner Zunge aufgelöst hatten.

Als er sich endlich mehr wie er selbst fühlte, ging er ins Schlafzimmer zurück und durch die andere Tür hinaus, die er hinter sich schloss. Er folgte dem kurzen Flur, vorbei an einem Schrank auf der einen Seite und einem Gästebad auf der anderen, ins Wohnzimmer. Das Licht der Straßenlaterne vor den Fenstern, das durch die grauen Vorhänge sickerte, hüllte die Möbel im Zimmer in geisterhafte Schemen.

Radovan entschied sich dagegen, die Deckenbeleuchtung einzuschalten. Er umging den kleinen Tisch und die Stühle beim Replikator und schob sich an dem niedrigen Holztisch vor dem Sofa vorbei. Schwer und erschöpft – nicht nur von seinem unterbrochenen Schlaf, sondern auch von den in ihm tobenden Emotionen –, ließ er sich auf die Sitzfläche fallen. Es schien unmöglich, dass er jemand Fremdes in sein Zuhause gebracht hatte, und dann auch noch eine Frau, die jetzt in seinem Bett schlief.

Radovan war Winser Ellevet das erste Mal vor fast einem Jahr bei einem Ortstreffen der Ohalavaru in Johcat begegnet. Es war öffentlich gewesen und hatte sich an Personen gerichtet, die neugierig waren, etwas über Ohalus Schriften und die moderne Bewegung zu hören, die aus seinen uralten Lehren hervorgegangen war. Radovan hinterfragte viele Aspekte des Lebens auf Bajor und es hatte ihn gereizt, etwas über diese vergleichsweise neue Sekte zu erfahren, einfach weil sie sich vom Althergebrachten abhob. Er hatte nie irgendwo hineingepasst, und obwohl er nicht damit gerechnet hatte, einen Platz unter den Ohalavaru zu finden, hatte er feststellen wollen, ob ihm ihre Lehren zumindest ein winziges bisschen Trost spenden konnten.

Es war wegen Mutter, dachte Radovan. Ihr Tod war Quell von Trauer, aber auch Erleichterung gewesen, von Verlust, ebenso wie Befreiung. Nach einem Leben in der Rolle des pflichtbewussten Sohns und Jahren, in denen er sich um ihre stetig schlimmer werdenden gesundheitlichen Probleme gekümmert hatte, hatte ihr Tod alles verändert – er hatte ihn von seinen mühseligen Verpflichtungen befreit und ihm zugleich die wichtigste Person in seinem Leben genommen.

»Sie wurden nicht einfach nur befreit«, hatte ihm der Counselor, den er für kurze Zeit aufgesucht hatte, gesagt. »Sie haben den Halt verloren.«

Bei der ersten Ohalavaru-Veranstaltung, auf der Radovan gewesen war, hatte er keine Unterstützung gefunden, dafür aber Winser. Oder besser, sie hatte ihn gefunden. Sie sprach ihn am Buffet an. Sie verhielt sich so ungezwungen, als würden sie sich bereits kennen, mehr noch, sie verhielt sich, als wären sie mitten in einem Gespräch gewesen. Sie fragte ihn, was er bisher von dem Treffen hielt und nach seiner generellen Meinung über die Ohalavaru. Trotz seines Impulses, sich zu entschuldigen und zurückzuziehen, antwortete er ihr zurückhaltend und brachte wahrheitsgemäß ein paar der Fragen zur Sprache, die ihn noch immer beschäftigten, versuchte aber gleichzeitig, nicht zu viel zu sagen. Es war gut möglich, dass sie bereits eine Anhängerin der Lehren Ohalus war und feststellen wollte, ob man ihn bekehren konnte. Radovan mochte es nicht, beurteilt zu werden.

Winser hörte ihm zu und sprach dann über ihre eigenen Ansichten. Da sie sich über die Ohalavaru ebenfalls unsicher war, teilte sie viele von Radovans Bedenken. Obwohl er für gewöhnlich dazu neigte, Begegnungen in der Öffentlichkeit zu meiden, besonders mit Fremden, unterhielt er sich letztendlich recht lange mit Winser.

Einen Monat später, beim nächsten Ohalavaru-Treffen war Winser aufgetaucht, als der erste Redner bereits zur Hälfte fertig gewesen war. Sie setzte sich neben Radovan und später begleitete sie ihn zum Buffet, wo sie sich erneut ausführlich unterhielten. Irgendwann fragte sie ihn, ob er das Gespräch nach dem Treffen fortsetzen wollte, vielleicht in einem Restaurant oder einer Kneipe. Radovan betrachtete sich als durchschnittlich – zumindest was das Aussehen anging –, aber er begriff, Winser flirtete mit ihm. Obwohl er sie nicht besonders hübsch fand – für ihre Größe hatte sie ein paar Kilo zu viel –, schmeichelte es ihm. Gleichzeitig fühlte er sich dabei aber auch unwohl, also lehnte er ihre Einladung höflich ab.

Radovan besuchte weitere Versammlungen der Ohalavaru, bei denen er Winser oft sah und mit ihr sprach. Immer mal wieder wiederholte sie ihre Einladung. Irgendwann, während einer besonders faszinierenden Unterhaltung über Gerüchte einer möglichen Expedition der Ohalavaru nach Endalla, lenkte er ein. Sie hatten in einem örtlichen Imbiss gegessen, was angenehm genug gewesen war, sodass er nach einigen weiteren Treffen wieder mit ihr essen gegangen war.

Und dann sind wir beide nach Endalla aufgebrochen, dachte Radovan. Das Erlebnis war nervenaufreibend gewesen, auch wenn sein Albtraum in dieser Nacht die Ereignisse dort nicht präzise wiedergegeben hatte. Nach ihrer Rückkehr vom bajoranischen Mond bat ihn Winser, unabhängig von einem Ohalavaru-Treffen mit ihr zu essen. Da er noch immer versuchte, das dort Erlebte zu begreifen, und das Gefühl hatte, er könnte mit ihr darüber sprechen, ging Radovan mehrmals mit ihr aus.

Genauso war es auch an diesem Abend gewesen. Nach dem Essen hatte Winser vorgeschlagen, sie sollten ihre Unterhaltung in einer Kneipe fortsetzen. Radovan hatte zum ersten Mal eingewilligt.

Warum habe ich das gemacht?, fragte er sich. Und warum hatte er beschlossen, auch nur einen Cocktail zu bestellen, ganz zu schweigen von mehreren? Der Alkohol hatte sein Urteilsvermögen eindeutig beeinflusst, ansonsten hätte er nie zugelassen, dass Winser ihn nach Hause begleitete. Er konnte sich kaum an die Rückfahrt zu seiner Wohnung entsinnen und seine Erinnerung daran, wie sie ihn ins Bett gelockt hatte, endete mit einem unbeholfenen Durcheinander nackter Haut. Radovan bezweifelte, dass sie den Akt vollzogen hatten, möglicherweise weil er körperlich nicht in der Lage dazu gewesen war – entweder wegen des Alkohols oder wegen seines generellen Desinteresses an dieser Art von Aktivität.

Aber ich wollte Gesellschaft, oder etwa nicht? Radovans Albtraum war nicht sein erster gewesen. Während der letzten Monate war Durchschlafen zur Seltenheit geworden. Seit der Rückkehr von Endalla waren seine Albträume geradezu eskaliert und der in dieser Nacht war der schrecklichste gewesen.

Sein Herzschlag beruhigte sich, seine Kopfschmerzen ließen nach. Radovan saß in der Dunkelheit und dachte über den Schock nach, der ihn aus dem Schlaf gerissen hatte. Für gewöhnlich verblassten seine Albträume schnell wieder und ließen ihn erschöpft zurück, aber ohne Erinnerung daran, was sein schlummernder Verstand zusammengebraut hatte. Doch in dieser Nacht blieb die Erinnerung.

Die Bilder waren auf jeden Fall das Ergebnis der schrecklichen Ereignisse, die er vor vier Wochen auf Endalla mit angesehen hatte, aber sie entsprachen nicht der Realität, wie sie sich zugetragen hatte. Radovan verstand nicht, warum – warum sein Verstand dieses grässliche Erlebnis zu etwas noch Schlimmerem verzerren sollte. Es ergab einfach keinen Sinn.

Irgendwas entgeht mir, dachte er. Etwas über Endalla oder die Ohalavaru.

Er wusste, er würde nicht schlafen können, egal wie sehr er Ruhe brauchte. Er rutschte auf dem Sofa herum und legte sich hin, um seinem erschöpften Körper zumindest ein wenig Erholung zu gönnen. Anstatt zu versuchen, seinen Verstand zu entspannen, konzentrierte sich Radovan auf seine Gedanken, erinnerte sich an den Vorfall, der der Auslöser für seinen Albtraum gewesen war.

Radovan sah durch die Sichtluke des kleinen, zivilen Schiffs, als es sich der trostlosen Oberfläche von Bajors größtem Mond näherte. Vor zwei Jahren hatte eine isolytische Subraumwaffe Endallas dünne Atmosphäre weggerissen und das dort herrschende Ökosystem zerstört. Auch von seinem Zuhause auf Bajor aus konnte er die Verwandlung des natürlichen Satelliten problemlos ausmachen. Früher hatte eine braun-grüne Kugel den Nachthimmel geschmückt, jetzt war es nur noch eine aschfarbene Pockennarbe. Aus der Nähe war die Zerstörung sogar noch offensichtlicher. Obwohl Radovan noch nie auf Endalla gewesen war, hatte er sein ganzes Leben lang immer wieder Bilder der Oberfläche gesehen, mit ihrem rudimentären Pflanzenleben und den diversen wissenschaftlichen Einrichtungen, die man dort aufgebaut hatte. Von seinem Sitz an Bord des Raumschiffs aus betrachtete er stattdessen eine sterile, verlassene Landschaft, eine leere Ebene in Schattierungen aus Grau und Schwarz.

»Es hat die Farbe von Grabsteinen«, stellte Winser Ellevet fest. Sie lehnte sich von ihrem Platz neben Radovan zur Sichtluke. »Sieht aus wie Teile Bajors, nachdem …« Ihre Stimme stockte, als würde sie anfangen zu weinen, aber dann beendete sie ihren Gedanken: »Nachdem die Cardassianer fort waren.«

Radovan nickte. Er traute sich nicht, etwas zu sagen, aus Angst, was er damit offenbaren könnte. Er konnte seine Beziehung zu Winser nicht wirklich definieren. Obwohl er sie nicht als Gleichgesinnte bezeichnen würde, bemerkte er ihr Unbehagen im sozialen Umgang und betrachtete sie daher als nicht bedrohliche Bekannte. Wie auch immer er ihre Beziehung umschreiben würde, zumindest vorläufig wollte er sie aufrechterhalten. Es war für Radovan deutlich, dass ihr der Anblick von Endallas Zerstörung naheging, er hingegen empfand nichts außer einem schlichten, oberflächlichen Interesse.

Sobald das Schiff auf der Mondoberfläche aufgesetzt hatte, gingen Radovan und Winser zusammen mit den anderen Passagieren von Bord. Sie benötigten keine Druckanzüge. Die ersten Teams der Ohalavaru, die Endalla besucht hatten, hatten Lebenserhaltungsausrüstung aufgestellt und ein großes, kuppelförmiges Kraftfeld errichtet. Der Dom glühte in einem blassen, durchsichtigen Blau und hielt die künstlich erzeugte Atmosphäre in seinem Inneren aufrecht.

Während er und Winser die Rampe ihres Schiffs hinuntergingen, ließ Radovan den Blick über ihre Umgebung schweifen. Außerhalb des Doms waren weitere kleine Schiffe gelandet. In der Mitte des Gebiets entdeckte er einen großen Ring aus aktiven Transporterblockierern, die ein tiefes, kaum hörbares Brummen von sich gaben. Innerhalb dieses Rings standen Hunderte von Leuten in kleinen Gruppen zusammen, arbeiteten an großen Ausrüstungsbehältern und verstärkten den Lärm durch ihre eigenen Stimmen. Die Luft roch antiseptisch, das Erkennungszeichen für aufbereitete Atemluft.

Am Fuße der Rampe wurden Radovan, Winser und die anderen von einer Ohalavaru-Anführerin begrüßt. Die große Frau mit dem kastanienbraunen Haar stellte sich als Vendoma Ani vor und führte sie zu mehreren Ansammlungen von Ausrüstung, um die sich noch niemand kümmerte. Radovan entdeckte noch mehr Transporterblockierer und eine beachtliche Anzahl an tragbarer Grabungsausrüstung. Vor einem Jahrzehnt, nach dem Ende der Besatzung, hatte er so ein Gerät benutzt, um für seine Mutter nach ihrer Rückkehr auf ihr Land einen Brunnen anzulegen. Die Arbeit hatte sich im Nachhinein als Zeitverschwendung erwiesen, da sich ihre Krankheit bald darauf gezeigt hatte, was den ersten von vielen ausgedehnten Krankenhausaufenthalten nach sich gezogen hatte. In den Jahren danach hatte sie mehr Zeit in medizinischen Einrichtungen und schließlich in einem Hospiz verbracht als in ihrem Zuhause.

Vendoma erklärte, dass sie alle zusammen außerhalb des Doms graben würden. Sie enthüllte auch, dass eine Interpretation der alten Texte – sie bezeichnete sie als »kontrovers, aber überzeugend« – behauptete, Beweise für den Glauben der Ohalavaru wären unter diesem Teil von Endallas Oberfläche verborgen. Noch immer nicht ganz von den Ansichten der Ohalavaru überzeugt, war Radovan zum Teil mitgekommen, weil Winser darauf bestanden hatte, hauptsächlich jedoch, weil er selbst noch immer nach Antworten suchte, die ihm dabei helfen würden, eine Richtung zu finden für sein Leben, das er viel zu häufig als plump und ziellos empfand.

Vendoma verteilte Zugangsgeräte unter den Anwesenden und ging dann auf diesen Padds noch einmal die Betriebsanleitungen durch für die Ausrüstung, die sie benutzen würden. Sie betonte die primäre Aufgabe der Grabungsgeräte – große, quadratische Kisten mit Kontrollflächen an der Oberseite, die auf gebogenen Füßen standen, die zugleich die Emitter der Geräte waren. Sie nahm sich einen Transporterblockierer – ein langes Rohr mit darin eingelassenen Lichtern – und stellte ihn auf sein dreibeiniges Gestell. Anschließend hielt sie ein dünnes, rechteckiges Gerät hoch, das wie ein Padd mit einem Metallnetz auf der einen Seite aussah, und bezeichnete es als Sensormaske. Genauso wies Vendoma auf runde, faustgroße Haftflächen und die daran zu befestigenden Antigrav-Klammern hin.

Radovan bemerkte, dass er nur mit halbem Ohr zuhörte. Er hielt es für unwahrscheinlich, dass die Ohalavaru auf Endalla etwas Bedeutendes finden würden, genauso wusste er aber auch, vor Ende des Tages würde er hier nicht wieder wegkommen, erst sobald die Schiffe nach Bajor zurückkehrten. Vendoma ging mit ihnen die Vorbereitung für die Grabung auf der Mondoberfläche durch. Sie demonstrierte, wie man die Transporterblockierer und die Sensormasken initialisierte und wie man sie mit den Haftflächen an den Grabungsgeräten befestigte. Sie zeigte, wie man die Geräte mithilfe der Antigrav-Einheiten zu den Schiffen bringen konnte, die am Innenrand des Doms standen. Von dort würden andere Ohalavaru die konfigurierte Ausrüstung an vorher festgelegte Standorte auf Endalla beamen. Sobald alle Grabungsgeräte in Position waren, würde man die Transporterblockierer und Sensormasken aktivieren, um dann gemeinsam die Mondoberfläche zu durchbrechen und freizulegen, was sich darunter auch immer verbergen mochte.

Den Großteil des Tages arbeitete Radovan schweigend. Man hatte ihn angewiesen, die Transporterblockierer zu installieren und vorzubereiten – eine Aufgabe, die er mit geschlossenen Augen erledigen konnte –, während Winser die Aufgabe hatte, dabei zu helfen, die vorbereiteten Grabungsgeräte zu dem Schiff zu bringen, mit dem sie von Bajor gekommen waren. Dass sie voneinander getrennt wurden, war für Radovan eine Erleichterung, da er sich dadurch auf seine Arbeit konzentrieren konnte, ohne sich weiter bemühen zu müssen, eine freundliche Unterhaltung zu führen. Mehrere Ohalavaru in der Nähe versuchten, mit ihm ins Gespräch zu kommen, aber sie fanden schnell andere, willige Partner für ihre Unterhaltungen, wodurch er nicht viel reden musste. Hauptsächlich überlegte Radovan, was die Führungsspitze der Ohalavaru auf Endalla zu finden hoffte. Genauso staunte er über ihre ausführliche Planung. Die Nutzung von Sensormasken und Transporterblockierern machte deutlich, sie wollten nicht, dass jemand sie entdeckte und daran hinderte, diesen Teil des Mondes umzugraben. Der simultane Einsatz der Grabungsgeräte legte auch nahe, dass die Ohalavaru diese Phase ihrer Mission so schnell wie möglich erledigen wollten, um eine Entdeckung zu vermeiden.

Allerdings gelang ihnen das nicht.

Gerade als Radovan die Arbeit am Transporterblockierer am Grabungsgerät eines Mitglieds seiner Gruppe beendete, hörte er jemanden alarmiert rufen. Noch ein paar weitere Rufe wurden laut. Radovan sah in die entsprechende Richtung und entdeckte ein weiteres Schiff, das durch das schwache, blaue Kraftfeld zu ihnen herabsank. Als es neben einem der Ohalavaru-Schiffe aufsetzte, erkannte er die Kennung auf der Hülle: NCC-63719/3. Daneben stand in Föderationsstandard der Name des Shuttles: Prentares Ribbon.

Quasi im selben Moment, als das Schiff aufsetzte, schob sich eine Luke auf und eine Rampe entfaltete sich über die Backbordgondel hinweg. Ein Mann in einer Sternenflottenuniform erschien und sah sich im Inneren des Doms um.

Fast alle der Ohalavaru drehten sich zeitgleich in Radovans ungefähre Richtung. Bei dieser augenscheinlichen Aufmerksamkeit lief es ihm kalt den Rücken hinunter, selbst als er begriff, dass sie alle an ihm vorbeisahen. Er drehte sich um und entdeckte den Anführer der Endalla-Expedition, Rejias Norvan, der vortrat.

Eine uniformierte Andorianerin – eine shen oder zhen oder wie auch immer sie ihre sonderbaren vier Geschlechter nannten – gesellte sich zu dem Sternenflottenoffizier und ging neben ihm die Rampe des Shuttles hinunter. Lange, dicke Antennen ragten wie fehlplatzierte, bleiche Finger auf der Oberseite des Kopfs der Frau aus einem komplexen Gewirr von weißem Haar. Der Mann, dem Aussehen nach ein Mensch, hatte ein längliches Gesicht, eine hohe Stirn und sein kurz geschnittenes Haar, der Bart und der Schnauzbart waren grau. Er sah alt aus, vielleicht siebzig oder achtzig, aber seine Bewegungen strahlten Selbstbewusstsein und Würde aus, die auf beachtliche Erfahrung und ein möglicherweise noch höheres Alter hindeuteten. Mit der Andorianerin im Schlepptau schritt er durch die versammelten Bajoraner, da er offensichtlich geschlussfolgert hatte, wer hier das Sagen hatte.

Radovan sah zu, wie der Sternenflottenoffizier nur wenige Meter von ihm entfernt auf Rejias zuging. »Ich bin Captain Elias Vaughn von der U.S.S. James T. Kirk. Das ist Ensign zh’Vennias.«

»Ich bin Rejias Norvan, Captain.«

»Sind Sie hier der Verantwortliche?«

Rejias hob die Schultern – nicht als wollte er nicht antworten, sondern als würde er die Frage als unbedeutend erachten. »Ich bin einer der wichtigsten Architekten dieses Unterfangens, ja, und daher einer der symbolischen Anführer.«

Vaughn nahm sich einen Moment, um Rejias zu mustern, dann sah er an ihm vorbei und ließ den Blick erneut durch den Dom schweifen. Radovan erkannte, er beurteilte die Leute sowie die Ausrüstung. Als er Rejias wieder ansah, fragte der Captain: »Und was genau ist das für ein ›Unterfangen‹?«

Der Anführer der Ohalavaru hob mit nach oben gerichteten Handflächen die Arme und schloss mit der Geste alle Anwesenden ein. »Wie Sie sehen können, sind alle hier Anwesenden Bajoraner. Endalla gehört zu unserem Hoheitsgebiet, also haben wir jedes Recht, hier zu sein.« Er ließ die Arme wieder sinken und trat vor, bis er Vaughn nur wenige Zentimeter entfernt gegenüberstand. »Sie allerdings sind ein Fremder. Im Namen meines Volks verlange ich, dass Sie sofort verschwinden. Gehen Sie an Bord Ihres Shuttles, fliegen Sie damit zurück zu Ihrem Schiff und verlassen Sie das bajoranische System.«

Vaughn hob einen Mundwinkel, was Radovan als Ausdruck der Belustigung deutete. »Tatsächlich ist Bajor vor über drei Jahren der Föderation beigetreten. Wir sind alle ihre Bürger und haben dasselbe Recht, hier zu sein – oder in diesem Fall kein Recht, hier zu sein. Nach dem Angriff, der alles Leben auf Endalla ausgelöscht hat, hat die bajoranische Regierung den ganzen Mond für Besucher zur verbotenen Zone erklärt. Aber ich denke, das wissen Sie bereits.«

»Ja, das weiß ich«, gab Rejias zu. Er drehte sich um und entfernte sich ein paar Schritte von Vaughn. Als er eines der Grabungsgeräte erreichte, drehte er sich wieder zu dem Raumschiffcaptain um. »Wir haben die Erlaubnis des Premierministers, hier zu arbeiten.«

Vaughn lächelte erneut, aber absolut humorlos. »Ich befürchte, ich weiß, dass das nicht stimmt, Mister Rejias. Mein Schiff ist gerade bei Bajor angekommen und während der Annäherung an den Orbit hat meine Besatzung auf Endalla ein paar Anomalien festgestellt: eine leichte Verfärbung der Oberfläche, ein paar schwache und unerwartete Energiemessungen. Die Scans konnten das nicht erklären, doch eine visuelle Überprüfung hat uns Ihren Dom gezeigt sowie andere Ausrüstung, die auf der Oberfläche verteilt ist. Wir haben versucht, mit Ihnen Kontakt aufzunehmen, aber Sie blockieren nicht nur Sensoren und Transporter, Sie stören allem Anschein nach auch die Kommunikation.«

Diese Information erschreckte Radovan nicht im Geringsten, aber er hinterfragte die Qualität der technischen Ausrüstung, die sich die Ohalavaru für diese Mission beschafft hatten. Offenbar war entweder das Netzwerk aus Sensormasken nicht korrekt installiert worden oder es arbeitete nicht mit hundert Prozent Leistung.

»Wir wollten unsere Expedition ungestört fortsetzen«, erklärte Rejias.

Vaughn nickte. »Dessen bin ich mir bewusst, da ich mit den Behörden auf Bajor gesprochen habe, um sie über die Entdeckungen meiner Besatzung zu informieren. Ich habe mit Verteidigungsminister Aland und General Manos von der bajoranischen Miliz direkt gesprochen. Weder Sie noch sonst wer hat Erlaubnis, hier zu sein, und ich habe den Auftrag, dafür zu sorgen, dass Sie gehen.«

»Und wenn wir uns weigern?«

»Das ist keine Bitte«, stellte Vaughn klar. »Wenn Sie und Ihre Leute Endalla nicht freiwillig räumen, muss ich Sie mit Gewalt entfernen.«

Mit einer für Radovan überraschenden, fließenden Bewegung beugte sich Rejias vor und schnappte sich ein Gerät aus der Grabungsausrüstung. Er hielt es vor sich und auf den Captain gerichtet.

Als er das tat, hatte Vaughns andorianisches Besatzungsmitglied bereits ihren Phaser gezogen und zielte damit auf den Ohalavaru.

Radovan spürte, wie er sich aufgrund der plötzlichen Androhung von Gewalt anspannte. Er wollte weglaufen, konnte jedoch nicht den Blick von der potenziell explosiven Szenerie abwenden. Er wartete auf das Heulen der Waffe der Andorianerin und den tödlichen – oder zumindest betäubenden – Lichtstrahl.

Stattdessen griff der Raumschiffcaptain nach der Waffe und legte die Hand darauf. »Das wird nicht notwendig sein, Ensign«, sagte Vaughn und die Andorianerin ließ den Arm sinken. »Ich bin mir nicht einmal sicher, ob Mister Rejias da wirklich eine Waffe hat.«

Der Anführer der Ohalavaru sah auf das Werkzeug in seiner Hand: ein Griff mit etwas, das wie Energiezellen an den Seiten aussah, und einer konisch zulaufenden Spitze am Ende. »Es ist ein Bergbauwerkzeug«, erklärte Rejias, »aber ich bin überzeugt, wenn es solides Gestein durchdringen kann, wird es dasselbe mühelos mit Ihrem Körper tun.«

»Das klingt nach einer Drohung«, bemerkte Vaughn. »Sie verletzen bereits bajoranische Gesetze. Sie wollen einem recht harmlosen Vergehen doch nicht etwas weitaus Schwerwiegenderes hinzufügen? Warum legen Sie das nicht weg und begleiten mich?« Der Raumschiffcaptain stellte im Grunde keine Frage, genauso wenig war es ein Vorschlag, sondern ein Befehl.

Rejias hob das Werkzeug höher, wie um seine Bereitschaft zu betonen, es zu benutzen. »Ich werde Sie nicht begleiten. Keiner von uns.« Er sah die anderen Ohalavaru an, auch Radovan. Zuerst rührte sich niemand, aber dann gesellten sich die ihm am nächsten Stehenden zu Rejias. Zu Radovans Überraschung hoben ein paar von ihnen ihre eigenen Bergbauwerkzeuge und richteten sie auf Vaughn und die Andorianerin. »Wollen Sie uns etwa alle verhaften?«

Auf Radovan wirkte der Raumschiffcaptain völlig unbeeindruckt. »Ich habe Befehl festzustellen, wer Sie sind und was Sie hier tun, und dafür zu sorgen, dass Sie Endalla verlassen«, bekräftigte Vaughn. »Wenn es nötig ist, ja, dann nehme ich Sie alle in Gewahrsam und übergebe Sie der bajoranischen Miliz.«

»Was wir hier tun«, erklärte Rejias und hob dabei die Stimme, »ist, unser Recht auf Religionsfreiheit auszuüben.« Radovan fand die Wortwahl eigenartig, da die Ohalavaru die Göttlichkeit der Propheten anzweifelten.

Vaughn sah sich um – er betrachtete nicht die Anwesenden, sondern das Grabungsgerät neben Rejias. »Sie üben Ihre Religionsfreiheit mit Bergbauausrüstung aus? Und indem Sie Kommunikation, Sensoren und Transporter blockieren? Helfen Sie mir, das zu verstehen.«

»Ich bin nicht daran interessiert, Ihnen dabei zu helfen, irgendetwas zu verstehen. Ich bin nur daran interessiert, dass Sie verschwinden, damit wir tun können, wofür wir hergekommen sind.«

»Und das wäre?«, drängte Vaughn weiter.

»Das geht Sie nichts an«, lautete Rejias aggressive Reaktion auf die Frage des Raumschiffcaptains, dann aber schien der Anführer der Ohalavaru über seine Antwort nachzudenken. Er richtete sein Werkzeug auf das Grabungsgerät neben sich. »Sie haben unsere Bergbauausrüstung identifiziert. Was Sie nicht wissen, ist, die Geräte sind alle über ein Netzwerk miteinander verbunden. Sie können versuchen, uns von hier wegzubringen, aber wir werden tun, wofür wir hergekommen sind – auf die eine oder andere Art.« Er beugte sich vor, bis die Mündung seines Werkzeugs die Oberseite des Grabungsgeräts berührte. Die Andeutung schien deutlich: Entweder würden Rejias und seine Anhänger die Maschinen wie vorgesehen benutzen oder er würde auf die neben sich feuern, sie zu einer Bombe machen und damit die anderen, die mit ihr verbunden waren, ebenfalls zur Explosion bringen.

Radovan hielt es für möglich, dass Rejias bluffte, aber er sah, wie ein paar der anderen bei dieser Drohung zurückwichen.

Vaughn nicht, aber genauso wenig bedrängte er den Anführer der Ohalavaru. »Es gibt keinen Grund, die Situation eskalieren zu lassen«, sagte der Captain. »Können wir nicht einen Mittelweg finden? Vielleicht können Sie den entsprechenden bajoranischen Behörden erklären, warum Sie hier sind und was Sie hier erreichen wollen?«

Auf Rejias Gesicht erschien ein Lächeln, ganz offensichtlich kein Anzeichen dafür, dass er geneigt wäre, darüber nachzudenken, sondern für blanken Zynismus. »Die entsprechenden bajoranischen Behörden würden nicht damit zögern, uns alle«, er schwenkte das Werkzeug in seiner Hand herum, um alle Ohalavaru miteinzubeziehen, »als abtrünnige Bajoraner zu bezeichnen.« Er schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er nachdrücklich. »Nein, wir werden nicht über unser Recht, die Wahrheit zu finden, verhandeln.« Er hob seine freie Hand an das Werkzeug und drehte an einer Manschette an der Basis der konischen Spitze. Noch immer auf das Grabungsgerät gerichtet, begann das Werkzeug zu glühen.

Vaughn regte sich nicht. Radovan sah, dass die anderen Anwesenden innerhalb des Doms nicht so recht wussten, was sie tun sollten. Ein paar wichen zurück, während andere erstarrten. Das halbe Dutzend Ohalavaru um Rejias herum beobachtete angespannt seinen Anführer und Vaughn.

Für Radovan schien es, als würde sich der Moment ewig hinziehen. Er starrte das Werkzeug in Rejias Hand an und fragte sich, wann es sich entladen würde und wie lange es dauern würde, bis das erste Grabungsgerät explodierte. Ein Teil von ihm wollte, dass es geschah.

Langsam hob Captain Vaughn beschwichtigend die Hände. »Ensign zh’Vennias.« Augenblicklich ging die Andorianerin zum Shuttle zurück und Vaughn folgte ihr. Radovan staunte über die knappe, aber effektive Kommunikation zwischen den beiden.

Wie alle anderen beobachtete Rejias den Rückzug der beiden Sternenflottenoffiziere, rührte sich aber nicht. Demonstrativ drückte er den Emitter des Werkzeugs weiter gegen das Grabungsgerät. Sobald Vaughn und die Andorianerin wieder an Bord ihres Shuttles waren, sahen alle Ohalavaru Rejias an und warteten offensichtlich auf eine Anweisung, was sie tun sollten. Er sagte kein Wort, aber ein paar Momente später, als die Prentares Ribbon noch immer da stand, wo sie gelandet war, hob Rejias das Werkzeug und feuerte über die Köpfe der Ohalavaru hinweg. Ein unförmiger, gelber Energiering entsprang dem Emitter und dehnte sich von lediglich ein paar Zentimetern auf mehrere Meter Durchmesser aus, als er die Seite des Shuttles traf. Ein lauter Knall hallte durch die Luft. Als der Energiering verblasste, hatte er einen schwarzen Ring in die Hülle des Shuttles gebrannt.

Augenblicklich hob das Shuttle ab. Radovan rechnete damit, dass der Bug zu ihnen herumschwingen und es das Feuer auf die Ohalavaru eröffnen würde, stattdessen stieg es weiter auf. Das Shuttle ließ den azurblauen Dom hinter sich, das Kraftfeld flackerte bei der Durchquerung in einem dunkleren Blau. Das Schiff wurde immer kleiner, bis er es nicht mehr ausmachen konnte.

Vendoma eilte zu Rejias. »Sie werden zurückkommen.«

Der Anführer der Ohalavaru nickte zustimmend. »Vermutlich bleibt uns nicht viel Zeit.« Er betrachtete die Anwesenden innerhalb des Doms. »Wie weit sind wir mit unseren Vorbereitungen?«

Mehrere Stimmen antworteten, aber allgemein schien man die Ansicht zu vertreten, sie würden noch eine Stunde oder so benötigen, um die Grabungsgeräte zu ihren endgültigen Positionen auf der Mondoberfläche zu bringen. Mehrere schlugen vor, sie sollten ihr Vorhaben abbrechen, zumindest vorläufig, aber davon wollte Rejias nichts hören. Er beschwor alle, so schnell wie möglich zu arbeiten, um ihr Ziel zu erreichen. Manche kehrten sofort zu den Aufgaben zurück, die man ihnen zugeteilt hatte, andere reagierten langsamer, zumindest zu Beginn. Je mehr Ohalavaru ihre Werkzeuge jedoch an sich nahmen, umso schneller arbeiteten alle.

Radovan ging zu seiner Kiste mit den Transporterblockierern zurück. Er nahm sich einen und aktivierte ihn. Er justierte die Einstellungen, initialisierte ihn und ließ eine Diagnose durchlaufen, um die Einstellungen zu bestätigen. Dann gab er ihn an Vernay Falor weiter, den Mann, der neben ihm arbeitete, damit der ihn an einem Grabungsgerät befestigte.

Während sich Radovan durch die übrigen Blockierer arbeitete, dachte er über Rejias’ Entscheidung nach, ihre Operation fortzusetzen, obwohl die Sternenflotte sie entdeckt hatte. Vaughn war gezwungen gewesen abzufliegen, aber es schien unwahrscheinlich, dass er oder andere Behörden nicht zurückkommen würden. Sollten die Ohalavaru Endalla allerdings verlassen, um ihre Mission zu einem späteren Zeitpunkt zu beenden, müssten sie entweder zuerst alle Grabungsgeräte und die übrige Ausrüstung auf der Oberfläche und im Dom bergen – was im Angesicht einer Einmischung durch die Sternenflotte schwierig wäre – oder sie müssten alles ersetzen. Es ergab Sinn zu bleiben. Abgesehen davon stehen wir kurz davor, ein riesiges Loch in den Boden zu schneiden.

Während er sich mit den Transporterblockierern abmühte, sah sich Radovan immer wieder um, ob es Anzeichen gab, dass das Sternenflottenshuttle zurückkam. Er sah nichts im dunklen Himmel jenseits des Doms. Als die Ohalavaru fast fertig damit waren, die Grabungsmaschinen auf der Mondoberfläche zu verteilen, fing er an zu glauben, Rejias und seine Anhänger könnten ihr Ziel, das sie auf dem bajoranischen Mond erreichen wollten, tatsächlich umsetzen – zumindest was die Grabungsarbeiten anging, auch wenn sie dabei nichts Bedeutendes zutage fördern sollten.

Aber dann wurde ein Gewirr aus Stimmen laut und Radovan wusste, die Sternenflotte war zurück. Er sah in die Richtung der lauten Stimmen und sah Leute, die auf etwas deuteten – nicht im Himmel, sondern geradeaus, direkt vor ihnen. Radovan starrte den Dom an, bis er endlich entdeckte, was sie so in Aufruhr versetzte: Gestalten in Druckanzügen, draußen, auf der ungeschützten Oberfläche Endallas, die sich dem Kraftfeld näherten.

Rejias fuhr herum und sah in alle Richtungen. Radovan tat dasselbe, als er begriff, dass der Anführer der Ohalavaru annahm, man würde sie von allen Seiten her angreifen. Doch ansonsten lag jenseits des Doms nichts als die leblose, mit Ausnahme der Grabungsmaschinen leere Mondoberfläche.

Gerade als Radovan wieder zu den sich nähernden Gestalten sah, kam die erste von ihnen durch das Kraftfeld. Sechs weitere folgten in einer V-Formation, drei links, drei rechts. Alle hoben die geöffneten Hände – er nahm an, um zu zeigen, dass keiner von ihnen eine Waffe hielt. Die Gesichtsplatten ihrer Helme reflektierten das Blassblau des Doms und verbargen ihre Identität, aber Radovan vermutete, sie wurden von Captain Vaughn angeführt.

Erneut sahen alle zu Rejias. Als er das Bergbauwerkzeug hob und auf die sieben Gestalten richtete, gingen die Ohalavaru aus dem Weg, um seine Schussbahn frei zu machen. Die Gestalt in der Mitte der Eindringlinge ergriff langsam die Seiten ihres Helms und drehte ihn ein Viertel, um ihn dann abzuheben.

Es war nicht Vaughn, sondern Benjamin Sisko.

Radovan spürte, wie ihm beim unerwarteten Anblick des Abgesandten, der seit über einem Jahrzehnt eine bedeutende Figur im Leben der Bajoraner war, die Kinnlade herunterfiel. In dem Wissen, dass man ihn sofort erkannte, ließ der charismatische Sisko seinen durchdringenden Blick über das Innere des Doms schweifen. Für Radovan hatte Sisko immer etwas Mysteriöses an sich gehabt, wann immer er das religiöse Symbol über die Jahre mehrmals im Komm-Netz und zweimal bei öffentlichen Auftritten gesehen hatte. Kurz nach Ende der Besatzung, als Radovan als Teil eines Arbeitstrupps in Ashalla gewesen war, um die Infrastruktur der Stadt instand zu setzen, hatte er den Abgesandten bei einer Rede während einer Wiederaufbauversammlung gesehen. Jahre später, nach seiner Rückkehr aus dem Wurmloch, hatte Sisko Radovans Heimatstadt Johcat besucht und das wiederaufgebaute Nirvat-Heiligtum, einen historischen Tempel, den die Cardassianer in Trümmer gelegt hatten, eröffnet.

Seine Meinung über den Abgesandten hatte sich in den Jahren immer mal wieder geändert, von Argwohn und Misstrauen zu Vertrauen und Wertschätzung. Radovans Mutter hatte da eine gefestigtere Ansicht von Sisko gehabt, da es ihrer Meinung nach keinen Sinn ergab, dass ein Außenweltler eine derart angesehene Stellung innehatte. Andererseits hatte sie auch nie besonders viel Vertrauen in die Propheten gehabt. »Wo waren sie während der Besatzung?«, hatte sie immer gefragt. »Wenn das Bajors Götter sind, sind wir ohne sie besser dran.«

Der Abgesandte beugte sich zu der Gestalt zu seiner Rechten, die eine Hand hob und auf Rejias deutete. Den Helm locker an den Fingerspitzen schwenkend, ging Sisko selbstsicher zum Anführer der Ohalavaru. Als er ihn erreichte, ließ Rejias das Bergbauwerkzeug an seine Seite sinken.

»Sind Sie Rejias Norvan?« Siskos Stimme hatte ein tiefes Timbre und seine dunkle Haut schimmerte, als würde er von innen heraus leuchten. Radovans Meinung nach verliehen der kahle Kopf und der Kinnbart dem Abgesandten etwas Beeindruckendes.

»Ja, ich bin Rejias Norvan.«

»Ich bin Benjamin Sisko.«

»Ich … weiß, wer Sie sind, Abgesandter.« Radovan fand die Ehrerbietung in Rejias Stimme seltsam. Immerhin nahm Sisko eine wichtige und geschätzte Stellung in der etablierten bajoranischen Religion ein – einer Religion, der die Ohalavaru nicht angehörten. Das täuschte aber nicht darüber hinweg, dass der Abgesandte das Wurmloch entdeckt, mit den Propheten gesprochen und mit ihnen Zeit im Himmlischen Tempel verbracht hatte. Ob man die Propheten als Götter oder einfach nur als mächtige Fremde betrachtete, Siskos Beziehung zu ihnen war bedeutend. »Wir alle wissen, wer Sie sind.«

»Gut«, sagte Sisko. »Dann hoffe ich, Sie werden meiner Bitte nachkommen, dass Sie und Ihre Leute Endalla sofort verlassen.«

»Ich befürchte, in dieser Angelegenheit akzeptieren wir die Autorität der Sternenflotte nicht.«

»Ich bin nicht mehr in der Sternenflotte. Schon seit Jahren nicht mehr.«

»Bei allem Respekt, Abgesandter, Sie tragen einen ihrer Druckanzüge. Genau wie die.« Damit deutete Rejias auf die sechs, die Sisko über die Oberfläche Endallas und in den Dom begleitet hatten. Radovan bemerkte, dass sie nicht länger in V-Formation standen, sondern in einem weiten Bogen Aufstellung bezogen hatten. Während er zusah, entfernten sie sich weiter voneinander und gingen vorwärts, als wollten sie so wenig bedrohlich wie möglich wirken.

Sisko warf einen Blick über seine Schulter. »Ja, das sind Sternenflottenoffiziere. Einer davon ist Captain Vaughn. Nachdem er mit Ihnen gesprochen hat, hat er mich auf Bajor kontaktiert.«

»Warum sollte er das tun?«, wollte Rejias wissen. »Weil wir Ohalavaru sind?«

Der Abgesandte blinzelte. »Bis gerade eben habe ich nicht gewusst, wer Sie sind. Hat das etwas damit zu tun, warum Sie hier sind?«

Rejias zögerte und für einen Moment bekam Radovan den Eindruck, er wüsste nicht, wie er darauf antworten sollte. Offensichtlich wollte er ihre Pläne nicht offenbaren, aber vermutlich wollte er den Abgesandten genauso wenig anlügen. Schließlich sagte er: »Es ist belanglos, warum wir nach Endalla gekommen sind. Wir sind Bajoraner und haben daher das Recht, hier zu sein.«

»Mister Rejias, ich bin kein Gesetzeshüter oder Regierungsvertreter«, erklärte Sisko. »Ich bin nicht hier, um Sie zu verhaften oder zu beurteilen, was Ihr Recht ist und was nicht. Ich bin hier, weil sich Captain Vaughn bei mir in meinem Zuhause in der Kendra-Provinz gemeldet und mich gebeten hat herzukommen.«

»Die Sternenflotte hat nicht die Autorität, uns zu zwingen, Endalla zu verlassen«, beharrte Rejias.

Sisko atmete tief ein und langsam aus. »Wie ich gesagt habe, ich bin nicht von der Sternenflotte. Ja, Captain Vaughn hat den Auftrag, Sie zu entfernen, aber Sie sind seiner Bitte mit der Androhung von Gewalt begegnet. Er hat mich gebeten, in meiner Rolle als Abgesandter der Propheten herzukommen, um zu versuchen, diese Situation friedlich zu lösen.«

Rejias deutete mit seinem Werkzeug in Richtung Vaughns und der anderen Sternenflottenoffiziere. »Und trotzdem haben Sie bewaffnete Offiziere mitgebracht.«

Sisko nickte langsam. »Ja, Sie sind bewaffnet, aber nur zur Selbstverteidigung. Sie können sehen, keiner von ihnen hat seine Waffe gezogen.«

Radovan musterte Vaughn und die Mitglieder seiner Besatzung und konnte bestätigen, was der Abgesandte sagte: Alle Phaser steckten in ihren Holstern.

»Was mich angeht, ich trage nicht einmal eine Waffe.« Sisko streckte die Arme mit nach oben gerichteten Handflächen aus. »Ich habe zugestimmt, als Vermittler herzukommen. Ich wollte allein kommen, aber das konnte Captain Vaughn nicht zulassen. Ich wollte die Situation nicht noch verschlimmern, also habe ich ihn davon überzeugt, auf die Oberfläche zu beamen und herzulaufen, anstatt mit einem bewaffneten Shuttle anzufliegen.«

Radovan glaubte dem Abgesandten, dass er hatte vermeiden wollen, Rejias und seine Anhänger zu provozieren, insbesondere nach der Drohung, der Anführer der Ohalavaru würde ihr Netzwerk aus Grabungsgeräten zur Explosion bringen. Aber genauso war er sich sicher, zu Fuß zum Dom zu kommen, hatte ihnen erlaubt, die auf der Mondoberfläche verteilte Ausrüstung in Augenschein zu nehmen.

»Wir müssen keine Gegner sein. Das Ganze muss nicht schwierig sein.«

»Nein, muss es nicht«, stimmte Rejias zu. »Wenn Sie jetzt mit Captain Vaughn und seiner Besatzung gehen, können wir unsere Mission zum Abschluss bringen und Endalla so schnell wie möglich verlassen.«

»Ihre Mission«, sagte Sisko und Radovan hatte den Eindruck, er würde auf die angedeutete Größenordnung anspringen. »Worum geht es dabei?«

»Das … das ist nicht wichtig«, wiegelte Rejias ab. Er wollte offensichtlich nicht verraten, warum er Hunderte Ohalavaru nach Endalla gebracht hatte.

»Ich habe aber den Eindruck, dass es wichtig ist«, widersprach Sisko. Der Abgesandte deutete auf das Gerät neben Rejias. »Sie und Ihre Leute haben überall auf diesem Teil der Mondoberfläche Bergbauausrüstung verteilt. Es ist offensichtlich, dass Sie hier nach etwas graben wollen, aber die Ministerkammer und die Vedek-Versammlung haben Endalla zu geheiligtem Boden erklärt. Sie befinden sich nicht nur in einem Gebiet, dessen Betreten die bajoranische Regierung verboten hat, und bereiten sich darauf vor, ungenehmigte Grabungsarbeiten vorzunehmen, Sie entweihen den Ort, an dem Tausende ihr Leben verloren haben. Das hier ist ihre Grabstätte.«

»Während der Besatzung sind weitaus mehr gestorben«, erwiderte Rejias. Seine Worte klangen wütend, doch er hatte seine Stimme gesenkt. »So gesehen ist ganz Bajor eine Grabstätte. Wir haben unseren Planeten nicht im Stich gelassen.«

»Nein, natürlich nicht, doch auch auf Bajor gibt es viele Gebiete, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind. Die Orte, an denen die Cardassianer ihre schlimmsten Massaker begangen haben, wurden nicht zu öffentlich zugänglichen Museen oder Mahnmalen gemacht. Ein paar davon hat man dem Erdboden gleichgemacht, während die übrigen abgesperrt sind, als traurige Erinnerung an eine Zeit Ihrer Geschichte, die man niemals vergessen sollte.«

Rejias sah zu Boden, als würde er den Wahrheitsgehalt von Siskos Worten anerkennen. Radovan fragte sich, was der Abgesandte von ihrem Versuch, eine potenziell größere Wahrheit ans Licht zu bringen, halten würde. Wäre er an ihren Bemühungen interessiert zu belegen, dass die Göttlichkeit der Propheten nur eine Lüge war? Oder würde er sich noch mehr bemühen, sie von ihrer Aufgabe, Ohalu reinzuwaschen, abzubringen? Radovan war sich da nicht sicher – zumindest anfangs hatte Sisko eine ganze Weile versucht, sich von seiner Stellung in der bajoranischen Religion zu distanzieren –, aber die letztere Möglichkeit schien sehr viel wahrscheinlicher.

Mit nach wie vor gesenktem Kopf sagte Rejias: »Sie und andere betrachten Endalla vielleicht als Grabstätte, und zu Recht, aber was wir tun, wird nicht das Andenken an die Wissenschaftler beschmutzen, die hier gestorben sind.« Schließlich hob er den Blick wieder zu Sisko. »Ganz im Gegenteil, Abgesandter. Unsere Arbeit wird ihre Leben ehren, da sie in ihre Fußstapfen tritt.«

»Was soll das heißen?«, fragte Sisko. »Sie können wohl kam behaupten, Sie wären nach Endalla gekommen, um das Ökosystem zu untersuchen.«

»Nein, wir wollen auf einem toten Mond nicht die Umgebung untersuchen. Aber wir suchen nach Beweisen für etwas weitaus Wichtigeres.«

»Beweise wofür?«

Rejias weigerte sich zu antworten.

Der Abgesandte sah die Leute in seiner Nähe an. Als er in seine Richtung sah, spürte Radovan etwas Körperliches, als würde eine elektrische Entladung durch ihn rasen. In seinen Ohren ertönte ein gestaltloses Surren. Er erwiderte den Blick des Abgesandten und spürte eine Verbindung zu ihm – eine Verbindung, die nicht klar zu definieren oder einfach zu verstehen war, und trotzdem war sie greifbar.

»Es ist unwichtig, wonach wir suchen. Wichtig ist, dass wir erst gehen, wenn wir es gefunden haben.« Rejias klang entschlossen. Radovan beneidete ihn um seine Sicherheit und Klarheit in Bezug auf seine Aufgabe.

Der Abgesandte musterte Rejias einen Moment lang schweigend und bildete sich offensichtlich ein Urteil über ihn. Dann sah er am Anführer der Ohalavaru vorbei. »Ich bin Benjamin Sisko«, sagte er erneut und erhob die Stimme, damit man ihn über das Hintergrundsurren der Transporterblockierer im ganzen Dom hören konnte. »Sie wissen, wer ich bin, und ich weiß, wer Sie sind. Wichtig ist jedoch nur, dass wir alle von Bajor sind.«

Radovan spürte, wie er als Reaktion auf diese Umschreibung die Stirn runzelte. Von Bajor? Was soll das bedeuten? Abgesehen von seinem Status in ihrer Religion und seiner Beziehung zu den Propheten konnte man Sisko genauso wenig als Bajoraner betrachten wie jeden anderen Menschen – oder jeden anderen Fremden von einer anderen Welt.

»Und weil wir alle von Bajor sind«, fuhr der Abgesandte fort, »wollen wir alle dasselbe für Bajor: eine blühende Gesellschaft voller guter Werke und Gelegenheiten, aufgebaut auf den Prinzipien von Freundschaft, Inklusion und Frieden.« Während er sprach, drehte sich Sisko auf der Stelle, um sich an jeden der Anwesenden zu wenden. »Sie sind Ohalavaru, ich bin das nicht. Aber das ist bedeutungslos. Ich bin nicht wegen unserer Unterschiede hier. Nicht deswegen, wer Sie sind oder was Sie glauben, bittet die bajoranische Regierung Sie zu gehen – im Moment weiß man nicht einmal, wer Sie sind. Man weiß nur, Sie widersetzen sich dem Verbot, Endalla zu besuchen.«

»Ich habe dem aber nicht zugestimmt«, rief ein Mann. Radovan versuchte, den entsprechenden Ohalavaru auszumachen, konnte aber nicht feststellen, wer gesprochen hatte.

»Das mag ja sein«, räumte Sisko ein. »Vielleicht haben Sie gerechtfertigte Probleme mit der bajoranischen Regierung. Aber es gibt einen richtigen Weg und einen falschen, seine Ziele zu erreichen. Wenn Sie die Erlaubnis wollen, hier zu sein, um die von Ihnen gesuchten Beweise zu finden, nutzen Sie die dafür vorgesehenen Kanäle.«

Jeder starrte Sisko schweigend an. Alle blieben, wo sie waren. Radovan dachte an Vaughn und die anderen Sternenflottenoffiziere. Als er sich nach ihnen umsah, hatten sie sich noch weiter verteilt, hielten sich aber nach wie vor am Rand der Menge.

»Wie Sie sehen können, Abgesandter, weigern wir uns den Befehl zu gehen zu befolgen«, erklärte Rejias. »Wir wollen nur in Ruhe gelassen werden. Wir suchen nicht die Konfrontation, aber wir werden auch nicht nachgeben.« Erneut richtete er sein Werkzeug auf das Grabungsgerät neben sich.

Siskos Blick zuckte zu der potenziell tödlichen Maschine. Als er wieder das Wort ergriff, richtete er sich nicht an Rejias, sondern an alle Ohalavaru. »Die Entscheidung, Endalla zum Sperrgebiet zu erklären, wurde nicht nur getroffen, um die Erinnerung zu bewahren an diejenigen, die hier gestorben sind. Eine isolytische Subraumwaffe hat die Atmosphäre dieser Welt weggerissen und alles Leben hier zerstört. Das war vor gerade einmal zwei Jahren. Der Subraum hier könnte nach wie vor instabil sein.«

Radovan hatte nie ganz begriffen, was für eine Waffe die Aszendenten in ihrem Versuch, Bajor zu zerstören, entfesselt hatten, nur dass sie das Gewebe der Existenz geschädigt hatte. Und anscheinend wusste niemand genau, wie ein Jem’Hadar diesen Versuch unterbunden hatte, nur dass die Rettung Bajors mit Leben erkauft worden war – und Endallas Möglichkeit, Leben zu beherbergen. Aber er hatte nie gehört, dass der Mond weiterhin in Gefahr schwebte.

»Was wollen Sie damit sagen, Abgesandter?«, fragte Rejias.

»Wenn Sie Ihr Vorhaben umsetzen, auf Endalla zu graben, könnten Sie riskieren, dem Subraum weiteren Schaden zuzufügen«, beantwortete Sisko die Frage, richtete sich aber noch immer an alle Ohalavaru. »Sie riskieren, die Zerstörung Endallas zu beenden, die die Aszendenten begonnen haben, und dabei selbst ums Leben zu kommen.«

Im Inneren des Doms brandete Murmeln auf, zusammen mit einer Welle der Bewegung, als sich viele der Ohalavaru instinktiv von der Stelle entfernten, wo der Abgesandte und Rejias standen. Radovan rührte sich nicht. Er betrachtete die beiden Männer, die einander gegenüberstanden, und fragte sich, wer sich durchsetzen und wer klein beigeben würde.

Dann aber änderte sich etwas an den Umgebungsgeräuschen innerhalb des Doms. Zuerst dachte Radovan, dass die Leute einfach aufgehört hätten zu reden, dann erkannte er, die Transporterblockierer summten nicht mehr. Hektisch sah er sich um, suchte Vaughn und die anderen Sternenflottenoffiziere und entdeckte erst einen, dann noch einen, wie sie sich an den Blockierern zu schaffen machten. Die Lichter dieser Geräte waren erloschen, was darauf hinwies, dass man sie deaktiviert hatte. Radovan wusste, was als Nächstes passieren würde, noch bevor er das hohe Wimmern des Transporterstrahls hörte.

Überall im Dom bildeten sich um die Leute grellweiße Partikel und vertikale Streifen. Augenblicklich schnappte sich Rejias einen der Blockierer, die man noch an den Grabungsgeräten festmachen wollte. Als er ihn einschaltete, folgten Vendoma und mehrere andere seinem Beispiel. Radovan stellte sich vor, wie er dasselbe tat, stattdessen war er wie erstarrt. Das Wimmern ging weiter, noch mehr dematerialisierten, während der Transportereffekt um Rejias, Vendoma und die anderen, die sich einen Blockierer genommen hatten, verblasste.

Der Anführer der Ohalavaru richtete sein Werkzeug auf das Grabungsgerät.

Während Radovans Sicht verschwamm, wusste er, Rejias würde den Auslöser nicht betätigen. Obwohl er ihn für unerschütterlich und entschlossen hielt, die Doktrin der Ohalavaru zu belegen, zweifelte er daran, dass er über die nötige Willenskraft verfügte, um einen so extremen Schritt zu unternehmen.

Dann feuerte Rejias.

Im letzten Moment, bevor er nichts mehr sah, erkannte Radovan den grellgelben Strahl, der sich in das Grabungsgerät fraß. Die Maschine explodierte mit einem feurigen Aufblitzen, das Rejias und die anderen, die bei ihm geblieben waren, verschlang. Alles glühte rot und wurde dann schwarz. Während eines subjektiven Moments, der eine Sekunde oder ein Jahr andauern mochte, fragte sich Radovan, ob man ihn sicher aus diesem Inferno herausgebeamt hatte oder ob er an der Schwelle zum Tod stand.

Er fand beide Möglichkeiten aufregend.

Auf dem Sofa liegend, dachte Radovan daran, wie er an Bord von Vaughns Sternenflottenschiff, der U.S.S. James T. Kirk, materialisiert war. Neben ihm auf der rechteckigen Plattform eines großen Frachttransporters hatte er einige Ohalavaru erkannt. Alle sahen sich verwirrt um – alle außer Benjamin Sisko, den man ebenfalls von der Oberfläche Endallas hochgebeamt hatte.

Aus den Ereignissen schlussfolgerte Radovan Vaughns Plan. Der Sternenflottencaptain hatte den Abgesandten als Ablenkung benutzt. Siskos Gespräch mit Rejias hatte Vaughn und seinen Leuten die nötige Zeit verschafft, genug Blockierer abzuschalten, um alle Anwesenden innerhalb des Doms mit mehreren Transportern auf einmal an Bord zu holen. Vielleicht war es zu Beginn der Plan gewesen, dass Sisko Rejias und seine Anhänger überzeugen sollte, Endalla aus freien Stücken zu verlassen, aber das war belanglos. Letzten Endes hatte Vaughn die Ohalavaru erfolgreich von dem bajoranischen Mond geholt.

Danach brachte man Radovan und die anderen nach Bajor, wo man sie im Milizhauptquartier befragte. Erst da erfuhren sie, was aus Rejias Norvan geworden war, der sein Werkzeug tatsächlich auf das Grabungsgerät neben sich abgefeuert hatte. Sechs weitere Ohalavaru hatten es geschafft, Transporterblockierer zu aktivieren, um zu verhindern, dass Vaughns Besatzung sie wegbeamte, Radovan bezweifelte jedoch, dass auch nur einer damit gerechnet hatte, Rejias würde tatsächlich auf den Auslöser drücken, um die auf Endallas Oberfläche verteilten Grabungsgeräte zur Explosion zu bringen. Alles sieben waren in dem Feuersturm umgekommen und seine Hitze hatte einen Teil der Mondoberfläche in einen erstarrten See aus schwarzem Glas verwandelt.

Man ließ alle Ohalavaru auf Bewährung gehen. Die nachfolgende Untersuchung ergab, dass Rejias für die Ereignisse verantwortlich war, und die Justizbehörden sahen keinen Grund, seine Anhänger wegen irgendetwas anderem als unbefugtem Betreten anzuklagen. Danach hatte die bajoranische Regierung die Sternenflotte um Hilfe bei der Errichtung einer Sicherheitseinrichtung auf Endalla gebeten, um zu verhindern, dass weitere Ohalavaru auf den Mond kamen, um nach diesen angeblichen Beweisen für ihren Glauben zu suchen.

In der Dunkelheit seiner Wohnung starrte Radovan zur Decke hinauf. Er fühlte sich nicht wie er selbst. Selbst wenn da nicht gerade eine nackte Frau in seinem Bett gelegen hätte – ein Vorfall, der absolut untypisch für sein bisheriges Leben war –, sorgten seine ständigen Albträume dafür, dass er sich jede Nacht wie ausgehöhlt fühlte. In letzter Zeit verbrachte er seine Tage in einem geistigen Dämmerzustand, sein unregelmäßiger Schlafrhythmus sorgte für ein ständiges Gefühl der Erschöpfung.

Die Träume von den Ereignissen auf Endalla hatten nicht direkt nach Radovans Rückkehr nach Bajor eingesetzt, oder wenn doch, konnte er sich nach dem Aufwachen zumindest nicht daran erinnern. Aber kurz darauf suchten sie ihn des Nachts heim. Anfangs entsprachen die Bilder, die sich in seinem schlummernden Verstand abspielten, genau dem, was sich tatsächlich auf dem Mond zugetragen hatte. Aber mit der Zeit wandelten sie sich zu etwas anderem – etwas Düsterem. Er malte sich grauenhafte Szenen aus, mit mehr Gewalt und Blut, als er auf Endalla tatsächlich gesehen hatte. Seine Albträume zeigten ihm mehr: verkohlte, blutende Leichen der Ohalavaru und einen sterbenden Benjamin Sisko.

Warum?, fragte er sich nicht zum ersten Mal. Er verstand es nicht. Bei seiner Rückkehr nach Bajor hatte er sich nicht schlechter gefühlt als zu der Zeit, als er nach Endalla geflogen war. Eigentlich hatte er seine Zeit auf dem Mond als nicht besonders zufriedenstellend empfunden, was eine frühe Rückkehr zu einer unerwarteten Belohnung gemacht hatte. Rejias und die anderen Toten waren ihm egal und Radovan hegte trotz der Ansichten seiner Mutter über den Abgesandten keine nennenswerte Abneigung gegen ihn.

Aber in meinen Träumen habe ich nicht nur Hunderte tote Ohalavaru gesehen, dachte er. Und nicht nur den sterbenden Abgesandten. In den aktuelleren Albträumen hatte es noch jemand anders gegeben: Rebecca Sisko.

Die kindliche Heilsbringerin.

Radovan schwang die Beine vom Sofa und setzte sich auf. Das Kleinkind hatte in den Weissagungen Ohalus eine besondere Bedeutung. Bei den von ihm besuchten Treffen hatte er viele Diskussionen darüber mit angehört, wie bedeutend Rebecca Sisko für die Ohalavaru war. Die meisten waren der Ansicht, allein ihre Geburt beweise Ohalus prophetische Fähigkeiten und demonstriere darüber hinaus sein Verständnis der Propheten. Eine kleine Minderheit vertrat die Meinung, eines Tages würde Rebecca Sisko eine große Rolle im Leben der Bajoraner spielen.

Radovan wusste nicht, wie er ihren Tod in seinen Träumen deuten sollte – als Zeichen für Verlust oder als notwendigen Schritt auf dem Pfad, der vor ihm lag? Er hatte die Prophezeiungen nie ganz verstanden, weder die der alteingesessenen bajoranischen Religion noch Ohalus Texte. Manchmal schienen sie dem Universum einen Sinn zu verleihen, sie gaben den Geheimnissen der Existenz Kontext und machten den Weg in die Zukunft deutlich. Andere Male klangen sie sehr nach Propaganda, schamlose Erfindungen, um ein fortwährend besorgtes Volk zu beruhigen und zu kontrollieren. Wenn Radovan die Prophezeiungen las, tat er das mit einem vagen Gefühl von Verwirrung und Enttäuschung. Sein ganzes Leben schon stellte er Fragen, aber bislang hatte er keine zufriedenstellende Antwort erhalten – nicht von der alteingesessenen Religion und von den Ohalavaru genauso wenig.

Es sei denn …

Etwas machte in ihm klick. Im Zwielicht des Zimmers stand er auf und hob eine Hand an die Schläfe, während seine Gedanken sich überschlugen. Er erkannte, die wahnhaften Bilder wiesen auf eine Veränderung von schlichten Albträumen zu etwas weitaus Bedeutenderem hin: eine mystische Vision – ein Drehkörperschatten oder vielleicht sogar ein Pagh’tem’far.

Oder eine Prophezeiung