Star Wars. Der Todeskreuzer. Roman - Joe Schreiber - E-Book

Star Wars. Der Todeskreuzer. Roman E-Book

Joe Schreiber

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Beschreibung

Der erste Horror-Roman im Star-Wars-Universum

Ein geheimnisvolles Virus tötet beinahe alle Lebewesen an Bord des Gefangenenkreuzers Sühne. Nur Han Solo, der Wookie Chewbacca und eine Handvoll andere überleben. Doch der wahre Schrecken beginnt erst, denn die Gestorbenen bleiben nicht tot – und sie sind extrem hungrig!

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Joe Schreiber

Der Todeskreuzer

Aus dem Englischen

von Andreas Kasprzak

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen. .
Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel »Star Wars™ Death Troopers« bei Del Rey/The Ballantine Publishing Group, Inc., New York.
Copyright © 2009 by Lucasfilm Ltd. & ® or ™ where indicated. All rights reserved. Used under authorization. Translation Copyright © 2010 by Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München. Covergestaltung: HildenDesign, München Cover Art Copyright © 2009 by Lucasfilm Ltd Cover illustration by Indika and Dave Stevenson

Für meine Kinder J. und V.

Ihr erstaunt mich jeden Tag aufs Neue.

Es war einmal vor langer Zeit in einer weit,weit entfernten Galaxis …

Dramatis Personae

Aur Myss; Gefangener (Delphanianer)

Jareth Sartoris; Captain der Wache, imperiale Gefängnisbarkasse Sühne (Mensch)

Kale Longo; jugendlicher Gefangener (Mensch)

Trig Longo; jugendlicher Gefangener (Mensch)

Batzen; 2-1B-Chirurgiedroide

Zahara Cody; leitende Stabsärztin, imperiale Gefängnisbarkasse Sühne (Mensch)

1

Die Sühne

Die Nächte waren am schlimmsten.

Schon vor dem Tod seines Vaters hatte Trig Longo die langen Stunden nach dem Einschluss zu fürchten begonnen, die Schatten und die Laute – und das fortwährend unstete Tal des Schweigens, das sich dann zwischen ihnen auftat. Nacht um Nacht lag er reglos auf seiner Pritsche und starrte auf der Suche nach Schlaf oder einem halbwegs brauchbaren Ersatz dafür zur tropfenden Durastahldecke der Zelle empor. Manchmal fing er tatsächlich an einzudösen, um in diesem beruhigenden Gefühl der Schwerelosigkeit davonzuschweben, bloß um von einem Ruf oder dem Schrei eines von Alpträumen gequälten Insassen wieder aufgeschreckt zu werden – mit pochendem Herzen, zugeschnürter Kehle und unruhigem Magen.

An Bord der imperialen Gefängnisbarkasse Sühne herrschte an Alpträumen kein Mangel.

Trig wusste nicht genau, wie viele Gefangene die Sühne derzeit beherbergte. Vielleicht fünfhundert, schätzte er, Menschen und andere Spezies, zusammengekarrt aus allen Winkeln der Galaxis, genauso, wie er und seine Familie vor acht Standardwochen aufgegriffen worden waren. Manchmal kehrten die Shuttles, die sie losschickten, beinahe leer zurück; bei anderen Malen waren sie vollgestopft mit zänkischen, fremden Lebensformen und mutmaßlichen Rebellensympathisanten jeder Couleur und Spezies. Unter ihnen waren Auftragsattentäter und Soziopathen, wie Trig sie noch nie gesehen hatte, dünnlippige Dinger, die in aufrührerischen Sprachen schnatterten und schnaubten, die in Trigs Ohren aus kaum mehr als Klick- und Zischlauten bestanden.

Jeder Einzelne von ihnen schien seine eigenen düsteren Gelüste zu haben und gegen irgendjemanden einen Groll zu hegen, persönliche Lebensgeschichten, durchdrungen von schändlichen Geheimnissen und obskuren Blutfehden. Es wurde schwerer, auf der Hut zu sein; bald brauchte man Augen im Hinterkopf – die einige von ihnen tatsächlich besaßen. Vor zwei Wochen war Trig im Speisesaal ein groß gewachsener, schweigsamer Insasse aufgefallen, der mit dem Rücken zu ihm saß, ihn dessen ungeachtet jedoch mit dem einzelnen blutroten Auge in seinem Hinterkopf beobachtete. Jeden Tag schien das rotäugige Etwas ein bisschen näher bei ihm zu sitzen, um dann eines Tages ohne Erklärung einfach zu verschwinden.

Wenn auch nicht aus seinen Träumen.

Seufzend stützte sich Trig auf die Ellbogen und blickte durch die Gitterstäbe in den Gang hinaus. Die Energie war über Nacht aufs Minimum heruntergefahren worden, was den langen Korridor in permanentes graues Dämmerlicht tauchte. Die Rodianer in der Zelle gegenüber schliefen oder taten zumindest so. Er zwang sich dazusitzen, seinen Atem zu regulieren und den leisen Echos des unruhigen Stöhnens und Murmelns der Verurteilten zu lauschen. Hin und wieder eilte ein Mausdroide oder eine niedere Wartungseinheit – eine von Hunderten, die das Schiff bevölkerten – vorbei, um die eine oder andere vorprogrammierte Aufgabe zu erledigen. Und über alldem lastete natürlich – tief und nicht ganz außerhalb des menschlichen Hörvermögens – das allgegenwärtige Brummen der Turbinen, die die Sühne endlos durchs All schippern ließen.

Seit sie an Bord waren, hatte sich Trig immer noch nicht an dieses letzte Geräusch gewöhnt, an die Art und Weise, wie es die Sühne bis in ihre Grundfesten erzittern ließ und durch seine Beine nach oben stieg, um seine Knochen und Nerven durchzuschütteln. Es war unmöglich, dem Brummen zu entkommen, das jeden Moment seines Lebens unterminierte, so vertraut wie sein eigener Pulsschlag.

Trig dachte daran, wie er vor zwei Wochen auf der Krankenstation gesessen hatte und seinem Vater dabei zusah, wie dieser einen letzten zittrigen Atemzug nahm, und an das Schweigen hinterher, als die Medidroiden die Biomonitore vom zerschundenen Körper des alten Mannes lösten und sich anschickten, ihn abzutransportieren. Als das letzte Gerät verstummt war, hatte er dieses dumpfe, gleichmäßige Donnern der Triebwerke gehört, eine weitere unnötige Erinnerung daran, wo er war und wo es für ihn hinging. Dieses Geräusch hatte dafür gesorgt, dass er sich verloren, klein und unendlich traurig gefühlt hatte – wie eine besondere Form künstlicher Schwerkraft, die geradewegs auf sein Herz einzuwirken schien.

In diesem Moment hatte er – genau wie jetzt – gewusst, dass dieses Dröhnen in Wirklichkeit bloß für eins stand, nämlich für das schonungslos mahlende Bemühen des Imperiums, seine Macht zu festigen.

Vergiss die Politik, gib ihnen einfach etwas, was sie brauchen, oder sie fressen dich bei lebendigem Leibe! So pflegte es sein Vater stets zu sagen.

Und jetzt würden sie trotzdem bei lebendigem Leibe gefressen werden, ungeachtet des Umstands, dass sie niemals Sympathisanten gewesen waren – jedenfalls nicht mehr als irgendwelche unwichtigen Gauner, die bei einer imperialen Routinerazzia hopsgenommen wurden. Die Maschinen der Tyrannei stapften weiter und trugen sie durch die Galaxis voran, auf irgendeinen abgelegenen Gefängnismond zu. Trig hatte das Gefühl, dass dieses Geräusch niemals verstummen würde, dass es immer weiter ertönen würde, in alle Ewigkeit, um in seinen Gedanken widerzuhallen, bis …

»Trig?«

Unerwartet erklang Kales Stimme hinter ihm, und bei ihrem Klang zuckte Trig ein wenig zusammen. Er schaute sich um und sah, wie sein älterer Bruder ihn musterte, Kales niedlich zerknautschtes, schlaftrunkenes Gesicht lediglich ein geisterhaftes, unvollständiges Profil in der Düsternis der Zelle. Kale sah aus, als wäre er immer noch nur teilweise wach und wüsste nicht recht, ob er das hier bloß träumte oder nicht.

»Was ist los?«, fragte Kale, ein verschlafenes Murmeln, das eigentlich eher klang wie: Wasnlos?

Trig räusperte sich. Unlängst hatte sich seine Stimme zu verändern begonnen, und auch, wenn er nicht ausdrücklich darauf achtete, war er sich durchaus darüber im Klaren, wie sie sich mal höher, mal tiefer anhörte. »Nichts.«

»Machst du dir Sorgen wegen morgen?«

»Ich?« Trig schnaubte. »Nicht doch!«

»Ist okay, wenn du’s tust.« Kale schien darüber nachzudenken und gab dann ein benebeltes Knurren von sich. »Du wärst verrückt, wenn du’s nicht tätest.«

»Du hast auch keine Angst«, entgegnete Trig. »Paps hätte niemals …«

»Ich werde allein gehen.«

»Nein!« Das Wort drang mit beinahe schmerzhafter Schärfe aus seinem Mund. »Wir müssen zusammenhalten, das hat Paps gesagt!«

»Du bist erst dreizehn«, sagte Kale. »Vielleicht bist du noch nicht, du weißt schon …«

»Nächsten Monat werde ich vierzehn.« Bei der Erwähnung seines Alters verspürte Trig ein neuerliches Aufflackern von Emotionen. »Alt genug.«

»Bist du sicher?«

»Positiv.«

»Nun, schlaf noch mal drüber, und dann schauen wir mal, ob du morgen früh anders darüber denkst …« Kales Aussprache wurde bereits verworrener, als er wieder auf seine Pritsche zurücksank, während Trig weiter dasaß und die Augen nach wie vor auf die lange, dunkle Halle außerhalb der Zelle gerichtet hielt, den Offenen Vollzug, wie sie all das hier nannten, ihr nicht mehr ganz so neues Zuhause.

Schlaf noch mal drüber, dachte er, und exakt in diesem Augenblick schien Schlaf auf wundersame Weise, wie durch die Macht der Suggestion, tatsächlich im Bereich des Möglichen. Trig legte sich hin und ließ sich von der Schwere seiner Müdigkeit, die Sorge und Furcht ersetzte, zudecken wie von einer Decke. Er versuchte, sich auf das Geräusch von Kales Atmung zu konzentrieren, tief und beruhigend, ein und aus, ein und aus.

Dann jaulte irgendwie in den Untiefen der Decketagen eine unmenschliche Stimme auf. Trig setzte sich auf, hielt den Atem an und spürte, wie ein Frösteln die Haut seiner Schultern, seiner Arme und seines Rückens anspannte, um Millimeter für Millimeter über sein Fleisch zu kriechen, und die feinen Härchen in seinem Nacken sträubten sich. Drüben auf seiner Pritsche rollte sich der bereits schlafende Kale herum und grummelte irgendetwas Zusammenhangloses.

Es folgte ein weiterer Schrei, schwächer diesmal. Trig sagte sich, dass das bloß einer der anderen Verurteilten war, bloß ein weiterer Alptraum, der wie jede Nacht vom Band der Alptraumfabrik rollte.

Gleichwohl, es hatte nicht nach einem Alptraum geklungen.

Es klang, als würde ein Gefangener irgendeiner Spezies angegriffen.

Oder durchdrehen.

Er saß vollkommen reglos da, kniff die Augen fest zusammen und wartete darauf, dass das Pochen seines Herzens langsamer wurde, dass es, bitte, einfach langsamer wurde. Aber das tat es nicht. Er dachte an das Ding in der Kantine, den verschwundenen Insassen, dessen Namen er nie gekannt hatte, der ihn mit seinem roten, starrenden Auge beobachtete. Wie viele andere Augen ruhten auf ihm, die er niemals sah?

Schlaf noch mal drüber!

Aber er wusste bereits, dass er heute Nacht keinen Schlaf mehr finden würde.

2

Fleischnest

In Trigs altem Leben, daheim auf Cimarosa, war das Frühstück die beste Mahlzeit des Tages gewesen. Abgesehen davon, dass Von Longo ein geschickter Hehler für Schmuggelware war, der sich stets am Rande der Legalität bewegte und unzählige Geschäfte mit Dieben, Spionen und Fälschern machte, war er auch einer der größten verkannten Frühstücksköche der Galaxis gewesen. Ein gutes Mahl kann man nie früh genug zu sich nehmen. Das hatte Longo stets zu seinen Jungs gesagt. Du weißt nie, ob es nicht vielleicht dein letztes ist.

Hier auf der Sühne allerdings war das Frühstück nur selten genießbar und schien manchmal durch die beständigen Vibrationen sogar regelrecht zu zittern, als wäre das, was da auf dem Teller lag, noch lebendig. An diesem Morgen blickte Trig auf eine breiige Masse farblosen Glibbers hinunter, die an geraspelte Knorpelstücke erinnerte, zu klebrigen Batzen zusammengepresst wie zu einer Art Fleischnest, das fleischfressende Fluginsekten zusammengetragen hatten. Er schob das Zeug immer noch lustlos in seiner Schale umher, als Kale schließlich seine Augenbrauen hob und ihn ansah.

»Hast du letzte Nacht überhaupt geschlafen?«, fragte Kale.

»Ein bisschen.«

»Du isst gar nichts.«

»Was, du meinst das hier?« Trig stocherte wieder im Inhalt seiner Schale herum und erschauderte. »Ich habe keinen Hunger«, meinte er und sah zu, wie sich Kale den letzten Bissen seines eigenen Frühstücks mit verstörendem Genuss in den Mund schaufelte. »Glaubst du, das Essen wird etwas besser, wenn wir den Gefängnismond erreichen?«

»Kleiner Bruder, ich denke, wir können froh sein, wenn wir nicht selbst auf der Speisekarte enden.«

Trig warf ihm einen niedergeschlagenen Blick zu. »Bring die ja nicht auf dumme Ideen.«

»He, nur die Ruhe!« Kale wischte sich den Mund mit dem Ärmel ab und grinste. »Ein kleiner Kerl wie du reicht denen wahrscheinlich bloß für die Vorspeise.«

Trig legte die Gabel prustend wieder beiseite, um zu zeigen, dass er den Scherz verstanden hatte. Obwohl es ihm nicht möglich gewesen wäre, das in Worte zu fassen, war er ausgesprochen neidisch auf die unbekümmerte Tapferkeit seines großen Bruders, die er so offenkundig von ihrem Vater geerbt hatte. Kale hatte mit Furcht nichts am Hut; irgendwie blieb sie einfach nicht an ihm kleben. Das Einzige, das ihm je wirklich Sorge zu bereiten schien, war die Aussicht darauf, keine weitere Portion von dem zu bekommen, was die COO-2180er hinter dem Essensausgabetresen in die Schüsseln der Insassen geklatscht hatten.

Aus heiterem Himmel – vom Lächerlichen zum Erhabenen – ertappte Trog sich dabei, dass er wieder an seinen Vater dachte. Ihr letztes Gespräch war ihm mit stechender Deutlichkeit im Gedächtnis haften geblieben. Unmittelbar bevor er auf der Krankenstation verstorben war, hatte sein alter Herr die Hand emporgereckt, um Trigs Hand mit seinen beiden zu umklammern und zu flüstern: »Pass auf deinen Bruder auf!« Überrascht hatte Trig bloß genickt und gestammelt, dass er das tun würde, natürlich würde er das tun – doch kurz darauf war ihm klar geworden, dass sein Vater in seinen letzten Momenten so verwirrt gewesen sein musste, dass er durcheinandergebracht hatte, mit welchem Sohn er gerade sprach. Es gab keinen Grund, warum er Trig bitten sollte, auf Kale achtzugeben. Das war, als würde man einem kowakianischen Echsenaffen auftragen, dafür zu sorgen, dass es einem Wampa an nichts mangelte.

»Was ist eigentlich mit dir los?«, fragte Kale von der anderen Seite des Tisches.

»Mir geht’s gut.«

»Komm schon, spuck’s aus!«

Trig stieß die Schüssel beiseite. »Ich kann einfach nicht begreifen, wie sie uns jeden verfluchten Tag dieses Zeug vorsetzen können.«

»Hey, das erinnert mich an was.« Wie aufs Stichwort fiel Kales Blick auf Trigs Schüssel. »Isst du das noch?«

Als das Schrillen der Sirene das Ende der Mahlzeit verkündete, standen er und Kale auf und strömten zusammen mit dem Meer der anderen Insassen aus dem Speisesaal. Auf den Überwachungsdecks über ihren Köpfen stand eine Schar uniformierter imperialer Gefängniswärter und bewaffneter Sturmtruppler Wache und verfolgte mit seelenlosen schwarzen Augen ihren Marsch in den Gemeinschaftsbereich.

Weiter unten schlenderten die Gefangenen in Gruppen dahin, murmelten und lachten untereinander, verzweifelt bemüht, den Vorgang so weit wie möglich in die Länge zu ziehen, um das geringe Maß an Nachsicht auszunutzen, das die Wachen ihnen womöglich zugestanden. Ihre klebrigen, stinkenden, ungewaschenen Leiber drängten sich dicht aneinander, und wieder kam Trig der Begriff Fleischnest in den Sinn, und er ekelte sich ein wenig. Dieser ganze Ort war ein einziges Fleischnest.

Nach und nach wurden er und Kale mit gespielter Gleichgültigkeit langsamer, und sie ließen sich weiter von der Menge zurückfallen. Obwohl er kein Wort sagte, machte sich in Kales Körperhaltung bereits eine subtile Veränderung bemerkbar; er drückte seinen Rücken durch und die Schultern nach hinten, und eine ruhige Wachsamkeit trat in seine Züge, verdrängte den gewohnten sorglosen Gesichtsausdruck. Seine Augen schossen jetzt von links nach rechts, verharrten nirgends länger als ein oder zwei Sekunden.

»Bist du bereit dafür?«, fragte er. Seine Lippen bewegten sich kaum.

»Klar«, antwortete Trig und nickte. »Du?«

»Volles Rohr.« Nichts an Kales Antlitz schien darauf hinzudeuten, dass er überhaupt sprach. »Denk dran, wenn wir da runterkommen, wird die Sache knifflig! Was auch immer du tust, halte immer Augenkontakt, sieh nicht mal für eine Sekunde woandershin!«

»Kapiert.«

»Und falls du das Gefühl kriegst, dass irgendwas nicht stimmt, und damit meine ich irgendwas, ganz egal was, gehen wir einfach weg.« Jetzt schaute Kale seinem Bruder ins Gesicht, vielleicht, weil ihn ein Hauch seiner Besorgnis gestreift hatte. »Ich glaube nicht, dass Sixtus irgendwas Dummes versuchen wird, aber für Myss kann ich die Hand nicht ins Feuer legen. Paps hat ihm nie getraut.«

»Vielleicht …«, setzte Trig an und brach dann wieder ab. Ihm wurde klar, dass er drauf und dran war vorzuschlagen, die ganze Sache abzublasen, nicht, weil er nervös war – obwohl das mit Sicherheit zutraf –, sondern weil Kale ebenfalls gewisse Bedenken zu haben schien.

»Wir können das schaffen«, fuhr Kale fort. »Paps hat uns alles beigebracht, was wir wissen müssen. Das Ganze dürfte nicht länger als ein oder zwei Minuten dauern, und dann sind wir da wieder raus und für jedermann zu sehen. Nur etwas länger als das, und es wird gefährlich.« Er riss seinen Kopf mit einem Ruck herum und sah Trig entschlossen an. »Und ich gehe als Erster. Bereit?«

Trig nickte und spürte, wie eine Hand auf seine Schulter fiel und ihn schlagartig erstarren ließ.

3

Wo die schlechte Luft hinzieht

Trig drehte sich um und blickte zu der Gestalt auf, die vor ihm stand.

»Du!« Es war ein schweinsäugiger Wachmann, an dessen Namen er sich nicht erinnern konnte. Er musterte ihn durch einen getönten, zweifellos gegen die Vorschriften verstoßenden Sichtschutz. »Was treibt ihr hier ganz hinten?«

Trig versuchte zu antworten, stellte jedoch fest, dass seine Erwiderung ihm irgendwo knapp unterhalb der Gurgel im Hals steckte. Kale mischte sich ein und schenkte dem Mann ein lässiges, entwaffnendes Lächeln. »Bloß ein bisschen die Beine vertreten, Sir.«

»Habe ich mit dir geredet, Sträfling?«, fragte der Wachmann, und ohne auf eine Antwort zu warten, wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Trig zu. »Nun?«

»Er hat recht, Sir«, erwiderte Trig. »Wir haben uns bloß die Beine vertreten.«

»Wie? Seid ihr euch etwa zu fein, beim Rest des Abschaums zu bleiben?«

»Wir versuchen, Abschaum aus dem Weg zu gehen, wann immer wir können«, sagte Trig und fügte dann hinzu: »Sir.«

Hinter den Linsen wurden die Augen der Wache zu Schlitzen. »Willst du mich auf den Arm nehmen, Sträfling?«

»Nein, Sir.«

»Weil die letzte Made, die mich auf den Arm nehmen wollte, nämlich nun einen Monat im Loch verbringt.«

»Verstanden, Sir.«

Der Wachmann starrte ihn finster an und ließ den Kopf leicht zur Seite zucken, als würde er einen Blickwinkel suchen, aus dem Trigs makelloses, jugendliches Gesicht womöglich irgendwie bedrohlich wirkte oder inmitten dieser größeren Ansammlung inhaftierter Krimineller sogar Sinn ergab. Trig, der seine Miene musterte, strafte sich selbst damit, sich auszumalen, wie in diesen schielenden Augen ein Funken Erkennen aufleuchtete. Einen Sekundenbruchteil lang dachte er, wie bizarr es wäre, wenn die Wache jetzt sagte: Ihr seid Von Longos Jungs, nicht wahr? Ich habe gehört, was eurem Vater zugestoßen ist. Er war ein guter Mann.

Aber natürlich fand kein einziger Wärter auf diesem Schiff, dass Longo ein guter Mann gewesen war, oder hatte sich auch nur die Mühe gemacht, sich seinen Namen zu merken – und nun war er tot und bereits so vollkommen vergessen, dass er ebenso gut niemals gelebt haben konnte, und die Wache schüttelte bloß den Kopf.

»Bewegt euch!«, murmelte der Wachmann und ging davon.

In dem Moment, in dem sie außer Hörweite waren, stieß Kale Trig den Ellbogen gegen die Schulter.

»Wir versuchen, Abschaum aus dem Weg zu gehen, wann immer wir können?« Ein winziges Grinsen kräuselte Kales Mundwinkel. »Hast du dir das gerade eben spontan ausgedacht?«

Trig war selbst außerstande, sich ein Lächeln zu verkneifen. Es fühlte sich befreiend an, vermutlich, weil er sich nicht entsinnen konnte, wann er sich das letzte Mal mehr gestattet hatte als eine besorgte Grimasse. »Glaubst du, er hat’s mir abgekauft?«

»Ich glaube, du hast dir das beinahe selbst abgekauft.« Kale streckte die Hand aus und wühlte mit den Fingern durch Trigs Haar. »Wenn du weiter den Witzbold spielst, Sträfling, landest du am Ende noch unten in Einzelhaft, bei den richtig gefährlichen Typen.«

»Ich habe gehört, dass sie da unten gerade ein paar harte Jungs weggesperrt haben«, sagte Trig. »Könnten unsere zukünftigen Kunden sein.«

Kale bedachte ihn mit einem zustimmenden Blick. »In dir steckt viel mehr von Paps, als ich dachte«, meinte er, und mit einem letzten Blick auf die Gefangenen vor ihnen bewegte er den Kopf fast unmerklich nach links. »Komm mit, folg mir! Und dreh nicht durch, okay?«

»Klar.« Trig merkte, dass Kale sein Tempo verlangsamte, sich mehrere Meter zurückfallen ließ, kaum genug, dass es irgendjemandem auffallen würde, und seine Schritte denen seines Bruders anpasste. Weiter vorn teilte sich der Hauptgang in drei Korridore, die wiederum in eine Reihe schmalerer Durchgänge abzweigten, die die Inhaftierungsebenen in jedem erdenklichen Vektor und Winkel durchkreuzten.

Während seiner Zeit an Bord hatte Trig es sich zur Aufgabe gemacht, so viel über den Grundriss der Sühne in Erfahrung zu bringen, wie er nur konnte. Durch das Belauschen von Gesprächen zwischen Wachen und Wartungsdroiden hatte er schon frühzeitig mitbekommen, dass es sechs Hauptinhaftierungsebenen gab, von denen jede zwanzig bis dreißig individuelle Gefängniszellen beherbergte. Darüber befand sich der Speisesaal, gefolgt von den Verwaltungsbüros, den Quartieren der Schiffsbesatzung und der Krankenstation. Niemand redete viel über die Einzelhaft, unten im Schiffsbauch der Sühne – noch gab es sonderlich viele Spekulationen über die sprichwörtlich Hunderte von Metern schmaler Zugangswege, Unterebenen und schwach beleuchteter Gänge, die jede Ebene durchzogen wie eine Honigwabe.

Kale und Trig verfielen in Gleichschritt und schlüpften durch das offene Tor, marschierten an den klammen Fertigbauwänden entlang und eine Treppenflucht hinunter, tiefer in die subkutanen Gedärme des Offenen Vollzugs hinab. Die Luft hier unten wurde schlagartig dicker und dramatisch schlechter atembar, während sie sich im Dunkeln ihren Weg zu einer Ansammlung instand gesetzter Luftfilter bahnte und sie schließlich wieder zurück ins Schiff gepumpt wurde, wo der Kreislauf von Neuem begann.

»Sieh an, sieh an«, sagte eine Stimme, »die Longo-Brüder reiten wieder!«

Trig nahm einen raschen Atemzug, in der Hoffnung, dass es nicht wie ein Keuchen klang. Kale vor ihm erstarrte und streckte instinktiv eine Hand hinter sich aus, während sie beide in die weitläufige Kammer blickten, die ihre unmittelbare Zukunft bereithielt. Trigs Sehvermögen brauchte keine zusätzliche Zeit, um sich anzupassen. Er konnte bereits die Gestalten mehrerer Insassen ausmachen, alles Mitglieder der Delphanianer-Visagen-Gang, und vor ihnen: Aur Myss.

Ob Myss’ nahezu vertikaler Mund ein Genunfall oder die Folge eines seiner legendären Messerkämpfe war, war ein Thema, über das sich die anderen Gefangenen fortwährend den Kopf zerbrachen. Unter der abgeflachten, wildlederartigen Ziehharmonika von einer Nase baumelte von der schlaffen Unterlippe eine Reihe unterschiedlichster Stammespiercings, die er als Trophäen von all den anderen Häftlingsanführern erbeutet hatte, als Myss und sein Boss, Sixtus Cleft, den Status der Visagen-Gang als tonangebende Gefangenengruppe an Bord der Sühne gefestigt hatten.

»Ihr kommt genau rechtzeitig«, meinte Myss. Seine Piercings klimperten, als er sprach.

Kale nickte. »Wir sind immer pünktlich.«

»Ein bewundernswerter Wesenszug für eine Gefängnisratte.«

»Deshalb hast du dich doch entschieden, mit uns Geschäfte zu machen.«

»Aus diesem und vielen anderen Gründen« sagte Myss. »Da kannst du dir sicher sein.«

Kale lächelte. »Hast du die Bezahlung mitgebracht?«

»Oh, ja.« Myss stieß ein zischendes Gurgeln aus, bei dem es sich womöglich um Gelächter handelte, und streckte eine Hand mit schaufelartigen Klauen aus, um damit auf den leeren Fußboden vor sich zu deuten. »Sie ist gleich hier, direkt vor mir. Siehst du sie nicht?«

Trig spürte – oder vielleicht bildete er sich das auch bloß ein –, wie sich sein älterer Bruder versteifte, sich für Ärger wappnete, und versuchte, Kale kraft seiner Gedanken dazu zu zwingen, ruhig zu bleiben. Es schien zu funktionieren. Zumindest fürs Erste wahrte Kale seine aufrechte Haltung und schaute nicht weg, sorgsam darauf bedacht, seine Stimme fest und gelassen zu halten. »Ist das irgendeine Art Scherz?«

»Schon möglich.« Myss warf den delphanianischen Fußsoldaten einen Blick zu, die ihn grinsend und kichernd zu beiden Seiten flankierten. »Vielleicht teilst du bloß nicht unseren Sinn für Humor.«

»Unsere Abmachung mit Sixtus …«

»Sixtus ist tot.«

Kale starrte ihn an. »Wie bitte?«

»Eine schreckliche Tragödie.« Myss flüsterte beinahe, und Trig wurde klar, dass es sich bei dem undeutlichen Zischen zwischen seinen Worten dieses Mal tatsächlich um Gelächter handelte, begleitet vom leisen, metallischen Klimpern seiner Piercings. »Gefängniswärter Wembly hat ihn heute Morgen mit aufgeschlitzter Kehle in seiner Zelle gefunden. Ich bin jetzt der neue Anführer.« Er brach ab, und dann war seine Stimme mit einem Mal kalt wie Eis. »Und damit haben sich die Konditionen unseres Geschäfts leider geändert.«

»Das kannst du nicht machen!«, warf Trig ein, außerstande, sich noch länger zurückzuhalten. »Sixtus und unser Vater …«

»Nein, ist schon in Ordnung«, meinte Kale, noch immer, ohne seine Augen von Myss abzuwenden, und als er abermals das Wort ergriff, klang er vollkommen gelassen. »Es tut mir nur leid, dass sich die Dinge so entwickelt haben.«

Myss wirkte tatsächlich neugierig. »Ach ja?«

»Nichts von dem hier ist notwendig.« Kales Stimme klang so lässig, dass es beinahe war, als würde man ihrem Vater zuhören. Es war derselbe einschmeichelnde Wir-kriegen-das-schon-geregelt-Tonfall, der sie in der Vergangenheit aus so vielen brenzligen Situationen gerettet hatte. »Wir haben hier eine für beide Seiten vorteilhafte Geschäftsbeziehung aufgebaut, und es wäre verrückt, sie durch unüberlegte Entscheidungen aufs Spiel zu setzen.«

»Unüberlegte Entscheidungen?«

Kale fuhr mit einer Hand in die Höhe. »Natürlich erzählen wir euch gern, wo die Blaster und Energiezellen versteckt sind, ganz kostenlos. Ich überlasse sie euch mit meinen besten Empfehlungen. Betrachte das als mein Geschenk an dich, als neuer Anführer der Visagen-Gang. Und alle spazieren hier raus, um ein andermal wieder Geschäfte miteinander zu machen.«

»Ein großzügiges Angebot.« Myss schien sich den Vorschlag eine ganze Weile durch den Kopf gehen zu lassen. »Da gibt’s nur ein Problem.«

»Und welches?«

Myss musterte die delphanianischen Insassen, die links und rechts von ihm lauerten. »Ich habe meinen Männern bereits versprochen, dass sie euch töten dürfen.«

»Ich verstehe.« Kale stieß ein theatralisches Seufzen aus. »In diesem Fall nehme ich an, dass wir keinen Deal haben, hm?«

»Nein.«

»Dann schätze ich, gibt es bloß noch eins zu tun.«

Aur Myss hob sein Kinn leicht nach oben. »Und das wäre?«

Zuerst rührte sich keiner von ihnen, und Trig hatte nicht die geringste Ahnung, was passieren würde. Dann, bevor er noch recht wusste, was geschah, schoss Kales Hand schneller nach vorn, als Trig auch nur sehen konnte, und seine gekrümmten Finger sausten nach unten, um Myss die Piercings aus dem Gesicht zu reißen.

Der Delphanianer kreischte vor Überraschung und Schmerz, und eine seiner Hände schnellte empor, um die verletzten Lippen und seine Nase zu bedecken, aus denen Blut hervorspritzte. Gleichzeitig stürmten die beiden Insassen, die ihn flankiert hatten, wutentbrannt nach vorn, und Kale packte seinen Bruder an der Schulter, wirbelte ihn unsanft herum und stieß ihn in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren.

»Lauf!«, rief Kale, und das taten sie, Trig voran, Kale hinter ihm. Beide rannten sie den Korridor hinauf, den sie eben heruntergekommen waren. Hinter ihnen dröhnten die Stiefel der Delphanianer auf dem Metallboden, und Trig konnte sie brüllen hören, als sie weiter aufschlossen. Es war völlig unmöglich, dass er und sein Bruder ihnen davonlaufen konnten. Und selbst, wenn es ihnen durch irgendeine Laune des Schicksals gelang zu entkommen, würde Aur Myss morgen auf sie warten und übermorgen und …

Als sie um die Ecke bogen, stieß Trig beinahe mit einem Wachmann zusammen, der direkt vor ihm stand. Der Gefängniswärter hob in einer reflexartigen Abwehrgeste die Hände, und Trigs plötzlichem Halt, der verhinderte, dass er gegen die Wache krachte, folgte eine Sekunde später Kale, der von hinten gegen ihn stieß.

»Was geht hier vor?«, fragte die Wache.

»Nichts, Sir, wir haben bloß …«, begann Trig, und dann ging ihm auf, dass es nicht den geringsten Anlass dafür gab, warum sich die Wachen so weit unten im Schiff aufhalten sollten.

Und dann wurde ihm zwischen den pochenden, rhythmischen Schlägen seines eigenen Herzens noch etwas anderes bewusst.

Vollkommene Stille hatte sich über die Sühne gesenkt.

Die Vibrationen, die ihm so zugesetzt hatten und ihre Wellen durch die Knochen seiner Füße, Knöchel und Knie geschickt hatten, waren zur Gänze verschwunden.

Zum ersten Mal, seit er hier an Bord gelandet war, waren die Triebwerke zum Stillstand gekommen.

4

Krankenstation

»He, Batzen«, sagte Zahara Cody, »sind wir schon da?«

Der 2-1B-Chirurgiedroide schaute mit leerem Blick zu ihr auf. Der Droide war gerade dabei, eine Spritze Kolto in den linken Arm des Dug zu injizieren, der zwischen ihnen in einem übergroßen Krankenbett lag. Nur Sekunden nach der Injektion krümmte sich der Dug und rollte sich auf den Rücken; seine vom Laken bedeckten Unterschenkel zuckten, bevor sie steif wurden und in einem sehr überzeugenden Zustand der Totenstarre verharrten.

»Herzlichen Glückwunsch«, meinte Zahara, »du hast ihn umgebracht! Sieht ganz so aus, als hättest du dem Imperium weitere vierhundert Credits gespart.« Sie streckte den Arm über den erschlafften Körper hinweg und klopfte dem Chirurgiedroiden auf die Schulter. »Ausgezeichnete Arbeit. Du wirst noch ein richtiger Teamspieler.«

Der 2-1B sah sie mit einem gewissen Ausdruck der Beunruhigung an – soweit das einem Droiden möglich war. »Aber ich habe nicht …«

»Lass mich einen Schnelltest durchführen, bloß, um den Zeitpunkt des Todes festzustellen.« Zahara griff nach unten, rollte den Dug zur Seite und stieß ihn über den Bettenrand. Mit einem dumpfen Laut fiel er zu Boden. Sekunden später setzte sich der Häftling mit einem missmutigen Quieken auf und kletterte wieder in sein Krankenbett zurück, wo er sie unheilvoll anstarrte und irgendeinen düsteren, missbilligenden Fluch keuchte.

»Sieht ganz nach einer weiteren Wunderheilung aus«, kommentierte Zahara das Spiel und lächelte. »Offensichtlich noch eine deiner zahlreichen Fähigkeiten.«

»Ein höchst ungewöhnlicher Fall«, stimmte Batzen zu, und irgendetwas tief unter seiner Torsoverkleidung klickte und surrte. »Glauben Sie nicht, dass wir in Anbetracht der permanenten Beschwerden des Patienten einige zusätzliche Tests durchführen sollten?«

»Soweit ich mich entsinne, haben die meisten Beschwerden dieses speziellen Patienten mit dem Essen zu tun.« Zahara warf dem Dug einen Blick zu. »Und vielleicht noch mit einer der verschiedenen Gefängnisgangs, die sich wegen überfälliger Ratenrückzahlungen seinen Skalp holen wollen. Das ist so doch in etwa richtig, oder, Tugnut?«

Der Dug knurrte und riss ruckartig eine Hand hoch, eine Geste, die trotz aller Sprachbarrieren jedermann verstand. Dann machte er sich wieder daran, sich tot zu stellen.

»Ruf einen Pflegerdroiden her«, befahl Zahara, »und lass ihn zurück in seine Zelle bringen!« Sie wandte sich dem 2-1B wieder direkt zu. »Dir ist doch klar, Batzen, dass du meine ursprüngliche Frage noch nicht beantwortet hast?«

»Verzeihen Sie?«

»Sind wir schon da?«

»Dr. Cody, falls Sie sich damit auf unsere voraussichtliche Ankunftszeit bei Inhaftierungsmond Gradient Sieben beziehen …«

»Die Sühne ist ein Gefängnisschiff, Batzen. Wo sollten wir wohl sonst hinfliegen? In den Wilden Raum?« Sie wartete geduldig, um zu sehen, ob der 2-1B sie mit einem weiteren seiner leeren, unversöhnlichen Blicke bedenken würde. Im Laufe der vergangenen drei Monate, in denen sie Seite an Seite mit dem Droiden Dienst getan hatte, betrachtete Zahara Cody sich mehr und mehr als Kennerin solcher Reaktionen, auf die Art, wie einige Leute seltene pseudogenetische polymorphe Spezies oder billigen Schmuck aus älteren, vorimperialen Kulturen sammelten. »Wir haben den Hyperraum bereits verlassen. Unsere Triebwerke sind jetzt schon seit fast einer Stunde aus, und wir liegen hier einfach nur stockstill im Raum, was bloß eine einzige Sache bedeuten kann, stimmt’s? Nämlich, dass wir da sein müssen.«

»Tatsächlich, Doktor, weist meine Verbindung zum Navigationscomputer darauf hin, dass …«

»Hey, Doc!« Hinter Zahara tauchte ein abgestumpfter Finger auf, der sie irgendwo in Nähe des Steißbeins anstupste. »Ist es schon so weit?«

Zahara ließ den Blick über den devaronianischen Gefangenen schweifen, der auf dem Bett hinter ihr träge auf der Seite ausgestreckt lag, ehe sie sich wieder ihrem Chirurgiedroiden zuwandte. »Siehst du, Batzen? Das ist die Frage, die hier allen auf den Nägeln brennt.«

»Nein, ich mein’s ernst, Doc«, stöhnte der Devaronianer, der aus den Untiefen der Schwermut zu ihr emporlugte. Sein rechtes Horn war auf halber Höhe abgetrennt worden, was seinem Antlitz einen eigentümlich schrägen Ausdruck verlieh, und er piekste sich in den Unterleib und stöhnte. »Einer meiner Lebern geht’s schlecht, das kann ich fühlen. Ich glaub, ich hab mir in der Dusche was eingefangen.«

»Dürfte ich eine wahrscheinlichere Diagnose äußern?« Der 2-1B schwirrte eifrig um Zahara herum und tauschte bereits die Instrumente in seinen Servogreifern aus, während die internen Komponenten seines Diagnosecomputers unter der Torsoabdeckung flackerten. »Leberschäden sind bei Ihrer Spezies nichts Ungewöhnliches. In vielen Fällen weist Ihr auf Silber basierendes Blut einen reduzierten Sauerstoffgehalt auf, und zwar aufgrund der eingeschränkten Zufuhr von …«

»Hey, Blechbirne!« Der Devaronianer setzte sich auf, mit einem Mal ein kerniges Bild blühender Gesundheit abgebend, und packte die Zange des 2-1Bs. »Was hast du da gerade über meine Spezies gesagt?«

»Nur die Ruhe, Gat, er wollte damit überhaupt nichts Negatives ausdrücken.« Zahara legte dem Gefangenen eine Hand aufs Handgelenk, bis er den Droiden losließ. Dann wandte sie sich an den 2-1B: »Batzen, warum gehst du nicht und siehst nach, wie es dem Trandoshaner in B-Siebzehn geht, hm? Seine Temperatur ist wieder gestiegen, und die letzte Zählung weißer Blutkörperchen, die ich heute Morgen gesehen habe, gefällt mir nicht. Ich bezweifle, dass er den Tag überstehen wird.«

»Oh, da pflichte ich Ihnen bei.« Der Droide sprang sofort darauf an. »Laut meiner Basisprogrammierung auf der Staatlichen Medizinakademie Rhinnal …«

»Genau. Also sehen wir uns nachher für die Nachmittagsvisiten, in Ordnung?«

Der 2-1B zögerte, schien kurz die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, Einspruch zu erheben, marschierte dann aber davon, während er leise unzufrieden vor sich hinblubberte. Zahara verfolgte, wie sich der Droide entfernte und mit seinen schlaksigen Beinen und den viel zu großen Füßen zwischen den Bettreihen hindurchging, die die Krankenstation zu beiden Seiten säumten. Lediglich die Hälfte der Betten war belegt, aber das waren immer noch mehr, als ihr lieb war. Als leitende Stabsärztin der Sühne wusste sie, dass ein großer Prozentteil ihrer Patienten lediglich simulierte, entweder, um ihren Aufenthalt auf der Krankenstation zu verlängern oder um sich ganz vom Offenen Vollzug fernzuhalten. Allerdings lag eine lange Reise hinter ihnen, und die Vorräte gingen zur Neige. Selbst mit dem 2-1B war die Aussicht auf einen echten medizinischen Notfall …

»Sind Sie okay, Doc?«

Als sie nach unten schaute, wurde ihr bewusst, dass der Devaronianer sie von seinem Bett aus beobachtete und ungeniert mit seinem verstümmelten Horn herumspielte.

»Wie bitte?«

»Ich fragte: Sind Sie okay? Sie wirken ein bisschen, keine Ahnung …«

»Mir geht’s gut, Gat, danke.«

»Hey!« Der Sträfling ließ den Blick in die Richtung schweifen, in die der Chirurgiedroide verschwunden war. »Dieser Nietenbolzen wird mir das doch nicht übelnehmen, oder?«

»Wer, Batzen?« Sie lächelte. »Glaub mir, er ist der Inbegriff wissenschaftlicher Objektivität. Man muss ihn bloß mit ein paar obskuren Symptomen füttern, und schon ist er dein bester Freund.«

»Glauben Sie wirklich, dass wir fast da sind?«

Sie zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht. Du weißt doch, wie das ist. Mir erzählt ja keiner irgendwas.«

»Stimmt«, sagte der Devaronianer und schüttelte mit einem Glucksen den Kopf. An Bord des Raumschiffs gab es einige Redensarten, die im Offenen Vollzug endlos die Runde machten: »Sind wir schon da?« und »Erwarten die echt, dass wir dieses Zeug essen?« kamen davon am häufigsten vor, aber »Mir erzählt ja keiner irgendwas« gehörte ebenfalls zu den großen Favoriten. Nach Monaten des Dienstes hatte Zahara diese Phrasen ebenfalls übernommen, sehr zum Ärger des Direktors und vieler Gefängniswärter, von denen sich die meisten selbst für das Musterbeispiel einer überlegenen Spezies hielten.

Zahara wusste, was die über sie sagten. Die Wachen bemühten sich nicht wirklich, darauf zu achten, dass sie nichts davon mitbekam. Zu viel Zeit unten auf der Krankenstation mit dem Abschaum und den Droiden, und ein kleines, reiches Mädchen hatte angefangen, sich ihnen anzupassen, bis sie die Gesellschaft von Insassen und synthetischen Lebensformen ihrer eigenen Art vorzog: Strafvollzugsbeamten und Sturmtrupplern. Seit dieser Sache vor zwei Wochen sprachen die meisten Wachen überhaupt nicht mehr mit ihr. Sie hatte nicht die Absicht, ihnen deswegen Vorwürfe zu machen. Die Wachen waren bekanntermaßen ein verschworener Haufen, der sich durch ein Gruppendenken auszeichnete, das sie geradezu widerlich fand.

Selbst den Gefangenen – ihren Stammpatienten, denjenigen, die sie tagtäglich sah – war eine Veränderung in der Art und Weise aufgefallen, wie sie begonnen hatte, zusätzliche Zeit in Batzens Ausbildung zu investieren – nicht, um den 2-1B weiterhin als ihren Assistenten fortzubilden, sondern vielmehr als ihren Ersatz. Und obgleich eine offizielle Reaktion des Gefängnisdirektors noch ausstand, ging sie davon aus, dass er ihre Kündigung erhalten hatte.

Immerhin war sie in sein Büro marschiert und hatte sie auf seinen Tisch gedonnert.

Es war ihr unmöglich, weiter hier zu arbeiten.

Nicht nach dem, was mit Von Longo passiert war.

Man nehme ein Mädchen aus einer Familie wohlhabender corellianischer Bankiers und sage ihr, dass es ihm in seinem Leben nie an irgendetwas mangeln würde. Man schicke sie auf die besten Schulen, sage ihr, dass beim InterGalaktischen Bankenclan eine Stelle auf sie warte, und mache ihr klar, dass das Einzige, was sie dafür tun müsse, sei, es nicht zu vermasseln. Dass sie eine weiße Weste behalten, den höchsten Normen von Politik, Kultur und gutem Benehmen gerecht werden und die Tatsache ignorieren müsse, dass verglichen mit den Lebensumständen, an die sie gewöhnt war, 99 Prozent der Galaxis noch immer hungrig, krank und ungebildet waren. Außerdem gelte es, das Imperium mit seinem wunderbaren Mangel an diplomatischer Spitzfindigkeit mit offenen Armen willkommen zu heißen und einfach über den zunehmend unbehaglicheren Druck von Lord Vaders stetig fester zupackender Faust hinwegzusehen.

Schnellvorlauf: fünfzehn Jahre später. Das Mädchen – jetzt eine Frau – beschließt, nach Rhinnal zu gehen, um dort ausgerechnet Medizin zu studieren – diese schmutzigste aller Wissenschaften, die man lieber Droiden überlässt, voller Blut, Eiter und Infektionen und schwerlich das, worauf ihre Eltern gehofft hatten. Dennoch wird ihre Entscheidung unterstützt, ausgehend von der Hoffnung, dass das Ganze bloß eine idealistische Laune von ihr ist und die kleine Zahara bald wieder davon ablassen würde, um ihren rechtmäßigen Platz am Familientisch einzunehmen. Immerhin ist sie noch jung; sie hat jede Menge Zeit.

Bloß, dass sich die Dinge anders entwickelt haben. In ihrem zweiten Jahr auf Rhinnal lernte Zahara einen Chirurgen kennen, der doppelt so alt war wie sie, einen schroffen Veteranen hunderter humanitärer Missionen in die Gebiete jenseits der Kernwelten, der ihr die Augen für die wahren Bedürfnisse der Galaxis rings um sie herum geöffnet hatte. Die ungleiche Liebesaffäre nahm im Großen und Ganzen ihren vorhersehbaren Verlauf. Doch selbst, nachdem sie sich getrennt hatten, konnte Zahara das Bild nicht vergessen, das er ihr gezeichnet hatte, ein Zeugnis niederschmetternden Elends, von Lebewesen, deren Verzweiflung ihr Begreifen gänzlich überstieg. Er erinnerte sie daran, dass die Armen zu endlosen Millionen da draußen waren, Menschen und Fremdweltler gleichermaßen, Kinder, die an Unterernährung und Krankheit starben, während sich die Oberschicht der Galaxis in selbstgewähltem Vergessen suhlte. Entweder kann man mit so etwas leben, oder man kann es nicht. Das zumindest hatte der Chirurg in einer ihrer – wie sich herausstellte – letzten gemeinsamen Nächte zu ihr gesagt.

Und wie sich zeigte, konnte sie es nicht. Nachdem sie von mehreren Hilfsorganisationen aufgrund ihres Mangels an Erfahrung grundsätzlich abgelehnt worden war, traf Zahara die Entscheidung, für das Imperium zu arbeiten, was ihre Familie widerwillig akzeptierte – zumindest wusste man hier, womit man es zu tun hatte. Das änderte sich allerdings, als ihre Eltern erfuhren, was für eine Stelle sie antrat, und stattdessen mit Sprachlosigkeit, Entsetzen und Empörung reagierten. Ihre Tochter würde nicht auf einem imperialen Gefängnisschiff arbeiten. Die Demütigung, die dies verhieß, überstieg schlichtweg jedes Maß.

»Und dennoch bin ich hier«, dachte Zahara jetzt, endlich Königin über ihr eigenes Miniaturkönigreich, Herzogin der leeren Betten und Schutzheilige der ewig währenden Magenschmerzen. Unfreiwilliges Lustobjekt von einhundert emotional frustrierten Gefängniswärtern und unterprivilegierten Sturmtrupplern. Spenderin von Arzneien, mit dem Auftrag, die Insassen der imperialen Gefängnisbarkasse Sühne lange genug am Leben zu halten, damit sie auf irgendeinem abgelegenen Knastplaneten dauerhaft weggesperrt werden konnten.

Die Ironie dabei bestand natürlich darin, dass sie in einer Standardwoche, oder wann immer sie ihr Ziel schließlich erreichten, zu ihrem Vater und ihrer Mutter zurückkehren würde – vielleicht nicht unbedingt demütig, aber nahe dran. Ihre Mutter würde schnauben und finster dreinblicken und ihr Bruder sie verspotten, doch ihr Vater würde sein kleines Mädchen in die Arme schließen – und nachdem eine angemessene Zeitspanne verstrichen war, hätte sie ihre Buße abgeleistet und man würde sie wieder im Kreise der Familie willkommen heißen. Und dann würde ihre Zeit auf dem Schiff zu dem werden, wofür ihre Eltern es von Anfang an gehalten hatten: zu einem Abenteuer in ihrer Jugend, zu einer charmanten Dinneranekdote für Diplomaten. Sie werden nie für möglich halten, womit unsere Kleine ihre Zeit zugebracht hat, als sie noch jung war …

Als sie sich von Neuem in der Krankenstation umschaute, spürte Zahara, wie ein unmerkliches Zittern der Ungewissheit über sie hinweghuschte, und zwang es fort. Gleichwohl, wie die meisten Aspekte ihrer Persönlichkeit, ließ es sich nicht kampflos verdrängen.

Stattdessen kam ihr vollkommen ungebeten wieder das Bild Von Longos in den Sinn, das blutige Gesicht des Mannes, der versuchte, durch das Beatmungsgerät mit ihr zu sprechen, ihre Hand mit seinen beiden umklammert hielt und darum bat, ein letztes Mal seine Jungs sehen zu dürfen. Wie er sie angefleht hatte, sie zu ihm zu bringen, damit er unter vier Augen mit ihnen reden konnte. Sekunden später hatte sich hinter ihrem Rücken eine Wolke unheilvoller Gefahr gebildet, und als sie sich umdrehte, sah sie sich Jareth Sartoris gegenüber, der so dicht vor ihr stand, dass sie tatsächlich seine Haut riechen konnte, während er mit dünnen Lippen sprach, die sich kaum zu bewegen schienen.

Erweisen Sie ihm die letzte Ehre, Doktor?

Später an jenem Tag war Longo gestorben, und Zahara Cody entschied, dass sie ihre letzte Reise mit der Sühne