Stark gegen Stress - Guy Bodenmann - E-Book

Stark gegen Stress E-Book

Guy Bodenmann

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Beschreibung

Stress ist allgegenwärtig in unserem modernen, immer digitaleren Leben – sei es beruflich, privat, in der Partnerschaft oder in der Freizeit. Doch Stress muss nicht immer etwas Negatives sein. Dieser Ratgeber hilft, Stress differenzierter wahrzunehmen: Er erklärt, welche tieferen Ursachen dem negativen Stressgefühl zugrunde liegen und wie man die eigenen Ressourcen stärkt, um stressigen Zeiten bewusster und souveräner zu begegnen. Psychologieprofessor Dr. Guy Bodenmann setzt im Buch die Forschungserkenntnisse aus seiner jahrelangen Stressforschung mit Co-Autorin Christine Klingler Lüthi in konkrete Tipps um, die einfach in den Alltag zu integrieren sind.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 286

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Mehr Lebensqualität im Alltag

Stark gegen Stress

Guy Bodenmann

Christine Klingler Lüthi

Ein Ratgeber aus der Beobachter-Praxis

Download

Die Selbsttests, eine Entspannungsübung und die Quellenangaben zu diesem Ratgeber finden Sie unter www.beobachter.ch/download (Code 6026).

Impressum

Beobachter-Edition, Ringier AG, Flurstrasse 55, CH-8048 Zürich

[email protected], www.beobachter.ch

© 2025 Beobachter-Edition

Alle Rechte vorbehalten

Eine Nutzung dieses Werks zum Training

von KI-Technologien ist untersagt.

Herausgeber: Der Schweizerische Beobachter

Lektorat: Christine Klingler Lüthi

Umschlaggestaltung, Satz und Infografiken: Frau Federer GmbH

Herstellung: Bruno Bächtold

Druck: Grafisches Centrum Cuno GmbH & Co. KG, Calbe

ISBN 978-3-03875-602-6

eISBN 978-3-03875-603-3

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Auslieferung EU: Müller – Die lila Logistik Fulfillment Solutions GmbH & Co. KG,

Am Buchberg 8, DE 74572 Blaufelden, [email protected]

Inhalt

Vorwort

1

Mehr Spielraum

Das Modell des Stresshauses

Widerstandskraft, Wind und Wetter

Was die Stockwerke repräsentieren

Sorgfältiger Unterhalt

Des Pudels Kern: Ist jeder an seinem Stress «selber schuld»?

In Kürze «Mehr Spielraum»

2

Widrigkeiten im Alltag

Stress früher, Stress heute

Multitasking, banale Widrigkeiten und sozialer Vergleich

Zwischendurch mal gar nichts tun?

Dauernde Erreichbarkeit und häufige Unterbrechungen: Was im Job herausfordert

Vorteilhafte Arbeitsbedingungen

Eine Frage des Gleichgewichts

Das moderne Stressverständnis

Kein Stress? Über- oder Unterforderung?

Innere und äussere Anforderungen

Innere und äussere Ressourcen

Wie innere Stimmen Stress verursachen

Persönlichkeit, Stimmung: weitere Einflussfaktoren

Was uns stresst – und wie wir reagieren

Kritische Lebensereignisse: Scheidung, Lottogewinn

Entwicklungsaufgaben: Pubertät, Pensionierung

Tägliche Widrigkeiten: Stau, Zugsausfall

Bedrückt oder beschwingt: emotionale Reaktionen

Nix los? Auch nicht gut

Wer bekommt Ihre Verstimmung zu spüren?

Kleine Ursache, grosse Wirkung: Stressintensität

Wunde Punkte: emotionale Achillesferse

In Kürze «Widrigkeiten im Alltag»

3

Ungünstige Folgen

Wie die Gesundheit leidet

Erbe der Evolution

Relax!

Genussmittelkonsum im Griff

Folgen für Beziehungen

Belastete soziale Beziehungen

Wie sich Stress der Eltern auf die Kinder auswirkt

Einsamkeitsgefühle nehmen zu

In Kürze «Ungünstige Folgen»

4

Zentral: ein gesunder Selbstwert

Bindungssicherheit und Stresserleben

Erfahrungen der ersten Lebensjahre

Die Überzeugung, Einfluss auf den Lauf der Dinge nehmen zu können

Negative Denkmuster verändern

Schein und Sein

Sieht man mir an, wie gut mein Selbstwert ist?

«Der Kaiser ist nackt»: das Hochstapler-Selbstkonzept

Narzissmus: unersättlicher Drang nach Bewunderung

Was tun bei mangelndem Selbstwert?

Wie Wertschätzung und Selbstwert zusammenhängen

Anerkennung im Alltag

Nicht alles als selbstverständlich ansehen

Sich selbst anerkennen, von anderen geschätzt werden

Wenn Wertschätzung ins Leere fällt

Gratifikationskrise und Burn-out-Alarm

Die Neigung, sich zu verausgaben

In Kürze «Zentral: ein gesunder Selbstwert»

5

Leisten, Lieben, Geniessen

Leistungsfähigkeit und Stress

Wieso Leistungsfähigkeit so wichtig ist

Gute Passung und Kompetenzen

Sich abgrenzen können, fokussiert bleiben

Wenn Regeneration nicht mehr möglich ist: Burn-out

Verbunden mit anderen: Liebesfähigkeit

Was es bedeutet, liebesfähig zu sein

Tragfähige Beziehungen pflegen

Geniessen können

Im Reich der Sinne

Ein alter Grieche als Stressexperte

In Kürze «Leisten, Lieben, Geniessen»

6

Entspannter leben

Motivation und Engagement

Natürliche Schubkraft

Leistungsfähig durch Motivation

Zeit zählt

Ein dehnbarer Begriff

Zeit für mich

Zeit für den Partner, die Partnerin

Vom Baby zum Teen: Zeit für die Kinder

Zeit für das soziale Netz

Ausgleichende Aktivitäten und Erholungsmomente

Was uns guttut

Dankbar für Genussmomente

In Kürze «Entspannter leben»

7

Strategien für mehr Gelassenheit

Vermeidbaren Stress auch wirklich vermeiden

Kontrollüberzeugungen verändern

Negativen Interpretationen eine neue Richtung geben

Sich schädlichen inneren Stimmen entgegenstellen

Eigene Grenzen respektieren, Prioritäten setzen

Nicht vermeidbaren Stress konstruktiv bewältigen

Ruhe bewahren

Die Situation objektiv überprüfen

Probleme wirksam lösen in sechs Schritten

Wenn Sie selber nicht weiterkommen

Einander als Paar Unterstützung geben

Den Partner, die Partnerin verstehen

Emotionale Selbstöffnung: die Trichtermethode

Gemeinsame Erkundung

Gedanken, Gefühle, wunder Punkt: ein Beispiel

Unterstützung geben

Zum Schluss eine Rückmeldung

In Kürze «Strategien für mehr Gelassenheit»

8

Balance, Werte und die Sinnfrage

Immer diese Entscheide!

Freiheit und Kreativitätsdruck

Übung im Risikomanagement

Werte als Orientierungshilfe

Was es bedeutet, gegen die eigenen Werte zu handeln

Eine Frage des Vertrauens

Werte zu haben bedeutet weniger Stress

Stress und die Sinnfrage

Was hat Sinn mit Stress zu tun?

Schicksalsschläge und Sinnkrisen

Sinn suchen – und eventuell finden

In Kürze «Balance, Werte und die Sinnfrage»

&

Anhang

Nützliche Links

Selbsttests und Entspannungsübung

Quellen

Stichwortverzeichnis

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser

Gibt es in Ihrem Umkreis Menschen, die sich kaum je aus der Ruhe bringen lassen und gegen Stress immun zu sein scheinen? Und gehören Sie selbst eher zu denjenigen, denen es nicht so einfach gelingt, Kritik wegzustecken, sich selbst Wertschätzung zu geben oder einen Misserfolg zu verdauen – also zu denjenigen, die oft unter Stress leiden?

Wenn Sie Ihre Resilienz stärken und entspannter werden möchten, dann ist dieses Buch für Sie. Wir beleuchten Stress als komplexen und vielschichtigen Vorgang, dem Sie nicht ohnmächtig ausgeliefert sind, auch wenn es zunächst so scheint. Tatsache ist, dass es fast immer einen Spielraum gibt, den Sie zu Ihren Gunsten nutzen können. Diesen Spielraum möchten wir mit Ihnen zusammen ausweiten.

Seit der Ersterscheinung dieses Ratgebers hat sich die Welt verändert: Kriegsschauplätze sind näher gerückt, Social Media animieren pausenlos zu unheilvollen Vergleichen und die digitale Vernetzung sorgt für Erreichbarkeit rund um die Uhr. Die Arbeitswelt ist schneller und unberechenbarer geworden, eine stetige Herausforderung für unsere innere Balance. Doch ebenso häufig wird Stress von Mini-Ereignissen ausgelöst. Sie treffen wunde Punkte und befeuern unsere negativen inneren Stimmen.

Stress geht somit häufig tiefer, als es auf den ersten Blick scheint. Wir zeigen Ihnen, wie Sie in solchen Fällen den Dingen auf den Grund gehen und Gegensteuer geben können. Und wir begleiten Sie dabei, vermeidbaren Stress auch wirklich zu vermeiden und unvermeidbaren Stress erfolgreicher zu bewältigen.

Wir bieten in diesem Ratgeber Tipps, Selbsttests und Anleitungen zur Reflexion. Unser wichtigstes Anliegen ist jedoch, dass Sie verstehen, wie Stress überhaupt entsteht. Denn dann wird es Ihnen gelingen, Strategien für mehr Gelassenheit zu entwickeln. So werden Sie stark gegen Stress.

Guy Bodenmann und Christine Klingler Lüthi

März 2025

1 Mehr Spielraum

Gestresst zu sein ist die zeitgenössische Befindlichkeit schlechthin. Doch sind Sie dem Stress nicht hilflos ausgeliefert. Denn Stress ist ein vielschichtiges Phänomen, dem Sie in ebenso vielschichtiger Weise begegnen können.

Das Modell des Stresshauses

Ein einsames Haus auf einer Klippe am Meer – oder ein kleines Stadthaus in einem netten Quartier? Lassen Sie Ihre Fantasie spielen. Denn eins ist Ihr Stresshaus sicher nicht: gewöhnlich.

Dieser Ratgeber verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, der sich nicht allein auf die konkrete Handlungsebene beschränkt, sondern tiefer zu gehen versucht. Stress beruht auf einer Verzahnung von äusseren Ereignissen, inneren Reaktionen und Persönlichkeitsmerkmalen – dieser Gedanke steht im Fokus. Die äussere Welt mit ihren Anforderungen lässt sich oft genug kaum beeinflussen, die persönlichen Reaktionen darauf hingegen schon. Hier kann jede und jeder Einzelne aktiv werden, den eigenen Spielraum abstecken und hoffnungsvollerweise erweitern.

Widerstandskraft, Wind und Wetter

Das Modell des Stresshauses, dem Sie in diesem Ratgeber begegnen, steht für Ihre Widerstandskraft gegen Stress. Stellen Sie sich vor, dass Ihr Stresshaus Ihrer gesamten Persönlichkeit und Ihren Kompetenzen mit all ihren Schattierungen entspricht. Stellen Sie sich weiter vor, dass der Stress die Form unterschiedlichster Witterungseinflüsse annimmt: Wind in verschiedenen Stärken, vom Säuseln bis zum Orkan; Wasser in Form von Regen, Hagel, Schnee, vielleicht sogar Sturmfluten oder Lawinen; Erdbeben, die manchmal kaum wahrnehmbar, manchmal aber im eigentlichen Sinn des Wortes erschütternd sind. All diesen Einflüssen ist Ihr Stresshaus ausgesetzt; sie repräsentieren Stress in seinen verschiedenen Schattierungen und Intensitäten im Alltag und in Ihrer Biografie. Und manchmal kommt ein Unwetter nicht allein; dann wirken viele Kräfte gleichzeitig auf Ihr Stresshaus ein.

Warten und pflegen

Wer für einen regelmässigen Unterhalt seines Stresshauses sorgt, stellt sicher, dass es nicht verlottert oder anfängt, Schwachstellen zu entwickeln, die zerstörerischen Witterungseinflüssen leichtes Spiel bieten. Viele Wartungsarbeiten können Sie selber erledigen, einiges können Sie auch selber reparieren, zum Beispiel anhand dieses Ratgebers; für anderes brauchen Sie möglicherweise die Unterstützung von Fachpersonen. Wie bei Unterhaltsarbeiten an einem gewöhnlichen Haus kann man nicht alles selber bewerkstelligen, doch grössere Reparaturen können durch eine gute Pflege des Hauses vermieden oder minimiert werden. Ein gut gebautes, solides Haus kann durch Stützen weiter stabilisiert werden. Einige davon zeigen wir in diesem Buch auf.

Gestalten Sie Ihr individuelles Stresshaus in Ihrem persönlichen Stil, sodass es sicher und stabil ist.

Ungewöhnliche Architektur

Das Stresshaus ist kein 08/15-Haus mit klar getrennten Stockwerken und Räumen; es ist im Gegenteil in besonderer Weise verschachtelt und komplex angelegt. Weder die Etagen noch die Räume sind strikt voneinander abgetrennt, sondern alle Ebenen gehen ineinander über und sind ineinander verzahnt. Es gibt Zwischenebenen, Durchgänge und Treppenverbindungen an Orten, wo man sie kaum erwarten würde. Und jeder Raum ist auf mehr oder weniger direkte Weise mit den meisten anderen Räumen verbunden.

Es ist ein Haus, in dem alles mit allem zusammenhängt, eine Glanzleistung der Architektur, kühner als alle Bauten von Häusern, die Sie kennen. Ihr Stresshaus ist etwas Besonderes, eine Schöpfung spezieller Art. Es repräsentiert Sie.

HINWEIS | Individuelles Design Ein gutes Stresshaus ist kein Fertigbau, der in wenigen Wochen hochgezogen wird. Es ist ein über Jahre solide aufgebautes, sorgfältig unterhaltenes, von Leben erfülltes Haus, an dem der Bewohner, die Bewohnerin immer mal wieder Veränderungen und Anpassungen vornimmt; ein Haus, das in allen Räumen die ganz individuelle Persönlichkeit des Besitzers, der Besitzerin und seine, ihre Kompetenzen widerspiegelt.

Was die Stockwerke repräsentieren

Stellen Sie sich Ihre Widerstandskraft gegen die Witterungseinflüsse als Haus mit mehreren Stockwerken vor, von denen jedes eine bestimmte Funktion in Ihrem Umgang mit Stress hat. Wie bei einem Gebäude kommen nicht nur Einflüsse von aussen zum Tragen, sondern auch im Innern des Hauses kann es zu Funktionsstörungen, Verschleisserscheinungen, Materialermüdung und Schäden kommen. Es gilt also, drinnen und draussen anzusetzen.

INFO | Solides Innenleben Nur darauf zu achten, dass die Fassade gut ausschaut, reicht nicht, um Stress wirksam zu bewältigen. Im Gegenteil, dies ist gefährlich.

Das Fundament für Stabilität

Das Fundament eines Hauses ist massgebend für dessen Stabilität und für die Qualität aller weiteren Stockwerke. Es entspricht beim Menschen dem Selbstwert. Dieser wird im Wesentlichen in den frühen Kinderjahren und in der gesamten späteren Lerngeschichte einer Person ausgebildet. Zu dieser Lerngeschichte gehören positive und negative Erfahrungen, die jemand in Bezug auf den Stellenwert macht, den man bei anderen – insbesondere bei den Eltern – hat; dazu gehören auch Erfahrungen eigenen Wirkens, Erfahrungen von Erfolgen und Misserfolgen in verschiedenen Lebensbereichen und Rückmeldungen dazu von wichtigen Bezugspersonen (Eltern, Lehrpersonen, Freunden, Geschwistern, Verwandten).

Für das Stresserleben ist dieses Fundament entscheidend (siehe Kapitel 4, Seite 95): Ein guter Selbstwert und eine realistische Einschätzung der eigenen Einflussmöglichkeiten (internale Kontrollüberzeugung, Selbstwirksamkeitserwartung) verleihen psychische Stabilität und Stressresistenz – sie sind wirksame Puffer gegen Stress und geben einem das Urvertrauen, dass man durchhalten und es schaffen wird.

HINWEIS | Zentraler Selbstwert Wer aus welchen Gründen auch immer seinen Selbstwert nicht vorteilhaft entwickeln konnte und sich häufig unsicher, ängstlich, überfordert, ohnmächtig und ausgeliefert oder wertlos fühlt, der ist leider anfälliger für Stress. Aber dagegen kann man etwas tun.

Im ersten Stock: Wertschätzung und Anerkennung

Der Selbstwert hat viel mit eigener und fremder Wertschätzung zu tun. Gleich oberhalb des Fundaments, im ersten Stock, sind daher Wertschätzung und Anerkennung angesiedelt. Die zentralen Fragen hier sind, ob eine Person sich selber Wertschätzung entgegenbringen kann und ob sie im Alltag von anderen Wertschätzung erfährt, die sie für sich verbuchen kann und die ihr guttut, etwa vom Partner, von der Partnerin; von Vorgesetzten, von Arbeitskolleginnen und -kollegen; von Menschen, die ihr wichtig sind (Freunde, weitere Familie, Bekannte).

INFO | Wertschätzung zählt Selbstwert und Wertschätzung sind eng ineinander verzahnt. Denn ob jemand sich selber Wertschätzung entgegenbringen und die Wertschätzung anderer für sich «verbuchen» kann, hängt direkt mit dem Selbstwert zusammen (mehr dazu auf Seite 112).

Im zweiten Stock: das aktuelle Befinden

Auf der zweiten Wohnebene sind drei Elemente angesiedelt: Ihre Leistungsfähigkeit, Ihre Liebesfähigkeit und Ihre Genussfähigkeit. Sind diese drei Funktionen intakt, so ist ein Mensch psychisch und physisch gesund und gut gerüstet gegen Stress. Dieser kann angemessen bewältigt werden und führt weniger häufig zu Störungen und Ausfällen in den drei Bereichen. Andererseits kann Stress alle drei Bereiche beeinträchtigen, einzeln oder zusammen.

Der zweite Stock des Stresshauses repräsentiert die aktuelle Verfassung einer Person, ihr allgemeines Befinden. Tatsächlich kann man auch mit einem geringen Selbstwert als Fundament im Alltag eine einigermassen gute Funktionsfähigkeit erreichen – sofern man über ausreichend Kompetenzen und Ressourcen verfügt, die gewissermassen kompensatorisch wirken.

Das Stresshaus

Elektrizität

Sie steht für die Bedeutung von Motivation und Engagement im Zusammenhang mit Stress.

Wasserversorgung

Sie symbolisiert Zeit, ein Faktor, der Stress verstärkt oder vermindert.

Heizungsrohre

Freizeitaktivitäten und Erholungsmomente wirken stressausgleichend und sind durch die Heizungsrohre repräsentiert.

Im dritten Stock: Kompetenzen, Ressourcen, Strategien

Im dritten Stock sind Ihre Kompetenzen lokalisiert, die praktischen Ressourcen, die Ihnen im Umgang mit Stress und anderen Herausforderungen zur Verfügung stehen. Hierbei handelt es sich einerseits um Ihren Stressbewältigungsstil, aber auch um Ihre situativ verfügbaren Strategien und aktuellen Bemühungen um ein gesundes und erfüllendes Leben. Konkret geht es hier um Ihre Fähigkeiten, sich gegen vermeidbaren Stress zu schützen und bei nicht vermeidbarem Stress angemessen zu reagieren, aber auch um andere Kompetenzen (Emotionsregulation, Sozialkompetenzen), die im Leben wichtig sind.

HINWEIS | Toolbox gegen Stress Das dritte Stockwerk entspricht Ihrem Stressbewältigungsrepertoire in all seinen Facetten. Dieses Repertoire kann trainiert und ausgebaut werden. Gute Kompetenzen helfen, andere Schwachstellen des Hauses auszugleichen.

Im Dachstock: Werte und die Sinnfrage

Der Dachstock schliesslich entspricht weiteren wichtigen Komponenten bei der Entstehung und dem Erleben von Stress, nämlich Ihren persönlichen Werten und Ihrer Sinnstiftung in Bezug auf Alltagssituationen, aber auch ganz generell auf Ihren Lebensentwurf. Welche Rolle spielen Werte und Sinnhaftigkeit, und welche Ressourcen bieten sie im Zusammenhang mit Stress?

Bei den einen ist der Dachstock besonders wichtig, ein Herzstück des Hauses und ein Refugium, das inneren Halt und Orientierung bietet. Andere betreten ihn fast nie – im Modell des Stresshauses bedeutet das, dass sie eine geringe Wertorientierung haben und als unbedeutend erleben. Ein vernachlässigter Dachstock taugt wenig als Ressource im Umgang mit Belastungen, denn Orientierungslosigkeit bezüglich Werten kann zu zusätzlichem Stress führen.

Im Stresshaus hat jede Ebene ihre spezifische Funktion – in der Summe ergeben die Kompetenzen die Stressresilienz.

Leitungssystem: Engagement, Zeit, Erholung

Durchs ganze Haus hindurch zieht sich wie der lebenswichtige Blutkreislauf im Körper ein System von Leitungen und Rohren. Heizungsrohre, Stromkabel und Wasserleitungen machen das Haus erst bewohnbar und speisen es mit lebenswichtigen Energien. Das Leitungssystem versinnbildlicht all das, was es braucht, damit Sie im Alltag angemessen funktionieren und dem Stress die Stirn bieten können:

Die Elektrizität steht für Motivation und Engagement – Faktoren, die stressreduzierend wirken.

Die Wasserversorgung steht als Symbol für die Zeit – Zeit, die Sie für sich und für andere Menschen aufwenden, sei es für die Familie oder Freunde oder für sonstige soziale Aktivitäten.

Die Heizungsrohre repräsentieren Freizeitaktivitäten und Erholungsmomente, die Sie brauchen, um gesund und stressresistent zu bleiben: Hobbys, Entspannung, Genuss.

Blitzableiter für Notfälle

Dass ein Blitz einschlägt und eine Verwüstung anrichtet, ist selten. Doch gerade für solche Notfälle braucht es den Blitzableiter: unterstützende Fachpersonen (Ärztin, Psychotherapeut, Seelsorgerin, andere professionelle Vertrauenspersonen), bei denen man die Sorgen und Nöte abladen kann, wenn sie die eigenen Bewältigungsressourcen übersteigen. Sie helfen, das Haus instand zu halten oder es wieder auszubessern. Blitzschläge können schwere Schicksalsschläge sein, aber auch eine akute Stressentladung, wenn einem auf einmal alles zu viel wird.

Sorgfältiger Unterhalt

Im und am Haus gibt es immer etwas zu tun; es ist nicht ein für alle Mal gebaut und bleibt in Ewigkeit unverändert bestehen. Das ist auch gut so, denn es bedeutet, dass Sie auf allen Ebenen Ihres Stresshauses immer wieder etwas ausbessern und optimieren können:

Nehmen Sie sich ausreichend Zeit für sich, zur Regeneration, für Ihre Partnerschaft, für die Pflege von Freundschaften? → Prüfen Sie die Ausstattung des zweiten Stockwerks Ihres Hauses und verbessern Sie sie gegebenenfalls. Anregungen finden Sie auf

Seite 136

.

Können Sie die Komplimente Ihrer Umgebung nicht ernst nehmen? Grämen Sie sich über jedes kritische Wort? Haben Sie öfters das Gefühl, den Geschehnissen des Lebens einfach ausgeliefert zu sein, ohne selber etwas verändern zu können? → Ihr Fundament braucht Unterstützung. Es gilt, den Unterbau mit geeigneten Massnahmen zu stabilisieren und den eigenen Handlungsspielraum zu erweitern. Mehr zu den zentralen Themen Selbstwert, Kontrollüberzeugungen und Wertschätzung sich selbst gegenüber siehe

Kapitel 4

und

5

.

Kommen die schönen Dinge des Lebens bei Ihnen genügend zum Zug? → Es ist gar nicht so schwierig, das Zimmer der Genussfähigkeit besser auszustatten. Ideen finden Sie ab

Seite 139

.

Fühlen Sie sich häufig ausgelaugt, dem Alltagsstress ausgeliefert? Machen Ihnen Kleinigkeiten das Leben schwer? → Lesen Sie ab

Seite 167

, wie Sie Ihre Stressbewältigungskompetenzen verbessern können.

Wie steht es um Ihre Leistungsfähigkeit? → Wünschen Sie sich dazu Impulse, dann lesen Sie ab

Seite 128

.

Welche Rolle spielen Werte oder die Sinnfrage bei Ihnen? → Falls Sie motiviert sind, sich mit diesen Themen im Zusammenhang mit Stress auseinanderzusetzen, dann lesen Sie ab

Seite 241

.

Alle Stricke reissen? → Falls Sie einen Blitzableiter in Gestalt einer unterstützenden Fachperson benötigen, geben wir Ihnen auf

Seite 207

einige Tipps, wie Sie eine geeignete Person finden.

Dieser Ratgeber soll Ihnen helfen, herauszufinden, auf welcher Etage in Ihrem Stresshaus Handlungsbedarf besteht. Sie werden hier keine einfachen Tipps und Ratschläge für behelfsmässige Reparaturen finden. Dieses Buch versucht, den fundamentalen Ursachen für Stress nachzugehen, weil es für eine nachhaltige Stressbewältigung dort anzusetzen gilt. Hier finden Sie Vorschläge, was Sie konkret unternehmen können, wenn Sie in Ihrem Stresshaus Schwachstellen entdecken.

HINWEIS | Stark werden gegen Stress Ihr Haus instand halten: Das ist Ihre Aufgabe, bei der wir Sie lediglich anleiten können. Die Arbeit selber können wir Ihnen nicht abnehmen. Doch sind die Wirkmechanismen und ein eventueller Handlungsbedarf erst erkannt, wirken sich stressreduzierende Veränderungen und ein anderer Umgang mit den verschiedenen Themen in allen Lebensbereichen positiv aus und machen Sie stark gegen Stress.

Des Pudels Kern: Ist jeder an seinem Stress «selber schuld»?

Die Kernaussage des modernen Stressverständnisses nach Richard Lazarus, auf dem dieses Buch aufbaut, lautet: Stress und negatives Empfinden sind Folgen der persönlichen Bewertung einer Situation. Aus dieser Annahme folgt: Jeder schafft sich letztlich viel von seinem Stress selber.

Bedeutet das, dass man die Verantwortung dafür gänzlich selber übernehmen muss, dass es eine persönliche Sache ist, wenn man unter Stress leidet? Ist diese Sicht vielleicht sogar Munition für eine innere Stimme, die sagen könnte: «Wie, du bist schon wieder gestresst? Selber schuld!»?

Die Antwort auf diese Fragen lautet: Ja und Nein. Es gibt Veränderungen in der Gesellschaft und in der Arbeitswelt, die eindeutig stressfördernd sind – von ihnen wird in verschiedenen Kapiteln dieses Ratgebers noch die Rede sein. Dazu gehören etwa ein beschleunigtes Arbeitstempo und vermehrte Unsicherheiten in der Arbeitswelt, die zunehmende Flut von Informationen aller Art, insbesondere im digitalen Bereich; die hohe Mobilität der modernen Gesellschaft, die rasanten Entwicklungen in den Bereichen Informatik, Kommunikation und Produktion; der Verlust von Verbindlichkeiten in der Gesellschaft; die Individualisierung und Selbstverwirklichung, die dem Einzelnen zwar mehr Freiheiten geben, ihm aber auch die Auflage machen, daraus nun selber ein gutes Leben zu gestalten; die Globalisierung, die Klimakrise und die Ängste, die sie hervorrufen, politische Instabilität mit Kriegen nah und fern, die steigenden Lebenshaltungskosten; die Gefahr erneuter Pandemien und viele weitere stressbegünstigende Entwicklungen. Nicht zu vergessen die Herausforderung, all die verschiedenen Lebensbereiche im Sinne der Life-Domain-Balance unter einen Hut zu bekommen und nichts zu vernachlässigen. Das tönt einfacher, als es ist, vor allem wenn strukturelle und gesellschaftliche Bedingungen es erschweren.

Das eigene Stresserleben und der persönliche Umgang mit Stress sind entsprechend in diesem grösseren Kontext zu sehen. Sie beinhalten viele Herausforderungen, die nicht selbstverschuldet sind, sondern einem von aussen auferlegt werden. Und dennoch gilt es, als Einzelner und als Einzelne, als Paar oder als Familie in diesem Gefüge ein glückliches Leben zu führen.

Gegen diese stressfördernden gesamtgesellschaftlichen Konstellationen können Sie als Einzelperson nicht viel ausrichten – viele Umstände müssen Sie annehmen oder können sie im Rahmen Ihrer Möglichkeiten nur bedingt beeinflussen. Was Sie allerdings stets tun können: sich Ihren eigenen Anteil bewusst machen und Ihren Spielraum ausnützen, um Ihre Stressresistenz aktiv zu verbessern. Die Dimensionen dieses Spielraums sind nicht bei jeder Person gleich, sie hängen von einer Vielzahl von Faktoren ab: von Ihrer Persönlichkeit, von Ihrem Umfeld, von Ihrer psychischen und physischen Gesundheit und von der genetischen Veranlagung, aber auch von Ihren finanziellen, zeitlichen und politischen Möglichkeiten. Und, ganz wichtig bei der Stressbewältigung, von Ihrer Motivation und Ihrem Engagement – kurz, von Ihrem gesamten Stresshaus.

Den Handlungsspielraum optimal nutzen

Wie Sie Ihren Handlungsspielraum ausloten und zu Ihren Gunsten nutzen können, das ist das Kernthema dieses Buches. Denn Sie sind Eigentümer, Eigentümerin Ihres Stresshauses; Sie allein können an Ihrem Gebäude Verbesserungen vornehmen. Wir können Sie lediglich dazu ermutigen und Ihnen Möglichkeiten aufzeigen.

Im nächsten Kapitel geht es darum, wie Stress entsteht und welche Faktoren unsere Reaktion darauf beeinflussen. Mit diesem Wissen können Sie sich zur Erkundung Ihres Spielraums aufmachen. Denn einen Spielraum gibt es in fast jeder Situation – und sei er noch so klein.

Stress hängt davon ab, wie Sie Ihre eigenen Ressourcen und Ihren Spielraum einschätzen.

In Kürze «Mehr Spielraum»

Ganzheitlicher Ansatz Die Widerstandskraft gegen Stress basiert auf Ressourcen und Persönlichkeitsmerkmalen. Vieles lässt sich trainieren.

Den Spielraum nutzen Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so erscheint, gibt es in fast allen Stresssituationen einen gewissen Spielraum, der sich nutzen lässt. Dieser Ratgeber zeigt entsprechende Strategien auf.

Ein Haus mit vielen Stockwerken Das Stresshaus symbolisiert die Ressourcen gegen Stress. Es besteht aus zahlreichen Stockwerken und einem Dachstock. Ein guter Unterhalt zahlt sich aus!

Selbstwert als Fundament Ein guter Selbstwert ist zentral für die Stressresilienz. Wenn der Selbstwert nicht so gut ist, wie man es gern hätte, kann man aktiv Massnahmen ergreifen, um ihn zu stärken.

Werkzeugkasten gegen Stress Strategien im Umgang mit Stress kann man entwickeln und einüben. So lassen sich Schwachstellen im Stresshaus kompensieren.

Beratung Professionelle Unterstützung ist angezeigt, wenn man in einer Stresssituation selber nicht weiterkommt oder man eine Schwachstelle im Stresshaus nachhaltig ausbessern möchte.

2 Widrigkeiten im Alltag

Natürlich gibt es die grossen Ereignisse, die uns belasten – etwa ein Verlust oder eine folgenreiche Entscheidung. Doch im Alltag sind es häufig Kleinigkeiten, die uns zusetzen. Worauf wir reagieren und wie stark, darum geht es in diesem Kapitel.

Stress früher, Stress heute

Stress gibt es in allen Lebensbereichen. Deshalb bringt es langfristig nicht viel, situativ anzusetzen. Wer hingegen den eigenen Mechanismen auf die Schliche kommt, der profitiert von dieser Erkenntnis und kann seine Stressresistenz nachhaltig stärken.

Stress ist kein neues Phänomen. Früher waren die Menschen Stress genauso ausgesetzt: enormen Belastungen wie Kriegen, Hungersnöten und Seuchen, die meist existenzieller Natur waren. Das Leben war hart, Überleben ein ständiger Kampf. In unserer modernen Gesellschaft wird Stress nicht mehr primär mit lebensbedrohlichen Situationen in Zusammenhang gebracht, sondern mit Überforderung, Multitasking, Zeitdruck, Leistungsdruck, Unsicherheiten. Das Gesicht des Stresses hat sich gewandelt, doch weniger relevant ist er nicht geworden.

Multitasking, tägliche Widrigkeiten und sozialer Vergleich

Noch nie wurde das Wort Stress so häufig in den Mund genommen wie heute – bereits Kindern und Jugendlichen kommt es ganz selbstverständlich über die Lippen, und auch ältere Menschen klagen nach der Pensionierung weiter über Stress. Stress ist ein Lebensgefühl geworden: das Gefühl, alles gleichzeitig erledigen zu müssen, nicht ausreichend Zeit zu haben, etwas zu verpassen, nicht zu genügen, überzeugt zu sein, dass andere es besser haben, schöner und erfolgreicher sind. Eine wichtige Rolle spielen hier die Social Media: Sie halten einem konstant den Spiegel vor, was andere im gleichen Alter bereits erreicht haben, wie viel fitter, hübscher, erfolgreicher und reicher sie sind. Stress hat heute sehr viel mit sozialem Vergleich zu tun.

HINWEIS | Allgegenwärtige Social Media Nicht nur für Kinder und Jugendliche, auch für Erwachsene sind Social Media zu einem hochrelevanten Stressfaktor geworden. Ihre Nutzung frisst viel Zeit, geht auf Kosten des Schlafs und verschlechtert dessen Qualität. Am folgenreichsten ist jedoch der ständige soziale Vergleich und die ständig erwartete Präsenz. Denn wer nicht sofort reagiert, ist schnell out.

Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene tauschen sich praktisch pausenlos am Smartphone aus, jedes Erlebnis wird sogleich gepostet. Man will dazu gehören, originell, kreativ und witzig sein. Was für die Jungen gilt, hat sich auch auf die älteren Generationen ausgeweitet: Kaum ist man am Ferienort angekommen, werden erste Fotos auf Facebook oder Instagram gepostet, Videos auf Tiktok veröffentlicht. Man muss ständig alles mit allen teilen. Der durch Social Media verursachte Stress begleitet einen überall hin.

Im Beruf wird oft die Verfügbarkeit rund um die Uhr erwartet. Flexible Arbeitszeiten und Homeoffice verschärfen das Phänomen. Wer nicht sogleich auf eine Mail oder SMS antwortet, gerät leicht in Verdacht, zu faulenzen anstatt zu arbeiten. Um auf der Karriereleiter weiterzukommen, muss man ständig reagieren. Eine gesunde Trennung zwischen Beruf und Freizeit fällt vor diesem Hintergrund schwer. Nie abschalten zu können ist ein Steilpass für Stresssymptome.

Die Dosis macht das Gift

Zwar gibt es immer wieder Vorkommnisse, die unvermittelt von aussen über uns hereinbrechen, zum Beispiel Klimaereignisse (Überschwemmungen, Erdrutsche, Lawinenniedergänge, Dürren), Wirtschaftskrisen (umfassender Stellenabbau, Wirtschaftskriege, Inflation usw.) oder persönliche Schicksale (Tod eines geliebten Menschen, Unfall, schwere Krankheit, Behinderung usw.). Solche Ereignisse stellen oft Zäsuren dar, sind erschütternd und erfordern hohe Anpassungsleistungen. Sie sind massive Stresserfahrungen.

Rein quantitativ betrachtet sind allerdings die sogenannten daily hassles, die täglichen Widrigkeiten, relevanter: im Stau stehen, Spannungen mit Mitarbeitenden am Arbeitsplatz, Kritik durch Vorgesetzte, Zeitdruck, Hektik, Mehrfachbelastungen, geghostet werden usw. Wie Studien zeigen, sind diese kleinen, oft banalen Ereignisse in ihren Folgen für Gesundheit und soziale Beziehungen häufig destruktiver als kritische Lebensereignisse.

HINWEIS | Daily hassles Heute stressen uns vor allem die kleineren und grösseren Widrigkeiten des ganz gewöhnlichen Alltags. Sie prägen unser Leben in der Regel mehr als kritische Lebensereignisse. Besonders schlimm ist es, wenn beide gemeinsam auftreten. Kritische Lebensereignisse und tägliche Widrigkeiten – eine solche Kumulation kann auch stressresistente Menschen überfordern.

Zwischendurch mal gar nichts tun?

Nicht nur im Beruf herrschen Hektik und Leistungsdruck; wer nicht als Langweiler, als Langweilerin gelten will oder keine «leeren» Zeiten erträgt, plant auch die Freizeit durch. Momente der Musse, des Nichtstuns sind rar und tragen vermeintlich den Makel der Faulheit, des Nichtgebrauchtwerdens, der Unwichtigkeit. Mal ehrlich: Wie gut halten Sie es aus, im Tram oder im Wartezimmer bei der Ärztin zu sitzen, ohne sich Häppchenlektüre zuzuführen oder mit dem Smartphone herumzuspielen? Wer sieht beim Zugfahren noch aus dem Fenster, liest ein Buch oder geniesst einfach das Nichtstun?

TIPP | Musse geniessen Ob Sie nun angestellt, selbständig erwerbend oder pensioniert sind, Studentin oder Hausmann: Erlauben Sie es sich, auch mal unproduktiv zu sein. Geniessen Sie solche Momente, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.

Wer nie den Anschein erweckt, von einer vollen Agenda terrorisiert zu werden, setzt sich dem Verdacht aus, weder ehrgeizig noch fleissig noch besonders interessant zu sein – dafür ganz sicher unwichtig und bedeutungslos. Wenn Sie also von sich sagen, Sie seien gestresst, schwingt möglicherweise auch die Botschaft mit, dass Sie eine unentbehrliche und besonders gefragte Person sind.

Auch Unterforderung ist Stress

«Ich bin im Stress»: Wer dies sagt, meint selten, dass er sich besonders wohl, weil motiviert und beflügelt fühlt. Allerdings: Gar keinen Stress zu haben ist auch nicht gut. Eine gewisse Dosis braucht der Mensch, sonst erlahmt der Antrieb. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass das höchste Leistungsniveau bei mittlerem Stress vorliegt. Ist der Stress zu gering, fehlt der nötige Kick für eine gute Leistung; bei zu viel Stress dagegen kommt es häufig zu Blockaden, zu Gefühlen der Überforderung und zu Fehlleistungen (Black-out). Andauernde Unterforderung ist genauso schädlich wie anhaltende Überforderung; Menschen leiden unter beiden Zuständen. Doch Stress per se ist nicht negativ, sondern wie so vieles eine Frage des guten Masses.

Weder Über- noch Unterforderung – ein gutes Mittelmass an Stress kann beflügelnd wirken.

Eine Frage der Souveränität?

Vermutlich werden Sie genau überlegen, in welchem Rahmen Sie Ihren Stress offenbaren und wem gegenüber Sie ihn mit Vorteil überspielen. Zuzugeben, dass Sie unter Stress leiden, verträgt sich schlecht mit der Ausstrahlung von Kompetenz und Souveränität im Arbeitsalltag. Erwerbstätige, die ihren Stress nicht hinter einer tauglichen Fassade versteckt halten können, müssen befürchten, als überfordert oder gar als unfähig zu gelten. Vielleicht denken sie sogar selbst, dass sie unzulänglich sind, weil sie es nicht schaffen, ihr Pensum mit links zu bewältigen. Auch Führungskräfte, die in Gegenwart der Belegschaft oder in der Öffentlichkeit Anzeichen von Anspannung zeigen, wirken wenig überzeugend, strahlen Schwäche aus. Stress zu haben ist hier verpönt; man spricht im Arbeitskontext vielmehr von «guter Auslastung», «vollem Terminkalender» usw.

HINWEIS | Eine Frage der Dosis Stress wird erst dann schädlich, wenn er chronisch und zu intensiv ist.

Dauernde Erreichbarkeit und häufige Unterbrechungen: Was im Job herausfordert

Aktuelle Studien wie die Stressstudie des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO und der jährlich veröffentlichte Job-Stress-Index von Gesundheitsförderung Schweiz belegen, dass die Belastung am Arbeitsplatz hierzulande gross ist. Rund ein Drittel der Erwerbstätigen fühlt sich emotional erschöpft und ein Viertel hat Schwierigkeiten, nach der Arbeit abzuschalten. Wichtige arbeitsbezogene und organisationale Belastungsfaktoren sind:

hohe Arbeitsintensität, Zeitdruck, u. a. mit Wochenendarbeit

arbeitsorganisatorische Probleme

Unklarheiten bezüglich der Arbeitsaufgaben, Ineffizienz

Interferenzen zwischen Arbeits- und Privatleben, d.h. eine weniger klare Abtrennung beider Bereiche (z. B. durch dauernde Erreichbarkeit)

qualitative Überforderung

mangelnde Partizipationsmöglichkeit

mangelhafte Kommunikation

dauernde Unterbrechungen

fehlende Wertschätzung

schlechte Stimmung am Arbeitsplatz

soziale Belastungen durch Vorgesetzte und Arbeitskollegen

usw.

INFO | Forderndes Arbeitsleben In der Arbeitswelt hat sich der Begriff VUCA etabliert. Das V steht für Volatilität (volatility), U für Unsicherheit (uncertainty), C für Komplexität (complexity)und A für Ambivalenz bzw. Mehrdeutigkeit (ambiguity). Es liegt auf der Hand, dass man in einer solchen Umgebung kaum entspannt arbeiten kann. Im Gegenteil, unablässige geistige Präsenz, Wachsamkeit und Flexibilität sind gefordert.

Während bei den älteren Generationen eine Vollzeiterwerbstätigkeit noch selbstverständlich war und die Erwerbstätigkeit massgeblich zur Identität beitrug, ist dies bei jüngeren Menschen, insbesondere der Generation Z (geboren zwischen 1997 und 2012) und den Millennials (geboren in den frühen 80er-Jahren bis in die späten 90er-Jahre), nicht mehr der Fall. Ihnen ist eine gute Life-Domain-Balance mit den Möglichkeiten von Teilzeitarbeit und Sabbaticals wichtig. Als Hauptgrund für einen Stellenwechsel geben Vertreterinnen und Vertreter dieser Generationen oft an, dass die Arbeit nicht erfüllend oder sinnvoll war. An zweiter Stelle wird die Höhe des Lohns genannt. Während die Generation Z eher wieder im Büro arbeiten möchte, bevorzugen die Millennials die Möglichkeit, teilweise im Homeoffice arbeiten zu können. Beide möchten jedoch die Wahl haben. Die Zeiten, in denen ein fixer Büroplatz auf einen wartet, sind jedoch in vielen Grossbetrieben vorbei, und es gilt, sich vor Arbeitsantritt einen Arbeitsplatz zu sichern. Weil Homeoffice im Rahmen der Pandemie zur Selbstverständlichkeit wurde, lässt sich Büromiete sparen, wenn man als Arbeitgeber weniger Arbeitsplätze anbietet. Der Arbeitstag beginnt mit dem Kampf um den Arbeitsplatz, könnte man überspitzt formulieren.

Auf der anderen Seite der Skala besteht bei älteren Arbeitnehmenden ein Widerspruch zwischen der aus Wirtschaftskreisen immer wieder geforderten Erhöhung des Rentenalters und ihren realen Job-Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Zwar ist die Arbeitslosigkeit im Segment der älteren Arbeitnehmenden geringer, doch wer den Job einmal verloren hat und über 50 Jahre alt ist, hat grössere Schwierigkeiten als jüngere Menschen, wieder eine Anstellung zu finden.

Dauernd auf Zack?

Zur fast unentwirrbaren Verflechtung von Privatleben und Erwerbstätigkeit tragen Smartphones und andere digitale Geräte bei, die stets zur Hand sind. Oft laufen Privates und Berufliches auf demselben Gerät, was es nach Arbeitsende erschwert, jobrelevante Nachrichten zu ignorieren. Damit sind viele Menschen dauernd erreichbar: für die Chefin, die Arbeitskollegen, die Kinder, die pflegebedürftigen Eltern, Freunde und Freundinnen in Not. Der Impuls, jede angezeigte neue Nachricht gleich zu lesen, ist stark, der sofortige Griff zum Gerät für viele zur Gewohnheit geworden. Manche Menschen werden gar nervös und unruhig, wenn sie nicht online sein können. Innerlich ist man stets in Alarmbereitschaft: Könnte der Vorgesetzte an der morgigen Präsentation noch etwas anzumerken haben? Hat die Arbeitskollegin die Unterlagen gefunden, die ich morgen als Erstes brauche? Geht es meinem schüchternen Kind gut in der Kita? Klappt die Verabredung mit meiner viel beschäftigten Freundin? Diese innere, vielleicht kaum wahrnehmbare Alarmbereitschaft fördert Stress.

Während einige Grossbetriebe Massnahmen treffen, um ihre Arbeitnehmenden vor dem unablässigen Einsickern des Jobs in die Nicht-Arbeitszeit zu schützen (z. B. E-Mail-Sperre am Wochenende), bleiben die meisten Erwerbstätigen für Digital-Detox-Massnahmen auf sich selbst gestellt. Es bedarf eines aktiven Entscheides, nicht jede Nachricht sofort zu lesen und nicht gleich zu reagieren. Wenn man dies nicht hinkriegt, ist es am einfachsten, das Gerät zeitweise wegzulegen. Die digitale Abstinenz während gewisser Zeiten einzuüben ist eine wirksame Anti-Stress-Massnahme.

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Stets zuvorkommend: das Freundlichkeitsdiktat

Das Freundlichkeitsdiktat bedeutet, dass man nach aussen Gefühle zeigen muss, die mit den wahren inneren Empfindungen nicht übereinstimmen. Sie fühlen sich vielleicht nicht besonders fit, etwas bedrückt oder beschäftigt Sie – und trotzdem müssen Sie lächeln und freundlich und hilfsbereit sein.

HINWEIS | Freundliche Fassade Es braucht unheimlich viel Energie, sich nach aussen souverän, kompetent und zuvorkommend zu geben, wenn man sich innerlich angespannt fühlt. Diese sogenannte emotionale Dissonanz – das Auseinanderklaffen von innerem Empfinden und den nach aussen gezeigten Gefühlen – ist hoch belastend.

Das Freundlichkeitsdiktat hat an Bedeutung gewonnen, seit sich die Arbeitswelt weg von der Produktionsgesellschaft und hin zur Dienstleistungsgesellschaft entwickelt hat. Kundenorientierte Arbeitstätigkeiten und personenorientierte Dienstleistungen erfordern, dass Angestellte stets zuvorkommend auf die Bedürfnisse anderer Menschen eingehen, sich selber zurücknehmen, die eigenen Ansichten, Gefühle und Befindlichkeiten hintanstellen – auch wenn sie sich nicht danach fühlen. Ein übermässiges Freundlichkeitsdiktat führt häufig zum Gefühl, emotional verbraucht zu sein, und dieses Gefühl wiederum ist ein ernsthaftes Warnsignal für ein Burn-out (mehr zu diesem Thema siehe Seite 119).

Vorteilhafte Arbeitsbedingungen

Es gibt in der Arbeitswelt auch Bedingungen, die dem Stresserleben erwiesenermassen entgegenwirken bzw. vor Stress schützen. Dazu zählen insbesondere ein gewisser Handlungs- und Zeitspielraum sowie ein günstiges Verhalten der Führungsperson, das einem diesen Spielraum zugesteht. Wichtige Aspekte dabei sind:

Mitspracherecht bei der Auswahl von Personen, mit denen man zusammenarbeitet