Stärke - Florian Wildgruber - E-Book

Stärke E-Book

Florian Wildgruber

5,0

Beschreibung

Wir schreiben das 21. Jahrhundert. Die Welt steht uns offen. Wir haben alle Möglichkeiten. Wir können alles auf Knopfdruck haben, sofort und perfekt an die eigenen Wünsche angepasst - das Päckchen von Amazon, die Serie auf Netflix und selbst der passende Partner sind nur einen Wisch entfernt. Wir haben gelernt den Gipfel zu bewundern, ohne dabei den Berg zu besteigen. Doch auch in diesen Zeiten gibt es etwas, für das wir den Weg erst gehen müssen - echte, tiefe Beziehungen zu anderen und eine starke Persönlichkeit. Florian Wildgruber zeigt Dir mit seinem Buch, wie Du Deine persönlichen Stärken erkennst und richtig einsetzt und das Beste aus Dir herausholst - ganz egal, wie Deine Ausgangsvoraussetzungen auch sind. Mit einer einzigartigen Mischung aus bewegenden Geschichten und wissenschaftlichen Belegen bringt Dich dieses Buch zum Lachen, Weinen und Nachdenken. Es hilft Dir dabei, Dich auf Deinen ganz persönlichen Weg zu machen und endlich der zu werden, der Du schon immer sein wolltest.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 175

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
5,0 (24 Bewertungen)
23
1
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Vorwort

Kein Selbsthilfebuch

Potenzial – Unser Licht zum Leuchten bringen

Umfeld – Wenn Dich jemand ignoriert, dann störe ihn nicht dabei

Ziele – Das Wichtigste am Training ist, dass es stattfindet

Leistung – You are an Ironman

Leichtigkeit – Hang loose

Rückschläge – Niemals aufgeben. Nie, nie, nie!

Entwicklung – Ziel erreicht und dann?

Danke!

Deine Schritte zu mehr Stärke

Über den Autor

Vorwort

Im Jahr 1998 hatte ich eine Schaffens- und Lebenskrise. Ich war kurz davor, meine Habilitation abzubrechen und damit meine wissenschaftliche Karriere aufzugeben. Neben den Zweifeln an der Wissenschaftlichkeit meiner Arbeit kam eine Partnerschaft, die mich unglücklich machte, und auch um meine Fitness war es nicht zum Besten gestellt. In dieser Phase meldete ich mich zum Ironman Switzerland an ohne recht zu wissen warum. Ich wusste lediglich, dass es mich reizte und dass ich es tun musste: »Age quod agis!« In der Vorbereitung auf diese große Herausforderung folgte ich intuitiv den fünf Schritten, die Florian in seinem Buch empfiehlt:

Keep going: Ich trat dem ortsansässigen Fitness Center bei und ging während der Wintermonate 3- bis 4-mal pro Woche ins Spinning und zum Schwimmen, um wieder fit zu werden.

Talk about it: Ich erzählte es Familie, Freunde und Kollegen, um den Grad der Selbstverpflichtung zu erhöhen. Damals war der Ironman noch nicht so bekannt und populär wie heute. Auf mein Vorhaben erntete ich bestenfalls ein müdes Lächeln oder Unverständnis. Von vielen wurde ich schlichtweg als Spinner abgetan.

Emotionen: Im Spinning gab es ein Lied, das mich in Hochstimmung versetzte und bei dem ich mir immer vorstellte, wie ich die Schweizer Bergpässe erklimme und erfolgreich auf dem Gipfel ankomme.

Naivität: Ich hatte keine Ahnung, was auf dem Weg zum Ironman alles auf mich zukommen würde und ich denke, das war auch gut so, denn sonst hätte ich das Vorhaben möglicherweise gar nicht in Angriff genommen.

Mentoring: Im Fitness-Club fand ich einen Trainer und Triathleten, der bereits einen Ironman gemacht hatte. Als er mich beim ersten mal mit ca. 7 bis 8 kg Übergewicht sah, meinte er nur »Mutig!«, aber dann nahm er mich unter seine Fittiche und zeigte mir, wie man richtig trainiert und das Material präpariert. Als einer der wenigen hat er in dieser Phase an mich geglaubt und mich unterstützt. Wir sind bis heute beste Freunde.

Das regelmäßige Ausdauertraining für den Ironman hat nicht nur die Pfunde schwinden lassen, sondern mir auch viel Energie für die Habilitation gegeben und neues Selbstbewusstsein vermittelt. Eine gute Kollegin und Freundin meinte später, dass ich mich damit wie Münchhausen am eigenen Schopf gepackt und aus dem Sumpf gezogen habe. In den Folgejahren wurde der Triathlon für mich ein Stück Lebenseinstellung und -philosophie. In der Zwischenzeit habe ich 23 Ironman auf vier verschiedenen Kontinenten in meinem Leben bestritten und gefinisht. Der ultimative Höhepunkt war der Ironman in Hawaii 2016, in dem ich zusammen mit Florian am Start stand und nach 15 Stunden glücklich ins Ziel lief.

Ich kenne Florian bereits seit 7 Jahren aus dem Fitness-Studio. Ich habe erlebt, wie er sich von einem jungen Bachelor- und Masterstudenten der Fitnessökonomie zu einer herausragenden Persönlichkeit entwickelt hat, die andere Menschen in hohem Maß inspirieren und motivieren kann. Mit dem Triathlon hat er sich einen Traum erfüllt und viele interessante Erfahrungen mit Höhen und Tiefen gesammelt, die ihn haben reifen lassen. Als Sportler besitzt er die seltene Gabe, seine Gedanken und Gefühle gut ausdrücken zu können. Ich bin mir sicher, dass Sie sein Buch mit Freude lesen und seine Vorträge mit großem Gewinn hören werden.

Prof. Dr. Frank-Martin Belz Freising, Oktober 2017

Kein Selbsthilfebuch

Als ich am 8. Oktober 2016 um 16:58 Uhr über die Ziellinie des Ironman Hawaii lief, ging für mich nicht nur ein großer Lebenstraum in Erfüllung. Es war vielmehr die bestandene Meisterprüfung nach einer jahrelangen Lehre, in der mir nicht nur beigebracht wurde, wie Triathlon funktioniert, sondern vor allem, wie man das Beste aus seinem Potenzial macht – egal wie die Ausgangssituation sein mag. Für mich war der Triathlon der ehrlichste und beste Weg herauszufinden, wer ich wirklich bin und was ich wirklich kann. Auch das Motto des Wettkampfes 2016 passte für mich wie die Faust aufs Auge. Das hawaiianische Wort Kupaá – was so viel bedeutet wie »die Stärke standhaft zu bleiben, an sich zu glauben und sich selbst und anderen gegenüber loyal zu sein« – hätte es für mich nicht besser ausdrücken können. Denn es ist eine der größten Herausforderungen, auf einem steinigen Weg nicht nur an seine Stärken zu glauben, sondern sich von anderen nicht vom Weg abbringen zu lassen.

Eines vorweg: Dieses Buch ist keine Anleitung zum Glücklichsein und auch kein Leitfaden, der für alle funktioniert. Vielmehr ist es ein großes Buffet, und Du solltest Dir einfach das herauspicken, was Dir weiterhelfen könnte. Denn wenn ich auf mein bisheriges Leben zurückblicke, dann waren es selten langweilige Theorien, die mich beflügelt und motiviert haben. Vielmehr waren es die Geschichten anderer Menschen, die mir Mut gemacht und Hoffnung gegeben haben, für das zu kämpfen, was mir wichtig ist, und das Beste aus meinem Leben zu machen.

In »Good Will Hunting«, einem meiner absoluten Lieblingsfilme, spielt Matt Damon den Kleinkriminellen Will Hunting, der sich aber im Laufe des Films als Jahrhundertgenie herausstellt. Auf der einen Seite ist er allen anderen intellektuell überlegen, auf der anderen Seite hat er massive Probleme, im Leben auf die richtige Spur zu kommen. Robin Williams, der in diesem Film den Psychiater Sean Maguire spielt, soll ihm helfen, sein Leben in den Griff zu bekommen. Dabei fungiert er weniger als Lehrmeister, der kluge Ratschläge gibt, sondern eher als Coach, der ihn dabei unterstützt, das Beste aus seinen Fähigkeiten zu machen, indem er ihm regelmäßig einen Spiegel vorhält. Als Will, der sich seiner Fähigkeiten durchaus bewusst ist, Sean zum wiederholten Male verbal angreift, kontert dieser mit folgender Aussage: »Du bist ein Genie, keine Frage, das zweifelt keiner an. Dir kann niemand auch nur annähernd das Wasser reichen. Mir persönlich aber ist das scheißegal. Denn weißt du was: Ich kann von dir nichts erfahren, was ich nicht auch in irgendeinem Scheißbuch nachlesen könnte. Es sei denn, du erzählst über dich selbst. Wer du bist. Das würde mich faszinieren. Da bin ich dabei.« Ich habe in meinem Leben nur dann von anderen Menschen Ratschläge angenommen, wenn ich wusste, dass diese Person weiß, wovon sie spricht. Für mich ist das der Glaubwürdigkeitsnachweis, den ich brauche, bevor ich mich entscheide, das Ganze selbst auszuprobieren. Alle Tipps und Vorgehensweisen, die ich in diesem Buch niedergeschrieben habe, habe ich selbst immer und immer wieder angewandt. Ich sage Dir offen und ehrlich, dass nicht alles in diesem Buch für Dich funktionieren wird. Es gibt nie den einen Weg, der für alle gleich gut funktioniert, weder im Sport, noch in der Ernährung oder bei der Gesundheit. Wer das Gegenteil behauptet, ist auf dem besten Weg, seinen Lesern einen Bären aufzubinden. Es steht mir nicht zu, Dich Deiner wertvollen Zeit zu berauben, indem ich behaupte, dass mein Weg der einzig wahre ist. Ich kann Dich nur mit meiner Story und meinen Erkenntnissen inspirieren, ebenfalls das Beste aus Deinen Fähigkeiten zu machen. Daher bilden kurzweilige Geschichten, die ich mit den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen untermauert habe, das Herzstück dieses Buches. Erwarte also keine langweilige Theorien oder Instant-Motivation. Du kannst alles direkt in Deinem Alltag umsetzen. Denn an Lehrbüchern orientiert sich die Potenzialentwicklung garantiert nicht.

Ich wünsche Dir schon jetzt viel Spaß bei der Lektüre meines Buches. Du wirst überrascht sein, wie viel in Dir steckt! Erfahre, welche Stärke Du wirklich hast, und bring Dein Potenzial zum Strahlen!

Herzlichst, Dein Florian Wildgruber Freising, im Oktober 2017

1. Potenzial – Unser Licht zum Leuchten bringen

Es ist der 8. Oktober 2016, 6:55 Uhr, Kailua Kona, Big Island auf Hawaii. Ich stehe an der Startlinie des Ironman Hawaii. Links von mir geht langsam über der Bucht die Sonne auf. Direkt vor mir brechen nach und nach gut ein Meter hohe Wellen am Strand. Zwei Kilometer weit draußen sehe ich ein kleines Schiff im Pazifik, zu dem ich gleich hinausschwimmen werde, und rechts von mir ertönt eine Stimme aus dem Lautsprecher. »One minute to go. One minute to racestart.« Ich gehe noch einmal kurz in mich. Ich schließe meine Augen. Ich spüre die Gänsehaut auf meinen Unterarmen und bin nur nicht ganz sicher, ob aus Angst oder vor Freude. Ich rede mir selbst gut zu: »Genieß es. Genieß diesen Tag, auf den Du Dich sieben Jahre lang vorbereitet hast.« Ich gehe noch einmal die letzten Schritte vor dem Start durch. Schwimmbrille zurechtrücken. Lachen und dann ertönt der legendäre Kanonenschlag. The race is on. Die Reise beginnt.

Kailua Kona, Big Island Hawaii am 8. Oktober 2016

Für viele ist ein Ironman der Inbegriff für Schmerzen, Leiden und Qualen. Für mich bedeutet er noch viel mehr. Für mich ist es die höchste Form des Masochismus, wenn man sich da an die Startlinie stellt, obwohl man weiß, was da draußen auf einen zukommt. Darüber hinaus ist der Ironman für mich die beste und ehrlichste Art, mein persönliches Potenzial zu entdecken. Ja, ich weiß, wer spielt schon gerne ein Spiel, bei dem es umso wahrscheinlicher wird zu sterben, je länger es dauert? Doch tatsächlich spielen wir alle jeden Tag ein solches Spiel, ein Spiel namens »Leben«. Sind wir nicht eigentlich alle hier auf dem Mutterschiff Erde, um aus jedem Tag und vor allem aus uns selbst das Beste zu machen? Wir versuchen, jeden einzelnen Bereich unseres Lebens zu optimieren: das Essen, den Sport, den Schlaf. Alles soll perfekt sein. Doch an eine Sache trauen sich die wenigsten wirklich heran: die eigenen Stärken und das eigene Potenzial.

Eigentlich stehen uns in der heutigen Zeit alle Türen offen, unsere Stärken zur Entfaltung zu bringen, aber anstatt durch die Türen hindurchzugehen, bleiben wir beim Eigentlich. Wenn überhaupt, wagen wir nur einen kurzen Blick hinein, um uns dann wieder auf den Flur zurückzuziehen. Die Sehnsucht und die Hoffnung, dass sich schon alles irgendwie von alleine ändern wird, bleiben jedoch. Doch schon Albert Einstein sagte: »Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.« So beschließen manche zwar einmal pro Jahr, nämlich am 31. Dezember, dass sie im neuen Jahr endlich anfangen möchten, etwas aus ihrer Zeit zu machen. Doch noch in derselben Nacht betäuben sie sich dann so mit Alkohol, dass sie am nächsten Morgen bereits vergessen haben, was sie eigentlich ändern wollten. Die großen Vorhaben bleiben mal wieder nichts als traurige Konjunktive, die aber zumindest mit der Hoffnung geschmückt werden, dass wir ja noch Zeit haben.

Eines Tages, Baby

Im Jahr 2013 sorgte die damals erst 21-jährige Studentin Julia Engelmann durch ihren Auftritt bei einem Poetry-Slam für großes Aufsehen. Aus dem Songtext von One Day/Reckoning Song zauberte sie ein Gedicht, mit dessen Tiefe sie ein Millionenpublikum berührte. In ihrem Text geht es genau um das oben beschriebene Phänomen – dass wir viel zu viele Sachen immer und immer wieder aufschieben. »Eines Tages werden wir alt sein, und an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können.« Mittlerweile hat das Video knapp 11 Millionen Aufrufe auf Youtube, und es werden jeden Tag mehr. Es ist nicht nur die Art und Weise, wie sie dieses Gedicht vorträgt, das sie so berühmt gemacht hat, sondern vor allem die Tatsache, dass sich so viele Menschen darin wiedererkennen. Wer das Video noch nicht gesehen hat, soll das unter folgendem Link dringend nachholen, es lohnt sich!

https://www.youtube.com/watch?v=DoxqZWvt7g8&t=2

Jeder von uns trägt diese Fähigkeit in sich, etwas aus seinem Potenzial zu machen. Wir wurden damit »auf die Reise geschickt«. Ein Kleinkind erlebt den ganzen Tag über immer wieder eine Vielzahl neuer Sachen. Es probiert aus. Es steht auf. Es fällt hin. Es weint und es lacht. Es erlebt alle möglichen Gefühlszustände und lernt dabei sich und seine Fähigkeiten kennen. Irgendwann wird dann ein Prozess eingeleitet, den wir heute Erziehung nennen, und man versucht das Kind so normal zu machen, dass es ins System passt. Obwohl sich die meisten früher oder später in dieses System einfügen, bleibt im Hinterkopf meist immer noch eine Frage offen: »Ist das alles, was das Leben zu bieten hat?« Ab und an starten wir dann Versuche, um aus diesem Hamsterrad auszubrechen – Silvester, Schicksalsschläge oder Ähnliches –, aber so wirklich gelingen mag es uns nicht. Meist brechen wir diese Versuche schnell ab und trösten uns dann mit den Worten »Ich kann’s halt einfach nicht« oder »Ich hab halt keine Stärken«. Dabei tragen wir alle die Fähigkeiten in uns, die notwendig sind, um das Beste aus unserem Leben zu machen. Wir müssen sie nur wieder zum Leuchten bringen.

Mängelexemplar

Es war einmal ein kleiner Junge, der mit einigen Mängeln auf die Welt kam: Schiefhals, Hüftdysplasie, halbseitige Lähmung, Klumpfuß, ADHS. Keiner wusste, ob er jemals normal würde laufen können, und am Ende der Kindergartenzeit sagte man seinen Eltern: »Sorry, aber ihr Kind ist nicht schulfähig.«

Einige Jahre später wurde er nicht nur jüngster Master-Absolvent seiner Universität, sondern 2016 auch noch Triathlon-Europameister und Finisher des Ironman Hawaii, trotz der vielen körperlichen Defizite, mit denen er auf die Welt gekommen war. Heute ist dieser junge Mann mit Vorträgen auf der ganzen Welt unterwegs. Vermutlichen ahnst Du es schon: Dieser junge Mann bin ich selbst. Doch es geht mir jetzt nicht darum, mich zu profilieren. Vielmehr will ich zeigen, was dazu geführt hat, dass aus dem körperlich behinderten und schulunfähigen kleinen Kind ein Mensch geworden ist, der mittlerweile mit beiden Beinen fest in seinem eigenen Leben steht. Das habe ich nicht geschafft, weil ich so toll und besonders bin, sondern weil es eine Menge Menschen gab, die mir gezeigt haben, wie ich meine Stärke nutzen und aus dem, was ich hatte, das Beste machen konnte.

Gelinde gesagt, war ich ein Plagegeist. Ein aufgedrehtes Kind mit einer ADHS-Störung, wobei mir dieser Begriff nie wirklich gefallen hat. Das hört sich so an, als sei etwas kaputt. Neurophysiologisch betrachtet, handelt es sich tatsächlich um eine Art Wackelkontakt an den Synapsen der Gehirnzellen. Mit Sicherheit ist es aber wenig förderlich für die Entwicklung eines Menschen, wenn man ihm ständig erzählt, dass er ein Mängelexemplar ist. Sind wir nicht alle irgendwie Mängelexemplare? Haben wir nicht alle einen mehr oder weniger großen Wackelkontakt? So ganz habe ich auch nie verstanden, wo das Problem lag. Irgendetwas Besonderes musste ich doch an mir haben, denn schließlich wurde ich nach der Schule oft noch persönlich zum Direktor eingeladen. Als Beweis dafür, dass es tatsächlich nicht so schlimm war, wie immer alle behaupteten, habe ich einmal ein Zeugnis von früher herausgesucht, auf dem diese wohlwollend formulierten Kommentare standen. Auf dem Zeugnis der dritten Klasse ist dort folgender Kommentar zu lesen: »Florian war ein sehr temperamentvoller, stets fröhlicher Schüler, der durch seinen großen Eifer erfreute. Er gab sich Mühe, seinen Mitschülern Verständnis, Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft entgegenzubringen, was ihm aber selten gelang.« Das hört sich jetzt vielleicht schlimmer an, als es tatsächlich war, aber wie das meistens so ist: Aus vielen kleinen Problemen werden irgendwann einmal große, und genauso war es bei mir auch. In der dritten Klasse rief die damalige Klassenleiterin bei uns zu Hause an. Das war an sich nicht ungewöhnlich und kam regelmäßig vor, aber an diesem Abend war etwas anders. Die Klassenleiterin sagte zu meiner Mutter: »Frau Wildgruber, es tut mir wirklich Leid, das sagen zu müssen, aber der Maßnahmenkatalog hat bei Ihrem Sohn versagt.« Ich glaube, alle Eltern können sich vorstellen, wie das ist, wenn einem mit einem einzigen Satz so dermaßen der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Wenn all die Zeit, all die Mühe, all das, was man halt in sein Kind steckt, damit aus ihm etwas wird, plötzlich quasi komplett entwertet wird. Für meine Eltern war es die Hölle. Ich fand es zuerst immer noch ganz lustig, aber irgendwann habe ich verstanden: »Moment mal, es gibt Menschen, die wollen Dir helfen. Fang endlich an mitzuarbeiten, ansonsten landest Du irgendwann in der Gosse.« Denn es gab eben auch ziemlich viele Menschen, die nichts mit mir zu tun haben wollten. Eltern starteten Petitionen gegen mich, damit ich die Schule verlasse. So etwas geht nicht spurlos an einem Kind vorüber. Wer immer nur seine Schwächen aufgezeigt bekommt, ob als Kind, Jugendlicher oder als Erwachsener, geht irgendwann daran kaputt.

Dumme Fische

Da draußen in der Welt bleiben jeden Tag Tausende Kinder auf der Strecke, weil man ihnen zu verstehen gibt, dass sie nicht ins System passen. Weil man ihnen sagt, was sie alles nicht können. Weil man ihnen klar macht, dass irgendetwas mit ihnen nicht stimmt. Wusstest Du, dass manche Kinder erst mit vier Jahren erfahren, dass ihr Name nicht »Nein« ist? Unfassbar, oder? Laut Statistik nehmen sich jeden Tag zwei Jugendliche in Deutschland das Leben, und geschätzte zwanzig weitere versuchen es. Suizid ist Todesursache Nummer 1 in Deutschland bei Kindern und Jugendlichen. Hauptgrund ist in vielen Fällen mangelndes Selbstwertgefühl. Diese Kinder und Jugendlichen fühlen sich schlicht und ergreifend weder wahrgenommen noch wertgeschätzt, und das in einer Phase des Lebens, in der sie ohnehin schon in einer Sinnkrise stecken. Wer bin ich? Was kann ich? Wo werde ich in 10 Jahren stehen? Bekommen wir in dieser Phase keine Rückendeckung oder werden uns im Gegenteil immer nur unsere Schwächen aufgezeigt, dann kann schlicht und ergreifend keine Stärke und kein Selbstwertgefühl entstehen. Aber genau dieses Selbstwertgefühl ist für fast jeden Lebensbereich ein elementarer Grundstein, ohne den das persönliche Potenzial nie zum Leuchten kommen wird.

Dabei kann jeder Mensch mindestens eine Sache richtig gut, jeder braucht Aufgaben, an denen er wachsen und so richtig zeigen kann, was er drauf hat, und vor allem braucht jeder von uns andere Menschen, die uns das Gefühl geben, dass wir wertvoll sind. Leider bekommen wir stattdessen oft das Gefühl vermittelt, dass es ein paar Auserwählte gibt. Einer unter 10.000 oder 100.000, der etwas ganz Besonderes kann. Ein Genie. Ein Profisportler. Ein Musiker. Ein Schauspieler. Alle anderen sind nur Mitläufer, die zu diesen Personen aufblicken und das Gefühl haben, dass sie selbst nichts können. Aber tatsächlich kann jeder Mensch mindestens eine Sache richtig gut! Vielleicht sind das keine normalen Fähigkeiten, vielleicht ist es etwas Außergewöhnliches. Mir selbst wurde jahrelang immer und immer wieder gesagt, es sei meine größte Schwäche, meinen Mund nicht halten zu können. Heute verdiene ich mein Geld als Speaker und halte weltweit Vorträge.

Mein damaliger Triathlon-Trainer hat beispielsweise einmal zu mir gesagt: »Flo, Du bist nicht der Schnellste, Du bist nicht der Größte, Du bist nicht der Schlauste.« Ich antwortete: »Danke, hast Du mir sonst noch etwas zu sagen?« »Ja, Flo«, erwiderte er, »Du kannst für Sachen kämpfen, die Dir wichtig sind, und das ist extrem wertvoll!« Um auch hier wieder Albert Einstein zu zitieren: »Jeder ist ein Genie, aber wenn Du einen Fisch danach beurteilst, ob er auf einen Baum klettern kann, wird er sein ganzes Leben glauben, dass er dumm ist.« Persönliche Stärken können sich nur unter zwei Bedingungen entwickeln. Erstens: Ich muss mich selbst so akzeptieren, wie ich bin. Denn es gibt nur einen Menschen, mit dem ich mein ganzes Leben klarkommen muss: ich selbst. Und zweitens: Wir alle brauchen Menschen um uns herum, die uns die richtigen Impulse geben, damit eben jenes Selbstwertgefühl reifen kann. Dann erleben wir, dass wir tatsächlich mehr können, als wir glauben!

Flasche leer

Es ist schon einige Zeit her, dass ich am Abend nach einem etwas durchwachsenen Tag im Supermarkt einkaufen war. Meine Stimmung war nicht die Beste, und ich wollte eigentlich schnell wieder aus dem Laden heraus. Als ich an der Kasse meine Sachen aufs Band legte, stand vor mir ein etwa zehnjähriges Mädchen. Die Kassiererin strahlte sie an und sagte: »Hallo, mein Schatz! Schön, dass Du da bist.« Sie packte ihre Sachen in eine kleine Tüte und verabschiedete sich herzlich von ihr. Im ersten Moment habe ich mir noch nichts Besonderes dabei gedacht, außer: »Die müssen sich wohl kennen.« Als dann aber ich an der Reihe war, kam mir ebenfalls ein strahlendes »Hallöchen, mein Lieber. Geht’s Dir gut?« entgegen. Ich war total perplex und wusste gar nicht, was ich antworten sollte. Wir wechselten ein paar Worte, und auf dem Weg zurück zum Auto bemerkte ich, dass meine Stimmung deutlich besser war als zuvor. In den folgenden Wochen beobachtete ich die Kassiererin jedes Mal, wenn ich beim Einkaufen war. Ich habe es nicht ein einziges Mal erlebt, dass sie schlecht drauf gewesen wäre. Ganz im Gegenteil, sie vermittelte jedem Kunden das Gefühl: »Hey, ich freu mich, dass Du da bist.«