Staub - Spiegel der Umwelt -  - E-Book

Staub - Spiegel der Umwelt E-Book

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Beschreibung

Staub ist lästig und allgegenwärtig. Selbst in Reinräumen, deren Luft vielfach gefiltert wird, treibt er sein Unwesen. Und von Staub kann auch Gefahr ausgehen: Mit der Luft atmet man ihn ein und damit all jene mehr oder weniger dubiosen Teilchen, aus denen er zusammengesetzt ist. Dieses Buch bietet erstmals einen Überblick über die aktuelle Staubforschung und beleuchtet die faszinierenden Facetten des Phänomens Staub von der Astrophysik bis zur Kriminologie. Die moderne Staubforschung zeigt, dass Staub erstaunlich vielfältig ist: Ob Sandkörner aus der Sahara oder Salzpartikel vom Meer, sogar kosmische Teilchen sind im Staub zu finden. Staub erweist sich, wenn man ihn näher untersucht, als Spiegel unserer Umwelt. Moderne Analytiker mit ihren hochsensiblen Geräten können aus wenigen Krümeln Staub ganze Geschichten herauslesen. Sie machen auf Gefahren aufmerksam, die von neuartigen Stäuben ausgehen, zeigen aber auch, dass Staub nicht nur ein negativer Umweltfaktor ist. Für viele natürlichen Prozesse, wie etwa den Wasserkreislauf, ist er unerläßlich. Für den interessierten Laien und den Naturwissenschaftler gleichermaßen verständlich gewährt dieses Buch einen unterhaltsamen Einblick in die faszinierende Welt des Staubes.

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STOFFGESCHICHTEN

Die Dinge und Materialien, mit denen wir täglich hantieren, haben oft weite Wege hinter sich, ehe sie zu uns gelangen und von uns genutzt werden. Ihre wechselvolle Vorgeschichte wird aber im fertigen Produkt ausgeblendet. Was wir an der Kasse kaufen, präsentiert sich uns als neu und geschichtslos. Wenn man seiner Vorgeschichte nachgeht, stößt man auf Überraschendes und Erstaunliches. Auch Verdrängtes und Unbewußtes taucht auf. Gerade am Leitfaden der Stoffe zeigen sich die Konflikte unserer globalisierten Welt.

Deshalb stellen die Bände der Reihe Stoffgeschichten einzelne Stoffe in den Mittelpunkt der Analyse. Sie sind die oftmals widerspenstigen Helden, die eigensinnigen Protagonisten unserer Geschichten. Ausgewählt und dargestellt werden Stoffe, die gesellschaftlich oder politisch relevant sind, Stoffe, die Geschichte schreiben oder geschrieben haben. Stoffgeschichten erzählen von den Landschaften, von den gesellschaftlichen Szenen, die jene Stoffe, mit denen wir täglich umgehen, durchquert haben. Sie berichten von den globalen, teilweise sogar kosmischen Wegen, welche viele Stoffe hinter sich haben.

STAUB – SPIEGEL DER UMWELT ist der erste Band der Reihe. Denn der Staub ist so etwas wie der Anfang alles Stofflichen – und sein Ende. Zugleich ist Staub ein politisch relevanter Stoff, wie die jahrelangen Diskussionen um Staubbelastungen der Luft zeigen.

STAUB – SPIEGEL DER UMWELT

STOFFGESCHICHTEN – BAND 1

Eine Buchreihe des Wissenschaftszentrums Umwelt der Universität Augsburg in Kooperation mit dem oekom e.V.

Herausgegeben von Prof. Dr. Armin Reller und Dr. Jens Soentgen

Staub – Spiegel der Umwelt

in der Reihe „Stoffgeschichten”

© 2005 oekom verlag, München

Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH

Waltherstraße 29, 80337 München

Lektorat: Dr. Manuel Schneider, Projektbüro ! make sense ! / oekom e.V.

Visuelle Gestaltung und Realisierung: Alice Wüst, Thomas Werner

Gestaltung Farbbildtafeln: Leise Design / Knut Völzke

Umschlaggestaltung: Sandra Filic unter Verwendung der Bildquellen

seawifs.gsfc.nasa.gov (Front) und Photocase (Rückseite)

Alle Rechte vorbehalten

eISBN: 978-3-865813-80-0

INHALT

Vorwort

Jens Soentgen und Knut Völzke

I. KULTUR UND NATUR DES STAUBES

Die Kulturgeschichte des Staubes

Jens Soentgen

Tanzende Staubkörner und Nanomaschinen – Ein Ausflug in die Welt des Kleinen

Manfred Euler

Die Weltherrin und ihr Schatten

Felix Auerbach

II. VOM KOSMISCHEN STAUB ZUR WOLLMAUS:REISE DURCH EIN VERSTAUBTES UNIVERSUM

A. STERNENSTAUB UND BLÜTENPOLLEN: STAUB DER NATUR

Stardust memories –

Kosmischer Staub und die Methoden seiner Erforschung

Thomas Stephan

Dicke Luft – Staub in unserer Atmosphäre

Martin Ebert

BILDTEIL I: Staubquellen

Vom Winde verweht – Mineralstaub der Wüsten und Vulkane

Lothar Schütz

Archive der Natur – Blütenstaub als Schlüssel zur Erforschung vergangener Landschaften

Arne Friedmann, Martinus Fesq-Martin und Michael Peters

Blütenstaub und Rosenfieber – Die Bedeutung von Pollen in der Geschichte von Biologie und Medizin

Martinus Fesq-Martin, Arne Friedmann und Heike Fesq

B. DIESELRUSS UND HAUTSCHUPPEN: STAUB DER MENSCHEN

Staub – die unterschätzte Gefahr

Rainer Remus

Kleine Teile – große Wirkung?

Über Chancen und Risiken von Funktionsstäuben und nanoskaligen Materialien

Armin Reller

Krank durch Feinstaub? – Auswirkungen der Luftverschmutzung auf die Gesundheit

Annette Peters

Staubfeine Spuren – Ihre Analytik in der Kriminaltechnik

Thomas Biermann, Andreas Hellmann, Erik Krupicka,

Michael Pütz und Rüdiger Schumacher

Der letzte Dreck – Über Hausstaub und das Leben in der Staubwolke

Luitgard Marschall

C. STAUBLAPPEN UND REINRAUMTECHNIK: KÄMPFE GEGEN DEN STAUB

Bücherstaub – Streifzug durch ein unerfreuliches Terrain vom Altertum bis heute

Ulrich Hohoff

Verstaubte Kunst – Die Arbeit der Restauratoren

Stephanie Jaeckel

BILDTEIL II: Staub – Farbe und Form

Warum macht Putzen glücklich? – Interview mit einer Psychoanalytikerin

Elfie Porz und Jens Soentgen

Der reine Raum – Hochsauberkeitstrakt für Halbleiter-Hirne

Frank Grünberg

III. ANHANG

Glossar

Über den Staub – eine Zitatensammlung

Experimente mit Staub

Angaben zu den Autorinnen und Autoren

Dank

VORWORT

Täglich sammeln wir Staub – wenn wir uns in einem Raum aufhalten, wenn wir durch eine Wiese oder über eine Straße gehen oder auch in einem Buch lesen – und täglich versuchen wir, ihn wieder loszuwerden: mit Lappen, Bürsten, Staubtüchern, Staubsauger, Staubwedel.

Auch Wissenschaftler sammeln Staub, allerdings freiwillig und mit ausgeklügelten Apparaturen. Was vom Alltagsmenschen kaum wahrgenommen wird, ist für den Forscher spannend. Staub wurde auch in der Wissenschaft lange Zeit unterschätzt als ein zwar lästiger, im ganzen aber unerheblicher Bestandteil der Atmosphäre. Heute erkennen die Umweltwissenschaften immer mehr den zentralen Stellenwert des Umweltfaktors Staub.

Nicht nur seine gesundheitliche Bedeutung, auch seine Rolle im Klimasystem und innerhalb des globalen Ökosystems rücken dabei ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Neue Analysemethoden wie insbesondere die Rastertunnelmikroskopie erlauben es erstmals, Staub mit einer bis vor wenigen Jahren noch nicht gekannten Präzision zu charakterisieren und seine Bewegungen genau zu verfolgen. Moderne Staubforscher können aus wenigen Milligramm Staub viel über den Zustand unserer Umwelt herauslesen. Tatsächlich ähneln die winzigen Partikel, mit denen sich Staubforscher beschäftigen, den Fundstücken, die der Archäologe interpretiert. Sie sind nur um mehrere Größenordnungen kleiner. So ist der Staub heute nicht mehr nur ein störender Dreck, der allenthalben entsteht. Er erzählt Geschichten: Geschichten über den Zustand unserer Umwelt, über ökologische Zusammenhänge, über kosmische Ereignisse und über die Welten der Vergangenheit. Einige dieser Geschichten, die man aus dem Staub herauslesen kann, möchten wir in diesem Buch vorstellen.

Staub erzählt Geschichten

Wir eröffnen mit einer Betrachtung von Jens Soentgen über die Kulturgeschichte des Staubes, die von zwei Essays gefolgt wird, welche die naturwissenschaftlichen Aspekte des Phänomens Staub verdeutlichen: Manfred Euler zeigt, dass im Bereich des Staubfeinen zwar grundsätzlich dieselben Gesetze gelten wie im makroskopischen Bereich, jedoch einzelne Kräfte sich stärker bemerkbar machen. Deshalb haben Dimensionen (Größenordnungen) eine echte physikalische Bedeutung. Am Beispiel der Mikro-Makrophantasien in Gullivers Reisen erörtert Euler, was im Reich des Kleinen möglich ist und was nicht. Der folgende Text von Felix Auerbach ist 100 Jahre alt. Auerbach bietet eine geistreiche und verständliche Einführung des Entropiebegriffs. Meist wird Entropie mit Chaos gleichgesetzt. Das ist nicht ganz falsch, aber doch zu grob. Auerbach zeigt demgegenüber, worauf es ankommt: nämlich auf ein Verständnis des Zusammenhangs von Energie und Entropie. Diesen Zusammenhang arbeitet er in seinem Text heraus.

Physik des Kleinen

Nach dieser Vorstellung allgemeiner Aspekte, die für ein Verständnis des Staubes entscheidend sind, unternehmen wir eine Reise durch ein verstaubtes Universum – von den Sternen bis zur „Personal Cloud“, der persönlichen Staubwolke, die jeden von uns umgibt. Überall nehmen wir einige Proben Staub mit und hören auf die Geschichten, die dieser fahrende Geselle zu erzählen weiß. Und das sind unsere Stationen:

Wir beginnen mit dem Weltraumstaub, über den Thomas Stephan berichtet. Theoretisch rieselt dieser kosmische Staub überall nieder und findet sich auf jeder Tischplatte. Es ist jedoch praktisch unmöglich, ihn dort unter den Abermillionen anderen Staubteilchen in seiner Nachbarschaft zu erkennen. Daher werden besondere Flugzeuge eigens mit speziellen Staubsammlern bestückt, um diese vereinzelten Körnchen einzusammeln. Die Mühe lohnt sich: Denn manche Partikel, die man auf diese Weise findet, sind sehr alt. Sie bergen Informationen über die Zeit, in der unser Sonnensystem noch jung war.

Die Natur staubt

Dann nähern wir uns der Erde und ihrer Atmosphäre, in welcher der Staub eine vielfältige und wichtige Rolle spielt, über die der Text von Martin Ebert aufklärt. Er verdeutlicht, dass unsere Vorstellungen von den wichtigsten Staubquellen der Korrektur bedürfen. Zwar gelangt viel Schmutz durch Kamine und Auspuffanlagen in die Umwelt, doch auch die Natur selbst staubt kräftig. Wüsten, Vulkane, aber auch die Meere sind wichtige Staubquellen.

An Eberts Arbeit schließt der Text von Lothar Schütz an, der von der Rolle des Staubes in der Atmosphäre handelt. Man verbindet mit Staub in der Luft meist negative Dinge. In den Szenarien der 1980er-Jahre zum „nuklearen Winter“ war der von den Explosionen und Bränden eines befürchteten nuklearen Krieges aufgewirbelte Staub sogar verantwortlich für dramatische Klimastürze. Schütz’ Beitrag zeigt, dass Staub in der Atmosphäre viele lebenswichtige Prozesse in Gang hält – etwa den Wasserkreislauf, der ohne Staubpartikel, an denen das Wasser kondensieren kann, gar nicht stattfände.

Schließlich landen wir auf der Erde selbst. Auf dem Boden. Und der ist nichts anderes als eine Art festgetretener Staub. Dieser Staub ist, so stellt man sich vor, der zerstörte, durcheinander gewirbelte Rest vergangener Zeiten. Es gibt jedoch Orte, an denen der Staub der Zeit so sorgsam und penibel abgespeichert und in hunderten Lagen übereinander geschichtet ist, dass man aus seiner Analyse ein Bild vergangener Zeiten entstehen lassen kann. Mit dieser Kunst beschäftigen sich Arne Friedmann, Martinus Fesq-Martin und Michael Peters in ihrem Text. Sie zeigen, dass Hochmoore nicht nur besondere Lebensräume sind, sondern zugleich Umweltarchive, die uns ein Zeugnis vergangener Zeiten überliefern, welches wir auf keine andere Weise gewinnen könnten.

Ohne Staub kein Leben

Mit den natürlichen Stäuben befassen sich im Anschluss MartinusFesq-Martin, Arne Friedmann und Heike Fesq in einer kulturhistorischen Betrachtung über die Pollenstäube und das so genannte Rosenfieber. Allergien sind zwar erst in unserer Zeit weit verbreitet, jedoch ist das Krankheitsbild schon länger bekannt.

Über die Welt der Pflanzen nähern wir uns der Sphäre der Menschen und damit den anthropogenen Stäuben. Die Industrie ist neben der Hausfeuerung und dem Verkehr der wichtigste Staubemittent. Die Industriestäube, auf die Rainer Remus in seinem Beitrag eingeht, zeigen durch ihren hohen Rußanteil, dass der Mensch immer noch der alte Feuermacher ist. Nur dass die Feuer heute in Kessel oder Motoren verlagert wurden und auf diese Weise der Anschein gefördert wird, als seien sie verschwunden.

Im Anschluss diskutiert Armin Reller die Chancen und Risiken moderner Funktionsstäube und nanoskaliger Strukturen. Denn längst hat die Technik erkannt, dass sehr kleine Teilchen und Strukturen oft andere Eigenschaften haben als größere Portionen desselben Materials. Die Nanotechnologie beschäftigt sich mit der systematischen Funktionalisierung dieser Eigenschaften. Von der Nanotechnologie erhofft man sich innovative Lösungen in ganz unterschiedlichen Bereichen, von der Medizin und Pharmakologie bis hin zu neuen Werkstoffen. Es können von ihr auch bestimmte Risiken ausgehen, die Reller an Beispielen diskutiert.

Den Risiken staubfeiner Partikel widmet sich auch Annette Peters in ihrem Beitrag über die gesundheitlichen Wirkungen des Feinstaubes. Diese Art Staub wird gegenwärtig im Kontext der aktuellen Feinstaubdiskussion kontrovers diskutiert. Annette Peters formuliert eine auf aktuellen Daten und epidemiologischen Studien basierende Einschätzung.

Krank machender Feinstaub

Schließlich kommen wir bei einem alten Bekannten an – beim Hausstaub. Er ist, da wir über 70 Prozent unseres Daseins in geschlossenen Räumen verbringen, die bekannteste und vielleicht auch wichtigste Staubart. So, wie der Staub auf den Straßen mit seinem Rußanteil ein Bild vom Menschen als Feuermacher gibt, zeigt der Hausstaub den Menschen als ein Wesen, das sich kleidet. Textilfasern stellen mit gut 80 Prozent den Hauptanteil des Hausstaubes. Er regeneriert sich unaufhörlich und beherbergt obendrein, wie die Wissenschaft herausgefunden hat, viele unangenehme Gesellen: die Milben, kleine Spinnentiere, die sich von den Hautschuppen ernähren, welche aus ihrer Sicht wie Manna vom Himmel fallen. Und wenn das Manna mal nicht reicht, dann verzehren sich die Milben gelegentlich auch gegenseitig und heißen dann Killermilben. Luitgard Marschall beschreibt, was im Hausstaub so alles drinsteckt und was die Staubforscher dazu sagen.

Unangenehme Gesellen

Der in einer Wohnung oder in einem Auto befindliche Staub ist auch für Kriminaltechniker von Interesse. Denn der Kriminaltechniker weiß, dass dort, wo ein Mensch war, sich stets auch Spuren von ihm finden – staubfeine Spuren. Wie man diese Staubspuren sichert, analysiert und bewertet, berichtet der Beitrag von Thomas Biermann, Andreas Hellmann, Erik Krupicka, Michael Pütz und Rüdiger Schumacher aus dem Bundeskriminalamt.

Bis hierher war unsere Reise dem Verständnis des Phänomens Staub und seinen Wirkungen und Funktionen gewidmet. Nun ist aber Staub in der Menschenwelt meist unwillkommen. Daher widmen sich die vier letzten Beiträge vielfältigen Versuchen, ihn loszuwerden. UlrichHohoff schreibt in seinem Essay über den Bücherstaub – ein alltägliches und doch nur selten behandeltes Thema. Seit dem Altertum führen Bibliothekare einen Kampf gegen den Staub, der zugleich ein Kampf gegen das Vergessen ist. Hohoff zeigt wichtige Stationen und Instrumente dieser Auseinandersetzung auf.

Auch Museen sind Orte, an denen Staub besonders unwillkommen ist. Wie man den Staub wieder von den Bildern herunterbekommt und wie man in manchen Fällen sogar besondere Staubimitate applizieren muss, um ein altes Bild wieder auf Vordermann zu bringen, zeigt Stephanie Jaeckel in ihrem Beitrag.

Das Interview mit der Psychoanalytikerin Elfie Porz handelt von Freud’ und Leid einer alltäglichen Beschäftigung, dem Putzen. Die Rede ist von „Chaoten“ und „Systematikern“ im häuslichen nimmer endenden Kampf gegen den Dreck. Elfie Porz unterscheidet verschiedene Putztypen – auch als Einladung an die Leser, sich möglicherweise im einen oder anderen Bild wiederzuerkennen.

Die Reise endet da, wo viele, die vom Staub geplagt werden, gern hinmöchten: im staubfreien Raum. Natürlich gibt es einen solchen Raum nicht – Staub ist überall. Doch man kann ihm aus dem Wege gehen und seine Konzentration in der Luft reduzieren. Von den japanischen Lackmalern berichtet die Legende, sie seien auf hohe See gefahren, um dort zu arbeiten, konnten doch ihre Lackierungen durch jedes mittelgroße Staubfädchen, das auf der Oberfläche anhaftet, beeinträchtigt werden. In einer noch viel dramatischeren Lage sind die Hersteller von mikroelektronischen Bauelementen. Ihre Produktion kann durch Staub geradezu ruiniert werden. Denn feine Partikel, die sich auf Chips absetzen, bringen den Schaltplan durcheinander. Daher müssen die Chiphersteller dafür sorgen, dass in ihren Produktionsräumen eine möglichst staubfreie Luft weht. Die Reinraumtechnik hat das Ziel, Räume staubfrei zu machen. Ihre Fortschritte in den letzten 20 Jahren sind so außergewöhnlich, dass man von einer der wichtigsten Technologien unserer Zeit sprechen kann. Ohne die Reinraumtechnik wäre der Aufstieg der Mikroelektronik nicht möglich gewesen. Verständlich: Denn wer winzige, staubfeine Bauelemente herstellt, muß zusehen, dass der natürliche Staub ihm nicht sein Werk ruiniert. Wie Reinräume funktionieren, erzählt Frank Grünberg in der letzten Geschichte dieses Bandes.

Staub ist überall — fast

Unser Dank gilt Manuel Schneider, der das Buch lektoriert und mit viel Sinn für den schwebenden Gegenstand redaktionell betreut hat. Besonders danken möchten wir auch dem Verleger des oekom Verlages, Jacob Radloff, für den Mut, mit der Reihe Stoffgeschichten Akzente zu setzen.

Augsburg und Frankfurt am Main, im Juni 2005

Jens Soentgen und Knut Völzke

I. KULTUR UND NATUR DES STAUBES

Staub begleitet den Menschen seit Anbeginn. Denn bei allem, was der Mensch tut, entsteht Staub – beim Feuermachen, beim Pflügen der Erde und bereits beim bloßen Herumlaufen! Und dann ist da noch derjenige Staub, den die Natur freigiebig auf den Menschen herunterrieseln lässt – der Staub der Vulkane, der Wüsten, der Bäume und Pflanzen und natürlich der kosmische Staub. Wie reagieren die Menschen auf den Staub, der sie umgibt? Welche Rolle hatte er in den antiken Kulturen, und welche Rolle spielt er heute?

JENS SOENTGEN

DIE KULTURGESCHICHTE DES STAUBES

Staub begleitet den Menschen von Anfang an. Davon legen die Familiennamen ein beredtes Zeugnis ab. Stuyvesant, der Familienname des ersten Bürgermeisters von New York, bezeichnet einen flotten Reiter, „der Sand aufstäubt“. Und Stoiber, der Name des bayerischen Ministerpräsidenten, bezeichnet laut Familiennamen-Duden einen „unruhigen Menschen, der Staub aufwirbelt“. Und nicht nur jeder einzelne, auch jede Kultur hat eine besondere Beziehung zum Staub.

Im Judentum und später auch im Christentum war der Staub vielfach nur ein memento mori, er galt als eine Aussaat der Gräber, die Erinnerung an die Nichtigkeit allen irdischen Daseins. Vom Staub, so lesen wir etwa im Buch Kohelet, sind Mensch und Tier genommen, zum Staub kehren sie wieder zurück. Zum Zeichen der Trauer streute man sich Staub oder Asche über Haupt und Gesicht – eine Sitte, die bereits bei den Ägyptern belegt ist. Staub war, vielleicht wegen seiner lästigen Allgegenwart in den ariden Zonen, ein Symbol für das Verächtlichste, das man sich denken konnte. Zugleich hatte der Staub Teil an umfangreichen Systemen der Berührungsmagie. Dem Staub vom Altar hat man dabei eine besonders dämonische Wirkung zugeschrieben. Er wurde, wie im vierten Buch des Mose zu lesen ist, zusammen mit einem Glas Wasser Frauen verabreicht, die von ihren eifersüchtigen Ehemännern der Untreue verdächtigt wurden. Der Staub sollte, im Falle, dass die Ehefrau schuldig wäre, in ihrem Leib grausige Veränderungen anrichten.

Symbol für das Nichtige

Die Griechen hatten ein eher spielerisches Verhältnis zum Staub – er gehörte nicht nur unvermeidlich zum Alltagsleben dazu, sondern war zugleich auch ein nützlicher, sogar ein gesuchter Stoff. Die Gymnasien hatten einen eigenen Bezirk, das Konisterion, welches mit feinem Staubsand bedeckt war – hier wurde gerungen. Der staubige Boden war für das Ringen unerlässlich, da man auf eine weiche Unterlage bedacht sein musste. Zugleich war der Staub auch erforderlich, um den geölten Gliedern die Glätte zu nehmen und einen festen Griff zu ermöglichen. Bisweilen bewarfen sich die Gegner absichtlich mit Staubsand. Später erlangte dieser auch eine hohe Bedeutung für Hygiene und Ernährung. Bei verschiedenen Krankheiten verordneten die Ärzte Stäube, die teils einzunehmen, teils auf den Körper aufzustreuen waren. Und ebenso, wie zum Salben das feinste und kostbarste Öl genommen wurde, so suchte man auch die feinste Sorte Staub zu beschaffen. Man fand sie in Ägypten. Schon die Generale Alexanders des Großen (356–323 v. Chr.) führten ägyptischen Staubsand auf ihren Zügen mit, solcher spezieller Staub war ein regelrechter Luxusartikel. Sueton (ca. 70–140 n. Chr.) berichtet von einer Empörung, die sich in Alexandria Bahn brach, als mitten in einer Hungersnot die Ankunft eines Schiffes mit einer Ladung feinsten Staubsandes für die Hofringkämpfer gemeldet wurde.

Staub als Medizin

Was gegenüber früheren Zeiten für die unsere in Bezug auf den Staub charakteristisch ist sind vor allem drei Punkte: Zum einen wird Staub verstärkt als Umweltfaktor wahrgenommen, zum anderen gibt es neue Möglichkeiten, staubfeine Teilchen zu analysieren und herzustellen, und drittens ist, damit zusammenhängend, ein verstärktes kognitives Interesse am Thema Staub feststellbar, das dazu geführt hat, dass Staub auch physikalisch als ein eigenes Phänomen wahrgenommen wird.

STAUB ALS UMWELTFAKTOR

Zwar hat es immer schon Staub gegeben und immer schon wird er bisweilen als lästig empfunden worden sein – doch die modernen, städtischen Kulturen bringen es mit sich, dass neben dem Staub, der natürlicherweise niedergeht, auch noch der so genannte anthropogene Staub hinzukommt: der Staub, den der Nachbar erzeugt hat oder „die Industrie“. Warum weckt der Staub solche Ängste? Ein wichtiges Kennzeichen des Staubes ist seine hohe Mobilität. Kieselsteine brauchen lange Zeit, um einen Kilometer weiter zu rollen, ein Staubteilchen kann diese Strecke in wenigen Sekunden zurücklegen. In der Mobilität liegt die Bedrohung, die vom Staub ausgeht. Staub kommt überall hin, durch Ritzen hindurch, durchs Schlüsselloch. Das ist besonders dann kritisch, wenn er giftig ist, wie es zum Beispiel beim radioaktiven Staub der Fall ist. Lungengängiger Feinstaub gelangt bis in die hintersten Alveolen und von dort in die Blutbahn.

Hohe Mobilität

Nie zuvor in der Geschichte wurde soviel Staub von Menschen in die Atmosphäre gewirbelt wie in unseren Tagen. Bei allen industriellen Prozessen, bei Bautätigkeit, beim Bergbau, durch den Schienenverkehr oder den Kraftfahrzeugverkehr – entsteht Staub. Dass dieser Staub eine gesundheitliche Relevanz hat, wurde erst mit den Anfängen der Arbeitsmedizin im späten 19. Jahrhundert allgemein bekannt. Zur selben Zeit taucht auch das Lemma „Staublunge“ in den Lexika auf. Von dieser unterschied man bald verschiedene Varianten, je nachdem, ob sie auf Kohlestaub, Kalkstaub oder Glasstaub zurückzuführen war. Zuvor gab es, wie es scheint, keine konkrete Krankheitsdefinition, man sprach vielmehr mit Blick auf bestimmte Erkrankungen der Bergarbeiter unspezifisch von „Bergsucht“.

Erst mit der Asbeststaubthematik wurde aus der arbeitsmedizinischen Diskussion um gesundheitsschädliche Wirkungen bestimmter Stäube ein öffentliches Thema. Denn der Asbeststaub betraf, wie sich herausstellte, nicht nur einzelne Berufsgruppen, sondern potenziell jeden, weil Asbest als Zusatzstoff in vielen Baustoffen enthalten war und damit auch in der Luft zahlreicher Gebäude nachgewiesen werden konnte. Daher wurde Asbest zu dem Modell für schädlichen Staub, das sich tief in das kulturelle Gedächtnis eingeprägt hat. Noch in den gegenwärtigen Diskussionen um die möglichen gesundheitlichen Risiken nanoskaliger Materialien lässt sich implizit oder explizit immer die Asbest-Analogie nachweisen. So werden zum Beispiel Kohlenstoff-Nanotubes oft mit Asbest verglichen, da beide Materialien wie Nadeln wirken.

Gesundheitliche Relevanz

Seit 1994 ist die Herstellung und Verwendung von Asbest in Deutschland vollständig verboten. Etwas früher, nämlich in den 1970er-Jahren, setzten auch energische politische Maßnahmen zur Reduktion von Staubemissionen aus Feuerungs- und Industrieanlagen ein. Der Einbau von Staubabscheidern, besonders auch von Elektroabscheidern in den Anlagen der Eisenhütten- und Stahlindustrie und in Kohlekraftwerke, zeitigte bemerkenswerte Erfolge: die Schwebstaubbelastung in vielen europäischen Städten ist in den letzen Jahrzehnten deutlich zurückgegangen.

Neben dem menschgemachten Staub findet der natürlich vorkommende viel weniger Beachtung, vermutlich deshalb, weil er nicht zum Gegenstand politischer Regelungen und entsprechender Machtkämpfe gemacht werden kann. Dabei macht der natürliche Staub immer noch den Hauptanteil der globalen Staubproduktion aus, auch wenn die Schätzungen der Experten bei der genauen Bezifferung des Anteils auseinander gehen: Er dürfte zwischen 80 und 90 Prozent betragen. Der natürlich vorkommende Staub hat keineswegs nur negative Aspekte. Der Blütenstaub etwa ist für den Fortbestand der Pflanzenwelt unerlässlich. Auch der mineralische Staub, der vom Boden aufgewirbelt wird, hat eine ökologische Funktion. Durch die Staubverwehungen aus der Sahara zum Beispiel werden die Ozeane mit Eisen versorgt, das für die Bildung von Plankton unerlässlich ist. Zugleich spielt das in den Stäuben enthaltene Phosphat eine wichtige Rolle im Ökosystem des Amazonasregenwaldes. Denn bis dorthin werden die Saharastäube verweht.

Planktonbildung durch Saharastaub

STAUBBEOBACHTUNG UND STAUBBEARBEITUNG

Staub ist mehrfach in der Wissenschaft zu einem wichtigen Thema aufgestiegen – und jedes Mal war diese Karriere geknüpft an Fortschritte in den Beobachtungstechnologien. So führten die ersten Mikroskopierversuche im 17. und 18. Jahrhundert zu einer ersten Begeisterung für das Winzige.

Im Staub eröffnen sich Welten, so wurde damals erstmals deutlich. Diese hat niemand so emphatisch wie Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716), der Zeitgenosse der ersten Mikroskopierversuche, besungen: Alles ist belebt, so lehrt Leibniz in seiner Monadologie, jedes noch so kleine Materieteilchen ist ein „Garten voller Pflanzen und ein Teich voller Fische“. An Johann Bernoulli (1667–1748), den Basler Mathematiker, schrieb Leibniz, er sei überzeugt, dass noch im kleinsten Stäubchen Welten enthalten seien, die der unseren an Schönheit und Vielfalt nicht nachstehen. Und im Tod, so schreibt Leibniz, der aus jedem Gedanken eine optimistische Pointe ziehen konnte, vollziehen die Lebewesen den Übergang in solche Welten. Dass im Winzigen möglicherweise auch tödliche Gefahren lauern könnten, zieht der Gelehrte nicht in Betracht.

Welten im Staub

Stattdessen zog er eine erkenntnistheoretische Konsequenz: So sei die Auffassung kompakter Dinge mit einer stabilen Oberfläche, die uns im Alltag leitet, eine Illusion. Vielmehr sei jedes Ding, das wir sehen, einem Schwarm vergleichbar, von dem in jedem Augenblick feine Teilchen hinwegfliegen und zu dem sich in jedem Augenblick auch neue Teilchen hinzugesellen.

Erst im 19. Jahrhundert begann man systematisch mit der mikroskopischen Erforschung des luftgetragenen Staubes – und entdeckte einen fliegenden Zoo von Lebewesen, Keimen und Pollen. Dieser wurde bereits 1848 von dem Berliner Biologen Christian Gottfried Ehrenberg (1795–1876) beschrieben. Ehrenberg war der wohl berühmteste Mikroskopierfachmann seiner Zeit – und er hatte sich von Forschungsreisenden aus aller Welt Staubproben zusenden lassen, die er unterm Mikroskop untersuchte. Auch Darwin schickte ihm Staubproben, die er während seiner Forschungsreisen an Bord seines Schiffes „Beagle“ gesammelt hatte. Aus den in diesem Staub enthaltenen Mikroorganismen konnte Ehrenberg auf die Herkunftsregionen der Stäube schließen und bemerkte, dass diese zum Teil sehr weit durch die Luft segelten. Nebenbei entzauberte er einen uralten Mythos: die Legende vom Blutregen. Ehrenberg erkannte, dass der rätselhafte „blutige Regen“, der, wie Ehrenberg anhand zahlreicher Quellen nachweist, auf viele historische Ereignisse Einfluss hatte, auf roten Staub, der aus der Atmosphäre ausgewaschen wird, zurückzuführen sei. Doch war diese bedeutende Entdeckung, die er durch umfangreiche historische Studien ergänzte, gleichsam nur ein Nebeneffekt seiner intensiven Beschäftigung mit den luftgetragenen Organismen. Ihrem „großen, organischen, unsichtbaren Wirken und Leben“ galt seine ganze Leidenschaft.

Luftgetragene Organismen

Die gesundheitliche Relevanz dieses organischen Staubes scheint erst durch den britischen Physiker John Tyndall (1820–1893) in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts systematisch untersucht worden zu sein. Tyndall hatte bemerkt, dass auch Luft, die keinen mit dem bloßen Auge erkennbaren Staub mehr enthält, noch Lichtstrahlen streut. Daraus folgerte er, dass auch in dieser Luft noch feine Schwebteilchen enthalten sein müssen. Da Tyndall über die Keimtheorie des französischen Mediziners Louis Pasteur gut informiert war, schloss er, dass über diese feinen Schwebeteilchen Krankheiten übertragen werden. Er konnte zeigen, dass in „optisch reiner Luft“, also in Luft, welche keine Schwebeteilchen enthält, Fleischbrühe aufbewahrt werden kann, ohne zu verfaulen. Wurde dieselbe Brühe normaler, staubiger Luft ausgesetzt, war sie bald voll mit Bakterien und Pilzen. Diese Experimente hatten natürlich unmittelbare Konsequenzen für die Hygiene, welche von Tyndall auch sofort gesehen wurden. Der umtriebige Physiker konstruierte Filteranlagen, die alle Schwebeteilchen aus der Luft herausfiltern und deren Einsatz er besonders den Ärzten empfahl. Tyndall nahm auch die erste Messung des Staubgehaltes der Luft in London vor. Heute noch funktionieren viele Staubmessgeräte, die etwa von Umweltämtern verwendet werden, auf ähnliche Art und Weise, wie jene ersten, die Tyndall einsetzte.

Entdeckung des Unsichtbaren

Den nächsten qualitativen Sprung in der Erforschung staubfeiner Partikel brachte die Entwicklung des Rastertunnelmikroskops durch Heinrich Rohrer (*1933) und Gerd Binnig (*1947) in den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Dieses Instrument ermöglicht es, Oberflächenkarten von sehr kleinen Partikeln anzufertigen, die an Genauigkeit jedes lichtmikroskopische Bild weit übertreffen. Sogar atomare Strukturen von wenigen milliardstel Metern – also Nanometern – können heute kartiert werden. Durch die Entwicklung des Rastertunnelmikroskops können heute sehr kleine Partikel nicht nur präziser charakterisiert, sie können auch einzeln bearbeitet und sozusagen geformt werden. Neue mikrotechnologische Verfahren erlauben einen präzisen Zugriff auch auf winzigste Strukturen.

Stäube analysieren...

Moderne Staubforscher sind in der Lage, aus den Eigenschaften und Umgebungen winziger Partikel weitreichende Schlüsse zu ziehen. Kriminalisten vermögen staubfeine Spuren, die am Tatort gesichert wurden, zur Aufklärung von Verbrechen zu nutzen. Wenige Milligramm Material erzählen ihnen Geschichten. Nicht minder virtuos in der Entzifferung des scheinbar Zerstörten sind Planetologen, die aus Teilchen, die gar nicht mehr sichtbar sind und die in der Stratosphäre mit hohem Aufwand gesammelt werden, Informationen über den Urzustand des Weltalls herauslesen. Für Pollenforscher, die sich mit fossilem Staub befassen, entstehen aus den Körnchen, die sie in Mooren sichern, ganze Bilder vergangener Landschaften.

Mit der Entfaltung der Möglichkeiten, Stäube zu analysieren, geht auch die Entfaltung der Techniken, Stäube herzustellen, einher. Das Mahlen ist auch heute noch die mengenmäßig wichtigste Technologie, doch gibt es zahlreiche neuartige Techniken, winzige Teilchen präparativ darzustellen, sei es auf dem wässrigen Weg oder auch durch Verbrennungsprozesse. Man nimmt sich hier gewissermaßen ein Vorbild an der Natur, die ihre Stäube ebenfalls nicht nur durch Verwitterung, sondern durch Prozesse in allen vier Elementen entstehen lässt: aus dem Feuer (Asche und Rußpartikel), aus der Erde (mineralischer Staub), aus dem Wasser (Salz aus der Windgischt) und auch aus der Luft, wo sich Staubpartikel durch chemische Reaktionen gasiger Bestandteile bilden können. Durch Steuerung der Präparationstechniken können die entstehenden Teilchen in ihren Eigenschaften sehr genau ausgeformt werden. Diese Präparationstechniken machen einen wichtigen Teil dessen aus, was heute mit dem summarischen Titel Nanotechnologie benannt wird.

...und herstellen

Von der Nanotechnologie sagen insbesondere viele Chemiker, dass sie inhaltlich eigentlich viel Altbekanntes enthalte, dem lediglich ein neuer Name gegeben werde. Chemiker seien seit langem gewöhnt, nanoskalige Strukturen präzise herzustellen und präparativ zu gewinnen. Bereits im Mittelalter seien nanoskalige Modifikationen von Stoffen, zum Beispiel das purpurfarbene Goldpigment in Glasfenstern, eingesetzt worden. Nanoskalige Rußpartikel seien schon von den alten Chinesen durch Verbrennung bestimmter Fette hergestellt worden. In der Tat war im Bereich der nanoskaligen Verfahren die Praxis der Theorie an vielen Stellen voraus. Eine gar nicht seltene Situation, die ähnlich auch in der Biotechnologie vorlag: Die Menschen wussten seit Jahrtausenden, wie man Bier braut oder Wein herstellt – jedoch erst im 19. Jahrhundert, mithilfe entwickelter Mikroskopiertechnik, entdeckten sie, dass bei diesen Prozessen Mikroorganismen die Hauptrolle spielten. Erst damit war der Weg frei für ein systematisches Verständnis der „Gärungsprozesse“ und damit auch für die systematische Weiterentwicklung der Technologie, die bald zur Entstehung neuer Industrien führte. Ähnlich gestatten es neue Analyse- und Beobachtungsverfahren, in erster Linie wohl das Rastertunnelmikroskop, nanoskalige Prozesse genauer zu beobachten und zu verstehen, die vielleicht schon seit langem bekannt, jedoch bislang nicht richtig erkannt waren.

Nanotechnologie altbekannt

STAUB ALS PHÄNOMENM

Was ist überhaupt Staub? Die älteste Definition stammt von Isidor von Sevilla (ca. 560 – 636 n. Chr.), dem heiligen Kirchenlehrer und (seit 2001) Patron des Internets. Sie findet sich in seinem Etymologiarium: „Pulvis dictus quod vi venti pellatur“, sagt er da im Kapitel über die Steine und die Metalle und beeilt sich gleich, eine Bibelstelle (Psalm 1, 4) als Beleg anzugeben. Die Definition ist rein phänomenologisch: Staub ist das, was vom Wind bewegt werden kann. So lernten es die Studenten bis weit ins Mittelalter, denn das Werk des Isidors genoss jahrhundertelang höchste Autorität. Ein heutiger Leser wird möglicherweise mit der Definition Probleme haben. Denn natürlich können alle möglichen kleinen Teile vom Wind bewegt werden. Da Staub je nach Herkunft und je nach Bearbeitung sehr unterschiedlich ausfallen kann, liegt der Gedanke nahe, dass es „an sich“ überhaupt keinen Staub gebe, Staub sei nur ein Sammelbegriff für sehr kleine Partikel. Natürlich haben die einzelnen Staubpartikel je nach Herkunft und Zusammensetzung unterschiedliche Eigenschaften. Doch alle diese Teilchen haben etwas Besonderes: Ihre Oberfläche ist nämlich sehr groß im Verhältnis zu ihrer Masse. Dieses Verhältnis bestimmt das Verhalten staubfeiner Teilchen so grundlegend, dass es berechtigt erscheint, sie alle mit dem summarischen Titel Staub anzusprechen. Denn die Größe eines Teilchens ist nicht etwas bloß Relatives. Sie hat vielmehr physikalische Bedeutung – große Teilchen verhalten sich grundsätzlich anders als sehr kleine, aus welchen Stoffen auch immer sie zusammengesetzt sein mögen. Der heilige Isidor mag es geahnt haben.

Vom Winde bewegt

Das Zerkleinern einer Substanz in kleine und kleinste Partikel ist nicht nur ein mechanischer Vorgang, sondern verändert auch Eigenschaften des Stoffes. Diese Veränderungen gehen nicht so weit, dass geradezu eine Stoffumwandlung stattfindet. In vielen Fällen scheint es jedoch sinnvoll zu sein, von nanoskaligen Modifikationen eines Stoffes zu sprechen. Die Quantität erweist sich als Qualität und zwar noch bevor diejenigen Größenordnungen erreicht sind, in denen die Gesetze der Quantenmechanik sich bemerkbar machen.

Die Qualität der Quantität

Als Analogie, um das Verhalten sehr kleiner Partikel zu verstehen, kann ein Vergleich der makroskopischen Welt mit dem Reich der Insekten dienen. Die in unserem Leben dominierende physikalische Kraft ist die Schwerkraft. Sie formt unsere Knochen, gibt das Volumen der Muskeln vor, leitet unsere Bewegungen, bestimmt über den Grundriss der Häuser und den Aufbau der Maschinen. Dies alles ändert sich bei den „winzigen“ Insekten. Im Gegensatz zu uns haben sie eine große Körperoberfläche im Vergleich zur Masse. In ihrer Welt muss sich die Schwerkraft den Oberflächenkräften unterordnen, die in unserer Welt eine weniger große Rolle spielen. Daher ist es möglich, dass Insekten problemlos an Wänden entlang gehen. Wenn ein Insekt aus großer Höhe herabfällt, landet es weich. Der Luftwiderstand dient ihm als Puffer. Die Oberflächenspannung des Wassers macht es möglich, dass Insekten darauf wie auf einer elastischen Membran gehen. Weil in der Insektenwelt die Oberfläche alles ist, sind sie auch anders gebaut. Sie verfügen über andere Antriebssysteme und andere Stützsysteme. Nicht umsonst studieren Mikro- und Nanotechniker eher die winzigen Lebewesen als die großen, um auf neue Ideen für Mikrokonstruktionen zu kommen.

Zur Erforschung des Staubes haben fast alle Naturwissenschaften beigetragen, auch wenn die Physiker und die Chemiker oft der Meinung sind, dass alles Wesentliche von ihnen erkannt wurde. Jedoch ist gerade im Bereich der Erforschung des Verhaltens kleiner Dinge der Beitrag der Biologen entscheidend. Dass sich die Biologen für das Winzige interessieren, hängt damit zusammen, dass die bei weitem meisten Lebewesen kleiner als ein Zentimeter sind. Es ist daher kein Zufall, dass zwei der wichtigsten nanoskaligen Phänomene von Biologen entdeckt wurden. Zum einen die Brown’sche Bewegung, die von dem schottischen Botaniker Robert Brown (1773–1858) 1827 beim Mikroskopieren von Pollenkörnern entdeckt wurde. Dabei handelt es sich um die diskontinuierliche, „eckige“ Bewegung von Pollenkörnern oder anderen sehr kleinen Partikeln in der Luft oder im Wasser, die mit steigender Temperatur zunimmt und auf Molekülstöße zurückgeführt werden kann. Ein weiterer Botaniker ist Wilhelm Barthlott (*1946), der schon in den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts den Lotus-Effekt entdeckte, jene nanoskalige Ausprägung von Oberflächenstrukturen, die dazu führt, dass bei der Lotuspflanze und bei einigen anderen Pflanzen Wasser und Schmutz nicht an der Oberfläche haften, sondern abperlen.

Archäologie des Kleinen

Kann man von „der“ Staubforschung sprechen? In vielen Disziplinen wird über den Staub geforscht. Doch die Interessenrichtungen und auch die Methoden sind vielfältig. In manchen Zusammenhängen begegnet man einem Komplex, den ich als mikroarchäologisches Paradigma bezeichnen möchte. Ähnlich wie ein Archäologe aus einem Haufen von Splittern und Scherben, die er in einem bestimmten Umfeld und zu einer bestimmten Zeit gefunden hat, einen vergangenen Lebenszusammenhang oder gar eine ganze Epoche rekonstruiert, lesen Kriminalisten, Geographen oder Ökologen aus den an einem bestimmten Ort gesammelten Partikeln Geschichten heraus und rekonstruieren vergangene Zustände. Oft geht es also nicht um den Mikrokosmos an sich, sondern um seine Funktion als Spiegel des Makrokosmos.

Spiegel des Makrokosmos

STAUB UND KOSMOS – EIN PHILOSOPHISCHER TOPOS

Ein schwebendes Teilchen, das man nur unter besonderen Lichtbedingungen, etwa wenn ein Lichtstrahl in ein sonst dunkles Zimmer fällt, erblickt, markiert die äußerste Grenze dessen, was gerade noch wahrnehmbar ist. Es hat keine klar erkennbare Gestalt, lässt sich kaum ertasten, erhebt sich beim leisesten Luftzug und segelt davon. Staub ist das labilste, unklarste und in gewisser Weise auch das niedrigste materielle Sein, das sich denken lässt. Staub ist ein Gemisch von ungewisser Herkunft, ein Bastard. Diese allgemein übliche Abwertung lädt natürlich ein zu einer Umkehrung. Tatsächlich setzen auch die meisten philosophischen Erörterungen des Staubes dieses kleinste und unwürdigste Sein in Beziehung zum größten und erhabensten: zum Weltall.

So lehrt eine Spekulation, die bereits angesprochen wurde, dass auch im Staubkorn, dem kleinsten kosmischen Sinnending, auf zusammengezogene Weise das All gespiegelt sei. Diese Idee hat eine lange Tradition, die auf Nikolaus Cusanus (1401–1464) zurückgeht. Für ihn hängt alles mit allem zusammen, alles ist mit allem verbunden, deshalb kann der augenblickliche Zustand der Welt abgelesen werden an jeder noch so kleinen Einzelheit in der Welt: omnia in omnibus. Noch Albert Einstein (1879–1955) steht in dieser Tradition, wenn er in einem berühmten Satz in einem Interview erklärt, dass einer, der das Geschehen in einem Sandkorn vollständig wissenschaftlich beherrscht, im selben Moment auch die allgemeinsten Gesetze des Universums erkannt habe. Denn das eine sei nur möglich auf Grundlage des anderen.

Alles in Allem

Beliebt ist auch die Vorstellung, dass im einzelnen Staubkorn Welten verborgen sind. Eine Idee, die vor allem, wie wir bereits sahen, Leibniz mit schönen Worten ausgemalt hat. Auch sein Briefpartner, der Basler Mathematiker Johann Bernoulli, sann den winzigen Welten gerne nach: „Weshalb hätte Gott nur die Art von Größen, die unsere Objekte ausmachen und unserem Verstand entsprechen, erschaffen sollen – während sich doch leicht denken lässt, dass in dem kleinsten Stäubchen eine Welt existieren kann, in der alles dieser großen Welt entsprechend angeordnet ist, und dass umgekehrt unsere Welt nichts anderes ist, als ein Stäubchen einer anderen, unendlich größeren.“

Dass in diesem Motiv der Stoff für eine echte Story steckt, ist erst einem viel späteren Schriftsteller aufgefallen: Der britische Autor Terry Pratchett (*1948) geht in seinem 1971 erschienenen Roman Thecarpet people von der Imagination einer Stadt aus, die sich irgendwo in einem Teppich befindet und nicht größer als ein Punkt ist. Was in dieser Stadt geschieht, ähnelt aber nicht allzu sehr jener besten aller möglichen Welten, an die Leibniz und manche seiner frommen Zeitgenossen gerne dachten. Vielmehr handelt es sich um eine Räuberpistole mit Krieg, Mord und Totschlag, in der auch der Staubsauger, als unwillkommene Verbindung von Mikro- und Makrowelt eine wichtige Rolle spielt.

Ein letztes Gedankenmotiv, das ich hier anführen möchte, geht aus von der Frage nach der Herkunft. Staub, wo auch immer wir ihn finden, ist ein Gemisch. Wo kommen seine einzelnen Bestandteile her? Der Arzt, Philosoph und Magier Paracelsus (1493–1541) ist, soweit ich sehen kann, der erste, der dieses Motiv in einen kosmischen Zusammenhang stellt. Der Mensch, so sagt er in seiner AstronomiaMagna, ist nach dem biblischen Bericht von Gott geschaffen worden, nachdem Himmel und Erde, Tiere und Pflanzen geschaffen wurden. Nachdem Gott die ganze übrige Welt kreiert hatte, erschuf er den Menschen aus Schmutz, Pulver und Staub: aus dem limus terrae. Wie versteht aber Paracelsus diesen limus terrae, diesen „Schmutz der Erde“?: „limus terrae ist ein auszug vom firmament und allen elementen, das ist (...) von allen corporibus und creatis.“ So sind alle Körper und alle Geschöpfe, Sterne und Elemente in das Material, aus dem der Mensch gemacht ist, eingegangen: „derselbige staub ist limus terrae und limus terrae ist maior mundus. Und also ist der mensch gemacht aus himel und erden, das ist aus den obern und undern geschöpfen.“ Das Material, aus dem Gott den Menschen schuf, ist kosmisch tingiert. Der Staub, der die ganze Schöpfung latent enthält, ist ein universaler Stoff. Daraus ergibt sich für Paracelsus, dass für ein Verständnis des Menschen nicht nur irdische, sondern auch kosmische Kompetenz erforderlich ist. Alles, auch die entferntesten Gestirne, kann einen Einfluss auf den Menschen haben. Deshalb muss sich der Arzt nicht nur mit Kräutern und Tieren, Mineralien und Elementen, sondern auch mit der Astronomie auskennen.

Staub — Brücke zum Weltall

Über Paracelsus ist das Motiv des universalen Staubes, aus dem der Mensch gemacht ist, in die weit verzweigte alchemistische Literatur eingegangen – und erlosch vorerst mit dem Ende der Alchemie. Es tauchte aber, wie in einer magischen Auferstehung, bei einem Schriftsteller des 20. Jahrhunderts wieder auf: bei Ernesto Cardenal (*1925). Immer wieder kommt der Dichter in seinen Psalmen und Gedichten auf den kosmischen Ursprung des Menschen zurück. So schreibt er im 37. Gesang seines Cantico Cósmico: „Aus dem Staub von Sternen gemacht, die explodierten, werden wir wieder Sterne und Planeten sein, einmal.“ Aus dem Staub, dem scheinbar niedrigsten aller materiellen Dinge, wird hier eine Brücke zum Weltall. Eine schöne Imagination! Die in der modernen Astrophysik keineswegs von der Hand gewiesen wird. Denn nicht nur rieselt, wie in einem der folgenden Beiträge noch genauer dargelegt werden wird, beständig kosmischer Staub auf die Erde nieder. Die ganze Erde kann als eine Station im kosmischen Materiekreislauf angesehen werden. Die Atome und Moleküle, aus denen unser Körper aufgebaut ist, existierten in der Geburtsstunde des Kosmos noch nicht, sondern sind erst im Laufe von Jahrmilliarden im Innern bestimmter Sterne wie in einem Backofen generiert worden. Diese Sterne explodierten dann, wie der Dichter schreibt und schleuderten jenen Staub und jene Trümmer ins Weltall, aus denen schließlich unser Sonnensystem und dann auch die Erde entstanden sind. So hat jener limus terrae, der Schmutz der Erde, den der Wind vor sich hertreibt, tatsächlich eine kosmische Herkunft.

Kosmischer Ursprung

LITERATUR

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ABBILDUNGEN

Die Abbildungen sind entnommen dem Werk von Chr. Gottfried Ehrenberg: Passat – Staub und Blut – Regen. Ein großes unsichtbares Wirken und Leben in der Atmosphäre (Berlin 1849). Sie zeigen Mikroskopansichten von Staubproben, die Ehrenberg von Naturforschern und Reisenden aus aller Welt zugesandt wurden. Ehrenberg hat die Proben mikroskopiert und gezeichnet; seine Vorlagen wurden anschließend gestochen. Ehrenbergs Buch markiert den Anfang der naturwissenschaftlichen Staubforschung.

TANZENDE STAUBKÖRNER UND NANOMASCHINEN

EIN AUSFLUG IN DIE WELT DES KLEINEN

Aber die Maschinen der Natur, d.h. die lebendigen Körper, sind

noch Maschinen in ihren kleinsten Teilen bis ins Unendliche.

G. W. Leibniz, Monadologie § 64

Im Alltag sehen wir im Staub vor allem ein Ärgernis: graues, inertes und passiv wirkendes Material, das uns stört. So tot und unbeweglich, wie der Staub vielleicht oberflächlich erscheinen mag, ist er jedoch keineswegs. Unter dem Titel „Sonnenstäubchen“ schildert der römische Dichter und Philosoph Lukrez eine Erscheinung, die zeigt, dass es auch in der Welt des Staubes sehr dynamisch zugeht. In einem Sonnenstrahl, der in ein abgedunkeltes Zimmer fällt, werden Staubteilchen sichtbar. Sie führen einen geheimnisvollen Tanz auf, der nie aufzuhören scheint. Die Staubteilchen, von unsichtbaren Stößen kleinerer Atome getrieben, werden in alle möglichen Richtungen gelenkt.

Für den Dichter-Philosophen offenbart ihre immer währende Bewegung ein verborgenes Weben von Kräften, welches die Materie durchdringt – Kern aller Wandlungsprozesse. Der Tanz der Staubteilchen ist Ausdruck einer schöpferischen Kraft, die sich in den großen Dingen ebenso äußert wie im Kleinen. Bewegungen und Stöße, so die Vorstellung von Lukrez, pflanzen sich vom Mikrokosmos in den Makrokosmos fort und verbinden die Welt der kleinen Teilchen mit der sinnlich wahrnehmbaren Welt.

Unsichtbarer Untergrund

Die tanzenden Staubpartikel sind ein Beispiel für dynamische Prozesse im Mikrokosmos, die uns normalerweise verborgen bleiben. In den folgenden Abschnitten begeben wir uns auf eine Reise in diese geheimnisvolle Mikrowelt, die den unsichtbaren Untergrund unseres Daseins bildet und die voller Überraschungen ist. Unser Ziel ist es, die Eigenschaften und die in kleinen Systemen ablaufenden Prozesse besser zu verstehen und systematisch zu untersuchen, wie diese mit der makroskopischen Welt zusammenhängen. Die gewonnenen Erkenntnisse bieten einerseits ein großes Potenzial für technologische Innovationen. Andererseits tragen sie zu einem gewandelten Selbstverständnis bei: Sie lassen uns die gewohnte Alltagswelt und uns selbst in einem anderen Licht sehen.

STAUBKÖRNER UND BIOLOGISCHE ZELLEN

Die unserer alltäglichen Makrowelt angepasste Längeneinheit ist das Meter (m). Unsere eigene Körpergröße lässt sich bequem in Metern ausdrücken, beispielsweise 1,80 m. Kilometer (1 km entspricht 1000 m) und Millimeter (1 mm entspricht 0,001 m) sind ebenfalls noch gut vertraute Größenordnungen der Länge. Unsere Alltagswelt ist mit Mikrowelten verbunden, die unseren Sinnen nicht direkt zugänglich sind. Staubpartikel, wie etwa Gräserpollen, die Heuschnupfen verursachen, sind so klein, dass wir sie mit bloßem Auge nicht mehr sehen können. Um sie sichtbar zu machen, benötigen wir ein Mikroskop. Die unmittelbare Beobachtung der Sonnenstäubchen durch Lukrez wird möglich, weil die kleinen Partikel vor einem dunklen Untergrund so das Licht streuen, dass sie als leuchtende Punkte sichtbar werden. Unter diesen günstigen Umständen ist man nicht auf besondere Hilfsmittel für die Beobachtung angewiesen.

Alltagswelt und Mikrowelt

Wir selbst bestehen aus kleinsten biologischen Einheiten, den Körperzellen. Ihre Abmessungen betragen meist nur wenige Mikrometer. Ihre Zahl ist dagegen kaum vorstellbar groß: Rund 1014 oder Hunderttausend Milliarden Zellen wirken in unserem Körper zusammen. Staubpartikel und biologische Zellen sind also von ähn