Staudenverwendung - Norbert Kühn - E-Book

Staudenverwendung E-Book

Norbert Kühn

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Beschreibung

Stauden sind zum Inbegriff einer kreativen und reichhaltigen Gartenkultur geworden. Um eine Staudenpflanzung erfolgreich anzulegen, sind umfassende Kenntnisse über das Wachstumsverhalten der Pflanzen notwendig. Zunächst werden Ihnen deshalb in diesem Werk die Lebensbereiche der Stauden vorgestellt, gefolgt von unterschiedlichen Ausbreitungsstrategien. Im Anschluss werden die Gestaltungsmöglichkeiten mit Blättern, Blüten und Wuchsformen erläutert, wobei die Farben und ihre Wirkungen eine spezielle Rolle spielen. Das Buch setzt sich intensiv mit den Gestaltungsprinzipien und der Pflegenotwendigkeit von Staudenpflanzungen auseinander und zeigt Anwendungsbeispiele für eine praktische Umsetzung.

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Seitenzahl: 565

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Norbert Kühn

Staudenverwendung

Biodiverse Pflanzungen – Gestaltungsgrundlagen – Strategietypen – Lebensbereiche

168 Farbfotos 3 Schwarzweißfotos 44 Zeichnungen und Pläne 67 Tabellen

Stauden sind eines der schönsten Materialien, die man als Landschaftsarchitekt, Gartenplaner oder engagierter Laie zur Verfügung hat. Die Vielfalt ihrer Erscheinungsformen ist überwältigend. Ihre Blüten, Blätter, der Trieb und die Wuchsform bereichern das Lebensumfeld. Noch viel stärker als Gehölze tragen sie die Botschaft des Lebendigen in sich und fordern uns auf, natürliche Erscheinungen und Prozesse im Detail zu studieren und immer wieder lenkend einzugreifen.

Ein tieferes Verständnis für Stauden bedingt, dass man sich mit ihrer Dauerhaftigkeit und ihrer Vergesellschaftung auseinandersetzt. So ergibt sich auch die unbedingte Notwendigkeit, sich mit ökologischen, gärtnerischen und ästhetischen Hintergründen zu beschäftigen. Gestalten mit Stauden kann als wunderbares Beispiel dafür gelten, wie sich die emotionale und rationale Gedankenwelt durchdringen können, um etwas Erfreuendes und Beglückendes zu entwickeln. In diesem Sinne kann man an dieser Stelle wohl nur Karl Foerster (1941) Recht geben: „Verstand allein – Gefühl allein – führt nicht zum Ziel.“

Das Buch soll keine Rezepte vermitteln und keine Dogmen aussprechen. Es soll Grundlagen dafür bieten, um sich selbst neue und eigene Gedanken zu machen. Dazu ist es nötig, in die Geschichte zu sehen und das schon Gedachte vor dem geistigen Auge vorbeiziehen zu lassen. Es ist auch nicht anstößig, sich an guten Beispielen zu orientieren und diese als Ausgangspunkt zu nehmen. Letztlich soll dieses Buch aber nicht das Denken behindern, sondern zu eigener Kreativität anregen.

Dieses Buch stellt keine vollständige Enzyklopädie der Staudenverwendung dar. Es soll zurzeit gebräuchliche Prinzipien aufzeigen und will sie auf eine ökologische Grundlage stellen. Dazu werden die Grundlagen erläutert und die wichtigsten Pflanzen genannt, mit denen sie sich verwirklichen lassen. Spezielle Lebensbereiche wie Alpinum, Steingarten, Wasserrand oder Wasserflächen wurden nicht berücksichtigt. Dazu gibt es eine umfangreiche Spezialliteratur.

Prof. Dr. Norbert Kühn

Einführung

Stauden und Staudenverwendung

Unentbehrliches Ärgernis: die Taxonomie

Deutsche Namen

Das Sortiment und die Sichtung

Teil I Hintergründe

1Geschichte der Staudenverwendung

1.1Vorgeschichte

1.2Beginn der Staudenverwendung: die Arts-and-Crafts-Bewegung

1.3Anfänge in Deutschland

1.4Erste Blüte der Staudenverwendung

1.5Nachklang

1.6Die Stauden und ihre Lebensbereiche

1.7Der europäische Aufbruch: „Perennial Perspectives“

2Die heutige Situation der Staudenverwendung in Deutschland

2.1Vielfalt der Ansätze

2.2Aktuelle Tendenzen in der Staudenverwendung

Teil II Ökologische Grundlagen der Staudenverwendung

3Physiologisch-morphologische Grundlagen pflanzlicher Dynamik

3.1Wachstum und Entwicklung

3.2Alterung der Stauden

3.3Ausbreitungsverhalten

3.4Einfluss auf Wachstum und Entwicklung

4Strategien und Strategietypen

4.1Wuchsformen

4.2Lebensformen von Stauden

4.3K- und r-Selektion

4.4Strategietypen nach Grime

4.5Strategietypen für die Pflanzenverwendung

4.6Übersicht über die Strategietypen

5Natürliche Vegetation als Vorbild

5.1Was ist standortgerecht?

5.2Erkenntnisse vom natürlichen Wuchsort

5.3Das Vorkommen der Stauden in der Natur und ihre Vergesellschaftung

5.4Die Stauden und ihre Lebensbereiche

6Stauden und Biodiversität

6.1Biodiversität und ihre Bedrohung

6.2Grundsätzliche Möglichkeiten zur Förderung der Biodiversität

6.3Förderung von Interaktionen zwischen Stauden und Tieren am Beispiel der Wildbienen

6.4Erhaltung lokaler pflanzlicher Biodiversität

6.5Vielfalt der Kulturpflanzen

7Stauden und Klimawandel

7.1Klimawandel

7.2Auswirkungen des Klimawandels auf das Wachstum von Stauden

7.3Anpassungserscheinungen von Stauden an Hitze- und Trockenstress

7.4Klimaveränderung schafft neue pflanzliche Möglichkeiten

Teil III Grundlagen der Gestaltung mit Stauden

8Ästhetische Grundlagen der Gestaltung von Staudenpflanzungen

8.1Ordnung und Harmonie

8.2Kontrast und Kombination

8.3Rhythmus

8.4Gruppierung

8.5Höhenstaffelung

8.6Transparenz

9Gestalterisch relevante Eigenschaften der Stauden

9.1Aufbau und Habitus

9.2Blattformen und -eigenschaften

9.3Farben bei Pflanzen

9.4Wirkung der Blütenfarben bei Stauden

9.5Andersfarbige Triebe

9.6Blattfarben

9.7Planungshinweise für Farbgestaltungen

Teil IV Aktuelle Prinzipien der Staudenverwendung

10Moderne Farbigkeit

10.1Übernahme klassischer Farbgestaltung aus England

10.2Moderne Vorstellungen zu Farbharmonien

10.3Farbeinsatz ohne ökologische Skrupel

10.4Pflanzenauswahl

10.5Beispiele für die Gestaltung mit Farben

11Mehr als Farbe: Wirkung durch Formen

11.1Gestaltung durch Formen

11.2Grundzüge der Gestaltung

11.3Pflanzenauswahl

11.4Gestaltung mit Pflanzenstrukturen ist inzwischen allgegenwärtig

12Das Blatt als Gestaltungsmittel

12.1Gestalten mit Texturen

12.2Grundzüge der Gestaltung und Pflanzenauswahl

12.3Beispiele für Gestaltungen

13Der Charme des Wilden: Neue Natürlichkeit

13.1Verbindung von Natur und Kunst

13.2Grundsätze der Gestaltung: Zulassen und Lenken

13.3Auswahl der Pflanzen

13.4Beispiele für Gestaltungen

14Großflächige Einartpflanzungen (Monopflanzungen)

14.1Vegetationsökologischer Hintergrund

14.2The New American Garden

14.3Planungsgrundsätze und Pflanzenauswahl

15Mischpflanzungen

15.1Hintergrund

15.2Beispiele für Mischpflanzungen

15.3Anlage und Pflege

15.4Diskussion

16Prinzip der Aspektbildner

Teil V Neuartige Lebensgemeinschaften

17Neue Wiesen

17.1Saatgut aus kontrollierter Herkunft

17.2Neue Wiesen aus regionalem Saatgut

17.3Anlage von Wiesen

17.4Wiesenpflege

17.5„Aufschmückung“ von Wiesen

18Prärie

18.1Der Trend zur Prärie

18.2Anlage und Pflege von Prärien

18.3Prärie und Neophyten

19Kiesgärten

19.1Der Garten am Ende der Welt

19.2Beth Chattos Kiesgarten

19.3Kiesbeete

20Coppicing

20.1Das natürliche Vorbild

20.2Stauden im Niederwald

20.3Bepflanzung

20.4Ausblick

21Einsatz spontan auftretender Vegetation

21.1Die Entdeckung der Spontanvegetation

21.2Spontane Pflanzengemeinschaften

21.3Vorgehensweise

21.4Ästhetische Aufwertung von Spontanvegetation

Service

Literaturverzeichnis

Wichtige Adressen zu weiterführender Information

Bildquellen

Dank

Einführung

Stauden und Staudenverwendung

Was sind Stauden?

„Stauden sind perennierende Pflanzen, das sagt den meisten gar nichts. Stauden sind Blumen, die im Winter aus scheußlichem Gestrüpp bestehen oder gar nicht vorhanden sind, falls man nicht in der Erde nachwühlt. Bei einem Mindestmaß an Freundlichkeit blühen sie jedes Jahr wieder. Hat man sie lieb, bedanken sie sich überschwänglich“ (FOERSTER 1937).

Mit dieser lakonischen Beschreibung versuchte Karl Foerster die Gruppe von Pflanzen zu charakterisieren, der er sich ganz verschrieben hatte und die er in Deutschland populär machte. Möchte man etwas präziser sein, so muss man leider feststellen, dass sich der Begriff „Stauden“ gar nicht so einfach fassen lässt. Botanisch-systematisch kann man sie nicht abgrenzen. Zwar gehören alle Stauden zu den Gefäßpflanzen – aber damit hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Die überwiegende Anzahl sind Samenpflanzen, es befinden sich aber ebenso Sporenpflanzen darunter, etwa die zahlreichen Farne. Innerhalb vieler Familien und sogar innerhalb derselben Gattung lassen sich Arten ganz unterschiedlichen Gruppen zuweisen. So gibt es etwa unter den Arten von Clematis und Cornus Stauden wie Gehölze, während zum Beispiel bei Erigeron, Chrysanthemum und Delphinium Stauden und einjährige Arten zu finden sind.

Zentrale Kriterien zur Charakterisierung der Stauden sind die Eigenschaften perennierend (also mehrere Jahre überdauernd) und winterhart.1 Sie ziehen sich also im Winter in ihre Überdauerungsorgane zurück, überstehen so die mitteleuropäische Kälteperiode und treiben jedes Jahr von Neuem aus. Stauden werden gerne auch als krautige Pflanzen definiert. Doch das trifft nicht auf alle zu. Gerade sehr beliebte Arten wie Lavandula angustifolia und Salvia officinalis verholzen mit den Jahren.

Welche dieser Zwergsträucher (Chamaephyten) letztlich zu den Stauden gerechnet werden und welche nicht, lässt sich nicht systematisch nachvollziehen. Während Dryas in jeder Staudengärtnerei zu finden sein wird, sucht man die Spalierweiden – die eine ganz ähnliche Erscheinungsform haben – vergeblich. Während Lavandula und Salvia officinalis ganz selbstverständlich als Stauden gelten, würde man das von zwergigen Rhododendren nicht behaupten. Hier gibt es eine Art von Konvention oder gärtnerischem Pragmatismus: Pflanzen, die sich üblicherweise zusammen mit herkömmlichen Stauden vermehren und kultivieren lassen und auch mit diesen verwendet werden, bezeichnet man als Stauden. Andere Chamaephyten werden dagegen als Gehölze von Baumschulen angeboten.

Einen ersten Überblick über die Vielfalt der Stauden eröffnet die Zuordnung nach den Lebensformen nach RAUNKIAER (1907) (DIERSCHKE 1994, 88 ff.). Diese Kategorien erlauben auch bereits eine erste grobe, ökologische Charakterisierung:

Definition 1

Stauden sind mehrjährige Gewächse (perennierend), die im mitteleuropäischen (gemäßigten) Klima den Winter überdauern (sie sind winterhart) und aus ihren im Boden, an der Bodenoberfläche oder bodenoberflächennahe gelegenen Überwinterungsorganen wieder austreiben können. Meist sind sie krautig, selten verholzend.

Unter den Stauden finden sich Pflanzen mit unterirdischen Überwinterungsorganen wie Zwiebeln (z. B. bestimmte Tulipa-Arten, Scilla siberica), Knollen (z. B. Corydalis cava) oder Rhizomen (Anemone nemorosa), die zugleich als Speicher für Energiereserven dienen können. Solche Arten werden ökologisch als Geophyten bezeichnet. Auch viele Wasserpflanzen gehören zu den Stauden. Bei ihnen liegen die Überwinterungs- und Speicherorgane entsprechend unter Wasser (sogenannte Hydrophyten).

Der überwiegende Teil der Stauden besitzt jedoch einen an der Erdoberfläche kriechenden Wurzelstock, der als Überdauerungsorgan dient, aber keine besonderen Speichervorrichtungen besitzt. Ökologisch korrekt nennt man diese Lebensform Hemikryptophyt.

Viele Pflanzen, besonders in den Hochlagen der Gebirge, haben kein ausgesprochenes Höhenwachstum, sondern besitzen gestauchte, dicht verzweigte Sprossachsen über dem Erdboden. Zu diesen Polster- und Rosettenpflanzen (korrekt als krautige Chamaephyten bezeichnet) gehören viele besonders für den Steingarten beliebte Arten (z. B. viele Enziane, Aubrieta, Steinbrech und Sempervivum).

Nach üblichen Definitionen zwar oft ausgeklammert (da dem Kriterium „krautig“ widersprechend), aber unter dem Gesichtspunkt der Staudenverwendung sinnvoll, müssen auch die niedrigen Arten der verholzenden Zwerg- und Halbsträucher (die ebenfalls zur Lebensform der Chamaephyten gehören) zu den Stauden gerechnet werden. Das sind entweder Spaliersträucher (wie Dryas octopetala), die mit ihren verholzten Trieben auf dem Boden kriechen, oder Pflanzen, die kleine Büsche ausbilden (wie zum Beispiel Helianthemum nummularium, Lavandula angustifolia oder Santolina chamaecyparissus).

Was versteht man unter Staudenverwendung?

Perennierende, winterharte Gewächse gehörten zum Inventar aller Gärten seit der Sesshaftwerdung der Menschen. Sie wurden als Nahrungsgrundlage eingesetzt, stellten notwendige Rohstoffe wie zum Beispiel Fasern bereit oder wurden für medizinische Zwecke gebraucht. Spätestens seit der römischen und griechischen Antike und dann wieder seit dem Mittelalter kennt man Stauden auch als Zierpflanzen. Diesen beiläufigen Einsatz im Rahmen von Schmuckpflanzungen könnte man als Staudenverwendung im weiteren Sinne begreifen.

Staudenverwendung im engeren Sinne dagegen bezeichnet den Einsatz von Stauden zur Ausschmückung von Gärten, Parks und sonstigen Freiräumen. Wichtig ist, dass es sich nicht um eine zufällige Anhäufung handelt, sondern dass die bewusste Zusammenstellung von Stauden einer Gestaltungsidee folgt. Damit steht nicht die einzelne Pflanze im Vordergrund, sondern die Wirkung der gesamten Pflanzung. Erst die Kombination und der gezielte Einsatz machen also aus einer Staudenpflanzung eine Staudenverwendung. In der Regel sind dabei verschiedene Arten oder Sorten miteinander vergesellschaftet. Sie gewinnen ihre Schmuckwirkung durch Austrieb, Wuchsform (Habitus) und Blätter, Blüten und Fruchtstände. Natürlich können auch andere Pflanzen wie Bäume und Sträucher an der Zusammenstellung beteiligt sein, die Stauden stehen jedoch im Mittelpunkt der Gestaltung.

Staudenpflanzungen können ganz verschiedene ästhetische Konzepte besitzen: Die Bandbreite kann von streng formalen Pflanzweisen (z. B. Monopflanzungen) bis zu naturhaften Konzepten (wie Blumenwiesen) reichen. Auch die Pflanzflächen selbst können je nach der Umgebungsgestaltung, in die sie eingebettet sind, ganz unterschiedliche Formen aufweisen. Dies reicht von Beeten und Rabatten (z. B. die englischen Mixed Borders oder Perennial Borders) bis zu flächigen Pflanzungen in Wäldern und auf Freiflächen.

Unentbehrliches Ärgernis: die Taxonomie

Die Vielfalt an Stauden ist fast unüberschaubar. Während Rümpler 1887 934 Arten und Sorten nennt, sind es bei SILVATAROUCA und SCHNEIDER 1922 bereits 2883. In der fünften Auflage der „Freiland-Schmuckstauden“ von JELITTO,SCHACHT und SIMON von 2002 sind es allein 1100 Gattungen mit jeweils entsprechend vielen Arten und Sorten. Schon aus diesen Zahlen wird die dringende Notwendigkeit einer richtigen, eindeutigen Namensgebung ersichtlich. Deutsche Namen gibt es nur für die wichtigsten Pflanzen. Mit ihnen kommt man bei einer differenzierten Staudenverwendung nicht sehr weit.

Das Problem einer zweifelsfreien Benennung scheint seit den Zeiten des schwedischen Botanikers CARLVONLINNÉ (1707–1778) gelöst. Er führte das binäre System in die Botanik ein. In seinem Buch „Species plantarum“ legte er 1753 fest, dass man zur Kennzeichnung einer Pflanze den Gattungsnamen und das Artepitheton aufführt. Man war nicht mehr auf die unterschiedlichen Volksnamen und umständliche lateinische Beschreibungen angewiesen, sondern konnte die Pflanzen wissenschaftlich benennen.2

Die wissenschaftliche Namensgebung, die sogenannte Nomenklatur, ist für alle gärtnerischen Bereiche unentbehrlich. Doch was auf den ersten Blick transparent und logisch erscheint, kann im Detail oft völlig undurchschaubar sein. Denn ähnlich wie alle Klassifizierungen handelt es sich auch bei der Taxonomie um ein System, das nicht die Wirklichkeit abbildet, sondern sie durch Vereinfachungen handhabbar macht. So kann es sein, dass scharfe Grenzen zwischen Taxa (systematischen Einheiten) gezogen werden, wo es in der Natur tatsächlich einen Übergang gibt.

Daher verwundert es nicht, dass sich mit Fortschreiten der botanisch-systematischen Forschung Namen und Zuordnungen selbst lange bekannter Arten immer wieder ändern. Mit den neu entwickelten genetischen Untersuchungsmethoden (mithilfe von DNA-Basensequenzen) werden zurzeit von Systematikern viele Gattungen neu bearbeitet und in der Folge neu klassifiziert – mit erheblichen Auswirkungen auf bekannte Namensgebungen (siehe CALLAUCH 2008, NESOM 2009). Diese Umbenennungen stellen für Gärtner ein stetiges Ärgernis dar.3 Man kann natürlich auch, wie in der Literatur häufig zu beobachten ist, so lange warten, bis ein abgeschaffter Name wieder Gültigkeit besitzt. Nur leider kann man sich darauf nicht wirklich verlassen. Also bleibt nichts anderes übrig, als mit dem vorhandenen System zu arbeiten und sich immer wieder über den neuesten Stand zu informieren.

So wird dieses System von Botanikern in aller Welt stetig weiter fortgeschrieben, die neueste Fassung der Benennungsregeln für Pflanzen stammt aus dem Jahr 2018 (ICN 2018), für Kultivare von 2016 (ICNCP 2016).

Arten und Gattungen

Alle Pflanzen, die sich gegenüber anderen durch deutliche morphologische Unterschiede abgrenzen, werden als Art (oder Species) bezeichnet. Die Merkmale einer Art treten konstant auf und werden weitervererbt. Individuen einer Art bilden eine Fortpflanzungsgemeinschaft (WAGENITZ 1996). Arten, die ähnliche Merkmale besitzen, werden zu einer Gattung (oder Genus) zusammengefasst. In der binären Nomenklatur wird eine Pflanze immer mit einem zweiteiligen Namen bezeichnet (z. B. Ajuga reptans).

In wissenschaftlichen Publikationen wird der Art immer noch der Name des Erstbeschreibers, häufig abgekürzt, hinzugefügt. Sehr oft findet sich ein L., das für Carl von Linné steht (wie beispielsweise bei Ajuga reptans L.). Art und Gattung sind die beiden wichtigsten Taxa (Einheiten), die bei Pflanzen immer angegeben werden müssen.

Weitergehende genetische Ausdifferenzierung

Für die gärtnerische Verwendung von Stauden kommen jedoch oft gerade die Formen infrage, die sich durch besondere, optisch hervorstechende Eigenschaften vom eigentlichen Typus der Art unterscheiden. Zum Beispiel kann es eine andere Blütenfarbe sein oder eine abweichende Blattform. Die Artebene genügt in diesen Fällen nicht, um die gewünschte Pflanze mit der beabsichtigten Wirkung genau benennen zu können.

Abweichende Formen müssen nicht immer Ergebnis einer Züchtungsarbeit sein. Ganz im Gegenteil: In der Natur gibt es immer wieder solche Erscheinungen – sie sind letztlich die Grundlage zur Evolution der Arten. Viele dieser abweichenden Formen wurden von Gärtnern in der Natur gesammelt und dann gärtnerisch kultiviert. Erst seit der Entwicklung der Vererbungslehre konnte man gezielt und methodisch an die Züchtungsarbeit herangehen.

Im botanischen System gibt es ganz unterschiedliche Kategorien, die eine solche Abweichung von der eigentlichen Art korrekt beschreiben. So kann es sich um eine Unterart, eine Varietät, eine Hybride, eine Form oder um eine Sorte handeln.

Genetische Differenzierungen finden sich in der Natur oft bei Pflanzen mit sehr großen Verbreitungsgebieten. Aber auch wenn sich das Gesamtareal durch unüberwindbare Grenzen, wie zum Beispiel Gebirge, Seen, Ströme oder Meere in Teilareale aufgespaltet hat, bilden sich evolutionär deutliche Unterschiede heraus. Solche isolierten Populationen besitzen keine Möglichkeit eines genetischen Austausches mehr und beginnen sich somit getrennt voneinander weiterzuentwickeln. Deshalb findet sich insbesondere bei alpinen Pflanzen eine hohe Artendiversität (so bei den Gattungen Gentiana, Primula und Saxifraga). Dies verlockte die Gärtner und vor allem die Sammler unter ihnen von jeher, sich gerade diesen Pflanzen zuzuwenden.

Die wichtigsten Taxa unterhalb der Artebene

Unterarten (Subspecies, abgekürzt subsp.) können als Vorstufe zu einer eigenen Art angesehen werden. Sie besitzen ebenfalls genetisch konstante Abweichungen, lassen sich aber im Erscheinungsbild nur unscharf voneinander abtrennen, weshalb ihnen der Artstatus verweigert wird. In der Regel lassen sich für Unterarten Grenzen ihrer Verbreitung aufzeigen. Unterarten einer Art sind durch einige Merkmale deutlich voneinander unterschieden.

Öfter als subsp. jedoch findet sich bei Stauden hinter dem Artnamen das Kürzel var., das eine Varietät (Varietas) kennzeichnet. Hier treten ebenfalls Abweichungen von der eigentlichen Art auf, diesen ist jedoch kein eigenes Areal zuzuweisen (Beispiel: Rudbeckia fulgida var. deamii, var. palustris, var. speciosa und var. sullivantii).

Unterarten und Varietäten können gärtnerisch im Prinzip wie eigene Arten behandelt werden, denn oft unterscheiden sie sich nicht nur in ihrer äußeren Erscheinung, sondern auch in Bezug auf ihre Anforderungen an den Standort. So können Unterarten mitunter trockenere bzw. feuchtere Plätze besiedeln als die eigentliche Art. Beide Taxa fallen echt aus Samen, die Tochterpflanze entspricht genetisch wieder der Mutterpflanze. Dies ist wichtig für eine dynamisch-naturhafte Staudenverwendung, in der eine generative Ausbreitung zugelassen wird.

Gibt es einzelne abweichende Eigenschaften bei einer oder mehreren Pflanzen in einer Population, so wird dies als Form (forma, abgekürzt fo.) bezeichnet (WAGENITZ 1996). Solche Abweichungen sind nicht selten, werden aber nur dann wahrgenommen, wenn sie äußerlich auffallen, wie etwa durch eine andere Blütenfarbe oder ein verändertes Wuchsverhalten. Eine sehr oft auftretende Abweichung ist zum Beispiel eine weiße statt einer farbigen Blüte (in der Regel als fo. alba bezeichnet, siehe Abb. 3). Solche Formen sind sehr gesucht und bilden einen weiteren Ausgangspunkt für gärtnerischen Sammeleifer. Die Eigenschaften von Formen können – müssen aber nicht – generativ weitergegeben werden.

Obwohl es in der Definition einer Art begründet ist, dass sie für sich eine Fortpflanzungsgemeinschaft bildet, kreuzen sich mitunter eng miteinander verwandte Arten. Man bezeichnet die daraus resultierende Mischform als Hybride (= Bastard) und kennzeichnet sie durch ein „ד vor der Artbezeichnung. So entstand das Geranium×cantabrigiense (Abb. 1) aus den Arten G. macrorrhizum und G. dalmaticum und wurde in Biokovo (Slowenien), wo beide Arten nebeneinander vorkommen, zum ersten Mal in der Natur entdeckt. Schon vorher kannte man diese Hybride aber aus botanischen Gärten, z. B. aus Cambridge, weshalb sie auch als Cambridge-Storchschnabel (latinisiert dann cantabrigiense) bezeichnet wird. Selten kommt es sogar zu Hybriden zwischen Arten unterschiedlicher Gattungen, so zum Beispiel bei ×Solidaster luteus, einer Hybride aus Solidago rigida und Asterptarmicoides.4

Gärtnerische Taxonomie: Sorten, Kultivare

Aus der Natur oder in Kultur selektierte Formen, die gärtnerisch weiter kultiviert werden, bezeichnet man als Sorten. So wurde zum Beispiel das von dem bekannten Staudenfachmann Dr. Hans Simon 1975 gefundene Geranium macrorrhizum ‘Czakor’ nach seinem Fundort benannt. Entstehen bei einer Kreuzung verschiedener Ausgangsarten unterschiedliche Hybridformen, so können auch diese mit einem Sortennamen gekennzeichnet werden. So hat der Züchter Georg Arends eine ganze Reihe von Sorten der Gattung Astilbe durch Kreuzung verschiedener Arten erzeugt. Die Hybridgruppe wurde nach ihm Astilbe×arendsii benannt. Dazu gehören zum Beispiel die Sorten ‘Amethyst’, ‘Brautschleier’, ‘Cattleya’, ‘Gloria’ und ‘Glut’. Den Sortennamen vergibt der Züchter oder der Sammler dieser Form, er kann poetisch die Pflanze beschreiben, wie es bei Karl Foerster häufig der Fall ist (‘Gletscherwasser’, ‘Berghimmel’, ‘Jubelruf’), oder aber bestimmte Personen (‘Else Schluck’, ‘Obergärtner Jürgens’) oder besondere Orte (‘Finsteraarhorn’, ‘Spessart’) ehren. Manche sind sicher einfach aus einer Laune heraus entstanden (‘Wenn schon – denn schon’, siehe Abb. 2, ‘Sum and Substance’, ‘Zwergelefant’). Vorschriften gibt es hierfür nicht.

Formen, Sorten und alle durch Hybridisierung entstandenen Pflanzen müssen in der Regel vegetativ vermehrt werden, wenn man ihre Eigenschaften erhalten will. Sie fallen aus Samen „nicht echt“, das heißt die Tochterpflanzen können ein von der Mutterpflanze abweichendes Erscheinungsbild besitzen. Das muss bei einer naturalistischen Pflanzweise berücksichtigt werden. Zumindest wenn durch Aussamen und die Entwicklung von Sämlingen eine Dynamik entstehen soll, muss man damit rechnen, in einigen Jahren nicht mehr die Ausgangsform zu besitzen, sondern einen ganzen Schwarm von intermediären Typen. Dies kann durchaus sehr reizvoll sein. Bei einigen Stauden kam es als Folge der Hybridisierung allerdings zur Sterilität der Pflanze. Auch das kann ein interessanter und erwünschter Effekt sein, wenn man das Aussamen verhindern will.

Abb. 1Geranium×cantabrigiense entstand als eine Hybride aus G. dalmaticum und G. macrorrhizum. Sie ist sowohl aus Gärten als auch vom Naturstandort bekannt.

Abb. 2 Der Name für die Phlox-Sorte ‘Wenn schon – denn schon’ geht auf eine Eingebung Karl Foersters zurück.

Abb. 3 Weißblütige Formen treten in Absaaten öfter auf. Hier stehen eine blaublühende und eine spontane weiße Form (fo. alba) einer Bärtigen Glockenblume (Campanula barbata) nebeneinander.

Absaaten von bekanntermaßen vegetativ zu vermehrenden Sorten müssen deshalb als solche gekennzeichnet werden. Sie werden „Strains“ (engl. für Nachkommen) genannt. Das Etikett muss mit einem „S“ versehen sein. Bekannt sind zum Beispiel Absaaten von Lavandula-Sorten wie ‘Munstead’-Strain und ‘Hidcote’-Strain.

Eine Ausnahme von der Regel der vegetativen Vermehrung bilden die Samensorten. Die sogenannten F1-Hybriden werden aus den Eltern immer wieder neu „hergestellt“ und fallen dadurch echt. Der Samen ist daher recht teuer, deshalb besitzen solche Sorten nur im Gemüsebau und in der Balkonpflanzenanzucht eine größere Bedeutung. Samenechte Sorten dagegen entstehen dadurch, dass man einmal entstandene abweichende Typen immer wieder mit sich selbst kreuzt, sodass man im größeren Umfang genetisch relativ einheitliche Pflanzen heranzieht. Aus diesem Ausgangsmaterial werden Samen gewonnen und angeboten. Man kann dann davon ausgehen, dass ein Großteil der Nachkommen die Eigenschaften der Eltern geerbt hat. Samensorten werden immer populärer, da sie billiger, schneller und in größerem Umfange zu produzieren sind, während das vegetative Vermehren der Stauden mit sehr viel zeitaufwendiger Handarbeit verbunden ist. Dies schlägt sich dann auch im Preis nieder.5 Allerdings treten sortenspezifische Eigenschaften (wie zum Beispiel bestimmte Blattfarben, Blütenfarben oder Wuchsformen) bei vegetativ vermehrten Sorten in der Regel klarer und verlässlicher zu Tage (siehe dazu auch ausführlich „Kulturpraxis der Freilandschmuckstauden“, FESSLER und KÖHLEIN 1997).

Deutsche Namen

Wissenschaftliche Namen sind als international gültige Konventionen notwendig. Da auch Botaniker in anderen Ländern diese Pflanzennamen kennen, kann man sich zweifelsfrei darüber verständigen.6

Deutsche Pflanzennamen können zumindest für den deutschen Sprachraum einheitlich gebraucht werden (z. B. bei Rittersporn, Eisenhut oder Ochsenauge). Manche Namen variieren regional sehr stark (beispielsweise für Taraxacum officinale: Kuhblume, Pusteblume, Löwenzahn und andere). Mitunter unterscheidet man im Deutschen nicht zwischen ähnlich aussehenden Arten und belässt es beim Gattungsnamen (z. B. Anemone, Kamille).

Es kommt nicht selten vor, dass wissenschaftlicher und deutscher Name identisch sind. Dies findet sich besonders häufig bei lange eingeführten und hier sehr beliebten Pflanzen. Phlox heißt Phlox, Crocus ist Krokus, Anemone bleibt Anemone und Rudbeckia wird in der Regel auch im Deutschen als Rudbeckie bezeichnet.

Das Sortiment und die Sichtung

Selektion und Züchtung

Seit Pflanzen gesammelt wurden, hat man sich immer um die Besonderheiten bemüht, die durch abweichende Eigenschaften auffallen. Man hat solche Exemplare auf Reisen und Wanderungen gesammelt und bevorzugt in den Gärten kultiviert. Heute noch kommen immer wieder solche Naturselektionen in den Handel. Einmal in Kultur genommen, werden sie dann meist als Sorte geführt.

Solche Sammlungen besonderer Typen stellten den Ausgangspunkt für die Züchtungsarbeit dar. Zunächst dürften neue Sorten noch zufällig entstanden sein, weil unterschiedliche Typen der gleichen Art oder aber kreuzbare Partner nebeneinander vorkamen. Karl Foerster und auch noch Ernst Pagels haben dem Zufall etwas nachgeholfen, indem sie die Sorten bzw. Arten mit guten Eigenschaften nebeneinandersetzten, die Befruchtung aber den Insekten überließen. Die so entstandenen Sämlinge wurden aufgepflanzt, die besten herausselektiert (Karl Foerster nannte das den „Enttäuschungsfilter“) und als Sorten in den Handel gegeben. In vielen kleinen Gärtnereien hat man noch heute Freude daran, zufällig entstandene Selektionen weiterzukultivieren und später als Sorte herauszugeben.

Jedoch wurden Stauden schon seit dem 19. Jahrhundert (bei einigen Modeblumen wie Tulpen, Aurikeln und Nelken auch schon früher) gezielt gezüchtet, als es galt, durch Neuigkeiten auf sich aufmerksam zu machen. Man hat die Mutterpflanze mit dem Pollen eines Kreuzungspartners befruchtet, da man sich von den Ausgangsformen ein interessantes Ergebnis versprach. Diese Züchtungsarbeit ist im Bereich der Zierpflanzen unter Glas perfektioniert worden, eine konsequente Züchtungsarbeit bei Stauden war wegen ihrer geringen ökonomischen Bedeutung eher die Ausnahme.

Dies hat sich heute gewandelt. In den Niederlanden und in den USA gibt es Züchter, die versuchen mit ihren Stauden-Neuheiten Trends zu setzen. Jährlich werden so mehrere hundert neue Sorten herausgebracht (z. B. bei den Gattungen Hosta, Heuchera, Hemerocallis, Iris oder Tiarella). Eine schnelle, vegetative Weitervermehrung der so gewonnenen Typen erlaubt die In-vitro-Kultur, bei der man einer neuen Sorte Zellen entnimmt und sie im Reagenzglas zu Zellhaufen heranwachsen lässt. So ist es möglich, beliebig viele undifferenzierte Zellen mit derselben Erbinformation zu produzieren. Durch Zugabe von Wachstumshormonen differenzieren sie aus und entwickeln sich so zu neuen Pflanzen. Nur dadurch wird es möglich, dass man zum Beispiel neue Hosta-Sorten, bei denen man bei „normaler“ vegetativer Vermehrung viele Jahre benötigt, um ausreichend verkaufsfähiges Material heranzuziehen, schon kurze Zeit nach der Züchtung in hohen Stückzahlen auf den Markt bringen kann.

Solche Pflanzen sind aber in der Regel durch keinen allzu langen „Enttäuschungsfilter“ gegangen. Die Zielgruppe dieser neuen Pflanzenzüchter sind auch nicht Landschaftsarchitekten oder Hobbygärtner, sondern „Pflanzenkonsumenten“ – Menschen, die im Baumarkt eine billige, auffällige Pflanze erstehen, um sie nach wenigen Monaten wieder wegzuwerfen.7 Das wichtigste Merkmal einer Staude, ihre Dauerhaftigkeit, ist in diesem Fall weder beabsichtigt noch erwünscht.

Sichtung

Die Vielfalt der gezüchteten Gartenformen machte schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Auswahl notwendig. Die Idee, die besten Sorten zu prüfen, wird seither als Sichtung bezeichnet. Sie kam aus England und wird dort noch heute von der Royal Horticultural Society (RHS) in ihrem Garten in Wisley praktiziert (engl. trials). Karl Foerster mahnte an, die Sichtung für Stauden auch in Deutschland einzurichten. Anders als in England sollte sie an verschiedenen Standorten über das Land verteilt stattfinden. Ein erster Sichtungsgarten wurde auf der Freundschaftsinsel in Potsdam angelegt (FOERSTER in JELITTO und SCHACHT 1963, 7 f.). Hermann Mattern entwickelte dazu die Planung.

Richard Hansen erweiterte die Aufgaben der Sichtung und wollte neben der Einzelpflanze auch die Kombination einer solchen Prüfung unterwerfen: „Sichtung bedeutet Auslese der besten Züchtungen und kulturwürdiger Arten, aber auch das Erfassen der richtigen Pflanzplätze mit geeigneten Partnern und Nachbarn, die sich zur Vergemeinschaftung eignen. Im weiteren Sinn heißt sichten, das Harmonische und Schöne zu fördern, Form und Inhalt des Lebendigen zu suchen, nach Individualität der Natur in jedem Grünraum“ (HANSEN 1987, 16).

Heute werden die Pflanzen auf folgende Eigenschaften hin geprüft: Winterhärte und Ausdauer, Wuchskraft, Standfestigkeit, Wirkung vor, während und nach der Blüte, Reichblütigkeit, Blütezeit, Blühdauer, Blütenfarbe, Resistenz gegenüber Krankheiten und Wetterbeständigkeit (Hitze, Regen), Vermehrbarkeit, Marktwert und Verwendbarkeit in Pflanzengemeinschaften. Die Daten werden im Arbeitskreis Staudensichtung des Bundes deutscher Staudengärtner (BdS) zusammengetragen und ausgewertet. Es erfolgt eine allgemeine Bewertung, die dem Staudenverwender aufzeigen soll, auf welche Sorten er mit Erfolg zurückgreifen kann. Für den Staudengärtner bedeuten die Ergebnisse, dass er bei diesen Pflanzen auch mit einer verstärkten Nachfrage rechnen kann. Deshalb werden die überprüften Pflanzen nach Ablauf der Sichtung an die Betriebe versteigert, die dann geprüfte Pflanzen vermehren und anbieten können. Tabelle 1 nennt die Bewertungsstufen für Stauden in der Sichtung.

Definition 2

Beetstauden (= Prachtstauden oder Rabattenstauden): „Bei Beetstauden handelt es sich um wüchsige, prächtige, hohe und niedrige Züchtungen zum Beispiel bei Rittersporn, Pfingstrose, Phlox und Herbstastern, die bei aller Verschiedenheit das gepflegte, keinesfalls nährstoffarme Gartenbeet jeglicher Form zum guten Gedeihen beanspruchen“ (HANSEN 1987, 66).

Diese Auswahl – und damit die gleichzeitige Eingrenzung des Sortiments – ist nicht ganz unkritisch zu sehen. Immer wieder kommt es zu regional unterschiedlichen Ergebnissen, das heißt, es gibt Sorten, die möglicherweise spezielle Klimabedingungen benötigen, sich dann aber optimal entwickeln können. Eine solche Regionalisierung war zwar schon von jeher angedacht, wurde bislang aber nicht vollzogen. DAZU HANSEN 1987 (16): „Der Gartenwert einer Staude ergibt sich aus ihrer Bedeutung für Pflanzungen aller Art, die jedoch in rauen und in milden Klimagebieten sehr unterschiedlich sein kann.“ Deshalb gibt es von Gärtnern immer wieder kritische Stimmen gegen die Sichtung, da sie mit „entbehrlich“ eingestuften Stauden in ihrem eigenen Umfeld gute Erfahrungen gemacht haben. Inzwischen versucht man solche Besonderheiten durch Vergabe des Prädikats „Lokalsorte“ zu kennzeichnen.

Karl Foerster und die frühen Staudengärtner des 20. Jahrhunderts taten sich noch leicht mit der Bereinigung des Sortiments; sie standen am Beginn der Züchtungsarbeit. Heute stellt sich heraus, dass verstärkt alte Sorten durch die Sichtung als überholt eingestuft werden. Offensichtlich gibt es diffuse Abbauerscheinungen, deren Ursachen bislang aber noch nicht ausreichend erforscht sind. Ein Teil dieser Erscheinungen wird auf Virosen, Bakteriosen, Mykosen, Phytoplasmen oder Schädlinge zurückgeführt, mit denen die Pflanzen infiziert sind. Bei der vegetativen Vermehrung werden sie von der Mutter- auf die Tochterpflanze übertragen (REINTHALER und HERTLE 2000). So gibt es für Sorten aus der Phlox-paniculata-Gruppe große Probleme durch die Weitergabe von Stängelälchen. Für Geranium- und Heuchera-Sorten ist eine Infektion mit Bakterien bekannt, die das Erscheinungsbild sowie die Vitalität stark in Mitleidenschaft ziehen kann (POSCHENRIEDER et al. 2005). So führte HERTLE das schlechte Abschneiden älterer Sorten des Heuchera-Sortiments auf diesen Umstand zurück (2004).

Viele alte Sorten können deshalb infolge dieser diffusen „Abbauerscheinungen“ in der Sichtung nicht mehr überzeugen. Wollte man die Ergebnisse konsequent umsetzen und alle nicht überzeugenden Sorten aus dem Verkauf nehmen, so würde dies zum Verlust ganzer Sortimente führen. Bedroht ist dadurch nicht nur das Lebenswerk von Karl Foerster (in ungefähr 60 Jahren schuf er etwa 400 Sorten8), sondern auch das von Georg Arends, Ernst Pagels, Heinz Haagemann, Nonne und Höpker, Goos und Könemann und vielen anderen mehr. Diese Sorten stellen aber inzwischen ein Kulturgut dar, das auch jenseits ihres praktischen Gartenzweckes verdient hat zu überleben.

Tab. 1

Bewertungsstufen für Stauden in der Sichtung

Bei Pracht-(Beet-)Stauden

Bei Wildstauden

*** vorzügliche Sorte

** sehr wertvolle Sorte

* wertvolle Sorte

Li Staude für den Pflanzenliebhaber

Lo Lokalsorte

Ø entbehrliche Sorte

Es wäre daher dringend geboten, neben der Sichtung noch ein weiteres Instrument zu entwickeln, das sich um den Erhalt gerade älterer Züchtungen kümmert. In England geschieht dies in Form der „National Collections“, die vom 1978 gegründeten „National Council for the Conservation of Plants and Gardens“ (NCCPG) betreut und beraten werden. Auch in Frankreich gibt es inzwischen solche nationalen Sammlungen.

Definition 3

Wildstauden: Züchterisch nicht oder wenig veränderte Ausgangsformen von natürlich vorkommenden Pflanzenarten.

Wildstauden und Beetstauden

Üblicherweise unterscheidet man züchterisch unterschiedlich bearbeitete Staudengruppen, die Wildstauden und die Beetstauden. Diese Unterteilung ist geschaffen worden, da man die Pflanzen, die in regelmäßigen, formalen Gärten eingesetzt wurden, von denen der Naturgärten trennen wollte. „Man könnte nun die Gartenpflanzenwelt einteilen in zwei Hauptarten von Gewächsen, in solche, die im Rahmen von natürlichen Gartenpartien zu ihrer feinsten Wirkung und Erlösung gelangen, und in solche, deren Reiz von Rhythmus, Regelmäßigkeit und architektonischer Raumstimmung entbunden wird. Daneben gibt es noch ein kleines drittes Reich von solchen Pflanzen, die in beiden Welten gebraucht werden“ (FOERSTER 1928, 335).9

Heute erscheint diese Typologie etwas anachronistisch. Es gibt ein weites Spektrum zwischen der klassischen, auf intensive Betreuung angewiesenen Beetstaude und der unverändert der Natur entnommenen Wildstaude. Und auch die gestalterischen Konsequenzen entfallen weitgehend: Erlaubt ist, was funktioniert und gefällt.

Teil I Hintergründe

1Geschichte der Staudenverwendung

1.1 Vorgeschichte

Stauden waren den Menschen als Teil ihrer natürlichen Umgebung schon immer bekannt. Seit Beginn der Gartenkultur nutzte man sie als Gemüse, Gewürz- oder Heilpflanzen. Auch ist davon auszugehen, dass sie mit Beginn der Gartenkunst als Zierpflanzen Verwendung fanden. Exakte, heute noch zuordenbare Darstellungen von Stauden in Gärten kennt man im Abendland spätestens seit dem Spätmittelalter. Auf rheinischen Tafelbildern der Spätgotik lassen sich Maiglöckchen, Iris, Stockrosen, Akeleien, Gänseblümchen und Primeln erkennen. Meist sind zwar religiöse Themen wie etwa das „Paradiesgärtlein“ illustriert, aber die Gemälde zeigen wohl eher die weltlichen Gärten jener Zeit.

In der darauffolgenden Neuzeit begeisterte man sich für die Wissenschaften, auch für die Botanik. Gärten und Pflanzensammlungen wurden angelegt. Bereits ab dem 16. Jahrhundert ist in Mitteleuropa eine große Anzahl exotischer Arten belegt, die aus dem Handel mit Mittelmeerländern stammten (z. B. Pfingstrosen, Tulpen, Narzissen). Ab diesem Zeitpunkt wurden auch aus anderen Erdteilen vermehrt neue Pflanzen eingeführt. Gleichzeitig begann man verschiedene Kultivare zu selektieren. Da die binäre Nomenklatur (jeder Namen besteht aus zwei Teilen) noch nicht entwickelt war, wurden die Pflanzen anhand ihrer äußeren Erscheinung, meist ihrer Blüte, beschrieben. Deshalb ist es zum Beispiel heute unmöglich, die 54 verschiedenen Tulpen, 42 Narzissen, 37 Iris, 28 Nelken und 28 verschiedenen Hyazinthen, die im Hortus Eystettensis von 1613 dargestellt sind, botanisch korrekt zu identifizieren. Trotzdem bleibt das Erstaunen über die Fülle und Verschiedenheit der zu dieser Zeit bereits kultivierten Formen. Verschiedene andere botanische Werke zeugen vom Reichtum der Gärten in der damaligen Zeit (Abb. 4).

Blumen (und damit auch Stauden) wurden seit der Renaissance in Beeten kultiviert. Daraus entwickelten sich im Barockgarten die Plate-bandes, Rabatten längs des Parterres, in denen hauptsächlich Stauden zu finden waren (siehe Abb. 5). Heute werden sie oft ausschließlich mit einjährigen Arten bepflanzt. Behandelt wurden die Stauden dort wie Wechselflor. Die Beete wurden in unregelmäßigen Abständen (je nach Notwendigkeit herrschaftlicher Repräsentation) erneuert, oft wurden Pflanzen auch einzeln ausgetauscht. Die abgeblühten Exemplare teilte man und pflanzte sie in Vorratsbeete, aus denen sie dann im knospigen Zustand wieder entnommen wurden, um das Parterre mit Blüten zu füllen (WIMMER 2008).

Neben der offiziellen Gartenkunst gab es immer schon die gärtnerische Liebhaberei. Besonders beliebt waren kuriose Abweichungen, wie sie zum Beispiel bei Tulpen infolge einer Viruserkrankung zu beobachten sind (Abb. 6). Sie hatten entscheidenden Anteil an der Tulpenbegeisterung des 17. Jahrhunderts – und auch an deren Niedergang (Pavord 1999, WACHSMUTH 2007). Im Barock sammelte man nicht nur Orangenbäumchen, sondern auch krautige Pflanzen wie Nelken oder Levkojen. Auch die Garten-Aurikel (Primula×pubescens) gehörte schon früh dazu. Diese natürliche Hybride aus P. auricula und P. hirsuta entwickelte unzählige Blütenformen und Farbvarianten. Man pflanzte sie nicht in Beete, sondern stellte sie einzeln, in Töpfen, zur Schau. Da ihre Blüten bei ungünstigen Witterungsverhältnissen sehr leiden konnten, konstruierte man sogenannte Aurikeltheater, in denen die Pflanzen, geschützt vor zu viel Sonne und Regen, aufbewahrt und präsentiert werden konnten (WACHSMUTH und NICKIG 2000). Diese Pflanzen, die in den verschiedensten Sorten erhältlich waren, bezeichnete man in Deutschland als Blumisten-Blumen.10

Abb. 4Paeonia femina (heute Paeonia officinalis) aus dem Dritten Buch der Commentarii nach Dioscoridis von Pierandrea Mattiolus (um 1565). Die Pfingstrose wurde bereits sehr früh in Mitteleuropa eingeführt und war bekannt als Garten- und Arzneipflanze.

Diese Begeisterung für einzelne Arten und Gattungen setzte sich in den bürgerlichen Hausgärten des 18. und frühen 19. Jahrhunderts fort (Abb. 7). Für die damals aktuelle Gartenkunst, die den großräumigen Landschaftsgarten verlangte, hatten die Bürger weder Raum noch Geld. Es wurden Rabatten und einfache Beete aus Einjahresblumen und Stauden angelegt, um sich mit den Lieblingen zu umgeben (VANDÜLMEN 1999). In dieser Zeit kann man die ersten, eigentlichen Staudenbeete vermuten. Der Hausgarten mit Laube und duftenden Blüten gehört zur Vorstellung, die man sich heute von einem idyllischen Biedermeier macht. Um 1900 nimmt sich der deutsche Landschaftsarchitekt Schulze-Naumburg diese inspirierten, zugleich aber unangestrengten „Gärten der Goethe-Zeit“ zum Vorbild, als es gilt, den erstarrten Garten der Gründerzeit zu reformieren.

Abb. 5 Die Frühjahrsbepflanzung einer Plate-bande aus Sanssouci, Potsdam, wurde nach barocken Vorlieben gestaltet. Es fällt auf, dass neben Einjährigen auch Zwiebelblumen und weitere Stauden (wie hier Doronicum orientale) zu finden sind.

Somit war die Begeisterung für Pflanzen, insbesondere Stauden, auch während der Zeit des Landschaftsgartens nicht gering. Im Park selbst waren zunächst keine Stauden zu sehen. „Bekanntlich hat der Landschaftsgarten mit Blumen niemals etwas Rechtes anzufangen gewusst, die Hauptquelle seiner Schönheit war immer der Baum“ (HOFFMANN 1963, 254). Aber jeder Park hatte seine eigene Gärtnerei, in der eine große Vielfalt von Pflanzen – auch Stauden – kultiviert wurde. Als dann zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit Pückler und Lenné der Pleasureground im deutschen Landschaftsgarten Einzug hielt, konnte man auch im Park selbst wieder Blumen und Stauden sehen. Mit dem englischen Begriff „pleasure ground“ bezeichnet man die intensiv gärtnerisch gepflegten Bereiche, die das Haus umgaben und einen Übergang zur eigentlichen landschaftlichen Gestaltung bildeten. Akeleien, Rittersporn, Malven und andere wurden zusammen mit Sommerblumen in Beete gesetzt (siehe Abb. 8). Die Beete konnten üppig wuchern oder aber sie waren gezielt in kontrastierenden Farben nach ausgefeilten Farbtheorien zusammengestellt. Man bezeichnete die einen als pitturesque, die anderen als gardenesque.

Abb. 6 Verschieden „geflammte“ Tulpen zeigt der Hortus Eystettensis (um 1613). Für diese – sehr gesuchten – Farbveränderungen ist der Tulpen-Mosaik-Virus verantwortlich. Leider führt er oft zum frühen Tod der Pflanze. Heute werden diese Tulpen als Rembrandt-Tulpen in einer eigenen Klasse zusammengefasst (Wachsmuth 2007).

Abb. 7 Verschiedene Formen des Leberblümchens (Hepatica nobilis) sind im Werk von Friedrich Heinrich Wilhelm Martini aus dem Jahr 1775 abgebildet. Die Pflanze wird dort als Leberkraut bezeichnet. Heute ist diese Sammelleidenschaft wieder aufgeflammt.

Abb. 8 Hermann Fürst Pückler ließ seine „Andeutungen über Landschaftsgärtnerei“ (1834) ausführlich illustrieren. Dadurch kann man die Wirkung der Beete, bepflanzt mit Sommerblumen und Stauden, leicht nachvollziehen.

Doch der Stil dieser Beete wandelte sich zur Mitte des Jahrhunderts hin. Der sogenannte gemischte Stil hielt in herrschaftlichen Anlagen wie in den Bürgergärten Einzug. Die Bürger waren zu Wohlstand gekommen. Die historisierenden Villen, repräsentative Gebäude mit Stilelementen des Barock, der Renaissance oder der Gotik, sollten ihre Reputation sichern und ihren Reichtum zeigen. Am Haus entstanden Beete, die die historisierende Formensprache der Gebäude aufnahmen. In diesen sogenannten Teppichbeeten versuchte man differenzierte geometrische Ornamente mithilfe von Pflanzen nachzuzeichnen (Abb. 9). Nur ganz niedrige Arten von Stauden, zum Beispiel aus den Gattungen Sedum, Sempervivum, Antennaria oder Sagina waren für diese streng grafischen Zierformen geeignet. Für üppige Stauden war kein Platz mehr. Die Stauden verschwanden aus den öffentlichen und privaten Gärten. Bauerngärten, botanische Gärten und botanische Sammlungen boten für einige Rückzugsmöglichkeiten.

1.2 Beginn der Staudenverwendung: die Arts-and-Crafts-Bewegung

Bis zu diesem Zeitpunkt fällt es schwer, von einer wirklichen „Staudenverwendung“ als Mittel der Gartenkunst zu reden. Stauden wurden zwar in Schmuckpflanzungen verwendet, man behandelte sie allerdings entweder als Wechselpflanzung (sie wurden regelmäßig herausgenommen und neu gepflanzt) oder sie wurden in den bürgerlichen Gärten mit viel Leidenschaft gesammelt.

Erste Bestrebungen einer naturnahen Pflanzenverwendung in Parks gibt es in Deutschland bereits ab der Mitte des 19. Jahrhunderts. Als wichtigster Vertreter ist hier Hermann Jäger zu nennen, der 1858 auch das erste Fachbuch zur Pflanzenverwendung in Deutschland schrieb („Verwendung der Pflanzen in der Gartenkunst, oder Gehölz, Blumen und Rasen“). Darin unterscheidet er bereits zehn verschiedene Arten der Aufstellung und Verwendung von Blumen: 1. einzeln auf Rasen, 2. gruppiert, 3. auf eigentlichen Beeten, 4. auf Rabatten, 5. am Rande von Gebüschen, 6. auf Felsen, 7. im Wasser und am Ufer, 8. im Walde und auf Rasen verwildert, 9. an Lauben, 10. in Gefäßen. Hier ist also ein Teil der späteren Möglichkeiten der Staudenverwendung bereits vorformuliert.

Die entscheidende Wendung vollzieht sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Es entwickelte sich eine Gegenbewegung zum gründerzeitlich pompösen, in historischen Vorstellungen erstarrten Gestaltungsverständnis. Ausgangspunkt dieser Entwicklung gegen den dort als „viktorianisch“ bezeichneten Kunstgeschmack war England. Die erste industriell-urban geprägte Gesellschaft wird erfasst von der Sehnsucht nach ländlicher Idylle. Stilbewusste, intellektuelle Vertreter der englischen „middle classes“ zog es aufs Land, um in Harmonie mit der Natur zu leben. Künstlerischen Ausdruck findet diese Sehnsucht in der Arts-and-Crafts-Bewegung (von etwa 1880 bis 1918). Sie fordert ein Zurück zu bodenständigen Materialien und individuellen handwerklichen Techniken. Diese Prinzipien gelten auch für die Gestaltung der Gärten. Haus und Garten sollten eine Einheit bilden. Vorbilder der Gestaltung waren Bauerngärten, in denen man diese Einheit verwirklicht sah (DARLEY 1993, W. HITCHMOUGH 1997).

Diese Hinwendung zu einer neuen Einfachheit nahm zuerst William Robinson (1838–1925) auf. In seinem Buch „The Wild Garden“, erstmals 1870 herausgegeben, weist er auf die vielfältigen Möglichkeiten hin, die sich aus der Verwilderung von Stauden im informellen Garten ergeben. Formale Gärten lehnte er ab. Robinson zeigte sich damit noch eher der landschaftlichen Gestaltung verhaftet. Zur wichtigsten Pflanzengestalterin dieser Zeit wurde Gertrude Jekyll (1843–1932), die mit Robinson in engem Kontakt stand (Abb. 10). Zusammen mit dem Architekten Edwin Lutyens (1869–1944) plante sie ab 1889 zahlreiche Gärten. Sie stellte die Pflanzen in den Mittelpunkt, egal ob es sich um architektonische oder aber landschaftliche Gestaltungen handelte. Oft wurde zunächst eine schlichte, formale Aufteilung gewählt und mit Natursteinen befestigt. In diese kunstvollen Mauern, Wege und Treppen wurden dann als organisch lebendiges, überwachsendes Element die Pflanzen eingefügt. In weiterer Entfernung vom Haus fanden sich dann die landschaftlichen Vegetationstypen (W. HITCHMOUGH 1997, KÜHN 2002c).

Abb. 9 Im Garten der Royal Horticultural Society (RHS) in Wisley (England) konnte man noch vor 20 Jahren die Kunst der Teppichbeetgärtnerei studieren. Inzwischen wurde der Bereich neu gefasst.

Gertrude Jekyll hatte eine Ausbildung als Malerin. Vorbild für ihre Pflanzengestaltungen waren die üppigen Landhausgärten Englands. Hier traf man die pflegeleichten Stauden noch an, während sie bei Städtern dieser Zeit, in deren möglichst pompösen Teppichbeeten sich zugleich ihr gesellschaftliches Ansehen widerspiegeln sollte, verpönt waren. Jekyll war weder die Erste noch die Einzige, die diese Zeitströmung aufnahm. Aber ihr geschultes Farb- und Formempfinden führte dazu, dass sie das Potenzial dieser Pflanzen erkannte und es ihr damit gelang, die Staudenverwendung zur Kunstform zu erheben. Von Jekyll existieren über 2000 Pläne für rund 250 Gärten. Aber auch als Schriftstellerin war sie sehr erfolgreich. Besonders einflussreich war ihr Buch „Colour Schemes for the Flower Garden“, das sie erstmals 1914 veröffentlichte. Ihre Bepflanzungsschemata zeichnen sich durch lang gezogene Bandstrukturen, die „drifts“, aus. Dies erlaubte, die Gruppen so groß zu machen, dass überzeugende Effekte entstehen. Auch wenn Pflanzen nach dem Blühen zurückgeschnitten werden, entstehen keine Lücken, da sie von dem davor gepflanzten Streifen verdeckt werden. Beim Vorbeigehen verändert sich die Wirkung der „drifts“: Steht man vor der Pflanzung, nimmt man sie als Band wahr, schaut man dagegen von der Seite, sieht man sie eher als runde Gruppe (MAUBACH 1993).

Abb. 10 Gertrude Jekyll (1843–1932) gilt als die Begründerin der modernen Staudenverwendung.

Für jedes Beet hatte Gertrude Jekyll ein Farbschema entworfen. In stark definierten Gartenräumen bevorzugte sie monochrome Farbzusammenstellungen, bei linearen Rabatten Farbverläufe (siehe Abb. 11, 12 und 13). Intensive Farbsteigerungen erzielte sie durch das Einstreuen von Einjahresblumen, Kübelpflanzen, Zwiebel- und Knollengewächsen. Deshalb konnten ihre Zusammenstellungen durchaus auch grell und knallig wirken. Die äußerst kunstvollen Pflanzungen waren alles andere als pflegeextensiv.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden dann die großen Staudengärten in England, die heute den Höhepunkt einer Gartenreise in Großbritannien darstellen, wie zum Beispiel Hidcote Manor (ab 1903 von Lawrence Johnston), Great Dixter (ab 1909 von Nathaniel Lloyd unter Mitwirkung von Edwin Lutyens) und Sissinghurst (ab 1930 von Vita Sackville-West).

1.3 Anfänge in Deutschland

Zum Ende des 19. Jahrhunderts finden sich auch in Deutschland immer wieder Hinweise auf eine zunehmende Bedeutung der Stauden. 1887 erscheint von Theodor Rümpler das erste Buch in Deutschland, das ausschließlich die Gruppe der Stauden zum Thema hat. Worauf er damit abzielt, lässt sich schon am umfangreichen Titel erkennen: „Die Stauden oder perennierenden winterharten oder doch leicht zu schützenden Blüthen- und Blattpflanzen als das werthvollste und vortheilhafteste Ausstattungsmaterial für Blumen- und Landschaftsgärten, mit Einschluß alpiner Arten, nebst Bemerkungen über ihre Kultur, Vermehrung und Verwendung …“. Die Stauden finden begeisterte Anhänger und man versucht diese Pflanzen gegen die Teppichpflanzenmode dieser Zeit in Stellung zu bringen. „Nicht ohne Erfolg sind seit einem Jahrzehnt die berufensten Gartenbau-Journale bemüht gewesen, die Freiland-Stauden, den Stolz der Gärten früherer Zeit, in der öffentlichen Meinung zu rehabilitieren und ihnen die Gunst der Blumenfreunde zurückzugewinnen … Das Wiedererwachen des Gefallens an diesen Gewächsen ist ohne Zweifel zunehmender Erkenntnis der in ihnen beschlossenen blumistischen Werthe und ihrer Bedeutung für dekorative Gartenzwecke der verschiedenen Art entsprungen“ (RÜMPLER 1887: o. S.). 1901 werden die Stauden schon zu den „allerbevorzugtesten Modepflanzen“ gezählt (HESDÖRFFER et al. 1901, o. S.) „Es ist von diesen Gewächsen unter Gärtnern und Gartenfreunden fortgesetzt so viel die Rede und die Fachpresse widmet ihnen ständig einen so grossen Teil ihres Raumes, dass sich wohl annehmen lässt, jeder, der sich mit Blumen- oder Gartenkultur beschäftigt, weiß sofort, was er unter diesem Sammelnamen zu verstehen hat.“ Manche der zu diesen Zeiten niedergeschriebenen Äußerungen lassen schon sehr an Foerstersche Ausbrüche von Euphorie denken11 – und zeigen auch, dass Karl Foerster später sowohl im Sprachduktus als auch in der Sache selbst keinen neuen Trend begründete, sondern auf eine durchweg positive Grundstimmung bei fortschrittlich eingestellten Gärtnern und Gartenkünstlern aufbauen konnte. Im 19. Jahrhundert werden in Deutschland die ersten Staudengärtnereien gegründet – zuerst meist als Betriebe mit gemischtem Sortiment, die Spezialisierung auf Stauden erfolgte erst später (Pfitzer in Stuttgart 1844, Fehrle in Schwäbisch Gmünd 1857, 1860 Weinreich in Wolmirstedt, Arends in Wuppertal 1888, Foerster in Berlin 1903, Gräfin von Stein-Zeppelin 1926). Von ihnen existieren einige noch bis auf den heutigen Tag. Zusammen mit Georg Arends (1863–1952) wurde Karl Foerster (1874–1970) zum bekanntesten Staudenzüchter in Deutschland. Beide erweiterten das Sortiment beträchtlich.

Abb. 11 In ihrem privaten Garten in Munstead Wood erprobte Gertrude Jekyll die Zusammenstellungen, die sie in den Gartenplanungen verwendete oder in ihren Büchern beschrieb. Die Abbildung zeigt die Rabatte von Munstead Wood zu Lebzeiten von Gertrude Jekyll.

1.4 Erste Blüte der Staudenverwendung

Der große Umbruch in der Gartenkunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts führte nicht nur zum neuen Stil der Reformgartenzeit. Gleichzeitig erkannten die fortschrittlichen Landschaftsarchitekten, dass in Wahrnehmung ihrer sozialen Verantwortung viele neue Aufgaben im öffentlichen Freiraum auf sie zukommen würden. Neue Parks und Stadtplätze entstanden und dort waren auch die ersten öffentlichen Staudenpflanzungen zu sehen. In Köln steht für diese Entwicklung Fritz Enke (1861–1931), in Hamburg Otto Linne (1869–1937) und in Berlin der Name Erwin Barth (1880–1933). Letzerer propagierte den Einsatz der Stauden für Stadtplätze (1913a) und verwendete sie auch immer wieder selbst (1913b, c). Sie wurden in Rabatten gesetzt (z. B. Mierendorfplatz von 1911/12, Savignyplatz von 1926, Abb. 14) oder auch naturnah vergesellschaftet (Brixplatz von 1913). Diese Plätze sind durch die Bemühungen der Gartendenkmalpflege in Berlin heute wieder entstanden.

Abb. 12 Die Große Rabatte von Munstead Wood wurde nach dem von Gertrude Jekyll überlieferten Schema wiederhergestellt.

Abb. 13 Das von Gertrude Jekyll entworfene Schema der Großen Rabatte in Munstead Wood. Sie folgt einem Farbverlauf: Am äußersten Ende soll Blau den Eindruck von Weite erwecken, in den mittleren Partien geht sie in die warmen Farbtöne über, um dann in einem kalten Farbton zu enden (Jekyll 1988).

Ihren eigentlichen Siegeszug traten die Stauden aber in den privaten Gärten an. Der Landhausstil war von England ausgehend auch in Deutschland populär geworden. Der Architekt Hermann Muthesius propagierte Gärten in Anlehnung an die Arts-and-Crafts-Bewegung. 1908 wurde in der Zeitschrift „Die Woche“ ein inzwischen legendärer Hausgartenwettbewerb ausgeschrieben, den der Magdeburger Landschaftsarchitekt Friedrich Bauer gewann. Eine Exkursion führender deutscher Landschaftsarchitekten nach England im Jahre 1909 brachte den endgültigen Durchbruch. Es wurde die Forderung erhoben, dass der Garten die Fortsetzung des Hauses sein müsse. Deshalb teilte man ihn architektonisch in Räume auf. Die strenge Formgebung sollte durch eine üppige Bepflanzung kontrastiert werden – ganz wie es in England bereits üblich war. So kam den Stauden eine zentrale Bedeutung im neuen sogenannten Reformgarten zu (MADER 1999, MUSIOLEK 2005).

Abb. 14 Am Savignyplatz – einer Stadtplatzanlage in Berlin von Erwin Barth von 1926 – kann man nach Rekonstruktion und Neubepflanzung heute wieder die Stauden im öffentlichen Freiraum erleben (Bepflanzung Christian Meyer).

Für diesen neuen Gartenstil bedurfte es also auch der „neuen Pflanzen“.12 Der Hauptprotagonist für diese Entwicklung in Deutschland war Karl Foerster (1874–1970). Er gilt als die zentrale Figur der Staudenbegeisterung in Deutschland und genießt noch heute fast kultische Verehrung. Verschiedene Auszeichnungen (Karl-Foerster-Anerkennung der Karl-Foerster-Stiftung, Karl-Foerster-Ring, vergeben vom Bund deutscher Staudengärtner) sind nach ihm benannt.

Karl Foerster kam aus einer sehr angesehenen Familie des intellektuellen Berliner Bürgertums – sein Vater war Professor und Leiter der Sternwarte, sein Bruder ein berühmter Erziehungswissenschaftler. Er ergreift den Gärtnerberuf – was gar nicht dem Niveau der Bildungsschicht entsprach, aus der er stammte. 1903 begann er mit dem Aufbau der Gärtnerei, 1907 kam der erste Katalog heraus. 1910 zog er mit der Gärtnerei nach Bornim bei Potsdam (Abb. 15). Er begann sofort mit der Züchtung eigener Sorten und führte neue Arten ein. Über Bornim hinaus bekannt wurde er vor allem durch seine Veröffentlichungen. KARLFOERSTER setzte sich nahezu missionarisch für die Stauden und ihre Verwendung ein. Bis in die 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts veröffentlicht er insgesamt 29 Bücher, zum Beispiel „Winterharte Blütenstauden und Sträucher der Neuzeit“ (1911), „Vom Blütengarten der Zukunft“ (1917), „Blauer Schatz der Gärten“ (1941), „Neuer Glanz des Gartenjahres“ (1952) und als letztes: „Es wird durchgeblüht“ (1968). Von ihm gehen ohne Zweifel viele entscheidende Impulse für eine deutsche Staudenverwendung aus.

Abb. 15 Blick in den Senkgarten am Wohnhaus von Karl Foerster in Bornim bei Potsdam vor 1917 (FOERSTER 1917).

1920 verwirklichte er zusammen mit Camillo Schneider (1876–1951) und Harry Maß die Zeitschrift „Gartenschönheit“, die durch hervorragende Bildqualität und ausgewählte Autoren Maßstäbe setzte. Aber vor allem nahm er auch Einfluss auf Künstler und junge Landschaftsarchitekten seiner Zeit. RICHARDHANSEN beschreibt diese kreative Aufbruchsstimmung später folgendermaßen: „Karl Foerster und die Bornimer Atmosphäre haben nicht nur uns junge Gärtner, sondern auch Künstler und Gelehrte, Musiker, Dichter, Maler, Bildhauer, Architekten und natürlich auch viel Jugend angezogen. Viele unter ihnen waren seinem Hause eng verbunden. Der Bornimer Geist, aber auch Foersters Güte und Freundlichkeit, verbunden mit seiner unbeschreiblichen Heiterkeit, übten eine starke Faszination aus. Es war eine große Gartenzeit. Die Träume vom Blütengarten der Zukunft schienen sich zu verwirklichen, zumal viele Menschen hofften, in unseliger Zeit ihren Frieden im Garten zu finden“ (1987, 13).

Abb. 16 Alwin Seifert plante die 1925 angelegte Staudenrabatte im Hausgarten Zimmermann (Architekturmuseum der TUM, Sign. seif-75-1001).

Abb. 17 Letzte, weitgehend realisierte Entwurfsfassung des ersten Staudenschau- und Sichtungsgartens auf der Freundschaftsinsel in Potsdam von Hermann Mattern 1937.

In Zusammenarbeit mit Hermann Mattern (1902–1971) gründete er 1927 ein Planungsbüro, das 1935 als Planungsarbeitsgemeinschaft mit Herta Hammerbacher (1900–1985) fortgeführt wurde (HAMPF-HEINRICH 1982). So konnten sie in Zusammenarbeit mit Architekten wie Mies van der Rohe und Hans Scharoun wohlhabenden Privatleuten den Wunsch nach Einheit von Haus, Garten und Pflanze auf höchstem Niveau erfüllen – in ähnlicher Weise, wie es auch Gertrude Jekyll und Edwin Lutyens vorgemacht hatten.

Zwischen den Weltkriegen kam die Staudenverwendung in Deutschland so zu ihrer ersten Blütezeit (Abb. 16). In öffentlichen Bereichen, in Privatgärten und auf den großen Gartenschauen (so zum Beispiel auf den Reichsgartenschauen in Dresden 1936 und in Stuttgart 1939) waren Stauden in großer Üppigkeit zu finden. Viele Gärtnereien boten ein breites Sortiment an, neue Züchtungslinien wurden entwickelt. Wichtige, bis heute richtungsweisende Publikationen entstanden. Neben den schon erwähnten Foersterschen Werken ist das große Staudenbuch zu nennen, das SILVATAROUCA 1910 zum ersten Mal herausgab und zu dem er wichtige weitere Personen (unter ihnen Georg Arends) heranzog. Einen weiteren Meilenstein setzte WEHRHAHN 1931 in seinem Buch „Die Gartenstauden“.

Als Reaktion auf die nicht mehr überschaubare Sortenvielfalt werden die ersten Sichtungsgärten angelegt. Die Idee stammte aus England und wurde in Deutschland von Karl Foerster vorangetrieben. Die Staudensichtung sollte dazu dienen, aus dem umfangreichen Sortiment die besten Sorten herauszufinden, also diejenigen, die sich an verschiedenen Standorten Deutschlands als vital und gesund erweisen, eine angenehme Erscheinungsform besitzen und zufriedenstellend blühen. Sie sollten dann bevorzugt in den Gärtnereien vermehrt werden und als Grundlage für weitere Züchtungsarbeit dienen.

Abb. 18 Das Primeltal auf dem Killesberg in Stuttgart entstand während der Reichsgartenschau 1939.

Ein erster Sichtungsgarten wurde von Hermann Mattern auf der Freundschaftsinsel in Potsdam angelegt und 1940 fertig gestellt (FOERSTER in JELITTO und SCHACHT 1963, 7 f., Abb. 17 und 18). 1957 wurde er von Walter Funcke überarbeitet, wobei die eigentliche Sichtung bald darauf aufgegeben wurde.

Der bekannteste und größte Sichtungsgarten befindet sich noch heute in Freising-Weihenstephan (Abb. 19). Er wurde 1947 von Prof. Richard Hansen begründet (HANSEN 1987, RESCHKE 1997). Hansen war nicht nur daran gelegen, die Sorten zu prüfen, sondern auch ihre Verwendungsmöglichkeiten aufzuzeigen. „Sichtungsgärten und Sichtung dienen der richtigen Verwendung vornehmlich von Stauden, die in ihrer erstaunlichen Artenvielfalt als Schmuck und reizvolle, bunte Bodendecke unsere Gärten und Anlagen in Stadt und Land sehr bereichern können“ (HANSEN 1987, 15). Die Tradition der Staudensichtung wird bis heute fortgesetzt, während die Verwendungssichtung zwischenzeitlich aufgegeben wurde. Sie hat der Arbeitskreis Pflanzenverwendung im Bund deutscher Staudengärtner wieder aufleben lassen.

1.5 Nachklang

Nach dem Zweiten Weltkrieg fand diese Art der Pflanzenverwendung zunächst eine Fortsetzung. Besonders die Landschaftsarchitekten aus dem näheren Foersterschen Umkreis (Herta Hammerbacher, Hermann Mattern, Hermann Göritz, Walter Funcke, Heinrich Wiebking-Jürgensmann), aber auch alle anderen (wie z. B. Gustav Allinger, Wilhelm Hübotter, Karl Plomin) setzten weiterhin auf diese Pflanzen. Stauden wurden im Nachkriegsdeutschland und in den angrenzenden Ländern nicht nur in privaten Gärten, sondern auch bei Planungen für öffentliche Freiflächen (z. B. Schulen) ausgiebig verwendet. Dies entspricht auch den offiziellen Zielen der Politik, die durch hohen Einsatz menschlicher Arbeitskräfte auf den Grünflächen die Arbeitslosigkeit zu senken versuchte (GLABAU 2001). Es überrascht deshalb nicht, dass MIENRUYS in ihrem Staudenbuch, das 1951 ins Deutsche übersetzt wurde, neben Stauden im Blumengarten auch Stauden im öffentlichen Park, im Stadtgarten, im Siedlungsgarten und im Fabrikgarten berücksichtigte.

Doch die Probleme der aufwendigen Pflanzungen wurden mit zunehmendem Wirtschaftsaufschwung und damit auch Arbeitskräftemangel ab den 1960er-Jahren allzu schnell deutlich. Zunehmend wurden Stauden wieder in die Privatgärten verbannt bzw. blieben auf die Gartenschauen beschränkt.

Es waren zwei Entwicklungen zu beobachten, um dem Problem der schwer zu bewältigenden Pflege entgegenzutreten. Zunächst einmal gab es die Tendenz zu einer Vereinfachung des Sortiments und einer großflächigen Verwendung der Pflanzen (EISELT 1968). Bezeichnend dafür sind die Entwürfe von Walter Funcke und Hermann Göritz (Abb. 20). Das Zeitalter der Bodendecker begann. Bodendecker sind nach GÖRITZ „Stauden, die den Boden bedecken, niedrig bleiben und den Wuchs der höheren Stauden und Gehölze nicht oder kaum beeinträchtigen“ (1988, 287).

Solche Inszenierungen besitzen eine hohe Entwurfsqualität, sie schaffen unverwechselbare Bilder. Sie vermögen es, durch extreme Gegensätze (feinblättrige niedrige, bodendeckende Stauden gegen aufragende, exotische Gehölze) das jeweils Besondere an diesen Pflanzen hervorzuheben. EISELT (1968, 148) nennt für diesen Einsatzbereich (Stauden als Rasenersatz für größere Flächen) folgende Arten: Acaena, Achillea, Anaphalis margaritacea, Androsace sarmentosa, Antennaria dioica, A. plantaginifolia, Arabis, Artemisia rupestris, Aubrieta, Cerastium, Gypsophila repens, Herniaria glabra, Hieracium, Leptinella squalida, Minuartia, Nepeta×faassenii, Phlox, Phuopsis stylosa, Saponaria ocymoides, Scutellaria orientalis, Sedum, Silene alpestris, Thymus serpyllum, Trifolium repens, Tripleurospermum oreades, T. o. var. tchihatchewii, Veronica filiformis.

Leider hat diese Art der Flächenpflanzungen einen entscheidenden Nachteil: Bei den eingesetzten Arten handelt es sich um Steingartenpflanzen oder Pflanzen extrem stressbetonter (also beispielsweise extrem trockener) Standorte (wie Trockenrasen oder Heiden). Diese niedrigen, polster- oder spalierwüchsigen Chamaephyten besitzen eine geringe Konkurrenzkraft. In einer normalen Gartensituation – selbst im sandigen, kontinental beeinflussten Brandenburg – vergreisen sie schnell und werden ständig durch Unkraut bedrängt. Deshalb sind die hier genannten Arten nur dann zu empfehlen, wenn man sie intensiv pflegen kann und die Pflanzungen regelmäßig erneuert. Sollte man – ähnlich wie in der Raumgestaltung – in der Landschaftsarchitektur die Retro-Stile wieder aufleben lassen wollen13, könnte man hier wieder anknüpfen. Ansonsten benötigt man diese Pflanzen nur noch für Rekonstruktionen der Außenanlagen aus den 1950er- bis 1970er-Jahren.

Später ist man dazu übergegangen, mit bodendeckenden Gehölzen zu arbeiten. Hierzu nutzte man Chaenomeles japonica, Euonymus fortunei var. radicans, Hypericum calycinum, Lonicera pileata und natürlich die entsprechenden Cotoneaster-Arten (C. adpressus, C. dammeri, C. horizontalis, C. praecox) (EISELT 1968, 155).14 Diese flächendeckenden Bodendeckerpflanzungen wurden dann zum Feindbild der Naturgartenbewegung.

Abb. 19 Die Aufnahme von 1959 zeigt ein frühes Bild des Staudensichtungsgartens Weihenstephan.

Abb. 20 Detail von der Freundschaftsinsel in Potsdam: Acaena wird als Bodendecker im Rosengarten eingesetzt (Entwurf Walter Funcke 1973).

1.6 Die Stauden und ihre Lebensbereiche

Einen anderen Weg ging Richard Hansen: „Eine Weiterentwicklung beginnt sich abzuzeichnen. Unter dem Eindruck der Verarmung und Zerstörung unserer Umwelt beschäftigt sich die Fachwelt in zunehmendem Maße mit den Ideen K. Foersters, die die Wildgartenkunst und den wildnishaften Garten mit vielerlei Lebensgemeinschaften für Pflanze und Tier … umkreisen. Unsere Zeit fordert Gärten und Anlagen mit nicht an das Beet gebundenen Stauden, sondern mit Pflanzungen als Träger einer lebendigen Bodendecke, die sich weitgehend selbst zu regulieren vermögen“ (HANSEN und STAHL 1997, 16). Hansen erinnerte sich nicht nur der „Wildnisgartenkunst“, sondern auch seiner eigenen Wurzeln als Pflanzensoziologe. Mit der Einführung der „Lebensbereiche“ machte er den entscheidenden Schritt zu einer wissenschaftlich begründeten naturhaften Staudenverwendung. Dabei versuchte er zwei Ziele zu verbinden: einen ästhetisch, künstlerisch befriedigenden Eindruck und eine Selbstregulation im Pflanzenbestand. So hoffte er auch, das Problem der Pflege zu lösen.

Die Idee, Pflanzen einer Lebensumwelt zuzuordnen, ist nicht wirklich neu und findet sich sogar schon in den Werken von Hermann Jäger aus dem 19. Jahrhundert (z. B. Jäger 1858). Im 20. Jahrhundert wurde diese Entwicklung von Willy Lange („Gartengestaltung der Neuzeit“, 1907), Ernst Graf Silva Tarouca und Camillo Schneider („Unsere Freiland-Stauden“, 1910, 1922) und natürlich Karl Foerster, insbesondere in seinen „Lebenden Gartentabellen“ von 1940, vorbereitet. Richard Hansen ist das Verdienst zuzuschreiben, auf der Grundlage seines pflanzensoziologischen Hintergrundes die Ideen systematisiert zu haben und mit dem Leitstaudenprinzip einen eigenen, spezifischen Bepflanzungsstil entwickelt zu haben. 1963 hat er das Prinzip der Lebensbereiche erstmals formuliert, 1981 folgte dann das viel beachtete Buch „Die Stauden und ihre Lebensbereiche“, das er zusammen mit Friedrich Stahl erarbeitete. Hansens Lebensbereiche wurden prägend für die mitteleuropäische Staudenverwendung. Keine bundesdeutsche Gartenschau dieser Zeit konnte ohne die Darstellung der Lebensbereiche auskommen. Besonders bekannt sind die Pflanzungen auf der IGA in München 1983 (Planung durch Rosemarie Weiße; WEISSE und RÜCKER 1989a, b, 1990, Abb. 21), der BUGA in Berlin (1985 Planung durch Günther Schulze; Schulze 1985) und der IGA in Stuttgart 1993 (Planung Urs Walser), die auch heute noch im Hansenschen Sinne weiterentwickelt werden. Neben den Schaupflanzungen im Sichtungsgarten Weihenstephan (inzwischen zum Teil allerdings durch andere Pflanzungen ersetzt) sind die Lebensbereiche heute insbesondere im Sichtungsgarten in Weinheim zu besichtigen.

Die Lebensbereiche hatten weitreichende Folgen. Heute orientiert sich die Lehre an den deutschen Hochschulen im Wesentlichen an diesem System.15 Auch international fanden sie hohe Anerkennung. Das Buch wurde bereits 1993 ins Englische übersetzt und dort auch höchst interessiert aufgenommen. Fast zeitgleich fand 1994 eine Konferenz der Gruppe „Perennial Perspectives“ zur Staudenverwendung in London statt, auf der Rosemarie Weiße, Klaus Wittke und Urs Walser zu Themen der Lebensbereiche sprachen. Großbritannien befand sich gerade in einer wirtschaftlichen Rezession, die besonders öffentliche und private Haushalte traf, sodass seither nur mehr geringe Mittel für die Grünflächenpflege zur Verfügung stehen (FISCHER 2001). Eine naturhafte Pflanzenverwendung schien da einen Ausweg aufzuzeigen. In jüngster Zeit sind es die Klimaveränderung und die immer wiederkehrende – und bis vor wenigen Jahren völlig unbekannte – Wasserknappheit im Sommer, die naturgemäße Pflanzweisen auf den Britischen Inseln immer populärer werden lassen. CHRISTOPHERBRADLEY-HOLE fasst diese Entwicklung für England mit der Bemerkung zusammen: „Die deutsche Art der Staudenverwendung hat die Einstellung zur Garten- und Landschaftsgestaltung in England revolutioniert“ (2001, 34). Ein Jahr später bezeichnet Stephen Lacey diese Entwicklung anerkennend als „New German Style“ – ein Prädikat, das heute gern etwas wahllos zur Vermarktung der modernen deutschen Staudenverwendung eingesetzt wird.

Trotzdem war auch den Lebensbereichen in der reinen Hansenschen Form kein dauerhafter Erfolg beschieden. Denn obwohl sie als Theorie zunächst einmal einprägsam und gut nachvollziehbar erscheint, hat sie in der Praxis doch nicht gehalten, was sie versprach: wirklich dauerhafte, selbstregulierende Pflanzengemeinschaften zu bilden.16

Die beschriebenen Pflanzungen auf den Gartenschauen (München, Berlin, Stuttgart) mussten alle inzwischen erneuert und überplant werden. Und die Pflanzungen im Sichtungsgarten in Weinheim lassen sich nur durch eine Pflege auf hohem Niveau aufrechterhalten. Das System von Hansen setzt sowohl auf Seiten der Planer als auch auf Seiten der Pflegenden großes ökologisches, botanisches und gärtnerisches Wissen voraus, das nicht durch das Buch allein vermittelt werden kann. Eine noch weitergehende „Ökologisierung“ der Staudenverwendung durch Fessler (1988) fand kaum Resonanz.

1.7 Der europäische Aufbruch: „Perennial Perspectives“

Ab den 1990er-Jahren erfolgte eine schrittweise Rückgewinnung gestalterischer Vorstellungen. So wie in der Landschaftsarchitektur der Entwurf wieder an Ansehen gewann, besann man sich erneut auf die ästhetischen Qualitäten von Pflanzen. Ausgangspunkt dieser neuen Sicht auf die Pflanze waren jedoch naturnahe Vorstellungen von Pflanzungen und Kombinationen, wie sie durch die Naturgartenbewegung vorgegeben wurden. Die Hinwendung zur Natur hatte zur Folge, dass man von den bisherigen eintönigen und stark von kontrastierenden Farbvorstellungen geprägten Geschmacksvorstellungen Abstand gewann. Hierdurch wurde es möglich, eine Sensibilität für die Schönheit im Detail zu entwickeln und auch die natürlich gegebenen Farben und Formen als etwas Besonderes wahrzunehmen.

Im Laufe dieser Entwicklung näherten sich bislang für unvereinbar gehaltene Positionen an, sodass eine große Vielfalt neuer Ausdrucksweisen entstand. Eingeflossen sind Tendenzen und Vorstellungen, die aus Großbritannien, aus Deutschland und aus Skandinavien kamen. Einen sehr wichtigen Beitrag leisteten niederländische, der Tradition des Naturgartens verhaftete Theoretiker und Gartenarchitekten. Man könnte also mit Recht von einer Entwicklung sprechen, die auf der Basis eines internationalen Austausches entstanden ist.

Manifestiert hat sich dieser Austausch in einer losen Gruppe, die sich später „Perennial Perspectives“ nannte. Ihren Ausgangspunkt hatten die Zusammenkünfte in Schweden, organisiert von der Gruppe „Movium“ unter Rune Bengtsson und Eivor Bucht. Dort, in Alnarp, wurde im Januar 1992 das erste Symposium veranstaltet, dem weitere folgten, 1994 in Alnarp und in London, 1995 in Freising, 1996 in Alnarp und in Arnheim, 1997 in London und 2000 wiederum in Alnarp. Diese Konferenzen stießen in der Fachwelt auf breites Interesse, da hier die Erfahrungen und Denkanstöße aus ganz unterschiedlichen Richtungen zusammengetragen wurden (dazu FISCHER 1994, 1996, 2001, DENDULK 1994, MATTERN 1996, CLARK