Steffis Party / Fahrtwind - Klaus Möckel - E-Book

Steffis Party / Fahrtwind E-Book

Klaus Möckel

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Beschreibung

Seit Steffis Vater arbeitslos geworden und zu Hause ausgezogen ist, hat sich ihr Leben verändert. Ständig gibt es Streit mit der Mutter. Das Mädchen ist froh, dass sie wenigstens ihre Clique hat, auch wenn sie dort mit zwölf die Jüngste ist. Eines Nachmittags soll eine Party gefeiert werden, und Steffi kennt einen Bungalow, in den man einsteigen kann. Als die Feier jedoch außer Kontrolle gerät, das Häuschen verwüstet und eine Kasse geplündert wird, lehnt sie sich gegen die Gruppe auf. Dadurch gerät sie in höchste Gefahr. Ein realistisch geschriebenes Jugendbuch mit überraschenden Wendungen, das erstmals 1997 veröffentlicht wurde. Die Erzählung "Fahrtwind", etwa für die gleiche Altersgruppe geschrieben, erzählt von Heike, einer Dreizehnjährigen, die mit ihren Freunden ein außerordentlich gefährliches Hobby pflegt, das S-Bahn-Surfen. Vor allem um Thomas zu imponieren, in den sie verliebt ist, schließt sie mit einem sensationslüsternen Reporter eine Wette ab. Für etwas Geld will sie während der Fahrt aufs Wagendach klettern. Das Experiment scheint zu glücken, doch dann geschieht etwas Unerwartetes ... Ein dramatisches Szenarium, bei dem es um Tod und Leben geht.

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Impressum

Klaus Möckel

Steffis Party / Fahrtwind

ISBN 978-3-86394-179-6 (E-Book)

Steffis Party erschien erstmals 1997 im Verlag ELEFANTEN PRESS, Berlin.

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

© 2012 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Alte Dorfstraße 2 b 19065 Godern Tel.: 03860-505 788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

Steffis Party

1. Kapitel

Steffi, die Beine angezogen und eine von diesen dummen Kullertränen in den Augenwinkeln, gegen die sie manchmal nicht ankommt, klebt im Fernsehsessel. Zwar soll sie in der Küche den Abwasch erledigen, nebenan auf die Kleine achten und noch zehn andere Dinge tun, doch sie hat die Glotze eingeschaltet und zieht sich eine Folge Herz-Schmerz-Liebe rein: Die schöne Caroline hat soeben ihren Vater verloren, der an einer schweren Krankheit litt. Aber zum Glück ist da ja noch Hendrik, ihr reicher und verständnisvoller Freund. "Wenn ich dich nicht hätte", seufzt Caroline, während die zwei am schmiedeeisernen Tor seines Anwesens stehen und gedankenverloren den Fohlen zuschauen, die sich auf der Weide tummeln.

Ein bisschen seufzt Steffi mit, denn sie kann Caroline sehr gut verstehen. Auch wenn sie weiß, dass solche Filme Quatsch und das Drumherum mit Reitstall, Supercabrio und schicken Klamotten nichts als Traumlandschaft sind.

Glitzerkitsch, wie die Mama verächtlich sagt, die allerdings abends selber gern mal so was guckt.

Nur noch fünf Minuten, denkt Steffi und richtet sich ein wenig auf. Caroline sinkt in Hendriks Arme und er küsst sie. Doch in diesem Augenblick poltert es nebenan und Steffis kleine Schwester Yvonne beginnt laut zu zetern. Fast gleichzeitig dreht sich der Schlüssel in der Wohnungstür.

An der Art, wie ihre Mutter im Flur die Tasche auf den Garderobenschrank feuert, merkt Steffi, dass Sturm angesagt ist. Vielleicht war unangenehme Post im Briefkasten, die Frau, bei der die Mama sauber macht, grantig oder der Alte weiter unten hat sich über Steffi beschwert. Weil sie wieder mal zu laut die Heule aufgedreht hatte. Dabei hört er eigentlich gar nichts mehr, ist halb taub.

Steffi schaltet schnell den Fernseher ab, doch es ist zu spät, die Mutter hat's schon mitgekriegt. "Da rackert man sich bei fremden Leuten ab, um ein bisschen Geld heranzuschaffen, kümmert sich hier um den Haushalt und die Einkäufe, aber das Fräulein hat nichts im Sinn als die Flimmerkiste. Hörst du nicht, dass Yvonne drüben alles auf den Kopf stellt? Du sollst auf sie aufpassen!"

"Bis jetzt war sie still, hat eben erst mit dem Radau angefangen", verteidigt sich Steffi. "Ich wollte mich gerade um sie kümmern."

"Natürlich, du wolltest. Ich hab dir verboten, mitten am Tag vor dem Bildschirm rumzuhängen. Sag bloß nicht, dass du ausgeschaltet hättest, wenn ich nicht gekommen wäre. Bist schon richtig süchtig."

Das findet Steffi ungerecht. Schließlich sitzen die Erwachsenen auch stundenlang vor der Röhre, und das abends, wenn die Kinder ins Bett müssen. Die Mutter schläft neuerdings sogar vor dem Apparat ein, das hat sie kürzlich selbst zugegeben.

"Ich bin nicht süchtig. Du kannst ja abends gucken, wenn die richtigen Filme laufen."

Doch darauf geht die Mutter nicht ein. "Hast du wenigstens den Abwasch gemacht? Und was ist mit Hausaufgaben? Deine Leistungen werden immer schlechter, ich hab Frau Kreitz getroffen. Stattdessen scheinst du eine Vorliebe für alle möglichen Sitzenbleiber zu entwickeln. Treibst dich mit den dümmsten und faulsten Schülern herum."

Das ist es also, ihre dämliche Klassenlehrerin hat gepetzt! Wahrscheinlich hat sie Steffi mit ihren neuen Freunden beobachtet. Aber sitzengeblieben ist nur einer von der Clique - Bär. Olaf dagegen, der Häuptling, wie ihn alle nennen, ist viel schlauer als die meisten. Er hat's bloß nicht nötig zu streben.

"Die Aufgaben mach ich später", murmelt Steffi. Auf den Abwasch geht sie lieber gar nicht erst ein.

"Später, die Ausrede kenn ich. Kommt nicht in Frage, du setzt dich jetzt auf den Hosenboden. Nimm dir ein Beispiel an Britta. Die hat so viele Pflichten zu Hause und kriegt trotzdem gute Zensuren."

Langsam reicht es Steffi. Ständig wird ihr Britta Strohbach, eine Mitschülerin, als Vorbild hingestellt. Am liebsten wäre es der Mutter, wenn sie beide Freundinnen würden. Damit Britta einen guten Einfluss auf ihre Tochter ausübt. Aber da kann sie lange warten. Diese lahme Landente, die von der Schule immer sofort nach Hause trabt. Nicht mal im Freibad sieht man sie.

"Die hat ja auch noch ihren Vater", erwidert Steffi trotzig und zugleich ein wenig hinterhältig.

Damit trifft sie die wunde Stelle der Mutter und wie erwartet lässt die sich provozieren. "Das musste ja kommen, lass endlich deinen Vater aus dem Spiel. Das ist aus und vorbei. Der hat gezeigt, wer er wirklich ist, ich will nichts mehr von ihm hören." Ihre Stimme bekommt einen schrillen Klang.

Steffi verzichtet auf eine Antwort und vielleicht wäre alles noch einigermaßen glimpflich abgegangen, hätte Yvonne nicht in diesem Moment aus Leibeskräften erneut losgebrüllt. Klar, dass ihr die Sache zu lange dauert.

Die Mutter zuckt zusammen und wendet sich mit einer heftigen Bewegung um. Der Stress in der letzten Zeit hat sie mitgenommen, sie ist fahrig und nervös geworden. Dadurch aber passiert es. Mit dem weiten Ärmel ihres Kleides wischt sie über die Kommode und bleibt an einer kleinen Porzellanuhr hängen. Kein besonders wertvolles Stück, doch es stammt noch von ihren Großeltern. Die Uhr fällt herunter und zerspringt in tausend Scherben. Das Uhrwerk aber hüpft froschgleich über den Boden, schleudert kleine Rädchen, Metallstifte und Federn durch die Luft.

Es ist ein lustiger Anblick und Steffi bemüht sich vergeblich, das Lachen zurückzuhalten. Es gelingt ihr lediglich, den Ausbruch abzuschwächen, indem sie die Hand vor den Mund presst. Dennoch dringt ein langgezogenes Kichern aus ihrer Kehle.

Die Mutter, die einige Sekunden wie erstarrt dasteht, rastet aus: "Die gute Uhr, und du lachst auch noch!" Steffi kann gar nicht so schnell gucken, wie sie eine gescheuert bekommt.

Obwohl es nicht die erste Ohrfeige in ihrem Leben ist, tut sie besonders weh. Schließlich hat die Mutter die Uhr selber heruntergeworfen. "Ich war's doch nicht, du bist's, die alles kaputt macht!" Der letzte Teil des Satzes bezieht sich auf den Gameboy, den noch der Vater gekauft hatte und der erst kürzlich dran glauben musste, als die Mutter es für angebracht hielt, bei ihr aufzuräumen.

"Das ist noch lange kein Grund ...", faucht die Mutter. Sie bricht mitten im Satz ab und fängt an zu schlucken. Ihr Zorn schlägt unvermittelt in Wehleidigkeit um. "Ach, macht doch alle, was ihr wollt!" Nun heult sie fast. Dann besinnt sie sich und rennt ohne ein weiteres Wort ins Schlafzimmer zu der Zweijährigen.

Das Geschrei drüben verstummt und Steffi, die längst von ihrem Sessel aufgesprungen ist, weiß sekundenlang nicht, wie sie sich verhalten soll. Sie ist schon im Begriff, nach Besen und Schippe zu laufen, um die Scherben aufzukehren. Dann denkt sie jedoch an die Ohrfeige und überlegt es sich anders. Das würde ja so aussehen, als fühlte sie sich schuldig. Soll die Mutter selber in Ordnung bringen, was sie kaputt gemacht hat, wenn sie immer bloß an ihr rummeckert.

Nun hat Steffi schon gar keine Lust mehr auf die Schulaufgaben. Was soll sie also noch zu Hause? Mit einem Achselzucken und einem letzten Blick auf das Durcheinander im Wohnzimmer verlässt sie den Raum. Sie schnappt sich im Flur ihre Jacke, knallt die Tür ins Schloss und saust kurz darauf die Treppe zur Straße hinunter.

2. Kapitel

Steffi ist zwölf Jahre alt und nicht gerade die Größte in der Klasse. Ihre Lebhaftigkeit und die zierliche Figur haben ihr den Spitznamen Floh eingebracht. Es ist noch nicht lange her, vielleicht ein Jahr, da war sie eine genauso brave und fleißige Schülerin wie Britta Strohbach. Oder nicht genauso, ein bisschen weniger gestrebt und zu Hause bei der Familie rumgehangen hat sie schon. In der Schule mochte sie auch nicht alle Fächer wie Britta, sondern hauptsächlich Sport, Mathe und Geographie. Aber sie nahm das Übrige in Kauf, vielleicht deshalb, weil sie damals noch nicht die Kreitz als Lehrerin hatten.

Doch dass Steffi nicht mehr so viel Lust zum Lernen hat, seit einem Jahr in der Schule immer schlechter geworden ist, hängt vor allem mit ihrem Vater zusammen. Eines Tages hatte er seine Stelle im Büro verloren, war arbeitslos geworden, weil sein Betrieb den Sitz ins Ausland verlegte. So hatte er es wenigstens der Mutter erklärt. Steffi erinnert sich noch an den Streit, den es zwischen den beiden gab, als er damit herausrückte. Sie hatte die Tür einen Spalt geöffnet und gelauscht.

"Was sollen wir jetzt machen", rief die Mutter, "das Geld reicht eh hinten und vorn nicht. Aber du bist selbst schuld, hättest dich längst um eine neue Stelle kümmern können."

"Um eine neue Stelle? Wie denn? Sollte ich etwa kündigen? Du weißt genau, wie knapp die Arbeit überall ist."

"Red dich nicht heraus", schrie die Mutter, "du hättest schon eine Möglichkeit gefunden. Wegen deiner Schlampe von Sekretärin hast du dich nicht gekümmert. Ich weiß Bescheid, glaub ja nicht, dass du mich für dumm verkaufen kannst."

Sie waren ins Schlafzimmer gegangen und Steffi hatte nichts mehr mitgekriegt. Sie war aber beunruhigt gewesen, hatte sich Gedanken gemacht. Vor allem, als in den Wochen darauf die Streitereien ständig weitergingen und der Vater tagelang wegblieb. Die Mutter fühlte sich enttäuscht und beleidigt, das sagte sie immer wieder:

"Enttäuscht und beleidigt hat er uns alle, das verzeih ich ihm nie!" Sie schimpfte, seinetwegen habe sie ihren Beruf aufgegeben und nun würde er es ihr so vergelten.

Der Vater wiederum erklärte, er habe die Mutter nicht verletzen wollen. "Es handelt sich um echte Liebe, Steffi, verstehst du, dagegen kommt man nicht an."

Na ja, Steffi verstand schon, sie wusste es ja auch aus den Fernsehserien. Aber ein Schlag war es trotzdem gewesen, als der Vater dann endgültig zu der anderen zog. Es drückte auf der Brust, es presste ihr das Herz zusammen. Wochenlang lief sie herum wie mit Gewichten auf den Schultern. Dachte Papa denn gar nicht an sie und die kleine Schwester? Er behauptete, er würde auch weiterhin für sie beide da sein, doch wie sollte das aussehen?

Damals hatte Steffi angefangen, das Gerede von den guten Zensuren zu hassen, die man angeblich braucht, um im Leben bestehen zu können. Wie man an ihr sah, machte das Leben ja doch mit einem, was es wollte.

"Wer einen guten Durchschnitt hat, bekommt später leichter eine Lehrstelle", behauptete Frau Kreitz. Doch wer sollte das ernst nehmen? Steffis Freunde konnten darüber jedenfalls bloß lachen. Olafs älterer Bruder zum Beispiel war im Durchschnitt auf einer Zwei gewesen und hatte trotzdem nichts gekriegt. "Hundert Bewerbungen hat er geschrieben, wollte was mit Computern machen, Elektriker werden und was weiß ich alles", sagte der Häuptling. "Jetzt hat er 'nen Job beim Bau als Hilfsarbeiter und freut sich noch drüber. Dazu brauch ich mir nicht den Schädel mit blöder Chemie und Grammatik vollzustopfen."

Nein, Steffi will nicht mehr so brav sein wie früher, zu allem Ja und Amen sagen und folgsam die Hausaufgaben machen. Da hockt sie lieber bei den Freunden, die zwar alle etwas älter sind, sie aber verstehen, weil sie selber genug Familienknatsch haben. Und was den Vater angeht, so weiß sie inzwischen, dass es vorbei ist. Anfangs hat sie noch gebettelt, er solle zu ihnen zurückkommen, damit alles wie früher wird, doch das hat sie längst aufgegeben. Nicht einmal Yvonne konnte ihn dazu bewegen. Er wohnt jetzt in Oranienburg. Manchmal besucht sie ihn und er spendiert ihr ein Eis oder gibt ihr zehn Mark. Letzteres passiert allerdings selten, denn er ist nach wie vor arbeitslos.

Von seiner neuen Frau ist Steffi übrigens enttäuscht. Nach dem, was er erzählte, hatte sie sich was Schickeres vorgestellt. Ein komischer Geschmack, da hätte er auch bei Mama bleiben können. Lange hält sie es in Oranienburg jedenfalls nie aus, zumal die beiden inzwischen selber ein Baby haben. Ihr reicht aber wirklich das Geschrei von Yvonne.

Steffi läuft die Straße hinunter zum Tivoli. Wenn ihre Freunde da sind, stehen sie am Kino oder hängen irgendwo im Park rum. Früher haben sie sich meistens im Klub getroffen, Tischtennis oder am Automaten Fußball gespielt. Doch den Klub haben ein paar Idioten abgefackelt, einfach so, weil es ihnen offenbar Spaß machte, und das Geld, ihn wieder aufzubauen, ist angeblich nicht da. Außerdem wird erzählt, dort käme ein Bürohaus hin.

Am Tivoli drückt sich nur der dicke Ronni rum, der wie Olaf schon dreizehn ist, doch nicht richtig zur Clique gehört. Er gibt ziemlich an, mit seinen Kassetten von Elton John und mit dem Segelboot seines Vaters. Aber gerade deshalb kommt er bei Olaf nicht an. Genau wie Steffi kann der Großkotzigkeit nicht leiden. Zumal Ronni einmalig geizig ist und ständig schnorrt. Dabei kriegt er mehr Taschengeld als sie alle zusammen.

Im Augenblick guckt der Dicke sich das Plakat für den neuesten Asterix-Film an und natürlich hat er was dran auszusetzen. "Die müssten das viel knalliger machen", sagt er, "und mit 'nem anderen Untertitel. Wenn ich an ihrer Stelle wäre, ich würde ..."

"Bist du aber nicht", unterbricht ihn Steffi, die schon bereut, dass sie bei ihm stehen geblieben ist.

"Was verstehst du davon?", macht der Dicke sich wichtig. "Mein Alter lässt mich manchmal schon was entwerfen und eines Tages werdet ihr euch alle umgucken." Er ist stolz darauf, dass sein Vater in der Werbung arbeitet.

"Hast du Füller gesehn oder Olaf?", fragt Steffi, um ihn von seinem Lieblingsthema abzubringen.

"Nö. Nur eine aus deiner Klasse, die Blonde."

"Welche Blonde? Bei uns gibt's mindestens fünf."

"Na die mit dem Pony, euer Musterkind."

Steffi runzelt die Stirn. "Britta Strohbach, meinst du etwa die?"

"Ja, Britta. Sie ist rüber zum Supermarkt einkaufen. Ich hab ihr gesagt, sie soll mir 'ne große Cola mitbringen, ich komm um vor Durst."

"Das wird die gerade machen", erwidert Steffi. "Warum holst du sie dir nicht selber?"

"Weil ich knapp bei Kasse bin, deshalb. Morgen kriegt sie die Knete wieder. Du wirst sehn, die steht auf mich, die bringt mir den Drink mit."

"Glaub ich nicht", sagt Steffi, "Britta denkt bloß ans Streben, die steht auf niemanden. Schon gar nicht auf einen Blödmann wie dich."

"Dumme Ziege." Ronni ist beleidigt.

Steffi zuckt die Achseln und lässt ihn einfach stehen. Sie setzt im Bocksprung über einen kleinen Pfeiler, der die Zufahrt zu einem sogenannten Privatweg versperrt, und hält sich dann links. Der Weg führt an einem alten Wohnhaus vorbei zum Park.

Sie ist irgendwie sauer. Erst der Streit mit der Mutter, dann dieser belämmerte Ronni und schließlich heute schon zum zweiten Mal Britta. Als ob es nicht reichte, dass sie sich dauernd in der Klasse über den Weg laufen. Die und der Dicke, das wäre was! Wenn sie die andern trifft, muss sie ihnen die Geschichte gleich erzählen.

Steffi selbst hat sich ein bisschen in Olaf verguckt. Sie lässt es sich nicht anmerken und würde es nie zugeben, aber das Zwicken in der Brust, wenn er sie freundlich-herablassend Floh nennt oder ihr einen Schluck Fanta anbietet, ist ihr nicht unangenehm. Dass sie zu dem Häuptling und seinen Leuten gestoßen ist, war übrigens beinahe Schicksal. Sie war es nämlich, die ihn vor einiger Zeit davor bewahrt hat, bei einer dummen Sache geschnappt zu werden. Das war neulich, als Bär und er einen Kaugummiautomaten knacken wollten, aber nur die Seite zum Grünsteintor im Auge hatten. Dort blieb alles ruhig, doch hinter der Ecke, wo das Gelände unübersichtlich wird, pirschte sich ein Streifenwagen heran. Die Bullen hatten noch nichts mitgekriegt, aber das konnte jeden Augenblick passieren.

Steffi hockte damals, von allen unbemerkt, hinter einem Zaun auf der anderen Straßenseite und bastelte an ihren Roller Skates. Sie sah den Polizeiwagen und schaltete sofort. Obwohl sie noch nie ein Wort mit diesen Jungs geredet hatte, die ja nicht in ihre Klasse gingen, half sie ihnen. Sie schmiss einen eisernen Papierkorb um, der übers Pflaster schepperte, und machte Olaf so auf die Gefahr aufmerksam. Die Jungs konnten abhauen und am nächsten Tag fing Bär Steffi nach der Schule ab. "Der Häuptling schickt mich, sollst mal rüberkommen zum Park." Er brachte sie zu den anderen und Olaf sagte: "Das ist die Kleine. Hat total cool reagiert." Die Kids klopften mit ihren Bier- und Colabüchsen Beifall auf den Bänken und damit gehörte sie dazu.

Am Kiosk, einem Imbissstand am Ende des Privatwegs, sind die Freunde auch nicht, nur ein paar Arbeiter von einer nahen Baustelle schlingen Currywürste und Pommes in sich rein. Der Park beginnt hier und geht hinterm Brunnen in Ödland über, mit Grashügeln, Büschen und Sandwegen, auf denen die Älteren wilde Mopedrennen veranstalten. Weiter rechts stehen Bauten neueren Datums - die Stadt ist dort zu Ende. Steffi dagegen wohnt, wie die meisten aus ihrer Schule, in einem Plattenbau. Ihr Haus existiert schon länger, es wurde vor mindestens zwanzig Jahren errichtet.

Also weiter zum Brunnen, zumindest Bär und Füller müssen sich in der Nähe herumtreiben. Bei denen gibt's zu Hause noch mehr Zoff als bei ihr, die halten es bei ihren Alten keine fünf Minuten aus. Füller, der Steffi mal mitgenommen hat, als seine Mutter im Krankenhaus lag, besitzt noch nicht mal ein eigenes Zimmer. Sie wollten sich Bänder von den Scorpions anhören, doch sein Vater saß im Wohnzimmer, guckte stundenlang Eurosport und beschwerte sich, weil sie den Recorder zu laut aufdrehten. Selbst Steffi, der die Mutter ständig die Unordnung im Kinderzimmer vorwirft, staunte über das Durcheinander und den Dreck in der Wohnung.

Für einen Augenblick wird sie abgelenkt, denn ein Eichhörnchen hoppelt über den Weg und bleibt sogar sitzen, als es Steffi sieht. Der leuchtend braune Puschelschwanz und die kleinen Öhrchen sind wachsam aufgerichtet, die Knopfaugen schauen sie neugierig an.

"Du willst bestimmt was fressen", sagt Steffi und sucht eifrig in den Taschen ihrer Jeans nach etwas, das sie verfüttern kann. Aber außer ihrem kleinen Spiegel, einem zerknitterten Taschentuch, dem Portmonee mit zwei Mark fünfzehn und einem Kaugummi findet sich nichts. Sie hockt sich trotzdem hin, schnalzt lockend mit der Zunge und reibt den Daumen gegen den Zeigefinger, als hätte sie eine Nuss. Doch das scheue Tier springt nach einigen Sekunden mit zwei eleganten Sätzen zum nächsten Baum und ist gleich darauf im Blätterwerk verschwunden.