Sterbebegleitung mit Rollentausch - Josef F. Justen - E-Book

Sterbebegleitung mit Rollentausch E-Book

Josef F. Justen

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Beschreibung

Die knapp 80-jährige Monika Wehrmann ist eine kluge Frau, die trotz ihres Alters noch bei völlig klarem Verstand und alles andere als auf den Mund gefallen ist. Aufgrund starker körperlicher Einschränkungen sah sie sich vor zwei Jahren gezwungen, in ein Alten- und Pflegeheim zu gehen. Außerdem leidet sie an einer Krebserkrankung, so dass die Zeit, die ihr noch verbleibt, überschaubar sein dürfte. Da sie sich in dem Heim recht einsam fühlte und einen sehr großen Gesprächsbedarf hat, bat sie beim Hospizverein um eine Begleitung. Zunächst wurde ihr ein junger, in der Sterbebegleitung noch recht unerfahrener Mann geschickt, mit dem sie nicht so gut zurechtkam. Dann bekommt sie eine Begleiterin, mit der sie sich auf Anhieb prächtig versteht. Mit ihr kann sie über Gott und die Welt reden. Durch die vielen Gespräche erfährt der Leser auch einiges über die Biografien der beiden Damen. Nach einigen Monaten geht es Frau Wehrmann plötzlich recht schlecht. Sie hat starke Schmerzen. Der Krebs scheint sein Tribut zu fordern. Doch es kommt alles ganz anders ...

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Seitenzahl: 76

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Wenn du als Begleiter vor einem Sterbenden stehst, hält der Verstand an.

Du wirst vollkommen gegenwärtig im Hier und Jetzt, und eine unendlich viel größere Kraft übernimmt die Führung.

Deshalb gibt es so viele Berichte von ganz normalen Menschen, die in einer solchen Situation plötzlich ganz richtig und unglaublich mutig handeln konnten.

frei nach Eckhart Tolle

Monika Wehrmann lebt seit zwei Jahren in einem Alten- und Pflegeheim im Ruhrgebiet.

Sie ist eine gebildete und belesene Frau mit langen schneeweißen, zu einem Zopf geflochtenen Haaren. Aufgrund ihrer zierlichen Statur wirkt sie fast ein wenig zerbrechlich. In Anbetracht ihrer fast 80 Lenze ist sie geistig noch erstaunlich rege und wach und an allem, was das Leben ausmacht, interessiert.

Nur ihre körperliche Hülle spielt seit Jahren nicht mehr so recht mit. Mit zunehmender Zeit fiel ihr das Gehen – selbst mit ihrem Rollator – immer schwerer, so dass sie kaum noch in der Lage war, ihre Wohnung, in der sie seit dem Tod ihres Mannes allein wohnte, in Schuss zu halten.

So entschloss sie sich vor zwei Jahren, ihre Bleibe aufzugeben und in ein Altenheim zu ziehen, in dem sie ein schmuckes Zweibettzimmer bewohnt.

Außerdem litt sie seit geraumer Zeit an einer Krebserkrankung, die ihr aber zunächst nicht sehr zu schaffen machte.

Frau Wehrmann hatte sich relativ schnell in ihr Schicksal gefügt und fühlte sich in dem Heim recht wohl – so wohl, wie man sich in einem Heim eben fühlen kann.

Was ihr aber sehr fehlte, waren Gespräche mit anderen Menschen. Ihre Mitbewohnerin war vor einigen Monaten gestorben. Seitdem ist das Bett nicht mehr belegt worden. Und die Pflegekräfte haben einfach nicht die Zeit, länger mit den Patienten zu reden. Mit dem Besuch von Verwandten oder Freunden konnte Frau Wehrmann auch nicht rechnen. Ihr Mann war schon vor einigen Jahren gestorben. Ihr Sohn lebte in Süddeutschland. Außerdem pflegten die beiden kein sehr gutes Verhältnis. Ihre Brüder waren schon lange tot. Auch die meisten ihrer Freundinnen waren schon gestorben oder hochgradig dement. Auch mit den anderen Bewohnern des Heimes, die sie hin und wieder im Aufenthaltsraum oder in den Außenanlagen traf, kam es nur selten zu fruchtbaren Gesprächen.

Unter dieser Einsamkeit litt Frau Wehrmann sehr.

Eines Tages kam ihr eine Idee: Sie hatte schon von der Hospizbewegung gehört und wusste, dass schwerkranke und insbesondere sterbende Menschen bei einem Hospizverein um eine Begleitung bitten können. »Dann hätte ich ja einen Gesprächspartner, der mich regelmäßig besucht und mit dem ich mich austauschen kann«, dachte sie.

Eilig griff sie nach ihrem Smartphone, das schon ein wenig in die Jahre gekommen war, und suchte im Internet nach der Telefonnummer des zuständigen Hospizvereins.

Doch dann hielt sie inne: »Wenn ich da jetzt selbst anrufe, denken die vermutlich, ich sei noch viel zu gesund, um Anspruch auf eine Sterbebegeleitung zu haben.« Somit schien es ihr ratsam, die Stationsleiterin, Frau Handtke, um diesen Anruf zu bitten, was diese auch gerne tat.

Kurz darauf kam Frau Handtke zurück und sagte: »Ich habe soeben mit Herrn Altmann, dem Einsatzleiter des Hospizvereins, gesprochen. Er wird Sie vermutlich noch heute oder spätestens morgen aufsuchen und alles Weitere mit Ihnen besprechen.«

Am nächsten Tag klopfte so gegen 17 Uhr jemand an ihre Tür. »Herein, wenn’s nicht der Tod ist«, sagte Frau Wehrmann laut und deutlich, so dass es der Besucher nicht überhören konnte.

Ein älterer Herr trat ein und begrüßte sie, wobei er sich ein Schmunzeln wegen der ungewöhnlichen Formulierung, mit der er hereingebeten wurde, nicht verkneifen konnte: »Guten Tag Frau Wehrmann! Sie haben ja einen köstlichen Humor! Mein Name ist Walter Altmann. Ich bin der Einsatzleiter bzw. Koordinator des hiesigen Hospizvereins. Sie haben um eine Sterbebegleitung ersucht. Gerne möchte ich Sie heute ein wenig kennenlernen, um dann entscheiden zu können, welche Dame oder welchen Herrn ich Ihnen als Begleiter schicken werde.«

Die beiden machten ein paar Minuten Smalltalk. Herr Altmann schaute sich dabei ein wenig in dem Zimmer um. Sein Blick blieb an einem alten Bücherregal aus Eiche haften, in dem sich gut hundert Bücher befanden, vorwiegend klassische Literatur: Werke von Goethe, Schiller, Lessing – um nur einige zu nennen. »Sie haben ja eine richtige kleine Bibliothek. Haben Sie die Bücher alle gelesen?«

»Diese Bücher bilden nur einen Bruchteil derer, die ich in meinem Leben gelesen habe. Die meisten Bücher konnte ich nicht mit ins Heim nehmen, weil der Platz fehlt. Aber von diesen und dem alten Regal konnte ich mich nicht trennen. Es sind die einzigen äußeren Dinge, die aus meinem Leben übrig geblieben sind.«

Dann schilderte Frau Wehrmann ein wenig über ihre Krankheit und die Einschränkungen, die sie dadurch in Kauf nehmen musste. Diese kurze Unterhaltung war für Herrn Altmann hinreichend, um erkennen zu können, dass die Patientin bei klarem Verstand, sehr redselig und mit gesundem Humor gesegnet war.

»Was erhoffen Sie sich in erster Linie von einer Begleitung?«, wollte der Einsatzleiter wissen.

»Das Schlimmste an meiner Situation ist die Einsamkeit. Mir fehlen einfach Menschen, mit denen ich mich austauschen kann, mit denen ich reden kann.«

»Das ist ja auch ein ganz wichtiger Aspekt einer Begleitung schwerkranker oder sterbender Menschen, dass die Patienten jemanden haben, mit dem sie reden können, dem sie alles anvertrauen können und der ihnen hilft, ihnen ihre Ängste zu nehmen.«

»Also, Angst habe ich eigentlich keine! Und ich würde mich auch noch nicht unbedingt als ›Sterbende‹ bezeichnen. Wie schon erwähnt – mir ist die Kommunikation mit anderen Menschen ein großes Bedürfnis. Die Heimmitarbeiter haben aus verständlichen Gründen viel zu wenig Zeit, um mit den Bewohnern zu reden. – Ich weiß nicht, ob ich in meinem Fall überhaupt einen Anspruch auf eine Begleitung habe, da ich noch nicht im Sterben liege.«

»Da machen Sie sich mal keine Sorgen, liebe Frau Wehrmann! Es spielt im Grunde keine Rolle, ob wir es ›Sterbebegleitung‹ oder ›Besuchsdienst‹ nennen. Ich werde Ihnen auf jeden Fall jemanden schicken. Ich weiß auch schon wen! Der Herr, den ich im Auge habe, heißt Hans-Günter Huth. Er ist ein netter, empathischer und sehr humorvoller junger Mann, mit dem Sie ganz gewiss wunderbar plaudern können. Er wird in den nächsten Tagen seinen Antrittsbesuch bei Ihnen machen.«

»Das ist ja prima! Ich freue mich. Haben Sie vielen Dank, Herr Altmann!«

Die beiden sprachen noch eine Weile über dieses und jenes. Dann fragte Herr Altmann: »Wie ist es eigentlich um Ihre Schmerzen bestellt? Vielleicht haben Sie schon mal von der Palliativ-Medizin gehört. Ich könnte Ihnen einen unserer Palliativärzte vorbeischicken, damit er Sie näher untersucht und eine Schmerzmedikation vornimmt.«

»Die Palliativ-Medizin und ihre Aufgaben sind mir durchaus ein Begriff. Aber meine Schmerzen sind derzeit sehr gut zu ertragen. Also, im Moment brauche ich noch keine Schmerzmittel. Sollte es schlimmer werden, komme ich gerne auf Ihr freundliches Angebot zurück.«

Nach einer guten halben Stunde verabschiedeten sich die beiden.

Herr Altmann war von der alten Dame ganz angetan. Noch nie hatte er eine knapp 80-jährige, pflegebedürftige Frau erlebt, die einen so strukturierten Eindruck erweckte, so gewählt und flüssig sprach und so geistesgegenwärtig war.

Frau Wehrmann freute sich sehr über die Zusage, ihr Herrn Huth zu schicken. Sie sehnte seinen Besuch geradezu herbei.

Am nächsten Tag begab sich Hans-Günter Huth auf den Weg zum Heim, um Frau Wehrmann seinen Erstbesuch abzustatten.

Der 41-Jährige hatte erst vor wenigen Monaten seine Ausbildung zum Hospizhelfer abgeschlossen und konnte bisher nur auf die Erfahrungen aus einer einzigen Begleitung zurückblicken. So war er doch recht nervös und etwas unsicher.

Er klopfte an die Zimmertür und vernahm ein »Ja bitte, herein!« Beschwingten Schrittes, mit dem er seine Nervosität ein wenig zu überspielen versuchte, ging er auf Frau Wehrmann, die in ihrem Bett lag, zu und begrüßte sie: »Guten Tag, Frau Wehrmann! Mein Name ist Hans-Günther Huth vom Hospizverein. Unser Einsatzleiter, Herr Altmann, hat mich auserkoren, Sie von nun an regelmäßig zu besuchen. Ich freue mich sehr auf unsere Begegnungen.«

»Einen schönen guten Tag, Herr Huth! Nehmen Sie doch bitte Platz. Ich freue mich, dass Sie da sind. Ich habe gar nicht damit gerechnet, dass so schnell jemand mich besuchen würde. Das ist ja prima! Also, seien Sie mir willkommen.«

Herr Huth war angenehm überrascht, wie aufgeräumt, gut gelaunt und beredt seine Patientin war. Das hatte er bei seiner ersten und bisher einzigen Begleitung ganz anders erlebt. Er setzte sich auf den angebotenen Stuhl und sagte: »Es ist uns immer ganz wichtig, Besuchswünsche so schnell wie möglich zu erfüllen. Meistens gelingt das auch.«

Während er seine Blicke ein wenig durchs Zimmer schweifen ließ, schien er geradezu danach zu suchen, was er ihr Gutes angedeihen lassen könnte. So nahm er denn ihre Hand und meinte mit mitleidsvoller Mine: »Na, Frau Wehrmann, wie geht es uns heute denn so?«

Frau Wehrmann fand sowohl die vertrauliche Geste als auch diese Frage etwas sonderbar, zumal sich die beiden erst seit wenigen Minuten kannten. Außerdem nervten sie solche Fragen in der »Wir-Form« immer ganz gewaltig. Den Pflegerinnen, die sie betreuten, hatte sie diese Unsitte schon ausgetrieben. Auch jetzt machte sie keinen Hehl daraus, dass ihr die Frage missfiel. »Da ich nicht weiß, wie es Ihnen geht, kann ich nicht sagen, wie es uns heute geht. Aber falls Sie wissen wollen, wie es mir geht, so kann ich sagen: gut!«, sagte sie ein wenig bissig.