Stille Wasser, tiefe Schatten - Jessica Vonthin - E-Book

Stille Wasser, tiefe Schatten E-Book

Jessica Vonthin

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Beschreibung

Mord in Istrien: Der zweite Fall für Ana Novak Gerade hat Ana Novak für ihre Ermittlungen auf eigene Faust ihre Suspendierung erhalten, da erschüttert ein Doppelmord die idyllische Halbinsel Istrien: Ein junges Paar wurde in der eigenen Wohnung mit mehreren Schüssen hingerichtet. Ana setzt nun alles daran, ihre Dienstmarke wiederzubekommen – mit Erfolg. Ihre Ermittlungen führen sie zu einem grausamen Tauchunfall, den Petković längst zu den Akten gelegt hat, und einem Brief, der klarmacht: Das Morden ist noch nicht vorbei …

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Stille Wasser, tiefe Schatten

Jessica Vonthin arbeitet als Lehrerin und lebt in Solms. Während ihrer zahlreichen Reisen nach Kroatien hat sie sich für ihr Debüt Im Schatten der Pinien inspirieren lassen. Stille Wasser, tiefe Schatten ist Band 2 der Reihe. Zu ihren Lieblingsautorinnen gehören Nele Neuhaus und Charlotte Link. 

Jessica Vonthin

Stille Wasser, tiefe Schatten

Ein Kroatien-Krimi

Ullstein

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Originalausgabe bei Ullstein eBooksUllstein eBooks ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Juli 2025© Ullstein Buchverlage GmbH, Friedrichstraße 126, 10117 Berlin 2025Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.Bei Fragen zur Produktsicherheit wenden Sie sich bitte an [email protected]: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © Jessica VonthinE-Book powered by pepyrusISBN978-3-8437-3525-4

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Inhalt

Das Buch

Titelseite

Impressum

Prolog

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Danksagung 

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Prolog

Widmung

Für Daniel

und die echte Dr. Ariana Pavić,

in Dankbarkeit

Motto

»Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.« – Lew Tolstoj

Prolog

November 2022

Ein kühler Wind wehte durch die verblühten Oleanderbüsche und ließ die trockenen Blätter erzittern, während sie die klare Flüssigkeit in ihrem Glas anstarrte. Ihre Wangen spannten, als sie das Getränk an die Lippen führte. Selten in ihrem Leben hatte sie so viel getrunken, vor allem solchen hochprozentigen Schnaps. Ihre Speiseröhre brannte, als der Wodka ihr die Kehle herunterrann. Würde sie jetzt zur Alkoholikerin werden? All die Jahre hatte sie es heldenhaft geschafft, nicht den Verstand zu verlieren. War tapfer gewesen und stark. Alle hatten sie dafür bewundert. Doch jetzt? Was hatte sie jetzt noch für eine Lebensgrundlage?

Ihr Blick fiel auf die Zigarettenpackung, die sie aus dem alten, heruntergekommenen Automaten gezogen hatte. Zigaretten. Sie hatte noch nie geraucht. Nicht einmal als Jugendliche hatte sie an einer Kippe gezogen und das, obwohl viele ihrer Freunde Raucher waren. Das hatte sie wohl ihren verstorbenen Eltern zu verdanken, die ein gutes Vorbild gewesen waren und gesund gelebt hatten. Tja, und jetzt? Machte es einen Unterschied, ob sie gesund lebte oder nicht? Kümmerte es jemanden, ob sie trank und rauchte? Für wen sollte sie noch stark sein?

Sie spürte, wie ihr bei diesen Gedanken erneut Tränen in die Augen stiegen. Das nagende Gefühl in der Magengrube machte ihr unmissverständlich klar, dass sie in ihrem größten Albtraum angekommen war. Hektisch griff sie nach der Zigarettenpackung, puhlte die kleine Lasche ab und zog das Plastik schließlich von der Schachtel. Sie hatte die Hoffnung, dass sowohl das Nikotin als auch der Alkohol ihre Gefühle wenigstens ein bisschen betäuben würden. Etwas unbeholfen führte sie die Zigarette zum Mund, entzündete sie mit dem Feuerzeug und inhalierte. Sofort begann sie zu husten, und der glimmende Stummel fiel zu Boden.

»Fuck!«, fluchte sie, rang nach Luft und griff hektisch nach der Zigarette, bevor das trockene Gras Feuer fangen konnte. »Das kann nicht wahr sein.« Sie hustete und weitere Tränen rannen ihr über das glühende Gesicht, sodass sie nach ihrem Wodka-Glas griff und einen weiteren Schluck nahm. Für einen kurzen Moment schloss sie die Augen und konzentrierte sich lediglich auf das brennende Gefühl des Alkohols, der ihr die Speiseröhre hinunterlief. Der Husten wurde weniger, ihr Brustkorb entspannte sich und der hohe Alkoholgehalt tat sein Übriges. Sie öffnete die Augen, klemmte sich die Zigarette erneut zwischen Zeige- und Mittelfinger und spürte, wie sie allmählich ruhiger wurde und sich der dichte Nebel in ihren Gedanken lichtete. Wie sollte es weitergehen? Was sollte sie nur tun?

Ihr Blick schweifte über den wild wuchernden kleinen Garten, um den sich schon seit Monaten niemand mehr gekümmert hatte, und blieb schließlich an der selbstgebauten Schaukel hängen, die sie Doro damals an den Feigenbaum gehängt hatte. Geistesabwesend raffte sie sich auf und ging zu dem hölzernen Brett, das verlassen im Wind schwang. Sie betrachtete es eine Weile, während sich in ihren Gedanken ein Film abspielte: Sie sah Doro als kleines Mädchen im Garten umhertoben, sah, wie sie eifrig beim Bau der Schaukel mit angepackt und danach pausenlos auf ihr gesessen und geschaukelt hatte, immer bemüht, möglichst so hoch zu kommen, dass ihre Fußspitzen die Blätter des Feigenbaumes berührten.

Der Zeitraffer in ihrem Kopf lief weiter: Sie sah Doro in der Schule sitzen, mit Freunden spielen, im Meer schwimmen, schnorcheln oder jubelnd durch den Aquapark Istralandia laufen, dann in ihrem Zimmer, weinend und mit Blut überströmt. Sie sah Doro vor sich: Verzweifelt über ihre Gefühle, derer sie nicht Herr wurde. Hörte die in einem monotonen Rhythmus piependen Geräte, sah das Krankenhausbett, diese furchtbaren Bilder auf Social Media und dann sah sie ihn.

Ihr Blick verfinsterte sich, als ihr Gehirn die Ausschnitte durchging, die sich über die Zeit unweigerlich in ihre Netzhaut gebrannt hatten. Augenblicklich begann ihr Herz zu rasen, ihr Puls beschleunigte sich. Ein schmerzhafter Druck breitete sich in den Ohren aus, der sie bemerken ließ, dass sie ihre Zähne fest zusammengebissen hatte. Das Seil der Schaukel noch immer fest umklammert, schaute sie über den Garten hinweg zur Küste, die von rauschenden Wellen verschluckt wurde.

»Du wirst es bereuen«, sagte sie verbittert und zog – ohne dabei zu husten – an der noch glimmenden Zigarette, deren Stummel mittlerweile beinahe abgebrannt war, warf sie zu Boden und zertrat die Reste mit einem ihrer Flip-Flops.

Sie wusste, was sie zu tun hatte.

1

1. September 2024

»Jeder ist schuldig!«, schrie der Mann, dessen blasses Gesicht durch das tiefe Loch in der Stirn völlig entstellt war, und bäumte sich vor ihr auf. Ein kalter Wind fegte orkanartig über das Meer, dessen Wellen am Fuße der schwarzen Klippen ohrenbetäubend brachen. Anas Haare peitschten ihr ins Gesicht, während Ivan ihren Hals packte. Panisch rang sie nach Luft und begann schließlich zu röcheln. Blut sickerte aus dem Krater in seinem Kopf und bahnte sich den Weg herunter bis zu seinen Augen, sodass es schien, als weine er dunkelrote Tränen. »Mörderin!«, raunte seine hohle Stimme durch das laute Trommeln des Regens, bevor ein erneuter Windstoß über sie hinwegfegte, sodass beide das Gleichgewicht verloren und schreiend zwanzig Meter tief in den dunklen Abgrund stürzten.

Ana wachte ruckartig auf und starrte in die vollkommene Dunkelheit ihres achtzehn Quadratmeter großen Zimmers. Wie gelähmt lag sie auf der Matratze ihres Boxspringbettes. Zitternd und mit feuchter Stirn. Wie betäubt drehte sie den Kopf zur Seite, um einen Blick auf die Leuchtanzeige ihres Radioweckers zu erhaschen. 2:34 Uhr. Ana rieb sich das Gesicht und richtete sich schnaufend im Bett auf. Seit ihrer Suspendierung war keine Minute vergangen, in der sie nicht an ihren letzten Fall hatte denken müssen. Sie waren hinter einem Psychopathen her gewesen, der seine Opfer nach ihrem Tod grausam drapierte, und hatten einen Unschuldigen festgenommen, der am Ende keinen anderen Ausweg mehr als den Tod selbst gesehen hatte. Trotz allem konnten sie aber auch ein Entführungsopfer retten und letztendlich war sie selbst es gewesen, die Ivan getötet hatte. Seit diesem Moment war keine Nacht vergangen, in der Ana nicht von irgendwelchen Albträumen heimgesucht wurde.

Mörderin!, hallte sein Schrei in ihr nach. Ana beschloss, aufzustehen und sich in der Küche ein Glas Wasser zu holen. Der Dielenboden knarzte, als sie mit ihren nackten Füßen auftrat, darauf bedacht, sich möglichst leise fortzubewegen, um keinen ihrer beiden Mitbewohner aufzuwecken. Schummriges Licht schien von draußen durch die schmalen Schlitze der Rollläden, als Ana in die große Wohnküche trat. Sie rieb sich über die müden Augen, bevor sie sich ein frisches Glas aus dem Schrank nahm und es mit Leitungswasser füllte. Gedankenverloren lehnte sie sich an die Küchenzeile, während ihr Blick durch den Raum schweifte. Seit Wochen hatte sie das Gefühl, sich in einem Schockzustand zu befinden, der einfach nicht verschwinden wollte. Sie war mitverantwortlich für den Selbstmord eines unschuldigen Mannes. Auch wenn Ria, ihre Kollegin und gute Freundin, ihr immer wieder versichert hatte, dass sie diejenige gewesen war, die auf Petars Unschuld gepocht hatte, war es ihr einfach nicht gelungen, das Gesagte zu verinnerlichen. Zwar hatte sie den wahren Täter am Ende stellen können, doch zu welchem Preis?

Erneut sah Ana Ivans entstelltes Gesicht, doch diesmal war es bloß sein lebloser Körper, der die Klippen hinabstürzte. Sie war die Szene immer und immer wieder durchgegangen, hatte die letzten Stunden ihres Zusammentreffens bis ins kleinste Detail durchgespielt und war Szenarien von möglichen Ausgängen durchgegangen: Was wäre passiert, wenn sie eben nicht eigenmächtig gehandelt hätte? Doch egal, wie sie die Karten auch mischte, sie fand keine Version, an deren Ende es nicht mindestens einen Toten gab. Jeder ist schuldig!, schrie ihr die hohle Stimme aus ihrem Traum entgegen. Ana zuckte zusammen. Letztendlich, dachte sie und nippte an ihrem Wasserglas, war auch Ivan ein Opfer.

Ana schüttelte unwillkürlich den Kopf. Aber dann auch noch diese lächerliche Suspendierung! Obwohl sie durch ihr eigenmächtiges Handeln Schlimmeres hatte verhindern können, war sie nun seit vier Wochen vom Dienst »befreit«. Zumindest bis zu ihrer Anhörung am Montag, bei welcher sie den Fall darlegen und ihr Verhalten erläutern sollte. Und je nachdem, wie sie dabei abschnitt, lag es dann an Dienststellenleiter und Kriminalhauptkommissar Marco Petković, ob ihr sogenanntes »Disziplinarverfahren« eingestellt würde oder nicht.

»Oh Mann«, fluchte Ana und stellte ihr Glas neben die Spüle, als ihr Blick auf die angebrochene Rotweinflasche fiel. Gedankenverloren studierte sie das weiß-goldene Etikett des Lagreins. Warum eigentlich nicht, dachte Ana und nahm sich aus dem Schrank oberhalb der Spüle ein Weinglas heraus. Vielleicht würde ein Glas Rotwein guttun und ihr helfen, wieder einzuschlafen.

Die rote Flüssigkeit floss ins Glas und Ana, deren Augen sich mittlerweile an die Dunkelheit und das spärlich einfallende Licht der Straßenlaternen gewöhnt hatten, ging hinüber ins Wohnzimmer und setzte sich auf die Couch. »Und dann diese Tielesch«, murmelte sie und nippte an ihrem Glas. Sie verdrehte die Augen bei dem Gedanken an die penetrante Polizeipsychologin, die sie in jeder Sitzung mit den gleichen Fragen löcherte: Wie fühlten Sie sich, als die Situation eskalierte und Sie gezwungen waren, Ihre Waffe zu benutzen? Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Handlungen angemessen waren, um sich selbst zu schützen? Wie gehen Sie mit den emotionalen Folgen Ihrer Handlungen um? Die nach Protokoll abgespulten Fragen der Psychologin liefen in ihren Gedanken wie bei einer hängengebliebenen Schallplatte in Dauerschleife ab. Was hat es mit Ihnen gemacht, dass Sie Ivan erschossen haben?

Ana lehnte sich frustriert zurück und legte die Füße auf die Kante des Wohnzimmertisches. Was sollte es schon mit einem machen, wenn man einen Menschen erschoss und somit ein Leben auslöschte? Ein Leben, das irgendwann in der Vergangenheit eine Art Scheidepunkt gehabt haben musste, an dem man Ivans Schicksal noch hätte wenden können. Vielleicht durch aufmerksame Nachbarn, Freunde, Lehrer, Ärzte, Polizisten? Vielleicht hätte man gar verhindern können, dass Ivan, der als kleiner Junge entführt worden war und unter grausamen Bedingungen aufwachsen musste, zu dem Monster wurde, das er letztendlich in sich selbst gesehen und von dem er sich nicht hatte befreien können.

Ana rieb sich die Augen und nahm einen größeren Schluck Rotwein. Sie überlegte, weshalb sie überhaupt Ivans Vergangenheit und die späteren Geschehnisse aufzuarbeiten versuchte. Vielleicht lag es daran, dass es ihr ein Gefühl der Genugtuung gab, so, wie es bei Petar der Fall war. Wie geht es Ihnen damit, zu wissen, dass dieser Mann erst durch Ihre Ermittlungen in Verdacht geraten ist und sich letztendlich – trotz seiner Unschuld – das Leben nahm? Ana stellte das Glas auf den Tisch und vergrub den Kopf in den Händen. Warum konnte diese Frau sie nicht in Ruhe lassen? Wieso durfte sie nicht selbst entscheiden, wann sie bereit war, über all diese Dinge zu sprechen? Und noch viel wichtiger, weshalb musste sie das mit jemand Wildfremdem tun?

»Verdammt!«, entfuhr es Ana und sie wich erschrocken zurück, als mit einem Mal das Licht anging.

»Was machst du hier?«, erklang Ellies Stimme.

»Oh Mann, Ellie!« Ana schirmte mit einer Hand ihre Augen vor dem grellen Licht ab, während sie sich mit der anderen automatisch an die linke Brust griff. »Willst du mich umbringen?«, fragte sie und zwang sich, langsam auszuatmen.

»Boah, Ana. Du bist Kriminalkommissarin. Sowas musst du abkönnen.«

»Was? Erschreckt zu werden?«

»Ja. Stell dir vor, ich hätte jetzt ein Messer in der Hand und wollte dich abmurksen. Deine Schockstarre hätte dir sicher nicht das Leben gerettet.« Theatralisch riss Ellie die Augen auf, um die Reaktion ihrer Freundin nachzumachen.

»Ja, wahrscheinlich«, sagte Ana und gähnte. Auf einmal merkte sie, wie müde sie war.

»Hat es einen Grund, weshalb du hier mitten in der Nacht allein im Dunkeln sitzt, Selbstgespräche führst und Wein trinkst?« Ellie wies auf das halbleere Glas.

»Das ist eine gute Frage«, sagte Ana und stützte die Unterarme auf die Knie. »Mir war danach.«

»Nachts um drei?«

Ana zuckte mit den Schultern und schwieg. Eine unangenehme Stille machte sich zwischen den beiden Freundinnen breit.

»Na ja«, sagte Ellie und ging zu Anas Erleichterung nicht weiter auf das Thema ein. »Ich muss los.«

»Wohin?«, fragte Ana und schaute der Freundin nach, die in Richtung Flur lief.

»Darüber darf ich leider nicht reden«, sagte Ellie mit einem flüchtigen Blick auf ihr Handy.

»Diesen Blick kenne ich!«, rief Ana und ging der Freundin hinterher. »Du hast deinen ersten Fall!«

Ellie nickte, band sich die dunklen Sneaker und richtete sich wieder auf. »Ria hat mich angerufen. Die Staatsanwaltschaft hat die Gerichtsmedizin für einen Tatort in Stoja angefordert.«

»Wow, okay!« Ana staunte. Erst vor Kurzem hatte sie Ellie für ihr Kriminalbiologie-Studium ein Praktikum in der Gerichtsmedizin organisiert, für das Ellie, wie sie sich selbst ausdrückte, bisher noch der »Pepp« fehlte. »Bist du nervös?«, fragte Ana, obwohl Ellie die Euphorie ins Gesicht geschrieben stand. Was angesichts der Tatsache, dass gerade jemand sein Leben verloren hatte, natürlich grotesk war.

»Puh, na ja. Sagen wir mal, ’nen Kaffee brauche ich nicht, um wach zu werden.«

»Das packst du. Ria ist super. Du wirst von ihr viel lernen, und wenn du was nicht machen oder sehen willst, ist das auch okay.«

»Danke«, sagte Ellie mit einem leichten Schmunzeln. »Mach’s gut und trink nicht den ganzen Wein auf einmal. Der war teuer«, scherzte sie noch, bevor sie ging.

Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss und ließ Ana erneut alleine zurück. Sie biss sich auf die Unterlippe. Es war merkwürdig, von einem Mordfall zu wissen, bei dem ihr Team sicherlich ermitteln würde, ohne selbst alarmiert worden zu sein. Sie fuhr sich durch die Haare und lehnte sich mit dem Rücken an die Haustür. Diese ganzen Albträume und Gedanken, die sich nur um diesen einen Fall drehten, trieben sie in den Wahnsinn. Und sie würde den Teufel tun und einer Psychologin oder sonst wem diese Gedanken preisgeben. Bloß damit ihr Vorgesetzter Petković die Bestätigung für seine Annahme bekäme, sie sei zu emotional und sensibel für diesen Job. Irgendwie musste sie sich selbst aus dieser Situation befreien, und das würde sicher nicht durch Herumsitzen passieren.

Stoja, überlegte Ana. Der Stadtteil lag nur wenige Kilometer von ihrer Wohnung entfernt. Wahrscheinlich musste sie nur nach Blaulicht Ausschau halten und würde so den Tatort finden. Mit Sicherheit würde auch Dillan vor Ort sein. Bei dem Gedanken an ihren irischen Partner wurde Ana ein wenig schwer ums Herz. Seit ihrem eigentlich lächerlichen Streit während des letzten Falls hatten sie nicht ein Wort miteinander gesprochen. Nicht einmal eine WhatsApp-Nachricht hatte es von Dillan gegeben, während sie zu Hause war. Allerdings hatte sie selbst auch nichts getan, um etwas an der Funkstille zu ändern.

Dann dachte sie an ihren Vorgesetzten. Marco Petković würde wohl ebenfalls vor Ort sein und wäre garantiert wenig erfreut darüber, einer suspendierten Kriminalkommissarin mitten in der Nacht an einem Tatort zu begegnen. Vielleicht aber war genau das ihre Chance, sich und ihre Einsatzbereitschaft unter Beweis zu stellen. Ana wusste, dass sie nicht länger einfach nur herumsitzen konnte. Sie brauchte dringend Ablenkung. Ein neuer Mordfall kam da gerade richtig.

Sie brauchte keine zehn Minuten, um sich, zumindest äußerlich, einigermaßen herzurichten. Und als sie die verlassenen Straßen Pulas betrat, meldete sich der Teil in ihr, den sie so schmerzlich vermisst hatte: die selbstbewusste Kriminalkommissarin.

2

Kriminalhauptkommissar Marco Petković dehnte seinen Nacken, der daraufhin hörbar knackte, ehe er seinen Thermobecher zum Mund führte. Er nahm einen großen Schluck des doppelten Espressos, den er sich noch vor Abfahrt am Kaffeevollautomaten gezogen hatte. Zwar hatte O’Connor und nicht er Bereitschaft, doch er hatte den Kollegen ausdrücklich angewiesen, ihn im Falle eines Mordes zu kontaktieren. Noch immer fiel es ihm schwer, bestimmte Delikte an weniger geschulte Kollegen abzugeben. Weshalb er vor einer knappen halben Stunde unerfreulicherweise aus dem Schlaf gerissen wurde und nun mit dem Wagen in den Stadtteil Stoja fuhr, der im Südwesten auf einer kleinen Halbinsel lag und an Pula grenzte.

»Großer Gott«, brachte Petković hervor, als er in die Straße des Tatorts einbog. Das zweistöckige Haus war ringsherum von Blaulicht erleuchtet, das von den weißen Fahrzeugen des Erkennungsdienstes ausging. Hinzu kamen ein Streifenwagen der Polizeidienststelle sowie zwei Krankenwagen. Petković parkte sein Auto am Rand der Straße, die an ein Waldgebiet grenzte, nahm einen weiteren Schluck Espresso und stieg schließlich aus dem Wagen aus. Neugierige Nachbarn, von der Unruhe aufgeweckt, hatten sich entlang einer Absperrung versammelt, die von zwei Streifenpolizisten gesichert wurde.

Der Kriminalhauptkommissar zeigte den Beamten seinen Ausweis, ehe er sich Einweghandschuhe überzog und den Tatort betrat. Die weiße Haustür mit dem verchromten Türklopfer in Form eines Löwenkopfes stand sperrangelweit offen. Mehrere Beamte der Spurensicherung befanden sich sowohl im Gebäude als auch außerhalb, maßen ab, fotografierten sämtliche Gegenstände, Unterlagen und Verschlussbehältnisse wie Türen und Fenster, nahmen Proben, liefen rein und wieder raus, um weitere Messwerkzeuge zu holen. Es war ein unglaublicher Menschenauflauf.

Von einem in einen weißen Ganzkörperanzug gehüllten Kollegen der Spurensicherung erfuhr der Kriminalhauptkommissar, dass sich der Tatort im Schlafzimmer der betroffenen Bewohner befand. Als er über die Türschwelle trat, schaute er sich in dem schmalen Flur um, der an drei weitere Zimmer angrenzte und in einer offenen Wohnküche endete. Ein kleiner Schuhschrank aus Eichenholzimitat stand direkt neben der Eingangstür. Darauf platziert eine weiße schmale Vase, in der sich eine einzelne Blume befand, sowie ein kleines Holzkästchen, in dem ein Autoschlüssel lag. Beim Öffnen des Schranks erkannte Petković sowohl Männer- als auch Frauenschuhe: zwei Paar Flip-Flops, mehrere Sneaker von Adidas und ein Paar Korksandalen.

Alles wurde um den Hauptkommissar still, als er nach einem der Sandalen griff und sie musterte. Sowohl die lederfarbene Umrandung der Riemchen, die jeansfarbene Schleife im Bereich der Zehen als auch die Marke Tom Tailor waren ihm bekannt. Seine Frau Karla hatte früher dieselben getragen. Jedes Mal, wenn sie abends zusammen essen gingen, hatte sie das Bedürfnis gehabt, ihre Turnschuhe gegen ein paar hübschere Sandalen zu tauschen. Das hatte ihr das Gefühl gegeben, ihre Rolle als Erzieherin in der Kita abzulegen und endlich sie selbst sein zu können.

»Das können Sie schon mitnehmen, danke«, hörte Petković die vertraute Stimme der Rechtsmedizinerin, die ihn aus seinen Gedanken riss. Er schloss das Schuhregal und ging wenige Schritte weiter zum Schlafzimmer, in dem zahlreiche uniformierte Beamte in Schutzanzügen ihrer Arbeit nachgingen. Einer lief mit einer großen Plastiktüte samt blutigem Inhalt an ihm vorbei. Der Kriminalhauptkommissar schaute dem Mann nachdenklich hinterher.

»Das wurde vermutlich als Schalldämpfer genutzt«, sagte Dr. Pavić, als sie Petkovićs Blick bemerkte.

»Ein Kissen?«, fragte dieser, während er seine Aufmerksamkeit auf die beiden Opfer vor ihm richtete.

Dr. Pavić nickte. »Vermutlich hat er es mit der Waffe am Kopf der Opfer fixiert«, fügte sie hinzu, als sie den fragenden Blick des Hauptkommissars sah.

»Irgendeine Spur von der Tatwaffe?«, hakte Petković konzentriert nach, doch Dr. Pavić schüttelte bloß den Kopf. »Nein, bisher nicht. Anfangs konnten wir auch einen erweiterten Suizid nicht ausschließen. Die Schwester von einem der Opfer wohnt in der Wohnung oben drüber und hat die Schüsse gehört.«

Dillan, der neben Dr. Pavić stand, zeigte seufzend auf eine der Leichen, die in Boxershorts und vom eigenen Blut umrandet auf dem Bett lag. Petković verschränkte die Arme vor der Brust und schaute ernst drein. »Die Frau hatte gewusst, dass ihr Bruder mit seiner Partnerin zu Hause war, und hat Panik bekommen, als keiner von ihnen die Tür aufmachte«, fuhr Dillan fort.

»Hat sie als Schwester keinen Zweitschlüssel?«, wollte Petković wissen.

»Doch. Den Jungs von der Streife sagte sie, dass sie einfach Angst hatte, allein in die Wohnung zu gehen, weil sie ja nicht wusste, wer die Schüsse verursacht hat. Deswegen hat sie auf die Polizei gewartet.«

»Vernünftig«, sagte Petković.

»Als wir ankamen, lagen hier lediglich die beiden Leichen erschossen im Bett.«

»Keine Anzeichen auf Fremdverschulden?«

»Anfangs nicht«, mischte sich Dr. Pavić ein. »Das durchlöcherte Kissen, das der Kollege vorhin mitgenommen hat, haben wir erst später unter dem Bett gefunden.«

Petković nickte. Sein Blick wanderte zurück zu dem jungen ermordeten Paar, das, vermutlich während es noch geschlafen hatte, plötzlich aus dieser Welt gerissen worden war. Der Kriminalhauptkommissar legte den Zeigefinger nachdenklich unter die Nase und betrachtete die Leichen. Die Bettdecke war von der Spurensicherung bereits mitgenommen worden, sodass die beiden jungen Menschen – er schätzte sie auf gerade einmal Anfang bis Mitte zwanzig – mit nichts als ihrem Schlafanzug auf dem rotgefärbten Betttuch lagen. Der Mann auf dem Rücken, seine Arme rechts und links vom Körper ausgestreckt, während die Frau eingerollt auf der Seite lag.

»Sie muss noch geschlafen haben, als sie erschossen wurde. Ob ihr Mann wach gewesen ist, kann ich nicht sagen. Für den genauen Tathergang werden wir eine Blutspurenanalyse machen. Aber so, wie es aussieht, erfolgten die Schüsse recht schnell hintereinander, sodass keiner von beiden wirklich mitbekommen hat, was eigentlich geschah.«

»Richtig grausam«, meldete sich eine weitere Stimme zu Wort. Petković runzelte die Stirn und starrte die Frau mit den kurzen schwarzen Haaren skeptisch an.

»Elena Russo, meine Praktikantin«, stellte Dr. Pavić sie dem Kriminalhauptkommissar vor, der lediglich nickte. »Sie ist Anas Mitbewohnerin.«

»Ist das so, ja?«, sagte Petković monoton. Er verspürte keinerlei Bedürfnis, mehr über diese Person zu erfahren. Eine junge Kollegin reichte ihm, und wenn diese Russo Novaks Mitbewohnerin war, konnte er sich gut vorstellen, dass sie bereits bestens über ihn Bescheid wusste. So wie er Ana einschätzte, war sie niemand, die im privaten Umfeld ihren Mund halten konnte.

»Die Löcher im Kopf sind vermutlich die Todesursache?«, lenkte Petković das Gespräch wieder auf das eigentliche Thema.

»Sehr wahrscheinlich. Ich habe bisher nichts finden können, was auf etwas anderes schließen lassen würde«, antwortete Dr. Pavić.

»Konnten die Kugeln gesichert werden?«

»Ich bin dran. Sobald Sie mich hier meine Arbeit erledigen lassen, schicke ich sie in die Ballistik.«

»Wie ist der Täter hier reingekommen?«

»Vermutlich durch die Balkontür«, meldete sich Dillan zu Wort. »Die Spurensicherung hat Einkerbungen an der Tür gefunden.«

»Was ist mit der Schwester?«

»Die wird draußen von Seelsorgern betreut. Sie wollte nicht zurück in ihre Wohnung. Ihr Onkel aus Rovinj ist auf dem Weg hierher.«

Petković atmete hörbar aus. Er hatte schon viele schreckliche Fälle erlebt, doch ein Doppelmord, bei dem ein junges Paar mitten im Schlaf erschossen wurde, ließ auch ihn nicht kalt.

»Wem gehört das Haus? Erwachsene Geschwister unter einem Dach ist eher untypisch.«

»Ich hatte noch keine Gelegenheit, die Schwester hierzu zu befragen«, entgegnete O’Connor. Petković nickte. Und genau deshalb wollte er bei solch wichtigen Fällen informiert werden. Wenn die Arbeit ordentlich und zügig erledigt werden sollte, musste man als erfahrener Kommissar selbst ran.

»Na schön. Dann schau ich mir jetzt mal die Wohnung und den Bereich vor dem Balkon an. O’Connor, Sie kommen mit mir. Dr. Pavić«, wandte er sich an die Rechtsmedizinerin, die soeben den Kopf der toten Frau anhob, um mit einer Pinzette die darunterliegende Kugel sicherzustellen, »ich erwarte eine minutiöse Dokumentation.«

3

Wie Ana vermutet hatte, war das Blaulicht schon aus der Ferne am wolkenverhangenen Nachthimmel zu sehen und zeigte ihr so den Weg zum Tatort. Um weniger Aufsehen zu erregen, hatte sie ihren roten Renault Twingo zwei Straßen entfernt abgestellt und lief nun den Bürgersteig am Waldrand entlang. Schon von Weitem sah sie das blau-weiße Absperrband sowie Polizisten und Spurensicherung. Die Unruhe, die den kleinen Ort erfüllte, hatte mittlerweile auch umliegende Bewohner aufgeschreckt, von denen einige teils nur mit Morgenmantel bekleidet und in Adiletten vor dem Absperrband standen und sich das Geschehen live anschauten.

Ana verschränkte die Arme vor der Brust. Unbehagen überkam sie, als sie all diese Menschen sensationslustig ihre Handys herausholen und unerlaubt Bilder und Videos machen sah. Nur wenige Anwesende wirkten ernsthaft bestürzt über das, was sich hier zugetragen haben musste. Für einen kurzen Moment fühlte sie sich selbst schuldig, Ellie aus reiner Neugier gefolgt zu sein. Zumal sie sich auch überlegen musste, wie sie sich als suspendierte Kommissarin Zugang zu einem Tatort verschaffen sollte, der von Polizisten umstellt war.

Ein weißer VW T4 fuhr plötzlich mit überhöhter Geschwindigkeit an ihr vorbei und holte sie aus ihren Überlegungen. Ana hob die Augenbrauen und stutzte, als sie sah, wie ein kleines Kamerateam sowie zwei Journalisten ausstiegen und sich positionierten. »24 sata« stand auf dem Wagen. Die kroatische Boulevardpresse, die auflagenstärkste und meistgelesene Zeitung des Landes.

»Ja, hier ist gut. Haltet die Kamera drauf«, hörte Ana einen der Journalisten sagen.

Unwillkürlich schüttelte sie den Kopf. »Unglaublich«, murmelte sie. Einige der Gaffer brachten es tatsächlich fertig, ihr Gesicht grinsend in die Kamera zu strecken. Ana traute ihnen sogar zu, vor der Presse falsche Aussagen zu machen, bloß um einmal in ihrem Leben im Rampenlicht zu stehen. Dank dieser Ablenkung musste sich Ana jedenfalls keine Sorgen mehr darum machen, wie sie unbemerkt hinter das Absperrband kam. Die beiden Streifenpolizisten, die für das Abriegeln des Tatorts zuständig waren, hatten nun alle Hände voll zu tun. Während einer der beiden versuchte, Medienvertreter und Schaulustige zum Gehen zu bewegen, forderte der zweite offensichtlich Verstärkung an. Eilig und möglichst weit abseits des Trubels huschte Ana unter dem Absperrband hindurch.