Stop Cheap Speak - Gabriele Zienterra - E-Book

Stop Cheap Speak E-Book

Gabriele Zienterra

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Beschreibung

Cheap Speak, das kennt jeder: wenn uns Bekannte lautstark von ihren zweifelhaften Meinungen überzeugen wollen oder der Kollege sich mit großen Worten mal wieder aufplustert wie ein Pfau. Die große Show, aber nix dahinter – Hauptsache, man gewinnt Aufmerksamkeit! Kommunikationstrainerin Gabriele Zienterra zeigt uns, wo die Ursachen von Cheap Speak liegen und wie wir verhindern, dass Gespräche zu Einbahnstraßen werden – und wieder zu einer wertvollen Kommunikation finden.

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 256

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Gabriele Zienterra

Stop Cheap Speak

Wie wir wertvoller kommunizieren

Knaur e-books

Über dieses Buch

Mal ehrlich, wie viele Dampfplauderer kennen Sie? Wie versuchen uns Menschen von fehlerhaften Meinungen und Entscheidungen zu überzeugen, indem sie sich aufplustern wie ein Pfau? Wie oft wird Ihnen in der Werbung erzählt, wie toll und einzigartig ein Produkt ist? Cheap Speak nennt dies Kommunikationstrainerin Gabriele Zienterra, und hat diesem Phänomen den Kampf angesagt. Anderen die eigene Meinung aufzudrücken, ist das eine, aber wertvolle Kommunikation schließt niemanden aus und verlangt Offenheit gegenüber dem anderen. Wenn unsere Gespräche keine Einbahnstraße sein sollen, müssen wir Cheap Speak überwinden – Gabriele Zienterra erklärt uns, wie, und lässt den Dampfplauderern die Luft raus!

Inhaltsübersicht

VorwortKapitel 1Reden ohne GrenzenDie originellste Begrüßung meines LebensDatenpaket, fang!Weg vom FensterZusammen ist man weniger allein?Kapitel 2Fettnäpfe zur PrimetimeErstens: Cheap Speak fällt auf den Cheapspeaker zurückZweitens: Prominente beeinflussen mit Cheap Speak die gesamte ÖffentlichkeitRhetorik für alleSplittergruppenfelderZwischen den Zeilen lesenDschungel des WortwechselsKapitel 3Gespräch mit KatjaGespräch mit JuliaVerstehen verstehenNichtverstehen verstehenUnerhörte SelbstgesprächeMach mal Pause!Wer ist der Entscheider?Kapitel 4Hat noch einer Fragen?StangenwareEins und eins gibt dreiElementsprungMultiple ChoiceIm Paradies der Fliegenden FischeKapitel 5Das Glück am KlavierMein Ego, ich und die anderenPlatz da! Hier komm ich!AusgebremstUnd täglich grüßt die RabenmutterGemeinsame SacheKapitel 6Australien, Troja und der ZwischenkieferknochenVon Prozessverwaltern, Besserwissern und AugenverschließernGorillas in unserer MitteWeit mehr als vier OhrenAugen auf im SprachverkehrDie Welt gehört den EntdeckernKapitel 7Im Schwall der WorteVorsicht, Energieräuber!Zauber des AnfangsDen anderen stets im BlickVon Nachzüglern, Kaffeetrinkern und wütenden ChefsKeine Witze, große WirkungKeine Angst vor großen TreternKapitel 8Der Kontext, das unbekannte WesenSeien Sie kreativ – aber bitte sofort!Raum, sich zu äußernWie beginnen?Bleiben Sie flexibel!Guten Tag, wie tickst du?Kapitel 9Warum auch Indianer weinen dürfenDie Tränen der MinisterinHerr der GefühleTypisch Mann?Die unterschätzte GrößeWas fühle ich?Fühler ausfahrenWie Gefühle in die Tüte kommenKapitel 10Schätze hebenAuf die Treppe, fertig, los!Gemeinsam aufwärtsSkandal mit Aha-EffektFisch sucht Freund – und findet ihnZu Besuch in der Welt von SteveDanke
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Vorwort

Keine Zauberei

Dieses Buch ist die lange Antwort auf eine Frage, die mir einfach keine Ruhe ließ: Woran liegt es, dass viele Gespräche mich immer enttäuscht und unzufrieden zurücklassen?

Die Frage ist so einfach, dachte ich, dass sie eine einfache Antwort nahelegt. Doch alle einfachen, oberflächlichen Antworten, die ich im Laufe der Zeit versuchte zu geben, reichten mir nicht aus.

Als ich an einem Wochenende mal wieder mit meinem Mann ein befreundetes Ehepaar besuchte, mit dem wir schon viele wundervolle Abende mit langen und intensiven Gesprächen verbracht hatten, lehnte ich mich innerlich einen Moment zurück. Ich versuchte wahrzunehmen, was die Abende mit ihnen so besonders machte.

 

Sie sind entspannt und haben Zeit. Sie hören ruhig hin, wenn wir erzählen. Sie fragen nach, bleiben dadurch länger beim Thema und interessieren sich genau für das, was uns wichtig ist. Sie geben uns Raum und lassen Dinge, die sie vielleicht nicht sofort nachvollziehen können, stehen. Sie sind aufmerksam, fokussiert und sensibel. Sie achten nicht nur auf die Worte, sondern auch darauf, wie wir etwas sagen. Sie gewähren einen Blick in ihre Welt und freuen sich, wenn sie unsere kennenlernen dürfen. Sie sind neugierig, aber respektvoll. Schenken Aufmerksamkeit und sind dankbar für die Aufmerksamkeit, die ihnen zuteilwird. Sie sind ganz bewusst bei uns, versuchen uns zu verstehen. Weil jeder Mensch einzigartig ist. Und das spüren wir.

 

Es ist also keine Zauberei. So wie unsere Freunde mit uns kommunizieren, wirkt es wie selbstverständlich. So leicht, so einfach. Und doch ist es uns so wertvoll. Weil wir wissen, dass diese Art zu kommunizieren seltener wird. Es gibt viele Momente, die sie gefährden; aber es gibt genauso viele Chancen, die jeder ergreifen kann, um die Kunst des Gesprächs wieder aufleben zu lassen. Sowohl in der privaten als auch in der öffentlichen Sphäre.

Mir wäre es eine Freude, wenn Sie, liebe Leserin, lieber Leser, bei der Lektüre dieses Buches Ihren Blick weiten, wohlwollend über sich und andere nachdenken sowie die Kostbarkeit neu entdecken, die wertvolle Kommunikation uns schenkt: in dieser Welt verstehen und verstanden werden.

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Kapitel 1

3751 Facebook- Freunde und trotzdem mutterseelenallein

»Hi, Marc, freue mich, dass Du gut in Boston gelandet bist und das mit der Wohnung geklappt hat«, schreibt Thomas, in seinem Zimmer in Frankfurt, über den Instant-Messaging-Dienst Skype. »Wann geht es bei Dir –« Ping! Eine SMS trudelt ein, Thomas greift zu seinem Smartphone und liest: »Hey, Thomas, heute Abend mit Basti und Kai ins Balthasar? Gruß, Jörg«. Thomas unterbricht seinen Skype-Chat und tippt schnell via SMS: »Sorry, klappt doch nicht. Muss noch arbeiten! T.« Thomas tippt im Chat weiter: »… mit der Uni los? Schon nächste Woche?« Ein paar Sekunden später blinkt Marcs Antwort auf: »Nee, erst übernächste Woche, also noch Zeit zum Chillen, Stadtchecken!« – »Okay, dann wünsche ich Dir viel Spaß!«, antwortet Thomas. Ring, Ring! Thomas’ Smartphone klingelt: »Hi, Thomas, Jörg hier. Mann, Deine Uni-Arbeit kannst Du doch noch morgen machen! Los, Balthasar ist doch super!« Thomas: »Nee, geht wirklich nicht, ich habe schon drei Wochen verdaddelt, habe keinen Bock, den Schein nächstes Semester nachzuholen.« – »Wer redet denn von nachholen?«, meint Jörg. »Nur einen Abend …« Blink! Thomas schaut auf den Computer-Bildschirm und liest Marcs Antwort: »Gehe morgen oder übermorgen noch zum MIT, Du weißt, Informatik-Sven macht da ein Praktikum, in der Forschungsabteilung, cool, dass wir beide gleichzeitig hier sind …« – »Nein, echt, Jörg«, spricht Thomas weiter, »heute geht es wirklich nicht, vielleicht nächste Woche, okay, ich habe gerade keine Zeit, Chat mit Marc, du weißt, okay?!« – »Na gut«, sagt Jörg, »dann bis die Tage!« – »Ciao!«, sagt Thomas. Tock! Eine E-Mail-Nachricht ploppt auf: »Hallo, Thomas, ganz kurzfristig, ich weiß, du bist noch vorm Rechner, außerdem ist bei dir wieder mal besetzt: Komm doch heute Abend zu Sabine! Lina, Maren und Ingo kommen auch! Bier ist genügend da! Hoffentlich bis nachher, Stefan«.

 

Tja, ein gefragter Mann, dieser Thomas. Innerhalb von vielleicht nicht einmal drei Minuten kräht nicht nur ein Hahn nach ihm, sondern gleich sechs. Plus drei Hühner. Nun gut, mehr oder weniger direkt. Aber immerhin: Der Mann muss beliebt sein. Oder wichtig. Oder beides.

 

Das war er auch! Vor über einem Monat, als sich diese Szene abspielte. Leider ist Thomas mittlerweile tot. Und zwar schon seit drei Wochen. Aber keiner seiner ungezählten Freunde, Bekannten und Kumpels hat das bemerkt. Aufmerksam darauf geworden ist Thomas’ Nachbarin, mit der er zwar keinen Kontakt hatte, die sich aber wunderte, warum seit so langer Zeit die Rollos unten sind.

Okay, ich geb’s zu, diesen Thomas gibt es nicht wirklich. Es gibt ihn nur auf Papier – auf diesem dünnen, bunten, satiredurchtränkten Zeitschriftenpapier der »Titanic«. Ja, das Ganze ist ein Witz, der in der »Liste trauriger Dinge«, dieser Rubrik mit frei erfundenen Skurrilitäten, erschienen ist und der mir, auch Jahre nach der Lektüre, im Gedächtnis geblieben ist. Nicht nur weil die Geschichte zum Schreien komisch ist, sondern auch weil dieser Witz für mich das sprichwörtliche Körnchen Wahrheit enthält. Er bringt haarscharf auf den Punkt, wo wir heute mit unserer Kommunikation gelandet sind:

Auf der Arbeit verbringen wir Stunden mit Telefonkonferenzen und der Bearbeitung von E-Mails – wissen aber nicht wirklich, mit wem wir es dabei zu tun haben.

Via Facebook erhalten wir zig Geburtstagsgrüße – finden aber in der realen Welt niemanden, der mit uns feiert. Oder mit dem wir feiern wollen.

Über Skype und soziale Netzwerke teilen wir der ganzen Welt mit, was wir gerade essen und welchen Film wir gerade sehen – sparen aber das Wesentliche, was uns zu Herzen geht, aus.

Um es knapp auszudrücken: Wir sind ständig in Kontakt, fühlen uns aber mutterseelenallein. Ich frage mich nur: Warum ist das bloß so? Liegt es daran, dass wir den ganzen Tag vor dem Bildschirm hocken, auf dem Touchpad rumtippen und zu viel Zeit in Videokonferenzen verbringen? Sind also die modernen Kommunikationsmittel schuld an unserer Einsamkeit?

Nein, aber die neuen Kommunikationsmittel beeinflussen unsere Art zu kommunizieren. Spannen wir den Rahmen also etwas weiter: Wie hat sich unsere Kommunikation denn in den letzten Jahren gewandelt?

Reden ohne Grenzen

Spätestens seit der Internettelefonie und der Chat-Funktion ist Quatschen zum Flatrate-Tarif zum Massenphänomen geworden. Skype, Viber, WhatsApp, Facebook, iChat, Messenger, XING und ihre unzähligen Konkurrenten haben das Sprechen, Teilen von Nachrichten und Inhalten nicht nur erschwinglich, sondern sogar zu einem Teil des Lebens gemacht, der nicht mehr wegzudenken ist.

Von Kindesbeinen an wurden wir dazu angehalten, uns am Telefon ja kurz zu fassen. Den Schock beim Öffnen der Telefonrechnung wollten die Eltern verständlicherweise vermeiden. Heute sind Telefonkosten praktisch kein Thema mehr. Flatrates haben schon längst die einzeln abgerechneten Einzelverbindungen auf dem Festnetz abgelöst und dehnen sich mit rasender Geschwindigkeit auch auf den Mobil-Bereich aus. Im Internet ist das Telefonieren sogar »kostenlos«, also nur von der monatlichen Pauschale für den Internetzugang abhängig. Wobei: Festnetztelefon, Handy und mobiles Internet gibt es inzwischen zum Paketpreis. All-inclusive ist die Devise, die dazu führt, dass wir uns beim Reden, Schreiben und Nachrichtenverschicken nicht mehr zurückhalten müssen. Nein, um uns auszutauschen, haben wir allein aus finanzieller Sicht alle Zeit der Welt.

Und dann ist es noch so unkompliziert geworden. Smartphones und Telefon- oder Chat-Apps sind derart bedienerfreundlich, dass jeder, der den Überblick über drei, vier Knöpfe bewahren kann, sofort mit Freunden oder Geschäftspartnern am anderen Ende der Welt verbunden ist. Höchstens fehlt dann der Überblick darüber, über welchen Kanal die eine oder andere Information hereinkam. Hatte die Dani die Homepage ihres Steuerberaters denn per WhatsApp oder Facebook geschickt? Oder als Skype-Nachricht? Oder sogar per Mail? Aber diese kurze Verwirrung machen die Vorteile, die diese Medien bieten, schnell wieder wett.

Besonders praktisch: Der Gesprächspartner muss gar nicht anwesend sein oder Zeit für ein Gespräch haben – Sie können trotzdem mit ihm einen »Talk« anfangen und Ihre Botschaft loswerden. Während Sie bei einem Festnetztelefon darauf angewiesen sind, dass der andere a) in der Nähe des Telefons ist und b) Zeit zum Telefonieren hat, um mit ihm zu reden, ist das bei den modernen, mobilen Medien nicht mehr der Fall. Sicher, bei der Festnetztelefonie sind Sie auch nicht hundertprozentig auf die räumliche und zeitliche Anwesenheit des Gesprächspartners angewiesen; es gibt schließlich noch den Anrufbeantworter. Aber im Vergleich dazu ist die SMS oder die Kurznachricht in einem Chat viel schneller beim Empfänger. Egal, wo er sich befindet: Solange er Strom oder Internet auf seinem Smartphone hat, erreicht ihn die Nachricht in Sekundenschnelle. Außerdem zeigen Chat-Programme wie Skype oder Messenger nicht nur an, dass die Nachricht gesendet, sondern auch wann sie angekommen ist. Auf die Minute genau. Der Geschwindigkeitsvorsprung bei der Übermittlung der Nachrichten ist im Vergleich zum klassischen, fest installierten Anrufbeantworter gewaltig.

Mit anderen Worten: Sie müssen nicht mehr ständig hinterher sein, weil der Angerufene nicht zu erreichen ist, weil Sie nicht wissen, ob er Ihre Mail erhalten hat, und so fort. Sie müssen nicht einmal sicherstellen, dass der andere gerade ein offenes Ohr für Ihr Anliegen hat. Nein, in dem Moment, in dem Ihnen eine Frage unter den Nägeln brennt, schicken Sie eine Nachricht und sind schon mal eine Sorge los. Dann können Sie sich zurücklehnen, weil der kommunikative Auftakt bereits abgeschlossen ist. Ob der, den Sie erreichen wollen, gerade noch unter der Dusche steht, im Bett liegt oder im Verkehr steckt, ist egal. Sein Postfach wird ihn, kaum dass er sich einloggt, sein Handy aktiviert, sofort darüber unterrichten. Nun ist er am Zug. Und Ihr Leben um mindestens einen Erinnerungszettel leichter.

Ob Sie also nach Australien, Indien, in die nächste Stadt oder den Nachbarn von nebenan anrufen: Alles kostet das Gleiche und ist vom Mobilgerät aus, das Sie stets dabeihaben, mit nur einem Klick möglich. Wer also Internetzugang hat, erreicht die ganze Welt. Die zeitlichen und räumlichen Grenzen sind durch die neuen Kommunikationsmedien aufgehoben. Und wir erleben eine ganz neue Form von Freiheit und Unabhängigkeit. Textdokumente, Bilder, Audios oder Videos lassen sich in null Komma nichts in die ganze Welt verschicken; auch an mehrere Personen gleichzeitig.

Dies ermöglicht blitzschnelle Entscheidungen, macht die Zusammenarbeit mehrerer Menschen, die in verschiedensten Ecken der Welt wohnen, in Echtzeit überhaupt erst möglich und teure Ortswechsel oder zeitraubende Postsendungen überflüssig.

Keine Frage, die Vorteile mobiler Kommunikationsmittel liegen auf der Hand. Aber das ist noch nicht die ganze Geschichte.

Die originellste Begrüßung meines Lebens

Hm, draußen ist es sogar wärmer als drinnen!, denke ich an diesem Frühlingstag, als ich die Fenster zum Park öffne, um frische Luft reinzulassen für das Training, das in einer Viertelstunde beginnen wird. Die Sonne strahlt am blauen Himmel, und für einige Sekunden lasse ich sie mein Gesicht wärmen. Bis plötzlich die Tür aufgeht und ein junger Mann mit klackenden Schuhen und zielstrebigem Gang hereinkommt. Der erste Seminarteilnehmer.

Ich gehe auf ihn zu und reiche ihm die Hand: »Guten Tag, schön, dass Sie da sind!«

Er nimmt meine Hand und entgegnet: »Haben Sie WLAN?«

Zwar bin ich verdattert, sage aber amüsiert: »Ach, interessant! So bin ich noch nie begrüßt worden.«

Er sagt darauf gar nichts, und ich erkläre, dass ich mal eben nachschauen müsse, ob unsere WLAN-Box intakt ist. Im Büro angelangt, stelle ich fest, dass das WLAN gerade ausgestellt ist.

Nun bin ich eine Frau und keine Angehörige der Generation Y, aber technisch nicht so hinterm Mond, als dass ich nicht wüsste, wie man einen Schalter von »Off« auf »On« umknipst. Dies unterlasse ich jedoch, kehre in den Seminarraum zurück und sage meinem Seminargast wahrheitsgemäß, dass unser WLAN gerade außer Betrieb ist. Meinen inneren Clown habe ich dabei auf »On« gestellt.

Das war keine Rache, sondern lediglich meine Art, für ein gelungenes Training zu sorgen. Meine Aufgabe als Leiterin ist schließlich nicht nur, ein überzeugendes Training hinzulegen. Sie besteht auch darin, für die Aufnahmefähigkeit und gute Verfassung der Teilnehmer zu sorgen. Und dazu gehört nicht zuletzt, ausreichend Pausen einzurichten, Getränke und Häppchen zur Verfügung zu stellen und für beste Aufmerksamkeit meiner Teilnehmer zu sorgen. Und WLAN ermöglicht vieles, wenn es läuft. Aber niemals eine uneingeschränkte Konzentration auf das, was im Moment offline stattfindet.

Sie ahnen schon, worauf ich hinauswill: Bei aller Freude über die Möglichkeiten, die die mobilen Kommunikationsmittel bieten, bin ich auch fest davon überzeugt, dass sie nicht nur Vorteile haben.

 

Nachteil Nummer eins: Unsere Aufmerksamkeit ist in Gefahr.

Nun war uneingeschränkte Konzentration auf eine Sache, sei sie nun online oder offline, für uns Menschen noch nie leicht.

Mit unterschiedlichen Aufmerksamkeits- oder Meditationstechniken hat man versucht, unserem Affengeist – wie in der Zen-Tradition unser Geist genannt wird, der wie ein Affe von einem Ast zum anderen springt – beizukommen, um ihn so zu erziehen, dass er sich nicht ständig ablenken lässt, sondern bei einer Sache bleibt.

 

Heute gelingt die Konzentration auf eine Sache immer weniger. Warum würden wir sonst an allen Ecken über Stress, Burnout und Fremdbestimmung klagen? Beim Fernsehschauen, das ohnehin unsere Aufmerksamkeit gänzlich absorbiert, wird alles immer schneller geschnitten, immer mehr Infos in immer kürzerer Zeit gesendet; außerdem wachsen klassische Medieninhalte aus TV, Radio und Print im Internet zusammen und multiplizieren sich. Und die Tablets, Smartphones oder tragbaren kleinen Laptops tun nichts anderes, als die Tendenz zur Zerstreuung auch noch unterwegs zu fördern – zumal sie nicht nur dazu einladen, zwischen on- und offline zu switchen, sondern allein im Online-Modus gleich mehrere Kanäle bereithalten. Also: Die Zerstreuung ist zur Gewohnheit geworden und die Nutzung der mobilen Kommunikationsgeräte zur Sucht. Forscher der Universität Bonn haben bereits die »Menthal-App« entwickelt, die sich jeder Smartphone-Nutzer herunterladen kann und die über das registrierte Nutzungsverhalten die Diagnose stellt: süchtig oder nicht süchtig.

 

Eine neue Angst hat sich ebenfalls breitgemacht: die Nomophobie. Das Kunstwort ist eine Abkürzung für »No-Mobile-Phone-Phobia«, zu Deutsch: »Kein-Mobiltelefon-Angst«. Und damit ist schlicht die Panik gemeint, die den Handy- oder Smartphone-User befällt, wenn der Ladezustand seines Akkus zur Neige geht – und ihm damit droht, nicht mehr erreichbar zu sein. Nach einer Studie sind allein in Großbritannien über 60 Prozent der Mobil-Nutzer davon heimgesucht.

Doch auch ohne ausgewachsene Nomophobie: Denken Sie nur an den Handy- oder Smartphone-Check-Reflex. Was tun Sie, wenn Sie aus einem Meeting, einer Konferenz oder einem Seminar rausgehen? Verwickeln Sie Ihren Sitznachbarn in ein spannendes Gespräch? Oder gucken Sie erst aufs Handy? Mein rein persönlicher Erfahrungswert: 90 Prozent der Teilnehmer meiner Trainings schauen zuallererst auf ihr Handy.

Sicher haben auch Sie diesen leeren, nervösen Blick bei Menschen erlebt, bei denen das Netz abstürzt und die unerwartet ein paar Offline-Minuten verbringen müssen. In ihren Augen findet man Angst. Angst vor dem kalten Entzug. Und bestimmt kennen Sie das Leuchten in den Augen eines Online-Süchtigen, sobald ein Ping! oder Tock! auf seinem Smartphone eine Nachricht ankündigt. Bei diesen Menschen hat sich das Descartessche »Ich denke, also bin ich« zu einem »Ich erhalte Online-Nachrichten, also bin ich« gewandelt. Die elektronischen Daten, die bei ihm auf dem Display anbimmeln, sind für den Süchtigen sein Stoff, sein Lebenselixier. Er destilliert daraus Bedeutung, Interesse, Wertschätzung. Nach der einfachen Rechnung: Wenn ich kontaktiert werde, bin ich bedeutsam, interessant, geschätzt.

Nach einer Studie aus dem Jahre 2011, die vom Bundesgesundheitsministerium in Auftrag gegeben wurde, müssen 560000 Menschen in Deutschland als internetsüchtig eingeschätzt werden. Zum Vergleich mit anderen Süchten: Das Institut für Therapieforschung stellte im selben Jahr ca. 125000 Drogenabhängige, 1400000 Medikamentenabhängige, 1500000 Alkoholabhängige und 7800000 Tabakabhängige in Deutschland fest.

Ja, der Sogwirkung des Internets kann nicht jeder gleich gut widerstehen. Und um ehrlich zu sein, ich habe auch erst langsam gelernt, dem Bimmel-Gerät in meiner Tasche nicht in jeder Zeitlücke Priorität Nummer eins zu geben.

Für Jugendliche ist nach einer Bitkom-Studie die Priorität klar: Für sie sind WhatsApp & Co. wichtiger als Gespräche. Bei jungen, internetaffinen Leuten gibt keinen Offline-Modus mehr. Vor kurzem saß ich beispielsweise mit einem Freund, den ich lange nicht gesehen hatte, bei einer Feier zusammen. Wir wussten beide, dass wir uns dort treffen würden und hatten uns in Vorfreude auf unser Wiedersehen fest verabredet. Als ich ihm schließlich gegenübersaß, klingelte bereits nach den ersten Minuten sein Handy.

Er: »Sorry, ist dringend, muss mal kurz ran!«

Verzeihlich, dachte ich und lächelte. Wir sind heute, gerade beruflich, zeitsprengend vernetzt, also duldete ich ruhig diese Unterbrechung. Das Telefonat dauerte auch nicht lange; nach drei, vier Minuten war er wieder ganz Ohr. Bis das Handy schon wieder klingelte. Schon nach zwei Minuten.

Ach, er hat vergessen, es auszustellen, dachte ich, noch versöhnlich gestimmt. Nicht schlimm, er muss ja nicht abnehmen. Aber nein: Er geht wieder ran. Und dieses Mal sitze ich wie ein Kassenpatient im Wartezimmer eine gefühlte Ewigkeit dumm da, während er telefoniert, und merke nur, wie ich allmählich ärgerlich werde.

Irgendwann endet das Gespräch, und er wendet sich mir wie selbstverständlich wieder zu. Ohne eine weitere Entschuldigung. So, als sei nichts gewesen.

Doch bevor ich ihn zu Wort kommen lasse, sage ich: »Mensch, es wäre doch sehr schön, wenn wir die wenigen Augenblicke, für die wir uns hier verabredet haben, ungestört verbringen könnten!«

»Das war aus Singapur, ich musste ran!«, erklärte er selbstgerecht.

Ich: »Ja, aber doch nicht am Samstagabend …«

»Wann ich meine Anrufe annehme, ist meine Sache!«, giftete er zurück.

Tja, dazu gab es nicht viel zu sagen. Weil es mir ja nicht darum ging, ihm vorzuschreiben, wann er Anrufe entgegenzunehmen hat und wann nicht, sondern darum, einen gewissen Respekt walten zu lassen. Sich mir zuzuwenden, mir das Gefühl zu geben, wenn auch nur für eine beschränkte Zeit, sich ganz auf mich einzustellen. Und genau diese uneingeschränkte Zuwendung wird durch die Abhängigkeit von mobilen Kommunikationsgeräten gnadenlos gekappt.

Der zweite Nachteil der modernen Kommunikationsmedien ist also: Die Versuchung, uns unterbrechen zu lassen, ist deutlich gestiegen. Und offenbar sind wir keine Meister im Widerstehen. Mit traurigen Folgen.

Abgesehen von der Respektlosigkeit, die man damit seinem Gegenüber zuteilwerden lässt, machen dauernde Unterbrechungen in Gesprächen echte Aufmerksamkeit und damit interessante Gespräche unmöglich. Dass Multitasking nicht funktioniert, ist spätestens seit Hanna Schotts Buch »Monotasking« in der Gesellschaft angekommen. Der Versuch, Tätigkeiten aus Gründen der Effektivität und der Zeitersparnis zu parallelisieren, führt erwiesenermaßen selten dazu, dass wir diese schneller abschließen. Aber immer zu einer übermäßigen Anstrengung bis hin zur Erschöpfung. Denn sich auf zwei Dinge gleichzeitig konzentrieren, das schafft das menschliche Gehirn nicht. Auch nicht das weibliche. Wenn wir versuchen, zwei oder mehrere Dinge parallel zu erledigen, dann macht unser Gehirn nichts anderes, als wahnsinnig schnell zwischen den verschiedenen Tätigkeiten zu springen. Was natürlich große Mengen an Energie verbraucht.

Während wir dies grundsätzlich verstanden haben, und uns zum Beispiel im Business darum bemühen, Aufgaben sequenziell zu erledigen, tun wir bei der Kommunikation wiederum genau das Gegenteil. Das Springen zwischen der Online- und der Offline-Welt halten wir offenbar für weniger problematisch, obwohl es genau auf den gleichen Stress im Gehirn hinausläuft wie das Multitasking.

Menschen, die je ein Bein in der Online- und ein Bein in der Offline-Welt haben, nenne ich »Hier-und-da-Typen«. Das sind Menschen, die ihre Anwesenheit lauthals ankündigen, kaum haben sie den Radius des aktuellen Kommunikationskreises tangiert, um – nachdem sie kurz nach Luft geschnappt haben – mit einer beiläufigen Entschuldigung nachzubessern: »Du, sorry, ich muss mal eben eine SMS beantworten.«

Das Interessante an den »Hier-und-da-Typen« ist: Sie sind da und auch wieder nicht. Sie rücken an, um sich einer Unterhaltung zu widmen, sind dazu aber gar nicht imstande. Wer sich nämlich widmet, wendet sich einer Sache, einem Menschen, einem Gespräch mit seiner ganzen Aufmerksamkeit zu: emotional, kognitiv und mit allen Sinnen. Das Wort »widmen« beinhaltet diese Ausschließlichkeit. Doch diese Fähigkeit scheint, wenn ich mich umschaue, vom Aussterben bedroht. Wie, frage ich mich, kann sich jemand auf einen Dialog ernsthaft einlassen, wenn er, während sein Gegenüber etwas sagt, mit dem einen Auge auf die E-Mail-Anzeige, mit dem anderen auf den SMS-Eingang und mit dem dritten Auge, so man es denn ausgebildet hat, auf den stillgestellten Anrufeingang schielt? Um außerdem mit dem linken und rechten Ohr via unterschiedlicher Bim-, Tock- oder Piep-Geräusche auch noch zu identifizieren, welcher Typ von Nachricht da gerade parallel hereingeschneit kommt?

Meiner Ansicht nach kann das nicht funktionieren. So jemand ist anwesend, aber nicht aufmerksam. Er ist also da, aber nicht wirklich da. Deshalb ist ein Gespräch mit ihm nichts Halbes und nichts Ganzes.

Was jedoch noch viel schwerer wiegt als der Stress, den sich der Multitasker selbst macht, ist die Botschaft, die er dabei unmerklich verschickt: »Du, lieber Gesprächspartner, bist mir meine volle Zuwendung nicht wert!« Jeder Zeitreisende, der sich plötzlich, aus der guten alten Offline-Welt kommend, einem solchen Zeitungeist gegenübersähe, fühlte sich völlig zu Recht vor den Kopf gestoßen. Auch wenn natürlich die unverwässerte Offline-Welt nicht ausschließlich von Respekt- und Höflichkeitsakten allererster Güte gesegnet war. Aber ein solches Verhalten, das heute schon in Business-Kreisen beinahe zum guten Ton gehört, wäre schlicht und einfach als Beleidigung aufgefasst worden.

Mir ist allerdings schon klar, dass ich mit dieser – manche würden sagen – »Empfindlichkeit« nicht mit dem Strom schwimme. Aber mein Anliegen, das ich nur zu gut von meiner persönlichen Empfindlichkeit trennen kann, ist es wert, diese Mühe auf sich zu nehmen. Denn wenn wir alle in dieser Angelegenheit mit dem Strom schwimmen, geht es mit einer ganzen Kultur der Kommunikation und des Umgangs den Bach runter.

Datenpaket, fang!

Die Hier-und-jetzt-Kommunikation lässt an einer Sache keinen Zweifel aufkommen: Wir sagen etwas, fragen etwas, diskutieren etwas, schicken also, technisch gesprochen, ein Datenpaket mit einem Frage- oder Thesen- oder Entgegnungs-Inhalt zu unserem Gegenüber. Aber keiner käme auf die Idee, das Gegenüber sei nur ein Anhängsel der Kommunikation. Nein, in der Hier-und-jetzt-Kommunikation verschmelzen Kommunikationsteilnehmer und Kommunikationsbotschaft zu einer Kommunikationseinheit. Wir reagieren auf die kommunizierten Inhalte – und auf den Menschen, der mit uns kommuniziert.

Etwas anders sieht es hingegen bei der Kommunikation über technische Medien aus. Bei Telefon- oder Handy-Anruf sitzt uns der Mensch nicht mehr gegenüber, aber wir hören immer noch seine Stimme; bei SMS- oder internetbasierten Nachrichten bleibt nur noch der Text, den wir schicken oder der uns geschickt wird.

Dieser Umstand verleitet zu der irrtümlichen Annahme, der andere sei irgendwie gar nicht da, die Nachricht allein stünde im Vordergrund. Diese Sachlichkeit, die wir der Kommunikation über technische Kanäle reflexhaft, also nicht reflektiert andichten, verleitet uns dazu, so zu schreiben, als hätten wir hier eine Kommunikationsform, die ohne den Beziehungsaspekt auskäme.

Die Vernachlässigung der persönlichen Ebene zeigt sich zum einen darin, dass tatsächlich die Nachricht in den Vordergrund gerückt wird, indem man auf Anreden oder Schlussformeln ganz verzichtet – und E-Mails oder SMS quasi protokollartig lediglich »zur Kenntnisnahme« verschickt. Zum anderen nimmt die Verknappung immer mehr zu: E-Mails, ursprünglich das elektronische Pendant des postalischen Briefes und damit eher eine Langform der schriftlichen Mitteilung, klingen immer mehr wie SMS, werden also immer kürzer und verknappter; und SMS, die durch die Zeichenbeschränkung bestenfalls zu einer knappen, aber präzisen Diktion anhalten könnten, verkommen zusehends zu Sprachrudimenten, wie sie mittlerweile im Chat gang und gäbe sind. Konkret begegnen wir da Sprachfetzen, archaischen Ausrufen und Kürzeln, die eher einer Verstümmelung gleichkommen. Wer sich vielleicht neben einer normalen Anrede, so sie überhaupt gewährt wird, durch »rofl« (rolling on the floor laughing), »lminr« (Lass mich in Ruhe) oder »hegl« (Herzlichen Glückwunsch!) und vieles andere mehr dieser Bauart lavieren muss, kommt sich über kurz oder lang eher wie eine Dechiffriermaschine denn als Mensch vor.

Aber wir sind keine reinen Sender oder Empfänger im informationstheoretischen Sinne, die lediglich Nachrichten senden oder empfangen, codieren oder decodieren. Nein, wir Menschen sind darüber hinaus mit einem Sensorium ausgestattet, mit dem wir auf die Tilgung der persönlichen Ansprache reagieren. So kann uns zwar eine nüchterne Nachricht informativ, also im sachlichen Sinne, dienlich sein. Auf der persönlichen Ebene bleiben wir aber unterversorgt.

Selbstverständlich wird niemand bei Geschäftsbriefen, so höflich, formvollendet und elegant sie auch formuliert sein mögen, ein Seelenbad erwarten. Doch hier wahrt wenigstens die Einhaltung einer gewissen Etikette des Respekt, den sich jeder wünscht. Wer aber in privater Kommunikation sein Gegenüber nicht mehr namentlich anredet, sondern nur noch im Stichwort-Staccato Anfragen, Mitteilungen oder Absagen skizziert, der spart zwar auf kurzer Sicht Zeit, auf Dauer sät er aber den Samen für das Scheitern der Beziehung. Denn auf persönlicher Ebene sind seine Nachrichten eine Nichtbeachtung oder sogar ein Affront.

Also: Wir haben zwar den Eindruck, wir hätten in der technischen Kommunikation eine sachorientierte Kommunikation, die ohne den Beziehungsaspekt auskommt. Dem ist aber nicht so. Seit Friedemann Schulz von Thuns Standardwerk »Miteinander reden« ist nicht nur unter Kommunikationsexperten, sondern in der breiten Öffentlichkeit bekannt, dass jeder kommunikative Akt »vier Seiten« hat. Und davon ist die Funktion, Sachinformationen zu vermitteln, lediglich eine. Ebenso wichtig sind die Appellebene, die Selbstkundgabe und – die Beziehungsebene.

Wenn wir bei der Kommunikation aber den Beziehungsaspekt nicht berücksichtigen, wird sich unser Gegenüber völlig zu Recht nicht ausreichend wahrgenommen oder gewürdigt fühlen. Gipfeln kann dies in dem unbefriedigenden Umstand, dass wir aufgrund unserer Kaltschnäuzigkeit selbst mit Distanz behandelt werden und auch nichts Persönliches erhalten. Auf diese Weise bleibt nach einem Gespräch ein unbefriedigendes Gefühl von Leere und Einsamkeit zurück. Und das alles, obwohl wir doch nur auf dem Punkt schreiben wollten. Der eigentliche Punkt ist aber: Datenpakete alleine reichen Menschen einfach nicht aus. Damit ist auch noch keine Angebetete wedelnd und strahlend vor Glück vom Briefkasten zurückgekehrt. Weil sich mit Datenpaketen einfach keine Herzen erwärmen und schon gar nicht erobern lassen.

Weg vom Fenster

»Oh, der Stefan ist auf einmal offline. Wahrscheinlich hat er kein Netz. Oder sein Akku ist leer …« Dieses Szenario kommt in so gut wie jeder Chat-Session vor, insbesondere wenn man abends bei Facebook ist und parallel fünf Chat-Fenster offen hat.

Darf ich Ihnen sagen, was ich vermute, was Ihr Stefan am ehesten hat, wenn er aus einem Chat ohne Ankündigung verschwindet? Er hat schlichtweg kein Interesse, sich weiter mit Ihnen zu unterhalten.

In den seltensten Fällen ist das Verlassen eines Chats den mildernden Umständen geschuldet, die der sitzengebliebene Gesprächspartner sich ausdenkt. Wenn lediglich der Netzempfang schlecht oder der Akku leer ist, signalisieren wir dies doch rechtzeitig. Die bittere Realität ist: Wenn ein Thema uninteressant oder unangenehm, das Gespräch schleppend wird oder keine Unterhaltung mehr bietet und die Aufmerksamkeit einfach auf eine andere, spannendere Tätigkeit gelenkt wird, dann ist die bequemste Lösung, die wir in einem Chat haben, auszusteigen. Wir müssen uns nicht einmal verabschieden, wir schließen einfach das Chat-Fenster oder stellen das Gerät ganz aus. Höflich ist das natürlich nicht, aber eine unmittelbare Rüge ist nicht zu befürchten. Schließlich macht es jeder so. Aus irgendeinem Grund musste man das Gespräch beenden. Man ist weg vom Fenster. Und damit unerreichbar.

Doch was in einem Chat als normal gilt, ist in einem Face-to-Face-Gespräch undenkbar. Allein durch die körperliche Anwesenheit und die üblichen Verhaltensregeln halten wir selbst bei einem Stammtischgespräch, wo es schon einige Gerstenkaltschalen gab, die Mindeststandards des respektvollen Umgangs. Die in Chats schon institutionalisierte Rüpelhaftigkeit ist also nicht einmal dort zu erwarten. Ebenso wenig am Telefon, wo eine elegant oder diplomatisch eingeleitete Verabschiedung – so nicht gerade das Gespräch selbst in einem Streit eskaliert ist – nicht nur zum guten Ton, sondern zum unverzichtbaren Bestandteil der Konversation gehört.

Im Chat hingegen ist diese Unverbindlichkeit gang und gäbe. Und kurzfristig scheint sie nur Vorteile zu haben: Man muss sich nicht lang und breit auf den anderen einstellen und Empathie walten lassen. Beim leisesten Anflug von Langeweile klinkt man sich aus. Und keiner nimmt es einem übel, weil dieses Kommunikationsverhalten mittlerweile als legitim gilt. Allerdings kommt dieses Verhalten wie ein Bumerang zurück. Wer sich als unberechenbar für sein Gegenüber erweist, signalisiert nämlich dem Gesprächspartner: Wir kommen nicht in die Tiefe. Das Gespräch bleibt an der Oberfläche – und das war’s.

Wir springen zwischen der Online- und Offline-Welt, verschicken Datenpakete und vernachlässigen den Beziehungsaspekt der Botschaften – und zeigen uns damit so unverbindlich, dass sich unser Gegenüber genauso verhält. Unterm Strich haben die modernen Medien unser Kommunikationsverhalten in eine deutliche Richtung verändert: Mehr Quantität, aber weniger Qualität. Ein sich selbst verstärkendes System, denn je weniger Tiefe und Nähe wir in der Kommunikation zu unseren Freunden und Bekannten spüren, desto mehr werden wir nach neuen Freunden und Bekannten suchen, um mit ihnen solche Momente zu teilen. Doch unsere Kommunikation bleibt an der Oberfläche, und es kommt genau das gleiche zurück, weil wir unser Gegenüber spiegeln. Letztlich also oberflächliches Gequatsche. Ich halte diese Form von Kommunikation für schlichtweg billig – und nenne sie deshalb »Cheap Speak«.