Störfaktoren - Norbert Hufler - E-Book

Störfaktoren E-Book

Norbert Hufler

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Beschreibung

Die hier vorliegenden Kurzgeschichten erzählen Dinge aus meinem Leben, die nicht unbedingt alltäglich sind. Denn: In mancher Beziehung sind meine Abenteuergeschichten nicht nur völlig unnormal, sondern oft auch total verrückt, fast unglaublich oder gar unglaubhaft! Aber dennoch wahr… In anderen Erzählungen, die zwar nicht völlig aus dem Rahmen fallen, aber dennoch eine Prise Ungewöhnlichkeit und etwas Verrücktheit aufweisen, werden Sie als Leser vielleicht Teile von sich selbst wiederfinden: Möglicherweise werden Sie sich plötzlich erinnern, dass Sie ähnlichen Situationen begegnet sind? Lassen Sie sich in solchen Fällen einfach zurückfallen in Ihr Leben! Das kann sehr viel Freude bereiten, wie es mir beim Erinnern und Schreiben dieser Geschichten auch ergangen ist. Dieses Buch lebt von Pleiten, äußerst seltsamen Missgeschicken und kuriosen Vorfällen, die einen Teil meines Lebens ausmachen. Aber keine Bange! Diese Erlebnisse erzähle ich durchweg mit einer gehörigen Portion Humor, die selbst die übelsten Begebenheiten in einem besonderen Licht erscheinen lassen.

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Seitenzahl: 214

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Norbert Hufler

Störfaktoren

Oft gestrauchelt, aber immer wieder aufgestanden! Kurzgeschichten aus dem Leben eines nicht ganz normalen Normalbürgers

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Über den Autor

Vorwort

Ein Blick auf die früheste Zeit meines Lebens

Ein Ausblick aus dem fünften Stock, 1955

Eine Liebe im Kindergarten, 1958

Ein Kartoffelfeuer, 1962

Ein gefährliches Spiel, 1964

Eine Mathe-Arbeit, 1965

Ein Lateinlehrer, 1965

Eine unglückliche Turnstunde (Nachtrag 1964)

Eine Hand und ein Vorderrad, 1968

Ein Fußballspiel, 1971

Ein erstes Auto, 1972

Ein anderes Auto, 1974

Ein Flug der besonderen Art, Sommer 1974

Ein Bierfass im See, 1974

Ein Kuraufenthalt, 1975

Eine Story eines Zeigefingers, 1987

Eine Autopanne, 1999

Ein Zwangsumzug, 2006

Ein Motorradausflug, 2007

Ein Auszug der besonderen Art, 2007

Ein Fahrrad und sein Träger, 2011

Ein Absturz der blöderen Art, im Jahr 2013

Impressum neobooks

Über den Autor

Norbert Hufler, Jahrgang 1953

Bankkaufmann, Betriebswirt, Ausbilder, Seminarleiter und Dozent in der Erwachsenenbildung, Hobby-Fotograf und Hobby-Schreiberling

Erscheinungsjahr: 2015

Umschlagfoto und Porträtfoto: Ilona Schäfer

Vorwort

Die hier vorliegenden Kurzgeschichten erzählen Dinge aus meinem Leben, die – so habe ich das Gefühl – nicht unbedingt alltäglich sind.

Warum sind diese Erlebnisse nicht alltäglich?, werden Sie fragen.

Nun, in mancher Beziehung sind meine Abenteuergeschichten nicht nur völlig unnormal, sondern oft auch total verrückt, fast unglaublich oder gar unglaubhaft! Aber dennoch wahr…

In anderen Erzählungen, die zwar nicht völlig aus dem Rahmen fallen, aber dennoch eine Prise Ungewöhnlichkeit und etwas Verrücktheit aufweisen, werden Sie als Leser vielleicht Teile von sich selbst wiederfinden:

Möglicherweise werden Sie sich plötzlich erinnern, dass Sie ähnlichen Situationen begegnet sind?

Lassen Sie sich in solchen Fällen einfach zurückfallen in Ihr Leben! Das kann sehr viel Freude bereiten, wie es mir beim Schreiben und Erinnern dieser Geschichten auch ergangen ist.

Dieses Buch lebt von Pleiten, äußerst seltsamen Missgeschicken und kuriosen Vorfällen, die einen Teil meines Lebens ausmachen.

Aber keine Bange! Diese Erlebnisse erzähle ich durchweg mit einer gehörigen Portion Humor, die selbst die übelsten Begebenheiten in einem besonderen Licht erscheinen lassen.

Natürlich bestand und besteht mein Dasein nicht nur aus Pannen!

Es gab auch eine ganze Menge Erfreuliches, was man allerdings aus den hier vorliegenden Geschichten nicht unbedingt ableiten kann.

Diese wunderbaren Geschichten werden Thema eines weiteren Buches sein.

DANKE …

… an Ilona Schäfer, die mir bei vielen Erzählungen unter die Arme griff und mich auf stilistische Unzulänglichkeiten oder logische Patzer aufmerksam machte

… an Thomas Striebig, ehemaliger Klassenkamerad und mehrfacher Buchautor, der mit wachem Auge das Gesamtlektorat übernahm und Sie damit – unter anderem – von vielleicht 100 oder gar 200 falsch gesetzten oder überflüssigen Kommas verschont

Ein Blick auf die früheste Zeit meines Lebens

Ich war noch gar nicht auf der Welt, als mich der erste Hammer traf:

Meine Mutti fing sich die Röteln ein, mit mir Wurm in ihrem Bauch!

Wie wohl jeder weiß, kann so etwas während der Schwangerschaft erheblich übel für einen Erdenbürger ausgehen, der alsbald ans Licht der Welt zu kommen gedenkt.

Glücklicherweise wurde ich unserer Erde als äußerlich unversehrter neuer Bürger geschenkt; mit einigen Schatten allerdings, die sich erst später zeigen sollten.

Beispielsweise hatte ich enorme X-Beine. Die bog man gerade, indem man mir Gipse verpasste, die die noch weichen Knochen in die rechte Form bringen sollten; ein glattes halbes Jahr musste ich das ertragen, etwa zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr. Zum Glück kann ich mich daran nicht erinnern.

Dummerweise hatte man erst viel später entdeckt, dass ich außerdem auch noch Spreiz-, Platt- und Senkfüsse hatte!

Das hätte man doch auch gleich gipsend korrigieren können?

So muss ich also mein Leben lang unter bzw. über diesen Füßen leiden: Knie, Hüften, Kreuz bis hinauf zum Genick beschweren sich bis jetzt in meinem hohen Alter.

Meinen Freiheitsdrang bewies ich schon im Kindbettchen. Und dabei auch mein Ungeschick:

Ich wollte mich anscheinend aus eben diesem Bettchen befreien und mich durch die hölzernen Gitterstäbe zwängen: Dabei blieb ich mit dem Kopf zwischen zwei Stäben hängen, kam nicht zurück und erst recht nicht vorwärts!

Obwohl ich wohl Schmerzen haben musste und mich sehr wahrscheinlich nicht gerade wohl fühlte in dieser Zwangslage, schrie ich nicht! Das war mit Sicherheit eine der seltenen Situation, in denen ich nicht brüllte: Wie mir erzählt wurde, war das nämlich meine Lieblingsbeschäftigung in den ersten beiden Jahren meines Lebens! Erst danach wurde ich ruhiger. Vernünftiger?

Hier entstand eine Eigenart, die sich über mein ganzes Leben erstrecken sollte: In Notlagen kann ich nicht um Hilfe schreien!

Irgendwann kam Mutti, um zu schauen, warum der Knirps nicht brüllte; vielleicht war er endlich eingeschlafen?

Dann aber schrie sie selbst, als sie mich in dieser Lage vorfand!

Vati kam angesaust und brach mit einem Ruck einen der Stäbe durch, so dass ich wieder in mein Bettchen zurückgeschoben und danach in herzende Arme geschlossen werden konnte…

Übrig blieb eine Delle in meiner linken, hinteren Schädelhälfte; der noch weiche Knochen hatte einfach nachgegeben. Wenn Sie mich mal treffen sollten, können Sie gerne dort nachfühlen!

Falls so ein Treffen länger hinausgeschoben werden muss und ich irgendwann meine stolze Mähne verlieren sollte, dann werden Sie diese Einbuchtung auch sehen können.

Der Knirps mit sechs Monaten

Ein Ausblick aus dem fünften Stock, 1955

Das Ende dieser Geschichte wurde mir von meiner Mutti sehr oft erzählt und trug sicher dazu bei, dass ich bis heute eine gewisse Angst habe...

Im sehr zarten Alter von knapp zwei Jahren testete ich erstmals meine Abenteuerlust, ohne allerdings - naiv, wie ich naturgegeben zu dieser Zeit  war - die Risiken und Nebenwirkungen abschätzen zu können; schließlich konnte ich damals noch keinen Arzt oder Apotheker fragen: Ich konnte ja noch nicht sprechen!

Und meine Mutti war irgendwo nebenan, in dem weitläufigen Trakt unserer Zweizimmerwohnung im fünften Stockwerk.

Mannheim-Lindenhof übrigens, Schwarzwaldstraße 1.

Na, was denkt ihr, was passiert, wenn ein Krabbelbubi ein offenes Fenster sieht? Sperrangelweit offen sogar?

Magisch zieht mich dieses Fenster an: ganz sicher würde es da was zu entdecken geben! In einem Knirpsleben gibt es immer was zu erforschen!

Also begebe ich mich behende und doch unsicher zu Fuß und auch manchmal auf Knien und Händen zu dem Küchenstuhl, der glücklicherweise fast direkt unter dem Fenster stand, und erklimme diesen in einer Manier, dass mir spontan einfällt: Du musst Sportler werden, Knirpsi!

Einen kleinen Schreck bekomme ich, als der Stuhl mit der Lehne nach vorne kippt bei meinem Versuch, das offene Fenster zu erreichen: perfekterweise aber bleibt die Lehne direkt unter dem Fenstersims hängen.

Na siehste, Nobbizwerg: beste Ausgangslage für die Erkundung! Auf geht's! Wenn diese Zufälle auch in deinem weiteren Leben so gut klappen, dann ist dir ein Forscherleben gesichert!

(Seltsam, was in einem Kleinhirnchen vonstatten gehen kann... -  Anm. des Autors, einige etliche Jahre danach beim Schreiben dieser Geschichte, mit inzwischen ergrautem, aber immerhin noch vorhandenem üppigen Haar.)

U uh, o oh! Die Frischluft kommt immer näher!

Wahrscheinlich werden meine Äuglein immer größer, je näher ich der ersehnten Fensterbank komme: Schon kann ich das gegenüberliegende Haus sehen! Guckt mich da nicht eine Frau an, hinter einem geschlossenen Fenster, mit ebenso großen Augen? Vielleicht hat die auch solche  Freude an der Aussicht? Und wenn ja, warum macht sie das Fenster nicht auch  auf?

Ich höre Geräusche von unten, die mir bekannt vorkommen; kenne ich sie nicht von den Spaziergängen in meinem Kinderwagen und erst kürzlich auch von meinen Spaziergängen an dem Laufgeschirr meiner Mutti? Gucken will!

Ich ziehe mich also weiter hoch und erhasche dann, meine Händchen schon auf der Fensterbrüstung, einen unglaublichen Ausblick:

Da unten, gaaanz weit unter dem Haus gegenüber, läuft eine Art Film!

(Obwohl der Knirps ja noch keine Ahnung haben konnte, was ein Film ist! Ein cleveres Kerlchen also. - Anm. des Autors)

Da laufen Leute auf der Straße, kleine Leute, viel kleiner als Mutti und Vati. Und die Straße ist auch viel kleiner, als ich sie kenne.

Jetzt aber muss ich genau wissen, was da unter mir so alles abgeht! Und das geht halt nur, indem ich mich noch weiter hoch hangele...

(Das können doch wohl nicht meine eigenen Gedanken gewesen sein?! Was glaubt der Zwerg wohl, was er damals war? Die frühe Ausgabe des Autors etwa, der das jetzt mit Grausen niederschreiben muss? Ha! Hätte Knirps geahnt, dass seine Geschichte Geschichte schreiben wird, hätte  er sicher auf diesen idiotischen Ausflug (jedenfalls aus meiner späteren Sichtweise heraus) verzichtet... Aber okay, ab sofort halte ich mich hier heraus. Soll der kleine Scheißer doch sehen, wie er aus dieser Geschichte rauskommt und sie sein ganzes Leben über zu verarbeiten versucht! -  Letzte Anm. des genervten Autors)

Holla! Die Luft wird dünner, dafür aber die Sicht weiter, als ich mich in meinem jungkindlichen Leichtsinn entschließe, mich auf die Fensterbank zu setzen, mit den nackerten Füßlein voran.

(Doch noch eine Anmerkung des Autors: Mir wird schlecht, während ich diese Zeilen schreiben muss...)

Jetzt sehe ich sogar schon ein Stückchen mehr der Straße, auf der sogar Spielzeugautos hin und her fahren. Heissa, macht das einen Spaß! Ich muss einfach in meine Händchen klatschen und dabei mein Gesichtchen zu einem glücklichen Babylachen verziehen; kennt ihr das?

Die Frau gegenüber im Fenster kriegt auch noch größere Augen vor lauter Freude über meine Freude; ja, sie reißt sogar den Mund dabei auf!

Aber: Das kann doch wohl nicht alles sein, oder? Unter meinen Zehlein tut sich doch noch was, das ich zwar höre, aber nicht sehen kann!

Also bleibt nichts anderes, als mich nach vorne zu beugen, um das Gewusel direkt und meinen Füßchen zu beobachten, fünf Stockwerke unter mir; also gaaanz, gaaanz weit weg:

Donnerwetter, da ist vielleicht was los!

Ich könnte glatt den Menschenpüppchen auf die Köpfe spucken, wenn ich das drauf hätte.

So geifere ich lachend vor lauter Begeisterung vor mich hin, klatsche ab und zu in die Hände und strample vor lauter Freude mit den kleinen X-Beinen in der luftigen Höhe, dabei immer wieder lustvoll quietschend!

Ein kurzer Blick nach gegenüber beweist, dass die Tante am Fenster auch riesigen Spaß hat: Ihre Augen werden noch größer, ebenso wie ihr Mund.

Klasse! Eine echte Seelenverwandte! Und: Greift sie nicht gerade vor immenser Mitbegeisterung in den Vorhang? Ich winke meinem weiblichen Fan überschwänglich zu, worauf sie allerdings verschwindet; mir scheint, dass das rückwärts geschieht, ähnlich, wie ich manchmal auf den Boppes plumpse, wenn ich nicht aufpasse. Hoffentlich hat die nette Frau hintenrum auch so eine gute Polsterung wie ich.

(Dem Autor wird gerade noch schlechter...)

Meinem unbändigen Wohlsein wird ein abruptes Ende gesetzt durch einen gellenden Schrei hinter mir: Jäh aus meinem herrlichen Film gerissen erschrecke ich wie eine dösende Katze vor dem Kaminofen, wenn ihr eine Schüssel kaltes Wasser über das Fell gegossen wird!

(Woher kann der Zwerg eine solche Metapher haben? Echt erstaunlich, das winzige Ich! - Anm. des Autors)

Überglücklicherweise drehe ich mich in meiner Erschrockenheit um in Richtung der Sirene und falle dabei mit meinem nackten, dicken Bäuchlein auf den Fenstersims, mit dem Kopf in Richtung Zimmer.

Und was sehe ich dort, direkt in der offenen Küchentür?

Mutti mit aufgerissenen Augen und übergroßem Mund, genau wie die nette Tante gegenüber, die so schnell verschwunden war!

Mutti hat aber gegenüber unserem letzten Treffen erheblich an Gesichtsfarbe verloren!, dachte ich, während mein Körperchen die Waage zu halten versucht: Vorwärts ginge es mit dem Köpple auf die Sitzfläche des Küchenstuhls, hinten runter auf die ach so kleine Straße mit den so kleinen Köpfen der Leute.

Mein Dickkopf, den ich wohl noch in so manchen Situationen meines künftigen Lebens hoffentlich behalten werde, zieht mich nach vorne, in Richtung Stuhl, während ich mit Ärmchen und Beinchen wedle; ein früher Flugversuch, der aber kläglich endet: unweigerlich fliegt die Stuhlplatte auf mich zu! Das gehört sich doch nicht?

Unwillkürlich schließe ich die Augen und warte auf den Aufprall, wobei der hölzerne Sitz meine hübsche, aber noch kindlich-weiche Stirn gehörig eindrücken muss!

Ja, und wie und was jetzt?

PLUMPS macht es, allerdings in einem sehr weichen Ton.

Sehr weich gelandet entdecke ich, wieso mein hübsches Gesichtchen keine Delle hat: Mutti hat sich von ihrer freudigen Überraschung, dass ich ganz alleine auf dem Fenstersims herumgealbert hatte, nicht aufhalten lassen, meine Wiederkehr mit einer herzlichen Umarmung zu feiern.

Grandios, wie sie das noch vor meinem Aufprall geschafft hat, ehrlich!

'Tach Mutti! Soll ich dir mal was erzählen?', versuche ich zu formulieren, was aber nicht so recht klappt.

Also grinse und lache ich ihr die Geschichte vor, von vielen 'Babas' und 'Dadas' und ähnlich deutlich beschreibenden Worten begleitet, und natürlich mit vielen freudigen Handzeichen.

Statt aber beglückwünscht zu werden zu diesem abenteuerlichen, kleinen harmlosen Ausflug, werde ich fast erdrückt zwischen Muttis Hals und den seltsamen, weichen Dingern etwas tiefer. Wassertröpfchen gluckern über mein flauschiges Haupt; und anstatt einer Belobigung nehme ich nur Geräusche von Mutti wahr, die wie schluchzende Sturzbäche klingen. Schon etwas unverständlich, oder?

Deutlich aber nehme ich diese Worte auf, die zwischen den Wasserfällen klar bei mir ankamen:

"Nie, nie wieder wirst du mir solche Angst bereiten! Nie wieder wirst du eine solche Höhe mit deiner Angst ertragen müssen!"

Zwar höre ich die Worte, aber ich verstehe sie nicht:

Hatte sie meinen brabbeligen, aber dennoch gesichts- und gestenfreudigen Schilderungen denn nicht folgen können? ICH hatte doch überhaupt keine Angst, im Gegenteil!

Nachsatz:

Es muss noch etwas ergänzt werden, das diese Geschichte des Knirpses erst zu einem Lebensereignis macht, auf das ich anfangs hinwies:

Der Hosenscheißer entwickelte sich zu einem stattlichen Mann von einem Meter siebzig, der aber sein Leben lang der Devise folgen musste: Höhen sind gefährlich!

Vielleicht wurde ich deswegen nicht größer?

Schade, dass meine Mutter mir ihre eigene, fürchterliche Panik in den vielen Jahren meiner Kindheit und Jugend immer wieder eingeredet und damit auch tief in mich eingepflanzt hatte:

Noch heute wird mir grottenschlecht und ich bekomme echte Panik, wenn ich zum Beispiel nur ein Bild betrachte, das einen Mann sitzend auf der Kante eines Hochhausdaches zeigt.

Äußerst seltsam bei der Sache ist, dass ich, seit ich mich erinnern kann, sehr oft vom Fliegen träume: Eigenständig stürze ich mich vom Balkon oder von den höchsten Klippen und schwebe davon...

Traumhaft schöne Träume; aber wohl ein Fall für einen Tiefenpsychologen?

Eine Liebe im Kindergarten, 1958

Margot. MargOt!

Ich war gerade fünf Jahre alt geworden; nimmer ein Zwerg wie in der vorigen Geschichte; dennoch aber ein Knirps, wie es die Natur einfach so eingerichtet hat.

Zu dieser Zeit durfte man noch ganz allein in den Kindergarten laufen, gut einen Kilometer weit; in meinem Fall nur begleitet von einem kleinen Rucksäckchen mit den überlebenswichtigen Dingen drin wie einer Banane und einem Zuckerwassersauger als Däumchenersatz, falls ich in alte Gewohnheiten zurückfallen sollte.

(Heutzutage wird man in diesem Alter begleitet von GPS-Geräten, versteckt angebrachten Minikameras am Schutzhelm, oder -  schlimmer noch! - vom eigenen Vater, der einen in die dritte Schulklasse bringt: an der Hand, selbstverständlich!

Das ist keine Erfindung von mir, sondern die peinliche (Un-)Tat eines Bekannten aus der Neuzeit, etwa aus dem Jahr 2002. Armer Junge, armer Vater!)

Ich durfte fast ein halbes Jahrhundert zuvor (wie sich das anhört!) ganz alleine meinen Weg gehen, der mich unter anderem über eine schmale Fußgängerbrücke wandern ließ, die meinen Kindergartenweg zu einem Spaß der besonderen Art machte:

Die hölzernen Stiegen hinauf; und oben in der Waagerechten über den Bahngleisen angekommen, wartete ich allmorgendlich auf die Lokomotive, die gleich unter mir gemütlich hindurchdampfen würde zum winzigen Stadtteil-Bahnhof, knapp hinter dieser herrlichen Brücke!

Schon von Weitem war die dicke Rauchsäule zu sehen, die der Schornstein ausschwitzte; und mein erklärtes Ziel war es tagtäglich, gezielt in diesen Schornstein unter mir zu spucken... So gut wie immer traf ich, obwohl ich dessen natürlich nicht sicher sein konnte, dazu waren die Rauchschwaden, die mich einhüllten, viel zu dick; aber ein wunderbares, stolzes Gefühl hatte ich jedes Mal dabei!

Außer, wenn mein Spucker direkt vor mir auf dem Handlauf des Geländers, über das ich ja kaum runterblicken konnte, hängen blieb; wegen Gegenwind oder - viel schlimmer - wegen meines eigenen Spuckversagens.

In einem solchen Fall nahm ich mir dicke vor, es auf dem Nachhauseweg am Mittag besser zu machen; so was konnte ich einfach nicht auf mir sitzen lassen...

Meine Mutti lächelte immer über diesen Lausbuben, der stets vor dem Mittagessen seine rauchgeschwängerten Kleider wechseln lassen musste. Ich verstand das überhaupt nicht: Das war für mich ein toller Geruch, irgendwie 'anders' als alle anderen Gerüche in meinem Kinderleben, und ich fühlte mich wohl in diesen Rauchschwaden, bis sie unter mir verflogen.

Einmal im Winter war ich geradezu wagemutig und traf mit einem Schneeball direkt in diesen Schornstein! Bisher in meinem kurzen Leben war ich noch nie so abgeflitzt, weil ich fürchtete, die Lokomotive dadurch irgendwie zur Explosion zu bringen...

Dass sich eisekalt und knalleheiß nicht richtig vertragen, wusste ich offenbar schon.

(Ich denke im Alter hierbei wieder an den Bekannten mit seinem Sohn, der nie solche Abenteuer erleben durfte, der sich nie die Knie aufgeschlagen hatte oder fürchterlich auf die Fresse gefallen war... Armer, behüteter Junge.

Und ich erinnere mich beim Schreiben dieser Zeilen so unsagbar stark an diese Rauchwolken, dass ich sogar deren Geschmack zu spüren vermag... Glücklicher Bub, dem so viel Freiheit gelassen wurde!)

Eines Tages, ein Stück nach dem Abgang dieser abenteuerlichen Brücke auf dem Weg zum Kindergarten, veränderte sich radikal mein junges Dasein:

Ein Mädchen (was könnte es anderes sein im Leben, das einen Kerl so enorm umhaut?)  kam den Weg zum Eingang des Kindergartens, allerdings von der anderen Seite her, also mir entgegen:

Engelsgleich das Gesicht, umrahmt von halblangen blonden Locken; mir schien, dass ich jahrelang davon geträumt hatte!

Die spindeldürren Beinchen unter dem luftigen Kleid, das glaube ich, einen rosafarbenen Ton hatte mit fast weißen Blumenblüten drauf, nahm ich gar nicht richtig wahr; sie passten nicht zu allem anderen.

Sie hauchte mit ihrem dünnen Stimmchen „Guten Morgen! Bist du auch in diesem Kindergarten? Ich bin neu hier! Meine Mama hat mir gestern den Weg gezeigt, und heute schon darf ich alleine gehen! Ist das nicht toll? Und du darfst auch schon ganz alleine unterwegs sein? Toll, gelle? Willst du mir den Weg hinein zeigen? Danke, das ist aber nett! Ich heiße Margot!“ und strahlte mich dabei fröhlich mit ihren blauen Augen und einem lächelnden Mund an, der schlichtweg ein Traum war, nur etwas viel plapperte, wie mir schien.

Und weg war ich...

Weg war ich natürlich in dem Sinne, dass ich mich nicht von der Stelle rühren konnte, während sie schon einige Schritte gegangen war!

Also war ich weit weg von ihr...

Sie bemerkte es, drehte sich um und rief aus diesem unvergleichlichen Gesicht mit einer überirdisch wirkenden, strahlend lächelnden Aufforderung: „Na, was ist? Du willst mir doch den Weg zeigen!“

So stolperte ich an ihre Seite, und wir beide gingen in den Kindergarten: sie fröhlich und vergnügt und erwartungsvoll; ich einfach nur seltsam, sehr seltsam...

Viele Tage später oder auch eine Woche oder auch nur drei Tage; ich kann das nicht mehr so genau eingrenzen, das Kinderhirnchen hat da wohl eigene Zeitvorstellungen:

Margot hatte sich aufgrund ihres Frohsinns überaus schnell in die Kindergartengemeinschaft eingelebt und mich dabei offensichtlich völlig vergessen.

Ich dagegen rannte morgens über die Brücke, ohne auf meinen geliebten Rauch zu warten und diesem eine Prise Spucke zu verpassen!

Und jeden Mittag schlich ich über die Brücke zurück und blieb dabei so lange, wie ich es aushalten konnte, in dem Qualm stehen, bis ich hustete und mir Tränen in die Augen stiegen. Wobei in meiner Erinnerung nicht gesichert ist, ob die Tränen tatsächlich vom Rauch kamen...

Irgendwann nach zwei Tagen oder so hielt ich es einfach nicht mehr aus und sprach mit irrem Herzklopfen das Engelswesen an, ob sie gemeinsam mit mir Kartoffelkäfer abklauben wolle in unserem kleinen Gemüsegarten? Etwas Besseres fiel mir einfach nicht ein.

Die katholischen Schwestern des Kindergartens mit ihren typischen schwarz-weißen Hauben und schwarzen Gewändern hatten einen kleinen Garten hinter dem Kindergartenhaus angelegt, wo sie uns in die 'Geheimnisse' der Natur einführten.

Es gab ein großes Stück Rasen zum Spielen, aber auch kleine Beete mit Erdbeeren, Radieschen, Kohlrabi und ein winziges Kartoffelfeld. Die Kartoffeln würden in ihrem Wachstum in der Erde gehindert, so erklärten uns die Schwestern, wenn die Kartoffelkäfer an den Blättern nagten: Wir sollten also vorsichtig, damit wir ihnen nicht weh taten, diese schwarzen Käfer mit den gelben Flecken von den Blättern klauben, sie in einem kleinen Karton sammeln und abgeben.

Was mit den Käfern geschehen sollte, verschwiegen sie; aber für uns Kinder war die Aufgabe erledigt und wir vergaßen dann einfach den Karton mit seinem Inhalt.

Auf meine scheue Anfrage bekam ich die Antwort: "Ich heiße Margot, und nicht Margut!"

Und sie klaubte keine Kartoffelkäfer mit mir von den Pflanzen...

Ich zog mich völlig verwirrt in ein Eckchen des Gartens zurück und dachte nach: Ich habe doch aber ganz gewiss 'Margot' gesagt und nicht 'Margut'! Ich wollte es mir ganz sicher richtig merken und murmelte es mehrmals leise vor mich hin: Margot, Margot, MargOt... Viele, sehr viele Stunden später an diesem Vormittag nahm ich mir noch einmal den kümmerlichen Rest meine Mutes zusammen, im großen Spielraum: "Bauen wir aus diesen Klötzchen gemeinsam etwas, MargOt?"

Was mich da anfauchte, hatte nichts Engelhaftes mehr an sich:

"Ich heiße MargOt und nicht MargUt!", zischte es mir entgegen.

Dann verschwand sie aus meinem kümmerlichen, kleinen Leben...

Etwa drei Jahre später, als ich schon in der Volksschule war (die man heute Grundschule nennt), begegnete ich ihr in der Unterführung, die die ehemalige herrliche Brücke über die Bahngleise ersetzt hatte. Ich erkannte sie sofort an diesem Gesicht, das nichts an der Engelhaftigkeit, die ich am jenen ersten Tag im Kindergarten in mich aufsaugte, verloren hatte; selbst die spindeldünnen Beine waren noch da unter ihrem Röckchen! Diese Beine waren zu dieser Zeit allerdings wesentlich auffälliger für mich, immerhin war ich nun schon acht Jahre alt und konnte auf so etwas achten.

Ich blieb kurz stehen mit etwas stärker pochendem Herzen, während sie mir entgegen kam, ganz wie damals fast!

Sie aber erkannte mich nicht.

Ich trauere heute noch dieser alten Brücke sehr nach, habe sie aber in meiner Erinnerung bewahrt… Wie sie auch.

Nachwort:

Liebe Leserinnen und Leser,

möglicherweise haben Sie ähnlich einschneidende Erlebnisse aus Ihrer Kindheit in Erinnerung; wahrscheinlich sind aber auch viele davon in Vergessenheit geraten.

Wenn in Ihnen beim Lesen dieser Kurzgeschichte Fragmente Ihrer Kindheit in den -  vielleicht jetzt noch halb entfernten - Sinn kommen sollten, so geben Sie bitte diesen Erinnerungen nach: Lassen Sie Ihre Kindheit auferstehen und erleben Sie damit ungeahnte Gefühle!

Denkbar ist auch, dass Sie erkennen (können), wie ein solch fundamentales Erlebnis ähnlich dem hier beschriebenen Ihr eigenes Leben bestimmt (hat)?

Mein Leben wurde ganz sicher durch 'Margut' ein Stück geprägt, was das weibliche Geschlecht betrifft.

Knapp fünf Jahre nach meiner Geburt.

Ein Kartoffelfeuer, 1962

Donnersack! 

Viel zu nass und zu kalt draußen, um mal wieder an unserer jugendhaften Leidenschaft eines Feuerchens am Altrheinufer Spaß zu haben!

Die Kälte war es nicht alleine, was unserem Drang nach einem kleinen Lagerfeuer Einhalt gebot; schließlich hatten wir auch im echten Winter mit Schnee und Frost, was es damals noch fast durchgehend zwischen November und Februar gab, sehr oft unserem Trieb nachgeben können: Dank dem findigen kleinen Norbert, (das bin ich), hatten wir es immer wieder geschafft, nicht nur zu zündeln, sondern sogar richtige Feuer zu entfachen!

Aber wir hatten an diesem saublöd verregneten Tag keine Lust, den langen Weg zum Altrhein zu gehen; und außerdem könnte selbst der geniale Zündel-Norbert im Regen keine Flammen zustande bringen!

Deswegen beschlossen wir, eine neue Variante zu erfinden.

Wir: Das waren zwei Jungs im Alter von acht Jahren; dazu ein Mädel im gleichen Alter, das für uns kein Mädel war, sondern ein echter Kumpel, der zu jedem Streich und zu jedem Blödsinn bereit war, den wir zu dieser Zeit haufenweise ausgeheckt hatten. Es gab zwar noch einen Jungen in unserem Haus namens Uwe Ochsenknecht (ja ja, genau dieser!), aber der war zwei Jahre jünger und für solche Spielchen nur selten geeignet.

Kirsten, Hubert und Norbert beschlossen also, dass es Zeit wäre für etwas, das wir in dieser oder ähnlicher Form noch nicht ausprobiert hatten: Ist es möglich, statt am Altrhein noch woanders ein kleines Feuerchen zu entfachen?

Wir hatten schon oft in den Kellern dieses Hauses Verstecken gespielt: Es war einfach herrlich, dass jemand, der von draußen aus dem Licht kam, sich in der Dunkelheit nicht zurecht finden konnte und quasi blindlings in die beiden Kellergänge tappte; ein wundervolles Gefühl für beide Seiten: Der eine im Dunkeln, der schon daran gewöhnt war und es lustig fand, dass der Neuankömmling sich wie ein Hilfloser bewegte; dieser Hilflose aber fand es ungeheuer interessant, sich nur anhand seiner Erinnerung und einiger wenigen erlaubten Tastversuche an den heranzufinden, der völlig deckungslos an einem Kellerverschlag stand und sich dabei köstlich amüsierte!

Wie oft musste ich den Atem anhalten, weil der Kellerpionier so nahe vor mir stand und mich doch nicht erkannte...

Und ich selbst hatte auch schon als Erforscher aus Versehen den Brustbereich von Kirsten berührt; was aber nicht tragisch war, denn dieser Bereich war zu dieser Zeit noch genau so flach wie mein eigener... Und außerdem war Kirsten ja eh ein Kumpel wie wir zwei Burschen.

Vertraut waren wir also mit diesen Kellern, ja, sogar intim! Was lag also näher, als dass wir hier ein Ausweichquartier für unsere Gier nach einem Feuerchen ausleben sollten, während es draußen in Strömen goss?

Dazu muss noch kurz erwähnt werden, dass wir alle drei zu dieser Zeit eine regelrecht pyromanische Ader entwickelt hatten, die schon zu einigem Aufsehen geführt hatte... Doch das ist eine andere Geschichte, die noch folgen wird.

Ich überzeugte also mit Leichtigkeit die anderen, dass es durchaus möglich ist, hier im Trockenen ein kleines Feuerchen zustande zu bringen. Und es sollte ja wirklich nur ein kleines sein, nicht wie unsere Lagerfeuer am Altrheinufer.