Hindernisreisen - Norbert Hufler - E-Book

Hindernisreisen E-Book

Norbert Hufler

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Beschreibung

Reiseberichte gibt es viele; deswegen schreibe ich auch kein Buch darüber, jedenfalls keines im üblichen Sinn! Ich beschreibe hier einen Teil meiner Abenteuer, die auf ganz bestimmte Weise eine Prägung besitzen: Jeder dieser Abenteuerberichte enthält zumindest eine außergewöhnliche Begebung, die wohl nicht jedem Urlauber zuteil wird; bei mir sind solche Dinge aber zu einem gewissen 'Standard' geworden! Schon in jungen Jahren, bei den ersten Ausflügen übers Wochenende, stellten sich 'Pleiten, Pech und Pannen' ein, die sich in meinen Beschreibungen oft lustig anhören: eine von mir so gewollte Art des Erzählens, obwohl diese Erlebnisse zur Tatzeit ganz sicher nicht lustig waren... Ich will hier keine Dramen schildern, sondern tatsächliche, wirklich wunderbare Erlebnisse, die aber halt jeweils mindestens einen kleinen Haken aufwiesen. Meine Reiseerinnerungen, die ich von Anfang an in Notizblöcken festhielt, sind authentisch und in einem Schreibstil verfasst, der sich völlig von dem dieses Vorwortes abhebt: Es wird gesagt, dass es eine Art des Schreibens sei, die zwar sehr jovial und 'flapsig' ist, aber gerade deswegen sehr lesens- und liebenswert: Man könne ganz locker meine Erlebnisse und Empfindungen nachvollziehen und sogar regelrecht miterleben! Viele Informationen über die besuchten Ziele und eine Menge an Bildern runden diese Erzählungen ab und hauchen ihnen noch mehr Leben ein.

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Seitenzahl: 378

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Hindernisreisen

Ausgefallene Reiseabenteuer

Teil 1

Einleitung

Reiseberichte gibt es viele; deswegen schreibe ich auch kein Buch darüber, jedenfalls keines im üblichen Sinn! Ich beschreibe hier einen Teil meiner Abenteuer, die auf ganz bestimmte Weise eine Prägung besitzen:

Jeder dieser Abenteuerberichte enthält zumindest eine außergewöhnliche Begebung, die wohl nicht jedem Urlauber zuteil wird; bei mir sind solche Dinge aber zu einem gewissen ‚Standard’ geworden!

Schon in jungen Jahren, bei den ersten Ausflügen übers Wochenende, stellten sich ‚Pleiten, Pech und Pannen’ ein, die sich in meinen Beschreibungen oft lustig anhören: eine von mir so gewollte Art des Erzählens, obwohl diese Erlebnisse zur Tatzeit ganz sicher nicht lustig waren...

Ich will hier keine Dramen schildern, sondern tatsächliche, wirklich wunderbare Erlebnisse, die aber halt jeweils mindestens einen kleinen Haken aufwiesen.

Meine Reiseerinnerungen, die ich von Anfang an in Notizblöcken festhielt, sind authentisch und in einem Schreibstil verfasst, der sich völlig von dem dieses Vorwortes abhebt:

Es wird gesagt, dass es eine Art des Schreibens sei, die zwar sehr jovial und ‚flapsig’ ist, aber gerade deswegen sehr lesens- und liebenswert: Man könne ganz locker meine Erlebnisse und Empfindungen nachvollziehen und sogar regelrecht miterleben!

Viele Informationen über die besuchten Ziele und eine Menge an Bildern runden diese Erzählungen ab und hauchen ihnen noch mehr Leben ein.

Viel Spaß wünscht

Norbert Hufler

Eine kleine Einstimmung auf meine ausgewählten Reiseabenteuer:

Reise 1

…wir jammerten wie Kleinkinder, schlugen planlos um uns – in die eigenen Gesichter, Arme und Beine, aber auch gegenseitig! – und bei jedem Schlag entstanden einige Blutflecken ...

Reise 2

… merkten wir, dass es durch unser selbst gebasteltes Naturdach nieselte: leichter Schneeregen hatte eingesetzt! Auch das noch … Wir froren erbärmlich!

Reise 3

… Wisst ihr eigentlich, wie hässlich und eklig es ist, aus dem Bett in total nasse und kalte Klamotten zu steigen? Nur noch eine trockene Unterhose und ein T-Shirt waren da, die aber waren auch schon nach kurzer Zeit nass. Nie war ich einem Mord so nahe wie an diesem Morgen! ...

Reise 4

… Ich liege Probe auf der Bank und daneben auf dem Boden: Die Entscheidung fällt nicht schwer, denn der Boden ist mit herrlich weichem, duftenden Gras bedeckt, das auch noch trocken ist! Herz, was willst du mehr? Wieder eine tolle Schlafstatt! ...

Reise 5

… Auch ein kleines Frühstück, das wir uns aus unserem Proviant gönnen, macht uns nicht viel wacher. Aber es hat keinen Sinn, hier noch länger zu verweilen, der Wind pfeift immer noch infernalisch; also machen wir uns auf den Marsch, wieder vom Meer weg. ...

Reise 6

… Der Sturm wird immer stärker, und gegen sieben Uhr morgens haben wir keine Chance mehr: Das Zelt reißt an einer Stelle auf, und kurz danach bricht die hintere Zeltstange! …

INHALTSVERZEICHNIS

1 - Schwäbisch Gmünd, 1970

Vorwort

Tag 1

Tag 2

Tag 3

Tag 4

Tag 5

Tag 6

Tag 7

Nachsatz

2 - Von Mannheim nach Waldsee, 1970

3 - Die 200 Meilen von Imola, Italien, 1975

Vorwort

Tag 1

Tag 2

Tag 3

Tag 4

Tag 5

Nachsatz

4 - Berlin, 1985

5 - Sizilien 1986

Vorwort

Tag 1

Tag 2

Tag 3

Tag 4

Tag 5

Tag 6

Tag 7

Tag 8

Tag 9

Tag 10

Tag 11

Tag 12

Tag 13

Tag 14

Tag 15

Tag 16

Epilog:

6 - Kreta

Vorwort

Tag 1

Tag 2

Tag 3

Tag 4

Tag 5

Tag 6

Tag 7

Tag 8

Tag 9

Tag 10

Tag 11

Tag 12

Tag 13

Tag 14

Tag 15

Schwäbisch Gmünd, 1970

Mein erstes kleines Abenteuer:

Ostern 1970, 30. März - 5.April

Eine rund 200 km lange Strecke bis zum Zielort! Es ging nämlich ins ‚Ausland’, also in einen Bereich, in dem man einen anderen Dialekt benutzt; zwar noch als deutsche Sprache erkennbar, aber doch fremd. Andererseits waren wir selbst dort ‚Ausländer’, weil wir des Schwäbischen nicht mächtig waren und unsere kurpfälzische Abstammung nicht verhehlen konnten.

Fortbewegungsmittel und Teilnehmer:

Ein 50 ccm Zündapp-Roller mit Handschaltung und rund 27 km/h Höchstgeschwindigkeit, der meinem besten Freund Dieter gehörte. Ich hatte derzeit keinen eigenen zweirädrigen Untersatz: Meine Kreidler Florett hatte den Besitzer gewechselt!

Unseren 16. Geburtstag hatten wir schon weit über ein halbes Jahr hinter uns, fühlten uns also reif für die Fremde.

Zu dieser Zeit begann ein Schicksal, das mich zeitlebens in vielen Urlaubsabenteuern verfolgen sollte: Es ging etwas schief! Und: Ich würde fortan so gut wie immer einen tollen – oder zumindest überhaupt einen – Schlafplatz finden…

Vorwort

Ich hatte damals zwei Brieffreundinnen: eine in Bologna (namens Bughatti und sogar verwandt mit diesem berühmten Namen), und eine in Schwäbisch Gmünd.

Meinen Freund Dieter (Diddi) konnte ich irgendwann dazu überreden, mit einer Freundin meiner Schwäbisch Gmünder Brieffreundin Kontakt aufzunehmen: Diddi war im Gegensatz zu mir kein Schreiberling und hielt es lieber kurz; ich selbst war schon damals der Schreiberei verfallen: unter sechs Seiten wurde kein Brief abgeschickt; in der Schule langte mir kaum die Zeit bei den Klassenaufsätzen, und Tagebuch führte ich auch – eher unüblich für einen jungen Mann…

Irgendwann entschlossen wir uns, unsere Brieffreundinnen in Schwäbisch Gmünd zu besuchen!Ich bin glücklich, dass ich damals einen winzigen Notizblock mitnahm und meine Eindrücke in noch unausgegorener Schrift festhielt! In sehr kurzen Stichworten zwar, aber immerhin so, dass ich mich sogar heute noch anhand dieser Notizen und der wenigen Fotos gut erinnern kann; nur deswegen kann die folgende Erzählung so genau beschrieben werden – im Jahr 2010, 40 Jahre später! Und diese Notizen gibt es auch noch:

Diese Eigenart des Führens eines Reisetagebuchs habe ich bis in mein ‚hohes’ Alter beibehalten; allerdings schrieb ich nach diesen ersten kleinen Abenteuern viel genauer in meine dann etwas größeren Schulhefte.

Meine Notizzettel

Tag 1

Ostersonntag, 30.3.1970

Tolles Frühlingswetter: die Forsythien blühten, die Temperaturen waren recht lau; deswegen befand sich in unserem wenigen Gepäck sogar Sommerfrischler-Ausrüstung; immerhin waren wir optimistische Männlein von immerhin 17 Jahren!

Diddi kam pünktlich um 8 Uhr auf dem Parkplatz vor meinem Wohnblock an; wir schnallten etwas Gepäck auf den dafür vorgesehenen Träger hinten am Roller und hängten außerdem einen großen Proviantbeutel vorne unter den Lenker; hinter die Verkleidung natürlich.

Dann eine riesige Überraschung: meine Freundin Rosi hatte es sich nicht nehmen lassen, mich zu verabschieden! Auf dem Parkplatz drückte sie mir einen Kuss auf, der mich fast aus dem Sattel hinter Dieter warf (wir waren schon so gut wie am Abfahren): nicht nur wegen der Heftigkeit, die die nächsten Tage mit Sicherheit andauern würde, sondern vor allem, weil meine Eltern natürlich oben aus dem Fenster zuschauten – die bis dato noch nichts von Rosi wussten... Na ja, wir gingen ja erst seit zwei Wochen miteinander. So was erzählt man doch nicht sofort zu Hause, oder?

Zu allem Überfluss sah ich auch noch einige grinsende Nachbarn hinter ihren Fenstern, so dass ich am liebsten in den Boden versinken wollte. Stattdessen gab ich Diddi die Order: „Hauen wir endlich ab!!"

Noch bevor ich das Klappvisier meines Helms herunter schieben konnte, bekam ich noch einen Schmatzer ab, dessen Aufprall Diddi mit dem anrollenden Roller gerade noch so abfangen konnte. Manno, wie peinlich!

Na ja, nicht wenig stolz war ich natürlich auch... Schließlich war Rosi recht hübsch und sehr ansehnlich gebaut. Und sie war keineswegs eifersüchtig, dass ich meine Brieffreundin besuchen wollte!

Hier an einem späteren Zeltwochenende

Nach über einer Stunde und 30 Kilometer später machten wir unsere erste kurze Zigarettenpause. Weitere 12 Kilometer danach tankten wir vorsichtshalber: ein ganzer Liter ging rein, für 75 Pfennig! (*Einschub: für alle, die sich nicht mehr so richtig an Mark und Pfennig erinnern können: Reines Benzin kostete etwa 68 Pfennig, also rund 34 Cent pro Liter, eine Zweitaktmischung war etwas teurer.

Zweite Pause: zwei Stunden und 38 Kilometer nach der Abfahrt.

Dritte Pause um 12 Uhr 25: Diesmal hatte wir satte 69 Kilometer an einem Stück heruntergezogen! Dafür hatten wir knapp zweieinhalb Stunden gebraucht und waren deshalb recht erschöpft, so dass wir gut eine halbe Stunde für Essen und eine Zigarette abzwacken mussten.

Ankunft in Schwäbisch Gmünd: 14 Uhr 35, genau 180 Kilometer und sechseinhalb Stunden vom Parkplatz zu Hause entfernt!

Und auch weit entfernt vom Frühling, denn es schneite schon seit gut einer halben Stunde...

Nach dem Ortsschild entdeckte ich zum wiederholten Mal in meiner Jugend, dass ich ein besonderes Gespür hatte: Ich wollte irgendwo hin und fand dieses Irgendwo! Ich dirigierte Diddi in eine Richtung, von der ich glaubte, dass sie richtig war; die briefliche Beschreibung hatte ich irgendwie im Kopf oder sonst wo. Als es Dieter nicht mehr aushielt und nach der Straße fragte, waren wir gerade mal 300 Meter davon entfernt...

Das erste persönliche Kennenlernen mit Sigi, meiner Brieffreundin, fiel etwas zaghaft aus: zwar kannten wir unsere Gedanken und Seelen aus den vielen Briefen; dennoch – oder gerade deswegen? – waren wir recht scheu, was irgendeine Art der Annäherung betraf.

Babsi, Diddis Brieffreundin, kam etwas später hinzu; bei denen klappte es besser: Offenbar, weil sie keine so großen Briefeschreiber und sich deshalb etwas fremder waren als Sigi und ich.

Über drei Stunden hatten wir im Haus von Sigis Eltern verbracht, bekamen Kaffee und Kuchen und haben so langsam unsere Scheu überwunden: tolles Gerede kam auf! Bis wir meinten, dass wir uns ein Quartier für die Nacht suchen müssten. Vorher machten wir aber noch ein paar Fotos vor dem Haus:

Danach düsten wir los, suchten eine Jugendherberge und fanden sie auch: 2 Mark 50 sollte die Nacht kosten, was absolut in unser Budget passte. Also quartierten wir uns ein, nicht ohne vor dem verdienten Schlaf noch eine kleine Tour in die nähere Umgebung zu machen: nette Cafés schien es hier zu haben, und in einer kleinen, gemütlichen Kneipe gönnten wir uns jeder ein Wurstbrot und einen Spezi – was etwas Befremden bei uns hervorrief, denn bei uns zu Hause nennt man ein Gebräu aus Cola und Limo ‚kalter Kaffee’. Nun gut, wir waren schließlich zum ersten Mal im Ausland und mussten wohl neue Begriffe lernen...

Tag 2

Ostermontag, 31.3.1970

Wir waren nach der Nacht in der Jugendherberge recht erholt. In dem Preis waren übrigens auch noch Laken und Decke einbegriffen, da wir keine Schlafsäcke dabei hatten! Wozu auch? Erstens waren wir einfältig genug, um uns in der Fremde einen lauen Frühling wie daheim vorzustellen, und zweitens waren wir sowieso einfältig, was die Übernachtungen betraf: wird schon irgendwie klappen!

Den Tag bekamen wir mit weiterem ‚Schnüffeln’ herum: Babsi und Sigi zeigten uns kleine Sehenswürdigkeiten wie zum Beispiel einen alten Wasserturm, der von übrig gebliebenen Freaks aus den 69ern bewohnt wurde; sie machten uns mit Kumpeln und Kumpelinen bekannt, und natürlich quatschten wir viel – wenn auch nichts Tiefgreifendes; irgendwie gehörte das in den intimen Bereich des Briefeschreibens, und diesen Status konnten wir mündlich nicht überwinden.

Abends waren wir in einem Tanzcafé; es hat richtig Spaß gemacht

Tag 3

Dienstag, 1.4.1970

An den Allgemeinheiten des gestrigen Tages hatte sich nichts geändert:

Zusammen mit einigen anderen (es waren ja Osterferien) im ‚Café Greiner’ rumhängen; alleine mit Diddi zu Fuß das Städtchen auskundschaften und dabei feststellen müssen, dass es hier eine überaus große Menge an hübschen Mädchen hatte!; ein wenig mit dem Roller durch die nähere Umgebung düsen und dann zur Juhe zu fahren, um diese Nacht klar zu machen.

Der Leiter der Jugendherberge öffnete seine Arme, als er uns anfahren sah: Aber irgendwie wusste ich, dass dies kein Willkommensgruß war! Und tatsächlich war das eine entschuldigende Geste: es sei ein Bus mit Japanern eingetroffen, die die ganze Herberge belegt hatten, und da wir nicht im voraus gebucht und bezahlt hatten, könne er uns kein Bett mehr anbieten...

Sackzement! Donner und Doria! Was jetzt?

Die anderen im Café Greiner hatten die Idee, dass wir doch kurzfristig zu den Jungs in dem besetzten Wasserturm einziehen könnten. Die allerdings waren auf unsere Nachfrage wenig begeistert, so dass wir uns auf gar keine Bettelei einließen: Lieber wollten wir im Freien übernachten, als uns zu demütigen Bittstellern zu machen! Ja, so hart waren wir!

Gefrustet fuhren wir mit dem Roller einen Waldweg außerhalb des Stadtrandes entlang, in der blödsinnigen Hoffnung, eine Grotte oder etwas Ähnliches zu finden. Bald ging dem Wald aber der Weg aus, der sowieso schon seit einigen vielen Metern immer schmaler geworden war, und so stiegen wir einfach ab und schauten uns um.

Rechts ging es ziemlich abwärts; und da dies mit uns anscheinend ebenfalls geschah, wendeten wir uns verächtlich ab und schauten nach links, mit vager Hoffnung…

„♫ Tannenbaum an Tannenbaum, und die so hoch, ich glaub' es kaum! ♫'’ schlich sich durch meine Gedanken. Kein Schutz weit und breit!

Plötzlich entdeckte ich drei mitteljunge Tannen, die in einem fast perfekten Dreieck sehr nahe beieinander standen; Drillinge wohl, die zudem ihr Geäst ziemlich brüderlich ineinander verschlungen hatten; das war es, musste es sein!

Tief gebückt krochen wir dazwischen und brachen zuerst alle trockenen Zweige ab, die uns in Kopfhöhe (sitzend!) stören würden.

Dann räuberten wir wie die Wilden starke Zweige von den größeren Nachbarn, (Messer hatten wir keine dabei; also mussten Muskelkraft und Geschicklichkeit genügen). Mit geschundenen Händen verwoben wir dieses Gezweig als Ersatzdach in unsere Bäumchen und deren Zweige, bis wir sicher waren: Das hält uns etwaigen Schnee von oben ab.

Recht glücklich, dass wir eine Unterkunft gefunden und selbst ausgebaut hatten, fuhren wir wieder zurück und versuchten dabei, uns den Weg genau einzuprägen: Noch war es einigermaßen hell, aber schon eine Stunde später würde es stockdunkel sein. Würden wir hierher zurück finden?

Die Abenteuerlust hatte uns voll im Griff...

Gut zwei Stunden später zurück im Café Greiner erzählten wir, was wir vorhatten; Sigi und Babsi hielten uns jetzt für total plemplem und durchgeknallt, die drei Jungs hielten vorsichtshalber die Klappe und zogen nur die Brauen hoch… Egal: Gegen 22 Uhr zogen wir ab zu unserer Schlafstatt.

Tag 4

Die Nacht von Dienstag auf Mittwoch.

Kurz: es war grausam.

Genauer geschildert:

Wir fanden also unsere vorbereitete Nachtstatt wieder, was eigentlich schon ein Wunder war in dieser Stockdunkelheit.

Eine Nachtgelegenheit hat aber üblicherweise eine geeignete Unterlage und einen ebensolchen Überzug, den man sich idealerweise bis zum Kinn hoch ziehen kann.

Wir hatten: nix.

Nichts außer den Tannenzweigen über uns, etwas Reisig auf dem feuchten Boden, unsere Klamotten und die Sturzhelme.

Bis Diddi auf die Idee kam, dass er ja eine ‚Unfalldecke’ unter dem Rollersitz hatte!

Diese Unfalldecke war eine zweiseitig beschichtete, hauchdünne Alu-Folie, die man normalerweise um den Körper wickelt. Da wir aber zu zweit waren, fiel das flach; also probierten wir aus wie es ist, wenn man sich drauflegt: kalt.

Und wenn wir das Ding über uns zögen? Genauso kalt. Mist.

Wir brachen weitere Zweige aus der Umgebung ab und legten sie auf den Boden. Tannenzweige sind dafür denkbar schlecht geeignet, wie wir feststellen mussten: Holz hart und Nadeln stachlig. Wir rissen dann die harten Mittelteile heraus, aber viel weicher und vor allem wärmer wurde unsere Unterlage dadurch nicht... Bei diesen Aktionen knallten wir andauernd mit den Köpfen gegen Äste und Baumstämme; schließlich war es zappenduster: Ohne unsere Streichhölzer sahen wir schlichtweg nichts!

Nach der fünften Zigarette, die uns wenigsten von Innen etwas Wärme gaben, merkten wir, dass es durch unser Dach nieselte: Leichter Schneeregen hatte eingesetzt! Auch das noch...

Die jetzt aufgesetzten Helme schützten uns etwas bei der Arbeit, unser Dach mit weiteren Zweigen zu verstärken, und natürlich vor weiteren Kopfstößen.

Aber jedes Mal, wenn wir uns wieder hinlegten, überfiel uns wieder die Kälte, die wir wiederum durch Zigaretten einzudämmen versuchten. Außerdem tropfte es ständig auf uns; das Dach war ebenso nicht ganz dicht, wie wir selber ja auch nicht...

An Schlaf war unter diesen Umständen überhaupt nicht zu denken: Schließlich bauten wir ständig an unserer Hütte herum und rauchten eine nach der anderen! In den Pausen dazwischen legten wir uns schon gar nicht mehr hin, sondern froren einfach im Sitzen weiter, was aber auch nicht viel angenehmer war; außer dass das eiskalte Nass nicht über unseren ganzen Körper tröpfelte. Jedenfalls, bis die Nässe ihren vorbestimmten Weg über die Helme ins Genick und so weiter fand; die Unfallfolie, die wir in allen möglichen Variationen um und über uns zusammenzogen, hatte dafür auch keine echte Lösung parat, schließlich war sie ja selbst schon triefend nass!

Irgendwann gingen uns Zigaretten, Streichhölzer und unsere Ausdauer schlicht und ergreifend aus: nix wie weg hier, egal, wohin!

Die Fahrt durch schneeregennassen, stockdunklen Wald war nicht unbedingt eine Urlaubsfahrt, brachte uns aber wohlbehalten zu dem kleinen Bahnhof, den wir durch reinen Zufall fanden: Die Zentraluhr hier zeigte uns höhnisch, dass es erst fünf Uhr morgens war! Gut sechs Stunden hatten wir es in unserer gemütlichen Tannenunterkunft ausgehalten.

Auf einer der wenigen Holzbänke ließen wir uns erschöpft nieder, genossen das dichte Dach über uns und ignorierten die eiskalte Zugluft mit heldenhaftem Gleichmut. Unsere geschundenen Hände (trotz Handschuhen!) öffneten mit Mühe eine große Dose Leberwurst, unsere blauen Lippen zogen das eiskalte Zeug gierig hinunter in die ziemlich leeren Mägen; danach je eine Verdauungszigarette (die letzten beiden in der Packung), und danach vielleicht ein Stündchen Schlaf auf der Bank?

Wir wollten es uns gerade auf den beiden nebeneinander stehenden Bänken gemütlich machen, als ein uniformierter Koloss vor uns auftauchte und ohne jegliche Gnade herrisch darauf verwies, dass dies eine Wartezone sei und kein Schlafsaal!

Ich wollte schon erwidern, dass wir ja warten, – auf besseres Wetter, den bestimmt herrlichen Morgen und so fort – , aber der Herrscher des Zugbahnhofs sah nicht so aus, als könne er Humor vor seinem Frühstück in der warmen Stube vertragen… Also trollten wir uns, – es war ja eh viel zu zugig hier.

Um nicht in Einzelheiten verloren zu gehen, hier der Rest des Tages in Kurzform:

Ab acht Uhr: Auftauen bei einem Frühstück in einem kleinen Café; Katzenwäsche im Toilettenraum.

Zwei Stunden Dösen neben einer Tankstelle, die ein kleines Stückchen Rasenfläche besaß: nicht weggescheucht, aber feucht! Danach eine Packung Zigaretten gekauft, wobei wir wieder bemerkten, dass wir uns im Ausland befanden: Unsere bevorzugte Marke ‚Kurmark‘ gab es nicht! Wahrscheinlich wurde die aus der Kurpfalz gar nicht importiert.

Immer noch total neben den Socken mittags in einer kleinen Wirtschaft Knödel mit Sauerkraut gegessen (2 Mark 50), danach zum Umfallen müde. Trotzdem Sigi getroffen (Babsi konnte grad nicht), und ihr von der Nacht erzählt. Da sie es nicht glauben wollte, haben wir sie mitgenommen zu unserem Nachtlager im Taubentalwald, um ihr unsere Schlafstatt zu zeigen; (so ein Rollerchen kann auch schon mal eine dritte Person tragen, wenn sie sich – wie ich – genügsam auf dem Gepäckträger klein macht. Allerdings fährt er dann nicht schneller als rund 21,5 km/h).

Den Tag verbrachten wir mit Ausflügen in die Umgebung und, wo immer es ging, mit einem Nickerchen ab und zu.

Nachmittags waren wir wieder mit Sigi und Babsi und ihren Bekannten in einem kleinen Café, redeten Blödsinn oder sinnierten über Gott und die Welt.

Die Nacht durften wir im Heizungskeller von Sigis Eltern verbringen, nachdem wir beim gemeinsamen Abendessen von unserer Nacht erzählen mussten; obwohl Sigi natürlich schon berichtet hatte, wollten die Eltern diese Story aus unseren eigenen Mündern hören!

Tag 5

Donnerstag, 3.4.1970

Die Nacht war zwar wesentlich wärmer als die letzte, aber nicht weniger unbequem!

Im Keller rumorte ein riesiger Heizungskessel, den wir MEva getauft hatten: Eva nach einer ebenso gewaltigen Freundin in der Clique von Sigi und Babsi, mit einem M davor wie Metall.

Eine alte Couch stand dort, deren Sitzfläche so nach vorne geneigt war, dass ich ständig herunter rollte... Irgendwann blieb ich dann einfach auf dem Boden liegen. Es war noch eine Gartenliege hereingestellt, die den Nachteil hatte, dass sie nicht verstellbar war: Kopf oben, Hintern unten, Füße oben... Wahrlich auch kein Schlafgenuss, weil Diddi sich einfach nicht umdrehen konnte!

Aber dennoch war der Komfort außerordentlich: Wir hatten frisch bezogene Kopfkissen und Schlafdecken! Und außerdem konnten wir als Mitternachtsimbiss unsere noch halbvolle Leberwurstdose auf einem Ofenrohr der MEva aufwärmen, dazu noch eine halbe Stange Weißbrot, die fast geröstet wurde! Wesentlich leckerer als das halb gefrorene Zeug auf dem Bahnhof…

Diddi in Sommerfrischlermontur

Tag 6

Freitag, 4.4.1970

Wir durften mit der Familie frühstücken und sogar zu Mittag essen! Uns beeindruckte dabei das außergewöhnliche Verhältnis der Familienmitglieder: Engste Freunde, bei denen es absolut keine Geheimnisse oder auch nur ein leises Verstecken gab...

Den restlichen Tag bekamen wir mit einem Ausflug nach Hohenstauffen herum; leider habe ich davon keine Bilder, wir hatten sie zu Hause in Dieters s/w-Fotolabor verhunzt...

Danach gingen wir in der ‚City’ noch etwas bummeln und stellten wieder einmal fest, dass hier jedes zweite Mädchen äußerst akzeptabel ausschaute! Grinsend meinten wir, dass man sich hier durchaus niederlassen könnte…

Abends gingen wir mit der Clique von Babsi und Sigi als Gäste in die Tanzschule, was uns ungeheuren Spaß machte und uns animierte, das zu Hause ebenfalls zu tun!

Wir waren in unserem ‚Abenteurer-Outfit’ zwar nicht gerade passend gekleidet, aber wir wurden herzlich eingeladen.

Die Nacht durften wir wieder im Heizungskeller verbringen, wobei wir aber unsere Schlafplätze tauschten: Jeder sollte einmal die Qualen des anderen der letzten Nacht erleben!

Es dauerte nicht lange, bis wir uns beide mit unserem gemütlichen Bettzeug auf dem Boden befanden...

MEva machte uns lange nicht mehr so viel aus wie letzte Nacht; allerdings vermissten wir den Mitternachtsimbiss: Kein Weißbrot zum Rösten auf dem Heizungsrohr, und die leere Leberwurstdose hatten wir aufgrund der hervorragenden Verpflegung in diesem freundlichen Haus auch nicht ersetzt.

Tag 7

Samstag, 5.4.

Nach wieder einem herrlichen Frühstück im Kreis der Familie von Sigi plauderten wir noch eine ganze Weile herum; mich faszinierte immer wieder diese Offenheit und Aufgeschlossenheit, und auch die hervorragende Bildung der Eltern. Diese waren allerdings auch überrascht und erfreut, dass solch junge Burschen wie wir durchaus imstande waren, gute und fundierte Gespräche zu führen!

Um 13 Uhr 30 etwa machten wir uns für die Rückfahrt bereit.

Ach ja: auf diesem letzten Bild vor unserer Abfahrt erkennt man knapp ein Halstuch, das um meinen Hals hängt (wo auch sonst?): Diddi trug das gleiche, wir nannten es FT (Freundschaftstuch). Seit etwa drei Jahren trugen wir es bei jeder gemeinsamen Unternehmung, auch wenn es nur ein Spaziergang war, und wir sollten es noch viele weitere Jahre tragen! Meins habe ich heute noch: Ausgebleicht, an den Rändern zerfasert, Löcher drinne; aber es ist ein unersetzliches Erinnerungsstück! (Ergänzung: Selbst im Jahr 2025 habe ich es noch, in dem Jahr, in dem ich diese Aufarbeitung mache! Zur Erinerung: Diese beiden Tücher hatten wir von Diddis Vater 1967 bekommen...)

Die Rückfahrt: Es war a-kalt und es schneite, aber wir waren fröhlich und guter Dinge, denn wir hatten ein tolles Erlebnis hinter uns:

Erstmals in unserem Leben hatten wir eine solch unglaubliche Reise gewagt; wir hatten tolle Menschen kennengelernt; wir wurden als Fremde überaus freundlich als Gäste aufgenommen und als ‚schon richtig’ Erwachsene anerkannt, obwohl wir diesen ‚Blödsinn’ im Taubentalwald riskiert hatten – aber dieser Blödsinn wurde auch als mutig angesehen, als ein Indiz für ‚Aufgeben gibt’s nicht, Lösungen gibt es immer!’

Nachsatz:

Die Rückreise war eisig kalt, wir schlotterten geradezu in unseren unzureichenden Klamotten; die dünnen Handschuhe gefroren sogar stellenweise, und unsere Nasen fühlten sich auch nicht besonders gesund an: Dunkles Blau/Rot würden Farbbilder zeigen, wenn wir welche gehabt und auch geknipst hätten.

Natürlich wechselten wir wie schon auf der Hinfahrt die Positionen ab und zu, damit sich jeder mal etwas ausruhen konnte am Rücken des anderen.

Bis wir wieder die Rheinebene erreichten hassten wir – trotz aller aufregenden Erlebnisse – unseren Ausflug! Dort aber war es wieder Frühling, mit guten 19 Grad, und wir vergaßen schnell die Strapazen und erfreuten uns einfach an unserem kleinen Abenteuer.

495 Kilometer später und sieben Tage nach unserer Abfahrt durfte ich meine Freundin Rosy wieder in den Arm nehmen, die sich überhaupt keine Sorgen gemacht hatte; wie ich selbstverständlich auch nicht!

Von Mannheim nach Waldsee, 1970

Ein kleines Abenteuer in der heimischen Umgebung: Mördertour von Mannheim nach Waldsee (kurz hinter Ludwigshafen): satte 19 Kilometer Fahrtstrecke, möglicherweise sogar 20 Kilometer!

Fortbewegungsmittel und Teilnehmer:

– Nagelneue rote Kreidler (Neid aller Kumpels) mit Ossi

– Weißer Zündapp-Roller mit Handschaltung und Diddi drauf

– Tommy (genannt ‚Fass’) mit einem Zündapp-Moped

– Karli und seine ? weiß-nicht-mehr...

– Zündapp-Roller mit Fußschaltung und undefinierbarer Farbe von Hufi, dem       Berichterstatter dieses kaum fassbaren Erlebnisses

Zeit:

27. - 29. Juni 1970, recht früh am Samstag, bis Sonntagnachmittag.

Glückauf!

Das war unser Motto, einer kleinen Gruppe kleiner Jungs mit ihren kleinen Mopeds. Schon 17 Jahre alt waren wir Abenteurer gerade geworden, alle ausgestattet mit Zweirädern unterschiedlichster Art und Alters.

Eine an sich simple Idee sollte uns zum Dauer-Campingplatz von Diddis Eltern nach Waldsee führen, um dort hoffentlich ein weniger simples Wochenende zu verbringen: Ein Zelt stand dort bereit, kleine Baggerseen waren in der Nähe, und Sonne satt hatte es auch. Also: nix wie los!

Aber bereits auf der halben Strecke – also nach rund 10 Kilometern – erwischte einen von uns ein klägliches Schicksal: kein Benzin mehr! Der Depp, den ich nicht nennen will, hatte vergessen, vorher zu tanken!

(Hier begann eine Serie von Zwischenfällen, die fortan meine Reisen in die ‚ferne’ Welt prägen sollten: Nie langweilig, weil Unvorhergesehenes ja stets dann eintritt, wenn man es nicht erwartet…)

Also: was jetzt?

Alle anderen hatten ja genug Sprit drinne in den Mopeds, also musste man halt etwas abzapfen und umfüllen. Nur: womit?

Ich traue mich kaum, das zu erzählen, aber es ist die Wahrheit: Einer von uns zückte ein Kondom und meinte, dass das doch ein ideales Behältnis sei! (Warum der überhaupt eins – und dazu wirklich nur eines!) einstecken hatte, bleibt bis heute unergründlich...)

Heilfroh wegen dieser Idee zapften wir ein anderes Moped am Benzinhahn an, ließen es reichlich fließen – und waren furchtbar erschrocken und enttäuscht: Das Gummi war wohl nicht für Füllungen dieser Art konstruiert... Es löste sich einfach auf, und der wertvolle Sprit lief in den Straßengraben!

Umweltsauerei! Ratlosigkeit! Nachdenkerei und Grübelei!

Einem anderen kam die glorreiche Idee, einfach den erhobenen Daumen in die leere Landschaft zu strecken und zu hoffen, dass jemand halten würde, der etwas Benzin an Bord hat – außerhalb seines Tanks, natürlich. Aber erstens hielt keiner, weil keiner vorbei kam, (vielleicht war es noch zu früh am Tag?), und zweitens kam wieder einer auf eine Idee: Wir brauchen ein Behältnis, das Benzin vertragen kann; was haben wir dabei?

Antworten: Helme, Schuhe, Unterhosen, Schlafsäcke… Mopeds.

Und in dieser Verzweiflung gab wieder einer zu, dass er auch ein Mitbringsel für Notfälle dabei hat: eine Flasche Bier!

Flugs geköpft das Ding und unter allen aufgeteilt, dann als Umfüllbehältnis benutzt in der Hoffnung, dass die kleinen biermäßigen Verunreinigungen dem ähnlichen Sprit und damit dem lahmen Moped keinen Schaden zufügen würden; einen Liter umgefüllt, und dann ging die Reise weiter!

Schon etwa knapp eineinhalb Stunden nach Abfahrt trafen wir am Zeltplatz ein und fingen an, es uns gemütlich zu machen: Schlafsäcke ins vorhandene mittelgroße Zelt verstaut, Vorräte ausgepackt; Holz gesammelt für das bevorstehende abendliche Lagerfeuer; danach zur Erfrischung in den kleinen Baggersee, der fast direkt vor der Haustür lag. Es gab zwar noch einen anderen, der wesentlich größer und schöner war, aber unsere Faulheit ließ uns die 300 Meter Fußweg ersparen, wir tobten lieber hier wie die Blöden im Wasser und an den Ufern.

Bei Beginn der Dämmerung schoben wir schließlich das Lagerfeuer an und bekamen die ganze Grausamkeit der Wildnis zu spüren, die vornehmlich in der Nähe von stehenden Gewässern gnadenlos zuschlägt: Schnaken!!! In Horden!!!

Unsere Würstchen an den Holzstäben konnten wir nur grillen, indem wir uns in voller Mopedmontur ans Feuer hockten: Helme auf, Halstücher bis über die Nase, Handschuhe an. Und trotzdem erwischten uns die Biester: im Helm, durch die Jeans, an kurzfristig freien Stellen zwischen Jackenärmel und Handschuhen, durch die Socken an den Knöcheln…

Irgendwann wollten wir ins Zelt, um unsere Ruhe zu finden – dort wartete der schlichte Horror auf uns: Die Armeen von ängstlichen Blutsaugern, die sich nicht in die Nähe der Rauchschwaden des Lagerfeuers getraut hatten, lauerten an den Zeltwänden und stürzten sich jetzt furcht- und gnadenlos und völlig ausgehungert auf uns!

Diddi kannte ja einige Leute hier, weil er oft mit seinen Eltern hier war, und er fragte bei diesen Nachbarn, ob sie uns nicht ein paar Räucherstäbchen gegen diese Biester schenken würden.

Wir zündeten die Dinger im Zelt an, schlossen den Eingang und hofften auf ein Massensterben, zu dem wir sicher einen gehörigen Beifall klatschen würden.

Dummerweise hatte uns keiner gesagt, dass der Rauch nicht tödlich wirkt, sondern nur vertreibend; wir hätten die Fluchttür offen lassen sollen...

Somit summte und brummte es im Zelt noch viel mehr als vorher: Diese Vampirbrut schien durch unseren Massenmordversuch auf- und angestachelt, dreifache Rache schien ihr einziges Ziel zu sein!

Da half kein Verstecken mit all den Klamotten in den Schlafsäcken, die wir über unseren Köpfen zuzogen: Ein paar hatten immer schon hier gelauert, und außerdem fiel nach einer Weile das Atmen schwer und der Kopf musste wieder raus in die vernichtenden Angriffswellen; bei diesen heftigen Atemschnappern spürten wir gierige Einzelkämpfer auf den Lippen und in den Nasen...

Es ist kaum glaubhaft, aber dennoch wahr: Wir jammerten wie Kleinkinder, schlugen planlos um uns – in die eigenen Gesichter, Arme und Beine, aber auch gegenseitig!, – und bei jedem Schlag entstanden irgendwo einige kleine Blutflecken.

Einer heulte haltlos: „Mama, ich kann nicht mehr! Ich will hier weg!“ Und die anderen stimmten kläglich ein…

In echter Panik packten wir unsere Sachen – wobei wir einiges vergaßen, aber das Überleben war wichtiger – und düsten ab in Richtung Heimat; das war so gegen zwei Uhr in der Nacht.

Der Mannheimer Wasserturm war schon immer ein Treffpunkt für Alt und Jung, für Hippies und Normalos, für Junkies und Dealer – für alle Bürger eben -, also fuhren wir dorthin: in unregelmäßigen und auch plötzlichen zick-zack-Kursen, weil jeden von uns irgendwo die mörderischen Einstiche plagten.

Wir legten uns in eine der Grasflächen, jammerten, versuchten unsere Wunden mit den klaren Wassern aus den Fontänen zu kühlen – und jammerten weiter.

Im Morgengrauen packten wir die Reste unseres Proviants aus, sofern wir diesen nicht in der Hektik des Aufbruchs vergessen hatten; ich war glücklich über ein paar Landjäger, die ich siegessicher über meinen Kopf hielt – danach aber nach Würgegriffen an meiner Kehle teilen musste, denn es hatte kein Geschäft auf, wo wir unseren Hunger hätten stillen können; schließlich war es Sonntag, und dazu noch fünf Uhr morgens. Also teilte ich – sozial, wie ich war und bin, – notgedrungen die zwei Würstchen auf: Der Eigentümer und Retter sollte das größte Stück erhalten. Ein anderer servierte eine Dose Ravioli dazu, und noch ein anderer wollte zwei Wiener Würstchen beisteuern, die das Grillen überlebt hatten, was wir aber alle dankend ablehnten: Der leicht grüne Überzug war nicht gerade Appetitanregend.

Landjäger-Triumph-Hufi.

Übrigens hatten wir blaue Hemden an; das Weiß ist eine Täuschung!

So: Was jetzt mit dem angebrochenen Tag und dem abgebrochenen Abenteuer am Baggersee? Obwohl das ja immer noch ein Abenteuer war, nur halt nicht am Zeltplatz…

Die Stadt Mannheim rund um den Wasserturm schlief noch; im Gegensatz zu uns, die sich ständig zwischen Kopf und Füßen kratzen mussten und wir deswegen hellwach waren. Zwei von uns gaben frustriert auf und fuhren nach Hause.

Wir anderen beschlossen, zum Stadtteil Waldhof zu fahren, wo wir – bitte nicht lachen! – neben einem Sandkasten eines kleinen Kinderspielplatzes auf den drei Holzbänken schon so manche Diskussion ausgefochten oder aber einfach nur stundenlang philosophiert oder herumgeblödelt hatten; zwar nicht in der vollen Besetzung der aktuellen ‚Reisemannschaft’, aber immerhin war der Ort bekannt und beliebt, auch bei meinen anderen Freundschaften, die zurzeit nicht bei diesem Abenteuer dabei sein konnten.

Dieser kleine, liebliche Fleck hatte Kultstatus bei unseren Treffen, aber auch für mich persönlich: wegen anderen ‚lieblichen' Begegnungen, auf die ich nur kurz eingehen kann:

Erste, liebevolle Bekanntschaften konnte ich hier knüpfen; und noch viel doller: Meine erste große Liebe, die drei Jahre dauern durfte, traf ich etwas später hier, hergebracht durch eine sehr gute Freundin! ‚Schwogerpark’ hieß der Fleck für uns; der Name wird gleich noch erklärt werden.

Wir geschundenen Kreaturen verteilten uns auf diese drei Bänke um den Kindersandkasten, die Mopeds um uns herum, und wir sinnierten über Sinn und Zweck von Vampiren. Natürlich auch über Abenteuer in der Ferne, die wir übereinstimmend wieder unternehmen wollten – niemals aber in Gegenden, die von Mörderbiestern beherrscht werden. Amazonasgebiet fiel deshalb definitiv weg.

Unsere körperlichen und geistigen Zustände verschlechterten sich zusehends während dieser fruchtlosen Laberei: Hunger nagte, Frust verstärkte sich, Aussprüche negativierten sich gegenseitig, Zorn oder Vorwürfe wurden planlos und natürlich fruchtlos in die Gegend geworfen; allen gemeinsam aber war das grausame Jucken, das offensichtlich die Ursache für die aufkommenden Streitigkeiten war – keiner konnte sich mehr beherrschen…

Um zehn Uhr öffnete die Kneipe am Eck unseres idyllischen Fleckchens: ‚Schwoger’ machte auf!

‚Schwoger’ ist die Mannheimerische Übersetzung für Schwager; jeder, der dort einkehrte, war einfach der Schwoger, und der Wirt natürlich sowieso. Es war seine Philosophie, sich und seinen Gästen einen familiären Einschlag zu geben: Jeder nannte hier jeden ‚Schwoger’. Manchmal auch beim echten Namen, sofern er bekannt war.

Alle zwei Wochen kehrten wir in unserer Jugend hier ein auf ein Bier; diesmal aber war der Schwoger gar richtig erschrocken: Wir sähen aus wie gerade noch so aus dem Amazonasgebiet entkommen! Seltsam: Dieses Gebiet hatten wir doch gerade vorhin ausdrücklich vor kümftigen Reisen ausgeschlossen? Und dort waren wir ja schon gar nicht!

In der Tat waren wir recht verbeult: Kaum ein Fleckchen Haut war verschont geblieben; wir zählten unsere juckenden Ausbuchtungen, während Schwoger uns ein deftiges Frühstück zubereitete: Ossi war der eindeutige Sieger! Die arme Sau hatte rund 60 Spuren der Schnaken-Attacken aufzuweisen, natürlich nur dort, wo man es auch sehen konnte – aus Gründen der Pietät ließen wir davon ab, auch unter den Klamotten nachzuschauen, schließlich befanden wir uns in einem öffentlichen Lokal, auch wenn noch keine anderer Gast da war...

Ich selber landete bei der Stichzählung im guten Mittelfeld: Etwa 35 Einstiche plagten mich; davon elf an den Fingern; nur ein Daumen war verschont geblieben; möglicherweise hatte ich ihn wie ein Baby lutschend im Mund während den Angriffskriegen.

Wir alle konnten nicht schon so früh an diesem Sonntag nach Hause zurück: Wie sähe das aus, wenn unser Ausflug nur so kurz gedauert hätte? Unsere Eltern hätten das bestimmt nicht als Abenteuer akzeptiert, und wir erst recht nicht…

Nach dem herrlichen Frühstück, das uns die letzten Reserven unserer Taschengelder gekostet hatte, fuhren wir in den Käfertaler Wald und leckten in der Nähe des Wildschweingeheges unsere Wunden; inzwischen war es schon Mittag geworden.

Irgendwie bekamen wir die Zeit herum; sogar Blödeln konnten wir wieder: Schließlich kannten wir uns in diesen Verrenkungen noch nicht, die jeder unbewusst und ungewollt vollführte! Linke Finger am rechten Knöchel, rechte Finger am linken Schulterblatt kratzend, und anschließend umgekehrt oder auch gleichzeitig… Und was müssen erst unsere Gesichter und Hälse und Ohren erduldet haben mit unseren Fingernägeln! Selbst in den Haaren kratzten wir uns ständig. Mann, wir haben ganz sicher äußerst komische Figuren abgeben, eines Comics wert!

Am frühen Abend kam ich wieder zu Hause an. Auf die Frage meiner Mutti, wie es denn gewesen sei, konnte ich nur antworten: Super!

Erst am nächsten Morgen beim Frühstück entdeckte sie die Kratzspuren und kleinen Beulen in meinem Gesicht, auf den Armen und Händen und wollte mich ängstlich zum Arzt schicken. Tapfer, aber überaus geplagt ging ich trotzdem in die Schule – vermisst habe ich an diesem Tag Ossi: er musste tatsächlich ärztlich behandelt werden!

Mein Lateinlehrer konnte diese Bemerkung nicht unterlassen, die ich ihm in meinem ganzen Leben nicht verzeihen werde: „Ausnahmsweise gähnt der Norbert nicht schon morgens um neun Uhr; er scheint sogar regelrecht aufgekratzt zu sein...“

Wisst ihr, was ich dabei dachte? Würgen hätte ich ihn können, oder besser noch, ihn in dem dortigen Zelt einschließen, zwölf Stunden lang.

Aber ich musste mich zusammen nehmen: Unser Lateinlehrer schoss höllisch genau zur Stirn eines Schülers mit Kreide, oder, wenn er gerade keine zur Hand hatte, auch schon mal mit seinem Schlüsselbund! Und das mit der linken Hand, weil er den rechten Arm im Krieg verloren hatte.

Nachsatz:

Noch heute, im Jahr 2010 – (40 Jahre später!), als ich die Geschichte aus meinen Notizen niederschreibe, gerate ich in Panik, wenn ich das arglistige, hässliche Summen nur einer einzigen Schnake höre... Und das wird sich mit Sicherheit auch in den nächsten Jahren nicht mehr ändern! ‚Geprägt für dein Leben’ sagt man wohl dazu.

Viele Menschen, die eine Safari in subtropische Gebiete unternommen haben, können wohl meine Beschreibung nachvollziehen. Aber im Rhein-Neckar-Gebiet, neun Direktkilometer von der eigenen Wohnung entfernt, mutet sich das alles irgendwie komisch an – und ist doch nichts anderes als grausame Wahrheit…

Nachsatz 2,

Während der Aufarbeitung dieser Erlebnisse für ein eBook: Diese Panikattacken habe ich immer noch, im Jahr 2025: Ein Schnakengeräusch, und ich raste fast aus…

Die 200 Meilen von Imola, Italien, 1975

Ein kleines Abenteuer vom 3. bis 6. April 1975:

Mit kleinen Motorrädern nach Imola, unweit von Rimini, zum ersten Weltmeisterschafts-Motorradrennen der Saison.

Dort soll es hingehen!

Natürlich nicht direkt, das ist nur die grobe Richtung. Und sowieso: Wäre es direkt gegangen, hätten wir ja dieses Abenteuer nicht erlebt!

Teilnehmer:

Karl ‚Karli’, unser Tourleader auf Suzuki GT 250

Heidi, die Freundin Karlis und ihre Suzuki GP 250

Hartmut ‚Häsli’ und die Kawasaki 500 Mach III

Dieter, Bruder Heidis, mit Freundin auf einer Suzuki GT 250

Norbert ‚Hufi’ und seine neu goldfarben lackierte Suzuki GT 250

Also alles relativ kleine Zweizylinder-Motorräder mit 250 ccm und einer Höchstgeschwindigkeit von etwa 140 km/h, außer Häslis 500 ccm-Maschine mit drei Zylindern!

Vorwort

Dieser Bericht schildert natürlich wieder ein Abenteuer, das außergewöhnlich war; sonst wäre diese kleine Reise es nicht wert, in meine Auswahl der besonderen Erlebnisse aufgenommen zu werden.

Meine fotografische Ausrüstung (ich war der einzige, der überhaupt eine hatte!) bestand aus einer kleinen, rund 25 Mark teuren Knipse eines damals großen Kaufhauses, das mit dem Buchstaben Q beginnt. Ich bin quasi die Quelle unserer bildlichen Erinnerungen…

Irgendwann im Februar des Jahres 1975 sind wir in unserer kleinen Moppedgruppe auf die Idee gekommen, einen Motorrad-WM-Lauf in Italien zu besuchen; das würde für uns alle die erste, richtig große Motorradtour werden!

Da wir unsere Maschinchen – bis auf Häsli mit seiner großen 500er Dreizylinder-Kawasaki – jeden Winter fast komplett zerlegten und neu aufbauten, waren die Moppeds mit Sicherheit gut gerüstet. Ob wir das ebenfalls waren, wird sich zeigen...

Die Ausgangslage Anfang April war hervorragend: die Forsythien blühten schon, und es war angenehm warm.

Tag 1

Donnerstag, 3. April 1975

Wir trafen uns in Mannheim-Seckenheim bei Karli, der sagte, dass er sich Gedanken über die Tour gemacht habe; also vertrauten wir ihm noch vor dem Anlassen der Moppeds blindlings und überließen alles ihm! Bequem, so was. Jedenfalls für mich; ich fahre gerne hinterher und überlasse die (Strecken-) Führung einem anderen – so kann ich die Umgebung voll und ganz genießen. Ob und wie viel sich etwas genießen ließ, werdet ihr in diesem Bericht erfahren…

Unsere Ausrüstung konnte sich sehen lassen: Die Moppeds waren voll bepackt mit zwei großen Zelten, Schlafsäcken (meiner war der alte blaue Sommerschlafsack), dazu natürlich allerhand Zeugs, das wir glaubten, irgendwann gebrauchen zu können: Unterwäsche, Socken, vielleicht einen Pulli, falls es kälter werden sollte; ich hatte sogar meine braunen, fast kniehohen gefütterten Wildlederstiefel eingepackt! Da ich keine warme Kleidung über der Lederkombi hatte, bekam ich von Karli eine gefütterte Baumwollhose aus Bundeswehrbestand; Regenzeug – sofern vorhanden – war auch dabei. Hatte jemand an Kochgeschirr gedacht?

Da Italien bekanntlich hinter der Schweiz liegt, von uns aus gesehen, machten wir dort mal eine Rast; die erste bisher! Wir düsten wirklich erbarmungslos durch die Deutschen Lande.

Irgendwo in der Schweiz: Hartmuts Mopped macht immer wieder Schwierigkeiten: Andauernd fällt der mittlere der drei Zylinder aus! Ich prüfe hier den Zündkerzenstecker. Auffällig: Rotes Lederzeug mit weißen Streifen muss damals sehr angesagt gewesen sein.

Ist die sonstige Ausrüstung nicht süß? Dieters Freundin im Synthetik-Pelzmantel und roter Lederjacke darunter – mit weißen Streifen, natürlich!!

In der Mitte: Ich mit einer hellen Übergangsjacke, perfekt für so eine Tour...

Rechts Dieter, der abcheckt, ob die eine Landjägerwurst noch länger ist als die andere.

Übernachtung irgendwo in der Schweiz; durch puren Zufall gefunden

Tag 2

Freitag, 4. April 1975

Hartmut (Häsli), mit dem ich ein Zimmer teilte, rannte zuerst an die Heizung und dreht sie auf. Danach verteilten wir unsere nassen Klamotten überall zum Trocknen und begaben uns in die Betten, deren Kissen richtig riesig waren, mit den erlesensten Daunen gefüllt (wie mir schien). Allerdings hatte ich die ganze Nacht – trotz der fülligen Auflage – doch recht gefroren.

Die Lösung am nächsten Morgen: Häsli, der Oberidiot, hatte die Heizung nicht auf-, sondern zugedreht!

Kann sich einer vorstellen, wie hässlich und eklig es ist, aus dem Bett in total nasse und kalte Klamotten zu steigen? Nur noch eine trockene Unterhose und ein T-Shirt waren in meinem Tankrucksack, aber die waren natürlich auch schon nach kurzer Zeit nass, nachdem ich meine Fahrklamotten darüber gezogen hatte. Nie war ich einem Mord so nahe wie an diesem Morgen! Befriedigenderweise ging es Häsli auch nicht anders. Er jammerte über sich selber und seine Dämlichkeit.

Unten am Frühstückstisch bildeten sich schon nach kurzer Zeit feuchte Stellen auf dem Fußboden; und beim Aufstehen, um endlich die Weiterfahrt anzutreten, quietschten meine Klamotten bei jeder Bewegung, und die vier Paar dicken und nassen Socken pro Fuß (die triefenden Wildlederstiefel hatte ich noch nicht an) bildeten äußerst peinliche Spuren...

Und so soll ich wieder hinaus in Wildnis, die eiskalte, und auf das Mopped steigen??

Mein Zorn und meine Laune waren unirdisch…

Trüber Blick am nächsten Morgen; Dieter und seine Freundin strahlen nicht gerade vor Freude. Und die anderen auch nicht. Ich schon überhaupt gar nicht, feucht und klamm bis auf die Haut… Ich friere schon vor der Abfahrt!

Weiter geht es! Bis zu den nächsten Haltepunkten:

Rast am Vierwaldstätter See:

Hier links der Autor dieser Erzählung

Noch eine Rast, irgendwo unterwegs

In Bologna (Italien) gab die Kawa von Häsli endgültig den Geist auf! Wir mussten eine neue Batterie besorgen.

Zum Glück fand dieses Unglück in einer Großstadt statt; aber dennoch war es ein kleines Abenteuer innerhalb dieses großen Abenteuers, einen Motorradladen zu finden. Karli hatte die Batterie ausgebaut, als Anschauung quasi, und ich fuhr mit: Mein zu dieser Zeit noch rudimentäres Italienisch half uns trotzdem, Passanten zu fragen und eine Werkstatt zu finden, die tatsächliche eine passende Batterie auf Lager hatte! Unwahrscheinliches Glück… Was wäre geworden, wenn nicht?

Zwangspause in Bologna. Außenseiterin: Heidi in blauem Outfit, aber immerhin mit weißen Streifen!

Nachmittags, endlich: Imola!

Meine Eintrittskarte: Insgesamt waren dort am Rennwochenende mehr als 150.000 Zuschauer dabei. Und ich war Nummer 64…

Als wir abgepackt hatten stellte sich heraus, dass eines der beiden Zelte unbrauchbar war; sein Besitzer hatte vergessen, nach dem letzten Regencamp im vorigen Sommer das Zelt auslüften zu lassen und es einfach so in den Keller gelegt. Ergebnis: Es stank wie die Pest, und außerdem war es innen und außen mehr grün-blau als orange: Der Schimmel hatte ganze Arbeit getan! So wurde also nur das helle Zelt aufgebaut, das man hier sehen kann; das andere ist – verzeiht bitte diese Ungeheuerlichkeit! – bei unserer Abreise irgendwo am Rande des Feldes ‚abgelegt’ und vergessen worden... Ich persönlich hätte natürlich das stinkende Ding wieder nach Hause transportiert, um es dort umweltgerecht zu entsorgen. Echt und ohne Schmarrn! Oder etwa nicht?!

An diesem Tag waren wir einkaufen, und ich aß die erste (und leider die letzte!) Eselssalami meines Lebens: ein Gedicht ohne Ende...

Abends und die halbe Nacht war dann Remmidemmi angesagt, das ganze Gelände war ein einziger Festplatz! Eine Menge an italienischen Mädchen interessierte sich für die Ausländer, und ich wurde genötigt, eines davon auf eine Probefahrt in die stockdunkle Gegend mitzunehmen – was einen Riesenspaß machte! Der Rest geht euch gar nix an…

Heidi schaut der spaßhaften Rangelei zwischen Dieter und Häsli zu.

Das helle Zelt ist unseres.

Als es dann Zeit wurde für einen erholsamen Nachtschlaf, ging die Problematik los: Wie sollten wir alle zusammen in diesem einen Zelt Platz finden?

Ich wollte mir das keinesfalls antun und beschloss, mich neben das Lagerfeuer zu legen! Diese Idee war nicht gerade der Hit, denn es hatte angefangen zu schneien, und ich hatte ja nur den Sommerschlafsack und nicht einmal eine Luftmatratze... Auch Heidis mehrmalige Bemühungen, mich in das Zelt zu schleifen, blieben erfolglos: Ich sah nur einmal hinein und dort keinen Platz mehr, außer am Fußende der anderen, quer direkt hinter dem Zelteingang (sofern die anderen ihre Knie einzogen). Nee nee, nicht mit mir! Sollen die doch ‚Löffelchen schlafen’, ich brauche meine Freiheit!

Ich legte mich also auf das zusammen gerollte, sonst nutzlose Zelt, ignorierte dessen Gestank, goss mir eine halbe Flasche Schnaps in den Hals und schürte das kleine Lagerfeuer; die ganze restliche Nacht lang... Dummerweise hatte mich auch noch das Mädel wieder gefunden, mit dem ich den kleinen Ausflug gemacht hatte – dessen Ergebnis euch ja nix angeht. Sie hatte nach meinem goldenen Mopped gesucht. So ganz ohne Zelt und Kuscheldecke verlor sie schon nach dem ersten Schluck aus meiner Pulle das Interesse; die erste ‚Begegnung’ wäre doch wesentlich hitziger gewesen; jetzt aber sei es doch aber zu eisig, selbst der Schaps...

Ich versuchte, mich schnapsnippelnd in irgendeinen Schlaf zu wiegen und gleichzeitig das Feuer neben mir in Gang zu halten. Was aber natürlich nur bedingt klappte: Lag ich mit meiner Vorderfront in Richtung kleines Lagerfeuer, das rund 90 Zentimeter vor mir glimmte, bekam ich ein heißes Gesicht und mein Hintern wurde echt arschkalt; drehte ich mich um, dann war's halt umgekehrt; außerdem konnte ich dieser rückwärtigen Position das Feuerlein nicht in Gang halten. So blieb mir nix anderes, als mich in der Art eines Brathendels ständig zu wenden und dabei die Glut wieder anzufächern, die nach jeder Rückwärtswendung das Interesse am Feuern verlor... So habe ich hier trotz allem etwas gelernt: Zeige nie einer Flamme die kalte Schulter!

Tag 3

Samstag, 5. April 1975

Diesen Morgen erlebte ich als Halbtoter, aber ich erlebte ihn!

Steifgefroren, verkatert ohne Ende, aber dummstolz, mich nicht erweichen gelassen zu haben, quälte ich mich aus dem feuchten Schlafsack zu einer herrlich heißen Tasse Kaffe. Also hatte doch jemand an Kochzeug gedacht!

Eigentlich wollte ich mich in das jetzt leere Zelt schleppen und dort sterben, aber das Schicksal meinte es schlimmer: Ich musste mit den anderen die Rennstrecke erkunden...

So düsten wir also um den Parcours, der vor dem ersten Trainingslauf freigegeben war für die privaten Motorräder. So richtig Spaß machte mir das allerdings nicht: Erstens wollte mein Maschinchen nicht schneller als knapp über 130 rennen, was für eine Rennstrecke definitiv zu langsam war, jedenfalls für mich. Und zweitens erschien mir der Belag unwahrscheinlich holprig, ich spürte jedes Schlagloch!