Strahlend schöner Morgen - James Frey - E-Book

Strahlend schöner Morgen E-Book

James Frey

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Beschreibung

Old Man Joe, der Trinker, das Ausreißerpärchen Dylan und Maddie, Amberton, der Filmstar, der heimlich Männer liebt, und die behütete Einwanderertochter Esperanza - sie sind die Hauptfiguren in diesem großen amerikanischen Gegenwartsroman über die Mega-City L.A. In ihren Geschichten entfaltet sich ein Kosmos urbanen Lebens, ein Kaleidoskop aus grellen und dynamischen Bildern, aus Sehnsüchten und zerstörten Träumen. Dylan liebt Maddie und ist mit ihr unterwegs nach L.A., Stadt der Hoffnung so vieler Menschen auf eine bessere Zukunft. Die Filmstars Amberton und Casey sind nur zur Tarnung miteinander verheiratet und ständig auf der Suche nach Sex und Bewunderung. Esperanza aus Mexiko verdient ihr Geld im Haushalt einer tyrannischen Lady und verliebt sich in deren Sohn. Der Obdachlose Old Man Joe entdeckt seine Mitmenschlichkeit, als er ein drogensüchtiges Mädchen zusammengeschlagen hinter einer Mülltonne findet. Sie und viele andere Figuren, die im Vorübergehen den Weg des Lesers kreuzen, ergeben das fesselnde Bild einer sich ständig wandelnden Metropole, seit Generationen Verheißung und Moloch zugleich. In L.A., der eigentlichen Hauptfigur, spiegeln Fakten und Fiktion einander im Rhythmus von Geschichte und Gegenwart, von Illusion, Liebe und Gewalt. Ein fulminant komponierter Roman über den unzerstörbaren American Dream. Entdecken Sie auch das Hörbuch zu diesem Titel! Filmmaterial zu James Frey und 'Strahlend schöner Morgen' finden Sie hier. Fotos zur Lesereise mit Daniel Haas und Fritzi Haberlandt finden Sie hier.

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Aus dem Amerikanischenvon Henning Ahrens

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein-taschenbuch.de

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2008unter dem Titel Bright Shiny Morningim Verlag HarperCollins, New York

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden

Die Übersetzung des Gedichts Sie geht in Schönheit(She Walks in Beauty) von Lord Byron auf S.187 besorgte Hans-Dieter Gelfert (in: Englische und amerikanische Dichtung, hrsg. von Werner von Koppenfels und Manfred Pfister, Bd.2 [Von Corneille bis Gerard de Neval], S.327f., München 2001). Der Abdruck der ersten Strophe erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlages C.H.Beck, München.

ISBN 978-3-550-92003-5

© 2008 James Frey© der deutschsprachigen Ausgabe2009 by Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinAlle Rechte vorbehaltenSatz und eBook: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

Vorsicht: Dies ist keine wahre Geschichte.

Bei unserem Aufbruch aus der Alten Welt leitete uns das Sonnenlicht.Christoph Columbus, 1493

Am 4. September 1781 gründet eine Schar von vierundvierzig Männern, Frauen und Kindern, die sich »die Pobladores« nennen, in der Nähe des Zentrums des heutigen Los Angeles eine Siedlung. Sie taufen sie auf den Namen »El Pueblo de Nuestra Señora la Reina de Los Ángeles de Porciúncula«. Zwei Drittel der Siedler sind freigelassene oder entflohene afrikanische Sklaven beziehungsweise direkte Nachkommen freigelassener oder entflohener afrikanischer Sklaven. Der Rest besteht zum Großteil aus amerikanischen Eingeborenen. Außerdem gibt es drei Mexikaner. Nur einer ist Europäer.

Sie können den Lichtschein aus hundert Meilen Entfernung sehen. Es ist Nacht, und sie fahren auf einem leeren Highway durch die Wüste. Sie sind seit zwei Tagen unterwegs. Sie sind in einer Kleinstadt in Ohio aufgewachsen, sie kennen sich, seit sie denken können, sie waren immer irgendwie zusammen, sie waren schon in einem Alter zusammen, in dem sie noch nicht wussten, was es heißt oder bedeutet, zusammen zu sein. Jetzt sind sie neunzehn. Sie nahmen Reißaus, als er sie zum Kino abholen wollte. Wie jeden Freitagabend. Sie mag romantische Komödien, er mag Actionfilme, manchmal haben sie Trickfilme geschaut. Sie hatten dieses wöchentliche Ritual mit vierzehn begonnen.

Sie hat geschrien, er hat sie schreien gehört, als er die Einfahrt erreichte. Er ist ins Haus gerannt, ihre Mutter schleifte sie an den Haaren über den Fußboden. Ihr Haar war büschelweise ausgerissen. Ihr Gesicht zerkratzt. Ihr Nacken aufgeschürft. Er wollte sie in Sicherheit bringen, und als ihre Mutter nicht abließ, schlug er ihre Mutter, als diese nicht aufhörte, schlug er sie noch einmal. Heftiger. Die Mutter gab Ruhe.

Er nahm seine Freundin in die Arme und trug sie zu seinem Auto, einem alten, unverwüstlichen amerikanischen Pick-up mit einer Matratze auf der Ladefläche und einem Zelt über der Matratze. Er setzte sie auf den Beifahrersitz, behutsam, deckte sie mit seiner Jacke zu. Sie schluchzte, blutete, es war nicht das erste Mal, es wäre nicht das letzte Mal. Er setzte sich hinter das Steuer, ließ den Motor an. Als er losfuhr, erschien die Mutter mit einem Hammer in der Tür und schaute ihnen nach. Die Mutter stand in der Tür, reglos, stumm, mit dem Blut ihrer Tochter unter den Fingernägeln, mit den Haaren ihrer Tochter auf Händen und Kleidern. Mit einem Hammer.

Sie lebten in einem östlichen Staat, in einem Nirgendwo, Irgendwo, Überall, in einer amerikanischen Kleinstadt voller Alkohol, Missbrauch und Religiosität. Er arbeitete in einer Autowerkstatt, sie stand in einer Tankstelle hinter dem Tresen, sie wollten heiraten, ein Haus kaufen und versuchen, bessere Menschen als ihre Eltern zu sein. Sie hatten Träume, nannten sie aber vor allem deshalb Träume, weil sie nichts mit der Realität zu tun hatten, weil sie ein fernes Unbekanntes waren, eine Unmöglichkeit, etwas, das nie Wirklichkeit werden würde.

Er hielt vor dem Haus seiner Eltern, die weiter unten in der Straße in einer Bar saßen. Er küsste sie, sagte ihr, sie solle sich keine Sorgen machen, verriegelte die Türen des Pick-ups und ging ins Haus. Im Badezimmer steckte er Aspirin und Pflaster ein, in seinem Zimmer holte er den Karton eines Videospiels aus der Schublade. Der Karton enthielt jeden Cent, den er besaß, insgesamt zweitausendeinhundert Dollar, die er für ihre Hochzeit gespart hatte. Er stopfte das Geld in die Tasche, er packte ein paar Kleider ein und verließ das Haus. Er stieg in den Pick-up. Sie weinte nicht mehr. Sie sah ihn an. Sie sprach.

Was tun wir jetzt?

Wir hauen ab.

Wohin?

Kalifornien.

Wir können doch nicht einfach so nach Kalifornien fahren.

Doch, können wir.

Sollen wir unser Leben hier aufgeben?

Das ist doch kein Leben. Wir sitzen hier in der Falle. Wir werden wie alle anderen enden – erbärmlich, besoffen und mies.

Und wovon sollen wir leben?

Denk mal scharf nach.

Wir verschwinden einfach nach Kalifornien und schauen dort, wie wir über die Runden kommen?

Ja, genau das werden wir tun.

Sie lachte, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.

Das ist ja verrückt.

Bleiben wäre verrückt. Abhauen ist klug. Ich will nicht, dass wir unser Leben vergeuden.

Unser?

Ja.

Sie lächelte.

Er parkte aus und bog nach Westen ab, fuhr in Richtung des Lichtscheins, der Tausende von Meilen entfernt war, er fuhr direkt auf den Lichtschein zu.

El Pueblo de Nuestra Señora la Reina de Los Ángeles de Porciúncula wuchs rasch, denn es gab reichlich Wasser und feste soziale Strukturen. 1795 war es die größte Siedlung in Spanisch-Kalifornien.

Old Man Joe bekam mit neunundzwanzig weiße Haare. Er war betrunken, es goss in Strömen, er stand am Strand und brüllte den Himmel an, der Himmel war unendlich, schwarz und stumm. Irgendetwas oder irgendjemand schlug ihm gegen den Hinterkopf. Er erwachte kurz vor der Dämmerung, um vierzig Jahre gealtert. Seine Haut war ledrig, trocken und lappig. Seine Gelenke schmerzten, er konnte die Hände nicht mehr ballen, das Aufstehen tat weh. Seine Augen waren hohl und eingesunken, Bart und Kopfhaar waren schlohweiß. Als er gebrüllt hatte, waren sie noch schwarz gewesen, nun waren sie weiß. Er war in vier Stunden um vierzig Jahre gealtert. Vierzig Jahre.

Joe lebt in einer Toilette. Die Toilette befindet sich in einer Gasse hinter einem Taco-Laden, der sich wiederum an der Promenade von Venice befindet. Der Eigentümer des Ladens lässt Joe dort wohnen, weil er Mitleid mit ihm hat. Solange Joe die Toilette sauber hält, solange die Kunden des Ladens sie während der Öffnungszeiten benutzen können, darf Joe dort übernachten. Er schläft auf dem Fußboden neben dem Klo. Er hat einen tragbaren Fernseher an den Türknauf gehängt. Er benutzt einen Kleiderbeutel als Kopfkissen, und er besitzt einen Schlafsack, den er tagsüber hinter einer Mülltonne versteckt. Er wäscht sich im Waschbecken, und er trinkt aus dem Wasserhahn. Er isst die Reste, die er im Müll findet.

Joe erwacht jeden Morgen kurz vor der Dämmerung. Er geht zum Strand, er legt sich in den Sand, und er wartet auf eine Antwort. Er sieht die Sonne aufgehen, sieht zu, wie der Himmel erst grau, dann silbern und weiß wird, sieht zu, wie sich der Himmel rosa und gelb färbt, der Himmel in Los Angeles ist fast immer blau. Er beobachtet, wie der Tag anbricht. Ein weiterer Tag. Er wartet auf eine Antwort.

Im Jahr 1797 gründet Pater Fermín Lasuén am Rand der Wüste im Norden des San-Fernando-Tals die Mission »San Fernando Rey de España«.

In San Bernardino, einer Stadt der Farmer und Trucker in der Wüste kurz vor dem Ostrand von Los Angeles County, wird der Verkehr dichter. Sie fahren auf einem sechzehnspurigen Highway, die Sonne ist aufgegangen, und beide sind müde, aufgeregt, verängstigt. Sie trinkt einen Kaffee und starrt auf die Karte, sie spricht.

Wohin fahren wir?

Sieht irgendetwas besonders vielversprechend aus?

Es ist so riesig. Ich steige nicht durch.

Los Angeles County ist die am dichtesten besiedelte Gegend in Amerika.

Woher weißt du das?

Ich habe den Durchblick, Mädchen. Ich habe in der Schule aufgepasst. Das solltest du inzwischen wissen.

In der Schule – na klar. Das weißt du aus dem Fernsehen, aus Jeopardy!

Vielleicht.

Nicht vielleicht. So ist es.

Ist doch egal. Wichtig ist nur, dass ich den Durchblick habe. Ich bin Mr. Durchblick.

Sie lacht.

Na schön, Mr. Durchblick, wenn Sie so viel wissen, können Sie mir ja vielleicht auch verraten, wohin wir fahren.

Nach Westen.

Sie muss wieder lachen.

Ich blicke da nicht mehr durch.

Wir fahren nach Westen, und wenn wir am Ziel sind, merken wir das schon.

Dann halten wir einfach an?

Jepp.

Und warten ab, was passiert?

Jepp.

Sobald wir es merken, wissen wir Bescheid?

So läuft das im Leben. Sobald man es merkt, weiß man, was Sache ist.

Sie sind neunzehn und verliebt. Sie haben nur noch einander. Sie haben keinen Job mehr, sie haben kein Zuhause mehr, sie suchen irgendetwas, irgendwo. Irgendwo hier.

Sie fahren auf einem sechzehnspurigen Highway.

Sie fahren nach Westen.

Im Jahr 1821 erlangt Mexiko durch den Vertrag von Córdoba die Unabhängigkeit von Spanien. Kalifornien wird jetzt von Mexiko verwaltet.

Putt-Putt-Bonanza. Klingt gut, oder? Putt-Putt-Bonanza. Rollt förmlich über die Lippen. Putt-Putt-Bonanza. Macht sich prima auf einem Schild, prima in einer Anzeige. Putt-Putt-Bonanza. Putt-Putt-Bonanza.

* * *

Ein Minigolfplatz im Turnierformat mit zweiundsiebzig Löchern (das US-Minigolf-Open wurde hier vier Mal ausgetragen). Eine Gokartbahn, die drei Kurven aus Monaco imitiert. Ein kristallblauer Teich für Bumper-Boats. Eine Halle von der Größe eines Footballfelds mit Videospielen und Flipperautomaten, ein Clubhaus, das Eiscreme, Pizza, Burger und Pommes frites anbietet, Toiletten, die sauberer und sicherer sind als die jeder anderen Attraktion im Los Angeles County. Fast ein Traum, vier Hektar groß und in der Stadt mit dem unpassenden Namen »City of Industry« gelegen, die vor allem aus Ranchhäusern im Stil der siebziger Jahre und Mini-Malls besteht. Fast ein Traum.

* * *

Wayne ist offiziell der erste Platzwart, aber in Wirklichkeit sammelt er nur den Müll aus den Löchern, Sand- und Wasserhindernissen. Dem siebenunddreißigjährigen Wayne ist jeder Ehrgeiz abhandengekommen. Er raucht gern Joints, trinkt gern Cream Soda, sieht gern Pornos. Er hat ein Büro hinter dem Clubhaus, ein kleines Kabuff mit Stuhl und Fernseher. Hinter dem Fernsehapparat hat er einen Stapel Zeitschriften und eine Digitalkamera mit hochwertigem Zoomobjektiv versteckt. Mit dieser Kamera filmt er die heißen Moms, die mit ihren Kindern das »Bonanza« besuchen. Das kann er nur machen, wenn sein Boss nicht da ist, und er versucht immer, die Kinder aus dem Bild zu lassen. Er hat jetzt zweitausenddreihundertfünfundvierzig Aufnahmen. Wayne wohnt in einem abgewrackten Haus in einem abgewrackten Viertel in der abgewrackten, zwanzig Minuten entfernten Hafenstadt San Pedro. Er lebt dort mit seiner dreiundsiebzigjährigen Mutter. Er glaubt zwar nicht an Gott, aber sofern er nicht zu zugedröhnt ist und es vergisst, fleht er ihn jeden Abend an, seine Mutter endlich zu sich zu holen.

* * *

TJ hat große Träume. Er ist vierundzwanzig Jahre alt und hat schon dreimal an den US-Minigolf-Open teilgenommen. Im ersten Jahr belegte er den einhundertzehnten Platz unter einhundertdreizehn Teilnehmern. Im nächsten Jahr schloss er als Sechsundsiebzigster ab. Beim dritten Mal wurde er Zwölfter. In diesem Jahr will TJ siegen, er will ab jetzt jedes Jahr siegen, um als bester Minigolfer aller Zeiten in die Geschichte einzugehen. TJ ist in der City of Industry aufgewachsen. Seine früheste Erinnerung gilt dem Schild des »Putt-Putt-Bonanza«, knallblau, knallgelb und strahlend weiß, das zwischen zwei Pfählen fünfundzwanzig Meter hoch in der Luft hängt. Mit fünf tauschte er das Zimmer mit seinem jüngeren Bruder, damit er vom Fenster aus das Schild sehen konnte. Mit zwölf begann er umsonst als Waynes Helfer zu jobben, weil er so unentgeltlich spielen konnte. Mit vierzehn gewann er die Junior Nationals, und von den folgenden vier Nationals gewann er drei, das letzte mit einem eigentlich undurchführbaren Schlag durch eine Windmühle, über eine Brücke und eine Schiene, die einen Wasserfall überquerte. TJ spielt jeden Tag sechs Stunden Minigolf. Nachts arbeitet er als Parkplatzwächter. Im nächsten Jahr möchte er gern an der Minigolf-Pro-Tour teilnehmen, die circa zehn Vollzeitspieler finanziert. Wenn er einen der ersten fünf Plätze belegt, wird er dabei sein, das weiß er. Aber es reicht ihm nicht, einer der ersten fünf zu sein. TJ hat große Träume. Er will Geschichte schreiben.

* * *

Renee verkauft Eiscreme im Clubhaus. Ihr Job kotzt sie an. Sie ist siebzehn, und eigentlich will sie nur weg. Weg vom »Putt-Putt-Bonanza«, weg aus der City of Industry, weg von ihrem Vater, der tagsüber in einer Raketenfabrik arbeitet und sich jeden Abend vor dem Fernseher besäuft. Als Renee sechs Jahre alt war, starb ihre Mutter. Sie starb bei einem Autounfall auf der 110, dicht bei Long Beach. Ihr Vater ist nie darüber hinweggekommen. Manchmal hört Renee, wie er weint, wenn er sich allein glaubt. Renee kann sich kaum an ihre Mutter erinnern, aber auch sie ist nie über ihren Tod hinweggekommen. Sie weint nicht, sie will nur weg, so weit weg wie möglich, so schnell wie möglich, weg, weg, weg.

* * *

Er heißt Emeka Ladejobi-Ukwu. Emeka ist ein Wort aus der südnigerianischen Igbo-Sprache und bedeutet »große Taten«. Seine Eltern wanderten 1946 aus, damals war er vier Jahre alt. Sie kamen nach Kalifornien, weil sein Vater Obst über alles liebte und gehört hatte, in Los Angeles gebe es das beste Obst Amerikas. Die Familie wohnte in Hollywood, und sein Vater arbeitete als Hausmeister in einem Kaufhaus. Emeka hatte noch vier Brüder, alle älter als er. Als er sechs wurde, nannte sein Vater ihn Barry und änderte den Familiennamen in Robinson, zu Ehren Jackie Robinsons, der im Jahr zuvor als erster Farbiger die Rassenschranke beim Baseball durchbrochen hatte. Alle vier Jungen wurden in dem Glauben erzogen, dass in Amerika alles machbar war, dass es tatsächlich das Land der unbegrenzten Möglichkeiten war, dass ihnen alle Türen offenstanden. Einer wurde Lehrer, einer Polizist, der dritte besaß einen Gemischtwarenladen. Emeka, nun Barry genannt, hatte einen anderen Traum: Er wollte der Mittelschicht Unterhaltung und Spaß zu erschwinglichen Preisen bieten. Als er seinem Vater zum ersten Mal von diesem Traum erzählte, war er elf. Die ganze Familie hatte sich zum Sonntagsessen versammelt. Barry stand auf, sagte, er wolle eine Erklärung abgeben, und bat um Ruhe. Sobald Ruhe eingetreten war, sagte er: Liebe Familie, ich weiß jetzt, welchen Traum ich habe, ich will der Mittelschicht Unterhaltung und Spaß zu erschwinglichen Preisen bieten. Im ersten Moment herrschte Totenstille, dann brachen alle in lautes Gelächter aus. Barry blieb stehen und wartete, bis das Lachen abebbte. Das dauerte mehrere Minuten. Als wieder Stille eingekehrt war, sagte er: Ich werde nicht ablassen, ich werde meinen Traum verwirklichen.

Barry hatte es nicht leicht in der Schule. In seiner gesamten Schulzeit bekam er nur ein A, und zwar im Sportunterricht in der achten Klasse. Nach dem Highschool-Abschluss nahm er einen Job als Bauarbeiter an. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen spezialisierte er sich nicht auf einen Bereich. Er war als Zimmermann, Dachdecker, Maler, Elektriker und Klempner tätig. Er lernte, Teppiche zu verlegen und Zement zu gießen. Er sparte sein Geld. Er fuhr einen schrottreifen, zwanzig Jahre alten Chevy, er lebte in einer Einzimmerwohnung mit Bad im Flur. Jeden Abend vor dem Einschlafen lag er im Bett und träumte, lag im Bett und träumte.

1972 fand er das passende Stück Land. Es lag an einer großen Straße und war gleich weit von der 10 (dem San Bernardino Freeway), der 605 (dem San Gabriel River Freeway) und der 60 (dem Pomona Freeway) entfernt. City of Industry war eine solide Mittelschicht-Enklave, die von anderen soliden Mittelschicht-Enklaven umgeben war: Whittier, West Covina, Diamond Bar, El Monte, Montebello. Das Land war flach und frei. Der Eigentümer hatte eine Mini-Mall bauen wollen, war aber zu der Einsicht gelangt, dass die Konkurrenz zu groß war.

Barry entwarf alle vier Minigolfplätze selbst. Sie sollten unterhaltsam für Erwachsene und herausfordernd für Kinder sein. Jedes der zweiundsiebzig Löcher war anders, es gab keine einzige Wiederholung. Er legte in jeder Richtung Doglegs an. Er baute Rampen, Hügel und alle möglichen Hindernisse. Einer der Plätze hatte ein Zoo-Thema, und zu jedem Loch gehörten lebensgroße Tiere. Ein anderer Platz hatte die berühmten Löcher echter Golfplätze zum Vorbild. Der dritte basierte auf bekannten Filmen, und auf dem vierten, den er »Das Spektakulum!!!« nannte, setzte er seine gewagtesten Einfälle um. Er entwarf alles selbst. Er goss den Zement mit Arbeitskollegen. Er verlegte den Kunstrasen, er strich alles eigenhändig. Er war ein Perfektionist, achtete darauf, dass alles hundertprozentig seinen Vorstellungen entsprach, und schuftete in jeder freien Minute auf seinen Golfbahnen. Er brauchte zwei Jahre für die Fertigstellung.

Die Eröffnung des Minigolfplatzes fand an einem Donnerstag statt. Damals gab es weder Clubhaus noch Arkade, weder Gokarts noch Boote oder Parkplatz. Das Schild gab es auch nicht. Barry saß vor dem Eingang auf einem Klappstuhl an einem Tisch mit einem Kasten für das Geld und verkaufte die Karten. Er gab jedem Besucher die Hand. Insgesamt waren es neun. Am Eröffnungstag verdiente er dreizehn Dollar fünfzig. Er war begeistert. Er saß jeden Tag am Eingang. Er hatte immer mehr Besucher. Er sparte jeden Cent seiner Einnahmen und schmiedete Pläne für die Zukunft. Nach drei Monaten hatte er genug Geld zusammen, um den Tisch durch ein Kartenhäuschen ersetzen zu können. Nach acht Monaten legte er einen Parkplatz an. Er war noch nicht umgezogen und fuhr immer noch das alte Auto. Er trug ein Hemd, das hinten die Aufschrift »Putt-Putt-Bonanza« und vorn seinen Namen trug.

Die Sache sprach sich bald in der Gegend herum. Die Leute mochten die Golfbahnen, sie mochten Barry, und sie wussten gute und erschwingliche Unterhaltung zu schätzen. Achtzehn Monate nach der Eröffnung legte Barry die Gokartbahn an, danach kamen Arkade und Bumper-Boats. 1978 errichtete er das Clubhaus, das den Clubhäusern der Country Clubs in der Gegend in nichts nachstand. Für ihn war es der krönende Abschluss.

Die Achtziger waren die »Boom-Jahre«. Das »Putt-Putt-Bonanza« war dreihundertfünfundsechzig Tage im Jahr rappelvoll. Videospiele wurden zum kulturellen Phänomen, vor allem Space Invaders, Pac-Man und Donkey Kong. Das »Putt-Putt-Bonanza« war ein zentraler Drehort eines der populärsten Filme des Jahrzehnts, The Karate Kid, was die Beliebtheit von Minigolf und die Beliebtheit des »Bonanza« ins Unermessliche steigerte. Barry veranstaltete Gokartrennen, führte Familientage mit ermäßigten Preisen ein, reservierte einen Teil des Clubhauses für Geburtstagsfeiern. Er steckte seinen Verdienst zum großen Teil in die Renovierung oder Verbesserung der Anlagen, konnte aber auch ansehnliche Rücklagen bilden. Die achtziger Jahre waren für Barry die Verwirklichung eines Traums, eine Zeit, in der seine Vision zu hundert Prozent Realität wurde. Die Angehörigen der Mittelschicht, die ihm die Bude einrannten, verehrten ihn regelrecht. Doch mit Beginn der neunziger Jahre war es, als hätte man einen Hebel umgelegt. Die Besucherzahl nahm ab, die Gäste wirkten unzufrieden. Die Kinder trugen schwarze T-Shirts und zogen grimmige Gesichter, spuckten auf den Boden, fluchten und rauchten. Die Eltern machten einen depressiven Eindruck und waren nicht mehr so spendabel. Die Schäden auf den Minigolfplätzen, meist aus Versehen entstanden, häuften sich, kleine Kinder stritten am Bootsteich, die neuen Videospiele drehten sich um Waffen und Tod. Barry ging davon aus, dass es eine Phase war. Bald würden wieder bessere Zeiten anbrechen.

Das »Bonanza« warf genug Geld ab, um weiter geöffnet zu sein, aber Barrys hohe Ansprüche hatten zur Folge, dass er ans Eingemachte musste. Das Jahrzehnt schleppte sich weiter dahin, die Lage verbesserte sich nicht, und seine Ersparnisse waren bald aufgebraucht. 1984 war er aus der Einzimmerwohnung in eine kleine, ein paar Meilen vom »Putt-Putt-Bonanza« entfernte Ranch gezogen. Er nahm ein zweites Darlehen auf das Haus auf, um den Minigolfplatz weiter betreiben zu können. Der Internetboom sorgte für ein Wiederaufleben der goldenen Zeiten, aber sie waren schnell vorbei. Und die Kinder wurden immer schlimmer, lauter, grober und dreister. Manchmal erwischte er sie mit Alkohol oder Marihuana, und ab und zu ertappte er Teenager, die sich in einer der Toiletten im Clubhaus befummelten.

Barry geht immer noch täglich zur Arbeit, und er ist immer noch stolz auf das »Putt-Putt-Bonanza«. Doch er weiß, dass sein Traum im Grunde ausgeträumt ist. Ende des Jahres wird er die Gokartbahn und den Teich für die Bumper-Boats schließen, weil die Versicherungskosten inzwischen zu hoch sind und weil er weiß, dass ihn ein Prozess ruinieren würde. Die Arkade mit den Videospielen betritt er nicht mehr, weil es nur noch um Waffen und Tod, Explosionen und Krach geht. Seine Angestellten pfeifen auf ihren Job und wechseln so oft, dass das Clubhaus manchmal nicht geöffnet werden kann. Manche Bahnen haben Risse im Zement, er kann gar nicht so schnell jäten, wie das Unkraut wächst, und er stellt mindestens zweimal pro Woche fest, dass jemand in die Wasserhindernisse gepinkelt hat. Da er keine Ersparnisse mehr hat, kann er nichts reparieren. Er hat weiter geöffnet, aber mehr kann er nicht tun.

Ein Investor hat Barry ein Kaufangebot für das »Putt-Putt-Bonanza« gemacht. Er will alles abreißen und eine Mini-Mall bauen lassen. Mit dem Geld könnte Barry die Darlehen tilgen, die er auf sein Haus aufgenommen hat, und in einen relativ bequemen Ruhestand gehen. Barrys Brüder raten ihm zum Verkauf, sein Steuerberater rät ihm zum Verkauf, sein gesunder Menschenverstand und sein Kopf raten ihm zum Verkauf. Sein Herz sagt nein. Immer, wenn er seinem Herzen Gehör schenkt, sagt es nein, nein, nein. Den ganzen Tag, jeden Tag schreit sein Herz: Nein!

Barry sitzt jeden Abend vor dem Einschlafen im Bett und blättert in einem Fotoalbum, das er auf seinem Nachttisch aufbewahrt. Es dokumentiert die Geschichte seines Lebens im »Putt-Putt-Bonanza«. Das erste Foto zeigt ihn, als er den Kauf des Landes per Handschlag mit dem alten Besitzer besiegelt. Dann folgen die Planungsphase, die sich meist an einem Tisch im Haus seiner Eltern abspielte, und der Bau, bei dem ihm viele alte Freunde halfen. Ein Schnappschuss zeigt ihn am Eröffnungstag strahlend hinter seinem Kartentisch, andere Fotos zeigen ihn während der Erweiterungsphasen und gemeinsam mit lächelnden Besuchern, fröhlichen Kindern, zufriedenen Eltern. Ungefähr in der Mitte des Albums gibt es ein Foto, das ihn mit den Stars aus The Karate Kid zeigt: einem alten Japaner, einem jugendlichen Italo-Amerikaner und einer blonden Naiven, die später für einen Oscar nominiert wurde. Sie stehen vor dem Eingang, hinter ihnen leuchtet das Schild des »Putt-Putt-Bonanza«. Zum Zeitpunkt der Aufnahme war Barry zweiundvierzig Jahre alt. Er war auf dem Höhepunkt seines Berufslebens, seine Träume waren Wirklichkeit geworden, und er war glücklich. Wenn er bei diesem Foto angelangt ist, hält er inne und betrachtet es lange. Er lächelt, obwohl er weiß, dass es nie mehr so sein wird, dass die Welt nicht mehr braucht, was er zu bieten hat und woran sein Herz hängt, sein Lebenswerk, das er eigenhändig erbaut und gepflegt hat. Sein Kopf sagt: Lass los und verkaufe. Sein Herz sagt nein. Sein Herz sagt nein.

Irgendwann um 1830 wurde die Siedlung El Pueblo de Nuestra Señora la Reina de Los Ángeles de Porciúncula wegen ihres langen und schwierigen Namens nur noch »Ciudad de Los Angeles« genannt.

Amberton Parker.

In Chicago als Spross einer einflussreichen, durch die Fleischwarenproduktion zu Reichtum gelangten Familie geboren.

Studiert in St. Paul’s, Harvard.

Geht nach New York, erhält gleich beim ersten Vorsprechen eine Hauptrolle in einem Broadwaystück. Das Stück wird von den Kritikern bejubelt und gewinnt zehn Tony-Awards.

Dreht ohne die Unterstützung eines großen Studios einen Film und gewinnt einen Golden Globe.

Dreht ein Action-Drama über amerikanische Korruption im Mittleren Osten. Der Film spielt einhundertfünfzig Millionen Dollar ein, wird für einen Oscar nominiert.

Geht mit einer Schauspielerin, der berühmtesten (!!!) Schauspielerin der Welt. Geht mit einer Debütantin, einer Schwimmerin, die bei den Olympischen Spielen sechs Goldmedaillen gewann, geht mit einer Primaballerina.

Spielt in zahlreichen Actionfilmen die Hauptrolle. Stoppt Terroristen, verrückte Wissenschaftler und Banker, die die Weltherrschaft an sich reißen wollen. Tötet einen Osteuropäer, der im Besitz einer Nuklearwaffe ist, einen Araber mit Biowaffe, eine südamerikanische Verführerin mit der schlimmsten Droge, die es je gab. Wenn sie böse sind und Amerika bedrohen, tötet er sie. Er macht sie fertig. Ein für alle Mal.

Zum Beweis seiner Vielseitigkeit nimmt er Rollen in einem Tanzfilm, einem Mafiafilm, einem Sportfilm an. Für die Rolle eines aufrechten Entdeckungsreisenden, der sich in eine hinreißend schöne Squaw verliebt und eine gemischtrassige, improvisierte Rebellion gegen einen korrupten König anführt, bekommt er einen Oscar.

Er heiratet eine junge Schönheit aus Iowa. Sie ist ein Filmstar aus der zweiten Reihe, rückt aber bald nach der Hochzeit in die erste Reihe auf.

Sie haben drei Kinder, die sie vor der Öffentlichkeit abschirmen.

Er gründet eine Stiftung. Er nimmt an den obligatorischen Talkshows teil. Er widmet sich Bildung und Frieden. Er spricht wortgewandt über die Bedeutung und Notwendigkeit von Transparenz und Ehrlichkeit in unserer Gesellschaft.

Er schreibt ein Buch über sein Leben, seine Lieben, seine Überzeugungen. Es verkauft sich zwei Millionen Mal.

Er ist ein amerikanischer Held.

Amberton Parker.

Ein Symbol für Wahrheit und Gerechtigkeit, Ehrlichkeit und Integrität.

Amberton Parker.

Offiziell heterosexuell.

Insgeheim homosexuell.

Nach zweijährigen Feindseligkeiten schließen Mexiko und die Vereinigten Staaten 1848 den Vertrag von Guadalupe Hidalgo, der die Eingliederung Kaliforniens in die USA vorsieht.

Bei ihrer Geburt waren ihre Eltern gerade einmal zwanzig Meter hinter der Grenze, ihre Mutter Graciella lag im Dreck und schrie, ihr Vater Jorge zerbrach sich den Kopf darüber, wie er sie retten konnte. Jorge besaß ein Taschenmesser. Er durchtrennte die Nabelschnur, entfernte die Plazenta, das Baby begann zu weinen, Jorge begann zu weinen, Graciella begann zu weinen. Jeder hatte seine Gründe. Angst, Leben, Schmerz, Erleichterung, Chancen, Hoffnung, das Bekannte, das Unbekannte. Sie weinten.

Es war ihr fünfter Versuch, die Grenze zu überqueren. Man hatte sie zweimal erwischt, zweimal zurückgeschickt, zweimal war Graciella unterwegs erkrankt. Sie stammten aus einem kleinen Bauerndorf in Sonora, das langsam vor die Hunde ging. Die Höfe verschwanden, die Leute zogen weg. Im Norden gab es eine Zukunft. Im Norden gab es Jobs. Im Norden gab es Geld.

Irgendjemand aus ihrem Dorf hatte ihnen erzählt, dass ihr Kind amerikanischer Staatsbürger wäre, wenn es auf amerikanischem Boden geboren würde. Wenn ihr Kind ein amerikanischer Staatsbürger war, durften sie bleiben. Wenn sie bleiben durften, hatten sie vielleicht eine Zukunft.

Als sie das Baby säuberten, kam ein Wagen der Border Patrol angefahren, ein Mann hinter dem Lenkrad eines Jeeps, mit einer Pistole an der Hüfte, einem Cowboyhut auf dem Kopf. Er stieg aus dem Auto, musterte sie, erblickte das Kind, sah das Blut auf Graciellas Beinen, sah den wie versteinert dasitzenden Jorge. Er stand da und starrte sie an. Niemand rührte sich. Das Blut floss weiter.

Er ging zum Jeep und öffnete die Hecktür.

Einsteigen.

No hablamos inglés.

Usted aprende mejor sí usted desea hacer algo de se en este país.

Sí.

Einsteigen.

Er zeigte auf die Rückbank, half ihnen ins Auto, sorgte dafür, dass sie es bequem hatten, schloss die Tür und fuhr so schnell wie möglich durch die Wüste. Jorge zitterte vor Angst, er wollte nicht wieder zurückgeschickt werden. Graciella zitterte vor Angst, denn sie konnte nicht glauben, dass sie ein Kind im Arm hatte. Das Baby schrie.

Die Fahrt zum nächsten Krankenhaus dauerte eine Stunde. Der Jeep hielt vor der Notaufnahme, der Mann half der frischgebackenen Familie aus dem Auto, brachte sie zur Tür. Bevor sie hineingingen, sah er den Vater an, sprach.

Willkommen in Amerika.

Gracias.

Ich hoffe, eure Wünsche gehen in Erfüllung.

Gracias.

Sie tauften das Kind auf den Namen Esperanza. Sie war klein, genau wie ihre Eltern, und sie hatte einen schwarzen Lockenkopf, genau wie ihre Eltern. Sie hatte helle, fast weiße Haut und dunkle, fast schwarze Augen, und sie hatte außergewöhnlich dicke Oberschenkel, fast karikaturhaft dick und wie aufgeblasen. Sie war ein einfaches Baby. Sie lächelte und kicherte ununterbrochen, weinte so gut wie nie, schlief gut, aß gut. Wegen gewisser Komplikationen, die zum Teil an der Geburt in der Wüste und zum Teil an den riesigen Oberschenkeln des Babys lagen, konnten Jorge und Graciella keine weiteren Kinder bekommen. Deshalb klammerten sie sich noch stärker an ihre Tochter, waren noch zärtlicher zu ihr, liebten sie noch mehr, mehr als sie für möglich gehalten hatten, mehr als sie sich je vorgestellt hatten.

Die Familie zog drei Jahre durch Arizona. Jorge pflückte auf Farmen Zitronen, Tangelos, Orangen und Nektarinen, und Graciella, die immer die lächelnde, kichernde Esperanza dabeihatte, putzte die Häuser der wohlhabenden weißen Oberschicht. Sie lebten einfach, wohnten meist in billigen, nur mit dem Allernotwendigsten ausgestatteten Einzimmerwohnungen: ein gemeinsames Bett, ein Tisch, eine Kochplatte, ein Waschbecken, eine Toilette. Sie sparten so viel wie möglich, sie horteten jeden Dollar, sie zählten und achteten jeden Cent, denn ihr Ziel war ein eigenes Haus. Das war der Traum: eine amerikanische Tochter, ein amerikanisches Heim.

Es verschlug sie nach Norden, nach Kalifornien. Farmen für Südfrüchte gab es überall, und überall gab es Häuser, die geputzt werden mussten. Und überall gab es Mexikaner, die in der gleichen Lage waren, die gleichen Träume hatten, den gleichen Fleiß, den gleichen Wunsch nach einem besseren Leben. Zwei Jahre später zogen sie nach Los Angeles, die Stadt mit der größten mexikanischen Gemeinde in den Vereinigten Staaten. Sie wohnten in der Garage eines Mannes, dessen Cousin aus ihrem Dorf stammte. Sie schliefen auf einer Matratze auf dem Fußboden, machten ihre Geschäfte in einen Eimer, den sie in den Gully entleerten. Sie hofften, dass es nur eine Übergangslösung war, sie waren auf der Suche nach einem eigenen Haus. Sie wussten nicht, was sie sich leisten konnten, falls sie sich überhaupt etwas leisten konnten, sie wussten nicht, wo sie ein Haus kaufen konnten, wo sie mit der Suche beginnen sollten, sie wussten nur, was sie wollten, sie wollten ein Eigenheim. Diesen Willen hatten sie.

Da sie kein Auto besaßen, fuhren sie mit dem Bus durch East L.A., sahen sich in Echo Park um, in Highland Park, Mt. Washington, Bell Garden, Pico Rivera. Sie fanden nichts Erschwingliches und kamen schließlich nach Boyle Heights, damals, 1979, die gefährlichste Ecke von East L.A. Dort fanden sie ein verlottertes kleines Haus mit wackeliger Garage. Die letzten Besitzer hatten versucht, es in Brand zu stecken, im Glauben, es wäre von einem Dämon besessen, doch es brannte nicht, sie versuchten es drei Mal, es wollte nicht brennen, und deshalb änderten sie ihre Meinung und glaubten, Gott halte seine schützende Hand darüber. Doch so oder so – sie hatten zu viel Angst, um weiter darin wohnen zu können, und wollten es loswerden. Sie staunten über Esperanzas Schenkel, fast so dick wie die einer Erwachsenen, sie waren bezaubert von ihrem Lächeln und ihrem Kichern, sie erklärten sie zu einem Kind des Herrn und verkauften Jorge und Graciella das Haus für achttausend Dollar, haargenau die Summe, die beide ihr Eigen nannten. Als die Vorbesitzer das Haus nach der Unterzeichnung des Kaufvertrags verließen, fiel Jorge auf die Knie und weinte. Amerikanische Tochter. Amerikanisches Heim. Amerikanischer Traum.

Einen Monat später zogen sie ein. Sie hatten nur ihre Kleider und ein paar abgewetzte Decken, und Esperanza besaß eine Puppe namens Lovie. Sie hatten keine Möbel und keine Betten, weder Geschirr noch Besteck, noch Tassen, Töpfe oder Pfannen, weder ein Auto noch ein Radio oder einen Fernseher. Am ersten Abend in ihrem Haus kaufte Jorge eine Tüte Grape Soda und ein paar Pappbecher, Graciella besorgte einen Früchtekuchen. Sie tranken Soda und aßen Kuchen. Esperanza lief durchs Haus und wollte wissen, was sie mit all den Zimmern anfangen wollten, sie fragte, ob es ein Haus oder ein Schloss sei. Jorge und Graciella saßen da, lächelten und hielten Händchen. Sie schliefen im Wohnzimmer auf dem Fußboden, alle drei unter einer Decke, Vater, Mutter und Tochter, alle zusammen unter einer Decke.

Am 18. Februar 1850 entsteht das Los Angeles County, eines der ursprünglichen siebenundzwanzig Countys Kaliforniens. Am 4. April 1850 wird die Stadt Los Angeles in das County eingegliedert. Am 9. September 1850 wird Kalifornien zum einunddreißigsten Staat der Union ausgerufen.

Die Dämmerung verblasst, die Sonne geht auf. Old Man Joe hat immer noch keine Antworten. Nie gibt es Antworten, es hat nie Antworten gegeben, und er fragt sich, ob es je welche geben wird, doch er wird weiter jeden Morgen zum Strand gehen, so lange, bis er endlich Antworten bekommen hat oder von dieser Welt verschwunden ist.

Er steht auf, bürstet den Sand von Armen und Beinen, kehrt zu seiner Toilette zurück, die er tagsüber nur noch aufsuchen wird, um seine Notdurft zu verrichten.

Nachdem er seine Habseligkeiten eingepackt und versteckt hat, nimmt er ein Frühstück zu sich, das meist aus den Resten des mexikanischen Essens vom letzten Abend besteht. Doch er tauscht oft mit anderen Obdachlosen, die in der Nähe der Mülltonnen einer Pizzeria, eines chinesischen Restaurants, der Filiale einer Burgerkette oder, seltener, in der Nähe eines Hotdog-Stands leben. (Nach zwölf Stunden im Freien sind die Hotdogs allerdings manchmal ungenießbar.) Nach dem Frühstück holt er sich einen Kaffee, den er vom Besitzer einer Kaffeebude im Tausch gegen Tipps in Sachen Frauen bekommt. Fast jeder Rat, den er dem Mann gibt, fußt auf der Vorstellung, dass man attraktiver ist, wenn man die Frau ignoriert. Diese Taktik geht zwar ab und zu nach hinten los, aber im Großen und Ganzen funktioniert sie so gut, dass Old Man Joe seit mehreren Jahren kostenlos mit Getränken versorgt wird.

Joe geht mit dem Kaffee in der Hand die fünfzehn Blocks bis zum Venice Pier, der am Ende des Washington Boulevards liegt und die Grenze zwischen Venice und Marina del Rey markiert. Er geht bis zur Spitze des Piers, der siebzig Meter in den Pazifik ragt, und kehrt dort wieder um. Manchmal bleibt er auch an der Spitze stehen und sieht den Surfern zu, die auf beiden Seiten die sich an den Pfeilern des Piers brechenden Wellen ausnutzen. Beim Gehen versucht er, ein wenig Frieden zu finden und nur an den nächsten Schritt zu denken, den nächsten Schritt, den nächsten Schritt, bis seine Gedanken ganz erlahmen. Aber das klappt meist nicht, und er ertappt sich immer wieder bei den Gedanken an den üblichen Mist: Was esse ich heute, wie viel Geld bekomme ich von den Touristen, wann fange ich an zu trinken?

Nach dem Spaziergang setzt Joe sich auf eine Bank, die auf einem zentralen Abschnitt der Promenade steht. Sobald er es sich auf der Bank bequem gemacht hat, bettelt er die Touristen um Geld an, bis er genug hat, um sich betrinken zu können.

Im Jahr 1856 versucht der mexikanische Nationalist Juan Flores eine Revolution anzuzetteln, um Los Angeles zu befreien und den Süden Kaliforniens wieder unter mexikanische Herrschaft zu bringen. Er wird verhaftet und vor dreitausend Schaulustigen im damaligen Stadtzentrum gehenkt.

Im zweiten Zusatzartikel zur amerikanischen Verfassung ist Folgendes zu lesen: Da eine wohlorganisierte Miliz zur Wahrung der Sicherheit eines freien Staates unverzichtbar ist, unterliegt das Recht der Bürger auf den Besitz und das Tragen von Waffen keinerlei Einschränkungen.

* * *

Ein hässliches Gebäude in Culver City. Unscheinbar und öde. Umgeben von verlassenen Fabriken, Lagerhäusern, leeren Parkplätzen, Autowerkstätten. Rundum mit Stacheldraht gesichert. Zwei Türen vor dem einzigen Zugang, der zugleich der Ausgang ist, die eine aus Stahlstäben, die andere ganz aus Stahl. Auf dem Dach zeichnen Sicherheitskameras alles auf, was auf dem Boulevard vor sich geht, jeden, der das Gebäude durch die Türen betritt und verlässt. Die Außenwände sind mit Aluminium verschalt, und hinter dem Aluminium befindet sich eine Betonschicht von einem halben Meter Dicke, die verhindern soll, dass ein Fahrzeug, jede Art von Fahrzeug außer einem Panzer, die Wand durchbricht. Man muss auf der Straße parken.

* * *

Larry steckt voller Hass. Er ist ein fieses, mieses Arschloch, und er hasst jeden. Er hasst Schwarze, Latinos, Asiaten, er hasst Frauen und Schwule, er hasst Juden und Araber, er hasst diese Araber wie die Pest. Larry ist weiß. Doch anders als viele weiße Rassisten ist Larry kein Herrenmensch. Denn er hasst auch die Weißen, er hasst sie genauso, wie er jeden hasst, und manchmal noch mehr, weil er einer von ihnen ist. Auf die Frage, warum er Weiße hasst, gibt Larry immer die gleiche Antwort: Wenn ich mich zwischen dem Abknallen eines weißen Arschlochs oder eines Arschlochs mit dunkler Hautfarbe entscheiden müsste, würde ich beide Rücken an Rücken hinstellen, damit ich sie mit einer Kugel erledigen könnte. Als seine Mutter diese Worte zum ersten Mal hörte, lobte sie seine Klugheit. Er erwiderte, sie solle die Fresse halten, er hasse sie auch.

Larry ist ein Waffennarr. Ein fanatischer Anhänger und Verfechter des Rechts auf privaten Waffenbesitz. Larry besitzt über vierhundert Knarren. Handfeuerwaffen, Jagdgewehre, Schrotflinten, Sturmgewehre, Maschinengewehre, Scharfschützengewehre. Er bewahrt sie in einem gesicherten Kellerraum seines Hauses auf, das ein paar Wohnblöcke von seinem Laden entfernt ist. In diesem mit Plastiksprengstofffallen gesicherten Raum, den er Waffenkammer nennt, hortet er außerdem über zehntausend Schuss Munition.

Larry ist Eigentümer des Gebäudes. Er hat es in den frühen 1980ern gekauft und seinen Vorstellungen gemäß umbauen lassen. Er ist auch Besitzer und Betreiber des im Gebäude befindlichen Waffenladens. Der Laden heißt offiziell – laut den amtlichen Formularen für sein Gewerbe und der Lizenz zum Waffenverkauf – »Larry’s Firearms«. Doch Larry nennt ihn insgeheim: »Der Ort, wo ich Scheiße zum Abknallen von Leuten verkaufe«.

Larry hat keinen Zweifel an der Motivation seiner Kunden. Ihm ist es egal, ob die Leute aus Selbstverteidigung oder blinder Aggression töten, denn das Ergebnis ist immer gleich, ein armes, totes Arschloch, das im Leichenschauhaus landet. Obwohl Larry fast alle seine Kunden aus diesem oder jenem Grund hasst, macht er keine Unterschiede. Solange es keine vorbestraften Verbrecher sind und solange er ihnen legal eine Schusswaffe verkaufen kann, ob Pistole, Gewehr oder Schrotflinte, ob Revolver, Einschüsser oder halbautomatische Waffe, die mit ein paar Handgriffen zur vollautomatischen Waffe umfunktioniert werden kann, kassiert er das Geld und reicht das Gewünschte über die Ladentheke.

Was sie mit den Waffen anfangen, mit denen sie seinen Laden verlassen, kratzt ihn nicht weiter. Doch er weiß, dass Waffen bei richtigem Gebrauch ihren Zweck erfüllen, und dieser Zweck besteht darin, Menschen abzuknallen, all jene Arschlöcher umzunieten, die er hasst, die Welt von ihnen zu befreien, und darauf ist er stolz. Rasse, Religion, Geschlecht oder sexuelle Vorlieben sind ihm egal. Er hasst alle gleichermaßen. Er verkauft ihnen, was sie umbringt.

* * *

Sie ist sechsundzwanzig. Sie stammt aus Indianapolis. Sie lebt seit neun Monaten in Los Angeles, sie ist dorthin gezogen, weil sie PR-Agentin werden wollte, ihre Familie war gegen diesen Umzug. Vor drei Wochen ging sie durch ein Parkhaus, es war später Abend, sie hatte ihr erstes Date gehabt und zum Essen zwei Gläser Wein getrunken. Ihr Bekannter hatte sie zum Auto begleiten wollen, doch er gefiel ihr, er gefiel ihr ziemlich gut, er war ein Jahr älter als sie, ein Anwalt für Medienrecht, jemand, der genau wie sie erst Karriere machen und dann eine Familie gründen wollte, und sie wusste, dass er um einen Kuss bitten würde, wenn er sie zum Auto begleitete. Sie wollte die Sache langsam angehen, die Phase der Verabredungen so altmodisch wie möglich gestalten. Sie sagte, sie schaffe das allein. Er sagte, er wolle sie anrufen. Sie lächelte und sagte, sie freue sich darauf. Sie ging. Sie war schon oft in diesem Parkhaus gewesen, denn ihr Büro befand sich weiter unten in der Straße, und außerdem war es Santa Monica, ein sicheres, wohlhabendes Viertel. Das Parkhaus war fast leer. Sie fuhr im Fahrstuhl in den vierten Stock. Oben angekommen, ging sie quer durch den Raum zu ihrem Auto.

Sie fühlte sich sofort unwohl. Sie ging schneller, irgendetwas stimmte nicht, stimmte nicht, sie hatte plötzlich Angst, schreckliche, furchtbare Angst, irgendetwas stimmte nicht. Sie war sieben Meter von ihrem Auto entfernt, fünf Meter, drei Meter, sie wollte den Autoschlüssel herausholen, sie war drei Meter von ihrem Auto entfernt, und als sie den Schlüssel herausholen wollte, wurde sie von panischer Angst erfüllt. Er tauchte zwischen zwei Autos auf, überfiel sie von hinten, sie war drei Meter von ihrem Auto entfernt, hatte den Schlüssel in der Hand.

* * *

Kunden von »Larry’s Firearms« an einem durchschnittlichen Tag:

Angelo. Achtzehn Jahre alt. Kauft ein .30-30-Gewehr. Kauft außerdem noch ein Zielfernrohr.

Terrance. Einundzwanzig. Kauft eine 9-mm-Pistole von Glock, halbautomatisch.

Gregory. Zweiundzwanzig. Kauft einen .357-Magnum-Revolver.

Aneesa. Neunzehn. Kauft eine Schrotflinte mit gezogenem Lauf und Pistolengriff.

Javier. Einundzwanzig. Kauft eine 9-mm-Luger-Parabellum.

Quanda. Achtzehn. Kauft ein in Kalifornien zugelassenes AR-15 M4 Sturmgewehr.

Jason. Einundzwanzig. Kauft eine halbautomatische 9-mm-Beretta-Pistole.

Leon. Neunzehn. Kauft ein .30-06-Gewehr.

John. Vierundzwanzig. Kauft einen Colt, Kaliber 45.

Eric. Sechsundzwanzig. Kauft eine Pistole von Smith & Wesson, Kaliber 38.

Lisa. Einundzwanzig. Kauft eine 9-mm-Pistole von Glock, halbautomatisch.

Tony. Achtzehn. Kauft ein in Kalifornien zugelassenes AR-15 M4 Sturmgewehr.

William. Einundzwanzig. Kauft eine halbautomatische 9-mm-Handfeuerwaffe.

Troy. Einundzwanzig. Kauft einen Remington-Derringer.

Andrew. Einundzwanzig. Kauft eine halbautomatische Desert-Eagle-Handfeuerwaffe, Kaliber 50.

Clay. Einundzwanzig. Kauft eine halbautomatische 9-mm- Handfeuerwaffe von Browning.

Tito. Achtzehn. Kauft ein in Kalifornien zugelassenes AK-47-Sturmgewehr.

Tom. Neunzehn. Kauft ein in Kalifornien zugelassenes AR-15 M4 Flat-Top-Sturmgewehr.

Carrie. Neunzehn. Kauft ein in Kalifornien zugelassenes Bushmaster AR-15 M4 Sturmgewehr.

Jean. Zweiundzwanzig. Kauft einen .357-Magnum-Revolver.

Terry. Zwanzig. Kauft ein in Kalifornien zugelassenes AK-47-Sturmgewehr.

Phillip. Einundzwanzig. Kauft eine 9-mm-Pistole von Glock, halbautomatisch.

Gus. Zweiundzwanzig. Kauft eine 9-mm-Pistole von Beretta, halbautomatisch.

Stanley. Achtzehn. Kauft ein in Kalifornien zugelassenes AK-47-Sturmgewehr.

Ann. Neunzehn. Kauft ein in Kalifornien zugelassenes AR-15 M4 Sturmgewehr.

Alex. Achtzehn. Kauft ein in Kalifornien zugelassenes AK-47-Sturmgewehr.

Doug. Neunzehn. Kauft eine Schrotflinte mit gezogenem Lauf und Pistolengriff.

Daniel. Zweiundzwanzig. Kauft einen .357-Magnum-Revolver.

Peter. Zweiundzwanzig. Kauft eine halbautomatische Desert-Eagle-Handfeuerwaffe, Kaliber 50, und ein in Kalifornien zugelassenes AK-47-Sturmgewehr.

Carl. Achtzehn. Kauft ein in Kalifornien zugelassenes Bushmaster AR-15 M4 Sturmgewehr.

* * *

Ricky ist seit vier Jahren arbeitslos. Früher hatte er einen Job in einer Druckerei, die dichtmachen musste, weil auch kleine Firmen mit Hilfe der neuen Technik selbst drucken konnten. Er meldete sich arbeitslos, irgendwann lief die Stütze aus, er fand keinen neuen Job, weil die Druckereien überall in der Stadt eingingen. Da er gern zu Hause war, fernsah und den ganzen Tag Bier trank, beendete er die Arbeitssuche. Er überlegte, wie er das dringend benötigte Geld auftreiben konnte, als ein vorbestrafter Freund anrief und ihn bat, eine Waffe für ihn zu kaufen (Vorbestrafte dürfen in Kalifornien keine Waffe erwerben). Ricky ging zu »Larry’s Firearms« und kaufte von dem Geld seines Freundes eine halbautomatische 9-mm-Handfeuerwaffe und ein in Kalifornien zugelassenes Sturmgewehr. Zu Hause feilte er die Seriennummern der Waffen weg. Er verlangte fünfhundert Dollar von seinem Freund, der die Waffen für seine Arbeit brauchte.

Der vorbestrafte Freund erzählte einem anderen Vorbestraften davon, der wiederum einem anderen Vorbestraften davon erzählte. Ricky begann, Kohle zu machen. Die Gesetze Kaliforniens erlaubten nur den Kauf einer Handfeuerwaffe pro Monat, aber der Erwerb von Sturmgewehren unterlag keiner Beschränkung, und falls nötig, konnte Ricky nach Arizona oder Nevada fahren, um das kalifornische Recht zu umgehen. Er kaufte Salzsäure und einen Satz Feilen, um die Seriennummern ganz entfernen zu können. Bisher hat man keine der dreihundert Waffen, die er Vorbestraften besorgt hat, zu ihm zurückverfolgen können.

Heute ist er mit einem Mann namens John in Larrys Laden. John, wegen Totschlags verurteilt, ist gerade aus der Haft entlassen worden und will ein Sturmgewehr. Ricky fragt nicht, warum, aber John deutet etwas von einer Exfrau, einem früheren Geschäftspartner und ausstehendem Geld an. Larry zeigt ihnen AKs und AR-15er, Waffen, die man problemlos von Halbautomatik auf Vollautomatik umstellen kann. Auf Johns Anweisung kauft Ricky jeweils eine davon. Er kauft auch die Teile, die man für den Umbau zur vollautomatischen Waffe benötigt, und eine genaue Anleitung. Ricky kann die Gewehre erst am nächsten Tag abholen, und die Entfernung der Seriennummern wird noch einmal zwei Tage dauern. Danach wird er John die Waffen übergeben, und wenn man ihn fragt, wird er behaupten, ihm nie begegnet zu sein, nie mit ihm geredet und nichts mit ihm zu tun zu haben. Was John mit den Waffen anstellt, geht ihn nichts an. Nichts.

* * *

Er hielt ihr eine Pistole an den Kopf und zwang sie, in die Hügel oberhalb von Malibu zu fahren und ganz am Ende einer entlegenen Feuerschneise zu parken. Er vergewaltigte sie auf dem Rücksitz. Er verprügelte sie mit der Pistole. Er warf sie in den Dreck und fuhr davon.

Sie fand erst nach vier Stunden Hilfe. Sie fuhr ins Krankenhaus, erstattete Anzeige bei der Polizei. Die Zeitungen und Lokalnachrichten berichteten über den Vorfall. Es gab keine Fingerabdrücke. Es gab keine DNA-Spuren.

Sie verschwieg die Sache ihren Eltern und Arbeitskollegen. Sie wollte nicht hören: Wir haben es dir ja gesagt. Sie hatte keine Lust auf Mitleid. Sie nahm Urlaub, blieb zu Hause im Bett und weinte zwei Wochen. Zwei Mal am Tag rief sie den Detective an, der ihren Fall bearbeitete, doch es gab keine Anhaltspunkte.

Als sie schließlich wieder zur Arbeit ging, war sie wie ausgewechselt, lachte und lächelte nicht mehr, aß allein zu Mittag, ließ um Punkt fünf Uhr den Stift fallen und ging nicht mehr mit ihren Kollegen aus. Der Mann, mit dem sie sich am Abend des Vorfalls getroffen hatte, rief an, doch sie rief nicht zurück, er rief sie noch drei Mal an, sie rief nicht zurück. Sie suchte einen Therapeuten auf, ergebnislos. Sie suchte eine Beraterin für Vergewaltigungsopfer auf, ergebnislos. Sie suchte einen Pastor auf, ergebnislos. Sie besuchte eine Selbsthilfegruppe, ergebnislos. Sie begann zu trinken, ergebnislos.

Sie erkannte ihn wieder, als er in einem Fast-Food-Restaurant ihre Bestellung aufnahm. Er hatte eine Maske getragen, und sie hatte sein Gesicht nicht sehen können, aber sie erkannte seine Stimme, und sie erkannte seine Augen. Als sie bestellte, lächelte er sie an. Er sagte, er kenne sie von irgendwo. Er wollte ihren Namen wissen. Er hatte sie ohne jeden Zweifel erkannt und wusste, dass sie ihn auch erkannt hatte. Als er ihr das Essen über den Tresen reichte, streifte er ihre Hand. Als sie gehen wollte, sagte er lächelnd, er hoffe, sie bald wiederzusehen.

Sie ging nicht mehr zur Arbeit. Sie blieb die ganze Zeit zu Haus, hatte Angst. Sie nahm weder das Telefon ab noch benutzte sie ihren Computer. Sie starrte die Zimmerdecke an, ihr Kopfkissen, die Wand. Sie sah kein einziges Mal in den Spiegel.

An diesem Morgen legte sie nach dem Erwachen und Duschen zum ersten Mal seit Monaten wieder Make-up auf und machte ihr Haar. Sie war schön, genau wie das Mädchen, das mit so vielen Träumen aus Indianapolis gekommen war, mit einer Zukunft, mit einem Leben, das noch vor ihr lag. Sie ging mit zwei Freunden von der Arbeit frühstücken. Sie rief den Mann an, mit dem sie damals das Date gehabt hatte, und entschuldigte sich, dass sie sich nicht früher gemeldet hatte. Sie schickte E-Mails an Freunde und rief ihre Eltern an. Sie sagte allen, dass sie sie liebe.

Danach fuhr sie zu »Larry’s Firearms«. Sie kaufte einen nagelneuen Colt .45. Sie gab alles an, was für den Kauf der Waffe erforderlich war. Sie verließ den Laden mit einem Lächeln auf den Lippen. Morgen wird sie die Waffe abholen, mit nach Hause nehmen und laden. Und sie wird sich entscheiden. Entweder wird sie ihn aufsuchen und ihm ins Gesicht schießen und ihn töten, oder sie wird sich den Lauf in den Mund stecken und ihren Hinterkopf wegpusten. Aber sie wird so oder so an ihn denken, wenn sie abdrückt, sie wird daran denken, wie er sie angefasst und angelächelt hat, sie wird daran denken, wie er im Wissen hinter dem Tresen stand, dass sie ihn erkannt hatte. Ihr Leben ist so oder so vorbei. Sie wird daran denken, wie er sie angefasst und angelächelt hat. Sie wird abdrücken.

* * *

Larry schließt seinen Laden, geht nach Hause, isst zu Abend und leert ein Sixpack mit leckerem, kaltem amerikanischen Bier. Er schläft den Schlaf der Gerechten.

Im Jahr 1852 trifft der erste chinesische Auswanderer in Los Angeles ein. 1860 ist Chinatown fest etabliert und blüht und gedeiht. Um 1870 ist es eine der größten Gemeinden der Stadt.

Amberton erwacht in seinem Flügel des Hauses, eines Anwesens mit dreizehn Schlafzimmern in den Hügeln von Bel Air, seine Frau und seine Kinder wohnen im anderen Flügel. In seinem Bett liegt wie so oft ein junger Mann, er hat den Körper des jungen Mannes bei einem Service bestellt, er kostet fünftausend Dollar pro Nacht, alles inklusive. Der junge Mann ist groß, blond und muskulös, und er ist sehr entgegenkommend. Er zählt zu Ambertons Lieblingen. Er redet nicht viel, und er verlässt das Haus wortlos durch die Hintertür.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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