Strategische Jugendlichentherapie (SJT) bei internalisierenden Störungen und Schulverweigerung - Florian Sedlacek - E-Book

Strategische Jugendlichentherapie (SJT) bei internalisierenden Störungen und Schulverweigerung E-Book

Florian Sedlacek

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Beschreibung

Die Strategische Jugendlichentherapie (SJT) stellt die Adaption der Strategischen Kurzzeittherapie (Sulz, 1994) bzw. der Strategisch-Behavioralen Therapie (Sulz & Hauke, 2010) ins Jugendalter dar. Sie entspringt der »Dritten Welle« der Verhaltenstherapie. Das heißt, in der SJT spielen frühe Beziehungserfahrungen des Jugendlichen eine wichtige Rolle bei den Therapiezielen und in der Behandlungsplanung. Über die therapeutische Beziehung und das therapeutische Setting werden maladaptive verhaltenssteuernde Schemata aktiviert, bearbeitet und korrigiert. Die SJT kann als ganzheitliche und integrative Therapie verstanden werden – mit einem allgemeinen Erklärungsmodell psychischer Störungen und einem störungsübergreifenden therapeutischen Ansatz. Die im vorliegenden Buch vorgestellte Evaluationsstudie überprüft die Wirksamkeit der SJT im teilstationären Setting bei Jugendlichen, deren gesellschaftliche Teilhabe aufgrund internalisierender psychischer Störungen in Kombination mit schulvermeidendem Verhalten massiv gefährdet ist. Die ersten drei Kapitel markieren den theoretischen Bezugsrahmen unter einer entwicklungspsychologischen, psychotherapeutischen und gesundheitspädagogischen Perspektive. Das vierte Kapitel beschreibt die Methodik und das fünfte Kapitel stellt die Ergebnisse der Evaluationsstudie zur Diskussion.

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Seitenzahl: 516

Veröffentlichungsjahr: 2015

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»Die Stimme eines Kindes,

egal wie ehrlich und aufrichtig,

ist bedeutungslos für jene,

die verlernt haben zuzuhören.«

(Joanne K. Rowling)

Gewidmet meinem Großvater Georg,

dem wie keinem anderen,

trotz Krieg und Entbehrungen,

Kegans Idee

der natürlichen Therapie innewohnte.

Bedanken möchte ich mich herzlichst bei allen an der Studie beteiligten Jugendlichen und deren Familien. Des Weiteren gilt mein besonderer Dank meinen Kolleginnen und Kollegen der Tagesklinik Jugend am MRI, namentlich Frau Peukert, für die hilfreichen Tipps und für das Korrekturlesen.

In besonderer Weise fühle ich mich Frau Dr. Richter-Benedikt vom CIP München zu Dank verpflichtet. Frau Dr. Richter-Benedikt hat das Konzept der Strategischen Jugendlichentherapie (SJT) entwickelt und in einer ersten Studie evaluiert. Sie hat unserem Team ihre Therapieunterlagen großzügig zur Verfügung gestellt und uns in vielen Supervisionsstunden in die SJT eingeführt.

Darüber hinaus gilt mein besonderer Dank den Professoren Herrn Dr. Dr. Serge K. D. Sulz, Herrn Dr. Hans-Ludwig Schmidt und Herrn Dr. Carl Heese, die jeweils auf ihre eigene Art dazu beigetragen haben, dass diese Evaluationsstudie in die Realität umgesetzt werden konnte.

INHALTSVERZEICHNIS

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Zusammenfassung

Einleitung

Kapitel 1Entwicklungspsychologische Perspektive

1.1 Bindung als zentrale Variable für den Entwicklungsverlauf

1.1.1 Zentrale Einflussfaktoren für das Bindungsverhalten

1.1.2 Bindungstheorie und ihre empirische Verankerung

1.1.3 Bedeutsamkeit mütterlicher Affektspiegelung für die kindliche Emotionsregulation

1.1.4 Bindung systemisch betrachtet: Züricher Modell sozialer Motivation

1.2 Kindliche Entwicklungsschritte von der Fremdregulation zur Selbstregulation

1.2.1 Stufe der prärationalen Verhaltenssteuerung

1.2.2 Stufe der protorationalen Vorstellungstätigkeit

1.2.3 Stufe der rationalen Handlungsplanung

1.3 Selbstregulation, Selbstkontrolle und Handlungsregulation

1.3.1 Emotion als Schlüssel für die Handlungsregulation

1.3.2 Stressregulation, Aufmerksamkeitsregulation und Mentalisierungsfähigkeit

1.4 Spezifische Charakteristiken der Lebensphase Jugend

1.4.1 Grundannahmen integrativer sozialisationstheoretischer Ansätze

1.4.2 Selbstfindung als zentrales Thema der Adoleszenz

Kapitel 2Psychotherapeutische Perspektive

2.1 Konzeptionelle Grundannahmen der Strategisch-Behavioralen Therapie (SBT)

2.2 Zentrale Konstrukte der SBT: Überlebensregel und Reaktionskette

2.3 Affektiv-kognitive Entwicklungstheorie

2.3.1 Entwicklungsstufen des Selbst und die Funktion der einbindenden Kultur

2.3.2 Konstruierende Merkmale der Persönlichkeit

2.4 Symptomentstehung: Homöostase als Selbstregulationsprinzip des Menschen

2.5 Therapieplanung und Therapieprozess mit Jugendlichen: Vom Symptom zur Therapie

2.6 Strategische Jugendlichentherapie (SJT) im teilstationären Setting

2.6.1 Einzel- und Familientherapie

2.6.2 Gruppentherapien

Kapitel 3Gesundheitspädagogische Perspektive

3.1 Gesellschaftliche Umbrüche und die Rolle der Schule für die gesellschaftliche Positionierung Jugendlicher

3.2 Bewältigungskompetenzen Jugendlicher: Vom Stress-Modell zur Salutogenese

3.3 Familie, Peers und Schule als Einflussvariablen auf die Stressbewältigung und psychische Gesundheit Jugendlicher

3.4 Schulabsentismus und psychische Störungen

Kapitel 4Methodik zur Evaluation der Strategischen Jugendlichentherapie im teilstationären Setting

4.1 Fragestellung und Studiendesign

4.2 Beschreibung der Stichprobe

4.2.1 Untersuchungsdurchführung (Studiendesign)

4.2.2 Behandlungsteam, Therapeuten und Eigenbeteiligung des Autors

4.2.3 Ein- und Ausschlusskriterien

4.2.4 Beschreibung der Stichprobe

4.2.5 Drop-out-Rate

4.3 Messinstrumente

4.3.1 Symptomchecklisten: YSR (Jugendliche) und CBCL (Eltern)

4.3.2 Funktionsniveau (ILK für Jugendliche und Eltern)

4.3.3 FSKN – Selbstkonzept (Jugendliche)

4.3.4 AFS – Angstfragebogen für Schüler (Jugendliche)

4.3.5 VDS-Bögen: Bedürfnisse, Frustration, Angst, Wut, Persönlichkeit (Jugendliche)

4.3.6 PATHEV – Patientenfragebogen zur Therapieerwartung und Therapieevaluation

4.3.7 FBB – Patientenzufriedenheit bei Behandlungsende

4.4 Messbarkeit des Therapieerfolgs

4.4.1 Effektstärken

4.4.2 Statistisch bedeutsame und klinisch relevante Veränderungen

4.5 Statistische Methode und Datenanalyse

Kapitel 5Ergebnisse und Diskussion

5.1 Darstellung der Ergebnisse zur Wirksamkeitsüberprüfung: Symptomreduktion, Lebensqualität, Selbstbild und Behandlungszufriedenheit

5.1.1 Darstellung der Ergebnisse zur Hypothese 1 (Symptomreduktion)

5.1.2 Zusammenfassung der Ergebnisse zur Hypothese 1

5.1.3 Darstellung der Ergebnisse zur Hypothese 2 (Lebensqualität)

5.1.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zur Hypothese 2

5.1.5 Darstellung der Ergebnisse zur Hypothese 3 (Selbstbild)

5.1.6 Zusammenfassung der Ergebnisse zur Hypothese 3

5.1.7 Darstellung der Ergebnisse zur Hypothese 4 (überdauernder Therapieeffekt bei Katamneseerhebung)

5.1.8 Zusammenfassung der Wirksamkeitsüberprüfung der SJT

5.1.9 Akzeptanz der SJT und Behandlungszufriedenheit

5.2 Darstellung spezifischer Hypothesen zur affektiv-kognitiven Entwicklungsannahme und Strategischen Jugendlichentherapie (SJT)

5.2.1 Darstellung der Stichprobe unter der affektiv-kognitiven Entwicklungsperspektive

5.2.2 Darstellung der Ergebnisse zur Hypothese 5 (verbesserter Umgang mit Bedürfnissen, Wut und Angst)

5.3 Darstellung der Ergebnisse zur Schulvermeidung

5.3.1 Darstellung der Ergebnisse zur Hypothese 6 (Umgang mit Schulangst)

5.3.2 Zusammenhangshypothesen: Umsetzung empfohlener Maßnahmen und Regelmäßigkeit des Schulbesuchs

5.4 Diskussion der Ergebnisse

5.4.1 Diskussion der Ergebnisse unter einer entwicklungspsychologischen Perspektive

5.4.2 Diskussion der Ergebnisse unter einer psychotherapeutischen Perspektive

5.4.3 Diskussion der Ergebnisse unter einer gesundheitspädagogischen Perspektive

5.4.4 Fazit und Ausblick auf die Zukunft

Literaturverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Tab. 1.1:Temperamentsmerkmale von einfachen und schwierigen Kindern

Tab. 2.1:Zugehörigkeits-, Autonomie- und Homöostasebedürfnisse

Tab. 2.2:Therapieabschnitte SJT im teilstationären Setting und Ziele

Tab. 4.1:Vergleich Therapiegruppe und unbehandelte Kontrollgruppe

Tab. 4.2:Intelligenzniveau, Schulform und Schulabsentismus

Tab. 4.3:Hauptdiagnosen, Komorbidität, psychosoziale Belastungsfaktoren

Tab. 4.4:Item-Fragen zur Hauptskala »Internalisierende Auffälligkeiten«

Tab. 4.5:Item-Fragen zu FSAL, FSAP, FSSW und FSVE

Tab. 4.6:Gegenüberstellung VDS27-J und VDS24-J

Tab. 4.7:Gegenüberstellung VDS28-J und VDS29-J

Tab. 4.8:Umgangsformen zur Bedürfnis-, Angst- und Wutregulation

Tab. 4.9:VDS30-J »Meine Persönlichkeit« mit Beispiel-Items

Tab. 4.10: Interpretation der Skalenwerte des FBB

Tab. 5.1:Ergebnisse der Wirksamkeitsüberprüfung (YSR, Selbstbeurteilung)

Tab. 5.2:Ergebnisse der Wirksamkeitsüberprüfung (CBCL, Fremdbeurteilung)

Tab. 5.3:Ergebnisse der Wirksamkeitsüberprüfung Warte- vs. Interventionsbedingung

Tab. 5.4:Zusammenfassung YSR und CBCL zu »Internalisierende Auffälligkeiten«

Tab. 5.5:Zusammenfassung YSR und CBCL zu »Gesamtauffälligkeiten«

Tab. 5.6:ILK-KJ: Bereich der Lebensqualität

Tab. 5.7:ILK-E: Bereiche der Lebensqualität

Tab. 5.8:ILK-KJ und ILK-E Einzelvergleiche zur Lebensqualität

Tab. 5.9:Differenzberechnung Wartezeit- vs. Interventionsbedingung

Tab. 5.10: Einzelvergleiche: FSAL, FSAP und FSSW

Tab 5.11:Effektstärken zu »Internalisierende Auffälligkeiten« und »Gesamtauffälligkeiten«

Tab. 5.12: Effektstärken zur Lebensqualität

Tab. 5.13: Effektstärken zu Selbstkonzeptskalen

Tab. 5.14: Ergebnisqualität aus drei Beurteilungsperspektiven (Patient, Eltern, Therapeut)

Tab. 5.15: Prozessqualität aus drei Beurteilungsperspektiven (Patient, Eltern, Therapeut)

Tab. 5.16: Gesamtbeurteilung Behandlungszufriedenheit (Selbst-, Eltern-, Therapeutenurteil)

Tab. 5.17: Ergebnisse der Persönlichkeitsskalen VDS30-J (Selbsturteil) zu Messzeitpunkt t2

Tab. 5.18: Persönlichkeitsprofil der Stichprobe

Tab. 5.19: Mittelwertsvergleiche im Umgang mit Bedürfnissen

Tab. 5.20: Mittelwertsvergleiche im Umgang mit Angst- und Wuttendenzen

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1.1:Einflussfaktoren auf das Bindungsverhalten

Abb. 1.2:Affektiv-kognitives Modell sozialer Informationsverarbeitung

Abb. 1.3:Das Streben nach einer balancierten Ich-Identität

Abb. 2.1:Die Spirale der Gleichgewichtsstufen

Abb. 2.2:Zentrale Aspekte der affektiv-kognitiven Entwicklungstheorie, I

Abb. 2.3:Zentrale Aspekte der affektiv-kognitiven Entwicklungstheorie, II

Abb. 2.4:Zusammenspiel Reaktionskette und Überlebensregel

Abb. 2.5:Drei Säulen des Therapieprozesses

Abb. 2.6:Arbeitsmodule der SBT

Abb. 2.7:Therapiebausteine der SJT im teilstationären Setting

Abb. 2.8:Roadmap von Michael, 15 Jahre, Agoraphobie mit Panikstörung

Abb. 2.9:Schöne und Schattenseiten meiner Familie, Maria, 14 Jahre, Depression

Abb. 2.10: Vogelperspektive Wochenrückblick und Selbsteinschätzung

Abb. 2.11: Kognitiv-reflexive Erarbeitung der Überlebensregel

Abb. 2.12: Korrigierende Lernerfahrungen durch erlebnisorientierte Übungen

Abb. 2.13: Körperbildzeichnungen von Christoph vor und nach Achtsamkeitstraining

Abb. 3.1:Jugendbezogenes Stressmodell

Abb. 3.2:Belastungs-Bewältigungs-Modell nach Hurrelmann

Abb. 3.3:Jugendliche im Spannungsfeld ihrer Entwicklung

Abb. 3.4:Risikofaktoren für Schulverweigerung

Abb. 4.1:Untersuchungsdesign

Abb. 4.2:Messinstrumente zur Datenerhebung (Selbst- und Fremdbeurteilung)

Abb. 5.1:Vergleich RCI zwischen Elternurteil und Selbstbeurteilung

Abb. 5.2:Verlaufstrend »Internalisierende Auffälligkeiten« für CBCL und YSR

Abb. 5.3:Verlaufstrend »Gesamtauffälligkeiten« für CBCL und YSR

Abb. 5.4:Verlaufstrend Subskalen: Einschätzung kindliche Belastung

Abb. 5.5:Wahrgenommene Lebensqualität über die Messzeitpunkte hinweg

Abb. 5.6:Verlaufstrend zur Einschätzung der Lebensqualität

Abb. 5.7:Differenzwerte für Leistungsfähigkeit und Selbstwertschätzung

Abb. 5.8:Differenzwerte für Skala Problembewältigung

Abb. 5.9:Vergleich internalisierende Beeinträchtigung zwischen Selbst- und Elternurteil

Abb. 5.10: Trendverlauf für »Internalisierende Auffälligkeiten« (YSR und CBCL)

Abb. 5.11: Trendverlauf »Gesamtauffälligkeiten« (YSR und CBCL)

Abb. 5.12: Trendverlauf für die Skala »Lebensqualität« (ILK-KJ und ILK-E)

Abb. 5.13: Trendverlauf für Selbstkonzeptskalen

Abb. 5.14: Wichtigkeit der zwischenmenschlichen Bedürfnisse

Abb. 5.15: Vergleich Frustration Zugehörigkeitsbedürfnisse

Abb. 5.16: Vergleich Frustration Autonomiebedürfnisse

Abb. 5.17: Vergleich Frustration Homöostasebedürfnisse

Abb. 5.18: Gegenüberstellung Angst- und Wuttendenzen

Zusammenfassung

Fragestellung: Die Evaluationsstudie überprüft die Wirksamkeit psychotherapeutischer Interventionen im teilstationären Setting bei Jugendlichen, deren gesellschaftliche Teilhabe aufgrund internalisierender psychischer Störungen in Kombination mit schulvermeidendem Verhalten massiv gefährdet ist. Hierfür wird das psychotherapeutische Verfahren Strategische Jugendlichentherapie (SJT) hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und gesundheitspädagogischen Relevanz überprüft.

Theoretischer Hintergrund: Die Strategische Jugendlichentherapie (SJT) stellt die Adaption der Strategisch-Behavioralen Therapie (SBT) ins Jugendalter dar und kann im Sinne Grawes »Psychologischer Therapie« als ganzheitlicher und integrativer Therapieansatz verstanden werden – mit einem allgemeinen Erklärungsmodell psychischer Störungen und einem störungsübergreifenden therapeutischen Ansatz.

Methodik: Die Evaluationsstudie wurde als quasi-experimentelle Studie unter Verwendung eines Wartelistendesigns mit Eigenkontrollgruppe (Mindestwartezeit von 42 Tagen) konzipiert. Die Stichprobengröße umfasste 37 Jugendliche (25 Mädchen, 12 Jungen) bei einer durchschnittlichen Behandlungsdauer von 60 Tagen. Zur Wirksamkeitsüberprüfung hinsichtlich der Symptomreduktion, Verbesserung der Lebensqualität und des Selbstkonzepts (nur Jugendliche) sowie der Behandlungszufriedenheit und Akzeptanz wurden zwei Beurteilungsquellen herangezogen: Elternurteil (CBCL, ILK, FBB) und Selbsturteil (YSR, ILK, FSKN, FBB, PATHEV, VDS-J).

Schlussfolgerung: Die sehr hohen Effektstärken sowie die überwiegend gute bis sehr gute Behandlungszufriedenheit liefern deutliche Hinweise für die praktische Bedeutsamkeit der Strategischen Jugendlichentherapie und deren gesundheitspädagogische Relevanz.

Einleitung

»Wenn die gesellschaftliche Positionierung bereits im Jugendalter zu scheitern droht!« Dieser Satz klingt beängstigend und ist nicht nur für die betroffenen Jugendlichen und deren Familien bedrohlich, sondern auch für jedes Gesundheitssystem. Warum das so ist, wird der Verlauf dieser Dissertation zeigen. Aber zunächst einmal, was ist mit der gesellschaftlichen Positionierung gemeint? Ganz allgemein umschreibt der Ausdruck den Platz, den ein Heranwachsender mit zunehmendem Autonomiegewinn in der Gesellschaft einnimmt. Diese »Platzeinnahme« ist individuell, sozial und beruflich.

Für die individuelle Positionierung werden vom Heranwachsenden wichtige Entwicklungsschritte abverlangt. Die beziehen sich natürlich vordergründig auf die Herauslösung aus dem familiären Verbund und dem stetigen Zuwachs an Eigenständigkeit sowie Selbstbestimmung. Damit diese Entwicklungsaufgabe so gut wie möglich gemeistert werden kann, bedarf es einerseits eines förderlichen familiären Umfeldes (hierbei ist ein hohes Maß an Bedürfnisbefriedigung sowie Angst- und Aggressionsfreiheit innerhalb der Familie von Relevanz) und andererseits Bewältigungsstrategien, die sich zum einen aus der biologischen Reifung ergeben (von der Fremd- zur Selbstregulation) und zum anderen im sozialen Interaktionsprozess (Selbstwirksamkeit und Selbstachtung) erworben werden. Diese Erfahrungen schlagen sich in motivationalen Schemata und in der individuellen sozialen Informationsverarbeitung nieder. Im Umkehrschluss haben diese Schemata und Informationsverarbeitungsprozesse Einfluss auf emotionale Prozesse und die Stimmung des Heranwachsenden. Die Variablen bedingen sich also gegenseitig. Gesundheitspädagogisch können sie als Moderatoren und Mediatoren verstanden werden und sind beispielsweise ausschlaggebend dafür, inwieweit Stress zur Entwicklung von psychischen Störungen führt.

Die soziale Positionierung verlangt vom Heranwachsenden, sich in der Gruppe der Gleichaltrigen zu behaupten, aber auch sich in diese zu integrieren. Gleichaltrige werden im Jugendalter zur »einbindenden Kultur« und gewinnen damit an besonderer Bedeutung. Sie sind der soziale Ort, mit dem Jugendliche ganz automatisch verschmelzen, da es ihnen ermöglicht wird, hier ihre Rollen und damit ihre Identität zu erproben. Der Aushandlungsprozess, sich in der Gruppe der Gleichaltrigen zu behaupten, sich in diese zu integrieren und sich gleichzeitig durch zunehmende Selbstbestimmung von der Familie abzulösen, prägt über Rückmeldungen und Zuschreibungen ihre persönliche und soziale Identität (Krappmann, 1969). Für die soziale Positionierung müssen beide Identitätsanteile balanciert in den Interaktionsprozess eingebracht werden. Diese soziale »Platzeinnahme« gelingt nicht, wenn der Heranwachsende stets seinen persönlichen Interessen folgt, aber ebenso wenig, wenn er nur die sozialen Erwartungen erfüllt, ohne die eigenen persönlichen Bedürfnisse mit zu berücksichtigen.

Die berufliche Positionierung setzt eine produktive Verarbeitung der inneren und äußeren Realität voraus. Über außerfamiliäre Sozialisationsinstanzen wie Schule, Ausbildungsstätten, Gleichaltrige und Medien werden Motivations- und Kompetenzstrukturen gefördert, die das Nachrücken des Heranwachsenden in die Erwachsenenposition innerhalb der Gesellschaft bestmöglich gewährleisten. Damit die berufliche »Platzeinnahme« gelingt, sind ein erfolgreicher Schulabschluss und der Übergang von der Schule zur Ausbildung von entscheidender Bedeutung. Schulvermeidendes Verhalten ist somit als bedeutsamer Risikofaktor anzusehen und gefährdet die berufliche Positionierung des Heranwachsenden.

Die Gefahr, dass die gesellschaftliche Positionierung bereits im Jugendalter zu scheitern droht, kann folglich entweder die individuelle, soziale und/oder berufliche Teilhabe betreffen.

Warum ist die Gefahr der gesellschaftlichen Positionierung als Thema für die Gesundheitspädagogik relevant? Ein modernes gesundheitliches Versorgungssystem stützt sich auf die Grundpfeiler Gesundheitsförderung, Prävention, Therapie, Rehabilitation und Pflege (Hurrelmann et al. 2010; Wulfhorst, 2002). Die Gegenstandsbestimmung der Gesundheitspädagogik leiten Wulfhorst und Hurrelmann (2009) aus den Konzepten Gesundheit und Erziehung ab und schreiben dazu:

»Gesundheitserziehung ist die Gesamtheit der gezielten Interventionen, die über die Beeinflussung des individuellen Verhaltens des Menschen zur Förderung, Erhaltung und Wiederherstellung seiner Gesundheit beitragen, die Verantwortung für die eigene Gesundheit festigen und einen Menschen befähigen, aktiv an der Gestaltung der natürlichen und gesellschaftlichen Umwelt teilzuhaben« (S. 14).

In dieser Evaluationsstudie werden Interventionen zur Gesundheitsförderung bei Jugendlichen mit internalisierenden Störungen und schulvermeidendem Verhalten überprüft. Bei der Stichprobe handelt es sich also um Jugendliche, die eine solch schwerwiegende psychische Beeinträchtigung aufweisen, dass die im Text beschriebene gesellschaftliche Positionierung – und damit die Teilhabe an der Gesellschaft – massiv gefährdet ist.

Die Evaluationsstudie überprüft dabei ein Therapiekonzept für Jugendliche, das darauf abzielt, die Symptomatik der Heranwachsenden zu reduzieren und ihre Lebensqualität zu verbessern, sodass die Wahrscheinlichkeit einer gelingenden gesellschaftlichen Teilhabe für die Jugendlichen erhöht wird.

Kapitel 1

Entwicklungspsychologische Perspektive

Wie man den roten Faden durch ein Kapitel spannt, das den Namen entwicklungspsychologische Perspektive trägt, mag durch die Fülle an wissenschaftlichen Erkenntnissen und deren Komplexität fast schon aussichtslos sein. Denn sehr schnell werden mit dieser Kapitelüberschrift verschiedene Assoziationen geweckt. Das Ziel ist daher, zentrale entwicklungspsychologische Annahmen mit Relevanz für die pädagogische und psychotherapeutische Arbeit mit Jugendlichen aufzuzeigen.

Die Darstellung der entwicklungspsychologischen Perspektive wird dabei von der Grundannahme geleitet, dass sich Entwicklung in einem Selbstorganisationsprozess auf biologischer, individueller, zwischenmenschlicher und makrosozialer Ebene mit zunehmender Komplexität vollzieht (Mattejat, 2008). Kurz gesagt beschreibt die Entwicklung des Heranwachsenden einen Prozess von der Fremdregulation hin zur Selbstregulation, der evolutionär determiniert ist und sich über neurobiologische Reifung manifestiert.

Eine weitere Grundannahme, die in dieser Arbeit vertreten wird, ist die, dass Bindung als das Fundament für eine positive Entwicklung angesehen wird, da eine tragfähige, sichere Bindung einen förderlichen Charakter für die weiteren Entwicklungsschritte und insbesondere für die Emotionsregulation hat. Ferner spielt die kognitive Reifung auf dem Weg zur Selbstregulation eine bedeutsame Rolle.

Als ein weiterer zentraler Schlüssel für die Handlungsregulation gilt die Emotionsregulation. Die Emotionsregulation wirkt sich auf die Stressregulation, Selbstregulation, Selbstkontrolle und den damit zusammenhängenden Aufmerksamkeitsprozessen und letztlich auf die Mentalisierungsfähigkeit bzw. auf das metakognitive Denken aus. Auch die Emotionsregulation beschreibt im Reifungsprozess einen Übergang von fremd- zu selbstreguliert. Das Jugendalter als Lebensphase ist gekennzeichnet durch einen Zuwachs an Eigenständigkeit und Unabhängigkeit, aber auch an emotionaler Verletzlichkeit. Ohne diese Entwicklungsphase auf ein einzelnes Thema zu reduzieren, ist die Frage nach dem »Wer bin ich?« eines der zentralen Themen im Jugendalter. Die Frage zielt nicht nur auf die biologischen, sozialen oder interaktionellen Veränderungen, sondern auch auf das bis dahin entstandene Selbst- und Weltbild ab. Diese werden nämlich in ihren Grundfesten erschüttert. Deswegen wird am Ende des Kapitels die Frage nach dem Identitätsentwurf ausführlich diskutiert.

1.1 Bindung als zentrale Variable für den Entwicklungsverlauf

Auf die Fragen, wie heranwachsende Kinder in Beziehung zu zentralen Bezugspersonen treten, ihre Umwelt begreifen und zu anderen Menschen Kontakt aufbauen, intensivieren und pflegen, versucht die Bindungstheorie Antworten zu finden (Gloger-Tippelt, Vetter & Rauh, 2000). Entwicklung besteht aus der Dialektik von Bindung und Exploration.

1.1.1 Zentrale Einflussfaktoren auf das Bindungsverhalten

Nach Brisch (2009) verbindet die Bindungstheorie ethologisches mit entwicklungspsychologischem, systemischem und psychoanalytischem Denken. Mutter und Säugling bilden ein selbstregulierendes System, das sich wechselseitig bedingt. Bindung ist als ein das gesamte menschliche Dasein überspannendes Konstrukt zu verstehen. Zentrale Einflussfaktoren der Bindungstheorie sind die mütterliche Feinfühligkeit, die daraus resultierende Bindungsqualität und die sich entwickelnden inneren Arbeitsmodelle. Die inneren Arbeitsmodelle wiederum beeinflussen die Wechselwirkung zwischen Bindungssystem und Explorationssystem. Mit zunehmendem Alter des Kindes nimmt die Sensitivität gegenüber den Erfahrungen mit den Bezugspersonen ab, während sich die inneren Arbeitsmodelle stabilisieren und in Bindungsrepräsentationen münden (Zimmermann et al., 2001). Die Abbildung 1.1 zeigt die verschiedenen Einflussfaktoren, die auf das Bindungsverhalten einwirken.

Abbildung 1.1: Einflussfaktoren auf das Bindungsverhalten (Petermann et al., 2004, S. 196)

Die Bindungstheorie geht von einem Bindungsverhaltenssystem aus, das bei Bedarf aktiviert wird und Bindungsverhalten auslöst, um Nähe zur Bezugsperson herzustellen. Das Bindungsverhaltenssystem wird dann aktiviert, wenn das Kind sich in einer Gefahrensituation befindet oder die Erreichbarkeit der Bezugsperson nicht länger garantiert ist, sowie bei Hunger oder Müdigkeit. Ist dieses Sicherheitsgefühl erneut hergestellt, so wird das Bindungssystem deaktiviert und das Kind wendet sich anderen Aktivitäten zu. Hazan und Shaver (1994) nennen drei charakteristische Merkmale von Bindung (vgl. Schmidt & Strauß 1996, S. 140f.):

Suchen und Bewahren von Nähe

: Das Kind sucht die Nähe zur Bezugsperson oder hält sich in deren Reichweite auf. Ist die Distanz zu groß (Istwert-Sollwert-Diskrepanz) wird das Bindungsverhaltenssystem aktiviert. Das homöostatische Gleichgewicht ist dann wieder hergestellt, wenn sich Ist- und Sollwert entsprechen. Wie viel Nähe nötig bzw. Distanz möglich ist, hängt von einer Vielzahl endogener und exogener Faktoren ab (Alter des Kindes, emotionaler und physischer Zustand, vertraute Umgebung oder bedrohlich erlebte Umwelt etc.).

Zufluchtsort

: Die Verfügbarkeit und Einfühlsamkeit der Bezugsperson als Zufluchtsort vermittelt dem Kind bei erlebter Angst Schutz, Sicherheit und Trost.

Sichere Basis

: Damit das Kind durch Neugierde die Umwelt explorieren kann, braucht es eine sichere Basis, die für das psychische und physische Wohlbefinden sorgt und als Ausgangspunkt für das explorative Verhalten dient.

Die Qualität und Organisation des Bindungsverhaltenssystems ist individuell unterschiedlich und durch die Vorerfahrung mit der jeweiligen Bezugsperson und deren Qualität, Bedürfnisse zu befriedigen, verknüpft (Zimmerman et al., 2001). Mit feinfühligem Verhalten ist gemeint, dass die Bezugsperson imstande ist, die Signale des Kindes richtig wahrzunehmen, sie richtig zu interpretieren und angemessen und prompt zu befriedigen. Aus dem Grad des feinfühligen Verhaltens der Mutter entsteht die Qualität der Bindung zwischen Mutter und Säugling, die sich im Laufe des ersten Lebensjahres entwickelt (Brisch, 2009) und bis zum Ende des dritten Lebensjahres unmittelbar aktivierbar bleibt (Grossmann & Grossmann, 2003). Bindung definieren Schmidt und Strauß (1996) als einen »emotionalen Kern gefühlter Sicherheit und wahrgenommenen Schutzes vor Gefahr in Gegenwart der Bindungsperson« (S. 141). Brisch betont, dass Feinfühligkeit sich von Verwöhnung und Überbehütung dadurch unterscheidet, dass »feinfühlige Eltern ihr Kind in seiner zunehmenden Selbständigkeit und seiner wachsenden Kommunikationsfähigkeit fördern« (Brisch, 2009, S. 47). Mangelndes feinfühliges Verhalten zeigt sich entweder darin, dass die Bezugsperson nicht auf den Wunsch des Kindes nach Nähe eingehen kann oder die Erreichbarkeit der Mutter für das Kind nicht vorhersehbar ist (Schmidt & Strauß, 1996).

Aus den Erfahrungen mit den Bezugspersonen hinsichtlich der Regulation eigener Bedürfnisse nach Sicherheit und Exploration, dem Einfühlungsvermögen, der Reaktivität der jeweiligen Bezugsperson, der vermittelten Sicherheit und ihrer Verfügbarkeit entstehen innere Arbeitsmodelle (inner working models) (Bowlby). Seiffge-Krenke (2009) definiert diese als »kognitive Schemata, in denen Erwartungen bezüglich des Verhaltens einer bestimmten Person gegenüber dem Selbst gespeichert sind. Diese Erwartungen sind Abstraktionen, die auf wiederholten Interaktionen mit dieser Person basieren« (S. 59). Innere Arbeitsmodelle variieren von Bezugsperson zu Bezugsperson. Daraus entsteht eine Hierarchie der Bindungspersonen bezogen auf die Regulation des Bindungsbedürfnisses. Innere Arbeitsmodelle sind zunächst flexibel, werden durch die tägliche Interaktion geprägt und im weiteren Verlauf zunehmend stabiler (Brisch, 2009). Erst ab dem Alter von ca. fünf Jahren bildet sich ein überdauerndes inneres Muster hinsichtlich der Verfügbarkeit und dem Ausmaß an Regulationshilfen im Umgang mit negativen Gefühlen. Die Veränderbarkeit der inneren Arbeitsmodelle nimmt dann kontinuierlich ab, dennoch ist die Bindungsorganisation durch die elterliche emotionale Verfügbarkeit auch im Jugendalter noch wesentlich beeinflussbar (Zimmermann et al., 2001).

Die inneren Arbeitsmodelle und späteren Bindungsrepräsentanzen entstehen aus dem »Wechselspiel« zwischen Bindung und Exploration. Damit dieser dialektische Prozess so erfolgreich wie möglich verläuft, bedarf es neben der bereits beschriebenen (mütterlichen) Feinfühligkeit einer weiteren Komponente, und zwar der sozialen Rückversicherung (social referencing) von Emde und Sorce (1983), die vor allem für das Explorationsverhalten von Bedeutung ist. Die soziale Rückversicherung bezieht sich darauf, dass das Kind in der Exploration bei der Mutter nach Hinweisen sucht, ob diese die Situation als sicher oder gefährlich einschätzt. Je nach Reaktion der Mutter (lächeln und freundlich ermuntern oder ängstlicher Gesichtsausdruck) veranlasst dies das Kind zur weiteren Erkundung oder zum Rückzug. Hartmann und Lohmann (2004) sehen in der sozialen Rückversicherung eine wesentliche affektregulierende Wirkung, die wiederum zu einer angemessenen Entwicklung der Selbstregulation und intentionaler Vorgänge (wie Wirksamkeit, Kompetenz und Urheberschaft) beitragen kann. Bischof-Köhler (2011) betont dagegen, dass der etwa neunmonatige Säugling noch nicht imstande ist, die Signale der Mutter dahingehend zu interpretieren, was diese von der Situation hält. Vielmehr wirken an dieser Stelle zwei »Kräfte«. Entweder wird a) das biologische Sicherheitssystem des Kindes aktiviert, wenn es von einem unvorhergesehenen Ereignis verunsichert wird, oder b) das Kind reagiert mit Gefühlsansteckung durch die emotionale Bewertung der Mutter (zum Beispiel wenn diese Ängstlichkeit ausdrückt). Somit lernt das Kind »aus dem Ausdrucksverhalten der Bezugsperson über Gefühlsansteckung, was emotional von einer bestimmten Sache oder Situation zu halten ist« (Bischof-Köhler, 2011, S. 249).

Eine weitere Einflussgröße, die die Interaktion zwischen Mutter und Säugling maßgeblich beeinflusst, ist das Temperament. Seiffge-Krenke (2009) bezieht sich auf Steinhausen (2000) und unterscheidet Temperamentsmerkmale von »einfachen« und »schwierigen« Kindern.

Tabelle 1.1: Temperamentsmerkmale von Kindern (Seiffge-Krenke, 2009, S. 79)

Temperamentsmerkmale von »einfachen« und »schwierigen« Kindern

Temperamentsmerkmal

bei einfachen Kindern

bei schwierigen Kindern

Allgemeine Stimmungslage

fröhlich, lächelnd, positiv

traurig, weinend, negativ

Regelmäßigkeit biologischer Funktionen

regelmäßig

unregelmäßig

Reaktion auf neue Situationen

Annäherung

Rückzug

Anpassung an neue Situationen

schnell

langsam

Intensität der Reaktion

mäßig

ausgeprägt

Spätere Verhaltensprobleme

selten

häufig

Temperament umfasst nach Rothbart und Bates (1998) a) Reagibilität, bestehend aus der Valenz (Aufforderungscharakter), Intensität und der Schwelle für affektive Reaktionen auf Stimuli; b) Aktivität/Antrieb, die sich auf die individuelle Reaktionsschnelligkeit bezüglich eines Stimulus beziehen und c) vegetative Reaktionsmuster (zum Beispiel kardiale und elektrodermale Reaktivität). Hinsichtlich der Beschreibung der Temperamentsdimensionen gibt es unterschiedliche Beschreibungen. Hohe Übereinstimmungen herrschen bei den Dimensionen »approach« (Annäherung) und »inhibition« (Hemmung). Mit Annäherung werden Eigenschaften wie positive Affektivität, Extraversion, Reizsuche und Neugierverhalten assoziiert. Mit Hemmung sind Eigenschaften umschrieben wie negative Affektivität, Ängstlichkeit, Reizbarkeit, Neigung zu leiden und in Verzweiflung zu geraten, Depressivität, Introversion und Verhaltenshemmung. Die beiden Temperamentsdimensionen gehen auf das basale Motivationssystem von Gray et al. (1983) zurück. Es besteht aus einem Verhaltensaktivierungssystem (»behavioral activation system«, BAS) und einem Verhaltenshemmungssystem (»behavioral inhibition system«, BIS) (Herpertz et al., 2008, S. 209). Nach Herpertz et al. (2008) beeinflussen sich Temperament und Bindungsqualität gegenseitig: »Genetische bzw. angeborene Reaktionsmuster nehmen Einfluss auf die Interaktion des Individuums mit seiner Umwelt, die ihrerseits zu einer Verstärkung oder Abschwächung initialer Prädispositionen führen kann« (S. 216). Somit können sich bestimmte Temperamentsmerkmale in Wechselwirkung mit der sozialen Umwelt fördernd oder hemmend auf die psychische Entwicklung des Kindes auswirken. Die Autoren betonen, dass zum Beispiel ängstlich-vermeidendes Verhalten seitens des Kindes überprotektives Verhalten bei den Eltern leichter auslöst, während das Erziehungsverhalten von irritierbaren, motorisch unruhigen Kindern stark kontrollierend, reglementiert und wenig durch Lob gekennzeichnet ist.

1.1.2 Bindungstheorie und ihre empirische Verankerung

Durch die Forschungsarbeiten von Ainsworth und Mitarbeiter (1978) fand die Bindungstheorie ihre empirische Verankerung. Mithilfe der »Fremde Situation« als halbstandardisiertes Beobachtungsverfahren konnte die Bindungsqualität von Kleinkindern im Alter von 11 bis 20 Monaten empirisch überprüft werden (Brisch, 2009). Während Ainsworth zunächst drei Bindungsstile deklarierte (sicher, unsicher-vermeidend und unsicher-ambivalent gebunden), identifizierte Main (1991) einen weiteren Bindungsstil, den desorganisierten/desorientierten (Schmidt & Strauss, 1996). Sicher gebundene Kinder (Bindungstyp B) reagieren bei der Trennung von der Mutter beunruhigt (Weinen, Protest), wenden sich bei der Rückkehr der Mutter zu und holen sich von ihr Trost. Nach Abklingen des Stresserlebens (Sicherheitsgefühl wurde hergestellt), zeigen sie erneut exploratives Verhalten. Unsicher-vermeidend gebundene Kinder (Bindungstyp A) sind weniger stark beunruhigt beim Weggang der Mutter und vermeiden Nähe und Kontakt bei deren Rückkehr. Einer fremden Person verhalten sie sich nicht anders als gegenüber der Mutter. Bindungsgefühle werden unterdrückt, die Exploration der Umwelt fokussiert. Kinder mit unsicher-ambivalenten Verhaltensmustern (Bindungstyp C) sind während der Trennung sehr verängstigt und lassen sich bei Rückkehr von der Mutter nur langsam beruhigen. Charakteristisch ist dabei, dass sie zwischen der Suche nach Nähe und einer aggressiven Ablehnung des Kontaktes oszillieren. Kinder mit desorganisierten/desorientierten Verhaltensmustern (Bindungstyp D) sind in ihren Handlungen widersprüchlich, zeigen unterbrochene oder stereotype Bewegungen sowie eine fraktionierte Kommunikation. Es wird angenommen, dass die Gefahrenquelle von der Bezugsperson selbst ausgeht (Brisch, 2009; Schmidt & Strauss, 1996; Seiffge-Krenke, 2009).

Seiffge-Krenke (2009) stellt die drei von Ainsworth identifizierten Bindungsstile der mütterlichen Feinfühligkeit gegenüber:

Mütter

sicher gebundener Kinder

reagieren feinfühlig und angemessen auf die Signale des Kindes.

Mütter

unsicher-vermeidender Kinder

weisen das Kind und dessen Wunsch nach Nähe schroff ab. Zeigt das Kind negative Emotionen wie Trauer, zieht sich die Mutter zurück und dient nicht als regulative Unterstützung.

Mütter

unsicher-ambivalenter Kinder

reagieren für das Kind unvorhersehbar. Einerseits sind sie zeitweise sehr herzlich und zugewandt, andererseits sind sie für das Kind nicht erreichbar und ansprechbar.

Schmidt & Strauss (1996, S. 143f.) fassen in ihrem Artikel zur Relevanz der Bindungstheorie für die Psychotherapie Ergebnisse verschiedener Studien zusammen, die sich mit Korrelaten von Bindungsstilen beschäftigen. So beziehen sich die Autoren auf Mates et al. (1978), die nachweisen konnten, dass Kindergartenkinder mit einem sicheren Bindungsstil autonomer und selbstbewusster waren als unsicher gebundene Kinder. Nach Renken et al. (1989) sind unsicher-vermeidend gebundene Vorschulkinder aggressiver, unsicher-ambivalente Kinder dagegen passiv und zurückgeozogen. Erickson et al. (1985) fanden heraus, dass unsicher-vermeidend gebundene Kinder nicht nur aggressiver, sondern auch passiv zurückgezogener sind und dass unsicher-ambivalent gebundene Kinder ein erhöhtes Fehlen von Selbstvertrauen und Handlungsbereitschaft zeigen. Nach Ainsworth (1978) und Grossmann et al. (1985, 1989) zeigen Säuglinge mit feinfühligen Müttern weniger Ärgerausdruck, weniger Ängstlichkeit und Aggressivität und neigen zu einer differenzierteren Kommunikation. Thompson (2008) stellt ebenfalls fest, dass sicher gebundene Kinder über eine bessere Emotionsregulation verfügen als unsicher gebundene Kinder und dass dies Konsequenzen für die weitere Entwicklung hat. Sicher gebundene Kinder greifen auf konstruktive Copingstrategien zurück und verfügen deshalb auch über bessere Kompetenzen im Umgang mit Gleichaltrigen.

Während man den Bindungsstil von Kleinkindern mit der »Fremde Situation« empirisch zu erfassen versucht, liegt die Aufmerksamkeit im Jugend- und Erwachsenenalter nicht mehr auf dem Bindungsverhalten, sondern auf den Bindungsrepräsentationen, um Aussagen über die Bindungsqualität zu treffen (George, Kaplan & Main, 1985). Sie werden als »die mentale Organisation der eigenen Bindungsgeschichte« verstanden (Zimmerman et al. 2001, S. 102).

Orientiert an den Bindungsrepräsentanzen für Erwachsene fasst Seiffge-Krenke (2009, S. 75f.) die Bindung im Jugendalter folgendermaßen zusammen: Bei Jugendlichen mit sicheren Bindungsmustern herrscht ein Gleichgewicht zwischen Bindung und Exploration, sie sind autonom, haben hohes Vertrauen in die Eltern und können Konflikte konstruktiv lösen. Sie sind fähig negative und positive Erfahrungen mit ihren Eltern zu einem kohärenten Bild zu verbinden. Dagegen weisen Jugendliche mit einem unsicherdistanzierten Bindungsmuster einerseits wenig Autonomiestreben und geringe Verbundenheit mit den Eltern auf, andererseits idealisieren sie ihre Eltern und geben sich in Beziehungen vermeintlich unabhängig (als spiele Bindung keine Rolle). Es fällt ihnen schwer, negative Affekte bei sich und anderen wahrzunehmen. Jugendliche mit unsicher-verwickelten Bindungsmustern zeigen wenig Autonomiestreben gegenüber den Eltern und verspüren zugleich sehr viel Ärger den Eltern gegenüber, ihr Bindungsbedürfnis bleibt stets aktiviert und wird nicht gesättigt. In eigenen Paarbeziehungen zeigen sie anhängliches und ängstliches Verhalten (»anxious love«).

1.1.3 Bedeutsamkeit mütterlicher Affektspiegelung für die kindliche Emotionsregulation

Müttern mit autonomen Bindungsrepräsentanzen gelingt es leichter, die Emotionen und Motive ihrer Kinder zu differenzieren und damit angemessen auf die Bedürfnisäußerungen zu reagieren. Mit der Folge, dass sich dadurch die Wahrscheinlichkeit einer sicheren Bindung erhöht. Mit ihrem feinfühligen Verhalten verhelfen sie dem Kind, widerstreitende Emotionen Schritt für Schritt in das eigene Selbst zu integrieren. Sicher gebundene Kinder machen die Erfahrung, Angst, Wut oder Autonomiewünsche offen ausdrücken zu können, ohne von der Mutter zurückgewiesen zu werden (Strauss & Schmidt 1997). Hier greifen zwei aus der Objektpsychologie bekannte Wirkfaktoren: Winnicotts (1971) Konzept der Spiegelung und Bions (1962) Konzept des Containments.

»Eine sichere Bezugsperson kann Trost spenden, indem sie die seelische Verfassung des Kindes exakt spiegelt und dies mit einem Gesichtsausdruck verbindet, der nicht zu dem des Kindes passt. Das Kind ›versteht‹ nun den Unterschied zwischen den Emotionen seiner Mutter und seinen eigenen Gefühlen von Angst und Kummer« (Seiffge-Krenke, 2009, S. 81).

Fonagy und Target (2006) betonen, dass der entscheidende Unterschied zwischen Müttern mit autonomen Bindungsrepräsentanzen und Müttern mit unsicheren Bindungsrepräsentanzen darin liegt, dass es ihnen am besten gelingt, sich in die Motivlage des Kindes hineinzuversetzen. Sie sehen das Kind als Person, mit eigenen Ideen, Gefühlen und Wünschen, was wiederum zu einem feinfühligen Verhalten führt. Den möglichen Schlüssel für die transgenerationale Weitergabe von Bindungsmustern findet Fonagy (2003a, b) in Mary Mains (1991) Überlegungen zur metakognitiven Steuerung. Mütter mit autonomen Bindungsrepräsentanzen sind in der Lage, »über die unmittelbare Erfahrungsrealität hinauszugehen und den Unterschied zwischen der unmittelbaren Erfahrung und dem zugrundeliegenden mentalen Befinden zu begreifen« (Fonagy 2003a, S. 55). Die primäre Bezugsperson ist also imstande, die Ursache der kindlichen Verstörung nachzuvollziehen und gleichzeitig seinen affektiven Zustand zu verstehen. Durch diesen hohen Grad an Selbstreflexivität können diese Mütter, die unbearbeiteten Gefühle des Kindes modulieren und seine Intention bestätigen.

Das bestätigen auch Köhlers (1992) Überlegungen (Strauss & Schmidt, 1997, S. 5f.). Er weist darauf hin, dass Kinder, deren Mütter ein unsicher-distanziertes Bindungsmuster aufweisen, meist einen unsicher-vermeidenden Bindungsstil haben. Aufgrund von Zurückweisung ihres Bindungsverhaltens (Suche nach Nähe) bleibt dieses frustriert und damit ständig aktiviert. Durch die Frustration wendet das Kind seine Aufmerksamkeit von der Mutter ab und vermeidet Situationen, die das Bindungssystem aktivieren. Die Intimität wird zugunsten der Autonomie geopfert. Unsicher-vermeidend gebundene Kinder machen somit die Erfahrung, dass ihre eigene emotionale Erregung von der primären Bezugsperson nicht aufgefangen werden kann. In der Folge überregulieren sie Gefühle und vermeiden emotional erregende Situationen (Seiffge-Krenke, 2009).

Mütter mit beziehungsüberbewertenden Bindungsmustern treten ihren eigenen Kindern, die meist unsicher-ambivalent gebunden sind, gegenüber überaufmerksam auf. Diese Überaufmerksamkeit ist jedoch Ausdruck der eigenen Unsicherheit und Angst. Sie führt zu Fehlinterpretationen des kindlichen Verhaltens und damit zu Fehlreaktionen. Durch die eigene Unsicherheit gelingt es der Mutter nicht, die Angst des Kindes zu reduzieren. Ein weiteres Problem besteht darin, dass diese Mütter »ihre Kinder zur Aufrechterhaltung ihres eigenen narzisstischen Gleichgewichts meist an sich binden und dass somit eine Ablösung kaum möglich ist« (Strauss & Schmidt, 1997, S. 5). Unsicher-ambivalent gebundene Kinder opfern die Autonomie zugunsten der Intimität. Sie untersteuern Emotionen, da Situationen sehr schnell als bedrohlich erlebt werden (Seiffge-Krenke, 2009).

Nach Fonagy (2009) sorgt Bindung dafür, »dass die für die soziale Kognition zuständigen Hirnprozesse angemessen organisiert und darauf vorbereitet werden, das Individuum für die kollaborative und kooperative Existenz mit anderen auszurüsten« (S. 91). Durch die sozialen Interaktionen mit den Bezugspersonen bilden sich sozial-kognitive Fähigkeiten aus. Des Weiteren entwickelt das heranwachsende Kind im engen Umgang mit anteilnehmenden Eltern bzw. Bezugspersonen soziale Intelligenz und Bedeutungserzeugung. Mit den beiden Begrifflichkeiten umschreibt Fonagy (2009) die Fähigkeit menschliches Verhalten zu interpretieren. Fonagys zentrale Annahme ist, dass sichere Bindung diese Entwicklungsprozesse zum einen fördert und zugleich beschleunigt. Die Fähigkeit, menschliches Verhalten zu interpretieren, bezeichnet Fonagy als »interpersonale Interpretationsfunktion« (IIF). Die IIF sieht Fonagy als das evolutionspsychologische Ergebnis und neurobiologische Fundament, aus dem die Fähigkeit zur Selbstregulation erwächst. Die Selbstregulation ist verwoben mit der Fähigkeit zur Mentalisierung, die wiederum mit der Bindungsbeziehung und damit einhergehenden Reifung des sozialen Gehirns zusammenhängt. Die Mentalisierungsfähigkeit ist eine wichtige Komponente für Selbststeuerung und Selbstregulation (Fonagy, 2009). Die Grundpfeiler für die Mentalisierungsfähigkeit liegen in der Bindungsqualität.

Für die Entwicklung einer sicheren Bindung sind die Faktoren Feinfühligkeit, soziale Rückversicherung, Containment/Affektregulation und die metakognitiven Fähigkeiten der Bezugspersonen wichtig. Die Feinfühligkeit der Bezugspersonen und deren Reaktionsweisen hinsichtlich der kindlichen Rückversicherung sind elementare Wirkfaktoren für eine gelingende Entwicklung. Geißler (2004) sieht die frühe Affektregulation als Meilenstein für das spätere Gelingen bzw. Misslingen selbstregulativer Fähigkeiten an, während Panksepp (2004) in den kognitiven Erfahrungen und dem sozialen Feedback, das der Säugling vermittelt bekommt, wenn er emotional erregt ist, die Weichenstellung zu verschiedenen Entwicklungspfaden sieht.

1.1.4 Bindung systemisch betrachtet: Züricher Modell sozialer Motivation

Bischof (2009) findet einen systemtheoretischen Zugang zum Bindungsmodell, das er mit dem Züricher Modell sozialer Motivation differenziert beschreibt. Generell unterteilt Bischof den Bindungsbegriff in primäre, sekundäre und tertiäre Bindung. Die primäre Bindung bezieht sich auf die von Bowlby verstandene Bindung des Kindes an die Mutter bzw. an die primäre Bezugsperson. Die sekundäre Bindung bezieht sich auf den Geschlechtspartner und reift in der Adoleszenz heran. Die tertiäre Bindung entwickelt sich aus der eigenen Nachkommenschaft. Die tertiäre ist zur primären Bindung komplementär. Während die primäre Bindung das Bindungsbedürfnis aus Sicht des Kindes beschreibt, stellt die tertiäre Bindung das Bindungsbedürfnis aus Elternsicht dar.

Das Züricher Modell der sozialen Motivation erfasst das Bindungsverhalten mit den Motivsystemen Sicherheit, Erregung und Autonomie. Diese drei »Antriebsmuster« beeinflussen das Verhalten des Menschen von Geburt an (Kuhl & Völker, 1998, S. 211). Kuhl und Völker heben das Züricher Modell sozialer Motivation für die Persönlichkeitsentwicklung hervor. Prägende Erfahrungen sammelt der Säugling bzw. das Kleinkind zunächst im emotionalen Austausch mit dem Ziel, Grundbedürfnisse wie Sicherheit und Wärme oder vitale Bedürfnisse zu befriedigen. Diese gesammelten Erfahrungen schlagen sich im impliziten Gedächtnis nieder. Verläuft die interaktive Regulation von Grundbedürfnissen und Emotionen maladaptiv, führt das zu einer erhöhten negativen Emotionalität und Sensitivität für negative Emotionen und kann nach Grawe (2004) als »Grundlage einer späteren Tendenz zur intrapsychischen Dysregulation« (S. 353) gesehen werden. Über den Regulationsverlauf werden implizite motivationale Schemata gebildet, die auf das Verhalten und Erleben des Menschen großen Einfluss nehmen und unbewusst ablaufen.

Ausgangspunkt im Züricher Modell sozialer Motivation ist die Regulation der Sicherheit. In der Systemtheorie unterscheidet man beim Regulationsprozess zwischen einem Sollwert und einem Istwert. Der Sollwert legt, vereinfacht ausgedrückt, stets fest, wie viel von etwas gebraucht wird (zum Beispiel das Bedürfnis nach Sicherheit). Der Istwert markiert den Zustand, wie sehr das, was gebraucht wird, vorhanden ist. Dabei wird stets versucht ein Gleichgewicht zwischen Ist- und Sollwert herzustellen (Homöostase-Prinzip). Das Gefühl der Sicherheit ist die erste Regelgröße. Deren Generierung hängt von mehreren Variablen ab. Zunächst wird das Ausmaß an Sicherheit durch die Nähe bzw. Distanz zum Bindungsobjekt bestimmt. Das Objekt wird dann zum Bindungsobjekt, wenn ein gewisses Maß an Vertrautheit vorherrscht. Nach Bischof-Köhler (2010) tritt sozial gerichtetes Lächeln nach etwa sechs Wochen auf, das zunächst nicht selektiv, sondern auf den Typus Mensch gerichtet ist. Vertraute und Fremde lösen beim Säugling gleichermaßen ein Lächeln aus. Mit drei bis vier Monaten fängt der Säugling an, zu unterscheiden, und lächelt selektiv vertraute Personen an. Lächeln im Regelkreis Sicherheit bedeutet erfüllte Sicherheitsappetenz – der Istwert entspricht dem Sollwert, der »Sicherheitstank« ist damit voll.

Nähe und Vertrautheit stellen in diesem Motivsystem die sogenannten Detektoren dar. Eine weitere Variable, die den Ausprägungsgrad des Sicherheitsgefühls beeinflusst, ist die Abhängigkeit. Alle Variablen haben eine regulative Funktion, sie können also stärker oder schwächer ausgeprägt sein. Aus diesem Zusammenspiel resultieren gewisse Ist- und Sollwerte hinsichtlich des Sicherheitsgefühls. Je nach Verhältnis der einzelnen Variablen zueinander entstehen zwei mögliche Reaktionsweisen: Geringe Vertrautheit, geringe Nähe und erhöhte Abhängigkeit führen zu Appetenz nach Sicherheit, das heißt, Nähe wird durch reale oder symbolische Annäherung geschaffen (zum Beispiel wenn das Kleinkind sich in die Richtung der Bezugsperson bewegt, Übergangsobjekte dagegen dienen als symbolische Annäherung). Erhöhte Vertrautheit, erhöhte Nähe und geringe Abhängigkeit führen zu Aversion – einem Überdruss an Sicherheit. Dieser Überdruss wird durch das Schaffen von Distanz gemindert und damit reguliert. Somit wird im Züricher Modell der sozialen Motivation der Bindungswunsch nicht als gleichbleibende Größe verstanden, sondern als sich verändernde Variable. Das Bindungsbedürfnis, Bischof (2009) nennt es eine »durch die familiäre Nestwärme erzeugte Sicherheit« (S. 420), weist eine Toleranzgröße auf, die zu Überdruss führen kann (zum Beispiel wenn der pubertierende Jugendliche dem Vater aus dem Weg geht).

Das zweite Motivsystem in Bischofs Ansatz ist das der Erregung. Das Motivsystem Erregung soll zur Erklärung von Phänomenen wie soziale Neugier und Fremdenfurcht verwendet werden. Das Erregungssystem ist entwicklungsbedingt zunächst beim Säugling nur zum Teil funktionstüchtig. In den ersten Monaten wäre die Emotion »Furcht« kontraproduktiv, denn für den Säugling ist zunächst auch die Mutter als primäre Bezugsperson neu und unvertraut. Er muss erst lernen, zwischen vertrauter und fremder Person zu unterscheiden. Mit dem Auftreten der Fremdenangst (Spitz, 1972) und der sozialen Rückversicherung hat sich in diesem Alter die Bindung zu Bezugspersonen etabliert (Bischof-Köhler, 2010).

Die Regelgröße Erregung (arousal) wird neben dem jeweiligen Ausprägungsgrad der beiden Detektoren Nähe und Vertrautheit von einer weiteren Variablen beeinflusst, der Unternehmungslust. Der Grad an Erregung ist das Produkt aus dem Ausprägungsgrad Nähe und Vertrautheit in Verbindung mit Annäherung an Fremde. Das Zusammenspiel der Erregung mit der Variablen Unternehmungslust führt wiederum zu zwei verschiedenen Reaktionsmodi. Ist der Ausprägungsgrad an Erregung niedrig und die Unternehmungslust höher, führt dies zu explorativem Verhalten (Appetenz); ist die Erregung höher als die Unternehmungslust, entsteht Furcht (Aversion), es kommt also zur Flucht.

Das dritte Motivsystem ist das der Autonomie. Als Ausgangspunkt im Autonomiesystem gilt das Verhältnis, das sich aus der Differenz der eigenen Stärke und der des Anderen ergibt. Daraus resultiert die Autonomie, die Bischof (2009, S. 426) als Motiv zur Durchsetzung eigener Interessen und Gewährleistung zur Sicherung eigener Lebensumstände versteht. Zum Autonomieanspruch zählen Macht und Dominanz (seine eigene Stellung im sozialen Kontext behaupten), Geltungsmotiv (nach Ansehen und Anerkennung streben) und Kompetenz- und Leistungsmotivation (eigene Wirksamkeit und Tüchtigkeit). Korrespondierende Gefühle mit erfolgreicher Einflussnahme sind für Bischof-Köhler (2010) Selbstgewissheit und Selbstvertrauen. Wiederum ergeben sich aus dem Zusammenspiel der erlebten Autonomie und dem eigenen Autonomieanspruch zwei Reaktionsmodi: Hoher Autonomieanspruch führt zur Neigung, eigene Interessen durchzusetzen, und zu aktiver Problembewältigung, während ein geringer Autonomieanspruch zu Nachgiebigkeit, Passivität und submissivem Verhalten führt.

Ein weiterer Schritt im Züricher Modell zur Erklärung von Bindung und Ablösungsverhalten besteht aus der Vernetzung der drei Regelkreise Sicherheit, Erregung und Autonomie, dem Coping-Apparat und den beiden Einflussvariablen sexuelle Motivation und prosoziales Verhalten.

Invention

: Durch Lokomotion und Manipulation wird ein Umweg um die Barriere gefunden.

Aggression

: Durch Wut wird die Barriere gewaltsam zum Einsturz gebracht.

Supplikation

: Durch Herbeirufen von Hilfe/Weinen soll die Barriere entfernt werden.

Revision

: Durch Veränderung des subjektiven Blickwinkels, also durch Überprüfung und Revision der Kognitionen, wird die Situation neu eingeschätzt und bewertet.

Akklimatisation

: Durch Veränderung des Sollwerts, indem man sich der Situation fügt oder das Bedürfnis unterdrückt, wird die Antriebsspannung reduziert.

Die Frage, wie heranwachsende Kinder beurteilen können, ob das eingesetzte Coping zum gewünschten Erfolg führte, wenn sie noch nicht über rationale Einsicht verfügen, beantwortet Bischof-Köhler (2011) mit der Funktion der Emotionen für den Coping-Apparat. Emotionen haben einen Signal- und Motivationscharakter. Sie dienen als Bewertungsinstanz für Lernvorgänge und verhelfen bei Motivkonflikten zur Entscheidungsfindung, welches Motiv den Vorrang erhält.

Die beiden Variablen sexuelle Motivation und Fürsorgeverhalten sollen abschließend kurz erläutert werden. Sie spielen bei Bischof (2009) vor allem für die sekundäre und tertiäre Bindung eine bedeutsame Rolle. Sexuelle Motivation korreliert mit dem zunehmenden Autonomiestreben Heranwachsender. Die Entdeckung der eigenen Sexualität, deren Integration in das eigene Selbstbild sowie die Schritte zu partnerschaftlichen Intimbeziehungen führen zur Ablösung aus der Herkunftsfamilie. Bischof (2009) nennt vier Grundsätze, die hierfür eine wichtige Rolle spielen:

Der

Autonomieanspruch

nimmt in der Adoleszenz deutlich zu und erreicht im Erwachsenenalter ein moderates Niveau.

Die

Unabhängigkeit

ist die treibende Kraft für die Ablösung aus der Herkunftsfamilie. Diese nimmt mit dem Alter ab, um die Dauerpartnerschaft nicht zu gefährden.

Die

Unternehmungslust

und

sexuelle Motivation

steigen im Übergang von Kindheit zur Adoleszenz rasant an und bleiben in der Adoleszenz auf einem hohen Niveau und verweilen im Gegensatz zur Unabhängigkeit im Erwachsenenalter ebenfalls auf einem hohen Niveau.

Mit der

Fürsorgemotivation

verhält es sich umgekehrt, sie wächst in der Adoleszenz, erreicht ihr hohes Niveau erst im Erwachsenenalter.

1.2 Kindliche Entwicklungsschritte von der Fremdregulation zur Selbstregulation

Unter diesem Gliederungspunkt werden theoretische Überlegungen kognitiver Reifung im Wechselspiel von Emotion und Motivation beschrieben (Bischof-Köhler 2010, 2011). Diese sind vor allem wichtig, um den Übergang zur Selbstregulation bzw. Selbststeuerung verständlich erläutern zu können.

Die Wirksamkeit menschlichen Handelns ist enormen Veränderungen ausgesetzt. Nach Heckhausen und Heckhausen (2010) werden im Säuglings- und frühen Kindesalter die Voraussetzungen für wirksamkeitsorientiertes Verhalten gelegt, beispielsweise auch darin, wie es dem Kind gelingt »Barrieren« durch Coping für die Bedürfnisbefriedigung zu überwinden. Dazu zählen die Autoren den Aufbau einer generalisierten Wirksamkeitserwartung, die Orientierung an Handlungszielen sowie die Unterteilung von Handlungsschritten für die Zielerreichung. Hinzu kommen leistungsbezogene Emotionen wie Stolz oder Scham, die dem Wirksamkeitsverhalten eine stark selbstwertzentrierte Prägung verleihen.

Die Bindungsqualität stellt einen ersten Stützpfeiler für einen positiven Entwicklungsprozess von der Fremd- zur Selbstregulation dar. Bischof-Köhler beschreibt mit den drei Stufen der Verhaltenssteuerung (prärationale, protorationale und rationale) wichtige kognitive, motivationale und emotionale Entwicklungsschritte für die menschliche Handlungsorganisation. Im Anschluss an diesen Gliederungspunkt werden zentrale Komponenten für eine gelingende bzw. misslingende Selbstregulation beschrieben.

1.2.1 Stufe der prärationalen Verhaltenssteuerung

Die prärationale Ebene (0 bis 18 Monate) entspricht der sensumotorischen Entwicklungsstufe nach Piaget. Für Bischof-Köhler (2010) ist die prärationale Verhaltenssteuerung in den ersten beiden Lebensjahren »emotional bestimmt«. Grundemotionen wie Freude, Interesse (Neugier), Erschrecken, Unbehagen/Ekel/Überdruss, Angst/Furcht/ Scheu, Trauer, Ärger und Zuneigung reifen im ersten Lebensjahr und sind als spezifische Anpassungsmechanismen zu verstehen. Säuglinge verfügen nur über ein begrenztes Maß an selbstbezogenen Emotionsregulationsstrategien (zum Beispiel Daumen saugen, hin und her schaukeln). Weinen oder Lachen als Ausdruckgebärde dient dem Säugling dazu, die Umwelt auf seinen inneren Zustand aufmerksam zu machen (von Salisch, 2008).

Nach Hartmann und Lohmann (2004) sind für die ersten beiden Lebensjahre drei Prinzipien als Basis für zukünftige Selbstregulation von Bedeutung:

Andauernde Regulation

: Über andauernde Regulationserfahrungen mit dem sozialen Umfeld entwickelt das Kleinkind Erwartungen über den Interaktionsablauf, was sich wiederum auf die Bindungsrepräsentanzen auswirkt.

Unterbrechung und Wiederherstellung

: Dieses Prinzip bezieht sich auf die Organisation von Coping-Erfahrungen, Wirksamkeitserfahrungen (im Sinne der Funktionslust und Zirkularreaktionen) und Hoffnung.

Gesteigerte affektive Augenblicke

: Dieses Prinzip beschreibt Momente der Zustandsveränderungen – von negativen zu positiven Affekten. Wenn das affektive Erleben verändert werden kann, hat dies einen organisierenden Einfluss auf das Kind.

Diese drei Prinzipien verhelfen dem Säugling also zu einem positiv affektiven Kern (Hartmann & Lohmann, 2004). Mit zunehmender Reife auf der protorationalen Stufe bzw. auf der rationalen Stufe erweitert sich der Coping-Apparat. Die Erweiterung des Coping-Apparats verhilft dem Kind erneut zu einer besseren Selbstregulation und Selbstkontrolle. Die Bedeutung der Emotionsregulation wird im Zusammenhang mit der Selbststeuerung noch differenzierter erläutert. Für die prärationale Verhaltenssteuerung spielen Emotionen einerseits als Bewertungs- und Steuerungsmechanismen eine Rolle, andererseits sieht Bischof-Köhler (2011) Emotionen als Grundlage der sozialen Kognitionen beim Säugling an.

Wendet man sich den Prinzipien von Piaget zu, so lässt sich allgemein sagen, dass Piaget Entwicklung als einen stetigen Gleichgewichtsprozess (Äquilibration) zwischen Differenzierung und Integration ansieht – als ein Wechselspiel zwischen dem eigenständig werdenden Individuum und der sich erweiternden Lebenswelt. Das Individuum koordiniert fortlaufend diesen Anpassungsprozess, bestehend aus Assimilation und Akkommodation, und erhält dadurch einen zunehmend differenzierten Zugang zur Umwelt. Bei der Assimilation gleicht der Organismus neue Erfahrungen der bestehenden Struktur an, während bei der Akkommodation die bestehenden Strukturen den neuen Erfahrungen angepasst werden. Kann der Organismus die Umweltanforderungen nicht mehr verstehen bzw. einordnen, muss er sich an die Gegebenheiten neu anpassen – das Grundprinzip der Entwicklung (Flammer, 2009).

Bezogen auf die prärationale Niveaustufe von Bischof-Köhler (2011) rückt dadurch einerseits die Ausbildung motorischer Schemata ins Zentrum der Aufmerksamkeit und andererseits die Frage nach möglichen Wahrnehmungsleistungen von 0 bis 18 Monate alten Kindern. Die Autorin sieht impulsive Bewegungen als Ausgangspunkt für die motorische Entwicklung beim Neugeborenen. Die zunächst ungesteuerten Zufallsbewegungen bilden sich durch Zirkularreaktionen zu motorischen Schemata aus. Zirkularreaktionen haben einen explorativen Charakter. Exploration dient dem Kleinkind als Mittel zum Erkenntnisgewinn. Die zufällige Bewegung führt zu einem Effekt, aus der die intrinsische Motivation erwächst, etwas bewirken zu können. Die Frustration des Nicht-Gelingens steigert den Antrieb, es weiter zu versuchen. Unter Berücksichtigung der Informationen aus den vorherigen gescheiterten Versuchen, wird die Anstrengung modifiziert, um zum Erfolg zu kommen. Zirkularreaktionen beschreiben einen dynamischen Wechsel von Assimilation und Akkommodation.

Um Aussagen über die Wahrnehmungsleistungen von Säuglingen und Kleinkindern und damit eine Vorstellung von deren Erfahrungswelt zu erhalten, unterteilt Bischof-Köhler (2011) Wahrnehmung in »angetroffen« und »vergegenwärtigt«. Die Einteilung, ob die Wahrnehmung eines Objekts als angetroffen oder vergegenwärtigt zu verstehen ist, hängt von der mentalen Vorstellungstätigkeit ab. Die Objekterfassung bezieht sich in der prärationalen Verhaltenssteuerung auf »geschlossene, abgegrenzte Figuren aus greifbarer Materie« (S. 52). Das Vergegenwärtige ist das Abbild von etwas Erlebtem, das mental repräsentiert und erst auf der protorationalen Stufe möglich wird.

1.2.2 Stufe der protorationalen Vorstellungstätigkeit

Die protorationale Vorstellungstätigkeit beim Kind setzt mit etwa 18 Monaten ein. Die Wahrnehmung entwickelt sich vom real angetroffenen zum geistig vergegenwärtigten Abbild. Das real angetroffene Abbild wandelt sich zum symbolischen Abbild, das durch die Vorstellung vergegenwärtigt und mit sprachlichen Begriffen verbunden ist. Auf dieser Stufe sind »deklarative Gedächtnisleistungen« möglich (Bischof-Köhler, 2010, S.

17). Das heißt, frühere geistige Vorgänge bzw. generelle Wissensinhalte können aus dem Gedächtnis abgerufen werden. Als erstes Indiz für die Vorstellungstätigkeit sieht die Autorin die Objektpermanenz. Mit der Vorstellungstätigkeit beginnt das Fantasiespiel und führt zum mentalen Probehandeln bzw. zur Strategie des einsichtsvollen Problemlösens. Weitere Entwicklungsschritte auf der protorationalen Stufe sind der Spracherwerb, das Symbolspiel, das Ichbewusstsein, der Beginn der Geltungsmotivation mit selbstbewertenden Emotionen und die Zunahme an Autonomie (Bischof-Köhler, 2011).

Die Selbsterkennung stellt einen wichtigen Entwicklungsschritt auf dieser Stufe dar, sie ist die Basis für die Ausbildung des Ichbewusstseins. Kinder in den ersten 18 Monaten haben nach Bischof-Köhler (2010) ein »unreflektiertes Selbstempfinden«, »das sich seiner selbst nur im Vollzug des Erlebens innewird« (S. 18) – beispielsweise in Form der Funktionslust beim strampelnden Säugling. Es wird gemäß der Konzeptualisierung von James (1892) »I« genannt, während sich das »Me«, als Basis des bewussten Icherlebens, mit der Vorstellungstätigkeit auf der protorationalen Stufe entwickelt. Das Me wird zum Selbstobjekt, das mental repräsentiert ist. Das Me kann »zum Träger von Eigenschaften werden und einer Bewertung unterliegen« (Bischof-Köhler, 2011, S. 149). Das führt zur Selbsterkennung: Ich – das Kind – erkenne mich selbst (mental repräsentiertes Selbstbild) im Spiegel wieder.

Mit der Selbsterkennung und der Differenzierung zwischen Selbstempfinden und Selbstobjektivierung gehen weitere zentrale Entwicklungsschritte einher. Das Auftreten des Ichbewusstseins führt zu divergierenden Entwicklungsschritten. Einerseits zur Zunahme an Autonomiestreben (ein kindliches Selber-machen-Wollen), das unter der Systemperspektive der Bindung bei Bischof (2009) als Machtmotiv bezeichnet wird, und andererseits die sich daraus ergebende Konsequenz, also das Auslösen eines reaktiven Sicherheitsbedürfnisses aufgrund des überhöhten Autonomiestrebens, das Mahler (1978) als Wiederannäherungskrise bezeichnete. Diese Polspannung zwischen dem kindlichen Autonomieanspruch und dem immer noch stark vorherrschenden Sicherheitsbedürfnis wird wiederum über die Bindung zu den zentralen Bezugspersonen reguliert.

Mit dem Einsetzen des Ichbewusstseins entdeckt das Kind sich selbst als Urheber der eigenen Handlungen. Das Kind nimmt sich selbst als das Zentrum für Handlungen und Wünsche wahr, was zu einem gesteigerten Autonomieanspruch bzw. zur Zunahme von Selbstbehauptung führt. Kegan (1986) spricht hierbei vom impulsiven Selbst – das Wollen kommt vor dem Können, was bei den Bezugspersonen oftmals als Trotz wahrgenommen wird. Neben dem sich steigernden Autonomieanspruch muss das Kind eine weitere Hürde meistern, nämlich den Umgang mit Handlungsblockaden. Für Bischof-Köhler (2011) entstehen diese dadurch, dass sich das Kind in seiner Vorstellung Alternativen vergegenwärtigen kann (zum Beispiel wenn das Kind abwägt zwischen Ballspiel oder Bilderbuch anschauen). Daraus entstehen Motivkonflikte, da Kinder auf der Stufe der protorationalen Verhaltenssteuerung noch nicht in der Lage sind, »zukünftige Bedürfnisse zu vergegenwärtigen bzw. die Befriedigung augenblicklicher Antriebe auf die Zukunft zu verschieben« (S. 160). Das Kind verharrt im Hier und Jetzt, gefangen in seinen Impulsen.

Der gesteigerte Autonomieanspruch, die zunehmende Selbstbehauptung und die stetig wachsenden kindlichen Fertigkeiten führen dazu, dass sich das Kind nicht nur als Urheber, sondern auch als Verursacher seiner selbst erlebt: Die eigene Tüchtigkeit rückt ins Zentrum der Aufmerksamkeit! Bischof-Köhler (2011) umschreibt diesen Entwicklungsschritt mit der Begrifflichkeit des kompetenten Selbst. Vom dritten Lebensjahr an wird das Selbst allmählich mit Attributen ausgestattet, die sich auf die eigenen Fähigkeiten beziehen. Für die Selbsteinschätzung spielt die Kausalattribution von Erfolg und Misserfolg eine wesentliche Rolle. Attribuiert das Kind den Erfolg auf die eigene Anstrengung, wird Erfolg »kontrollierbar«. Attribuiert es den Erfolg auf die eigenen Fähigkeiten und werden diese als zu gering eingeschätzt, leidet darunter der Selbstwert. Externale Attribution bezieht sich auf äußere Umstände, die nicht beeinflussbar sind. Die Autorin merkt zu Recht an, dass Kinder nicht permanent Ursachenanalysen hinsichtlich Misserfolg und Erfolg betreiben, sondern primär emotional reagieren. Emotionen wie Scham, Verlegenheit oder Stolz haben eine das Selbst evaluierende Funktion. Das Kind entwickelt mit wachsendem Verständnis für Ausdruck und Sprache ein Geltungsmotiv. Es möchte zeigen, was es kann, und den eigenen Selbstwert durch Ansehen, Lob, Anerkennung und Achtung steigern. Die zwei wichtigen Quellen für Kompetenz und Selbstsicherheit beim Kind sind Bindungssicherheit und die Erfahrung der eigenen Kompetenz (Selbstwirksamkeit). Bischof-Köhler schreibt dazu (2011):

»Wenn beide Sicherheitsquellen in der Kindheit möglichst optimal funktionieren, also adäquate Bedürfnisbefriedigung und Erfahrung und Erprobung der Kompetenz in ausreichender Exploration sich ergänzen, dann entwickelt sich daraus Selbstsicherheit … Eriksons Terminologie folgend, könnte man diese psychische Verfassung auch als Urvertrauen kennzeichnen. Es handelt sich um das Vertrauen, sich selber helfen zu können, aber auch um die Gewissheit, Hilfe zu bekommen, wenn man es alleine nicht schafft« (S. 209).

1.2.3 Stufe der rationalen Handlungsplanung

Ausgangspunkt für die rationale Handlungsplanung (ab dem vierten Lebensjahr) ist die Theory of Mind. Als zentrales Kriterium für die Theory of Mind sieht Bischof-Köhler (2011) das Verständnis von »false belief« (Sally-Anne-Paradigma oder Maxi-Paradigma). Bei dem Test zum Verständnis von false belief wird überprüft, ob das Kind in der Lage ist, sich in eine anderen Person und deren Perspektive hineinzuversetzen. Als Theory of Mind wird die Fähigkeit bezeichnet, »Bewusstseinsinhalte als Ergebnis mentaler Akte und somit als subjektiv zu erkennen« (Bischof-Köhler 2011, S. 331). Die Theory of Mind befähigt das Kind über das Denken als Prozess nachzudenken. Es kann Wahrnehmung, Vorstellung, Fühlen und Wollen zum Gegenstand der Betrachtung machen. Ab dem fünften Lebensjahr verfügt das Kind über die Fähigkeit, zu verstehen, »dass wir alle in unserer je eigenen Welt leben« (Bischof, 2009, S. 397). Damit einher geht nicht nur die Fähigkeit, in der Wahrnehmung eines Objekts oder Sachverhalts die Perspektive zu wechseln, sondern generell zu erkennen, »dass die Standpunkte, Bedürfnisse, Absichten und Vorlieben anderer Personen von den eigenen abweichen können« (Bischof-Köhler, 2010, S. 30). Das Kind kann seine Bedürfnisse und die des Gegenübers berücksichtigen. Bischof-Köhler (2011) führt den Begriff der »affektiven Perspektivenübernahme« als einen Teilaspekt der Theory of Mind ein. Der Mensch handelt nach motivationalen Bezugssystemen, damit rücken verschiedene Aspekte der Welt in den Aufmerksamkeitsfokus. Affektive Perspektivenübernahme ist eine rationale Vergegenwärtigung des emotional-motivationalen Zustandes des Gegenübers. Dabei wird erkannt, dass andere Personen nicht unbedingt das Gleiche wollen wie man selbst.

Die rationale Handlungsplanung ist an Bedürfnisaufschub und Selbstkontrolle gekoppelt, damit wird Verhaltenssteuerung möglich. Hierfür ist ein Zeitverständnis als wesentliche Voraussetzung zu sehen. Verfügt das Kind über ein Verständnis für die Zeit, dann kann es gegenwärtige und vergangene Bewusstseinsinhalte vergleichen. Des Weiteren können Kinder dann auf eine »mentale Zeitreise« gehen (Bischof-Köhler, 2010, S. 33). Kann das Kind die Zeit vergegenwärtigen, ist es befähigt, über Vergangenes und Zukünftiges gegenwertig zu reflektieren, und damit werden Handlungen nicht nur auf aktuelle Motive fokussiert, sondern Handlungen und die damit verbundenen Motive können flexibler gelöst werden. Motive wandeln sich damit zu »emotionalen Appellen«, sie werden zur Kenntnis genommen, können umgesetzt bzw. befriedigt werden; sie können aber auch in eine zukünftige Handlungsplanung aufgenommen werden (Bischof-Köhler, 2011, S. 357). Durch Planung und flexibleres Motivmanagement werden Motivkonflikte, die noch auf der Stufe der protorationalen Verhaltenssteuerung vorherrschten, gelöst.

»Der entscheidende Entwicklungsschritt zur menschlichen Zeitreise besteht … darin, dass der Mensch sich unabhängig von seiner augenblicklichen Verfassung potentielle Motivzustände vergegenwärtigen kann und diese dann bei der Handlungsplanung berücksichtigt, sei es, indem er für zukünftige Bedürfnislagen vorausplant, oder sei es, dass er unerledigte Handlungen aus der Vergangenheit wiederaufleben lässt« (Bischof-Köhler 2010, S. 34).

Damit Verhaltenssteuerung nicht alleine den aktuellen Motiven unterliegt, bedarf es der Fähigkeit, Bedürfnisse aufzuschieben. Es bedarf einer Selbstkontrolle bzw. der sogenannten exekutiven Kontrolle. Sie gewährleistet, dass das Kind nicht permanent seinen Impulsen folgt. Eine exekutive Kontrolle ist möglich, wenn das Kind die Bedürfnisbefriedigung aufschieben, sich vom aktuellen Druck frei machen kann und sich etwas anderem zuwendet: ein wichtiger Entwicklungsschritt, der dem Kind von einem impulsiven Selbst zu einem souveränen Selbst verhilft (Kegan, 1986). Den entscheidenden Hebel sieht Bischof-Köhler (2011) in der Zeitvergegenwärtigung: Die Befriedigung wird in die Zukunft verlegt; nach den Prinzip, das Aufgeschobene wird später nachgeholt. Die Selbstkontrolle bzw. exekutive Kontrolle spielt auch bei der Selbstregulation eine entscheidende Rolle.

Die Entwicklung der Selbstregulation mündet nach Fonagy et al. (2011) in das Selbst als repräsentationaler Akteur. Dieser Entwicklungsschritt ist mit dem Auftreten der Theory of Mind, in einem Alter von vier bis fünf Jahren, erreicht. Damit einher geht das autobiographische Selbst (Damasio, 2000) und die Fähigkeit, explizit auf das autobiographische Gedächtnis mit bewusster Aufmerksamkeitslenkung zugreifen zu können.

»Im sechsten Lebensjahr können Kinder Erinnerungen an ihre intentionalen Aktivitäten und Erfahrungen zu einem kohärenten kausal-zeitlichen Rahmen organisieren; auf diese Weise verankern sie ein zeitlich erweitertes Selbst. (…) Diese autobiographische Erweiterung des Selbst gewährleistet eine zeitliche Kohärenz. (…) Zu den weiteren Fähigkeiten, die das Repertoire des Kindes in dieser Phase bereichern, zählen das Verständnis der sekundären Theory-of-mind (Fähigkeit, falsche Überzeugungen über Überzeugungen zu verstehen), gemischter Gefühle (das Verständnis emotionaler Konflikte), der Art und Weise, wie Erwartungen und Voreingenommenheiten die Interpretation mehrdeutiger Ereignisse beeinflussen, und der Möglichkeiten sozialer Irreführung (zum Beispiel durch harmloses Lügen)« (Fonagy, 2009, S. 118).

1.3 Selbstregulation, Selbstkontrolle und Handlungsregulation

Das Streben nach Unabhängigkeit, Eigenständigkeit, Loslösung von den familiären Schranken, einen Überdruss an Sicherheit verspüren, gepaart mit viel Neugierde, Unternehmungslust und Autonomieanspruch – sich immer weniger sagen lassen wollen und immer mehr ausprobieren – all das sind Aspekte, die mit zunehmendem Alter und biologischer Reife auftreten. Individuation geht einher mit wachsender Eigenständigkeit. Sie nimmt im Schul- und Kindesalter an Bedeutung zu, verläuft fortwährend und erreicht im Jugendalter nochmals eine neue Niveaustufe. Oerter (2010) benennt eine Reihe von Fortschritten in der kognitiven Entwicklung für das Jugendalter, die zu einer besseren Entscheidungsfähigkeit und damit zu mehr Kontrolle führen. Zu den verbesserten Aspekten zählen: »selektive und verteilte Aufmerksamkeit, Verbesserung des Arbeitsgedächtnisses und des Langzeitspeichers, Erhöhung der Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit, bessere Nutzung geeigneter Strategien bei[m] Denken und Einprägen sowie … Verbesserung der Metakognitionen« (S. 58). Mit der kognitiven Entwicklung, so Oerter, können Jugendliche Konsequenzen von Handlungen antizipieren oder Möglichkeiten, die mehreren Zielen dienen, von solchen unterscheiden, die nur einem Ziel dienen. Die kognitive Reife führt bei Jugendlichen zur Introspektion und Selbstreflexion. Die Selbstreflexion sieht Oerter nicht nur als »Prozess der Auseinandersetzung mit sich [selbst]« (S. 60), sondern sie dient auch der Selbstbewertung und der Koordination von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Darüber hinaus sind Jugendliche nun zu einem relativistischen Denken in der Lage, sie verfügen über die Erkenntnis, dass es verschiedene Wahrheiten geben kann. Oerter sieht im relativistischen Denken die Voraussetzung für Toleranz, also der Fähigkeit, den anderen trotz unterschiedlicher Auffassung zu akzeptieren und ernst zu nehmen. In der Spätadoleszenz bzw. im Übergang zum Erwachsenenalter setzt das dialektische Denken ein und damit die Erkenntnis, dass sich durch Gegenseitigkeiten Ergänzungen ergeben können, die zu einer weiteren Entfaltungsmöglichkeit verhelfen (Oerter, 2010).

Wenn man sich verdeutlicht, mit wie viel Energie und Ausdauer Heranwachsende versuchen, eigenständig gefasste Ziele und Pläne umzusetzen, drängt sich die Frage auf, warum es manchen Jugendlichen besser gelingt, Ziele trotz Widrigkeiten zu verfolgen, während sich andere unter ähnlicher Alltagslast äußerst schwertun, den individuell gesteckten Zielen nachzukommen. Warum gelingt es beispielsweise dem 13-jährigen David nicht, nach Beginn des Unterrichts das Klassenzimmer mit fünfminütiger Verspätung zu betreten, wenn er tags zuvor in einem ruhigen Gespräch vehement betonte, wie wichtig der Besuch des Gymnasiums für ihn sei? Warum bricht die 17-jährige Anna Absprachen mit ihren Eltern, wohlwissend, dass die Konsequenzen sie viel härter treffen werden, als die dafür kurzfristig gewonnene Belohnung? Warum erleben es manche Jugendlichen als besonders unangenehm, unter Gleichaltrigen vermeintlich im Mittelpunkt zu stehen, während sich andere Jugendliche ganz selbstsicher in sozialen Situationen bewegen?

Selbstregulation, Selbstkontrolle, Handlungsregulation und Emotionsregulation sind wichtige Komponenten mit dem man die Selbststeuerung bei Jugendlichen erfassen kann. Zu den genannten Begrifflichkeiten ist zu sagen, dass sie in der Literatur zum Teil unscharf voneinander abgegrenzt werden (Lenartz, 2011). Im nachfolgenden Gliederungspunkt wird ein entwicklungspsychologischer Zugang gewählt, der sich an den Ausführungen von Fonagy und Kollegen orientiert (Fonagy & Target, 2004; Fonagy et al., 2011). Für ihren selbstregulatorischen Ansatz sind »Stressregulation«, »Aufmerksamkeitsregulation«, »Mentalisierung« und »mentalisierte Affektivität« bedeutsam. Zunächst wird jedoch der Frage nachgegangen, wie Emotionen die Selbstregulation beeinflussen (Tice, 2009) und damit das Verhalten formen (Baumeister et al., 2007).

1.3.1 Emotion als Schlüssel für die Handlungsregulation

Heranwachsende müssen lernen, mit einer Vielzahl von und zum Teil widersprüchlichen Situationen adaptiv umzugehen und die damit einhergehenden positiven wie negativen Emotionen zu regulieren. Seiffge-Krenke (2004) betont, wie wichtig die Emotionsregulation im Jugendalter wird. Da die Adoleszenz »… durch starke, vor allem negative Emotionen wie Trauer, Ärger, Wut, emotionale Distanz und Depression gekennzeichnet [ist]« (S. 158). Wie sich die Emotionsregulation entwickelt und welchen Einfluss Emotionen auf das Erleben und Verhalten und damit auf die Handlungsregulation haben, wird im Folgenden erläutert.

Emotionen haben einen Signalcharakter, wenn es um Gefahrensituationen geht, und Motivationscharakter, wenn ein Objekt oder situativer Umstand die Bedürfnisbefriedigung verhindert (Werth & Mayer, 2007). Emotionen gehen mit einer psychophysiologischen Zustandsveränderung (Fröhlich, 2008) einher, modulieren Aufmerksamkeits-, Gedächtnis-, Entscheidungsprozesse und haben eine verhaltensorganisierende und kommunikative Funktion (Herwig & Brühl, 2012). Die Erlebnisweise und Erlebnisqualität der Emotion bezeichnet Fröhlich (2008) als Gefühl (feeling). Damasio (2000) unterscheidet ebenfalls die Begriffe Emotion und Gefühl. Emotionen sind nach außen gerichtet und »öffentlich«, während Gefühle mental repräsentiert, nach innen gerichtet und »privat« sind. Gefühle brauchen Bewusstsein und Selbsterkenntnis. Gefühle sind folglich mit Aufmerksamkeitsprozessen verknüpft. Emotionen sind Teil der homöostatischen Regulation und sind verknüpft mit der Idee von Belohnung/Bestrafung, Lust/Schmerz, Annäherung/Vermeidung, persönlichem Vorteil/Nachteil. Emotion und Gefühl stellen bei Damasio (2000) ein Kontinuum dar: Der emotionale Zustand wird nicht bewusst ausgelöst und ausgeführt, ein Gefühlszustand ist nicht bewusst repräsentiert, während das Individuum beim bewusst gemachten Gefühlszustand von seiner Emotion (psychophysiologische Reaktion) und seinem Gefühl (Semantik) »weiß«. Sokolowski (2002) sieht im Gefühl die subjektive Komponente der Emotion und unterteilt Emotion in weitere Komponenten: a) kognitiv (Gedanken), b) expressiv (Körperhaltung), c) physiologisch (Herzfrequenz, Atmung, Blutdruck etc.) und behavioral (Verhalten, zum Beispiel Rückzug).

Darüber hinaus lassen sich Emotionen in primäre und sekundäre Emotionen einteilen. Unter den primären Emotionen werden Freude, Trauer, Furcht, Ärger, Überraschung und Ekel erfasst. Zu den sekundären oder sozialen Emotionen gehören Verlegenheit, Eifersucht, Schuld, Scham und Stolz; diese setzen bestimmte kognitive Fähigkeiten voraus, die ab der Hälfte des zweiten Lebensjahres beobachtet werden. Die Voraussetzung für die Ausbildung sekundärer Emotionen ist die Fähigkeit zur Selbstbezogenheit und Selbsterkenntnis (Kullik & Petermann, 2012; Petermann et al., 2004). Damasio (2000) differenziert Emotionen nicht nur nach primären und sekundären, sondern führt auch den Begriff der Hintgrundemotionen (background emotions) ein, wie Wohlbehagen oder Unbehagen, Ruhe oder Anspannung. Hintergrundemotionen werden »intern« ausgelöst, zum Beispiel als andauernde geistige Konflikte, die zur Befriedigung oder Hemmung von Trieben und Motiven führen.

Die Emotion unterscheidet sich ferner von der Stimmung. Die Emotion ist objektbezogen, weist eine hohe Intensität auf und klingt in der Regel rasch wieder ab, während die Stimmung deutlich länger anhält, mit oftmals unklarer Ursache (Werth & Mayer, 2007). Unter Emotionalität, als relativ stabiler Persönlichkeitszug, versteht man die individuellen Unterschiede beim Erleben von Emotionen (Helmsen, 2011).

Der Begriff Affekt hingegen wird semantisch unterschiedlich verstanden. Sokolowski (2002) versteht darunter einen kurzen und intensiven Emotionszustand, der eine starke Verhaltenstendenz (Aufforderungscharakter) besitzt. Darüber hinaus können Affekte durch die Intensität eine desorganisierende bzw. einengende Wirkung auf das Verhalten und Erleben haben (Fröhlich, 2008). Ferner ist der Affektbegriff historisch sehr stark mit der Psychoanalyse verwoben (Fonagy et al., 2011; Tyson & Tyson, 2009). In der englischsprachigen Literatur wird Affekt (affect) oftmals als Oberbegriff verwendet (Sokolowski, 2002).

Um mit dieser begrifflichen Widersprüchlichkeit befriedigend umgehen zu können, kann man festhalten, dass a) Affekt als Oberbegriff (Werth & Mayer, 2007; Tyson & Tyson, 2009) oder b) als kurzer, sehr intensiver Emotionszustand mit drohendem Verlust der Handlungskontrolle verstanden werden kann (Fröhlich, 2008), c) sich die Definitionen von Emotion und Affekt in vielen Bereichen überschneiden und zum Teil synonym verwendet werden (Sokolowski, 2002; Tyson & Tyson, 2009) und d) Gefühl als Teilkomponente von Emotion verstanden wird, die bewusste Aufmerksamkeitslenkung voraussetzt (Damasio, 2000).

Emotionsregulation wird verstanden als die Fähigkeit, die emotionale Reaktivität und emotionale Ausdrucksstärke zu kontrollieren, zu verändern und zu verwalten. Emotionsregulation