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Kaum ein Nutztier hat so viele Vorteile wie der Strauß. Mageres, schmackhaftes Fleisch, edles Leder und sogar verwertbare Federn sind die Produkte dieses genügsamen und anpassungsfähigen Tieres. In Mitteleuropa ist eine ganzjährige Weidehaltung mit geringer Zufütterung möglich. Dieses Buch vermittelt Ihnen für eine artgerechte und wirtschaftlich erfolgreiche Haltung von Straußen ein solides Know-how. Die beiden Autoren stehen für höchste Kompetenz auf einem dynamisch wachsenden Markt. Sie leben Ihre Begeisterung für Strauße jeden Tag, lassen Sie sich anstecken!
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Seitenzahl: 243
Veröffentlichungsjahr: 2019
Christoph Kistner
Zucht, Haltung und Vermarktung
3., aktualisierte und erweiterte Auflage
25 Jahre sind vergangen, seit ich in Zimbabwe zum ersten Mal einem riesigen Straußenhahn gegenüberstand. Und vor 15 Jahren wurde das erste Exemplar des Fachbuches verkauft, das aus dieser für mich so faszinierenden Begegnung resultierte: „Strauße – Zucht, Haltung, Vermarktung“. Viel Zeit ist seither vergangen, die natürlich einen Berg neuer Erkenntnisse und Erfahrung gebracht hat. Auch dank derer, die mit uns – meiner Frau Uschi Braun, unserer engagierten Mitstreiterin und Tierärztin Franziska Hamann und mir – ihr Wissen über den Strauß geteilt haben. Ihnen allen will ich dafür herzlich danken.
Ganz besonders danke ich meinem Wegbegleiter Prof. Dr. vet. med. Dr. habil. agr. Gerald Reiner. 1993 sind wir uns in Darmstadt beim ersten Treffen der deutschen Straußenhalter begegnet. Danach haben wir
– die Straußenhalter in Deutschland organisiert,
– den ersten Sachkundenachweis eines Halterverbandes realisiert,
– die Straußenschlachtung in Deutschland auf den Weg gebracht,
– die heute übliche Schnittführung für Straußenfleisch geprägt
… bis der Wissenschaftler entscheiden musste: Strauß oder Schwein.
Die Schweine haben gewonnen. Ich beneide seine Studenten an der Universität Gießen um den begnadeten Dozenten. Ganz besonderer Dank auch dafür, dass sein Wissen, vor allem um die biologischen und genetischen Grundlagen des Straußes, in dieses Buch einfließen durfte.
Dies gilt auch für unseren gemeinsamen Freund Hubert Schmieder aus dem Schwarzwald, der schon Alt-Bundespräsident „Papa“ Heuss auf dem Bonner Petersberg bekocht hat und dann in den USA als Küchenchef hoch dekoriert wurde. Von diesem Weltreisenden in Sachen Straußenfleisch und Dozenten für Gastronomie, Hotelerie und Tourismus an der Purdue University in West Lafaytte/Indiana habe ich unendlich viel gelernt!
Dank auch an die „Afrikaner“ Francois de Wet und Hendrik Pienaar (Mosstrich LTD/Mossel Bay), sie haben mir Türen geöffnet, die andere nicht einmal geschlossen gesehen haben. Des Weiteren danke ich „Crocvet“ Dr. Fritz Huchzermeyer, dem eigentlichen und wahrhaftigen „Straußenpapst“ unter den Veterinären, Dr. Peter Fischer, genialer „Metzgergeselle“ der Universität Stellenbosch, Dr. Fanus Cilliers (Camelus International – Oudtshoorn), dem Spezialisten für Problemlösungen, Dr. Michael Jarvis, der mir früh den Blick zur Vielfalt der Strauße geschärft hat, Caspare Wolff, „Straußenkönig“ der Namib-Wüste, Isadore Barron, der letzte Federbaroness und auf der Suche nach Nachfolgern – leider lag meiner Frau und mir eine berufliche Zukunft in Deutschland damals näher …
Ein weiterer Dank nach Israel an Dr. Benjon Perelman, wandelnde Enzyklopädie der Straußenmedizin, Mike van Grevenbroek, den leibhaftigen Abenteurer der Straußenwelt, Gilad Eyal (ex Zemach Enterprises, Jordan Valley), nicht nur gut für stundenlange Diskussionen um die Fleischreifung beim Strauß – selbst bei Vollmond mitten auf dem See Genezareth.
Im weiten Asien an Megan Davies (Just Ostrich – Kowloon/Hongkong), Wang Zi Xiang (Guangdong) und Yang Hao Min (Xian – beide China), Hiroaki Toyohara (Japan Ostrich Council) und Naomitsu Himura (Japan Ostrich Association), oder Sunny Tan (SOAR – Sabah/Malaysia) – nie vergesse ich unsere Stehkonferenz auf dem Flug von Warschau nach Frankfurt.
Down Under: Liz Olivier (Ozi Afro – Morisset/Australien) und Terry English (Australian Ostrich Association/Bellarine), Gordon Banfield und Murray Taylor (New Zealand Ostrich Association).
Zuletzt, aber nie vergessen, die Freunde in Zimbabwe: Neil Pentolfe – ehemals Mocambi Wildlife, Stowe Philp – ehemals Cowbird Enterprises, Peter Cunningham – ehemals P.T. Royal Ostrindo und viele mehr, die inzwischen von ihrem Staatspräsident Robert Mugabe aus ihrer Heimat vertrieben oder von seinen Söldnern umgebracht wurden.
Straußenhaltung in Mitteleuropa ist nicht neu. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts wurden Strauße aus Afrika importiert, um am damals tatsächlich „goldenen“ Geschäft mit den begehrten Federn teilzuhaben. Doch dann riss der Erste Weltkrieg die „Federbarone“ auch in Europa aus ihren Träumen, und erst mehr als 70 Jahre später entdeckte die Landwirtschaft auf der Suche nach lohnenden Perspektiven den Strauß wieder.
In Deutschland gilt das Jahr 1993 als offizieller Start der landwirtschaftlichen Straußenhaltung. Damals trafen sich in Darmstadt rund 500 Menschen aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen, um eine „Interessengemeinschaft Deutscher Straußenhalter“ zu gründen. Daraus sind der Bundesverband Deutscher Straußenzüchter e.V. und zehn Jahre später artgerecht e.V., der Berufsverband Deutsche Straußenzucht, erwachsen.
Wie bei vielen neuen Geschäftsideen waren die Anfangsjahre auch bei der Straußenhaltung vielfach von Spekulation und dem Traum von schnellem Geld geprägt. Wie ein Tsunami raste in den 90er-Jahren eine „Straußenwelle“ um die Welt, doch der Euphorie folgte bald die Ernüchterung – falsche Erwartungen und fehlendes Fachwissen waren noch nie Grundlage für wirtschaftlichen Erfolg.
Meine Frau, Uschi Braun, und ich, von Hause aus eigentlich Journalisten in Diensten einer großen ARD-Anstalt, sind auf unseren Auslandsreisen bereits 1991 eher zufällig auf den Strauß gestoßen – und waren fasziniert von diesem majestätischen Tier. Wir machten uns auf seine Spuren und fanden in Zimbabwe Lehrmeister, die uns in die Grundlagen extensiver Straußenhaltung einführten.
Viel haben wir auch von erfahrenen Haltern und Wissenschaftlern, vor allem aus Südafrika, Israel und den USA, gelernt, die sich ebenfalls dem Strauß verschrieben haben. Dieses Wissen geben wir seit 1994 mit unseren Sachkundeseminaren weiter. Dank der Unterstützung unserer Freunde – besonders erwähnen möchte ich die Straußen-Tierärztin und Co-Autorin Franziska Hamann – konnten wir auch Vorurteile ausräumen und die anfänglichen Widerstände vieler Tierschützer überwinden.
Inzwischen ist nicht nur die Mär von der Not des „Wüstenvogels“ im nasskalten Deutschland widerlegt. Auch die Haltung von Straußen in Mitteleuropa ist neu definiert. Denn anders als im südlichen Afrika mit seinen kargen Flächen leben Strauße hier auf grünen Weiden. Daraus ergeben sich gravierende Unterschiede in Haltung, Aufzucht, Fütterung, gesundheitlicher Prävention – und Betriebsergebnis.
Heute ist der Strauß auch in Deutschland etabliert, vor allem der kritische Verbraucher greift zu Straußenprodukten: Strauße leben ganzjährig auf der Weide und ihr Fleisch gilt als besonders gesund – frei von allen unerwünschten „Zutaten“ wie Antibiotika oder Wachstumsbeschleunigern.
Ein weiteres Plus – auch aus Verbrauchersicht: Nach der „Luxus-Phase“, in der ausschließlich Federn und danach auch Leder zu Höchstpreisen vermarktet wurden, wird heute das gesamte Tier, vom Fleisch über Straußenfett, Eischalen, Haut und Federn bis hin zu Knochen und Sehnen für hochwertige Tiernahrung, verwertet: die Grundlage für eine wirtschaftliche Straußenhaltung.
Dieses Buch soll vor allem unsere praktischen Erfahrungen mit der Straußenhaltung vermitteln. Wir wollen damit aber auch für eine artgerechte Straußenhaltung werben, die – weit weg von Massenhaltung und Mastanlagen – der Würde unserer Tiere als Lebewesen gerecht wird.
Rülzheim, im Frühjahr 2017
Christoph Kistner
Als Laufvogel, der nicht fliegen kann, weist der Strauß eine sehr stark verkümmerte Brustmuskulatur auf: Schlüsselbeine fehlen, das Brustbein hat nur noch Stütz- und Schutzfunktion. Die Schwung- und Steuerfedern sind zu Schmuckfedern umgebildet. Die beiden ersten von ursprünglich fünf Fingern der Flügel tragen Krallen. Im Gegensatz zu anderen Laufvögeln hat der Strauß nur noch zwei Zehen. Die Beinknochen sind mit Ausnahme des Oberschenkelknochens nicht mehr pneumatisiert. Eine Bürzeldrüse, mit deren Sekret die meisten Vogelarten ihr Gefieder geschmeidig halten und wasserabweisend machen, fehlt.
Hintergrund-Info
Das Fehlen der Bürzeldrüse wurde von besorgten Tierschützern immer wieder als Argument gegen eine landwirtschaftliche Straußenhaltung in Mitteleuropa genannt, doch fehlt auch dem Emu, den Kasuaren, der Großtrappe, dem Kormoran oder vielen Papageien- und Taubenarten eine funktionsfähige Bürzeldrüse. All diese Arten verfügen über andere Schutzmechanismen gegen Kälte und Feuchtigkeit. Beim Strauß sind dies die schindelartig übereinanderliegenden Federn, eine für Vögel außergewöhnlich dicke Haut und ein ausgeprägtes Unterhaut-Fettgewebe, das mit dem des Pinguins vergleichbar ist.
Gut geschützt auch ohne Bürzeldrüse
Der Strauß ist Vegetarier und gilt als einer der effizientesten Verwerter von Rohfaser. Sein Verdauungssystem ähnelt dem des Pferdes. Zwei etwa 80 cm lange Blinddärme und eine Verdauungszeit von 30– 36 Stunden versetzen ihn in die Lage, Zellulose sehr gut aufzuschließen.
Mitunter wird berichtet, dass der Strauß auch Insekten, Eidechsen und anderes Kleingetier aufnimmt, doch geschieht dies eher zufällig und ist auf seine Neugier und die Neigung zurückzuführen, alles zu bepicken und auf „Verwertbarkeit“ zu prüfen. Dabei kann es geschehen, dass vereinzelt auch Kleinlebewesen verschluckt werden.
Ein Kropf fehlt dem Strauß, der Magen ist zweigeteilt; im Drüsenmagen wird das faserhaltige Futter vorverdaut und im Muskelmagen mit aufgenommenen Steinen zu einem leicht verdaulichen Brei gemahlen. Weitere ausgewählte Daten zur Biologie des Straußes finden sich im Anhang.
Die Körpertemperatur des Straußes, gemessen in der Kloake, beträgt im Durchschnitt ca. 39,3 °C. Das Spektrum reicht von 38,3–40,2 °C. Entsprechend der Aktivität des Tieres und der Umgebungstemperatur ist sie morgens am niedrigsten und in den Nachmittagsstunden am höchsten.
Bei Stressbelastung schnellt die Körpertemperatur förmlich nach oben und kann in kurzer Zeit deutlich über 42 °C steigen und sogar lebensbedrohliche Bereiche erreichen. Reguliert wird die hohe Körpertemperatur vor allem mithilfe der aufgestellten Körperfedern, der gespreizten Flügel und durch hechelndes Atmen mit geöffnetem Schnabel. Bei Kälte legt der Vogel das Gefieder an den Körper an, je dichter, desto ausgeprägter ist die isolierende Wirkung. Bei starker Kälte schützt er die unbefiederten Unterschenkel, indem er die Flügel herabhängen lässt.
Harn mit rotem Farbstoff – bei Laufvögeln normal
Die Atemfrequenz beträgt 5–45 Atemzüge pro Minute, bei extremer Belastung auch deutlich darüber. Durch die Anbindung von je fünf Luftsäcken an beide Lungenflügel wird der Vogel auch beim Ausatmen mit Sauerstoff versorgt – ein sehr wesentlicher Beitrag zur Ausdauer. Die Herzfrequenz schwankt zwischen 23 und 46 Schlägen pro Minute.
Der Strauß kann in nahezu allen Klimazonen leben, auch in sehr trockenen. Bei Wassermangel überlebt er dank seiner Fähigkeit, das Blut einzudicken, außerdem können die Nieren den Harn sehr stark konzentrieren, wobei durch starke Schleimabsonderungen in den Harn abführenden Wegen verhindert wird, dass sie durch auskristallisierende Harnsäure verletzt werden. Harn und Kot werden, als Besonderheit bei Vögeln, getrennt abgegeben.
Praxis-Tipp
Beim Absetzen von Harn und Kot ist vor allem im Winter, wenn die Tiere weniger Wasser aufnehmen, im weißlich eingedickten Harn häufig ein orangefarbener bis rötlicher Farbklecks zu sehen. Dies wird von unerfahrenen Haltern und Tierärzten häufig als „Blut im Harn“ infolge einer Nierenerkrankung gedeutet. Es besteht aber kein Grund zur Beunruhigung: Es handelt sich nicht um Blut, sondern um den Farbstoff aus der Nahrung, der gesondert ausgeschieden wird – eine biologische Besonderheit, die allen Laufvogelarten eigen ist.
Heute die Heimat der Strauße: Afrikas Busch und Steppen
Nachdem der Strauß in Asien und Europa ausgestorben ist, lebt er heute in den Halbwüsten und den Gras- und Buschsavannen Afrikas. Für das Überleben in diesen eher trockenen bis halbtrockenen Klimazonen ist er durch spezielle Salzdrüsen zwischen Stirn, Nase und Auge und die Fähigkeit, Harn zu konzentrieren, bestens angepasst. Andererseits kommt er – beispielsweise in der Serengeti – in der Regenzeit aber auch mit gewaltigen monatlichen Niederschlägen von mehr als 500 l/ m2 zurecht.
Die mittleren Jahrestemperaturen seines afrikanischen Lebensraumes liegen zwischen 17 und 19 °C, die mittlere Mindesttemperatur in Oudtshoorn reicht in den Monaten Mai–September von 3–7 °C. In Mokhotlong/Lesotho liegt das mittlere Minimum im Jahresdurchschnitt bei 3 °C und damit deutlich unter dem von Sylt (6,1 °C), Essen (6,0 °C) oder Karlsruhe (5,6 °C). Die absoluten Tiefstwerte erreichen in Lesotho bis zu –13 °C.
Hintergrund-Info
Ein Skigebiet in den Hochlagen der Großen Drakensberge (Lesotho) wirbt mit Ski-Sicherheit von mindestens 100 Tagen/Jahr. Die Golden Gate Highlands in unmittelbarer Nachbarschaft sind bzw. waren Heimat mehrerer Straußenfarmen. Die landesweite Exportsperre für Straußenerzeugnisse zwischen 2011 und 2015 zwangen die meisten dieser Farmen aus wirtschaftlichen Gründen zur Aufgabe. Die dort und auf den grünen Höhen der Großen Drakensberge einst wild lebenden Strauße sind seit langem ausgerottet.
Auch in allen anderen Regionen Afrikas gibt es kaum noch wild lebende Strauße. Vor allem im südlichen Afrika sind sie – außer in Farmen – fast nur noch in Game-Parks (Wildparks mit mehreren 1000 ha Fläche) oder Schutzgebieten zu finden.
Die extremen und sehr unterschiedlichen Klimabedingungen auf dem Verbreitungsweg der Steppen Zentralasiens bis in die weiten und offenen Savannen Afrikas haben nicht nur die Biologie des Straußes geprägt, sondern auch das Verhalten des Straußes. Dass er seit Millionen von Jahren in kontinentalen Steppen mit eisigen Wintern ebenso überleben kann wie unter der glühenden Sonne afrikanischer Steppen, verdankt er seiner Fähigkeit, sich an seine jeweilige Umwelt anzupassen.
So haben die immer neuen Lebensbedingungen den Körperbau des Tieres verändert: Der Strauß hat sich vom flugfähigen Vogel zum größten Laufvogel der Erde gewandelt. Besonders wird dies an der Reduzierung der Zehen auf zwei je Fuß deutlich, eine Entwicklung wie bei Pferden und anderen Huftieren, die sich, wie der Strauß, nur durch schnellen Lauf vor Gefahren retten können.
Als Anpassung an den offenen Lebensraum muss auch die enorme Körpergröße des Straußes verstanden werden. Sie macht eine große Schrittlänge von 3–4 m möglich, die den Strauß in Notsituationen kurzfristig auf eine Höchstgeschwindigkeit von bis zu 80 km/h katapultiert (Nina U. Schaller: Structural attributes contributing to locomotor performances in the ostrich). Ein weiterer Vorteil der Körpergröße von bis zu 3 m ist die hohe Position des Kopfes und der außergewöhnlich großen Augen. Dadurch ist der Strauß in der Lage, Gefahren frühzeitig zu erkennen und sich durch schnelle, ausdauernde Flucht in Sicherheit zu bringen.
Körpergröße und Geschwindigkeitspotenzial sind aber nur dann ein wirklicher Vorteil, wenn sie durch das Verhalten entsprechend gesteuert werden, daher musste nicht nur der Körperbau, sondern auch das Verhalten verändert und den Anforderungen des jeweiligen Lebensraums angepasst werden. Auch dies ist sehr gut gelungen: Die artspezifischen Verhaltensmuster des Straußes gehören zu den komplexesten in der Tierwelt. Sie lassen sich – ganz grob – vier Funktionskreisen zuordnen:
– Nahrungserwerb
– Sozialverhalten und Tagesaktivität
– Sexualverhalten
– Komfortverhalten
Auf großem Fuß mit nur zwei Zehen
Der Strauß ist in seinem natürlichen Lebensraum während der hellen Tageszeit bis zu zehn Stunden mit Futtersuche und Fressen beschäftigt, indem er pickend und zupfend langsam durch sein Revier zieht. Als Selektierer, der sich bei seiner Nahrungssuche einzelne Pflänzchen oder Pflanzenteile heraussucht, bevorzugt er in trockenen Regionen wasserhaltige Pflanzen wie Sukkulenten.
Über die Größe des Straußenreviers gibt es sehr unterschiedliche Vorstellungen, die von einigen tausend Quadratmetern bis zu 20 und mehr km2 reichen. Vor allem die Tierschutzverbände haben in der Vergangenheit gefordert, dass dem Strauß daher auch in der Farmhaltung sehr große Flächen zur Verfügung stehen müssten. Nicht bedacht wurde dabei, dass die Verteidigung des Reviers für den Strauß eine außerordentliche Stressbelastung bedeutet. Um aber unnötigen, lebensbedrohlichen Stress zu minimieren, orientiert sich der Strauß bei der Größe seines Reviers stets an der Futtergrundlage: also je karger der Bewuchs, desto größer das Revier, und umgekehrt: Je mehr Futter, desto kleiner ist die Fläche, die verteidigt werden muss (Dr. Michael Jarvis: Regional differences between ostriches/Jarvis Ostrich Manual).
Praxis-Tipp
Um eine verhaltensgerechte Nahrungsaufnahme zu ermöglichen, muss dem Strauß ganzjährig der uneingeschränkte Zugang zur Weide ermöglicht werden. Diese Fläche muss so groß sein, dass er seinen täglichen Futterbedarf von 8–10 kg Feuchtmasse zumindest in der Vegetationsperiode ohne Zufutter decken kann.
Strauße sind in der Lage, auch bei einer geschlossenen, nicht zu hohen Schneedecke die darunter verborgenen Pflanzen zu finden. Daher findet der Strauß auch bei spärlichem Weidebewuchs im Winter reichlich Nahrung, die aber wegen des reduzierten Nährwertes des Weidebewuchses verstärkt ergänzt werden muss.
Lebensfreude auch im eisigen Winter
Hintergrund-Info
Interessant ist in diesem Zusammenhang das Ergebnis von Aufzuchttests mit zwei vergleichbaren Schlachttier-Gruppen im Ruhrgebiet. Eine Gruppe wurde ohne Ergänzungsfutter nur auf der Basis reiner Weidehaltung aufgezogen, die andere erhielt zum Weidefutter ca. 1 kg Ergänzungsfutter/Tag. Die Tiere beider Gruppen unterschieden sich äußerlich kaum, doch war die Fleischausbeute bei der Gruppe ohne Ergänzungsfutter rund 30 % geringer als bei der zweiten Gruppe.
Praxis-Tipp
Unter mitteleuropäischen Klimaverhältnissen kann ein Strauß problemlos nur mit Wasser und Raufutter von der Weide aufwachsen – vorausgesetzt, die Fläche ist so groß, dass immer Futter in ausreichender Menge zur Verfügung steht. Eine befriedigende Leistung (sprich: Fleischertrag) ist aber nur möglich, wenn zusätzlich Ergänzungsfutter zur Verfügung steht, das eine ausgewogene Mineralstoffversorgung mit ausreichend Kalzium, Phosphorverbindungen, Vitaminen und Spurenelementen sicherstellt.
Pelletierte Zusatz- oder Alleinfuttermittel, die der Fachhandel anbietet, führen zu rascher Sättigung und verhindern damit das natürliche Verhalten von Straußen. Sie sind zudem unverhältnismäßig teuer und berücksichtigen in der Regel nicht den tatsächlichen Bedarf an Mineralstoffen und Vitaminen.
Grüne Weide in Deutschland: Ideale Lebensgrundlage für Strauße
Strauße sind sehr „soziale“ Tiere. Sie leben in ihrer natürlichen Umgebung immer in Gruppen und nur in Ausnahmefällen allein. Geschlechtsreife Strauße bilden Familien, die aus einem Hahn und meist mehreren Hennen bestehen. Außerhalb der Paarungszeit schließen sie sich zu größeren Gruppen zusammen, wobei die einzelnen Familien als soziale Einheit weiterbestehen und sich mit Beginn der Balz wieder aus dem Verband trennen. Zu den gemeinschaftlichen Aktivitäten in der Gruppe und in der Familie gehört neben dem Weiden auch das Baden in Sand und Wasser.
Gemeinsames Baden vermittelt Wohlgefühl
Gehege müssen Flucht ermöglichen
Der Zusammenschluss außerhalb der Paarungszeit bietet dem Strauß die Möglichkeit, im Schutz der Gruppe Kräfte für die Balz und die anschließende Brut- und Aufzuchtphase zu sammeln, in der die Familie und deren Revier geschützt und verteidigt werden müssen. Im Verbund wachen vor allem die dominanten Tiere, die der Gruppe Gefahr, etwa durch Raubtiere, signalisieren und rechtzeitige Flucht ermöglichen.
Hintergrund-Info
Das oft panikartige Fluchtverhalten der Strauße wird oft falsch interpretiert. Bilder von Straußenherden, die vor oder neben Autos mit hoher Geschwindigkeit laufen, zeigen aber nicht – wie auf Fotosafaris häufig vermittelt – Tiere, die mit dem motorisierten Menschen aus Freude an schneller Bewegung um die Wette laufen, sondern Strauße in panischer Flucht. Erkauft wird dieser „Touristenspaß“, der auch häufig im Fernsehen gezeigt wird, mit sehr großem Stress für die Tiere und – vor allem in kargen, wasserarmen Regionen – mit einem lebensgefährlichen Energieverlust.
In Farmhaltung ohne Fressfeinde reduziert sich die Flucht meist auf einen kurzen Sprint. Allerdings kann diese Flucht – möglicherweise vor einem Schatten, einer hüpfenden Heuschrecke oder einem ungewohnten Geräusch – auch in minutenlanges „Tollen“ umschlagen, das von pirouettenartigem Tanz unterbrochen wird. Gehege, in denen Strauße untergebracht sind, müssen daher so groß sein, dass sie dieses „Toben“ und auch die Flucht einer noch nicht balzbereiten Henne vor dem paarungswilligen Hahn ermöglichen.
Grundsätzlich stellen für den Strauß alle plötzlich auftretenden Veränderungen, die nicht schon aus größerer Entfernung wahrnehmbar waren, eine scheinbare Gefahr dar, auf die er mit überstürzter Flucht reagieren kann. Für viel Aufregung können in einer ansonsten ruhigen Umgebung schnelle und laute Objekte wie Fahrzeuge aller Art und Hunde sorgen.
Praxis-Tipp
Das Gehege soll so angelegt sein, dass Flucht in alle Richtungen möglich ist. Sofern mögliche Lärmquellen angrenzen, muss das Gehege so angelegt werden, dass die längere Seite von der Lärmquelle wegführt.
Treten Stresssituationen gehäuft auf, hat dies oft auch negative Auswirkungen auf Fruchtbarkeit, soziale Verträglichkeit und Gesundheit der Tiere. Andererseits ist der Strauß auch ein „Gewohnheitstier“, das sich auf äußere Einflüsse einstellen kann, die zunächst als Gefahr wahrgenommen wurden. Ein Hubschrauber beispielsweise löst nur dann Panik aus, wenn das Areal selten überflogen wird.
Dies gilt jedoch nicht für Ballone aller Art, vor allem Heißluftballone, Paraglider oder Ultraleicht-Flugzeuge. Diese eher leisen und sich relativ langsam bewegenden und oft bunten Luftfahrzeuge werden von Straußen als sehr ernste Bedrohung wahrgenommen, die unweigerlich eine flächendeckende Panik auslöst.
Jeder, der einem Strauß in dessen natürlichem Lebensraum begegnet, vor allem aber jeder Halter und Farmmitarbeiter, sollte das Annäherungs- und Abwehrverhalten von Straußen kennen. Die Bereitschaft zur Kontaktaufnahme zeigt die Straußenhenne deutlich durch die Demutshaltung, dabei werden Kopf, Schwanz und Flügel tief gehalten und der Hals wie ein Wellental nach unten gekrümmt. Diese Haltung signalisiert Neugierde und eine friedliche Grundstimmung.
Der Hahn dagegen bleibt bei Annäherung stets aufgerichtet. Ob er friedlich gestimmt ist, erkennt man nur daran, dass er dann den Bürzel mit den großen Schwanzfedern gesenkt bzw. höchstens waagrecht hält. Ein erfahrener Halter wird sich aber nie darauf verlassen, dass er von diesem Tier nichts zu befürchten hat. Die friedliche Grundstimmung kann nämlich schnell und ohne erkennbaren Grund in Aggressivität umschlagen.
Opfer eines Hubschrauber-Überflugs: Henne mit Beinbruch
Hintergrund-Info
Warum ein Heißluftballon auf Strauße – wie übrigens auch auf alle anderen Nutztiere in Freilandhaltung – besonders furchterregend wirkt, kann nur vermutet werden. Möglicherweise erweckt der Ballon den Eindruck, als nähere sich ein riesiger Greifvogel, der dazu noch „faucht“, wenn der Brenner zum Aufheizen betätigt wird. Fauchen ist aber für einen Strauß die einzige akustische Möglichkeit, einem anderen Tier – oder auch einem Mensch – zu drohen.
Im Umkehrschluss bedroht also der Ballon den Strauß.
Mitunter ist den Piloten von Ballonen und Paraglidern das Problem nicht bewusst. In diesem Fall kann ein vorzeitiges Gespräch helfen und schwerste, oft sogar tödliche Verletzungen der Tiere vermeiden. Nehmen sie die Panik aber billigend in Kauf, weil für sie ihr Freizeitvergnügen Vorrang hat, kann gerade bei häufigeren Überfahrten bzw. -flügen eine Strafanzeige Abhilfe schaffen. Schadenersatzpflichtig ist der Pilot in jedem Fall.
Ist der Straußenhahn aufgeregt, macht er sich groß und stellt die Schwanzfedern auf. Feindliche Haltung und Abwehrbereitschaft signalisiert er, indem er sich noch weiter aufrichtet, die Flügel weit ausbreitet, die Körperfedern aufstellt und auf den Zehen trippelt. Diese nicht nur für Menschen beängstigende Drohgeste, mit der das Tier die Silhouette vergrößert, um dem Gegenüber Respekt einzuflößen, signalisiert höchste Gefahr. Der Strauß kann jetzt jederzeit fauchend und zischend angreifen, wobei er den Gegner mit blitzartigen Tritten nach vorne zu treffen sucht.
Diese Tritte, die selbst für einen ausgewachsenen Löwen lebensbedrohend sind, werden meist, aber keineswegs ausschließlich, von männlichen Tieren während der Balz- und Brutzeit ausgeführt. Sie verteidigen sich und ihre Familie so gegen Fressfeinde oder Revierkonkurrenten und Nebenbuhler.
Entspannte Zuchttiere in der Morgensonne
Praxis-Tipp
Der Schwanz des Straußes ist ein verlässliches Signal für Gefahr. Nur bei völliger Entspannung wird der Schwanz gesenkt. Bereits bei leichter Beunruhigung wird er waagrecht gehalten, und bei Abwehr- oder Angriffsbereitschaft zeigt er steil nach oben. In diesem Fall ist sofortiger Rückzug die einzige Möglichkeit, einer Attacke zu entgehen. Generell gilt, dass man sich Straußen immer „demutsvoll“ nähern muss. Wer, wie etwa bei anderen Nutztieren wie Rindern und Schweinen häufig empfohlen, seinen Straußen zeigen will, dass er der Herr im Revier ist, wird von diesem Augenblick an immer als feindlicher Eindringling betrachtet und entsprechend aggressiv empfangen.
In ihrer natürlichen Umgebung verlassen Hähne und ihre Hennen die Gruppe zu Beginn der Balzzeit. Nachdem ein geeignetes Revier gefunden ist, das sie sehr engagiert gegen Eindringlinge verteidigen, wird gemeinsam ein Nestplatz ausgesucht. In der Regel besteht eine Familie aus einem Hahn und bis zu vier oder fünf Hennen. Diese fechten mit Fauchen, Picken und gelegentlich sogar Tritten die Rangordnung von Haupthenne und Nebenhennen aus, die im Lauf einer Brutsaison mehrfach wechseln kann.
Hintergrund-Info
Die außergewöhnliche Anpassungsfähigkeit von Straußen an ihre jeweilige Umgebung und deren spezielle Lebensbedingungen zeigt sich auch bei der Geschlechts- bzw. Legereife und der Balzzeit. Hennen in kargen und eher heißen Regionen beginnen erst mit 3–4 Jahren, Eier zu legen, auf grünen Weiden im gemäßigten Klima Mitteleuropas jedoch bereits mit 18–20 Monaten. Hähne sind hier bereits mit ca. zwei Jahren geschlechtsreif und befruchtungsfähig, im südlichen Afrika dagegen erst mit 4–5 Jahren.
Die Balz- und Brutzeit ist lichtgesteuert und beginnt gegen Ende des Winters, sobald die Tage länger werden – in der südlichen Hemisphäre im September – dem dortigen Frühling. Sie endet im Januar bzw. Februar. Auf der nördlichen Seite der Erde beginnt die Eiablage dagegen im Januar/Februar und dauert bis August/September. Der australische Emu dagegen hat seine Balzperiode auch in Europa beibehalten – er legt und brütet im europäischen Winter.
Gebläht wie ein Dudelsack: boomender Hahn
Kanteling: Hahn in Balzstimmung
Praxis-Tipp
Ist die Henne nicht bereit, sich begatten zu lassen, geht sie zunächst langsam weiter, wenn sich der Hahn nach dem „Kanteling“ nähert. Der Hahn folgt ihr und wird sie – falls sie sich nicht doch noch setzt – zunehmend aggressiv verfolgen. In der Regel verliert der Hahn nach kurzer Verfolgung der fliehenden Henne das Interesse, doch kann es auch zu einem andauernden Verfolgen und schließlich auch zu heftigen Tritten kommen.
Junge Hennen, die noch nicht geschlechtsreif sind, dürfen nie zu einem paarungsbereiten Hahn gegeben werden.
Praxis-Tipp
In einem Farmgehege kann die Verfolgung der Henne durch den deckwilligen Hahn tödliche Folgen haben, wenn die Henne auf zu enger Weide nicht entkommen kann oder in einer Ecke vom Hahn gestellt wird. Gehege müssen daher groß genug für eine anhaltende Flucht sein, und sie dürfen nicht über spitze oder rechte Ecken verfügen.
Der Nestplatz wird von der gesamten Gruppe ausgewählt. Anschließend scharrt der Hahn mit seinen Zehen eine flache Mulde; die gelockerte Erde schiebt er mit seiner Brustplatte zur Seite. In dieses Gemeinschaftsnest – eine Besonderheit – legen alle Hennen der Gruppe ihre Eier ab.
Das Brutgeschäft teilen sich tagsüber meist alle Hennen der Gruppe. Die Henne, die an der Reihe ist, schiebt ihre Eier beim Wenden des Geleges in die günstige Mittelposition, wo die Brutbedingungen optimal sind. Damit ist gewährleistet, dass alle Eier gleichmäßig bebrütet werden. Dies ist möglich, da – wie wissenschaftliche Untersuchungen nachgewiesen haben – die Hennen ihre Eier anhand der Porenmuster individuell erkennen.
Brutwechsel: Henne übernimmt das Gelege
Schema eines angelegten Nestes für Naturbrut
Während die Hennen – wie erwähnt – die Brut am Tag übernehmen und dabei mit ihrem beige-braunen Gefieder das Nest perfekt tarnen, übernimmt der Hahn das Brutgeschäft vom frühen Abend bis in den Vormittag. Dafür gibt es mehrere Gründe: Zum einen würde der Hahn tagsüber wegen seiner schwarzen Federn stark auffallen, während er nachts perfekt getarnt ist, zum anderen in der Sonne ohne Schatten und Bewegung überhitzen und die hohe Körpertemperatur auch an die Eier weitergeben, die dadurch absterben.
Auch der Schlupf ist Sache des Hahns. Er befreit Küken, die nicht selbst schlüpfen können, aus dem Ei. Dabei tritt er vorsichtig auf das Ei und zieht das Küken mit dem Schnabel aus der zerstörten Schale heraus. Er kümmert sich anschließend auch um die Küken, die er mit Unterstützung der Haupthenne führt und verteidigt.
Warnendes Fauchen: Henne verteidigt ihren Nachwuchs
Treffen in der natürlichen Umgebung mehrere Familien mit ihrem Nachwuchs aufeinander, kämpfen die Elterntiere um die Kükengruppen. Die verängstigten Küken laufen alle zusammen und vereinen sich zu einem großen „Kindergarten“, mit dem die überlegene Familie schließlich davonzieht. Dieses Vereinen vieler Küken hat den Vorteil, dass die Überlebenschancen des einzelnen Kükens deutlich steigen, dennoch erreicht in der natürlichen Umgebung nur etwa eines von 100 Küken die Geschlechtsreife.
Praxis-Tipp
In der Farmhaltung sollte jede Familie ein eigenes Revier haben. Mehrere Brutfamilien oder mehrere rivalisierende Hähne in einem Gehege führen zu extremer Unruhe, die das Balz- und Legegeschäft stören kann. In diesem Fall müssten die Gruppen getrennt und in ein anderes Gehege umgesetzt werden. Da Strauße aber sehr stark auf ihr Revier fixiert sind und sich an ein neues Revier erst gewöhnen müssen, ist zu erwarten, dass die Befruchtung stark nachlässt und die Eiablage sogar völlig eingestellt wird. Außerdem wird ein Hahn, der umgetrieben werden soll, sein Revier gegen die „Eindringlinge“ so heftig verteidigen, dass für die Treiber akute Lebensgefahr besteht! Daher müsste ein gemeinsames Gehege so groß angelegt werden, dass sich die verschiedenen Gruppen nicht stören können.
Schlammbad gegen Hitze und Parasiten