Streitfall Klimawandel - Mike Hulme - E-Book

Streitfall Klimawandel E-Book

Mike Hulme

4,9

Beschreibung

Über kaum etwas wird so viel diskutiert wie über den Klimawandel – leider ohne sinnvolle Ergebnisse. Für Mike Hulme ist er weit mehr als ein naturwissenschaftliches Phänomen; der Klimawandel ist ein Medienspektakel, ein Zankapfel verschiedener Regierungen und Lobbyisten, zu dem man je nach Wertekodex, Sozialstatus oder Konfession unterschiedlicher Meinung sein kann. Zu allererst ist er jedoch eine kulturelle Herausforderung – weshalb technische Ansätze zu seiner 'Lösung' zu kurz greifen und Konferenzen zur 'Rettung der Welt' reihenweise ins Leere laufen. Hulmes Buch hilft zu verstehen, was uns am erfolgreichen Handeln hindert und plädiert für eine Neubewertung des Phänomens Klimawandel.

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Mike Hulme
StreitfallKlimawandel
Warum es für die größteHerausforderung keine einfachen Lösungen gibt
Aus dem Englischen von Jörg Matschullat und Stephanie Hänsel
unter Mithilfe von Danny Arnold, Ronny Badeke, Eric Donner, Valentin Garbe, Friederike Klos, Stephan Lenk, Anne Müller, und Berit Schult,
TU Bergakademie Freiberg
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Deutsche ErstausgabeCopyright der Originalausgabe »Why we disagree about Climate Change.Understanding Controversy, Inaction and Opportunity«:© 2009 Mike HulmeOriginal erstmal veröffentlicht bei:Cambridge University Press, Cambridge 2009Copyright der deutschen Erstausgabe:© 2014 oekom verlag GmbHGesellschaft für ökologische Kommunikation mbH,Waltherstrase 29, 80337 München
Satz: Sarah Schneider, oekom verlagLektorat: Martina Blum, oekom verlagKorrektur: Petra Kienle
eBook: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt
Alle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-86581-581-1
Für meinen Vater, Ralphe Hulme (1924–1989), der mich lehrte, dass es eine Art des Lernens darstellt, wenn man anderer Meinung ist.
Inhalt
Danksagung
Vor- und Geleitworte von Mike Hulme, Ottmar Edenhofer und Steve Rayner
Einführung
Kapitel 1: Was verstehen wir unter Klima?
Was ist Klima?
Die physikalische Dimension von Klima
Die kulturelle Dimension von Klima
Klima als Ideologie
Klima in der Geschichtsschreibung
Zusammenfassung
Kapitel 2: Die Entdeckung von Klimawandel
Einleitung
Die Genealogie von Klimawandel
Natürlicher Klimawandel
Anthropogener Klimawandel
Klimawandel heute
Zusammenfassung
Kapitel 3: Was leistet Wissenschaft?
Einleitung
Was sind wissenschaftliche Erkenntnisse?
Wie robust sind wissenschaftliche Erkenntnisse?
Wie wird Wissenschaft gesteuert?
Wie wird wissenschaftliche Erkenntnis in der Gesellschaft genutzt?
Zusammenfassung
Kapitel 4: Welchen Wert haben Werte?
Einleitung
Der Stern-Report und seine Kritiker
Das Offenlegen von Werten in der Ökonomie
Zusammenfassung
Kapitel 5: Woran wir glauben
Einleitung
Wo ist das Problem mit dem Klimawandel?
Theologien der Schuld
Gerechte Lösungen
Persönliche Transformation
Zusammenfassung
Kapitel 6: Wovor wir uns fürchten
Einleitung
Risikokulturen
Welche Klimaveränderungen sind gefährlich und woher wissen wir das?
Wahrnehmung von Klimarisiken
Die soziale Verstärkung von Risiko
Zusammenfassung
Kapitel 7: Wie kommunizieren wir Risiken?
Einleitung
Modelle der Wissenschaftskommunikation
Keine Aussage ist neutral
Sprachliche Repertoires
Die Bildsprache von Klimawandel
Zusammenfassung
Kapitel 8: Was ist Fortschritt?
Einleitung
Was verstehen wir unter Entwicklung?
Klimawandel und Armut
Klimawandel und Bevölkerung
Konflikte zwischen Klimawandel und Entwicklung
Zusammenfassung
Kapitel 9: Wer regiert das Klima?
Einleitung
Klimasteuerung durch Kyoto
Klimasteuerung über den Markt
Klimasteuerung durch nicht staatliche Akteure
Die ›Unbeholfenheit‹ von Klimasteuerung
Zusammenfassung
Kapitel 10: Jenseits von Klimawandel
Klimawandel ist überall
Warum Klimawandel nicht ›gelöst‹ werden wird
Vier Mythen zu Klimawandel
Die kulturellen Botschaften von Klimawandel
Jenseits von Klimawandel
Anmerkungen
Literatur
Danksagung
Die Idee für dieses Buch kam mir im Februar 2003, als ich in der Church House-Buchhandlung in London stöberte. Während meiner verbleibenden Zeit als Direktor des Tyndall-Zentrums reifte sie weiter und im Laufe eines Forschungsfreisemesters, das mir von der Universität von East Anglia (UEA) bewilligt wurde, konnte das Buch schließlich verwirklicht werden.
Ich möchte all meinen Kollegen am Tyndall-Zentrum danken; sie sensibilisierten mich nicht nur für viele der hier diskutierten Ideen, sondern schufen eine anregende Atmosphäre, unter der Beobachtungen, Nachdenken und Gespräche über Klimawandel möglich waren. Viele dieser Kollegen diskutierten mit mir einige der Ideen dieses Buches – und waren dabei teilweise anderer Meinung, was sehr hilfreich war. Ganz besonders möchte ich jenen danken, die Teile des Entwurfs oder ganze Kapitel gegengelesen und kommentiert haben, namentlich Tim O’Riordan, Irene Lorenzoni, Natasha Grist, John Turnpenny, Sam Randalls, Tom Lowe, Asher Minns, Saffron O’Neill, Lorraine Whitmarsh, Jacqueline de Chazal, Nick Brooks, David Livingstone, Neil Adger, Joe Smith, Dave Ockwell, Christopher Shaw, Chuks Okereke, Sarah Dry, Neil Jennings, Don Nelson und Mark Charlesworth. Suraje Dessai verdient besondere Anerkennung, weil sie darüber hinaus über neun fruchtbare Jahre der Zusammenarbeit mit mir zahllose engagierte und provokante Gespräche über Klimawandel geführt hat. Dieses Buch profitierte auch von Einladungen, die ich von der Science and Technology Policy Research an der Universität von Sussex, dem Faraday Institut der Universität Cambridge und dem Lincoln Theological Institute an der Universität von Manchester erhielt und wo ich einige der hier präsentierten Ideen vorstellen konnte.
Mein Diplomstudium an der UEA (University of East Anglia) School of History eröffnete mir neue Perspektiven über den Charakter der Geschichte und zur Geschichtsschreibung; Perspektiven, die für das Verfassen dieses Buches unerlässlich waren. Auch danke ich den 44 Masterstudenten der UEA, die im Zeitraum 2007/2008 – während dieses Buch Gestalt annahm – mein Klimawandel-Modul belegt hatten. Einige der Ideen wurden an dieser ›Horde‹ Studierender erprobt und die dazugehörenden Seminardebatten boten einige neue Blickwinkel, warum wir über den Klimawandel uneins sind. Phil Judge hat eine sehr professionelle und gründliche Arbeit geleistet, indem er einige der Abbildungen im Buch neu zeichnete, während Chris Harrison vom Verlag Cambridge University Press das Projekt enthusiastisch aufnahm und gemeinsam mit Philip Good durch die Fertigungsstadien bis zur Produktion führte. Schließlich danke ich Gill und Emma; sie waren wie immer meine ehrlichsten Kritiker und meine loyalsten Unterstützer.
Für seine Anregung und die Leitung der Übersetzung dieser deutschsprachigen Ausgabe bin ich Dr. Jörg Matschullat, Professor für Erdsystem-Wissenschaften und Direktor des Interdisziplinären Ökologischen Zentrums der Technischen Universität Bergakademie Freiberg, zu tiefem Dank verpflichtet. Seine Kollegin, Dr. Stephanie Hänsel, hat diesen Prozess äußerst gewissenhaft begleitet. Ohne ihr Engagement sowie den Enthusiasmus und die Hingabe einer Gruppe von Masterstudenten an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg (Danny Arnold, Ronny Badeke, Eric Donner, Valentin Garbe, Friederike Klos, Stephan Lenk, Anne Müller und Berit Schult) wäre das Projekt nicht zu verwirklichen gewesen. Auch habe ich Dr. Milena Wazeck zu danken, Newton International Fellow an der School of Environmental Sciences der Universität von East Anglia, die unbezahlbare Dienste beim Korrekturlesen leistete. Obwohl die englische Vorlage für diese deutschsprachige Ausgabe keine Erweiterung oder wesentliche Aktualisierung erfuhr, wurden doch einige kleine Korrekturen durchgeführt und Internetseiten sowie Literaturhinweise auf den neuesten Stand gebracht – inklusive deutschsprachiger Quellen, wo immer dies möglich und sinnvoll war. Auch einige der Leseempfehlungen, die jeweils am Ende der Kapitel gegeben werden, wurden geändert, um auf die neuesten Veröffentlichungen hinzuweisen. Schließlich und nicht zuletzt möchte ich mich beim Münchner oekom verlag, namentlich bei Dr. Christoph Hirsch, herzlich bedanken, dieses Projekt angenommen zu haben.
Mike HulmeNorwich, Juli 2013
Vorwort zur deutschen Ausgabe
von Mike Hulme
Streitfall Klimawandel. Warum es für die größte Herausforderung keine einfachen Lösungen gibt wurde erstmals am 30. April 2009 unter dem Titel Why We Disagree about Climate Change: Understanding Controversy, Inaction and Opportunity in englischer Sprache veröffentlicht, sieben Monate vor dem sogenannten Climategate-Skandal und acht Monate vor den gescheiterten Klimaverhandlungen in Kopenhagen (COP-15). Das Buch wurde im Winter 2007/2008 während eines Sabbaticals geschrieben, nachdem ich als Direktor des Tyndall Center for Climate Change zurückgetreten war. Im Hinblick auf die wissenschaftlichen, politischen und kulturellen Interpretationen von Klimawandel ist seitdem viel geschehen. Doch meine Analyse Streitfall Klimawandel, die hier erstmals in deutschsprachiger Übersetzung vorliegt, bleibt so aktuell, wie sie es vor fünf Jahren gewesen ist. Einige der Entwicklungen seit 2008 sowie einige der öffentlichen und akademischen Reaktionen auf die Originalausgabe von Streitfall Klimawandel habe ich in einer Reihe von Essays dargelegt1. An dieser Stelle möchte ich das Wesentliche hieraus kurz zusammenfassen.
Gleich nach der Veröffentlichung zog Streitfall Klimawandel die Aufmerksamkeit von Medien und Öffentlichkeit auf sich. Einige Kritiker beschwerten sich, dass ich die orthodoxe Darstellung des Phänomens ›Klimawandel‹ in Frage stellen würde, andere unterstellten mir, ein Defätist zu sein, während einige wenige mir den Vorwurf machten, zu lügen und zu betrügen. Wenige Monate später, im November 2009, kam es durch E-Mails der Klimaforschungsgruppe an der Universität von East Anglia, die im Internet veröffentlicht wurden, zu einer substanziellen Krise in der Beziehung zwischen Klimawissenschaftlern und einem Teil ihres Publikums. Die monatlichen Verkaufszahlen von Streitfall Klimawandel stiegen gewaltig und waren ein eindrücklicher Beleg dafür, wie groß das öffentliche Interesse an der Frage war, warum Meinungsverschiedenheiten zum Thema Klimawandel so tief verwurzelt und persistent sind – und dies vor dem Hintergrund der gescheiterten COP-15-Verhandlungen in Kopenhagen.
Seit seiner Veröffentlichung fand Streitfall Klimawandel eine weite Verbreitung, sowohl räumlich als auch kulturell. Das Buch wurde in diversen Magazinen, Zeitungen und akademischen Zeitschriften weltweit rezensiert. Besprechungen in renommierten Zeitungen sowie auch in Radio und Internet bezeugten das große Interesse; und selbst bei einer Vielzahl sozialer Medien und Organisationen stieß es auf hohe Aufmerksamkeit. Das Buch wurde in Wirtschaftsjournalen, in Landwirtschaftsmagazinen oder in der ›grünen‹ Literatur ebenso zur Kenntnis genommen wie in religiösen Rundschreiben, politischen Informationsschriften und Magazinen, die sich an eine breite Leserschaft richten. Darüber hinaus erhielt ich Einladungen zu Vorträgen – vor akademischen Zuhörern und vor interessierten Laien – aus vielen Ländern, etwa Australien, Griechenland, Indien, Japan, Kanada, Singapur, Südafrika, Schweden, Thailand oder dem Jemen, um nur einige zu nennen. Diese Einladungen kamen aus einem breiten Spektrum von Organisationen der Zivilgesellschaft: einem in London beheimateten Mediendienst, dem Australischen Museumsverband, der internationalen Nichtregierungsorganisation Oxfam, einem Netzwerk der industriellen Landwirtschaft, dem britischen Ministerium für Energie und Klimawandel, dem British Council in Indien, Wissenschafts- und Literaturfestivals in Dänemark, Norwegen und Großbritannien, religiösen Organisationen wie A Rocha International und einzelnen christlichen Kirchengemeinden, britischen Schulen und Gymnasien, dem runden Tisch der Geschäftsleute von Vancouver (business round-table), der Handelskammer von Goa und vielen anderen.
Diese Auflistung illustriert die vielfältige zivilgesellschaftliche und kulturelle Interessenslage und die hohe Bereitschaft, sich für das Thema Klimawandel zu engagieren. Viele dieser Akteure fanden für sich und ihre Zielgruppen in Streitfall Klimawandel fruchtbare, provokante oder motivierende Ansätze, sich mit dem Thema zu verbinden beziehungsweise sich in ihren Antworten dazu herausgefordert zu sehen. Innerhalb der akademischen Welt hat Streitfall Klimawandel viele inspiriert und deren Arbeit beeinflusst. Das Buch wurde als Schlüsseltext in zahlreichen Studienveranstaltungen in einer erstaunlichen Vielfalt von Disziplinen eingesetzt, etwa in der Umweltanthropologie, den Umweltingenieurwissenschaften sowie der Umweltpolitik, aber auch in den Geo- und Forstwissenschaften, in den Bereichen Nachhaltige Entwicklung, Geschichte, Kultur und Politik, Internationale Beziehungen, Englisch und Rhetorik oder in Studien der Wirtschaftswissenschaften.
Auf einer der ersten Seiten von Streitfall Klimawandel zitiere ich den Soziologen Jonathan Haidt: »Ein guter Platz, um Weisheit zu suchen (…) ist dort, wo man es am wenigsten erwartet: in den Köpfen Deiner Kontrahenten«2. Was also habe ich über Klimawandel und angesichts der Reaktionen auf das Buch vielleicht auch über mich selbst in den vergangenen Jahren gelernt? Einige Kritikpunkte haben mich veranlasst, noch etwas tiefer über Fragen von Klimawandel und Macht nachzudenken, unabhängig davon, an welche Form der Macht wir hier denken. Meine Auseinandersetzung mit den Facetten der Macht ist eine Schwäche des Buches und war eine Lücke in meinem Verständnis der politischen Wissenschaft. Ebenso wurde ich gezwungen, tiefgründiger über meine eigene Position im Hinblick auf ›Handeln‹ in der Welt nachzudenken. Was sind meine Rollen und Verantwortlichkeiten als Akademiker und als Bürger: Prophet zu sein, Politikberater, Aktivist? Reicht es aus, Erzieher, Vermittler, Provokateur im Hinblick auf die vielschichtigen Aspekte von Klimawandel zu sein, wenn dies nicht in einem deutlichen Aufruf zu politischem Handeln resultiert? Wenngleich ich sicher viel Zeit und Engagement darauf verwandt habe, meine Ansichten über Klimawandel vor vielfältigen Zuhörerschaften weltweit zu kommunizieren und zu erklären, pries ich doch kein Manifest politischen Handelns an.
Auf einer übergeordneten Ebene ist Streitfall Klimawandel wohl ein Beitrag zu einem kulturellen Umdenken in Studien über Klimawandel. Darin liegt die Erkenntnis, dass die Vorstellung von Klimawandel uns mit mehr konfrontiert als nur der einfachen Herausforderung, akkurate Projektionen zukünftiger Klimata zu erstellen, Projektionen, die in irgendeiner Weise heutige Vorstellungen und heutiges Verhalten beeinflussen. Die Tatsache, dass gemeinschaftliches menschliches Handeln das globale Klima verändern kann, führt zu viel weiterführenderen und schwierigeren Fragen, etwa über wünschenswerte Formen politischer Organisation, über den Charakter verbindlichen Wissens oder über die menschliche Bestimmung (gr. telos). Letztendlich sind dies Themen, die kulturelle Reflektion und Analyse erfordern – zu menschlichem Glauben, sozialer Praxis und öffentlichen Diskursen. Das sind keine Fragen, die von den Klimawissenschaften beantwortet werden können. Doch ich glaube, dass Streitfall Klimawandel den Blick geöffnet hat auf die vielfältigen Möglichkeiten, um über diese tieferen Fragen zu unserem Menschsein und unserem Zusammenleben nachzudenken.
Mike HulmeNorwich im Juli 2013
Geleitwort zur deutschen Ausgabe
von Ottmar Edenhofer
Die Geschichte des Klimawandels kann man auf verschiedene Weise erzählen. Eine davon ist die Erzählung von der Titanic: Die ganze Menschheit fährt auf diesem Luxusliner auf einen Eisberg zu, eine Katastrophe gewaltigen Ausmaßes droht. Die champagnertrinkenden Mitglieder der 1. Klasse – mit schnellem Zugang zu den wenigen Rettungsbooten – haben vielleicht Chancen, die Katastrophe zu überstehen; doch die ärmeren Passagiere der unteren Decks sind wahrscheinlich verloren, wenn es zu einer Kollision kommt. Der Erzähler wird die Fragen beantworten müssen, ob die Menschheit den Kurs noch ändern kann und wer notfalls ein Anrecht auf einen lebenssichernden Platz im Rettungsboot hat.
Viele Klimawissenschaftler und Vertreter der Zivilgesellschaft haben in der Vergangenheit die Metapher vom fatalen Zusteuern auf einen Eisberg bemüht, den die Politik nicht wahrhaben will. Sie sind der Überzeugung, dass es zu apokalyptischen Katastrophen kommen wird, wenn wir den Klimawandel nicht bremsen und eine Überschreitung der 2°C-Schwelle globaler Erwärmung nicht verhindern. Der gegenwärtige Kurs der Titanic dient hierbei als Metapher für das alte, auf fossilen Energieträgern wie Kohle, Öl und Gas beruhende, klimaschädliche Wohlstandsmodell. Der Aufprall auf den Eisberg scheint unvermeidlich. Wenn nicht bald umgesteuert wird, so die Metapher, dann könnte man durch einen geschickt gesteuerten Aufprall – wie bei der Anpassungsstrategie an den Klimawandel – höchstens noch einige Menschenleben mehr retten; aber eine Katastrophe bleibt unvermeidlich. Die einzige Möglichkeit, einer solchen Katastrophe auszuweichen, ist dieser Erzählung zufolge eine massive Reduktion der klimaschädlichen Treibhausgasemissionen, was ein radikales Umsteuern nötig macht. Wenn es zum Aufprall kommt, also der Klimawandel in großen Teilen der Welt zuschlägt, dann kann man lediglich die knappen Plätze auf den Rettungsbooten verteilen, die dann einigen eine Zuflucht in jene Teile der Welt ermöglichen, in denen ein einigermaßen auskömmliches Leben noch möglich ist. Garrett Hardins viel zitierte, düstere Erzählung der ›Tragik der Allmende‹ prophezeit, dass die Reichen die Plätze in den Booten fast ausschließlich für sich beanspruchen werden. Die wenigen Boote bieten überdies nicht Platz für alle; wer hier moralische Bedenken erhebe, könne seinen sicheren Sitz im Boot ja gerne aufgeben.3
Diese düstere Parabel vergegenwärtigt, dass das scheinbar ›goldene Zeitalter der Industrialisierung‹ vorüber ist – jenes Zeitalter also, in dem die Menschheit noch von der Sparbüchse der Natur lebte4 und fossile Energieträger bedenkenlos nutzen konnte, um Wohlstand zu mehren und der Armutsfalle zu entrinnen. Diese Bedenkenlosigkeit ist verflogen und unsere Gegenwart scheint bestimmt von Knappheit und Eigennutz – mit den tragischen Konsequenzen, wie sie Hardin beschreibt.
Das vorliegende Buch von Mike Hulme will uns nun darauf aufmerksam machen, dass niemand genau weiß, ob wir überhaupt auf dieser Titanic sind, was tatsächlich passieren wird und was die besten Handlungsoptionen sind. Es gibt keine gemeinsame Wahrnehmung der sozialen Situation. Viele teilen das eingangs geschilderte Narrativ von der drohenden großen Klimaapokalypse und der Notwendigkeit einer fundamentalen gesellschaftlichen Umsteuerung nicht, manche bezweifeln auch die von Hardin prophezeite Tragödie bezüglich der Rettungsboote. Manche orakeln gar, es könnte einen gesellschaftlichen Fortschritt bedeuten, wenn die Menschheit durch den ungebremsten Klimawandel einem weiteren Selektionsdruck ausgesetzt wird. Wieder andere meinen, ein Aufprall auf den Eisberg habe gar keine allzu schlimmen Konsequenzen, wenn man nur kluge Anpassungsstrategien wähle. Schließlich proklamieren manche Anhänger von ›Green Growth‹, eine leichte Kurskorrektur der Titanic könnte den Untergang des bisherigen Wohlstandsmodells verhindern.
Mit anderen Worten: Wir können den jahrzehntelangen öffentlichen Streit um den Klimawandel nur verstehen, wenn wir begreifen, dass wir dabei über die großen Narrative der Menschheit streiten. Es komme, so Hulme, gar nicht darauf an, dass wir über dieses oder jenes wissenschaftliche Faktum streiten, sondern auf die Erzählungen vom Anfang, Sinn und Ende der Menschheitsgeschichte. Er geht davon aus, dass Menschen ihre individuellen und kollektiven Identitäten durch große Erzählungen strukturieren. Dieser Ausgangspunkt, so plausibel er auch sein mag, ist dabei alles andere als selbstverständlich: So verspricht der im Westen vorherrschende Liberalismus gerade, dass er den Ausgleich von Interessen, den Tausch von Waren und Gütern und die Errichtung von Machtbalancen unabhängig von kollektiven Identitäten erfolgreich strukturieren kann. Hulme zeigt dagegen, dass auch der Liberalismus nur eine weitere große ›Erzählung‹ ist, an deren Ende nicht das Paradies, nicht die Überwindung der Knechtschaft, sondern der Konflikt um den Ausgleich von Interessen steht.
Hulme öffnet uns mit diesem Buch die Augen für die Vielfalt und die weitreichenden Konsequenzen solcher Narrative – das heißt der säkularen und religiösen Glaubenssysteme – für die Debatten über die angemessene Deutung des Klimaproblems. Damit legt Hulme zugleich den Finger in die Wunde traditioneller wissenschaftlicher Politikberatung, die – wie die Wissenschaften lange Zeit selbst – stark vom positivistischen Erbe geprägt ist. Angeblich eindeutige Fakten und Wahrheiten sowie daraus abgeleitete alternativlose Politikempfehlungen wurden nicht selten in wissenschaftlichen Gutachten zum Klimawandel präsentiert. Hulme weist darauf hin, dass eine solche wissenschaftliche Politikberatung irreführend ist. Sie missachtet, dass Fakten und Werturteile nicht strikt getrennt werden können, dass also politische Empfehlungen und bereits die zugrunde liegende Problemanalyse notwendig mit Werturteilen behaftet sind und bestimmte Narrative implizieren. Unsere Wahrnehmung von Risiken, die Sicht auf nachhaltige Entwicklung und die Art und Weise, wie wir unser Verhältnis zum Staat bestimmen, beeinflusst unsere jeweilige Haltung zum Klimawandel. Außerdem deutet Hulme zu Recht darauf hin, dass es noch weitere Eisberge neben dem Klimawandel gibt, die ebenfalls umschifft werden müssen, etwa die Armut.
Hulme dekonstruiert unsere Meinungsverschiedenheit und lädt zur Konstruktion von Erzählungen und Narrativen ein. Vor allem für Naturwissenschaftler wird in diesem Buch das Tor zu einer Welt aufgestoßen, die ihnen durch ihre Ausbildung in einer positivistischen Kultur bislang fremd geblieben sein mag. Es geht darum, ein differenziertes Verständnis für die Findung und Austragung von gesellschaftlichem Konsens und Dissens zu eröffnen, das für alle großen sozialen Probleme von Bedeutung ist.
Das Buch ist eine Attacke auf ein technokratisches Politik- und Wissenschaftsverständnis, in dem die Wissenschaft festlegt, was die Politik zu tun hat. Ja, das Buch will das Establishment der Klimawissenschaft und Klimapolitik herausfordern. Der Weltklimarat als Inbegriff dieses Establishments will, so könnte man Mike Hulme paraphrasieren, ein Problem lösen, das man gar nicht lösen kann, weil eine gemeinsame Wahrnehmung fehle. Mike Hulme glaubt nicht daran, dass sich das Klimaproblem ultimativ lösen lässt, sondern dass uns der Klimawandel Möglichkeiten zuspielt, die wir sonst nicht hätten: Der Klimawandel ermöglicht es, die Vertreibung aus dem Paradies zu beklagen, die Apokalypse vorherzusagen, vor dem Turmbau von Babel zu warnen und schließlich ein Jubeljahr auszurufen und zu feiern, in dem wir den Klimawandel nutzen, um für mehr Gerechtigkeit zu kämpfen. Er greift hier auf die großen biblischen Erzählungen zurück, die er nebeneinander gleichermaßen gelten lässt und nicht zu einer sinnhaften Gesamtgeschichte komponiert, wie dies bei den biblischen Autoren (vor allem bei den Verfassern des Neuen Testaments) zu finden ist. Hulme sagt nicht, welches nun die ›wahre‹ Geschichte ist.
Manche Leserin und mancher Leser mögen am Ende des Buches deshalb eine Erleichterung empfinden: Mike Hulme erspart uns die metaphysische Anstrengung der Wahrheitsfrage. Verständnis stellt sich ein, warum wir über den Klimawandel streiten und warum größere naturwissenschaftliche Sicherheit diesem Streit kein Ende setzen wird. Wer der seit dem Club of Rome immer wieder propagierten Apokalypsen überdrüssig ist, wird gelassener auf die lokalen und globalen Krisen reagieren, denn auch die sind ja nicht neu unter der Sonne, es hat sie immer gegeben und es wird sie immer geben – die Apokalypse ist eben auch nur eine Erzählung, ebenso wie die großen Erzählungen, die dem Menschen einen Sinnhorizont anbieten.
Eine solche Reaktion auf Hulmes Buch wäre jedoch fahrlässig und Mike Hulme hat sich gegen diese Interpretation zur Wehr gesetzt. Eine Dekonstruktion der Debatte mag ein guter Ausgangspunkt sein, um aufgeklärter über Klimapolitik zu streiten. Aber man kann hier nicht stehen bleiben. Die Frage, was denn nun die ›wahre‹ Geschichte des Klimaproblems ist, bleibt bestehen – und: Man kann mit vernünftigen Gründen darüber streiten. Trotz all der konkurrierenden Metaphern, Parabeln und Narrative scheint es klar, dass zumindest das Risiko eines gefährlichen Klimawandels besteht, dass es also mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit einen Eisberg gibt, auf den wir zusteuern. Das Wissen um den gegenwärtigen Klimawandel ist nicht absolut sicher; der Nebel der Unsicherheiten und Deutungsmöglichkeiten verhindert eine gemeinsame Sicht auf die Eisberge. Würde die Geschichte vom Untergang der Titanic sich sicher als wahr erweisen, wäre die Katastrophe ja bereits eingetreten. Es ist jedoch ein Gebot der Klugheit und moralischen Verantwortung, auf eine solche drohende Katastrophe zu reagieren, auch wenn Unsicherheiten bestehen – und auch dann, wenn Menschen über den Anfang und das Ende der Geschichte streiten und die Hoffnung auf eine Einigkeit nicht besteht. Aber gerade angesichts der Gefährdungen können die Gemeinsamkeiten in der Wahrnehmung der Risiken wachsen, auch wenn Menschen sich in ihren Lebensentwürfen fundamental unterscheiden.
Das bedeutet noch lange nicht, dass es klar wäre, wie man den Dampfer zwischen den Eisbergen hindurch zu steuern hätte. Dafür braucht es Seekarten, die einen Weg aus der Gefahr zeigen können. Für das Klimaproblem können diese Karten öffentliche wissenschaftliche Assessments sein, die nicht nur einen, sondern verschiedene mögliche Politikpfade explorieren und deren jeweilige praktische Konsequenzen aufdecken. Auf diese Weise hätte man die Grundlage für ein rationales Streiten – also ein Streiten mit rechtfertigenden Gründen – über verschiedene Handlungsmöglichkeiten. Auch hier gilt: Viele Deutungen sind möglich, einiges ist unsicher – und dennoch gibt es für manche Ansichten überzeugendere Gründe als für andere. So scheint in der Tat eine drastische Verminderung der Emissionen notwendig, bloße Anpassung an ungebremsten Klimawandel oder leichte Kurskorrekturen werden höchstwahrscheinlich nicht genügen. Umgekehrt besteht die Hoffnung, dass Hardins Tragödie der Gemeinschaftsgüter am Ende doch ›nur‹ ein Drama mit gutem Ausgang wird, wie Elinor Ostrom argumentierte. Die vernünftige Bewirtschaftung der globalen Gemeinschaftsgüter bietet die Chance für ein neues Wohlstandsmodell, in dem ambitionierter Klimaschutz, Überwindung der Armut und Beendigung grober Ungerechtigkeiten erreicht werden können. Wir sind nicht zu einer moralischen Tragödie verdammt. Denn auch Menschen mit unterschiedlichen Geschichten und Metaphern können gemeinsam handeln, wenn sie Wege aus der Gefahr erkunden müssen.
Prof. für die Ökonomie des Klimawandels, TU Berlinstellv. Direktor und Chefökonom,Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung Ottmar EdenhoferBerlin/Potsdam im November 2013
Geleitwort zum englischen Original
von Steve Rayner
Als ich vor drei Jahrzehnten begann, mich mit der Erforschung klimawandelrelevanter Politikfelder zu beschäftigen, wurde ich von einem ehemaligen stellvertretenden Leiter der amerikanischen Umweltschutzbehörde gewarnt, dass ich meine Zeit verschwende, denn: ›Klimawandel werde nie ein Hauptthema öffentlicher Politik sein.‹ Er begründete dies mit drei Argumenten: ›Die Wissenschaft dazu ist zu unsicher, die Auswirkungen liegen zu weit in der Zukunft und es gibt keinen direkt erkennbaren Verantwortlichen‹. Meine Antwort darauf war, dass genau dies Gründe seien, warum der Klimawandel ein wichtiges politisches Thema werden würde. Es war genau diese Wandlungsfähigkeit von Klimawandel – die Eigenschaft, für verschiedene Menschen viele verschiedene Dinge zu bedeuten –, die dem Thema anhaltende öffentliche Aufmerksamkeit sichern würde.
Zehn Jahre später, unmittelbar nach der Verabschiedung des Kyoto-Protokolls, leitete ich die Veröffentlichung eines Berichts zum aktuellsten Stand der sozialwissenschaftlichen Forschung zum Klimawandel5. Der Bericht bestätigte, was in der Folgezeit als Problem begriffen wurde – die ›Bösartigkeit‹ von Klimawandel. ›Bösartigkeit‹ ist in diesem Zusammenhang keine moralische Wertung (auch wenn Klimawandel für einige Menschen die Konsequenz eines unethischen industriellen Lebensstils ist). Der Begriff ›bösartig‹ kommt aus der Stadtplanung6 und beschreibt Probleme unfassbarer Komplexität, die durch ›widersprüchliche Gewissheiten‹ gekennzeichnet sind und sich somit eleganten, einvernehmlichen Lösungen entziehen.
Wie Mike Hulme – weitere zehn Jahre später – in diesem Buch ausführt, ist der Klimawandel weniger ein singuläres Problem, das es für sich zu lösen gilt, als vielmehr ein Zustand, unter dem die Menschheit Entscheidungen treffen muss. Es geht um Fragen nach Prioritäten ökonomischer Entwicklung und danach, wie wir uns selbst regieren. Unsere Wahrnehmung von Klimawandel als Bedrohung für gewohnte und geschätzte Lebensweisen hängt ab von unserer Sicht auf die Natur, unserer Bewertung wissenschaftlicher Analysen, unseren Risikoeinschätzungen und unseren Vorstellungen davon, was auf dem Spiel steht – Wirtschaftswachstum, nationale Souveränität, Artensterben, das Leben armer Menschen in randständigen Lebensräumen von Entwicklungsländern – und ob es ethisch, politisch oder ökonomisch zu rechtfertigen ist, diese Themen gegeneinander abzuwägen.
Sogar wenn sich Wissenschaftler, Politiker und Öffentlichkeit auf die grundlegenden Prinzipien und die belastbarsten Erkenntnisse der Klimawissenschaften einigten, bestünde immer noch genügend Raum für Uneinigkeit über die Konsequenzen dieser Erkenntnisse für jegliches Handeln. Die Vorstellung, dass Wissenschaft den politischen Konsens ›antriebe‹ und dass bessere Wissenschaft Meinungsverschiedenheiten beilegen könnte, ignoriert die Wurzeln dieser Uneinigkeiten in den politischen, nationalen, religiösen, intellektuellen sowie administrativen Kulturen. Was in einer Personengruppe als selbstverständlich angenommen wird, ist für andere ›unbequemes Wissen‹, das aufgrund seiner Bedeutung für die Vorstellungen und Prioritäten zum Ressourceneinsatz schwer zu akzeptieren ist7.
Streitfall Klimawandel treibt diese soziologische Sichtweise auf die Klimadebatte in mindestens zweierlei Hinsicht voran. Einerseits wurde es von einem herausragenden Klimawissenschaftler verfasst. Beim Thema Klimawandel werden Wissenschaftler, Politiker und Journalisten die Ansichten eines Naturwissenschaftlers wahrscheinlich ernster nehmen, als jene von Anthropologen, Soziologen oder Politikwissenschaftlern, auch wenn die wesentlichen Inhalte des Buches eher das Verhalten von Gesellschaftssystemen, als das natürlicher Systeme betreffen. Dies trifft sogar dann zu, wenn die Spezialisierungen dieser Naturwissenschaftler die Klimawissenschaften nur tangieren (wie in dem Fall von mindestens zwei ehemaligen Forschungsleitern der britischen Regierung, die darauf bestanden, dass die Robustheit der Klimamodellierung außer Frage steht). Da Wissenschaft in der gegenwärtigen Gesellschaft zur ultimativen Quelle von Legitimität geworden ist, handeln manche ihrer Vertreter so, als wären sie die Hüter einer nicht in Frage zu stellenden Glaubenslehre, indem sie uns erzählen, dass ›die Wissenschaft vom Klimawandel entschieden ist‹ (und implizieren, Klimapolitik sei es ebenso). Andererseits sind sich Experten der Klimawissenschaften wie Mike Hulme, die näher an der Entstehung klimatologischen Wissens stehen, der unumgänglichen Lücken und Uneindeutigkeiten in der Wissenschaft vollkommen bewusst. Damit erkennen sie auch die Notwendigkeit des strategischen gesellschaftlichen und politischen Dialogs darüber, wie man im Lichte erkenntnistheoretischer Unsicherheit und konkurrierender gesellschaftlicher Werte reagieren sollte.
Zum anderen und wohl weitaus bedeutsamer hat Mike Hulme mehr getan, als einfach den soziologischen und anthropologischen Einblicken in die Klimadebatte seine wissenschaftliche Autorität zu leihen. Er geht weiter, als es sich selbst die meisten Sozialwissenschaftler zutrauten, indem er aufzeigt, dass Klimawandeldebatten mehr sind als bloße Aufhänger, woran verschiedene Interessensgruppen ihre jeweilige Agenda hängen. Stattdessen bietet Klimawandel die notwendige Arena und den Antrieb für die öffentliche Diskussion der großen Themen unserer Zeit.
Klima ist mehr als ein zwingender Treiber, der für unterschiedliche Visionen der menschlichen Zukunft mobilisiert werden kann. Es ist die Schlüsselkomponente geworden, um die lokale bis globale politische Themen formuliert werden. In diesem Sinne hat die Klimadebatte jene um Kapital und Gesellschaft als organisierendes Thema des politischen Diskurses in unserer modernen Welt beerbt. Hulme schlussfolgert: »statt uns selbst in einen ›Kampf gegen Klimawandel‹ zu stürzen, brauchen wir eine konstruktivere und fantasievolle Beschäftigung mit der Idee von Klimawandel«. In Abwandlung einer berühmten Formulierung John F. Kennedys erörtert er, dass »wir nicht fragen sollten, was wir für den Klimawandel tun können, sondern was der Klimawandel für uns tun kann?« Wir sollten »Klimawandel sowohl als Vergrößerungsglas als auch als Spiegel benutzen«, als Lupe zur Bündelung unserer Aufmerksamkeit auf die Langzeitwirkungen kurzfristiger Entscheidungen angesichts materieller Realitäten und gesellschaftlicher Werte; und als Spiegel, um »uns stärker damit zu befassen, was wir wirklich für uns selbst und die Menschheit erreichen wollen«.
Daher ist die Vielseitigkeit dessen, was durch den Begriff ›Klimawandel‹ vermittelt wird, nicht bloß ein Hemmnis für elegante Lösungen (wie Kohlendioxidhandel) oder gar für das Aufkommen dessen, was vielfältig als ›plumpe Lösungen‹ oder ›ungenügend theoretisch untermauerte Vereinbarungen‹ bezeichnet wird8. Es bietet die öffentliche Arena, das Vokabular und sogar (vielleicht ironischerweise angesichts der Gefahren, die Klimawandel selbst darstellt) den ›sicheren‹ virtuellen Raum, in dem die Menschen sich gegenseitig mit rivalisierenden Weltanschauungen, konkurrierenden Idealen des sozialen Guten und sich widersprechenden wirtschaftlichen Verbindlichkeiten konfrontieren können. Hulme demonstriert in diesem Buch eindeutig, dass die schlichte Reduzierung dieses ergiebigen und komplexen öffentlichen Diskurses über die Natur des ›Guten‹ auf eine technische oder selbst politische Debatte über das ›akzeptable‹ Niveau von Kohlendioxid in der Atmosphäre, einfach zu kurz greift.
Steve RaynerJames Martin Professor für Wissenschaft und Kultur,Universität Oxford
Einführung
Streitfall Klimawandel ist ein Buch über die Vorstellung vom Klimawandel: wo sie geboren wurde, was sie für unterschiedliche Menschen an verschiedenen Orten bedeutet und warum wir darüber uneins sind. Es ist zugleich ein Buch, das verschiedene Wege entwickelt, sich der Vorstellung von Klimawandel zu nähern und damit umzugehen.
Ich stelle Klimawandel bewusst ebenso als Vorstellung dar, wie ich ihn als ein physisches Phänomen behandle, das beobachtet, quantifiziert und gemessen werden kann. Letzteres beschreibt die Sichtweise der meisten Naturwissenschaftler und die Art und Weise, wie die Wissenschaft der Gesellschaft das Phänomen Klimawandel in den vergangenen Jahrzehnten präsentiert hat. Doch die Gesellschaft wurde zunehmend mit den beobachtbaren Realitäten von Klimawandel konfrontiert und wurde sich der Gefahren, die der Wissenschaft zufolge noch vor uns liegen, zunehmend bewusst. Somit wurde aus dem überwiegend physischen Phänomen Klimawandel zugleich ein gesellschaftliches. Diese zwei Phänomene sind sehr voneinander verschieden. So wie wir langsam und zeitweise zögerlich realisiert haben, dass die Menschheit zu einem aktiven Gestalter des physischen Klimas der Erde geworden ist, so beeinflussen unsere kulturellen, sozialen, politischen und ethischen Praktiken unsere Interpretation dessen, was Klimawandel bedeutet. Weit davon entfernt, nur einfach ein Wandel physischer Klimata zu sein – einem Wandel in der Abfolge von Wetter, das an bestimmten Orten erfahren wird –, wurde Klimawandel zu einer Vorstellung, die nun weit über ihre Ursprünge in den Naturwissenschaften hinaus in die Gesellschaften und die Kulturen ragt. Während diese Idee nun ›auf ihren Reisen‹ neue Kulturen trifft und den Welten von Politik, Wirtschaft, Populärkultur, Handel und Religion begegnet – oft durch die zwischengeschaltete Rolle der Medien –, nimmt der Begriff Klimawandel neue Bedeutungen an und dient neuen Zwecken.
In Streitfall Klimawandel untersuche ich diese sich weiterentwickelnde Vorstellung von Klimawandel. Dazu nutze ich Konzepte, Werkzeuge und die Sprache von Natur-, Gesellschafts- und Geisteswissenschaften sowie Diskurse und Praktiken aus Wirtschaft, Politik und Religion. Während wir Klimawandel aus diesen verschiedenen Blickwinkeln betrachten, beginnen wir zu verstehen, dass – in Abhängigkeit davon, wer man ist und wo man steht – die Vorstellung darüber recht unterschiedliche Bedeutungen in sich trägt und unterschiedliche Vorgehensweisen mit sich zu bringen scheint. Diese Unterschiede in der Sichtweise reichen viel tiefer, sie sind mehr als nur verschiedene Interpretationen der wissenschaftlichen Seite über Klimawandel. Unsere Streitgespräche über Klimawandel enthüllen auf einer tieferen Ebene all das, was zu Diversität, Kreativität und Konflikt in der Menschheitsgeschichte beiträgt – unsere unterschiedlichen Einstellungen gegenüber Risiko, Technik und Wohlbefinden; unsere divergierenden ethischen, ideologischen und politischen Überzeugungen; unsere verschiedenen Interpretationen der Vergangenheit und die konkurrierenden Zukunftsvisionen. Diese Uneinigkeit bezüglich Klimawandel wurde vom Romanautor Ian McEwan beschrieben: »Können wir uns einigen? Wir sind eine kluge aber zänkische Rasse – in unseren öffentlichen Auseinandersetzungen klingen wir wie eine Krähenkolonie kurz vor der Nachtruhe«. Wenn wir Klimawandel verstehen wollen und wenn wir dies konstruktiv in unserer Politik nutzen wollen, müssen wir zunächst diese widerstreitenden Stimmen hören und verstehen; diese facettenreichen menschlichen Überzeugungen, Werte, Einstellungen, Sehnsüchte und Verhaltensweisen. Und insbesondere müssen wir verstehen, was Klimawandel für diese wichtigen Dimensionen menschlichen Lebens und des menschlichen Charakters bedeutet.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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