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Svend Fleuron

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Beschreibung

Der Klassiker aus den 1920er-Jahren - berührend und aktueller den je

Strix ist eine der letzten ihrer Art und kämpft ums Überleben. Sie findet immer wieder neue Lösungen und passt sich ihrer Lebenswirklichkeit an. Doch wird sie ihren Platz finden?

Die dramatische Geschichte der großen Horneule Strix Bubo überzeugt durch eine verblüffende Sachlichkeit und berührt in ihrer literarischen Erzählweise zutiefst.

Mit seinen einzigartigen Tierromanen hat der dänische Autor Svend Fleuron tausende Leser*innen gefesselt und begeistert. Dieser Klassiker aus den 1920er-Jahren ist in Bezug auf das große Thema Mensch und Natur aktueller denn je.

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Inhalt

Ein Klassiker neu entdeckt

Strix ist eine der letzten Ihrer Art und kämpft ums Überleben. Sie findet immer wieder neue Lösungen. Doch wird sie ihren Platz finden?

Die dramatische Geschichte der großen Horneule Strix Bubo überzeugt durch eine verblüffende Sachlichkeit und berührt in ihrer literarischen Erzählweise zutiefst.

Mit seinen einzigartigen Tierromanen hat der dänische Autor Svend Fleuron tausende Leser gefesselt und begeistert. Dieser Klassiker aus den 1920er-Jahren ist in Bezug auf das große Thema Mensch und Natur aktueller denn je.

Autor

Svend Fleuron (1874–1966) war ein dänischer Schriftsteller. Bekannt wurde er als Natur- und vor allem als Tierschriftsteller. Er schrieb besonders über in Freiheit lebende Tiere, die er mit großer sprachlicher Kunstfertigkeit in ihrem trieb- und instinktgeleiteten Wesen darzustellen verstand. Ohne die Tiere zu vermenschlichen, gelang ihm die Abfassung moderner Tierromane. Zu den Werken Fleurons zählen: Die Rote Koppel, Meister Lampe, Schnipp, Fidelius Adelzahn u.v.a.m.

Svend

Fleuron

Strix

Die Geschichte eines Uhus

Aus dem Dänischen von Mathilde Mann

Diederichs

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Die dänische Originalausgabe Det tuder om natten ist bei Gyldendalske, Kopenhagen 1919 erschienen.

Deutsche Originalausgabe © Diederichs Verlag, 1920

Copyright © 2023 Diederichs Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlag: zero-media.net, München

Umschlagmotiv: © FinePic®, München

Innenabbildung: © stock.adobe.com (Uhu: ngupakarti; Federn: yod67)

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-30913-8V001

www.diederichs-verlag.de

DAS OHR DES WALDES

In der fernen Tiefe der großen Fördenwälder, wo sich Licht- und Schattenbäume hoffnungslos verfilzen, ragt ein hoher Hügelzug steil empor.

Er umschließt ein kleines Waldmoor, so daß die Morgensonne seine Westseite und die Abendsonne die Ostseite bescheint, während die Strahlen der Mittagssonne nur seinen Gipfel streifen.

An der Nordseite des Hügels, dicht unterhalb des Kammes, steht zwischen Dornen und Gestrüpp eine alte, eingegangene Eiche. Sie war einstmals riesenhaft gewesen, ein Ungetüm von einem Baum; jetzt ist sie hohl – der Kern ist vermodert und ganz zusammengesunken, so daß gleichsam ein Haus in dem zundrigen Stamm entstanden ist.

Es riecht säuerlich da drinnen und seifig wie nach Zecken … Die Zeit wohnt hier und zeugt jede Sekunde, wetzt ihren Zahn und frißt, was die Zeit vor ihr übriggelassen hat. Die Zeit hat einen Bettgenoß!

Ungefähr halbwegs am Stamme hoch, auf der Seite, die dem Moore zugekehrt ist, gähnt ein großes Loch aus dem Bauche des alten Eichbaums hervor. Eine flockige Daune zittert in einem Spinngewebe an dem oberen Rande der Öffnung.

Tief unten in dem Loch, dem es mit dem Sonnenlicht ebenso ergeht wie dem Hügel selbst –: die westliche Wand bekommt Morgensonne, die östliche Abendsonne, während die hintere Wand nie den Schimmer eines Strahles erhascht –, sitzt ein riesengroßer Vogel, und jeweils wie die Sonne ihren Weg über den Himmel nimmt, rückt er aus dem einen Schatten in den andern.

Es ist ein Nachtraubvogel, einer der letzten seiner Art: ein großer, braungefiederter Uhu!

Diese alte Eiche hier im Revier hat er mit gutem Bedacht erwählt: hier sitzt er gleichsam im Ohr des Waldes; jeder Laut, der von draußen her über das Moor hereindringt, fliegt zwischen den Hügelhängen hin und her und bis zu ihm in das Loch hinein. Der Uhu ist ein feistes, kräftiges Weibchen …

Sein Kopf ist größer als der einer Wildkatze, vorn flach abgeschnitten, so daß er das schönste Gesicht bildet.

Der Schnabel ist stark und gekrümmt, und die Schneiden sind so scharf wie eine Rosenschere: Sie behandeln einen Braten meisterhaft, zerlegen ein Stück Wild im Handumdrehen. Ritsch, ratsch – und sie haben selbst die Schenkelknochen eines zähen alten Rammlers durchgeschnitten.

Er fängt das Tier nicht, dieser große Uhu, er schlachtet es! Von den gelben Schnabelrändern steht ein Kranz von Federn in einem bärtigen Gekrause ab. Er trägt sein Teil dazu bei, auf sanfte und rücksichtsvolle Weise das arme gefangene Opfer irrezuführen, wenn es im Kampf um sein Leben versucht, den großen Schlund seines Gegners abzuschätzen.

Der Schlund ist abgrundtief – aber erst wenn der Uhu ihn öffnet, kann man es sehen.

Die Mundwinkel reichen bis ganz hinter die Augen und enden fast bei den Ohren; sie erschließen einen feuerroten, dampfenden Rachen, der den verhältnismäßig engen Trichter zu einem riesigen Sack bildet, darin eine ganze Stallratte verschwinden kann.

Oben auf dem Kopf, rings um die Gehöröffnungen, die ungeheuer sind im Verhältnis zu denen anderer Vögel, sind die Federn sinnvoll geordnet, so daß sie gleichsam einen Schirm bilden, gegen den die Schallwellen anschlagen können.

Das Gehör der großen Eule ist denn auch so fein, daß sie vernehmen kann, wie die Maus kaut und das Gras trinkt, ja selbst jedes Rascheln, jeden Flügelschlag der Nachtmotten hört sie!

Von dem oberen Rand der Schirme starren wild und drohend, wie die Lauscherpinsel eines Luchses, zwei wehende Federbüsche empor.

Die Augen aber sind es, die dem Gesicht das furchteinflößende Aussehen verleihen! Sie sind prächtig gelb mit rötlichem Außenrand; die Eule kann sie gleichsam mit Feuer und Blut füllen, sie glühen und sprühen lassen, so daß das Opfer gelähmt ist, wenn es plötzlich von ihrem Blick eingefangen wird.

Sie ist so groß, daß sie im Morgen- und Abendlicht, wenn sie über die Waldeswipfel herangleitet, einer kleinen Wolke gleicht – einer schwarzen und an den Rändern sonderbar zerfransten Wolke. Ihr Körper ist wie der einer Gans, und ihre Stärke gibt einem Königsadler nichts nach. Sie hat Flügel wie Schaufeln und so muskulöse Schenkel wie ein Fuchsrüde; die können ihren nächtlichen Wanderungen über den Waldboden Schnelligkeit und ihrem Griff bei der Jagd Härte verleihen.

Ihre Waffen, die selbst tief durch Eichenrinde schneiden, sind fingerdick, und wenn sie sie ganz auseinanderspreizt, haben sie fast die Spannweite einer Männerhand: die Wülste unter ihnen gleichen schwellenden Kissen, und aus einem jeden ragt ein langer, runder, sichelförmiger Nagel wie ein kleiner türkischer Krummsäbel hervor. Sie sitzt förmlich in einem Bett von Federn …

Die Dämmerung hat sie mit ihrem Pfeffer und Salz überstreut, und die Nacht hat ihr mit schwarzem Pinsel über Flügel und Rücken gestrichen. Über die Mitte der dicken, breiten Brust läuft ein weißlicher Strich, der sich oben unter dem Halse zu einem Fleck erweitert. Das ist das einzige, was wirklich hell ist an ihr, so etwas wie eine Erinnerung an den Glanz des Tages, an das Licht der Sonne – ganz will sie sie doch nicht lassen.

Es ist um die Tagesmitte und sommerwarm …

Die Eule sitzt satt und tagesschlaff zusammengesunken über ihrem Stand, die langen Brustfedern gleich einem wärmenden Unterrock über die Fänge breitend.

Der große runde Kopf mit den mächtigen Federbüscheln ist ganz auf den Rumpf herabgezogen – wodurch das Gesicht mürrisch und unzugänglich erscheint.

Wie ein großer zundriger Stumpf ragt sie in dem hohlen Stamm auf.

Die Finken können piepsen, der Specht kann klopfen und der Hirsch unter ihrem Baume röhren – sie hört es nicht! Kläfft aber ein Hund in weiter Ferne, ertönt das Rollen eines Wagens oder der Klang einer Axt – gleich zittert es in den Federbüscheln, sie sträuben sich auf ihrem Kopfe drohend wie Bockshörner, hängen nach und nach hernieder wie die Ohren bei einem melancholischen Schwein, um sich schließlich hintenüber zu legen, ganz am Halse zurück, wie bei einem wilden, bissigen Pferd.

Über dem Waldmoor flimmert die Luft von Licht; es ist da draußen weiß von Sonne, voll von Tag und Leben. Funkelnde Stechfliegen kommen plötzlich zum Vorschein, stehen einen Augenblick still und glühen – und tauchen dann wie Sternschnuppen in die Schlagschatten ein. Große, schimmernde Libellen schwirren schaukelnd über den Wasserspiegel, schrauben sich in Spiralen empor und fahren mit jähen Wendungen und unvorhergesehenen Bewegungen in Schwärme von Mücken hinein, so daß bei dem schnellen Flug ihre steifen, durchsichtigen Flügeldecken knistern. Dann schwingt sich ein Schwarm roter Falter von einem Wasserrosenblatt auf. Gleich Blättern in einer Wolke von welkem Laub, das plötzlich vom Wind erfaßt wird, schwirren sie über die Bülten … der Staub auf ihren unberührten Flügeln glitzert und leuchtet, während sie in lautlosem Sonnentanz, einander umgaukelnd, sich vom Winde treiben lassen, bis sie schließlich zu Paaren auseinanderstieben.

Da mischt sich eine Schar weißer Schmetterlinge mit den roten und bringt Verwirrung in das so glücklich beendete Hochzeitsspiel. Sie schweben alle hernieder und setzen sich mit gebreiteten Flügeln ein jeder auf seine Irisknospe. Es sieht aus, als seien alle Knospen zugleich erblüht!

Und himmelblaue Holztauben huschen hin und her von den Schöpfstellen, und nachtschwarze Bleßhühner flattern polternd über die Wassertümpel, während taugraue junge Reiher sich im schwankenden Röhrichtsaum in der Geduld und dem Handwerk des Fischers üben.

Es ist Tag draußen … Leben herrscht über dem Waldmoor. Drinnen aber im Baumstamm ist es düster und kalt. Die gefurchten Wände, die dieselbe glanzlose Farbe haben wie gebleichtes Gebein, sind holperig von Zunderknoten und morschen Vorsprüngen und wimmeln von Larvengängen und Wurmlöchern. Reisig und abgewehtes Laub hat sich angesammelt – und dickes, wollstrumpfähnliches Spinngewebe, das sich in der Zugluft bauscht, verkleidet die Wände des Kernholzes wie geheimnisvolle Vorhänge. Hin und wieder verirrt sich ein Sonnenstreif durch einen Spalt und zeichnet einen phantastischen Lichtfleck auf die entgegengesetzte Wand. Dann kommt Leben in ein paar zottige Spinnen, eine schildgepanzerte Kellerassel rollt sich schleunigst zusammen, während ein Bündel schwefelgelber Stinkpilze, denen hier drinnen auch ein Lebensplatz angewiesen wurde, aus Ritzen in der Finsternis den Hals recken. Der Wind plaudert ununterbrochen mit der alten, eingegangenen Eiche; er gönnt ihr den Frieden nicht, sondern fährt fort, sie zu quälen. Wenn der Baum dann klagend ächzt, reckt die Eule den Leib und schüttelt sich im Schlaf – dies Knarren im Altholz tut ihr so herzlich wohl.

Auf einmal dringt ein sonderbares, anhaltendes Kratzen durch das Loch zu ihr herein.

Das Geräusch wird stärker – – –

Dröhnende Pfotentritte, kratzende Krallen, die sich in Rinde bohren, dumpfes Aufschlagen von losgerissenen Moosbrocken, die unter dem Baum ins Laub fallen, jagen pochend gegen ihr Trommelfell.

Es ist jemand auf dem Weg zu ihr herauf!

Die Eule ist im selben Augenblick wach.

Es kommt schnell näher im runden Korkziehergang, ganz so, wie wenn der Specht vormittags ihrem Wohnbaum einen Besuch abstattet. Jetzt ist das Geräusch dicht hinter ihrem Rücken; sie hört das trockene Kernholz ächzen, und es dröhnt in dem hohlen Baum wie in einer leeren Tonne. Die Eule richtet sich auf und wird zweimal so groß! Sie wirft gleichsam die Kissen ab, und ihr vordem so dicker, aufgeplusterter Körper wird schlank und lang.

Plötzlich gleitet ein kleines, langgestrecktes, schlangenhaft geschmeidiges Raubtier in kastanienbraunem Pelz lautlos durch das Eingangsloch …

Da lodert es aus dem Zunderdunkel in der Tiefe wie Zauberglut auf. Ein elektrischer Strom, aus Spannung und Erregung geschaffen, entzündet ein magisches Licht in den brandgelben Sehern der Eule, sie sperrt ihren mächtigen Schlund auf und läßt plötzlich ein schreckenerregendes Fauchen vernehmen.

Das geschmeidige Raubtier fährt mit einem Satz zurück; in langen, kopflosen Sprüngen jagt es am Stamm hinab und verschwindet in wilder Flucht.

Der Marder Prank ist der blutrünstigste Räuber des Waldes. Aber noch ist er so jung, daß er solcherlei Irrtümer begehen kann. Er hatte gehofft, ein Eichhörnchen in dem hohlen Stamm da oben anzutreffen oder wenigstens einen kranken alten Häher.

Jetzt macht er sich schleunigst unsichtbar, ganz verdutzt über den Mißgriff.

Alle Bewohner des Waldes kennen ja den großen braungefiederten Nachtraubvogel – den fliegenden Wolf mit dem menschlichen Gesicht und den geradeaus gerichteten Sehern, die die Macht des Blickes besitzen.

Er ist der Tyrann des Hochwaldes, der seinen Zins von allen eintreibt, von den Hirschkälbern bis zu den Mäusen. Sie scheuen sie, sie fürchten sie … Strix Bubo, die große Horneule!

Männchen und Junge

Strix steht in den Jahren ihrer Kraft, in den von Jubel erfüllten Tagen ihres glücklichen Alters.

Alles, wonach sie greift, fängt sie, und alles, was sie schlägt, fällt und stirbt; in den Federposen ist Wachstum, Griff in den Fängen und ein ewig brennender Hunger im Magen; sie ist riesenstark. Wenn sie nur einen Hasen anrührt, spritzt der Schweiß gleich aus den klopfenden Pulsen; sie hat Lust zur Paarung und Freude an Jungen, sie besitzt alles, was aufreizend wirkt.

Ihre Jagdgründe reichen weit! Sie wohnt hier in den Hochwäldern, ganz am Ende der Förde, und kann bis zum nächsten Nachbarn jagen.

Es sind alte, pfadlose Wälder, voll von Dickungen und sauren Erlenmooren, umgestürzte Bäume und herabgewehte Äste schwimmen im Wasser, und überall stehen morsche, hohle Bäume und knarren. Unter der Geißel eines großen Wildbestandes sind die Wälder aufgewachsen: Edelhirsche, in freier Wildbahn großgeworden, und Sprünge von Rehen sind hier zu allen Zeiten eingewechselt und haben den Winter über kümmerlich von den Zweigen geäst. Daher das viele verkrüppelte Eichen- und Buchengestrüpp, daher die vielen verrenkten Eschen und Erlen, daher das urwaldähnliche Gewirr, das einem großen Uhu das Leben wert machen kann.

Aber der Lärm der Menschen rückt immer näher an Strix heran. Immer häufiger werden im Wald Bäume gefällt, neue Menschenwege werden angelegt, kleine Steinhaufen und große Steinhaufen, aus denen Rauch aufsteigt und darin Menschen wohnen, tauchen in wachsender Zahl am Waldessaum auf. Schon mehrmals hat sie ihren Wohnbaum wechseln und tiefer in den Wald ziehen müssen. Wo die Bäume am höchsten sind, wo der Sturm die stärksten Angriffsmöglichkeiten hat und die härtesten Wunden schlagen kann, so daß große Löcher in dem morschen Holz entstehen – da hat sie sich immer am wohlsten gefühlt.

Aber sie hat kaum ein halbes Jahr in ihrem neuen Versteck gewohnt, als der große Naturzerstörer mit Säge und Axt auch dorthin gelangt. Sie ahnt ihn, lange bevor er sich wirklich zeigt, denn vor sich her treibt er eine Schar anderer Tiere, denen es so ergeht wie der großen Horneule selbst.

Es sind Alttiere und Hirsche, Hühnerhabichte und Wanderfalken, Edelmarder und Wildgänse – alle fliehen sie vor den Axthieben, vor Hundegeläut und Schüssen und der scharfriechenden Fährte des arbeitstollen Menschen! Die ursprünglichen Bewohner des Waldes weichen dieser lärmenden neuen Welt; sie scharen sich zusammen an den Stellen, wo sie noch Lebensbedingungen nach ihren Gewohnheiten und Bedürfnissen finden – in den öden Landecken, in entlegenen Winkeln zwischen Heide-, Wiesen- und Sumpfstrecken. Hier halten sie sich am Tage auf – und warten die Nacht ab!

Die unermeßliche Brut des Lichts, die mit dem Tag erwacht und die Unruhe, den Lärm, die Veränderung und die Umbildung der Erde und der Natur hervorruft, die die Tiere scheuen, zwingt sie, sich zu verbergen, während jene rast! Des Nachts aber kehren sie zurück zu den alten Stätten, schwärmen aus auf schnellen Läufen, auf schleichenden Pfoten über das Reich, das einstmals das ihre war. Alttiere und Hirsche äsen vom Roggen der Ansiedler, die Dachse tummeln sich in den Kornfeldern, Marder und Fuchs stehlen Tauben und Hühner – und Strix nimmt an Katzen und Ratten, was sie ergattern kann! Nachts gehört die Erde noch den Tieren!

Aber die Erde wird dennoch kleiner und kleiner. Die Steinhöhlen der Menschen liegen bald so dicht um die Hochwälder, daß an manchen Stellen Tag und Nacht eine beängstigende Wolke ihres eigentümlichen Geruches aufsteigt. Eines schönen Abends merkt Strix, daß sie um der Nachbareule willen gern so weit jagen kann, wie es sie gelüstet. Die Nachbareule läßt ihre Kampfstimme nicht mehr ertönen, sie muß wohl andernorts bessere Jagdgründe gefunden haben!

Die Nachbareule ist fort – der große Moloch, das Götzenbild der Menschheit: die Zivilisation hat sie getötet. Der Vernichtungskrieg gegen die Stämme des großen Uhus nimmt seinen fürchterlichen Lauf.

In den letzten Jahren haben die Menschen angefangen, auf eine andere Weise angreifend vorzugehen.

Auf den Gütern jenseits des Fjordes tauchen plötzlich große, bunte, langschweifige Vögel in Mengen auf.

Es sind Fasanen!

Sie sind in kleinen Ackergehölzen ausgesetzt, wo sie sich im Überfluß vermehren. Es wimmelt von ihnen am Waldboden und in den Bäumen. Sie sind so fett und gleichgültig, daß sie weder laufen noch fliegen wollen. 

Sie ziehen viele von den großen Uhus aus allen Richtungen herbei; hier brauchen sie ja nur ins Gras niederzustoßen, und gleich haben sie die Fänge voller Nahrung. Rings herum in diesen kleinen Gehölzen, über Dickicht und Gestrüpp aufragend, sind hohe, schlanke Pfähle aufgepflanzt. Auf der Spitze eines jeden liegt – so recht zum Niedersitzen einladend – ein kleines, strammgespanntes Tellereisen.

Diese Eisen räumen im Handumdrehen unter den Uhus in Strix’ Umgebung auf.

Zu dieser Zeit trifft sie ihr letztes Männchen.

Es ist alt und verlebt, aber ihr bleibt keine Wahl – andere Uhus ihrer Art sind nicht anzutreffen.

Er singt und heult ihr einen Winter lang etwas vor: und betört sie durch List, indem er trotz den schlechten Zeiten beständig mit Beute in den Griffen umherfliegt.

Es ist ein Eisen, das er mit sich schleppt. Er trägt es so lange, bis die Federn des Eisens sich ihm durch das Bein geklemmt haben, dann stirbt der Fang ab und fällt eines schönen Tages mit dem Eisen zu Boden.

Ein erstklassiger Freier ist er freilich nicht, aber was tut das – er ist ein Uhu und kein Kanarienvogel!

Da thront er neben ihr …

Jedesmal, wenn sie die Blinzhaut von den Augen fortzieht, sieht sie einen Schatten ihrer selbst vor sich: einen großen, braunen Uhu mit Federbüscheln wie ein Paar Katzenohren und mit einer Schnabelspalte darunter, die sich weit nach hinten fortsetzt …

Das ist der einklauige: Uf!

Er ist an die hundert Jahre alt; seine Zeitgenossen waren einst Wolf und Adler – die letzten Überreste jener Tiere, die noch etwas von der großen Zeit an sich haben.

Den ganzen Winter sitzen sie zusammen in dem hohlen Baumstamm und würgen an ihrem Gewölle. In der Regel schlafen sie gut, und – erwachen sie zufällig, so haben sie genug zu tun.

Bald fordern die Nackenfedern einen Besuch ihrer Waffen, bald wollen die Seher gerieben und die Wangen gewaschen werden, oder der Schnabelbart mit den vielen eingetrockneten Blut- und Fleischresten meldet sich und bittet inständig, daß man ihn reinige und bürste.

Dann putzen sie sich halbe Stunden lang und nehmen die possierlichsten Stellungen ein. Uf wird zu einem jämmerlichen Trottel in der Nachtmütze und mit Haarzotteln um die Ohren; Strix wird zu einer Furie, einem wilden Gespenst – bereit zu kratzen und um sich zu schlagen!

Aber zur Frühlingszeit, wenn die Märzstürme den Wald »stimmen«, wenn die Raupen in dem faulen Holz des Baumstammes mit auffallend fiebriger Hast anfangen, ihr eifriges Klopfen und Hämmern zu beschleunigen, wenn die Träume der Eulen immer wiederkehren, da genügt es nicht, nur zu schlafen und sich zu putzen! Da müssen sie auf – auf und die Hörner sträuben und mit den Flügeln schlagen, während sie auf dem Moder, auf dem sie sitzen, hüpfen und tanzen; da müssen sie schwänzeln und sich blähen und hu-u, hu-u heulen …

Und dann bauen sie ihren Horst.

In einem Bett aus Reisig liegen zwei graubedaunte Junge! Sie sind runzelig im Gesicht wie alte Weiber und häßlich anzusehen für alle, nur nicht für Strix. Der Horst liegt in einer großen Vertiefung unter einem alten Baumstumpf, aber er geht in den Baumstumpf hinein, so daß man in ein tiefes, undurchdringliches Dunkel sieht. Es ist ein ganz vorzügliches Nest, hat einen Fußboden und ein Dach – der Fußboden liegt voll von Federresten. Ganz hinten im Baumstumpf ist die Vorratskammer; da gibt es Amseln und Birkhühner und Hasen – und das ganze Futter ist frisch, die Tiere sind ganz kürzlich geschlagen. Aber außerhalb des Baumstumpfs ist der Fußboden in weitem Umkreis mit Flügeln und Knochen übersät; da sieht es aus wie vor einem Fuchsbau.

Die Jungen sind noch klein. Vor zwölf Tagen erst sind sie aus dem Ei gekrochen, und Strix’ einkralliges altes Männchen sitzt getreulich über ihnen, um durch die Wärme seines Leibes den Lebensfunken in ihnen zu erhalten. Uf kann schlecht fangen, kaum für den eigenen Bedarf, geschweige denn für andere; seine Waffen sind stumpf und seine Seher schwach – so haben sie denn beide die Rollen vertauscht. Ihr liegt es also ob, alle Vorräte zu beschaffen!

Und sie ist allezeit ein kühner Jäger gewesen. Gleich bei Tagesanbruch fliegt sie vom Horst. In dem blanken, sonnenlosen Licht, das die ganze Umgebung und alle Gegenstände in ihrer richtigen Größe zeigt, jagt sie am eifrigsten und fängt am besten. Da durchsucht sie den Wald, steigt über Mooren und kleinen Wiesen in die Lüfte … sie rüttelt wie ein Falke auf schnell klappenden Flügeln und späht hinab. Während die Holztauben gurren und die Drosseln singen, während die Hasen auf Freiersfüßen gehen und ganz davon in Anspruch genommen sind, während die Wasserhühner in den Moortümpeln sich um Männchen und Brutplätze balgen, wählt sie unter dem Überfluß aus und macht Beute. Oder sie fliegt auf ein kahles Feld, hinaus auf Acker und Heide, und läßt die Ferne im mächtiger werdenden Tageslicht unter sich aufsteigen: neue Wälder weit da draußen beginnen zu winken, Anger mit Lämmern und Zicklein kommen verlockend nahe, sie gewahrt ferne Knicks und Menschennester, in deren Umgebung es von Wieseln und Ratten wimmelt.

Unter ihr tönt rings das Kollern des Birkhahns und das herausfordernde Locken streitbarer Rebhähne … abgezehrte und ausgemergelte Fähen sieht sie mit Stöcken von Schwänzen anstelle der früher so dicken, buschigen Lunten dahinschnüren. Das Wölfen hat alle Haare mitgenommen.

Aber die Fangzeit ist kurz um diese Zeit des Jahres … bald schwelt glühende Luft vor ihrem Blick, scharfe, ätzende Strahlen beißen ihr in die Augen – und auf einmal ist es, als werde die Erde unter ihr sonnengebügelt, der letzte Rest von Klarheit ist aufgehoben – und nun blinkt und flimmert und glitzert das Gras.

Da nimmt sie mit dem fürlieb, was sie zwischen den Fängen hat, und fliegt schleunigst zurück zu ihrer Behausung, das rote Licht des Sonnenaufgangs über den Flügeln.

So holt sie Ratten aus den weitentlegenen Dörfern, Birkhühner aus der Heide, Hasen vom Felde, Krähen aus dem Walde – sie müht sich getreulich ab und nimmt, was sie erwischen kann. Mit einem triumphierenden Hu-u bringt sie ihrem Gatten den Fang, und wenn Uf sieht, was sie hat, sträubt er die Hörner und gibt einen zufriedenen, gurrenden Laut von sich – : Wieder ein Hase! sagt er überrascht in seiner Sprache. Wahrlich! Sie strengt sich an!

Dann lüpft er von den beiden scharfkralligen Jungen; ihre unheimlichen, halbkahlen Köpfe gucken hervor und zeigen sich ihrer mütterlichen Hüterin. Sie will ihm bei der Beute behilflich sein, will ihm beistehen, sie zu schneiden und abzuziehen, aber er reißt sie ihr weg: sie soll nur fangen, nichts als fangen – – Doch Strix läßt sich nicht irremachen; sie kennt ihn und weiß, daß er gern für seinen eigenen Schnabel sorgt; so zerlegt sie denn das Wild nach allen Regeln der Kunst, zermalmt die Knochen und macht zähe Muskeln weich; sie kaut die Bissen durch und pfropft sie holterdipolter ihren gierigen Kleinen in die Schnäbel. Uf sitzt da und murrt: Sie soll nur fangen, nichts als fangen.

Es dämmert … ein früher Morgen im Mai! Die Fledermäuse heben sich noch wie Möwen vom Himmel ab. Die Drosseln lassen ihre ersten, tastenden Schläge hören, nur ein ganz kurzes Flöten ohne Zusammenhang.

Dann fängt ein Birkhahn draußen am Waldrand an zu knurren, eine Amsel trillert, ein kleiner Zaunkönig schmettert – der ganze Wald erwacht und begrüßt den dämmernden Tag mit Gesang. Der Kuckuck ruft in unbeherrschten Läufen, aber die Weibchen sind viel zu beschäftigt, um zuzuhören – sie sind ganz davon in Anspruch genommen, Pflegeheime zu finden! Rastlos fliegen sie umher, sie gucken in Astlöcher hinein und zwischen Baumwurzeln, oder sie flattern dicht über Nessel- und Wildkerbelinseln hin; ihre langen Schwänze streifen förmlich die Spitzen der Kräuter und jagen die brütenden kleinen Vögel auf.

Strix ist auf Fang aus! Sie muß in der letzten Zeit immer weiter hinausziehen, die nahen Jagdgründe sind erschöpft. Von ihren früheren Ausflügen weiß sie, daß dort auf der anderen Seite des Waldes unter einem mit Gestrüpp bestandenen Abhang eine große Herde Ziegen mit Zicklein zu weiden pflegt. Heute morgen ist ihr das Glück hold!

Eine der Ziegen hat gelammt, und die kleinen neugeborenen Zicklein drücken sich dicht an die Flanken der Mutter, um das Euter zu schnappen.

Die Erde ist im Begriff, die Nebel der Nacht abzuschütteln: alle kleinen Niederungen zwischen den Hügeln stehen in einem Dampf, so daß es für Strix ein leichtes ist, die Tiere zu überrumpeln. Keine von den vielen neidischen Krähen oder wachsamen Kiebitzen, deren Gebiet sie hat durchfliegen müssen, hat sie bemerkt. Ungesehen dringt sie vor … sie sieht das Gestrüpp schon in der Ferne. Sie wagt es nicht, sogleich niederzustoßen und Beute zu machen. Es geht ja hier um mehr als nur zu fangen! Die Beute soll mit … mit in die Luft hinauf und in den Griffen nach Hause getragen werden.

So schwingt sie sich denn in einen Wipfel ein, der aus dem Dickicht aufragt …

Der Zweig kracht unter ihrem Gewicht und dem Griff ihrer Fänge, so daß alle Ziegen spähend die Köpfe heben; aber jetzt, wo sie sich eingeschwungen hat, verschmilzt sie mit dem Kronengewölbe und mit dem Abhang – und die Schläfrigkeit des Morgens senkt sich wieder auf die Tiere herab. In aller Ruhe kann sie ihre Beute auswählen: dasjenige der Zicklein, das zu äußerst liegt.

Es sind Ziegen von der kleinen ungekreuzten, verkümmerten Landrasse; mit einem Zicklein wird sie leicht fertig, wenn sie es nur richtig anpackt. Geduldig wartet sie den günstigen Augenblick ab. Auf einmal ist sie da!

Die Griffe vorn unter der Brust gezückt, stürzt sie sich hinab. Im Vorübersausen versetzt sie der halbschlafenden Mutterziege eine Ohrfeige, dann paßt sie es so ab, daß sie das Zicklein noch im Fliegen packt.

Sie hat es … und flattert damit über den Erdboden hin.

Es ist schwer, sie merkt, daß es nicht so recht mit in die Luft hinauf will – sie braucht mehr Luft unter den Flügeldecken zum Aufsteigen.

Mechanisch gebraucht das Zicklein die Beine, und Strix reizt es durch ihr Kampfgeheul zu den äußersten Anstrengungen. Der Druck unter den Flügeln wird stärker. Bald hebt sie es leicht über Gräben und Erdschollen – und jetzt nimmt sie endlich mit einer mächtigen Kraftanstrengung ihren Fahrgast mit in die Luft hinauf.

Ihre Fänge sitzen in den Flanken des Zickleins, tief drinnen in dem zarten Rumpf, die Qual des kleinen Opfers ist auch nur kurz, schlaff hängt der Kopf herab, ehe Strix noch zu halber Flughöhe hinaufgelangt ist. – – –

An diesem Morgen hat Strix ehrlich zu schleppen! Aber diese Last ist ihr teuer! Als sie gegen Sonnenaufgang, schachmatt und abgehetzt, einen langen Schwanz von Krähen und kleinen Vögeln hinter sich, schwer durch die Baumwipfel herabgeflattert kommt, als es Uf klar wird, daß sie die Fänge gehörig voll hat – da vernimmt sie die zärtlichsten Liebeslaute aus seiner alten Kehle: Wap, wap, wap!

Das sind Zeiten für Strix! Tage und Nächte wechseln nicht schnell genug …

Der ganze hohle Stamm liegt voll von teilweise unangerührten Tierleichen. Da gibt es Birkwild und Rebhühner, Holztauben und Krähen, Hasen und große Stücke Rehkitz – ein unvergleichlicher, einladend gedeckter Tisch! Die Kleinen können nicht so schnell kröpfen, wie sie fangen kann, aber ihr Trachten ist darauf gerichtet, daß sie immer einen gewissen Überfluß vor Augen haben; dadurch sollen sie ihre Abstammung erkennen.