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Romy Fölck

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Beschreibung

Was machst du, wenn Geld das Einzige ist, auf das du dich verlassen willst, du aber keins mehr hast? Was machst du, wenn jemand anderes der bessere Sohn ist? Und was machst du, wenn du eine verlorene Liebe finden sollst und jemand mit allen Mitteln verhindern will, dass du sie findest?

Der junge Hamburger Anwalt Lars Kaufmann wird mit einem ungewöhnlichen Anliegen konfrontiert: Für seinen Mandanten Albert Callsen, einen vermögenden Reedereibesitzer, soll er Irene Sundermann finden. In den 1950er Jahren hatte Callsen eine Liaison mit der jungen Frau und wollte sie gegen den erbitterten Widerstand seiner Familie heiraten. Doch eines Tages verschwand Irene spurlos und für immer ...

Auf der Suche nach Callsens großer Liebe verstrickt sich Lars immer tiefer in die Geheimnisse der Reederfamilie. Er muss am eigenen Leib erfahren, dass es jemanden gibt, der verhindern möchte, dass Lars weitersucht und der auch vor Gewalt nicht zurückschreckt ...

Enthält eine XXL-Leseprobe aus Romy Fölcks "Totenweg".

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung!

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EPUB

Seitenzahl: 197

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Bahnsteig

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Leseprobe

Über dieses Buch

Was machst du, wenn Geld das Einzige ist, auf das du dich verlassen willst, du aber keins mehr hast?

Was machst du, wenn jemand anderes der bessere Sohn ist?

Und was machst du, wenn du eine verlorene Liebe finden sollst und jemand mit allen Mitteln verhindern will, dass du sie findest?

Der junge Hamburger Anwalt Lars Kaufmann wird mit einem ungewöhnlichen Anliegen konfrontiert: Für seinen Mandanten Albert Callsen, einen vermögenden Reedereibesitzer, soll er Irene Sundermann finden. In den 1950er Jahren hatte Callsen eine Liaison mit der jungen Frau und wollte sie gegen den erbitterten Widerstand seiner Familie heiraten. Doch eines Tages verschwand Irene spurlos und für immer …

Auf der Suche nach Callsens großer Liebe verstrickt sich Lars immer tiefer in die Geheimnisse der Reederfamilie. Er muss am eigenen Leib erfahren, dass es jemanden gibt, der verhindern möchte, dass Lars weitersucht und der auch vor Gewalt nicht zurückschreckt …

Über die Autorin

Romy Fölck wurde 1974 in Meißen geboren. Sie studierte Jura in Dresden, ging in die Wirtschaft und arbeitete zehn Jahre für die Mercedes-Benz Bank in Leipzig. Heute lebt sie als freie Schriftstellerin in der Elbmarsch bei Hamburg.

Sie veröffentlichte zahlreiche Kurzkrimis in Anthologien und Zeitschriften. Fölck ist Mitglied im Syndikat, im Verein deutschsprachiger Kriminalschriftsteller und eine erfolgreiche Netzwerkerin.

Romy Fölck

STUMMEGELIEBTE

beTHRILLED

Digitale Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Redaktion: Julia Feldbaum

Lektorat/Projektmanagement: Rebecca Schaarschmidt

Covergestaltung: © www.buerosued.de unter Verwendung von Motiven© shutterstock: Stacey Newman | helentopper

eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-4285-7

Dieses eBook enthält eine Leseprobe des in der Bastei Lübbe AG erscheinenden Werkes »Totenweg« von Romy Fölck.

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Ulrike Brandt-Schwarze, Bonn

Covergestaltung: © www.buerosued.de unter Verwendung von Motiven© getty-images: Darwin Wiggett | Lee & Jimmy Fisher | EyeEm

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Bahnsteig

Der Junge kickte mit dem Fuß eine leere Getränkedose weg, die polternd ins Gleisbett fiel. Der strenge Blick des Vaters reichte aus, dass er die zerbeulte Plastikflasche, die danebenlag, der Dose nicht folgen ließ. Sie standen seit einigen Minuten auf einem zugigen Bahnsteig im Nirgendwo. Er hatte seinen Vater wie so oft nach der Schule zu einem Geschäftstermin begleitet. Nichts war langweiliger als diese Termine, bei denen er nett grüßen und lächeln musste und sonst den Mund zu halten hatte. Die Temperaturen waren am Abend unter den Nullpunkt gefallen. Endlich waren sie auf dem Heimweg. Er fror, und sein Magen knurrte. Der Zug kam später, und sein Vater hatte am Pressestand eine Zeitung gekauft, in die er sich vertieft hatte.

In einiger Entfernung standen noch zwei Leute auf dem Bahnsteig, ein Mann und eine Frau. Der Junge beobachtete das Paar. Sie schienen sehr vertraut miteinander. Anfangs redete der Mann, dann entgegnete die Frau etwas, bald begannen sie zu streiten. Der Junge konnte nichts von ihrem Gespräch verstehen, da ihm ihre Sprache fremd war. Aber dass die Frau Angst hatte, konnte er an ihrer Haltung erkennen. Der Mann wurde immer lauter, hob plötzlich die Hand, um zuzuschlagen.

Der Junge zuckte zurück, als wäre er es, dem gedroht wurde. Er prallte rücklings gegen seinen Vater, dem die Zeitung aus der Hand rutschte.

»Was soll das, Lars? Kannst du nicht aufpassen?«

»Der Mann dort …« Der Junge zeigte vorsichtig auf das Paar, das wieder erhitzt diskutierte. »Er will der Frau etwas tun.«

Sein Vater hatte sich schon wieder in den Artikel vertieft. Er hob nicht einmal den Blick. »Dieser Frau tut niemand etwas.«

Der Junge drückte sich an ihn. »Sieh doch, er hebt schon wieder die Hand!«

Sein Vater warf ihm einen bösen Blick zu. »Hör auf mit deinen Spinnereien, Lars!« Er sah hinüber. »Was fremde Leute miteinander haben, geht uns nichts an.«

»Aber … sie hat Angst.«

Der Vater packte die Hand des Jungen und drückte die Finger langsam zusammen, bis er leise wimmerte. »Keine Widerworte! Und jetzt sei still! Der Zug fährt gleich ein.«

Der Mann redete weiter auf die Frau ein. Sie schwieg und hielt ihren Kopf gesenkt. Dann wurde seine Stimme lauter, aber dieses Mal wagte der Junge nichts zu sagen. Er ballte nur die Hände zusammen und sah auf seine Schuhe. Als er ein klatschendes Geräusch und einen Aufschrei hörte, blickte er auf.

Lars sah die Frau an. Sie hielt sich die Wange. Ihre Blicke trafen sich. Verschämt sah sie weg. Der Mann riss ihr die Hand vom Gesicht und schlug mit der flachen Hand erneut zu. Sie schluchzte auf. Er brüllte sie an und drohte mit der erhobenen Hand.

Der Junge stand starr neben seinem Vater, der die Szene über den Rand der Zeitung beobachtete.

Die Frau weinte, ihr Körper bebte. Sie sagte etwas. Dann spuckte sie vor dem Mann auf den Boden. Einen Moment blieb dieser wie erstarrt stehen. Dann ballte er seine Hand zur Faust und schlug zu. Die Frau ging zu Boden und blieb liegen.

Lars schrie auf und ging zwei Schritte auf die Verletzte zu. Ihre Augen sahen ihn Hilfe suchend an. Sein Vater zog ihn am Arm zurück.

»So tu doch etwas«, jammerte der Junge. »Bitte, Papa, hilf ihr!«

Doch sein Vater legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. »Ich bin Anwalt, kein Leibwächter. Wenn sie offiziell als Mandantin zu mir kommt, werde ich ihr helfen.« Er sah lange zu der Frau, die wimmernd auf dem Bahnsteig lag. Eine blecherne Lautsprecheransage gellte über den Bahnsteig. Metallisch schleifende Geräusche kündigten den einfahrenden Zug an. Der Vater faltete die Zeitung zusammen und steckte sie in seine Aktentasche. »Vorfälle dieser Art passieren täglich. Das ist mein Geschäft! Wir Anwälte fegen auf, was andere zerbrechen! Irgendwann wirst du das auch tun, mein Sohn!«

Kurz vor dem Einsteigen blickte der Junge sich um, aber die ankommenden Passanten verdeckten die Frau am Boden. Nur ein Schluchzen war zu hören.

Und Lars vernahm es als sein eigenes in einem sich immer wiederholenden Traum – er stand auf einem Bahnsteig, einsam und verlassen.

1

Der junge Anwalt erwachte, als er die Bewegung neben sich spürte.

»Herr Kaufmann?« Jemand beugte sich über ihn.

Er roch ein widerlich süßes Parfüm, öffnete die Augen und sah ins Gesicht der Sekretärin seines Vaters, das vor seinem schwebte. Hatte er tatsächlich die Nacht mit dieser alten Schachtel verbracht? Oh Gott, was hatte er gestern Abend alles eingeworfen?

Die Sekretärin richtete sich auf und sah auf ihn herunter. »Herr Kaufmann, alles in Ordnung mit Ihnen? Brauchen Sie ein Aspirin?«

Lars streckte seinen Rücken durch und sah sich um. Zu seiner Erleichterung saß er an seinem Schreibtisch. Er musste im Büro eingenickt sein.

»Ja, danke, Frau Strade.«

Sie lächelte ihr Reptilien-Lächeln. »Bringe ich Ihnen. Und Ihr Vater will Sie sehen.«

»Okay. Ich gehe später bei ihm vorbei.«

»Er will Sie sofort sehen!« Sie betonte ihre Worte, als gehe es um Leben und Tod.

Lars stöhnte leise und drückte seine Schultern durch. Auch das noch. Sein Kopf fühlte sich an, als habe er ihn beim Sparring schutzlos seinem Gegner überlassen. Gin Tonic, dachte er. Nur zwei oder drei. Und ein paar Nasen Koks. Wieso fühlte er sich dann heute so elend?

Auf der Toilette schöpfte er sich kaltes Wasser ins Gesicht. Er sah in den Spiegel. Blasse Haut, rote Äderchen in den Augen, dunkle Schatten darunter. Das Aspirin lag schon auf seinem Schreibtisch, als er sein Jackett holte. Ein Treffen mit seinem Vater brauchte er jetzt so sehr wie eine Kugel im Kopf. Aber dem Alten widersprach man nicht. Schon gar nicht, wenn man diesen Laden irgendwann übernehmen wollte.

Lars klopfte an und trat erst nach der Aufforderung ein. Es saß noch eine andere Person im Büro. Felix, der Speichellecker! Sein Cousin hatte erst ein Praktikum während seines Jurastudiums und schließlich auch die Wahlstation seines Referendariats hier in der Kanzlei absolviert. Nach seinem Examen hatte der Alte ihn eingestellt, und mittlerweile hatte Felix sich bei seinem Vater so eingezeckt, dass er für ihn fast unabkömmlich geworden war. Dabei war er noch nicht mal der leibliche Sohn seines Onkels. Er war mit acht Jahren adoptiert worden. Eine kleine Made, die sich am Kuchen seiner, Lars´ Familie fett fraß. Lars hatte ihn schon nicht leiden können, als ihm der dünne Brillenheini damals vorgestellt worden war. Ein Vorzeigeschüler, Klassenbester, der nebenbei noch ein paar Sportabzeichen mit nach Hause brachte. Er selbst hatte einige Nachhilfelehrer kommen und gehen sehen, war zu faul gewesen, um Sport zu treiben. Er hatte diesem kleinen Streber während ihrer Kindheit die eine oder andere Abreibung verpasst. Statt Felix´ Einser-Zeugnissen hatte er Freunde gehabt. Er war beliebt gewesen in der Schule, nicht nur, weil er schon immer dieses strahlende Brad-Pitt-Lachen gehabt hatte – ein Türöffner in so mancher Lebenslage. Andere hatte sein Vater für ihn aufgestoßen. Zum Beispiel an der Universität, um einen der begehrten Assistenzjobs bei renommierten Professoren zu bekommen. Alles war gut gelaufen, bis sich diese Made mit ihren hervorragenden Noten auch hier in der Kanzlei breitgemacht hatte. Was hatten die beiden so vertraulich miteinander geredet, bevor er hereingekommen war?

»Lars, setz dich!«, sagte Eduard Kaufmann. Sein Gesichtsausdruck war undurchdringlich. »Wie weit bist du mit der Landmann-Fusion?«

Verdammt! Landmann & Söhne waren ein mittelständisches Unternehmen, was zum Jahresende mit einem Geschäftspartner fusionieren wollte. Er hatte vor einigen Wochen den Auftrag bekommen, die Fusion mit beiden Parteien zu verhandeln und die Verträge aufzusetzen. Nachdem er einige Tage einem der Geschäftsführer erfolglos hinterhertelefoniert hatte, hatte er sich den Fall auf Termin gelegt. Oder hatte er das vergessen? Er konnte sich beileibe nicht erinnern.

»Ich saß gerade dran, als du mich gerufen hast.«

Sein Vater hob eine Augenbraue und sah ihn länger als nötig an. Die Strade musste geplaudert haben, wie sie ihn vorgefunden hatte.

»Heb dir deine Ausflüchte für deine Weiber auf! Du wirst den Fall an Felix übergeben und ihn dazu umfassend briefen. Er wird ab jetzt die Verträge aufsetzen und die Fusion begleiten.«

Lars brauchte einen Moment. »Du nimmst mir den Landmann-Fall weg?« Er schluckte trocken. Das war ein ganz mieser Tag!

Sein Vater lehnte sich in seinem Chefsessel zurück. »Ich habe eine andere Aufgabe für dich. Einer unserer ältesten Mandanten braucht unsere Hilfe.« Sein Vater schob eine Akte an die Tischkante. »Du hast um drei Uhr einen Termin mit Albert Callsen.«

»Callsen, der Reeder?«

»Genau der.«

»Lebt der noch? Der muss um die neunzig sein.«

Ein strenger Blick. »Versau es nicht!«

Lars blätterte die Unterlagen durch. Obenauf lag ein vergilbtes Testament. Ausgerechnet Erbrecht, dachte er. Ein staubtrockener Fall, juristischer Totentanz!

»Du wirst mit Herrn Callsen dieses Testament überarbeiten. Er wünscht einige Änderungen.«

In Felix´ Augen lag ein überlegenes Blitzen. Die Ohrfeige saß. Sein Cousin hatte ihn ausgebootet, hatte sich den komplexen Gesellschafts- und Fusionsvertrag an Land gezogen. Er, Lars Kaufmann, Sohn des Kanzeleiinhabers und einziger Erbe, bekam stattdessen eine Aufgabe, die ein Praktikant im ersten Semester übernehmen konnte. Wann hatte Felix ihn auf das Abstellgleis manövriert?

»Und zieh dir ein frisches Hemd an! Du siehst aus, als hättest du heute Nacht in deinen Klamotten übernachtet.«

Lars spürte nackte Wut in sich aufsteigen. Aber er entgegnete nichts, nahm die Akte und ging aus dem Büro, so wie ein Geprügelter den Ring verließ. Felix warf er einen letzten Blick zu, bevor er die Tür hinter sich schloss. Der Kampf um die Kanzlei hatte begonnen. Das, was sich sein Vater und dessen Vorfahren hier geschaffen hatten, war sein Erbe! Und er würde es bekommen, koste es, was es wolle.

Zwei Stunden später stand Lars in einem holzgetäfelten Büro, in dem ein schmaler, weißhaariger Mann aus dem Fenster auf den Hamburger Hafen blickte. Seine Schultern waren leicht nach vorn gebeugt, und er stützte sich auf einen Gehstock. Seine Stimme war trotz seines Alters rau und kräftig. Der Mandant wies Lars mit dem Stock einen Stuhl vor dem Schreibtisch zu.

»Wo ist Ihr Vater?«, fragte Albert Callsen.

Lars Kaufmann hatte diese Frage erwartet. »Leider ist mein Vater in der Kanzlei unabkömmlich und bat mich, diesen Termin als sein Vertreter wahrzunehmen.«

»Unabkömmlich«, echote Albert Callsen missmutig. »Die Kanzlei Ihres Vaters hat schon meinen Vater vertreten, aber Kaufmann senior fühlt sich unabkömmlich für einen Termin mit einem seiner ältesten Mandanten!« Er griff in eine Schublade und zog eine Pfeife heraus, die er schweigend stopfte.

»Mein Vater sagte, der Termin mit Ihnen sei so wichtig, dass er nicht verschoben werden könne. Deshalb hat er mich gebeten, ihn wahrzunehmen.«

Der Reeder nickte kurz und schien besänftigt.

Er sah dem jungen Anwalt eindringlich ins Gesicht. »Wie alt sind Sie, Herr Kaufmann. Dreißig, zweiunddreißig?«

»Neunundzwanzig, Herr Callsen.«

»Hm.« Der alte Mann entzündete ein Streichholz und paffte einige Male an der Pfeife, bis der Tabak sich entzündet hatte. »Sie wollen also einmal die Kanzlei Ihres Vaters übernehmen.«

Lars nickte, obwohl ihm seit heute erste Zweifel daran kamen, dass er als Nachfolger gehandelt wurde.

»Ich habe keine Kinder, Herr Kaufmann. Ich habe mein Leben lang hart gearbeitet, und wenn sich der Sargdeckel über mir schließt, werden sich meine Nichten und Neffen um das Erbe streiten.« Er paffte nachdenklich. »Die jungen Leute werden die Reederei zerschlagen und verkaufen. Nichts wird mehr vom Namen Callsen übrig bleiben. Nur ein verwitterter Grabstein.«

»Sie erfreuen sich doch bester Gesundheit, wenn ich nicht irre!« Ein kläglicher Versuch, aber der Reeder nickte.

Die wässrigen Augen seines Gegenübers ruhten eine Weile auf Lars. »Ich habe in den letzten Wochen viel nachgedacht. So will und werde ich nicht abtreten. Ich habe einen Auftrag für Sie.«

»Ein neues Testament?«

»Unterbrechen Sie mich nicht ständig«, fiel ihm der Reeder ins Wort. »Ich sagte, ich habe einen Auftrag für Sie. Darüber hinaus möchte ich, dass diese Sache unter uns bleibt. Kein Wort zu Ihrem Vater, verstanden?«

»Geht es denn nicht um Ihr Testament?«

Albert Callsen paffte ein paar Momente gedankenverloren an der Pfeife. »Ich möchte, dass Sie eine Frau für mich finden.«

Lars öffnete überrascht den Mund. Doch der Alte unterband weitere Fragen mit einer strikten Handbewegung. Er zog aus seinem Jackett ein Amulett, das er statt einer Taschenuhr an einer Kette trug, und legte es auf den Tisch. Vorsichtig klappte er den goldenen Deckel auf. Die vergilbte Fotografie einer jungen Frau unter Glas kam zum Vorschein. Dunkle Augen, hohe Wangenknochen, ein unergründliches Lächeln. »Ihr Name ist Irene Sundermann. Jedenfalls war er das vor über sechzig Jahren.«

Lars verließ das Büro seines neuen Mandanten mit gemischten Gefühlen. Der alte Reeder hatte ihm zehntausend Euro in Aussicht gestellt, sollte er die gesuchte Frau ausfindig machen, weitere zehntausend, wenn er ein Treffen mit ihr arrangieren konnte, sollte sie noch leben. Der junge Anwalt war im ersten Moment perplex gewesen und hatte angeboten, eine renommierte Detektei damit zu beauftragen, denn mit Personensuche beschäftigten sie sich nun wirklich nicht. Aber Callsen hatte darauf bestanden, dass dieser Auftrag unter die anwaltliche Schweigepflicht fiel. Er wollte, dass die Suche höchst diskret behandelt wurde, und Lars fragte sich, was es mit dieser ominösen Irene Sundermann auf sich hatte. Als ihm der Reeder vorgeschlagen hatte, dass die ausgelobte Summe an der Kanzlei vorbei auf Lars´ privates Konto fließen sollte, hatte er seine Gegenwehr eingestellt. Dieser Zusatzverdienst kam ihm mehr als recht. Seine Schulden für illegale Wetten beliefen sich mittlerweile auf knapp fünfzehntausend Euro, und er sah die Chance, diese bald zu begleichen, ohne dass sein Vater von seiner Spielsucht Wind bekam.

Albert Callsen hatte ihm die wenigen Fakten dargelegt, was Irene Sundermann betraf. Der Reeder hatte sie zum ersten Mal im Sommer 1955 im Tanzlokal Café Keese auf der Reeperbahn gesehen, das letzte Mal im Frühjahr 1956 am heute nicht mehr existierenden Fürstenplatz, kurz bevor der damals junge Geschäftsmann zu einer Geschäftsreise nach London aufgebrochen war. Irene Sundermann stammte, laut Callsen, aus dem einfachen Hamburger Arbeitermilieu und hatte in einer Wäscherei im Gängeviertel als Näherin gearbeitet. Was für eine Rolle sie im Leben des jungen und aufstrebenden Reedersohnes Albert Callsen gespielt hatte, erklärte der Alte jedoch nicht. In der Wäscherei, erzählte sein Mandant weiter, hatte Irene Sundermann 1956 von einem auf den anderen Tag ihren Dienst quittiert. Ihre kleine Wohnung im Gängeviertel war bei Callsens Rückkehr bereits längere Zeit verlassen gewesen. Es schien ihm damals, als habe Irene Sundermann nie existiert.

Die Frau legte den Filz auf den Tisch und sah aus dem Fenster, dessen Glas durch ein im Norden typisches Fensterkreuz geteilt wurde. Schon wieder regnete es, und das diffuse Licht ließ den Garten mit seinen Hecken wild und fast mystisch wirken. Sie liebte ihr Ostfriesland, die weiten Strände, die Einsamkeit, die wortkargen Menschen, das raue Wetter, die Kühe und Schafe auf den Weiden. Hier war sie geboren und aufgewachsen. Und hier wollte sie bis zu ihrem Lebensende bleiben. Die kleine Kate, die etwas abseits des Dorfes lag, war ihr Wohnstatt und Atelier in einem. Sie verdiente mit ihrer Handwerkskunst genug Geld zum Leben. Große Sprünge konnte sie nicht machen, aber sie hatte noch nie den Drang verspürt, irgendwelche Städte zu bereisen oder eine Kreuzfahrt in die Südsee zu machen. Wer wollte schon weg, wenn er am schönsten Ort der Welt lebte?

Es klopfte laut, die Holztür schwang auf. »Judith, bist du da?« Der Collie bellte und sprang unter dem Tisch hervor. »Ist ja gut, Bent. Ich bin´s doch nur.« Ein hagerer Mann trat ein, lüftete die Mütze und kraulte dem Hund das Fell, der sich beruhigte und nach dem Hundekeks schnappte, den der Mann aus seiner Tasche gekramt hatte.

»Enno, komm rein. Willst du einen Tee?«, fragte Judith. Sie zeigte auf die blaue Teekanne auf dem Stövchen.

»Würde ich gern, aber keine Zeit. Ich wollte fragen, ob du was aus der Stadt brauchst. Lottje und ich fahren grad rüber.«

»Nein, danke dir. Ich habe alles, was ich brauche.«

»Willst du nicht mal raus hier? Du sitzt den ganzen Tag in der Stube und fummelst an deinem Tüdelkram.«

»Das ist meine Arbeit, der Tüdelkram verkauft sich ganz gut im Internet.«

»Internet.« Enno rümpfte die Nase. Er war sein Leben lang Schafbauer gewesen. Ein harter Brotjob, der seine Familie über Generationen ernährt hatte, aber Enno liebte es, den ganzen Tag mit seinen Tieren unter freiem Himmel zu sein. Er brauchte weder ein Handy noch Internet. Einmal im Monat fuhr er mit Lottje, seiner Frau, nach Leer. Aber mehr, weil es Lottje in die Stadt zog, als dass er etwas gebraucht hätte. »Gut, Mädchen, wir schnacken morgen. Tschüss!« Er setzte seine Mütze auf und ging zur Tür hinaus.

Judith sah durchs Fenster, als Enno zum Tor lief. Er und Lottje waren über die Jahre gute Freunde geworden. Ihr Hof war nur ein paar Laufminuten entfernt, eine Strecke, die sie täglich mit Bent, ihrem Collie, absolvierte. Lottje hatte immer Tee und einen Snack parat. Und Enno war eine treue Seele, der an ihrem Haus reparierte, was sie selbst nicht schaffte. Beide akzeptierten, dass sie gern zurückgezogen lebte und nur selten unter Menschen ging. Wenn sie nicht im Atelier arbeitete, ging sie mit Leidenschaft der Gartenarbeit nach. Judith nahm ein Stück Filz und begann, es mit der Schere zu bearbeiten. Sie würde den Schlüsselanhänger später noch mit einem plattdeutschen Spruch versehen. Geiht nich, givt nich! Oder: Kiek mol wedder in! Ihre Kunden liebten die liebevoll gestalteten Sachen aus Ostfriesland und bestellten regelmäßig. Ja, Judith führte ein gutes und solides Leben.

Lars warf seine Aktentasche auf den Schreibtisch und zog das Jackett aus. Er hatte sich mit Albert Callsen darüber verständigt, dass er für ihn offiziell seine Erbschaftsangelegenheit regeln und diese entsprechend der Gebührenordnung über die Kanzlei in Rechnung stellen würde. Die andere Geschichte jedoch blieb ein Geheimnis. Diesbezügliche Recherchen würde er ausschließlich privat, von zu Hause führen. Warum Albert Callsen so ein großes Tamtam daraus machte, diese Frau zu finden, wusste der junge Anwalt nicht. Er schob es auf den Altersstarrsinn des Reeders, der sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, was wahrscheinlich völlig unmöglich war: einen verschwundenen Menschen nach über sechzig Jahren aufzuspüren. Aber vielleicht hatte Lars Glück, und Irene Sundermann hatte eine Spur hinterlassen, die er aufnehmen konnte. Er würde sich den Nachmittag freinehmen und sofort mit den Recherchen beginnen. Die Zeit drängte, er brauchte das Geld.

Lars drückte ein Aspirin aus dem Blister, würgte die Tablette runter und trank gleich ein paar Schlucke aus der Wasserflasche.

»Lars, wie war der Termin auf der Reederei?« Felix stand plötzlich in der Tür und macht ein wichtiges Gesicht.

»Wie mein Termin war? Was geht dich das an?«

»Dein Vater will, dass ich ihm berichte.«

»Du sollst meinem Alten Bericht erstatten? Bist du jetzt sein Laufbursche?«

Felix grinste. »Wohl eher seine rechte Hand. Also?«

Lars lachte und schüttelte langsam den Kopf. »Darf ich ab jetzt Frau Strade zu dir sagen, ja? Kochst du ihm auch den Kaffee, oder reicht es, dass du in der Kanzlei die Ohren für ihn aufsperrst?« Lars ging einen Schritt auf Felix zu. »Ich sag dir jetzt was: Verpiss dich aus meinem Büro! Du bist hier in der Kanzlei geduldet, solange der Senior am Ruder ist. Sobald ich auf dem Stuhl vom Alten sitze, fliegst du raus. Du bist kein Kaufmann, und du warst noch nie einer von uns.«

Felix sah ihn schweigend an, seine Gesichtsmuskeln arbeiteten. »Das werden wir noch sehen«, sagte er und verließ den Raum.

Lars merkte, dass er seine Hände zu Fäusten geballt hatte. Er durfte sich von diesem Wichser nicht aus der Fassung bringen lassen. Wenn er so emotional reagierte, würde er ihm frontal ins Messer laufen.

Er entschied, seinem Vater direkt Bericht über das Treffen mit Callsen zu erstatten. Aber der Senior saß schon mit Felix zusammen und herrschte seinen Sohn an, sie nicht zu stören. Er solle sich bei Frau Strade einen Termin geben lassen. Wütend verließ Lars die Kanzlei und fuhr in seinen Boxklub. Auch wenn er sich heute nicht fit genug fühlte, so konnte er am Sandsack doch seinen Frust abarbeiten.

2

Lars warf die Sporttasche vor die Waschmaschine, hockte sich daneben und stopfte die durchgeschwitzten Klamotten hinein. Er fühlte sich endlich ruhiger. Im Boxstudio hatte er sich richtig ausgepowert und für einen Moment seine Probleme mit Felix vergessen können. Vor zwei Jahren hatte er ein Probetraining von einer Verflossenen geschenkt bekommen. Anfangs hatte er den Gutschein zerreißen wollen, weil er diese Boxerei für reine Zeitverschwendung hielt, war dann aber aus einer Laune heraus doch zu diesem Termin gegangen und hatte Spaß daran gefunden. Auch wenn er nicht der beste Sportler war und sein Alkohol- und Drogenkonsum ihn schwächte, konnte er sich dort körperlich zur Höchstleistung bringen. Meist hatte er anschließend an der Sportsbar ein paar nette Gesprächspartner, wo er schon die eine oder andere Frau abgeschleppt hatte.

Als die Waschmaschine lief, machte er sich einen doppelten Espresso und setzte sich damit an seinen Küchentresen. Der Blick aus dem Fenster auf die Hafen-City und einen Teil des Freihafens war ihm die exorbitante Miete wert gewesen, als er sich für die Wohnung entschieden hatte.

Er klappte den Laptop auf und wollte sich gerade im Internet auf die Suche nach Irene Sundermann machen, als sein Smartphone klingelte. Es war sein Buchmacher. Auch das noch! Er seufzte, als er den Anruf entgegennahm. »Gregor, gib mir noch zwei Wochen, dann hast du die Kohle«, erklärte Lars, bevor der andere überhaupt etwas sagen konnte.

»Zwei Wochen? Bist du noch ganz dicht?«

»Du bekommst es auch in einer Summe!«

»Deine Hinhaltetaktik gefällt mir ganz und gar nicht, Junge. Ich geb dir eine Woche! Du weißt, dass ich immer für dich die Hand ins Feuer gelegt habe. Aber wenn du mich verarscht, spiele ich bei meinem Boss nicht mehr den Prellbock für dich, verstanden?«