Sturz aus den Wolken - Patricia Vandenberg - E-Book

Sturz aus den Wolken E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. »Tolles Foto. Das muss von einem Flugzeug aus gemacht sein.« Fee Norden saß in der Küche am Tresen und blätterte in einer Hochglanzzeitschrift. Dabei stolperte sie über das Bild, das das Innere eines Vulkans von oben zeigte. »Aber so tief kann doch kein Flugzeug über einem Krater fliegen.« Ihr Mann Daniel saß mit einer Tasse Kaffee neben ihr. Es war früher Samstagnachmittag. Das späte Frühstück, an dem nur zwei der fünf Kinder teilgenommen hatten, lag schon eine Weile zurück. Die Haushälterin Lenni stand an der Spüle und putzte Fische und Gemüse fürs Mittagessen. Ihr Verehrer Oskar Roeckl half ihr dabei. Oder versuchte es zumindest. »Nimm ein Schälmesser. So bleibt ja nichts von der Karotte übrig«, schimpfte sie und nickte mit dem Kopf Richtung Schublade. Fügsam ging Oskar hinüber und kehrte mit einem Obstmesser zurück. Lenni stieß ein abgrundtiefes Seufzen aus. »Muss man dir denn alles erklären?« Sie nahm ihm das Messer aus der Hand. »Das machst du bestimmt mit Absicht, damit du nicht helfen musst. Ich kenn doch die Tricks der Männer und Kinder.«

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Dr. Norden – 21 –

Sturz aus den Wolken

Familie Norden bangt um Felix

Patricia Vandenberg

»Tolles Foto. Das muss von einem Flugzeug aus gemacht sein.« Fee Norden saß in der Küche am Tresen und blätterte in einer Hochglanzzeitschrift. Dabei stolperte sie über das Bild, das das Innere eines Vulkans von oben zeigte. »Aber so tief kann doch kein Flugzeug über einem Krater fliegen.«

Ihr Mann Daniel saß mit einer Tasse Kaffee neben ihr. Es war früher Samstagnachmittag. Das späte Frühstück, an dem nur zwei der fünf Kinder teilgenommen hatten, lag schon eine Weile zurück. Die Haushälterin Lenni stand an der Spüle und putzte Fische und Gemüse fürs Mittagessen. Ihr Verehrer Oskar Roeckl half ihr dabei. Oder versuchte es zumindest.

»Nimm ein Schälmesser. So bleibt ja nichts von der Karotte übrig«, schimpfte sie und nickte mit dem Kopf Richtung Schublade.

Fügsam ging Oskar hinüber und kehrte mit einem Obstmesser zurück.

Lenni stieß ein abgrundtiefes Seufzen aus.

»Muss man dir denn alles erklären?« Sie nahm ihm das Messer aus der Hand. »Das machst du bestimmt mit Absicht, damit du nicht helfen musst. Ich kenn doch die Tricks der Männer und Kinder.«

Statt wütend zu sein, sah Oskar sie herzerweichend an.

»Frauen versteht man nicht, man liebt sie.« Ehe sie Gelegenheit zu einer Antwort hatte, beugte er sich über sie und drückte ihr einen unschuldigen Kuss auf den Mund.

Lennis Wangen wurden tiefrot. Nach so vielen Jahren des Alleinseins hatte sie sich noch nicht an diese Zärtlichkeiten gewöhnt, zumal die Liebe zwischen Oskar und ihr noch ein zartes Pflänzchen war.

Daniel schickte den beiden einen amüsierten Blick, ehe er sich auf seine Frau konzentrierte und sich ebenfalls über die Zeitschrift beugte.

»Du hast recht. Vielleicht ist das mit einer Spezialkamera fotografiert.«

Darüber hatte Fee auch schon spekuliert.

»Gibt es überhaupt Kameras mit so einer gigantischen Auflösung?«

Die beiden waren so vertieft in dieses Problem, dass sie keine Notiz von ihrem Zuhörer nahmen.

Schon vor einer Weile war der jüngste Sohn Janni in die Küche gekommen, um den Kühlschrank nach Essbarem abzusuchen. Die Diskussion der Eltern lenkte ihn von seinem Vorhaben ab. Ein kurzer Blick über Fees Schulter genügte.

»Das ist mit einer Drohne fo­tografiert.« Mit wegwerfender Handbewegung löste er das Rätsel. »Deshalb will ich ja unbedingt so ein Teil haben. Da kann man die irrsten Bilder und Videos aus einer völlig neuen Perspektive machen. Wenn ich die auf dem Computer bearbeite … ach …« Mitten im Satz hielt er inne. Er seufzte sehnsüchtig und verdrehte verzückt die Augen.

Genau wie sein Vater innerlich.

»Darüber haben wir doch schon tausend Mal diskutiert. Ich finde diese Dinger viel zu gefährlich. Erst neulich wäre so eine Drohne um ein Haar mit einem Flugzeug kollidiert.«

»Mann, Dad, wirst du eigentlich für’s Schwarzmalen bezahlt?«, stöhnte Jan auf. »Natürlich würde ich mich an Recht und Gesetz halten. Dein Vertrauen ehrt mich wirklich.«

Schon hatte Daniel eine scharfe Antwort auf den Lippen, als Fee ihm zuvor kam.

»Dürftest du so eine Drohne überhaupt fliegen lassen?« Bisher hatte sie sich aus den Diskussionen weitgehend herausgehalten.

Auf diese Frage schien Janni nur gewartet zu haben.

»Grundsätzlich braucht man für Geräte, die leichter als fünf Kilo sind, keine Genehmigung. Und solange ich mit der Drohne für private Zwecke fotografiere und filme und die Aufnahmen nicht veröffentliche, ist auch dafür keine Erlaubnis nötig«, ratterte er den Gesetzestext herunter, den er längst in- und auswendig kannte. »Im Übrigen darf ich nur im unkontrollierten Luftraum bis zu einer Höhe von 762 Metern und nur auf Sicht fliegen. Über Menschen und Menschenansammlungen, Unglücksorten, bei Polizeieinsätzen, über Kasernen, Kraftwerken und in der Nähe von Flughäfen hat eine Drohne nichts verloren.«

Felicitas staunte nicht schlecht.

»Alle Achtung, da hast du dich ja schon richtig ausführlich informiert.«

Janni legte den Kopf schief und sah seine Mutter schmelzend an.

»Ich hab gehofft, dass ich doch noch so ein Teil kaufen darf.«

»Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt«, scherzte Daniel, erntete aber nur ein müdes Lächeln seines Sohnes.

Diesen letzten Satz schnappte Oskar Roeckl auf. Er gesellte sich zu Janni und legte ihm tröstend die Hand auf die Schulter.

»Sieht aus, als wäre heute nicht unser Glückstag, was, Sportsfreund?«, fragte er mitfühlend.

»Du bist wenigstens schon erwachsen und kannst machen, was du willst«, erwiderte Janni zähneknirschend.

Oskar lachte.

»Nicht, wenn Lenni dabei ist. Sie gibt mir immer wieder das Gefühl, ein Kleinkind zu sein.«

»Dann sollten wir uns zusammentun. Gemeinsam sind wir stärker«, machte Janni einen Vorschlag, ehe er Oskar am Arm aus der Küche zog. Er hatte eine Idee gehabt, die so aufregend war, dass er darüber sogar seine Esslust vergaß. Und das mochte was heißen.

*

»So, meine Herrschaften, ich hoffe, mit diesem Pensum ist Ihr Nachmittag gerettet.« Der Dozent der Verkehrsfliegerschule lächelte in die Runde der Schüler.

»Das schafft doch kein Mensch. Sie sind echt ein Sadist«, platzte Manuel Tinschert heraus. Als Sohn eines einflussreichen Unternehmers hatte er das Selbstbewusstsein bereits mit der Muttermilch aufgesogen. Sein Tischnachbar Felix Norden dagegen hielt die Luft an. Von Anfang an glänzte Manuel mehr durch vorlaute Sprüche als durch bestechende Leistungen.

René Steinhilber sah das offenbar ähnlich. Kühl lächelnd musterte er den Schüler.

»Zu Ihnen bin ich besonders gern gemein. Und stellen Sie sich vor: Ich werd auch noch bezahlt dafür.«

Die Mitschüler prusteten und glucksten vor unterdrücktem Lachen. Um Manuel keine Gelegenheit zu einer Antwort zu geben, klatschte Dr. Steinhilber in die Hände. »Wir sehen uns morgen in alter Frische.«

Augenblicklich erfüllten Stühle­rücken und Murmeln den Raum. Auch die beiden Freunde packten ihre Sachen zusammen und standen auf. Manuel würdigte den Lehrer keines Blickes, als er an ihm vorbei aus dem Saal ging.

»Findest du nicht, dass es klüger wäre, mal den Mund zu halten?«, fragte Felix, als sie hinaus in den Sommertag traten. Der Himmel war bewölkt, aber die Luft warm. »Dann würde der Steinhilber bestimmt mal ein Auge zudrücken. Das ist jetzt schon die zweite Prüfung, die du bei ihm wiederholen musst.«

»Ach was, ein bisschen Spaß muss sein«, winkte Manuel unbeeindruckt ab und kickte einen Stein weg. Klackernd sprang er übers Pflaster und landete in einem Blumenbeet. »Geht dir diese dröge Theorie eigentlich nicht auf die Nerven?«

»Schon«, gab Felix unumwunden zu. »Aber es nützt ja nichts. Wenn wir Piloten werden wollen, müssen wir wohl oder übel in den sauren Apfel beißen.« Seite an Seite schlenderten sie den Gehweg entlang.

»Ich bleib dabei: Das ist eine Bande von Sadisten.« Manuel war an einem Kiosk stehengeblieben und unterzog die Zeitschriftenauswahl einer eingehenden Prüfung. »Da lassen sie uns ein paar Monate lang in Amerika fliegen und Blut lecken, nur um uns danach zurück auf die Schulbank zu schicken. Ich würd ein Königreich dafür geben, wieder über den Himmel düsen zu dürfen.«

Bisheriger Höhepunkt der Schulung war der mehrmonatige Aufenthalt in Amerika gewesen, wo die fachpraktische Ausbildung stattgefunden hatte, die mit dem Erwerb einer Fluglizenz für Kleinflugzeuge einhergegangen war. Seitdem war die Sehnsucht, die Welt aus der Vogelperspektive zu sehen, schier unstillbar geworden.

»Vor den Erfolg haben die Götter den Fleiß gesetzt«, scherzte Felix.

Manuel zuckte mit den Schultern und zog ein Hochglanzmagazin aus dem Ständer, um es durchzublättern.

»Schau dir die coolen Fotos an! Drohnenaufnahmen vom Berliner Fernsehturm und dem Brandenburger Tor. Ist das nicht genial?«

Felix schaute ihm über die Schulter und betrachtete das Bild.

»Fotos sind ja schön und gut.« Manuels Worte hatten Erinnerungen in ihm wachgerufen, die er eine Weile erfolgreich verdrängt hatte. »Aber weißt du, was ich am liebsten tun würde?«

Manuel bezahlte das Heft, ehe sie ihren Weg fortsetzten.

»Eine Maschine chartern und losfliegen«, beantwortete er die Frage.

Felix streckte die Arme zu beiden Seiten aus und lief los. Wie ein kleiner Junge machte er Motorengeräusche dazu. Nach einer Weile kehrte er lachend zu seinem Freund zurück.

»Bingo. Mal abgesehen davon, dass ich noch nie in Berlin war.«

Manuel starrte ihn entgeistert an.

»Nicht dein Ernst, oder?«

»Doch.«

»Worauf warten wir dann noch?« Die Augen des Unternehmersohns blitzten unternehmungslustig. »Ich mein, wozu haben wir den Flugschein denn gemacht?«

Felix legte den Kopf schief und sah ihn forschend an.

»Du meinst es ernst, was?«

»Logo, warum denn nicht?« Grenzen waren für Manuel dazu da, um überwunden zu werden. Sofort war er Feuer und Flamme für diese Idee. »Von hier nach Berlin ist es ein Katzensprung. Stell dir mal vor, wenn uns die Mädels im Club fragen, wie wir hergekommen sind, dann sagen wir total lässig: Hey, Baby, mit dem Flieger, ist doch klar.« Er warf sich in Pose und schob eine imaginäre Sonnenbrille auf der Nase zurecht.

Diese Vorstellung war in der Tat mehr als verlockend. Felix nahm ihm die Zeitschrift ab und suchte noch einmal das Foto. Er betrachtete es versonnen. Es war ihm anzusehen, dass er mit sich haderte.

»Cool wär das schon. Zum Abendessen mal schnell nach Berlin zu jetten«, dachte er laut nach. Doch noch war die Stimme der Vernunft lauter. »Aber ist es nicht tierisch teuer, so ein Kleinflugzeug zu mieten? Mal abgesehen davon sind wir wahrscheinlich auch noch viel zu jung.«

Manuel zuckte ungerührt mit den Schultern.

»Ich frag mal meinen Dad. Der kennt jemanden, der eine Cessna hat. Vielleicht können wir uns die ausleihen.«

»Wenn das so ist …« Nach und nach geriet Felix’ Überzeugung ins Wanken. Je länger er über diesen Plan nachdachte, umso mehr glänzten seine Augen. »Stell dir mal vor, wir zwei allein über den Wolken!«

»Auf dem Weg zur heißesten Party des Jahres«, ergänzte Manuel und drehte sich um. Felix sah ihm nach, wie er zum Kiosk zurücklief. Gleich darauf kehrte er mit zwei Flaschen Bier zurück. Eine hielt er Felix hin. Der dachte an die Unterlagen in seiner Tasche, die darauf warteten, auswendig gelernt zu werden. Doch er wollte kein Spielverderber sein. »Auf unser Abenteuer.« Dumpf klackten die dicken Glasflaschen aneinander. »Weißt du was?«, fragte Manuel nach dem ersten Schluck. »Diese Belohnung haben wir uns nach der Schinderei echt verdient.«

In diesem Punkt musste Felix seinem Freund recht geben. Die Ausbildung zum Verkehrspiloten war alles andere als ein Kinderspiel. Aufgestapelt ergaben die Lernunterlagen mittlerweile einen guten Meter Unterrichtsstoff, den sie für die Abschlussprüfung beherrschen mussten. Die Euphorie bei der fachpraktischen Ausbildung in Amerika war längst der nüchternen Erkenntnis gewichen, dass das Ziel nur mit großem Verzicht und unter Qualen zu erreichen war. Umso verlockender war der Gedanke, der quälenden Paukerei wenigstens für ein paar abenteuerliche Stunden zu entkommen.

*

Doch zunächst ging das Leben nicht nur bei Felix, sondern auch bei seiner Familie in München den gewohnten Gang. Ein paar Tage später tauchte der Kinderchirurg Dr. Volker Lammers an der Bürotür seiner Chefin Felicitas Norden auf.

»Wir sehen uns in einer halben Stunde in meinem Büro«, informierte er sie im Befehlston über sein Vorhaben. »Es geht um die Entlassung von Sebastian Schmidhuber.« Schon wollte er wieder verschwinden, als ihn Fees Widerspruch einholte.

»Habe ich Sie um ein Gespräch gebeten?« Obwohl sie ihm am liebsten den Hals umgedreht hätte, war ihre Stimme liebenswürdig. »Ich kann mich gar nicht erinnern.«

Zähneknirschend drehte sich Lammers wieder um und durchbohrte sie mit Blicken. Wie so oft haderte er auch diesmal mit seinem Schicksal. Trotz aller Anstrengungen war es ihm bisher nicht gelungen, Felicitas Norden aus der Klinik zu vergraulen und ihren Platz einzunehmen. Doch noch wollte er die Hoffnung nicht aufgeben. Eines Tages würde sie einen Fehler machen, der sie die Stelle kostete. Davon war er felsenfest überzeugt. Nötigenfalls würde er ein wenig nachhelfen.

»Das könnte an Ihrem Alter liegen. Erste Anzeichen von Alzheimer?«, fragte er ebenso liebenswürdig zurück.

Fee schnitt eine Grimasse und stand auf.

»Süß, dass Sie sich Sorgen um mich machen.« Sie schickte ihm eine Kusshand. »Aber nicht nötig. Solange ich mich noch an meinen Feierabend erinnere, ist alles gut.« Unter seinen ungläubigen Blicken packte sie ihre Siebensachen zusammen und kam auf ihn zu. Die Hand auf seiner Brust schob sie ihn aus dem Büro und schloss die Tür ab. »Die Entlassung von Patrick Schmidhuber hab übrigens ich selbst angeordnet. Der Junge erholt sich schneller, wenn Sie nicht in der Nähe sind.« Sie schenkte Lammers ein hinreißendes Lächeln und ging davon.

Wenn Blicke töten könnten, wäre sie in diesem Augenblick tot umgefallen.

So aber machte sie sich nach der anstrengenden Frühschicht unversehrt auf den Nachhauseweg. Fee freute sich auf ein paar ruhige Stunden, ehe der Rest der Familie das Haus in einen Bienenstock verwandeln würde. Als sie aber die Küche betrat, fand sie eine sichtlich schlecht gelaunte Lenni vor.