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Was unsere Seele braucht, wenn wir an Krebs erkranken
Unerwartet und erschütternd ist die Diagnose, die das Leben der bekannten Psychotherapeutin Ulrike Döpfner auf den Kopf stellt: Liposarkom, ein bösartiger Tumor des Weichteilgewebes. Üblicherweise ist sie es, die Menschen berät. Nun muss sie sich selbst beistehen. Eine Zeit voller Höhen und Tiefen beginnt, angefüllt mit Untersuchungen und Therapien, Eingriffen und Komplikationen. Immer dabei: Der analytische Blick einer Frau, die weiß, was einschneidende Erlebnisse mit der Psyche und dem eigenen Selbstverständnis machen. In langen Wochen des Wartens und Bangens wird ihr klar, wofür sie leben und kämpfen will – und wie sie ihre Bedürfnisse, Ängste und existenziellen Wünsche artikulieren kann. In ihrem schonungslos ehrlichen und berührenden Buch teilt sie diese Krankheitserfahrungen, um anderen Erkrankten Hoffnung und Anregungen zur Selbsthilfe zu geben; und damit Freunde, Angehörige und medizinisches Personal erfahren, was Menschen mit einer Krebserkrankung wirklich hilft. Eine bewegende Reise voller kluger Reflexionen, die helfen, die emotionalen Herausforderungen der Krankheit zu verstehen und zu bewältigen.
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Seitenzahl: 238
Veröffentlichungsjahr: 2025
Ulrike Döpfner studierte Psychologie und ist Kinder- und Jugendpsychotherapeutin mit Schwerpunkt Elterncoaching. Die Mutter dreier Söhne ist Autorin der Ratgeber Der Zauber guter Gespräche und Der Schatz des Selbstwerts, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden. Außerdem schrieb sie das Interviewbuch Was für ein Kind waren Sie?. Im Herbst 2023 wurde bei ihr ein Liposarkom diagnostiziert, das mit Chemotherapie, Operationen und Bestrahlung behandelt wurde.
Was unsere Seele braucht, wenn wir an Krebs erkranken
Unerwartet und erschütternd ist die Krebsdiagnose, die das Leben der bekannten Psychotherapeutin Ulrike Döpfner auf den Kopf stellt. Üblicherweise ist sie es, die Menschen berät. Nun muss sie sich selbst Beistand leisten. Eine Zeit voller Höhen und Tiefen beginnt, geprägt von Untersuchungen, Therapien, Eingriffen und Komplikationen. Immer dabei: Der analytische Blick einer Frau, die weiß, was einschneidende Erlebnisse mit der Psyche und dem Selbstverständnis machen. In langen Wochen des Wartens und Bangens reflektiert sie, wofür sie leben und kämpfen will – und wie sie ihre Bedürfnisse, Ängste und existenziellen Wünsche artikulieren kann.
In ihrem schonungslos ehrlichen und berührenden Buch teilt sie ihre Krankheitserfahrungen,
• um anderen Erkrankten Hoffnung und Anregungen zu geben bei den Themen Selbstfürsorge, Abgrenzung, Alltagsbewältigung;
• damit Freunde, Angehörige und medizinisches Personal erfahren, was Menschen mit einer Krebserkrankung wirklich hilft.
ULRIKE DÖPFNER
SUCHENACHLICHT
Wie ich als Psychotherapeutin meiner Krebserkrankungbegegnete und was mir dabei wirklich geholfen hat
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Die Erlebnisberichte in diesem Buch schildern die Sicht der Autorin und diese muss nicht mit der Wahrnehmung anderer beteiligter Personen übereinstimmen.
Copyright © 2025 Kösel-Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR.)
Umschlag: buxdesign GbR, München unter Verwendung einer Illustration von Daniela Hofner
Redaktion: Vera Baschlakow
Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
ISBN 978-3-641-33483-3V001
www.koesel.de
Inhalt
Vorwort
TEIL 1Wie ich die Diagnose und alles, was folgte, erlebte
»Dann machen Sie halt ein MRT«
»Ab jetzt ist die Onkologie für Sie zuständig«
Ein Glücksfall
Wofür möchte ich weiterleben?
Was mir vor der Chemotherapie guttut
Der erste Chemotherapie-Zyklus
Therapiepause
Der zweite Chemotherapie-Zyklus
Vor der Operation
Die Operation
Intensivstation
Wann wollen Sie nach Hause?
Einmal Abendluft atmen
Hände halten
Lichtblicke im Winterdunkel
Dezemberblues
Licht am Ende des Tunnels
Zu Hause
Jeden Tag ein paar Schritte mehr
Vorsichtig zurück ins Leben
Die große Traurigkeit
Es wird besser
Jahrestag
Hinterher
Es geht weiter, leider
Die erste Strahlentherapie
Die nächsten sechsundzwanzig Bestrahlungen
Vor der OP
Die OP und das, was folgt
TEIL 2Wie Erkrankte sich selbst helfen können und wie Angehörige, Freunde, Ärztinnen, Schwestern und Pfleger sie unterstützen können
Der Umgang mit schwer kranken Menschen
Als Erkrankte
Die Bedeutung der Unterstützung durch andere
Erfahrungen während meines Krankenhausaufenthalts, die mir guttaten
Nachwort – ein Plädoyer für Empathie und Freundlichkeit
Vorwort
Ich habe dieses Buch geschrieben, damit meine Krankheitserfahrung etwas Positives in sich birgt: Wenn ich Leserinnen und Lesern, seien sie persönlich erkrankt, oder seien sie Angehörige oder Freunde von Erkrankten, durch mein Buch Hoffnung machen oder Anregungen geben kann, wie man der eigenen Hilflosigkeit entgegenwirken kann, so hat meine Erfahrung etwas Gutes bewirkt.
Bevor ich mit dem Schreiben begann, war ich mir nicht sicher, ob es mich zu sehr belasten würde und ob es mir entsprechend tatsächlich gelingen würde, dieses Buch zu schreiben. Der Prozess des Schreibens, des Erinnerns und des Wiedereintauchens in diese düstere Zeit war schmerzhaft und belastend. Aber er war auch reinigend und klärend. Fasst man eine Erfahrung in Worte und benennt die mit der Situation einhergehenden Gefühle, so klärt sich vieles, was vorher im Unbewussten unstrukturiert waberte. Das Schreiben hat mir geholfen, meine Krankheitserfahrung zu verarbeiten.
Es war mir wichtig, durch dieses Buch zu zeigen, dass in jedem Dunkel auch ein Licht leuchtet. In meinem Fall kam das Leuchten durch menschlichen Beistand – der Familie, der Freundinnen und Freunde, der Schwestern und Pfleger, der Ärztinnen und Ärzte. Anhand meiner Erfahrung möchte ich unterstreichen, wie wichtig all diese empathischen, aufmerksamen, zugewandten und auch liebevollen Verhaltensweisen waren und wie wichtig sie aus meiner Erfahrung für das Wohlergehen der Erkrankten und ihren Heilungsweg sind.
Das Buch ist in zwei Teile gegliedert: Im ersten autobiografischen Teil beschreibe ich meinen Krankheitsverlauf. Im zweiten Ratgeberteil wiederum gibt es drei Kapitel – eines richtet sich an die Erkrankten, eines an die Angehörigen und Freunde der Erkrankten und eines an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krankenhauses. Gemäß meiner eigenen Erfahrung schildere ich, was ich selbst tun konnte, um mir zu helfen und mit der Situation besser zurechtzukommen. Ich gebe Anregungen, wie Angehörige oder Freunde von Erkrankten helfen können, und ich gebe Empfehlungen, was das Pflegepersonal und Ärzte und Ärztinnen tun können, um empathisch auf die Patientinnen und Patienten einzugehen.
Im autobiografischen, persönlichen Teil des Buchs schreibe ich mit der Stimme der Patientin über meine Erfahrungen als Erkrankte. Im Ratgeberteil schreibe ich als Psychologin, die aufgrund ihres Berufs und ihrer persönlichen Erfahrungen Empfehlungen gibt.
Außer den Namen meiner Familienmitglieder sind alle Namen fiktiv. Dies erschien mir sinnvoll, da es mir nicht darum ging, Bewertungen zu verteilen, sondern darum, meine Erfahrungen zu beschreiben.
Mein Dank gilt allen, die mich auf diesem Weg so unglaublich hilfreich behandelt und unterstützt haben, allen voran meiner Familie, meinen Chirurgen und meiner Onkologin. Ohne ihr Leuchten und das all der anderen Menschen, die mich begleitet, behandelt und betreut haben, hätte ich diese dunkle Zeit nicht überstanden.
Teil 1
»Dann machen Sie halt ein MRT«
Seit einiger Zeit sind meine Leberwerte erhöht. Nicht schlimm, sagen die Ärzte, die ich dazu konsultiere. Mich stören die Werte aber, sie passen nicht zu meinem Selbstverständnis. Ich will sie »normal« haben. Ich lese die Bücher des Ernährungsgurus, der die Selleriesaftkur populär gemacht hat, und trinke jeden Morgen auf leeren Magen ein großes Glas puren Selleriesaft, um die Leber zu entgiften. Meine Familie lehnt dankend ab, als ich sie mit in diese Kur einbeziehen möchte. Ich ernähre mich bewusst, und auch ansonsten lebe ich gesund: Ich mache fast jeden Morgen Sport – Trampolinspringen an der frischen Luft –, meditiere regelmäßig und trinke Alkohol in überschaubarer Menge. Ich nehme Nahrungsergänzungsmittel und fühle mich gesund, die Leberwerte, die ich in regelmäßigen Abständen kontrollieren lasse, ändern sich aber nicht. Im August 2023 mache ich also intensiv Detox, ernähre mich megagesund, treibe ausgiebig Sport, trinke keinen Alkohol und gehe dann Anfang September siegessicher zu meiner Internistin, um die Werte noch einmal kontrollieren zu lassen. Meine Überraschung ist groß, als sie mir wenige Tage später die Ergebnisse mitteilt: »Ihre Leberwerte sind gestiegen.« Wie bitte? Gestiegen? Wie geht das denn? Ich bin ratlos. Ich frage meine Ärztin, wie das sein kann, nachdem ich so gesund gelebt und auf mich geachtet habe. Sie hat auch keine Erklärung dafür und meint: »Ja, die Werte passen tatsächlich nicht zu Ihrem Lebensstil. Dann machen Sie halt ein MRT.« Ich habe nicht den Eindruck, dass sie ernsthaft besorgt ist. Da ich geplant habe, in der darauffolgenden Woche zu verreisen, frage ich sie, ob es eilig wäre. Sie verneint. Ich glaube eigentlich nicht, dass das MRT irgendeinen Befund zeigen wird, denn ich habe drei Monate vorher eine Ultraschalluntersuchung der Leber machen lassen, die sich als unauffällig erwies. Und außer den erhöhten Laborwerten habe ich auch keine Beschwerden. Dennoch möchte ich das MRT vor meiner Reise erledigen. Damit ich so kurzfristig einen Termin bekomme, schreibe ich einer Freundin, die Radiologin ist, ob es in ihrer Praxis noch einen MRT-Termin vor meiner Abreise gibt. Es gibt einen. »Super!«, schreibe ich und frage, wer den Termin machen wird. »Wenn es dir nichts ausmacht, ich.« Es macht mir nichts aus. Meine Freundin und ich verabreden uns nach meinem MRT, das der letzte Praxistermin an dem Tag für sie ist, in einem kleinen asiatischen Restaurant in der Nähe ihrer Praxis, gemeinsam etwas zu Abend zu essen. Ich freue mich sehr darauf, sie zu treffen und zu hören, wie es ihr geht.
Ich habe vorher noch nicht viele MRTs in meinem Leben machen lassen – vielleicht zwei insgesamt. Angenehm ist mir die Röhre nicht, aber ich weiß, dass ich mich durch regelmäßiges und bewusstes Atmen beruhigen kann. Außerdem besitzt diese Praxis ein neues Gerät, an dem an der Decke der Röhre ein Video zur Ablenkung des Patienten abgespielt wird, das man sich vor der Untersuchung aussuchen kann. Ich wähle ein Naturvideo. Während des MRT macht das Gerät die bekannten lauten Geräusche, die für mich mit den dicken Kopfhörern, die man zum Geräuschschutz erhält, gut zu ertragen sind, und auch die Enge der Röhre lässt sich für mich aushalten. Ich rechne nicht wirklich mit einem Befund, als ich zur Auswertung in das Sprechzimmer meiner Freundin gehe. Ich habe diese Untersuchung einfach zu meiner Beruhigung noch vor meinem Urlaub erledigt. Meine Freundin erscheint etwas fahrig, als sie mir die Bilder zeigt – »Hier ist etwas zu sehen, Ulrike, das geht da nach hinten raus, ich muss mir das nachher noch mal genauer anschauen, lass uns erst mal Essen gehen.« Ich werde stutzig. Wie, etwas zu sehen? Was denn? Ich sage zu ihr, dass wir nicht Essen gehen müssen, und frage, was es denn sei. Sie meint, sie sieht es sich noch mal in Ruhe an. Seltsam … Ich wundere mich, denke aber, falls es etwas Schlimmes wäre, würde sie es mir bestimmt sagen. Das tut sie dann auch, als wir gemeinsam im Restaurant sitzen. Sie nimmt meine Hand, und mein Herz rutscht im Sturzflug ins Bodenlose: »Ulrike, du hast einen Tumor im Bauchraum, es ist ein Liposarkom und er ist retroperitoneal ausgerichtet, also nach hinten zu den Nieren. Dort ist er an der linken Niere angeheftet und auch an die Bauchspeicheldrüse hat er sich angeheftet.« Mein Mund wird trocken, und einen Moment steht die Welt still, während ich versuche, ihre Worte zu verarbeiten. Tumor. An die Niere angeheftet und an die Bauchspeicheldrüse. Tumor. Du hast einen Tumor, Ulrike. Dieses böse Wort ist nun Bestandteil meines Ichs. ICH habe einen Tumor. Es dauert einen kleinen Moment, und ich habe es verstanden, die Worte sind angekommen. Und nun? Ich frage sie, was das bedeutet und was ich jetzt tun muss. Sie meint, man müsse zu einem Spezialisten und das MRT noch einmal mit Kontrastmittel machen. Ich habe eine Allergie gegen Kontrastmittel, aber das ist jetzt wohl das geringfügigste Problem. Also, am besten in eine Klinik? Sie nickt.
Wir verlassen das Restaurant, und direkt noch während wir zurück zu meinem Auto gehen, das in der Nähe der Praxis geparkt ist, rufe ich meinen von mir getrennten Mann Mathias an. Zum Glück geht er direkt ans Telefon. Ich berichte ihm mit tonloser Stimme von der Diagnose. Er ist noch im Büro. »Ich komme sofort, Ulrike. Wo bist du?« Wenig später trifft er bei meinem Auto ein, und wir fahren gemeinsam zu mir nach Hause. Ich erinnere mich nicht, ob ich geweint habe. Ich glaube nicht. In dem Moment, als die Diagnose meinen Verstand erreicht hat, schalten mein Kopf, mein Herz und mein Körper auf Kampfmodus. Als Schutzmantel blende ich Gefühle aus, ich will jetzt einfach so schnell wie möglich das tun, was ich tun muss – um zu überleben.
»Ab jetzt ist die Onkologie für Sie zuständig«
Ich habe morgens um neun Uhr einen Termin in der MRT-Abteilung eines Krankenhauses. Dem Radiologen habe ich vorab bereits die Bilder gesendet, die in der Praxis meiner Freundin gemacht wurden. Ich hatte ihn vor meinem Termin gegoogelt – auf dem Foto sieht er ernst und vertrauenswürdig aus. Genauso erscheint er mir jetzt auch im persönlichen Kontakt, als er mich als Erstes in einen Raum bittet, in dem er mit mir gemeinsam die gesendeten Bilder betrachtet. Er bestätigt die Diagnose meiner Freundin und meint unumwunden: »Frau Döpfner, trotz Bildgebung ohne Kontrastmittel kann ich bereits sehen, dass Sie eine ernsthafte Erkrankung haben.« Ich schlucke und lasse keine Gefühle zu. Das klingt schwerwiegend. In diesem Moment weiß ich dankenswerterweise noch nicht wie schwerwiegend. Ich höre seine Worte, verstehe auch, dass es sehr ernst sein muss, aber irgendwie fühle ich es nicht – zum Glück. Ich werde nun zu einer leeren Stuhlreihe in einem Gang geleitet, auf der ich auf das MRT mit Kontrastmittel warten muss. Gegen eine allergische Reaktion nehme ich vorab Anti-Histamine. Während ich warte, sehe ich einen Vater kommen, der seinen kleinen Sohn an der Hand hält, der auch ein MRT machen muss. Wie schlimm es als Elternteil sein muss, sein Kind hier untersuchen zu lassen, denke ich. Es ist schon für Erwachsene Angst einflößend und deprimierend, hier in diesen düsteren Gängen auf die Untersuchung und Diagnose zu warten. Wie schwierig muss es sein, sein Kind zu beruhigen, wenn man selbst mit den schlimmsten Ängsten zu kämpfen hat.
Nach einiger Zeit kommt eine MRT-Assistentin und bringt mich in den MRT-Raum. Sie spricht wenig, gibt nur die nötigsten Anweisungen, lächelt kein einziges Mal und versucht in keinster Weise, mit mir in Verbindung zu gehen. Na ja, denke ich – für sie ist es ein Tag wie jeder andere, für mich ist es eine lebensentscheidende Untersuchung, und ich habe solche Angst. Ein freundliches Wort oder ein Lächeln würden guttun, von ihr kommt weder das eine noch das andere. Im Gegenteil, sie tadelt mich nach der Bildgebung, dass sie mir doch gesagt hätte, ich solle die Umkleidekabine von innen abschließen – das hatte ich in meiner Aufregung wohl nicht mitbekommen. Sie entlässt mich ohne Gruß und mit strengem Blick, und ich warte nun wieder im Gang auf den Arzt, um die Auswertung der Untersuchung zu erhalten. Er bestätigt wenig später die Diagnose des Liposarkoms, eines bösartigen Tumors des Weichteilgewebes, der sich bei mir im Bauchraum angesiedelt und bereits an einige Organe angeheftet hat. Ich frage ihn, wie es nun weitergeht. Er meint, dass man wohl erst versuchen würde, mit einer Chemotherapie den Tumor zu verkleinern, um ihn im Anschluss besser operieren zu können. Warum denn nicht gleich das Biest operieren und so schnell wie möglich aus meinem Körper entfernen, denke ich. Bestürzt frage ich, ob eine Chemotherapie wirklich notwendig sei. Er meint, wenn die Ärzte beschließen würden, eine Chemotherapie machen zu können, um den Abstand des Tumors zu den angrenzenden Organen zu verringern, sei das gut, weil man sich dann ein besseres OP-Ergebnis erhoffe. O.k. – ich verknüpfe also sofort in meinem Kopf den angstbesetzten Begriff »Chemotherapie« mit »gut«. Es ist im Nachhinein erstaunlich, wie flexibel das Bewusstsein im Angesicht eines Überlebenskampfes sein kann. Zum Abschluss und bevor er mir erklärt, wie ich von der Radiologie in die Onkologie komme, sagt der Radiologe folgenden Satz, der ein neues Kapitel in meiner Biografie einleiten wird: »Ich wünsche Ihnen alles Gute – ab jetzt ist die Onkologie für Sie zuständig.« Wieder so ein Moment, in dem ich kurz das Gefühl habe, ins Bodenlose fallen zu müssen. Onkologie – ein Begriff, den ich mit Schläuchen, Menschen ohne Haaren und Leiden in Verbindung bringe, den ich bisher gemieden habe und mit dem ich mich glücklicherweise nie hatte beschäftigen müssen. Nicht bei mir, nicht in meinem Umfeld. Nun ist es so weit. O.k., denkt mein flexibles Gehirn, das nur eines will, nämlich überleben: Nun ist also die Onkologie für mich zuständig.
Ein Glücksfall
Während ich also von der Radiologie in die Onkologie gehe, versuche ich, ruhig zu bleiben. Ich nehme nicht den direkten Weg durch das gegenüberliegende Gebäude hindurch, so wie es mir der Radiologe erklärt hat, sondern laufe um das Gebäude herum, um etwas frische Luft zu tanken. Die Septembersonne ist mild und angenehm, die Kastanienbäume mit den braun gefärbten Blättern und den dicken Kastanien sind so schön – Natur ist immer sehr tröstlich für mich, und ich halte mein Gesicht kurz mit geschlossenen Augen in die Sonne. Ich möchte Kraft tanken, bevor ich die Onkologin treffe, die für meine Behandlung zuständig sein wird. Ich habe keine Ahnung, was mich in der Onkologie erwarten wird. Ich stelle es mir auf jeden Fall düster und unangenehm vor.
Die Ärztin erwartet mich schon, als ich an ihre Sprechzimmertür klopfe. Hinter ihrem Schreibtisch sitzt eine hübsche blonde Frau mit strahlend blauen Augen. Sie begrüßt mich mit einem offenen Lächeln und bittet mich, vor ihr Platz zu nehmen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr genau, was sie in diesem ersten Gespräch sagt. Ich weiß, dass ich viele Fragen stelle und auf alle Antworten erhalte – unter anderem, dass meine Haare ausfallen werden durch die Chemotherapie, dass ich voraussichtlich sehr geschwächt sein werde und dass ich immer eine Pause zwischen den Therapieblöcken haben werde, in der ich mich erholen könnte. Ob ich mein geliebtes Trampolinspringen fortsetzen könnte, frage ich. Ja, am Ende des Pausenblocks sicherlich. Sie erwähnt, dass in der Pausenphase zwischen zwei Therapiezyklen immer eine Phase eintreten wird, in der die Leukozyten im Blut sehr abfallen werden. Zu diesem Zeitpunkt wird mein Körper besonders immungeschwächt sein. Das macht mir natürlich sofort Sorgen, denn mir ist klar, dass die geplante Chemotherapie in die Herbst- und Winterzeit fallen wird, in die Zeit also, in der die Virus- und Infektionszahlen wieder ansteigen werden.
Sie erläutert mir das Prozedere, das für mich angedacht ist – sechs Therapieblöcke à fünf Tage im Krankenhaus, davon drei, an denen ich die Chemotherapie erhalte, und zwischen den Therapiephasen immer zweiwöchige Pausen, in denen ich mich zu Hause erholen kann. Ob ich die Therapie nicht ambulant machen könnte, frage ich. Nein, erwidert sie, die Medikamente, die ich erhalten werde, seien sehr stark, das müsste, vor allem wegen der möglichen Nebenwirkungen, klinisch überwacht werden. Ich frage, wann wir die Therapie beginnen können. Sie sagt in einer Woche. Ich überschlage die Zeit im Kopf und meine zu ihr, dass ich dann wohl etwa zu Weihnachten mit der Chemotherapie fertig sei. Sie nickt und führt aus, dass ich mich danach etwas erholen und Kraft sammeln könnte, bevor die Operation dann Anfang nächsten Jahres stattfinden könne. Es ist Mitte September, ich werde also den ganzen Herbst und Winter mit der Therapie, Operation und dann mit der Erholung davon beschäftigt sein. Wieder einer dieser Momente, in denen ich schlucke, meinen Kampfmodus stärker aktiviere, meine Tränen unterdrücke und keine Gefühle zulasse. Sie sagt, dass ich alles noch einmal überdenken kann und ihr Bescheid geben soll, ob ich die Therapie antreten möchte. Ich möchte, definitiv. Hauptsache, man kann etwas gegen diesen Tumor machen, denke ich und bin bereit für den Kampf.
Diese Chemotherapie wird sehr schnell sehr real. Für die nächste Woche wird das Einsetzen des Ports vereinbart. Ein Port ist ein Katheter-System, das in das Unterfettgewebe der Haut implantiert wird, das durch die Haut punktiert werden kann und über das die Chemotherapie in den Körper eingeführt werden kann. Außerdem wird der Tumor zur präziseren Diagnosestellung punktiert werden.
Unabhängig vom Inhalt der Information, den die Onkologin mir übermittelt, erinnere ich mich vor allem daran, wie sie mir auf meine Fragen antwortet. Um es auf eine Formel zu bringen: Sie ist sachlich, kompetent und gleichzeitig warmherzig und empathisch. Diese Kombination erlebe ich nicht oft bei Ärzten. Meistens sind sie sachlich und wenn man Glück hat kompetent, aber es mangelt oft an empathischem Verhalten. Nicht so bei dieser Ärztin. Und was besonders wichtig ist: Sie vermittelt Hoffnung. Zu diesem Zeitpunkt ist mir bereits klar, dass meine Behandlung kein Spaziergang werden wird. Es gelingt ihr das Kunststück, so zu kommunizieren, dass sie zwar alle Fakten auf den Tisch legt und auch über die unangenehmen Nebenwirkungen und Risiken der Therapie spricht, meine Angst durch das Gespräch jedoch nicht größer wird. Mit ihrer kompetenten, zugewandten, empathischen und irgendwie frischen sowie schwungvollen Art vermittelt sie mir Optimismus. Sie ist ein Glücksfall. Ich vertraue ihr sofort und fühle mich von Anfang an gut aufgehoben bei ihr.
Wofür möchte ich weiterleben?
Nach all den Arztterminen und -gesprächen der letzten Tage und den vielen neuen Informationen, die ich aufnehmen und verarbeiten muss, kommt der Moment, an dem ich zu Hause und allein mit meinen Gedanken bin. Ich mache mir klar: Ich bin schwer erkrankt und werde nur überleben, wenn ich den Kampf aufnehme und ihn mit all meiner Kraft kämpfen werde. Auch wenn ich die Details der Krankheit und Therapie noch nicht genau kenne, ist mir bewusst, dass ich es nur schaffen kann, wenn ich alles gebe. Und in diesem Moment frage ich mich tatsächlich selbst sehr klar und irgendwie auch sehr rational, so wie ich wahrscheinlich einen Patienten fragen würde, der mich in so einer Situation um therapeutische Hilfe bitten würde: Wofür möchte ich weiterleben? Warum möchte ich kämpfen?
Die Antwort kommt mir sofort: Ich möchte meine Enkelkinder erleben und meine Söhne und ihre zukünftigen Familien unterstützen. Ich möchte für sie da sein. Diese Einsicht verschafft mir eine tiefe Klarheit und hilft mir, meine Kräfte zu bündeln und mich auf meinen Heilungsprozess zu konzentrieren.
Tatsächlich fange ich an, mir vorzustellen, was ich meinen Enkelkindern gern für Wissen übermitteln würde, was ich ihnen zeigen und was ich mit ihnen erleben möchte und wie ich meine Söhne unterstützen würde. Diese positiven Visionen geben mir Kraft. Ich möchte als Mutter und (hoffentlich zukünftige) Großmutter stark sein. Auch wenn es vielleicht vermessen klingen mag – ich möchte meinen Jungs ein Vorbild sein, will kämpfen und tapfer sein. Das aktiviert sofort Energie und eine klare Haltung in mir, was ich als sehr hilfreich empfinde.
Zum Glück kommt bei mir nie die »Warum ich?«-Frage auf. Ich empfinde, dass ich bisher sehr viel Glück im Leben gehabt habe, und denke: Nun bin ich dran. Instinktiv verschwende ich keine Zeit mit der Frage, weshalb es mich getroffen hat. Eine Freundin, die vor Jahren an Brustkrebs erkrankt war, erzählte mir damals, dass sie sich fragte: »Weshalb ich? Warum ich – ich habe doch niemandem etwas Böses getan.« Ich glaube nicht, dass man krank wird, weil man Böses getan hat. Die »Warum ich?«-Frage blockiert uns in unserem Lösungsstreben und in unserer Kämpfer-Energie, die benötigt wird, um schwierige Situationen zu meistern. Mit dieser Frage verharrt man in der Opferposition und verschwendet wertvolle Energie mit Überlegungen, die nicht konstruktiv sind, sondern zu Ungerechtigkeits- und Ohnmachtsgefühlen führen. Es ist naheliegend und sicher auf eine Art auch verlockend, sich damit zu beschäftigen, aus eigener Erfahrung jedoch kann ich nur empfehlen, sich davor zu schützen und sich bewusst zu entscheiden, die Energie in die Lösung und den Kampf zu leiten und nicht in Überlegungen, warum es einen getroffen hat.
Als Psychologin denke ich aber natürlich darüber nach, ob ich zu viel Stress hatte, der an der Entwicklung der Krankheit beteiligt war. Ich weiß, dass es einige Tumore gibt, bei deren Entstehung Stress eine mitwirkende, ursächliche Rolle spielt. Eine der ersten Fragen, die ich meiner Onkologin stelle, ist, ob etwas über die Ursachen dieses Tumors bekannt ist. Sie verneint und erläutert, dass es ein seltener Tumor ist, den sie als »Schicksalskrankheit« bezeichnet. Irgendwie entlastet mich das von meinen Gedanken, ob etwas an meinem Lebensstil zu der Krankheit geführt haben könnte, und ich versuche, mich nicht mehr damit zu befassen, denn das raubt mir im Moment nur wertvolle Energie.
Ich bin in dieser Zeit extrem konzentriert. Extrem konzentriert darauf, meine Energie für den Überlebenskampf zu bündeln – physisch, emotional und mental.
Was mir vor der Chemotherapie guttut
Von dem Moment meiner Diagnose an kümmert sich Mathias um die medizinische Recherche und Kontaktaufnahme sowie den Austausch mit den behandelnden Ärzten. Ich bin so dankbar, dass er mir das abnimmt, und ich vertraue seinem Urteil blind. Er hat sofort recherchiert, wer die Chirurgen sind, die mich operieren würden, und hat mit ihnen Kontakt aufgenommen. Er hat einen hervorragenden Eindruck von ihnen. Wir treffen uns am Abend, nachdem ich die Onkologin kennengelernt habe, und er berichtet mir. Ich werde dieses Gespräch nie vergessen, denn Mathias vermittelt mir, dass alles gut werden wird und ich nach der OP ein normales Leben führen können werde. Das habe der Chirurg gesagt, der glücklicherweise auf meine Art von Tumor spezialisiert ist. Ich sehe ihn immer wieder an und frage: »Ist das wirklich so, hat er das gesagt?«, und er bejaht mit glücklichem Gesichtsausdruck. Er berichtet von seinen Eindrücken des Gesprächs und von der Tatsache, dass diese beiden Chirurgen, die im Team arbeiten, wohl für meinen seltenen Tumor zu den besten in Europa gehören. Wieder denke ich: Was für ein Glück! Wir sind froh, dass es diese Spezialisten gibt, und stellen die Wahl dieses Krankenhauses nicht infrage. An diesem Abend stoßen wir mit einer wunderbaren Flasche Rotwein auf meine Gesundheit an. Ich bin froh über die guten Neuigkeiten, die Mathias recherchiert hat, und sein Optimismus steckt mich an – ich fühle mich an diesem Abend viel leichter als an allen Tagen seit der Diagnose.
Obwohl ich eine Person bin, die sich gern Hintergrundwissen zu Dingen, die sie beschäftigen, aneignet und dementsprechend oft im Internet recherchiert, habe ich während meiner Krankheitsphase und danach nicht ein einziges Mal im Internet etwas zu meiner Krankheit oder Therapie gegoogelt. Ich erhalte alle relevanten Informationen von Mathias oder direkt von den Ärzten. Ich möchte mich nicht durch das, was ich möglicherweise im Internet lese, verunsichern oder verängstigen lassen. Da ein Freund von Mathias einige Jahre früher an demselben Tumor wie ich erkrankt war, hatte er sich bereits mit dieser Krankheit beschäftigt und konnte mir von Anfang an einiges dazu erklären. Ich baue tatsächlich gleich nach Erhalt meiner Diagnose einen sehr engmaschigen Filter ein, mit dessen Hilfe ich Informationen und Einflüsse sehr stark selektiere und genau filtere, was ich an mich heranlasse und was nicht. Das betrifft nicht nur Informationen über meine Krankheit, sondern auch Filme, Musik und Bücher. Ich habe den Eindruck, dass ich jetzt sehr genau wählen muss, was ich aufnehme, und nicht einfach konsumieren kann, denn ich brauche Einflüsse und Eindrücke, die mich aufladen und mir guttun. Ich bin in dieser Zeit sehr konzentriert auf meine Seelenhygiene und meine innere Balance.
Nachdem die Diagnose und das medizinische Vorgehen feststehen, kommt die schwierige Aufgabe auf uns zu, unseren Kindern, die zum Glück alle erwachsen sind, von der Krankheit und dem, was nun ansteht, zu berichten. Wir sagen den Kindern, die alle aus dem Haus sind, dass wir gern einen gemeinsamen Zoom Call mit ihnen machen würden. Es ist gar nicht so einfach, einen Termin zu finden, an dem alle fünf Familienmitglieder miteinander sprechen können, aber wir schaffen es an dem Wochenende nach der Diagnose. Ich habe große Angst vor dem Gespräch, denn es tut mir so leid, unseren Kindern eine solch belastende Nachricht überbringen zu müssen. Wir berichten ihnen von dem Tumor und dass er zum Glück operabel ist, dass erst eine Chemotherapie gemacht werden muss und wir Top-Spezialisten für diese Erkrankung gefunden haben. Ich schaffe es, nicht zu weinen. Die Reaktionen unserer Kinder sind großartig. Tapfer sind sie, und sie wollen einfach mehr wissen und stellen viele Fragen, die wir zum Glück beantworten können. Mathias hat zum Zeitpunkt meiner ersten Chemotherapie eine nicht verschiebbare USA-Reise geplant. Unser ältester Sohn sagt, dass er anreisen und mich begleiten wird. Er erlaubt keine Widerrede, und ich bin ihm dankbar.
In diesen Tagen informiere ich meine engste Verwandtschaft, die engsten Freunde und Freundinnen, auch das fällt mir nicht leicht. Am liebsten würde ich mich einigeln und niemandem etwas erzählen. Ich bin so mit mir und meinen Sorgen und Ängsten beschäftigt, dass es mir schwerfällt, mit dieser belastenden Diagnose nach außen zu gehen. Natürlich ist es richtig, dass ich die liebsten Menschen in meinem Leben informiere. Ihre Reaktionen reichen von Schockiertheit bis Ratlosigkeit, insgesamt tun sie mir jedoch gut. Ich weiß, dass sie alle gern helfen würden, im Moment können sie es jedoch nicht. Ich möchte mich jetzt sortieren und konzentrieren sowie mich seelisch und körperlich auf das vorbereiten, was kommen wird. In dieser Zeit kommuniziere ich per Telefon und Nachrichten mit meinen Freunden, ziehe mich jedoch ansonsten sehr zurück. Ich weiß, dass nahestehende Menschen in einer kritischen Situation wie dieser gern helfen möchten und dass ein rückzügiges Verhalten des Patienten für sie belastend ist und hilflos macht, aber ich kann nicht anders, als mich zurückzuziehen.
Auch die Lektorin meines Buchs, an dem ich gerade arbeite, informiere ich über meine Krankheit, und ich bitte sie darum, den Erscheinungstermin des Buchs zu verschieben. Sie reagiert mit großem Verständnis, was mich sehr erleichtert.
