Suchen macht mehr Spaß als Finden - Bianka Bös - E-Book

Suchen macht mehr Spaß als Finden E-Book

Bianka Bös

4,7

Beschreibung

Bianka ist single, beruflich erfolgreich und unabhängig, eine Powerfrau auf der Überholspur – wäre da nur nicht dieses nagende Gefühl, dass es irgendwie mehr geben muss … Unter dem Namen Kahlina begibt sich Bianka auf Männersuche im Internet. Eigentlich sucht sie den Mann fürs Leben, aber schnell stellt sie fest: Suchen macht viel mehr Spaß als Finden! Und Finden kann man im Netz alles – phänomenalen Sex mit einem Mann, der sich bezeichnenderweise die "Droge" nennt, Partner für SM-Spiele, Männer, die auf Machtspielchen stehen… Aber eben auch Typen, die sich im Netz "Kaninchen" nennen, hoffnungslose Blender, die beim Kennenlernen ihrem Profilbild gar nichtä hnlich sehen, oder völlig durchgeknallte Schizophrene. Und so mancher hält einem den Spiegel schonungsloser vor, als man es sich wünschen würde… Tabulos, humorvoll, nachdenklich und selbstironisch erzählt Bianka alias Kahlina vom ganz normalen Wahnsinn der Onlinedating-Welt.

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© 2015 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

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Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlaggestaltung: Maria Wittek, München

Umschlagabbildung: Photocase/Shutterstock

Satz: Georg Stadler, München; Alexandra Noll, München

ISBN Print 978-3-86882-603-6

ISBN E-Book (PDF) 978-3-86415-792-9

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86415-793-6

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.mvg-verlag.de

Inhalt
Kahlina
Von Nähe und Distanzen
Der Statist
Der Naturbursche
Die Droge I
Black & White und Drogenspiele
Die Droge II
Magic
Das Objekt
Die Droge III
Ein Tag im Web
Spontanbesuch mit Saxofon
Die Droge IV
Der Literat
Gefühle
Der Berliner
Er
Profiländerung
Überraschende Nachricht
Schillernde Schizophrenie
Zwei Kranke?
Kahlina ist tot

Von Nähe und Distanzen

Ich war natürlich nicht immer Single. Genau genommen war ich gemessen an so manch anderen unverheirateten Frauen in meinem Alter selten Single. Bis vor 18 Monaten war ich sogar noch nie Single. Ich war immer in festen und langjährigen Beziehungen, die allerdings nicht halb so ausgefüllt wie lang waren. Wir lebten nebeneinander statt miteinander, wofür ich absolut nicht den Männern die Schuld gebe.

Meine Auswahlkriterien waren: keine Familie gründen und keinen gemeinsamen Besitz haben. Sein Bett, meine Waschmaschine, jeder ein eigenes Konto, das gibt einem das gute Gefühl, sich jederzeit ohne große Diskussionen trennen zu können. Man fühlt sich irgendwie frei dabei. Doch das Gefühl trügt, denn bei so viel Trennung innerhalb einer Beziehung leidet irgendwann die Intensität. Was ist Liebe ohne Hingabe? Und wie soll ich mich ihm hingeben, wenn ich ihm nicht einmal meine Kontonummer gebe?

Meine letzte Beziehung war nach elf Jahren in einer Sackgasse. Kein Spaß, kein Sex, kein Antrieb! Ich hatte das Gefühl, ich müsste explodieren, so viel von mir hatte ich in den letzten Jahren unterdrückt, so vieles konnte sich nicht entwickeln, weil schon lange keine gemeinsame Entwicklung mehr möglich war. Die Libido schrie nach Befriedigung, die Seele nach Komplimenten, der Geist nach Abenteuer.

Ich stürzte mich Hals über Kopf in das so viel gerühmte Singleleben. Sex and the City war der Renner und man beneidete mich für meine neue Freiheit, die ich in vollen Zügen genoss: Shoppen, Party, Freundinnen! Und beim nächsten Mann wird alles anders!

Ich machte meine ersten Erfahrungen im Internet. Nach einer kurzen Affäre mit einem Mann aus Düsseldorf folgte Florian, ein Schweizer. Er gab sich als Abenteurer aus, vielschichtig, kein Mann von Norm, mit einer verspielt romantisch und gleichsam teuflisch erotischen Ader, auf der Suche nach einem Engelchen, das auch hexenartig mit ihm durch die Nächte fliegen würde.

Angelehnt an dieses Bild hatte meine erste Mail an ihn dann auch den Betreff »Where do we fly to?«. Viel schrieb ich nicht, aber die wenigen Worte reichten, um einen Mann mit journalistisch-schriftstellerischer Neigung zu einer sechs Seiten umfassenden Antwort zu bewegen. Sechs Seiten Text, die zu Weihnachten eintrafen und mir so kryptisch erschienen, dass ich sie über die Feiertage liegen und sacken lassen musste. Erst nach mehrfachem Lesen begriff ich, dass der Text vom ersten bis zum letzten Buchstaben eine Liebeserklärung war.

»So ein Spinner«, dachte ich, »der kennt mich doch gar nicht.« Ich ließ mir mit der Antwort ein paar Tage Zeit und hielt sie auch dieses Mal sehr knapp. Seine dagegen war noch länger als die erste, sehr spirituell, wirr und leicht abgehoben. Aber er machte mich neugierig, die teuflisch-erotische Ader ebenso wie die gefühlvolle, und ganz besonders die Fähigkeit, mich in Unkenntnis meiner Person ziemlich treffend zu beschreiben. Eigentlich hatte er mir Erfahrungen, Wünsche und Fragen an das Leben lediglich unterstellt. Er konnte nur raten, traf dabei aber so verblüffend oft genau ins Schwarze, dass ich zunächst dachte, mich würde jemand aus meinem näheren Freundeskreis auf den Arm nehmen.

Binnen eines Monats hatte er es geschafft, auch mich zu seitenlangen Ergüssen hinzureißen. Sein Vorschlag war »no voice«, und so veranstalteten wir einen schriftlichen Seelenstriptease. Die Intensität dieses Austausches wurde so groß, dass wir Ende Januar beschlossen, den Betreff meiner ersten Mail in die Tat umzusetzen und auf eine Insel zu flüchten. Auch 14 Seiten Text pro E-Mail konnten den Hunger nach mehr vom anderen nicht stillen und die Telefonate, zu denen wir uns zehn Tage vor Abflug dann doch entschlossen, schürten die Neugier und das Verlangen noch heftiger. Dabei war es nicht unbedingt nur sexuelles Verlangen. Florian hatte die Gabe, mit seiner Stimme über meinen Kopf in meinen ganzen Körper einzudringen. Ich lag wie erstarrt auf dem Sofa, als er das erste Mal in mir war, und musste ihn regelrecht hinausschreien, um wieder Herr über meine Glieder und meine Gedanken zu werden. Eine für mich absolut neue Form der Vereinigung, die ich erst lernen musste zu kontrollieren. Uns verband etwas Mystisches. Ich kam mir vor wie in einem Sog, wie in einer Achterbahn, die mit mir in mehrfachen Loopings dort hinraste, wo das Leben pure Intensität ist. Unheimlich, aber zugleich auch wahnsinnig aufregend.

Ebenso aufregend wie unsere erste Begegnung. Wir trafen uns in Zürich auf dem Flughafen, um anschließend gemeinsam für zwei Wochen auf die Malediven zu fliegen. Meine Freunde hielten mich für verrückt, von meiner Familie ganz zu schweigen. Und tatsächlich waren wir verrückt. Florian kurvte ziellos mit unserem Gepäck durch die Gegend, ich bemühte mich, ihn zum Check-in zu dirigieren, während ich nach der Energiequelle Ausschau hielt, die das komplette Flughafengebäude unter Strom gesetzt zu haben schien. Bis zum Weiterflug hatten wir gerade genug Zeit, um zwei Flaschen Wein in uns hineinzuschütten in der Hoffnung, der Alkohol würde die Intensität der plötzlichen Nähe etwas erträglicher machen.

Er tat es nicht, im Gegenteil: Wir saßen uns gegenüber, sahen uns tief in die Augen und ich kam mir wie hypnotisiert vor. Keiner konnte den Blick abwenden, es war, als wäre der Blick ein Laser, der langsam und heiß in den Körper des anderen eindringt. Immerhin konnte ich im Flieger nach einem weiteren Glas Rotwein für kurze Zeit einnicken. Florian hingegen war bei unserer Ankunft in Male völlig fertig und erst später gestand er mir, dass er seine Bemühungen noch mit zwei doppelten Whisky fortgesetzt hatte, um sich anschließend heftig zu übergeben.

Unsere Reise bezeichneten wir als Forschungsprojekt, wir planten ein komplettes Ausspiegeln und setzten dies auch zielstrebig in die Tat um. Schonungslose Offenheit war dabei unvermeidbar, keiner konnte vor dem anderen etwas verbergen und wenn einer von uns in Tränen ausbrach, was regelmäßig vorkam, war das kein Grund zu stoppen, sondern ein Zeichen dafür, dass das Gespräch am Kern war. Wir redeten viel und intensiv, wir tranken viel und wir hatten viel und intensiven Sex. Teuflischen Sex, da hatte er nicht zu viel versprochen.

Florians Vorliebe für Füße und Nylons war mir schon vor unserer Abreise bekannt. Ansonsten wären Strümpfe und hochhackige Pumps als Reiseaccessoire auf den Malediven wohl auf Platz 1265 meiner Packliste gewesen. Ich war gespannt auf diese Erfahrung und fand sie auch gar nicht so befremdlich. Schließlich liebe ich Schuhe und lebe auf schlankem und gut vorzeigbarem Fuß. Dass aber mein Fuß, wenn ich die Beine übereinanderschlage, den Stiletto von meiner Ferse rutschen und Fuß und Schuh miteinander spielen lasse, einen Mann derart erregen kann, darauf war ich nicht vorbereitet. Ich fand Spaß daran, ihn auf alle erdenklichen Arten mit meinen Füßen zu necken, zumal er aus seiner wachsenden Geilheit keinen Hehl machte.

Allerdings: So heiß ihn die Strümpfe machten, ohne kam er schwer in Fahrt. Wenn ich sie nicht an den Füßen hatte, dann mussten sie auf andere Weise ins sexuelle Spiel eingebaut werden. Dafür hatte er seine eigenen Nylons im Gepäck, die er sich geschickt um die Hoden wickelte. Die Enden drückte er mir in die Hand mit der Aufforderung, daran zu ziehen, während er in mir war. Darauf war ich nun nicht vorbereitet. Ich hatte Angst, ihm Schmerzen zuzufügen, aber er brauchte den Schmerz und das Gefühl, ausgeliefert zu sein. Es machte ihn geil, wenn ich seine Hoden fest drückte oder an den Nylons zog.

Er führte mich langsam an seine Vorlieben heran, was angesichts der uns zur Verfügung stehenden Zeit dann doch eine beachtlich schnelle Einweisung in den sadistischen Part einer SM-Beziehung war. Nach wenigen Tagen kamen Kerzen aus seinem Koffer zum Vorschein. Neben Nylons brauchte er auch eine intensive Stimulierung seines Anus. Nach einer Woche zauberte er ein selbst gebautes Spielzeug aus dem Koffer: einen Gummiball an einem Schlauch mit einer Pumpe am anderen Ende.

What the hell is that for????

»Warte« sagte er, »ich führe mir den Ball ein und du darfst pumpen. Pump mich auf, du hast mich in der Hand. Spiel deine Macht aus und genieße sie.« Er lag unten, sodass er mir tatsächlich ausgeliefert war, und ich fing langsam an zu pumpen, während ich auf ihm ritt. Die kleine Handpumpe, die sich einhändig bedienen ließ, kam mir vor wie der Zünder einer Handgranate. Ich hatte tatsächlich die Macht, ich konnte ihn zerreißen. Anfangs machte es mir Angst, machte mich aber gleichzeitig auch an, und die unglaubliche Geilheit des Mannes unter mir steigerte das Ganze in einen nahezu ekstatischen Zustand. Fast übertrieb ich es, aber seine Signale kamen deutlich und bestimmt. Er hatte es mit einer Anfängerin zu tun, entsprechend achtsam war er und bereit und in der Lage, mich jederzeit zu packen und von sich herunterzuwerfen. Ganz so ausgeliefert war er dann doch nicht.

Von unseren Spielchen im Wasserbungalow bekam niemand etwas mit. Auf der Insel galten wir als das Traumpaar und auch für mich galt es eigentlich nur noch zu klären, wann Florian nach Berlin umziehen würde. Ich war fasziniert von der Präsenz dieses Mannes, von seiner Eloquenz, seiner Spiritualität und Gefühlstiefe und von seiner Sexualität, die zwar irgendwie krankhaft, aber gleichzeitig auch irre intensiv war. Beim Sex hatte ich zwar den dominanten Part gespielt, aber eigentlich war ich ihm verfallen, er führte die Regie bei unseren Begegnungen. Drehen wahnsinnige Regisseure nicht oft die besten Filme?! Er war Freiberufler im Medienbereich, da wäre Berlin allemal chancenreicher gewesen als Zürich. Man muss ja nicht gleich heiraten oder sich ewiges Zusammensein schwören, aber wenn man sich so nah ist, dass einer in den anderen eindringen kann, ohne ihn zu berühren, wenn man in den Augen des Gegenübers versinkt und das Bedürfnis hat, sich ihm seelisch vollkommen nackt zu präsentieren, dann liegt der Gedanke nahe, zumindest eine Weile in der gleichen Stadt leben zu wollen.

Aber Nähe und Nähe sind offenbar nicht das Gleiche. Ein einziges Mal besuchte er mich nach unserem Urlaub. Er schwappte mit all seiner Intensität über mich, sein lautes Wesen erfüllte meine Wohnung und mit seiner körperlich fordernden Art wirbelte er mich derart durch die Luft, dass er ins Schwanken geriet und rückwärts fallend meinen Glastisch in einen Scherbenhaufen verwandelte. Im Nachhinein kam mir sein Besuch vor, als wäre ein Kugelblitz durch meine Wohnung gezuckt. Zum Essen tranken wir reichlich Wein und im Bett gab es dann einmal mehr einen heftigen Anfall von Übelkeit statt heftigen Sex.

Es folgte eine spontane Verabschiedung, fort war er und hinterließ eine komplett verwirrte Frau. Ich fragte mich, warum er überhaupt gekommen war, wenn ich so abstoßend war, dass ich Brechreiz und Fluchtreflexe bei ihm auslöste.

Tage später, Tage der 1000 Fragezeichen und des Kopfschüttelns angesichts des Erlebten, aber auch Tage der Trauer und der Wut erfuhr ich, dass es zu Florian auch eine Florentine gab, und zwar schon einige Jahre. Die Beziehung hatte an Spannung verloren, er hatte vor, sich zu trennen, aber dann war alles doch wieder so vertraut und bei mir und mit mir alles so heftig. Die intensiven Gefühle, die Angst vor der Veränderung und das schlechte Gewissen hätten die Übelkeit bei ihm verursacht.

Und ich dachte, ich hätte es mit einem Kerl zu tun, der stark genug ist, mich und sich selbst auszuhalten und der mit mir immer dahin schwimmt, wo die Strömung am schnellsten ist. Pah, Weich­ei, anthroposophischer Träumer, Dableiber! Was nützt die ganze spirituelle Lebensausrichtung, wenn man der Energie ausweicht, statt mit ihr zu fließen?! Da macht es einmal Peng, ein ganzes Flughafengebäude vibriert, und diese Memme zieht den Schwanz ein. Sollte er sich doch weiter von seiner vertrauten Begleiterin an Nylons an den nicht vorhandenen Eiern durch ausgetretene Pfade ziehen lassen!

Kurz vor Florian und kurz bevor ich zurück nach Berlin zog, hatte ich in Hamburg, wo ich zu diesem Zeitpunkt wohnte, Lars kennengelernt. Auch ihn fand ich über eine Kontaktanzeige im Internet. Das Bild zeigte ihn in einem weißen T-Shirt, schwarzer Lederjacke und barfuß mit aufgekrempelten Jeans. Supersexy und der absolut passende Look zu seinem kurz geschorenen Charakterkopf. Ein ausgesprochen schöner Mann, weshalb mich seine Aussage wunderte, ich sei bisher die einzige Frau, die sich auf die Anzeige gemeldet habe. Er hätte sie auch gar nicht selbst aufgegeben, das hätten Freunde gemacht. Wäre er nicht so cool gewesen, zwar interessiert, aber in keiner Weise fordernd, ich hätte es ihm nicht abgekauft.

Unser erstes Date verlief ein wenig stockend. Einerseits hatte Lars diese typisch hanseatische Wortknappheit. Wenn eine Frage mit einem »Ja« beantwortet war, dann war sie es! Andererseits schossen wahre Salven aus seinem Mund, wenn ihm danach war, etwas mehr zum Thema beizutragen. Diese Art der Kommunikation war für mich ziemlich gewöhnungsbedürftig. Auch fanden wir keinen rechten Tiefgang. Wir trennten uns mit einer knappen Umarmung, Bussi rechts und Bussi links und der gegenseitigen Bekundung, uns gern wieder zu treffen. Zwei Wochen später aber stand fest, dass ich wieder nach Berlin ziehen würde, und so blieb es bei sporadischem Mailkontakt und einigen Telefonaten.

Meinen ersten Geburtstag als Single beschloss ich gebührend zu feiern. Die Wohnung bot genug Platz für alte und neue Freunde aus Hamburg und Berlin, und so trafen auch Lars und ich ein zweites Mal zusammen. Die Partygesellschaft war bunt gemischt. Lars kannte niemanden, entpuppte sich aber als durchaus partytauglich. Wie geplant blieb er über Nacht, ohne Fluchtgedanken und ohne Übelkeit. Nicht dass Florians Flucht mein Selbstbild nachhaltig angegriffen hätte, aber ich war auf alles gefasst. Auf fast alles.

Als die Party beendet und die letzten Gäste gegangen waren, bot Lars mir eine entspannende Rückenmassage an. »Zum Runterkommen und als Dankeschön für die Einladung und Gastfreundschaft«.

»Ja, ja«, dachte ich schmunzelnd, »guter Plan, um in mein Bett zu kommen.«

Nur leider meinte Lars das mit der Massage absolut ernst. Sobald ich aktiv werden und ihn berühren wollte, verwies er mich zurück in meine ruhende Bauchlage. Es fiel mir schwer, einfach nur anzunehmen, aber ich gab mir redlich Mühe, voller Vorfreude auf die Freuden nach der Massage. Doch es gab kein Danach. Er fragte höflich, ob er in meinem Bett schlafen könne, und er schlief. Er schlief tatsächlich – nackt – neben mir, ohne mich zu berühren.

»Okay«, dachte ich, »der ist schwul. Anders kann ich es mir nicht erklären.«

Ich konnte lange nicht schlafen, horchte immer wieder, ob er nicht doch noch wach war, ob nicht doch noch eine Hand unter der Decke zu mir finden würde – vergebens. Er lag da, ganz nah und doch so unerreichbar. Es war Anfang Mai, den letzten Sex hatte ich mit Florian Mitte Februar. So hatte ich mir mein Singleleben nicht vorgestellt …

Mein neuer Job in Berlin forderte mich ziemlich, ich war regelmäßig auf Geschäftsreisen und verbrachte viele Abende gemeinsam kochend und quatschend mit Sinita. Meine Wohnung hatte ich so gewählt, dass sie ausreichend Platz für mich und meinen potenziellen neuen Lebensgefährten bot. Doch statt eines Mannes kam Sinita. Sie folgte mir aus Hamburg, ich bot ihr vorübergehend ein Zimmer bei mir an und gewöhnte mich schnell und gern daran, dass aus vorübergehend dauerhaft wurde. Wir gingen oft auf einen Drink aus, genossen die lauen Sommerabende, flirteten auch hier und da, aber küssbare Männer waren nicht unter den Flirts.

Mitte Juni war ich bei einer ehemaligen Kollegin in Hamburg an einem Sonntagnachmittag zum Geburtstag eingeladen. Ich rief Lars an, um mich mit ihm zum Brunchen an der Alster zu verabreden.

»Klar, gern«, willigte er ein. »Was hältst du davon, wenn ich am Samstag nach Berlin komme und wir am Sonntag gemeinsam nach Hamburg zurückfahren? Ich war noch nie am Wannsee.«

Ich liebe Überraschungen und spontane Menschen mag ich sowieso. Nur wüsste ich sie gern einzuschätzen. War er nun schwul oder nicht?

Lars hatte wie immer eine Flasche Champagner im Gepäck. Ein Tick, den man gern hinnimmt. Wir holten uns im KaDeWe eine Sushibox, packten beides in den mit Kühlelementen ausgestatteten Korb und fuhren zur Premiere ins Strandbad Wannsee. Auch ich war noch nie dort, obwohl ich schon einmal für acht Jahre in Berlin gelebt habe.

Schon in der Schlange an der Kasse wurde mir klar, warum dies für mich eine Premiere war. Mit Sushi, Champagner und Lars in einem Strandkorb war das Beobachten der meist unförmigen Besucher in schlecht sitzender Badekleidung gerade noch erträglich. Wir waren aber offensichtlich absolut deplatziert und genau dieses Offensichtliche war gut so.

Am Nachmittag saßen wir nahezu unbekleidet nebeneinander im Strandkorb, nachts lagen wir nackt nebeneinander im Bett. Kein Kuss, keine Berührungen, aber schwul war er nicht. Er erzählte von seiner Ex, die Scheidung war noch nicht durch. Er trennte sich, weil ihm ihre Abenteuer mit anderen Frauen zu gefährlich wurden. Trotz seiner wiederholten Warnungen holte sie sich immer wieder Frauen ins Bett, die erst kurze Zeit in Deutschland waren und aus Ländern mit hohen Aidsraten kamen. Das Risiko war ihm zu hoch.

Ein außergewöhnlicher Trennungsgrund. Er klang logisch und war absolut nachvollziehbar. Die Sachlichkeit des Grundes und die Art, wie er mir von der Trennung erzählte, fiel mir erst sehr viel später als seltsam auf. Ich war zu sehr mit meiner Beziehung zu ihm beschäftigt, denn ich verstand die ganze Situation nicht, in die wir hineinsteuerten.

Lars lud mich für das folgende Wochenende zu sich nach Hamburg ein. Er müsse sein Haus streichen und würde sich freuen, wenn ich ihm dabei Champagner trinkend und leicht bekleidet zusehen und ab und an mal die Leiter halten würde. Natürlich war ich neugierig auf das Haus, und ein ganzes gemeinsames Wochenende versprach mehr Nähe, vielleicht auch endlich körperliche Nähe.

Wir berührten uns dann tatsächlich. Er schenkte mir ein paar zurückhaltende Küsse und zum Einschlafen rollten wir uns in die Löffelchenstellung. Was ich aber da an meinem Hintern fühlte, ließ mich keinen ruhigen Schlaf finden. Ich war ausgehungert und scharf und hatte einen halb steifen Schwanz in meinem Kreuz, der sich mächtig groß anfühlte. »Was in aller Welt hält ihn davon ab, das zu tun, was alle in einem solchen Moment tun würden?« Meine Gedanken rasten im Kreis und fanden keine Lösung auf diese Frage.

Die Telefonate wurden häufiger, der Kontakt intensiver, es folgte eine Einladung zum Hamburger Derby. Seine Champagnerquelle hatte ein Zelt direkt an der Rennbahn und wir waren als Gäste geladen. Ich packte meinen neuen weißen Hosenanzug ein. Allerdings nicht für die Rennbahn. Das Ensemble war für den späten Abend geplant, und es erfüllte seinen Zweck. Nach der Party hatte ich Gelegenheit, mich umzuziehen. Wir nahmen noch einen Drink im Wohnzimmer. Der Anzug saß knackig eng, das strahlende Weiß sah sexy aus auf meiner gebräunten Haut und die Jacke war neckisch mit einem Kettchen zu schließen, sodass ein Streifen Bauch hervorblitzte und zum Anfassen einlud.

Lars sah mich an, verschwand kurz und kam zurück mit nichts als einem metallenen Cockring und seinem Piercing bekleidet.

Als wäre nichts, bereitete er uns zwei Caipirinha zu, inszenierte mich auf einem seiner alten Friseurstühle und schoss ein paar Fotos. Ich durfte nichts von dem, was ich in großartigster Form präsentiert bekam, anfassen. Als er sich dann auch im Bett wieder verweigerte, stellte ich ihn zur Rede. Das war einfach nicht auszuhalten und schon gar nicht zu verstehen.

»Ich weiß, dass ich einen geilen Schwanz habe, und ich weiß, dass die Frauen scharf auf das Ding sind. Aber den kriegt nicht jede. Ich überlege mir ganz genau, wer mich und ihn verdient und wer nicht, und wir kennen uns noch nicht lange genug. Sex ist mir wichtig, aber nicht ohne Gefühl, und One-Night-Stands gibt es bei mir nicht. Ich bin schon zu oft enttäuscht worden.«

Wenn es bei ihm nur Sex mit Beziehung gab, dann musste ich mich damit auseinandersetzen, dass ich nicht wusste, ob ich eine Beziehung mit ihm wollte. Ich wusste, dass ich Sex mit ihm wollte, aber darüber hinaus? Mir wurde in dem Moment klar, dass ich eigentlich noch gar nicht darüber nachgedacht hatte, was ich wollte. Mir gefiel mein Leben in Berlin, mir gefiel meine Wohnung, und beides hatte durch den Einzug von Sinita noch gewonnen. Meine Freiheit wollte ich so schnell nicht wieder aufgeben, aber ein Mann für Komplimente, für die sexuelle Befriedigung, zum Knutschen und für das Gefühl, eine Frau zu sein, ist ein Faktor, der die Lebensqualität deutlich anhebt. Lars musste klar sein, dass ich nicht zurück nach Hamburg gehen würde, und er hatte einen gut laufenden Laden in Hamburg und würde nie nach Berlin ziehen wollen. Trotzdem intensivierte er den Kontakt, dann war der Begriff »Beziehung« für ihn wohl sehr dehnbar. So dehnbar, dass er sich meinem Drang nach Freiheit annäherte. Wir könnten an den Wochenenden viel Spaß wahlweise in den beiden größten Städten Deutschlands haben, zusammen sahen wir verdammt gut aus und keiner verbaute sich irgendetwas. Ich konnte in der nächsten Zeit gut auf andere Männer verzichten, wenn ich denn diesen hier endlich mal in mir spüren durfte. Über meine Gefühle zu ihm war ich mir nicht im Klaren. Erstens kannten wir uns noch nicht lange genug, zweitens arbeiteten wir noch an unserer Kommunikation und drittens wurde alles von einem enormen Verlangen überlagert. Ich gebe zu, ich war schwanzgeil!

Dem Derby-Wochenende folgte das Wochenende der Love-Parade in Berlin. Am Freitagabend war ich mit Lars im Maxwell verabredet. Ich wählte einen sonnigen Tisch auf der Terrasse, etwas abseits für ungestörte Gespräche, und wartete auf sein Erscheinen. Er kam per Mitfahrzentrale aus Hamburg, die kleine Verspätung war ihm also verziehen. Umso mehr, weil er mich auf eine Flasche Champagner einlud. »Wenn er all das Geld, das er durch den Verzicht auf ein Auto spart, in mich und in Champagner investiert«, so dachte ich, »dann darf er ruhig auch mal zehn Minuten zu spät kommen.« Ob ich in meinem Leben je wieder so viel Schampus trinken werde wie in diesen Tagen mit ihm?

»Kannst du dir eigentlich meinen Laden in Berlin vorstellen?«

Die Frage kam unverhofft und fast hätte ich mich verschluckt, konnte mich aber schnell wieder fangen.

»Klar, dein Laden ist cool. In Mitte hättest du bestimmt schnell neue Kunden. Aber ich kann mir dich nicht in Berlin vorstellen. Lars, du gehörst nach Hamburg. Du bist dermaßen hanseatisch, du würdest dich hier nicht wohlfühlen.«

»Wahrscheinlich hast du recht«, gab er zu, »ich hab ja auch nur mal darüber nachgedacht.«