Südwärts - Die Endurance Expedition - Ernest Henry, Sir Shackleton - E-Book

Südwärts - Die Endurance Expedition E-Book

Ernest Henry, Sir Shackleton

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Beschreibung

1914 bricht die Mannschaft der Endurance unter der Leitung von Sir Ernest Shackleton zur letzten großen Reise im Goldenen Zeitalter der heroischen Antarktis-Forschung auf. Das Missionsziel ist die Durchquerung des antarktischen Kontinents. Doch das Vorhaben scheitert am Eis, die Endurance friert ein und wird langsam von den Eismassen im Weddellmeer zermalmt. Die Männer verlassen das Schiff, errichten immer wieder neue provisorische Camps auf Eisschollen, auf denen sie mehrere Monate durchs Meer treiben, bis sie auf Elephant Island stranden. Shackleton muss seinen Traum der Antarktisdurchquerung aufgeben, nicht aber seine Mannschaft: 1500 Kilometer legt er mit fünf weiteren Wagemutigen im kleinen Rettungsboot auf offener See zurück, um Hilfe für den Rest zu holen. Heute steuern Kreuzfahrten Elephant Island im Norden der Südlichen Shetlandinseln und Shackletons Grab in Grytviken auf Südgeorgien an, verbinden die Erfahrung der großartigen Natur der Antarktis mit den Abenteuern der riskanten Ära der Ersterforschungen des ewigen Eises. Darüber hinaus bietet der Sport- und Abenteuertourismus Reisenden zahlreiche mehr oder weniger extreme Aktivitäten bis hin zu dem, was Shackleton nicht gelang: die Durchquerung des antarktischen Kontinents. Shackletons Bericht ist in jedem Fall – je nach Abenteuerlust – der perfekte Begleiter an Bord, an Land oder im Lesesessel.

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Ernest Henry Shackleton

SÜDWÄRTS

Die Endurance–Expedition

Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Axel Monte

Eingeleitet von Cornelia Lüdecke

Sir Ernest Henry Shackleton

INHALT

EINLEITUNGvon Cornelia Lüdecke

VORWORTvon Ernest Henry Shackleton

KAPITEL 1Ins Weddellmeer

KAPITEL 2Neuland

KAPITEL 3Wintermonate

KAPITEL 4Der Verlust der Endurance

KAPITEL 5Ocean Camp

KAPITEL 6Ein kurzer, beschwerlicher Marsch

KAPITEL 7Patience Camp

KAPITEL 8Flucht vom Eis

KAPITEL 9Die Fahrt mit der James Caird

KAPITEL 10Quer durch Südgeorgien

KAPITEL 11Die Rettung

KAPITEL 12Elephant Island

KAPITEL 13Die Rossmeergruppe

KAPITEL 14Überwinterung im McMurdo-Sund

KAPITEL 15Die Depots werden angelegt

KAPITEL 16Die Drift der Aurora

KAPITEL 17Die letzte Rettungsfahrt

KAPITEL 18Nachspiel

Literaturverzeichnis

Register

EINLEITUNG

»Zu Ehren von Ernest Shackleton erhebe ich mein Glas. Mögen seine Taten unvergessen bleiben und seine Willensstärke uns ein Vorbild sein.« Der Kapitän eines Kreuzfahrtschiffes leert ein Schnapsglas über Shackletons Grab auf dem Friedhof von Grytviken auf Südgeorgien aus, dann kreist die Flasche mit Rum unter den umstehenden Passagieren. Jahr für Jahr reisen zahlungskräftige Touristen zur Antarktischen Halbinsel, um fassungslos einen Blick auf Elephant Island zu werfen, eine kleine felsige Insel im Norden der South Shetland Islands. Hier brach Shackleton mit fünf Männern in einem kleinen Rettungsboot auf, um für seine gestrandeten Kameraden von der nächstgelegenen bewohnten Walfangstation auf Südgeorgien Hilfe zu holen. Dafür musste er eine Entfernung von rund 1500 km über die stürmischste Region des Südatlantiks zurücklegen. Eine Großtat, die man sich heute gar nicht mehr recht vorstellen kann, aber Shackleton hatte es tatsächlich mit letzter Kraft geschafft. Dafür ist er heute unvergessen, und deshalb stellen sowohl Elephant Island als auch der Friedhof von Grytviken besondere Anziehungspunkte für Kreuzfahrten dar, welche die großartige Natur der Antarktis mit den Abenteuern aus der heroischen Ära der Polarforschung verbinden. Wer war Ernest Shackleton und wie kam es, dass er nach der Veröffentlichung von Caroline Alexanders Buch über seine legendäre Antarktisexpedition und der von ihr 1999 kuratierten Ausstellung »Endurance: Shackleton’s Legendary Expedition« im American Museum of Natural History in New York heute ein größeres Ansehen hat als der Brite Robert Falcon Scott, der als Verlierer auf dem Rückweg vom Südpol zusammen mit vier Kameraden heldenhaft starb?

Ernest Shackleton wurde am 15. Februar 1874 in Kilkea (County Kildare, Irland) als zweites Kind in die Familie eines Grundbesitzers geboren. Er hatte acht Schwestern und einen um zwei Jahre jüngeren Bruder. Als in Irland die Erträge aus den Kartoffelernten massiv zurückgingen, beschloss sein Vater gemäß dem Familienspruch »Fortitudine Vincimus« (»Durch Ausdauer zum Sieg«) einen Neuanfang zu machen. So zog er mit der Familie erst nach Dublin, um Medizin zu studieren, und ließ sich dann später in Sydenham, einem Vorort südöstlich von London, nieder. Anstatt dem Wunsch seines Vaters zu folgen, auch ein Medizinstudium zu ergreifen, wollte Ernest viel lieber die Welt sehen und Kapitän werden. Deshalb verließ er im Alter von 16 Jahren das renommierte Dulwich College in London, um in der Handelsmarine seine Ausbildung zu beginnen. Nach acht Jahren erhielt er 1898 das Kapitänspatent, aber die Handelsschifffahrt war trotz der Fernreisen längst nicht so attraktiv, wie gedacht. Shackleton begann nun, sich für Entdeckungsreisen zu interessieren, die wesentlich interessanter und lukrativer erschienen. Auf sein Betreiben hin wurde er 1899 in die Royal Geographical Society aufgenommen, deren Präsident Clements Markham gerade dabei war, eine Südpolarexpedition vorzubereiten. Durch Beziehungen gelang es Shackleton tatsächlich, zwei Tage nach seinem 27. Geburtstag als dritter Offizier auf dem Expeditionsschiff »Discovery« anzuheuern, die unter der Leitung des Marineoffiziers Robert Falcon Scott zur Antarktis segeln sollte.

INTERNATIONALE ZUSAMMENARBEIT IN DER ANTARKTIS (1901–1903)

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Natur der Antarktis noch völlig unbekannt. Handelte es sich um einen mit Eis bedeckten Kontinent oder wie die Arktis um ein Eismeer, das von Inseln umgeben war? 1895 hatten sich die Geographen zum VI. Internationalen Geographenkongress in London versammelt und beschlossen, bis zur Jahrhundertwende den letzten weißen Fleck auf der Erde zu erforschen. Die belgische Expedition (1897–1899) unter der Leitung von Adrien de Gerlache war die erste, die diesem Aufruf folgte. An Bord der »Belgica« erkundete Gerlache die Inseln westlich der Antarktischen Halbinsel, wo er schließlich bei Peter I. Island ungeplant für zwölf Monate vom Eis eingeschlossen die erste Überwinterung südlich des Polarkreises durchführte. Die nächste von Carsten Borchgrevink in England privat ausgerüstete Expedition überwinterte 1899 auf Cape Adare in Victoria Land erstmals an Land. Beide Expeditionen brachten zwar äußerst interessante Ergebnisse von der Überwinterung nach Hause, konnten aber keineswegs die Millenniumsaufgabe der Geographen lösen. Nachdem abzusehen war, dass unabhängig voneinander agierende Expeditionen wenig Erfolg versprechend waren, wurde 1899 auf dem VII. Internationalen Geographenkongress in Berlin eine internationale meteorologische und magnetische Kooperation für die Jahre 1901 bis 1903 beschlossen. Vorbild war das Internationale Polarjahr, in dem von August 1882 bis August 1883 insgesamt an zwölf temporär eingerichteten Stationen rund um die Arktis meteorologische und magnetische Messungen durchgeführt wurden. Diesem Vorbild folgend beteiligten sich trotz aller damals bestehenden politischen Rivalität die britische Expedition auf der »Discovery« (1901–1904) unter der Leitung von Scott zum Rossmeer und die deutsche Südpolarexpedition (1901–1903) unter der Leitung von Erich von Drygalski, die im Südindischen Ozean am Südpolarkreis bei 90° O auf der »Gauß« ein Jahr lang ortsfest eingefroren wurde. Der schwedischen Expedition, die unter der Leitung von Otto Nordenskjöld auf der »Antarctic« (1901–1903) zur Antarktischen Halbinsel führte, erging es hingegen nicht so gut. Eigentlich hätte sie Nordenskjöld und fünf Kameraden, die 1902 planmäßig auf Snow Hill Island überwintert hatten, abholen sollen, konnte aber wegen der schlechten Eislage nicht dorthin gelangen. Stattdessen wurden drei Männer ausgesetzt, die über Land und Eis zu ihnen vordringen sollten. Die Wetterbedingungen zwangen sie aber, mit minimaler Ausrüstung in Hope Bay an der Spitze der Antarktischen Halbinsel zu überwintern. Als dann die »Antarctic« 1903 erneut nach Snow Hill Island unterwegs war, wurde sie vom Eis eingeschlossen, zerdrückt und ging unter. Die zwanzigköpfige Mannschaft musste sich nun ihrerseits auf die nächstgelegene Paulet Island retten.

An der internationalen Kooperation beteiligte sich außerdem noch die schottische Expedition auf der »Scotia« (1902–1904) unter der Leitung von William Speirs Bruce, die ins östliche Weddellmeer ging. Bevor Bruce in die Heimat zurückkehrte, übergab er seine meteorologische Station auf Laurie Island, einer der South Orkney Islands, dem argentinischen Wetterdienst und begründete damit die älteste kontinuierlich arbeitende Wetterstation in der Subantarktis. Schließlich folgte noch eine französische Expedition auf der »Français« (1903–1905) unter der Leitung von Jean-Baptiste Charcot zur Antarktischen Halbinsel, die ursprünglich der schwedischen Expedition zur Hilfe kommen wollte.

Diese fünf Expeditionen waren für manche Wissenschaftler und Offiziere Sprungbretter für eine große Karriere. Auch auf ihre erfahrenen Seeleute wurde immer wieder gerne zurückgegriffen. Zum Beispiel gründete Nordenskjölds Kapitän Carl Anton Larsen die erste Walfangstation auf Südgeorgien, während Roald Amundsen auf der »Belgica« quasi in die Lehre ging, bevor er seine erste eigene Expedition (1903–1906) durch die Nordwestpassage führte. Und Shackleton sammelte auf Scotts erster Expedition Erfahrungen in der Antarktis, als ihn Scott beauftragte, zusammen mit dem Arzt Edward Wilson und dem Geologen Hartley Ferrar von der Station am Fuß des Vulkans Mt. Erebus auf Ross Island eine Route über das Rossschelfeis in Richtung Südpol zu finden. Danach begleitete er Scott und Wilson auf der ersten Schlittenreise nach Süden, wo sie am 30. Dezember bei 82° 17' S den südlichsten Punkt erreichten. Auf ihrer viermonatigen Tour machte sich unangenehm bemerkbar, dass keiner von ihnen mit Hundeschlitten umgehen konnte. Zudem hatten sie teilweise verdorbenen Trockenfisch als einziges Hundefutter dabei, das aber nicht alle Zugtiere vertrugen, sondern davon erkrankten und starben. Am Ende kehrte keiner der 22 Hunde zum Ausgangspunkt zurück. Auch die Männer hatten große Probleme, denn sie litten vorübergehend unter Schneeblindheit, bekamen unangenehme Erfrierungen und Skorbut. Shackleton war von dieser Vitamin-C-Mangelkrankheit besonders betroffen. Zudem hustete er stark, war kurzatmig und konnte am Schluss den Schlitten nicht mehr ziehen. Auch gab es unterwegs starke Differenzen zwischen ihm und Scott, deren Ursache wohl in seiner Beliebtheit bei allen Expeditionsteilnehmern lag, die Scott als Expeditionsleiter mit seiner weniger einnehmenden Persönlichkeit nie erreichen konnte. Dies hatte zur Folge, dass Scott seinen Konkurrenten Anfang März 1903 angeblich wegen gesundheitlicher Probleme mit dem Versorgungsschiff »Morning« nach England zurückschickte, während andere an Skorbut erkrankte Kameraden bleiben durften.

Noch war die Phase der internationalen Zusammenarbeit in der Antarktis nicht abgeschlossen, denn Ende Juni half Shackleton Julián Irízar, der damals argentinischer Marine Attaché in London war, eine Rettungsaktion für die auf der Antarktischen Halbinsel gestrandete schwedische Expedition vorzubereiten. Unter anderem riet er Irízar, auf Paulet Island ein Depot für schiffbrüchige Seeleute einzurichten. Am Ende konnte Irízar an Bord des Marineschiffs »Uruguay« alle schwedischen Expeditionsmitglieder retten und in einem Triumphzug nach Buenos Aires bringen. Die argentinische Rettungsaktion wurde später ein wichtiger Mosaikstein in der Begründung des argentinischen Besitzanspruches an der Antarktischen Halbinsel. Heute ist die »Uruguay« ein nationales historisches Monument und kann im Museumshafen von Buenos Aires »Puerto Madero« besichtigt werden.

SHACKLETONS BRITISH ANTARCTIC EXPEDITION (1907–1909)

Nach seiner Rückkehr nahm Shackleton verschiedene Jobs an und verzettelte sich in dubiosen Geschäften, die ihm finanziell eher schadeten als halfen. 1904 heiratete er als Dreißigjähriger schließlich Emily Dorman, die er seit sieben Jahren kannte. Sie gebar ihm in den nächsten Jahren die beiden Söhne Raymond (geb. 1905) und Edward (geb. 1911), sowie die Tochter Cecily (geb. 1906). Shackleton war jedoch kein Familienvater, den es lange daheim hielt. 1907 veröffentlichte er im Geographical Journal den Plan einer eigenen privat organisierten »British Antarctic Expedition (1909)«, mit der er aller Welt zeigen wollte, dass er mehr leisten könne als Scott.

Eine Gruppe von neun oder zwölf Männern sollte mit genügend Ausrüstung von Neuseeland aus über das Rossmeer an Land gebracht werden und in Scotts »Discovery«-Hütte überwintern. Im Frühjahr sollten drei Gruppen aufbrechen, um einerseits im Westen das King Edward VII Land zu erforschen und andererseits über die schon bekannte Route über das Rossschelfeis weiter nach Süden vorzudringen. Die dritte Gruppe sollte in Victoria Land den Magnetpol der Südhalbkugel erreichen. Für die Schlittenreisen sah Shackleton mandschurische Ponys und speziell entwickelte Motorschlitten vor. Die Finanzierung der Expedition war allerdings äußerst schwierig, denn die britische Regierung wollte seine Pläne nicht unterstützen, und auch die Royal Geographical Society war sehr zurückhaltend. Schließlich fand sich der Großindustrielle William Beardmore bereit, die Expedition tatkräftig zu unterstützen.

Shackleton wollte gerne, dass ihn Wilson, mit dem er sich auf der »Discovery«-Expedition angefreundet hatte, als Arzt begleitete. Falls er selbst für die Reise zum Südpol nicht fit genug wäre, gäbe es keinen Besseren als ihn, die Expedition fortzuführen, umgarnte er Wilson. Dies war ein erstaunliches Zugeständnis für einen Mann, der seine gesundheitlichen Schwächen bis zuletzt nie zugab. Er hoffte nämlich insgeheim auf Wilsons ärztliche Hilfe, falls ihn wieder Asthma und seine Herzprobleme plagten. Aber Wilson lehnte seine Zusage ab, weil er eher Scotts neuen Plänen zugetan war. Scott seinerseits war erbost über Shackletons ungehöriges Ansinnen und rang seinem Rivalen mit Wilsons Hilfe noch 1907 das Versprechen ab, seine Discovery Hütte am McMurdo Sound keinesfalls zu benutzen und auch nicht die Demarkationslinie bei 170° O zu überschreiten, um in »sein« Gebiet am Rand des Rossschelfeises einzudringen.

Nachdem Shackletons Expedition auf der »Nimrod« im Januar 1908 auf der Suche nach einem Platz zum Anlanden die große Eisbarriere vergeblich in Richtung King Edward VII Land abgesucht und außer der von Schelfeis umgebenen Bay of Whales nichts entdeckt hatte, musste er doch wortbrüchig werden und seine Station auf der Ross Island in Nähe der »Discovery« Hütte aufbauen und von dort aus seine Unternehmungen starten.

Shackletons Expedition war sehr erfolgreich, denn die eine Gruppe mit dem australischen Geologen Douglas Mawson gelangte in Victoria Land erstmals in die Nähe des Magnetpols der Südhemisphäre, dessen Lage sich nach der ersten Peilung von James Clark Ross im Jahr 1841 nach Norden verschoben hatte. Eine zweite Gruppe führte die Erstbesteigung des Mt. Erebus (3794 m) durch. Shackleton selbst hatte einen Weg über den nach seinem Sponsor benannten Beardmore-Gletscher auf das Eisplateau im Innern des antarktischen Kontinents entdeckt und sich mit drei Kameraden dem geographischen Südpol bis auf 180 km genähert. Wegen Erschöpfung und Nahrungsmangel mussten sie aber den weiteren Vorstoß nach Süden abbrechen, denn sie hatten ihre Schlitten am Schluss selber ziehen müssen, weil unterwegs alle Ponys gestorben waren. So gelang es ihnen zumindest mit allerletzter Kraft, völlig erschöpft zu ihrer Überwinterungsstation zurückzukehren. Auf alle Fälle hatte Shackleton Scott geschlagen und am 6. Januar 1909 bis 88° 23' S erreicht. Für diese Leistung wurde er im Juli 1909 als Commander in den Royal Victorian Order (CVO) aufgenommen und vier Monate später von König Edward VII. zum Ritter geschlagen.

Shackletons Reiserouten zur See und auf Land während der »Nimrod«-Expedition (1908–1909) (Quelle: Kollbach 1911, S. 27)

Shackletons Aufbruch nach Süden am 29. Oktober 1908 (Quelle: Kollbach 1911, S. 23)

Shackleton (rechts) mit Frank Wild (Mitte) und Jameson Boyd Adams (links) haben am 9. Januar 1909 den südlichsten Punkt bei 88° 23' S erreicht (Quelle: Kollbach 1911, S. 29)

Nach Shackletons Rückkehr erwartete jeder, dass er umgehend ein Buch über seine Expedition veröffentlichte. Der Londoner Verlag von William Heinemann wartete schon dringend auf sein Manuskript, für das schon neun simultane Übersetzungen in andere Sprachen geplant waren. Obwohl ein finanzieller Erfolg lockte, wollte Shackleton lieber unter Menschen sein, als sich am Schreibtisch aufzuhalten. Seiner Meinung nach könne er besser Reden halten als schreiben. Um den Abgabetermin dennoch einhalten zu können, hatte er schon in Neuseeland einen Reporter der Lyttelton Times namens Edward Saunders engagiert, der ihn nun auf allen Vortragereisen begleitete, um jede freie Zeit für das Diktat des Buches zu nutzen. Beide verstanden sich glänzend, sodass Saunders seine Arbeit als Ghostwriter von »The Heart of the Antarctic« bravourös vollbrachte, denn es wurde nach seinem Erscheinen im Jahr 1909 schnell als das beste Buch über eine Polarexpedition bezeichnet.

SHACKLETONS IMPERIAL TRANS-ANTARCTIC EXPEDITION (1914–1917)

Nachdem Shackleton den Weg auf das Südpolarplateau gefunden hatte, war es nur eine Frage der Zeit, dass Scott ihn zur Vollendung seines Planes, als Erster den Südpol zu erreichen, nutzen würde. Aber er würde nicht allein bleiben, denn der bayerische Offizier Wilhelm Filchner stellte Anfang März 1910 auf einer Sitzung der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin seinen Plan einer neuen deutschen Antarktisexpedition vor. Er wollte herausfinden, in welchem Zusammenhang die Westantarktis mit der wesentlich größeren Ostantarktis stand, die durch die tiefen Einschnitte des Weddellmeeres und des Rossmeeres voneinander getrennt wurden. Drei Theorien konkurrierten miteinander: Nordenskjöld vertrat die Meinung, dass beide Meere durch einen mit Eis bedeckten Meeresarm verbunden waren. Der norwegische Polarforscher Fridtjof Nansen glaubte hingegen immer noch, dass die Antarktis aus einer Ansammlung von Inseln am Südpolarkreis bestand und damit einem Atoll glich. In diesem Fall würde die Südpolarregion jenseits des Polarkreises wie die Arktis aus einem gefrorenen Ozean bestehen. Shackleton war jedoch mit Bruce der Ansicht, dass es sich bei der Antarktis um einen einzigen Kontinent handelte. Schon 1908 hatte Bruce begonnen, zur Lösung der Frage eine Durchquerung der Antarktis vorzubereiten. Filchner wusste offenbar nichts davon, als er mit seinem Plan hervortrat, vom Weddellmeer über den Südpol zum Rossmeer vorzudringen. Dabei hoffte er auf die Hilfe von Scotts Expedition, die ihm auf der Rossmeerseite Depots legen sollte. Schnell stellte sich heraus, dass Scott an einer solchen Kooperation keinerlei Interesse hatte. Nachdem Bruce seine Expedition nicht realisieren konnte und Shackleton erst seine finanziellen Verbindlichkeiten aus der »Nimrod«-Expedition klären musste, stand Scotts vorgegebenem Ziel nichts mehr im Wege, als Filchner im Sommer 1910 erst noch zu einer Übungsexpedition nach Spitzbergen aufbrach. Bekanntlich kam Amundsen Scott zuvor und setzte am 14. Dezember 1911 die norwegische Flagge auf den Südpol, während Scott, der Verlierer des Wettrennens, auf dem Rückweg mit seinen vier Kameraden kurz vor dem rettenden Depot umkam. Überraschenderweise tauchte am Winterquartier der Norweger in der von Shackleton entdeckten Bay of Whales eine japanische Expedition an Bord der »Kainan-Maru« auf, die unter der Leitung von Nobu Shirase das Schelfeis und King Edward VII Land erforschte. Filchner hatte inzwischen seinen unrealistischen Plan einer Durchquerung des Kontinents aufgegeben und wollte nur noch die Region im südlichen Weddellmeer erkunden. Nachdem er dort im Südosten auf eine Eisbarriere – das nach ihm benannte Filchnereisschelf – gestoßen war und die Errichtung einer Überwinterungsstation in der dort entdeckten Vahselbucht fehlschlug, wurde sein Expeditionsschiff »Deutschland« vom Eis eingeschlossen. Glücklicherweise kam das Expeditionsschiff nach einer neunmonatigen Drift im sogenannten Weddellwirbel 1912 wieder unbeschädigt heraus. Im Januar desselben Jahres erreichte Shackletons ehemaliger Expeditionskamerad Mawson auf der »Aurora« die Küste von Adelie Land östlich des Rossmeeres, gelangte bis zum Magnetpol der Südhemisphäre und erforschte das von ihm entdeckte Georg V Land.

Nachdem der Südpol nun kein Ziel mehr darstellte, wandte sich Shackleton der Planung einer »Imperial Trans-Antarctic Expedition« zu, für die Bruce das Vorbild gegeben und Filchners Expedition wichtige Informationen geliefert hatte. Mit der sogenannten Weddellmeergruppe wollte Shackleton im Südsommer 1914/1915 in der Vahselbucht an Land gehen, dort überwintern und dann zum Südpol vordringen. Für die in Neuseeland aufbrechende unabhängig von ihm agierende Rossmeergruppe kaufte er Mawsons »Aurora«. Diese Gruppe sollte auf Ross Island überwintern und mit Hunde- und Motorschlitten über das Schelfeis hinweg nach Süden in Richtung Beardmore-Gletscher für seine Durchquerung Lebensmitteldepots anlegen.

Als die finanziellen Probleme bei der Ausrüstung der Expedition immer noch nicht geklärt waren, spendete glücklicherweise der schottische Philanthrop Sir James Caird £ 24 000 für die Expedition in der Hoffnung, dass es ihm andere nachmachten. Tatsächlich bekam Shackleton genügend Geld zusammen, um seine Vorbereitungen voranzutreiben. Um Expeditionsteilnehmer zu finden, verschwieg seine Stellenausschreibung keine der möglichen Schwierigkeiten, aber dass sie auch wirklich eintreten würden, ahnte damals niemand.

»Men wanted for Hazardous Journey. Small wages, bitter cold, long months of complete darkness, constant danger, safe return doubtful. Honour and recognition in case of return.« (Huntford 1985, S. 365)

»Männer für riskante Reise gesucht. Kleines Gehalt, bittere Kälte, lange Monate in kompletter Dunkelheit, ständige Gefahr, sichere Rückkehr ungewiss. Ehre und Anerkennung im Falle der Rückkehr.«

Bei der Auswahl der Expeditionsteilnehmer aus 5000 Bewerbungen verfuhr Shackleton völlig unkonventionell, indem er ganz spontan seinem Bauchgefühl folgte, denn angeblich dauerten die Vorstellungsgespräche nie länger als fünf Minuten. Am 1. August 1914 konnte die »Endurance« Segel setzen. Als Shackleton unterwegs von der allgemeinen Mobilmachung nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs erfuhr, stellte er nach Zustimmung der Mannschaft das Schiff samt Besatzung für militärische Einsätze zur Verfügung. Die Admiralität in London befahl jedoch, die Expedition fortzusetzen.

Über Südgeorgien nahm die »Endurance« Kurs auf die Vahselbucht, wurde aber angesichts des von Filchner entdeckten Prinz-Regent-Luitpold-Landes im Südwinter 1915 vom Eis eingeschlossen. Leider war ihr nicht ein so glückliches Schicksal beschieden, wie Filchners »Deutschland«, sondern ein ähnliches wie der schwedischen »Antarctic«. Für Shackletons Expedition begann eine mehrmonatige Drift, die sie erst an Bord der »Endurance«, dann nach ihrem Untergang in mehreren Camps auf Eisschollen verbrachten. Als auch die letzte Scholle zu unsicher wurde, versuchten sie schließlich, Paulet Island zu erreichen, um – einer Ironie des Schicksals folgend – das zwölf Jahre zuvor von Shackleton angeregte Lebensmitteldepot zu nutzen. Leider wurden sie durch die Drift zu weit abgetrieben, sodass die Gruppe letztendlich auf Elephant Island, der nördlichsten der South Shetland Islands landete.

Von dort aus holte der »Boss« mit fünf Kameraden auf dem einigermaßen hochseetüchtig gemachten Rettungsboot »James Caird« von der rund 1500 km entfernten Walfangstation Stromness auf Südgeorgien Hilfe. Aber erst im vierten Anlauf gelang es Shackleton, auf dem kleinen, von der chilenischen Regierung bereitwillig zur Verfügung gestellten Dampfer »Yelcho« die gesamte Weddellmeergruppe am 30. August 1916 abzuholen. Der stellvertretende Expeditionsleiter Frank Wild hatte es über viereinhalb Monate hinweg geschafft, bei seinen Kameraden die Hoffnung auf ihre Erlösung wachzuhalten. Zuletzt hatten sie nur noch Nahrung für maximal vier Tage. Auf dem Rückweg zur chilenischen Hafenstadt Punta Arenas an der Magellanstraße ließ Shackleton unterwegs in Río Seco anhalten, um den Gouverneur über die Rettung aller Expeditionsmitglieder zu informieren. Das hatte natürlich beabsichtigterweise zur Folge, dass bei ihrer Ankunft in Punta Arenas am 3. September 1916 die gesamte Bevölkerung auf den Beinen war, um ihnen einen unvergesslichen Empfang zu bereiten. Luis Pardo Villalón, Kapitän der »Yelcho«, wurde als »Piloto Pardo« zum Nationalhelden und 1966 mit einer Briefmarke geehrt. Außerdem wurde ihm zu Ehren von der chilenischen Antarktisexpedition 1987/88 auf Elephant Island seine Büste errichtet, die in dieser einsamen Gegend wie ein Grenzpfahl wirkt.

Das Lager der gestrandeten »Endurance«-Mannschaft lag rechts von der vorgelagerten Felsgruppe auf Elephant Island. (Foto: C. Lüdecke)

Ende der 1930er-Jahre wurde diese Rettungsaktion für Chile ein wichtiges geopolitisches Argument, als sich nun auf der Antarktischen Halbinsel argentinische, britische und chilenische Besitzansprüche überlagerten. Bis heute ist das sogenannte »ABC-Problem« ungelöst, aber im Rahmen des geltenden Antarktisvertrags sozusagen auf Eis gelegt.

Über das Schicksal der Rossmeergruppe war bei Shackletons Rettung nur bekannt, dass sich die »Aurora« während eines starken Blizzards, kurz nachdem die Rossmeergruppe zur Einrichtung der Überwinterungsstation an Land gegangen war, von ihrer Verankerung im Rossmeer losgerissen hatte. Dann driftete sie zehn Monate im Packeis langsam nach Norden und kam erst am 14. März 1916 wieder frei. Wegen der beschädigten Ruderanlage musste die »Aurora« zur Reparatur nach Neuseeland zurückkehren. Alle hofften, dass sich die zehn an Land verbliebenen Expeditionsmitglieder für die Überwinterung im Jahr 1915 notdürftig einrichten konnten. Allerdings hatte man es bei der Landung verabsäumt, neben den Kisten für die Lebensmitteldepots, die Shackleton die Reise vom Pol zum Rossmeer gewährleisten sollten, auch Vorräte für die Landgruppe auszuladen. Die »Aurora« lag einfach zu nah am Ufer, als dass man an solche Vorsichtsmaßnahmen gedacht hätte. Außerdem fehlten aus diesem Grund weitere Ausrüstungsgegenstände und Ersatzkleidung. Dennoch bemühte sich die Gruppe, Shackletons Auftrag zu erfüllen und legte zwischen 80° S und 83° S vier Depots an, die sie nicht einmal anrührten, obwohl sie selbst kaum noch etwas zu essen hatten. Erschwerend kam für sie hinzu, dass in dieser Region so schlechtes Wetter herrschte, wie es dort frühere Expeditionen nie erlebt hatten.

Die Rettung der Rossmeergruppe mit der wieder instand gesetzten »Aurora« war nun Shackletons oberstes Ziel. Von australischer Seite wurde ihm jedoch zu verstehen gegeben, dass seine Anwesenheit nicht vonnöten sei. Dies bedeutete insbesondere, dass er an Bord der »Aurora« nicht erwünscht war. Der Hintergrund war, dass Shackleton nach seiner Rettung wie jedes Mal nach einer Expedition große Schulden angehäuft hatte und man in Australien mit seinem undurchsichtigen Geschäftsgebaren nichts zu tun haben wollte. Auch trug es ihm sein australischer Expeditionskamerad von der »Nimrod«, der Geologe Edgeworth Davis, zu allem Überfluss nach, dass die wissenschaftlichen Ergebnisse dieser Expedition immer noch nicht veröffentlicht worden waren. So hatte sich der Expeditionsleiter selbst unwissentlich ins Aus manövriert. Als er schließlich doch nach Neuseeland reiste, um die »Aurora« für seine Leitung der Abholexpedition zu beanspruchen, traf er auch mit Davis zusammen. Dieser beschrieb seinen alten Expeditionsleiter als »gealtert, bitter, voller Ressentiments und voller Selbstmitleid«, der dem »Iren mit großer Überzeugungskraft, dem sich keiner entziehen konnte« in keinster Weise mehr glich (Huntford 1985, S. 631f). Dass die Welt zu Zeiten des Ersten Weltkriegs – als von deutschen Zeppelinen Bomben auf London und Südengland fielen und im Frühjahr 1916 die britische Flotte in der Seeschlacht bei Skagerrak der deutschen Flotte unterlegen war – andere Sorgen hatte als die Rettung von ein paar gestrandeten Männern in der Antarktis, war dem besorgten Expeditionsleiter nicht bewusst. Nachdem die Rossmeergruppe offenbar ohne ausreichende Finanzen ausgestattet war, hatten die britische, australische und neuseeländische Regierungen letztlich beschlossen, die Rettung auf ihre Kosten durchzuführen. Die australische Regierung wollte eigentlich schon die erste Ausfahrt der »Aurora« im Jahr 1915 nicht unterstützen, als sie für Shackletons Depotlegung aufbrach. Eine Untersuchung hatte nämlich aufgedeckt, dass die dortigen Vorbereitungen für die zweite Expeditionsgruppe unter »krimineller Inkompetenz und schludriger Organisation« litten (Huntford 1985, S. 633). Um jedoch Shackletons Durchquerung des Kontinents nicht zu gefährden, half die australische Regierung damals mit dem Nötigsten aus. Schließlich durfte Shackleton 1916 als zusätzlicher Offizier die Rettungsexpedition nach Süden begleiten. Er fühlte sich noch immer verantwortlich für seine Expeditionskameraden und wollte sie persönlich abholen. Noch war es ungewiss, ob alle die beiden Winter 1915 und 1916 überlebt hatten. Am Ende stellte sich heraus, dass während der bis zu 90 Tage dauernden Schlittenreisen für die Depotlegungen alle Beteiligten wegen des Mangels an geeigneten Lebensmitteln Skorbut bekommen hatten und einer der Männer tragischerweise kurz vor der Rückkehr zu ihrer Station auf Cape Evans daran gestorben war. Zwei weitere Männer hatten leichtsinnigerweise bei einem aufkommenden Schneesturm das noch viel zu dünne Meereis auf dem McMurdo Sound zwischen Hut Point, wo sie schon fast zwei Monate festgehalten wurden, und Cape Evans überqueren wollen und waren seitdem verschollen. Trotz der Verluste wurde Shackleton bei der Rückkehr mit den überlebenden Kameraden der Rossmeergruppe in Wellington von der Öffentlichkeit als Held gefeiert.

Frank Hurleys Filmaufnahmen der äußerst dramatischen Expedition kamen nach dem Ersten Weltkrieg als Stummfilm »South. Sir Ernest Shackleton’s Glorious Epic of the Antarctic« mit der Musikbegleitung von Neil Brand in die Kinos. Shackletons Expeditionsbericht »South« erschien 1919. Schon Anfang 1917 hatte er in Neuseeland und Australien in bewährter Manier dem Ghostwriter Saunders sein Buch diktiert, sich dann aber nicht mehr weiter darum gekümmert. Dieser Umstand erklärt nicht nur den uneinheitlichen Schreibstil, die Wiederholungen im Text und die vielen ergänzenden Zitate aus den Tagebüchern anderer Expeditionsteilnehmer, sondern auch die manchmal unterbrochene Chronologie der Ereignisse. So kam es auch, dass trotz der befohlenen Beschränkung der persönlichen Dinge auf ein Gewicht von zwei Kilo die von Shackleton veranlasste Mitnahme des Banjos unerwähnt blieb, obwohl die Musik sehr zum Wohlbefinden der gestrandeten Gruppe beitrug. Leonard Hussey, Meteorologe der Weddellmeergruppe, kümmerte sich schließlich um die Herausgabe des Buches. Shackletons Expeditionsbericht »South« wurde 2013 für die Edition Erdmann von Axel Monte erstmals vollständig übersetzt und mit Anmerkungen versehen.

SHACKLETON-ROWETT ANTARCTIC EXPEDITION (1921–1922)

Nachdem von 56 Mitgliedern beider Expeditionsgruppen insgesamt 53 »den weißen Krieg des Südens« überlebt hatten, meldeten sich die meisten für den Kriegseinsatz. Auch Shackleton wollte nicht zurückstehen. Weil er jedoch für den Waffeneinsatz schon zu alt war, wurde er nach Argentinien geschickt, wo er in Buenos Aires die Aufgabe hatte, britische Propaganda zu verbreiten. Nach fünf Monaten wurde er aus dem Süden abgezogen und als Offizier verantwortlich für Winterausrüstung und deren Transport zusammen mit seinen ehemaligen Kameraden von der »Endurance« Hussey, Alexander Macklin (Arzt) und Frank Worsley (Kapitän), sowie John Stenhouse (Erster Officer der »Aurora«) zu einem Expeditionskorps nach Murmansk in Russland geschickt.

Nach Kriegsende versuchte Shackleton, wie schon so oft erfolglos, durch verschiedene Geschäfte zu Geld zu kommen. Noch bevor er die Schulden der letzten Expedition beglichen hatte, zog es ihn noch ein letztes Mal in die Polarregion. Diesmal wollte er in der kanadischen Beaufort Sea nach neuen Ländern auf die Suche gehen. Der Kanadier Vilhjalmur Stefansson hatte dort von 1913 bis 1918 die letzte Arktisexpedition der heroischen Ära geleitet, bei der er am Rande der Beaufort Sea die Küsten der kanadischen Inselwelt im hohen Norden erforscht und dabei drei neue Inseln entdeckt hatte. Stefanssons Schiff »Karluk« wurde während seiner Abwesenheit wie die »Endurance« erst vom Eis eingeschlossen und schließlich zerdrückt, sodass auch sie versank. Von der fünfundzwanzigköpfigen Schiffsbesatzung starben acht Männer bei dem Versuch, über das aufgeworfene Packeis Land zu erreichen. Ein Mann beging angesichts der Ausweglosigkeit Selbstmord, und zwei weitere Männer erkrankten schwer und starben an Nahrungsmangel, als sie auf Wrangell Island ihrer erhofften Rettung völlig hilflos entgegenvegetierten. Unter den elf Toten stammten zwei von Shackletons »Nimrod«-Expedition. Für die Erfolg versprechende Fortsetzung von Stefanssons Forschungen hatte Shackleton die kanadische Regierung um Unterstützung seiner Expedition mit der »Quest« gebeten, die ihm jedoch nicht gewährt wurde. Erneut war er auf einen Sponsor angewiesen, den er diesmal in seinem ehemaligen Schulkameraden John Rowett fand, der es im Gegensatz zu ihm zu Geld gebracht hatte. Allerdings war nun schon zu viel Zeit verstrichen, sodass es für eine Expedition in die Arktis bereits zu spät im Jahr geworden war und Shackleton sich deshalb alternativ abermals der Südpolarregion zuwandte. Am 17. September 1921 brach er in Begleitung mehrerer früherer Expeditionskameraden, darunter Worsley, Wild, Hussey und Macklin, an Bord der »Quest« zu seiner letzten Expedition auf, die keine eigentliche Zielsetzung hatte. Er hatte zwar die Suche nach unentdeckten Inseln in der noch relativ unbekannten Enderbyregion östlich des Weddellmeeres erwähnt, aber eine Strategie für deren Auffindung gab er nicht bekannt.

An Bord zeigte sich, dass Shackleton, der zwischen den Expeditionen oft einen sehr ungesunden Lebenswandel aus einem Übermaß an Essen, Alkohol- und Tabakkonsum führte, offensichtlich krank war. In Rio de Janeiro hatte er einen starken Herzanfall, wollte sich aber auf keinen Fall von Macklin oder einem anderen Arzt untersuchen lassen. Unterwegs begann er wieder zu trinken, vielleicht um seine Schmerzen zu stillen. Schließlich erreichten sie ihr Etappenziel Südgeorgien. Einen Tag nach ihrer Ankunft hatte Shackleton erneut einen Herzanfall, an dem er noch am selben Tag, dem 5. Januar 1922, starb. Um ihn in der Heimat zu beerdigen, begleitete Hussey, der jetzt ohne sein großes Vorbild kein zweites Mal in die Antarktis fahren wollte, Shackletons Leiche auf einem schwimmenden Fabrikschiff der Walfänger von Südgeorgien nach England. Als Shackletons Frau Emily die Nachricht über den plötzlichen Tod ihres Mannes erhielt, bestimmte sie, dass ihr Mann auf Südgeorgien beerdigt werden sollte, da es ihn immer nach Süden gezogen habe. Außerdem hatten sie sich aufgrund seiner jahrelangen Abwesenheit und außerehelichen Beziehungen völlig auseinandergelebt. So kehrte Hussey nach einem Zwischenhalt in Montevideo mit dem Sarg nach Grytviken zurück, wo Shackleton am 5. März 1922 beerdigt wurde. Um die Tilgung der angehäuften Expeditionsschulden von rund £ 500 000 in heutiger Währung mussten sich nun andere kümmern.

Shackletons Grab auf dem Friedhof von Grytviken (Südgeorgien) (Foto: C. Lüdecke)

Unter Wilds Leitung wurde die Expedition fortgesetzt. Shackleton hatte zunächst vorgesehen, die kleine bei Waterboat Point in der Nähe der heutigen argentinischen Station Almirante Brown (Paradise Harbor) für ein Jahr abgesetzte Gruppe einer britischen Expedition zu retten. Nachdem die Wissenschaftler aber schon am 13. Januar 1922 von ihren Landsmännern abgeholt wurden, entfiel diese Aufgabe. Also blieb noch die Weiterreise über die South Sandwich Islands zum Weddellmeer. Der Versuch, im weiter östlich gelegenen Enderbyland Entdeckungen zu machen, schlug fehl, und die Expedition kehrte unverrichteter Dinge zurück.

Apsley Cherry-Garrard, der Scott auf seiner zweiten Expedition begleitet hatte, charakterisierte die herausragendsten Männer der Südpolarforschung folgendermaßen: »For a joint scientific and geographical piece of organization, give me Scott; for a winter journey, Wilson; for a dash to the pole and nothing else, Amundsen: and if I am in the devil of a hole and want to get out of it, give me Shackleton every time.« ( Apsley Cherry-Garrard, 1965, S. VIII). Dies bedeutet im übertragenen Sinn: »Für eine sowohl wissenschaftliche als auch geographische Organisation gebt mir Scott, für eine Winterreise gebt mir Wilson, für einen schnellen Vorstoß zum Pol und nichts anderes gebt mir Amundsen, und wenn ich in Teufels Küche bin und heraus will, gebt mir jedes Mal Shackleton.«

AUSKLANG

Rückblickend muss man feststellen, dass Shackleton keines seiner Ziele erreicht hatte. Während Scotts »Discovery«-Expedition litt er unter Kurzatmigkeit und Skorbut und wurde nach Hause geschickt. Während seiner eigenen »Nimrod«-Expedition musste er wegen Nahrungsmangels kurz vor dem Südpol den Rückmarsch beginnen. Anstatt die Antarktis zu durchqueren, wurde die »Endurance« vom Eis eingeschlossen, noch bevor sie ihren Ausgangspunkt an der Küste erreicht hatte. Von seiner letzten Expedition auf der »Quest« kehrte er nicht mehr zurück. Dennoch wurde Shackleton Ende des 20. Jahrhunderts zum Helden. Seine Fähigkeit zu führen, die insbesondere nach dem Untergang der »Endurance« zum Tragen kam, ist heutzutage bei Managern und Extremsportlern ein großes Vorbild. Dank seiner natürlichen Autorität brauchte er sich nicht an die übliche Befehlsstruktur an Bord eines Schiffes zu halten, sondern kommunizierte mit Expeditionskameraden und Schiffsmannschaften auf gleicher Ebene. Für ihn gab es keinen Standesunterschied, denn jede einzelne Person war für ihn ein gleich wichtiger Mosaikstein für den Erfolg seiner Expedition. Weil er sich um das Wohlbefinden eines jeden kümmerte, konnte er starke Bindungen aufbauen, sodass jeder sein Bestes zum Wohl der gesamten Gruppe gab. Als die »Endurance« unterging, hieß das Ziel nicht mehr Durchquerung, sondern Rettung. Shackleton gelang es erfolgreich, die Motivation seiner Begleiter völlig neu auszurichten und auf Durchhalten einzustellen, indem er versprach, ganz sicher Hilfe zu holen. Alle glaubten daran und wurden auch nicht enttäuscht.

Obwohl seine Expeditionen als Fehlschläge gezählt werden, bereitete Shackleton durch sie für andere den Weg zum Erfolg. Scott nutzte den von ihm entdeckten Aufstieg über den Beardmore-Gletscher, um über das Plateau des Inlandeises zum Südpol zu gelangen. Die erste Durchquerung der Antarktis fand während des Internationalen Geophysikalischen Jahres (1957–1958) statt. Die Commonwealth Trans-Antarctic Expedition unter der Leitung von Vivian Fuchs errichtete zunächst in Filchners Vahselbucht eine Basisstation mit dem Namen »Shackleton«, auf der acht Männer überwinterten, um wissenschaftliche Messungen durchzuführen. Im zweiten Jahr folgten zwei weitere Gruppen, von der die erste rund 500 km landeinwärts die vorgeschobene Station »South Ice« mit drei Männern besetzte, während die zweite Gruppe unter der Leitung des Mt. Everest Erstbesteigers Edmund Hillary die Aufgabe hatte, von Neuseeland aus am McMurdo-Sund im Rossmeer einen zweiten Stützpunkt einzurichten und im folgenden Jahr für die Raupenschlepper eine fahrbare Trasse auf das Plateau im Innern der Antarktis zu suchen. Unterwegs sollte sie für die Durchquerungs-gruppe Depots anlegen. Gleichzeitig begann Fuchs seine Traverse und querte innerhalb von 99 Tagen den antarktischen Kontinent vom Weddellmeer über den Südpol bis zum Rossmeer und führte auf der rund 3300 km langen Strecke regelmäßig seismische Eisdickenmessungen und andere wissenschaftliche Untersuchungen durch.

Als die erste und bis 2013 einzige reine Frauenmannschaft die Saison 1989–1990 in der deutschen »Georg-von-Neumayer-Station« auf dem Ekströmschelfeis nordöstlich des Weddellmeers verbrachte, durchquerte der Bergsteiger Reinhold Messner zusammen mit Arved Fuchs, dem Leiter vieler Schiffsexpeditionen in die Polargebiete, erstmals den eisigen Kontinent mit selbst gezogenen Schlitten vom Filchner Eisschelf über 2800 km bis nach Ross Island. Sie brauchten dafür 92 Tage. Gleichzeitig benötigte die International Transantarctica Expedition unter der Leitung von William Steger und Jean-Louis Étienne für die längste Erstreckung des Kontinents von den Seal Nunataks im Norden der Antarktischen Halbinsel bis zur russischen Station Mirny an der Küste des Pazifischen Ozeans auf Hundeschlitten für etwa 6400 km insgesamt 220 Tage. Beide Expeditionen wurden von der Luft aus mit Nachschub versorgt.

Die »James Caird« wurde nach Rückkehr der Expedition dem Dulwich College in London übergeben, wo Shackleton zur Schule gegangen war. Von dort aus ist sie später mehrfach für Ausstellungen auf Reisen gegangen, unter anderem auch nach Bonn, wo sie im Rahmen der Ausstellung »Arktis Antarktis« in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland vom 19. Dezember 1997–19. April 1998 zu sehen war.

Um Shackletons epische Reise von Elephant Island nach Südgeorgien nachzuvollziehen, ließ Arved Fuchs für seine Expedition »Shackleton 2000« die »James Caird« originalgetreu als »James Caird II« nachbauen. Allerdings wurden gemäß den behördlichen Auflagen zusätzlich moderne Navigations- und Kommunikationsmittel eingebaut. Nachdem Südgeorgien glücklich erreicht wurde, überquerte die Gruppe – wie zuvor auch Shackleton – mit zwei Begleitern die Gletscher und das Eisplateau im Inland Südgeorgiens, um die schon lange aufgelassene ehemalige Walfangstation Stromness zu erreichen. Die »James Caird II« kehrte nach Deutschland zurück und wurde im Rahmen der Langen Nacht der Museen am 5. Mai 2007 dem Internationalen Maritimen Museum Hamburg am Kaispeicher B (Koreastraße 1) übergeben, wo sie in die Ausstellung aufgenommen wurde.

Heute erinnern sieben Ortsnamen in der Antarktis (Shackleton Coast, Shackleton Glacier, Shackleton Icefalls, Shackleton Ice Shelf, Shackleton Inlet, Shackleton Mount und Shackleton Range) und zwei auf Südgeorgien (Shackleton Gap, Shackleton Valley) an den letzten Helden der heroischen Ära der Südpolarforschung. Schließlich wurde 1932 Shackletons Statue an der Fassade des Gebäudes der Royal Geographical Society in London enthüllt.

Cornelia Lüdecke

VORWORT

Nach der Eroberung des Südpols durch Amundsen, der nur ein paar Tage Vorsprung vor der britischen Expedition unter Scott hatte, blieb den Polarforschern nur noch eine große Herausforderung übrig: die Durchquerung des antarktischen Kontinents von Küste zu Küste.

Als ich von der Expedition mit der Nimrod wiederkehrte, bei der wir unseren Versuch abbrechen mussten, am Südpol die britische Flagge zu hissen, neunundsiebzig Meilen1 vor unserem Ziel von widrigen Umständen zurückgeschlagen, wandte ich mich in Gedanken der Durchquerung des Kontinents zu, denn ich konnte mir sicher sein, dass entweder Amundsen oder Scott den Pol auf unserer oder einer parallelen Route erreichen würde. Nachdem ich vom Erfolg der Norweger gehört hatte, begann ich mit den Vorbereitungen für eine letzte große Fahrt – damit die erste Durchquerung des letzten unerforschten Kontinents von einer britischen Expedition geleistet würde.

Wir haben dieses Ziel nicht erreicht, aber die folgenden Seiten erzählen die Geschichte unseres Versuchs. Auch wenn das eigentliche Vorhaben gescheitert ist, berichtet dieses Buch von Abenteuern, anstrengenden Tagen, einsamen Nächten, ungewöhnlichen Erfahrungen und vor allem von unbeirrbarer Entschlossenheit, unverbrüchlicher Treue und selbstloser Opferbereitschaft vonseiten meiner Männer – Berichte, die, so meine ich, sogar in diesen Zeiten, die große Opfer ganzer Völker und selbstloses Handeln Einzelner gesehen hat, von Interesse sein werden für den Leser, der sich jetzt bereitwillig vom roten Schrecken des Kriegs und den Belastungen der letzten fünf Jahre abwendet, um vielleicht mit besserem Verständnis vom »Weißen Krieg« im Süden zu lesen. Die Kämpfe, die Enttäuschungen und das Durchhaltevermögen dieser kleinen Gruppe von Briten, die beinahe zwei Jahre in den Einöden des Polareises verschollen waren und sich bemühten, die gestellte Aufgabe zu erfüllen und die Krise, die die Welt durchlebte, nicht mitbekamen, künden von einer Leistung, die in der Geschichte der Erforschung der Antarktis einzigartig dasteht.

Durch den Verlust der Endurance und die Katastrophe mit der Aurora sind bestimmte Dokumente, die hauptsächlich die Organisation und Vorbereitung der Expedition betreffen, verloren gegangen. Ich hatte jedoch ohnehin nicht die Absicht, einen detaillierten Bericht über Vorbereitungen, Proviant und andere notwendige, für den Leser aber belanglose Angelegenheiten zu geben, da alle Bücher über die Antarktisexpeditionen seit Beginn des Jahrhunderts diese Dinge ausführlich behandelt haben. Daher werde ich nur kurz die Anfänge und die Organisation schildern und hier eine Abschrift des Programms einfügen, das ich angefertigt habe, um die öffentliche Aufmerksamkeit für die Expedition zu wecken:

»DIE TRANSKONTINENTALGRUPPE«

Die erste Durchquerung des antarktischen Kontinents von Küste zu Küste über den Südpol wird, abgesehen von ihrer historischen Bedeutung, auch eine Expedition von großem wissenschaftlichem Wert sein.

Die Strecke wird etwa 1800 Meilen betragen und auf ihrer ersten Hälfte vom Weddellmeer2 bis zum Pol durch unbekanntes Gebiet führen. Jeder Schritt wird der Geographie neue wissenschaftliche Erkenntnisse bringen. Es wird sich herausstellen, ob die Kette des Viktoriagebirges, die vom Rossmeer bis zum Pol bekannt ist, sich über den gesamten Kontinent erstreckt und somit (nur vom Ozean unterbrochen) an die Anden in Südamerika anschließt, und ob das große Plateau um den Pol herum langsam zum Weddellmeer hin abfällt.

Unterwegs werden ständig magnetische Messungen vorgenommen. Die Route wird über den magnetischen Pol führen und die Bestimmung der Inklination3 der Magnetnadel wird von praktischer Bedeutung sein. Die meteorologischen Bedingungen werden sorgfältig aufgezeichnet, was zur Klärung vieler Wetterphänomene beitragen kann.

Der Glaziologe und der Geologe werden die Eisformationen und die Natur der Bergwelt untersuchen, ihr Bericht wird von großem wissenschaftlichem Interesse sein.

DIE WISSENSCHAFTLICHE ARBEIT DER ANDEREN GRUPPEN

Während die Transkontinentalgruppe unter britischer Flagge die größte je unternommene Polarexpedition durchführt, werden sich die anderen Gruppen mit wichtigen wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigen.

Zwei mit Schlitten ausgerüstete Gruppen werden vom Basislager am Weddellmeer aus operieren. Eine wird westwärts Richtung Grahamland vordringen, um Beobachtungen zu machen, Gesteinsproben zu sammeln und herauszufinden, ob es dort Berge gibt, die mit denen auf der anderen Seite des Pols verbunden sind.

Eine andere Gruppe wird ostwärts Richtung Enderbyland aufbrechen und ein ähnliches Programm absolvieren. Eine dritte Gruppe bleibt im Basislager, um die Fauna von Land und Meer und die meteorologischen Verhältnisse zu untersuchen.

Vom Basislager am Rossmeer auf der anderen Seite des Pols wird eine weitere Gruppe südwärts vorrücken und versuchen, oben auf dem Beardmore-Gletscher am Mount Buckley, wo die ersten Kohlenflöze in der Antarktis entdeckt wurden, die Ankunft der Transkontinentalgruppe zu erwarten. Dieses Gebiet ist von großer Bedeutung für den Geologen, der aus den Felsen einiges aus der Geschichte der Antarktis ablesen kann.

Beide Schiffe der Expedition werden zum Auswerfen von Netzen, für Lotungen und jegliche Art von hydrografischer Arbeit ausgerüstet sein. Das Schiff im Weddellmeer wird versuchen, die unbekannte Küstenlinie des Grahamlands zu kartografieren. Von den Wissenschaftlern beider Schiffsbesatzungen sind bedeutende Erkenntnisse zu erwarten.

Die verschiedenen Gruppen an Land und die beiden Schiffe werden also geografische und wissenschaftliche Arbeiten durchführen, wie sie in einem solchen Umfang nie zuvor von einer Polarexpedition geleistet wurden.

Zum ersten Mal wird das Weddellmeer als Basislager für Erkundungsfahrten dienen und alle Expeditionsgruppen werden große Flächen bisher unbekannter Gebiete erschließen. Es ist nur folgerichtig, dass dieses Vorhaben unter britischer Flagge ausgeführt wird, da das gesamte Gebiet südwärts zum Pol britisches Territorium ist. Im Juli 1908 wurde in einem königlichen Schreiben mit Staatssiegel erklärt, dass der Gouverneur der Falklandinseln auch der Gouverneur von Grahamland (das westlich des Weddellmeeres liegt) sein soll. Ein anderer Abschnitt der gleichen Erklärung definiert die Lage des britischen Territoriums ›im Südatlantik zwischen dem 20. und 80. westlichen Längengrad und südlich des 50. Breitengrads‹. Ein Blick auf die Karte zeigt, dass die Expedition innerhalb dieses Gebiets durchgeführt werden wird.

DIE DURCHQUERUNG DES KONTINENTS

Das Schiff zum Weddellmeer wird mit allen Expeditionsteilnehmern, die vom dortigen Basislager aus operieren, im Oktober 1914 Buenos Aires verlassen und versuchen, im November am 78. Grad südlicher Länge anzulanden.

Gelingt dies, wird sich die Transkontinentalgruppe sofort auf ihre 1800 Meilen lange Reise begeben, in der Hoffnung, den Marsch über den Pol bis zum Lager am Rossmeer in fünf Monaten zu bewältigen. Sollte die Landung zu spät im Jahr erfolgen, wird diese Gruppe ihr Winterquartier beziehen, Vorratslager für den Herbst und Frühling anlegen und 1915 so früh wie möglich aufbrechen.

Die Transkontinentalgruppe wird von Sir Ernest Shackleton angeführt und aus sechs Männern bestehen. Sie wird einhundert Hunde mit Schlitten und zwei Motorschlitten mit Luftpropellern mit sich führen. Die Ausrüstung wird alles enthalten, was die Erfahrung des Expeditionsleiters und seine fachkundigen Berater für nötig halten. Wenn diese Gruppe nach einer 800 Meilen langen unerforschten Strecke das Gebiet des Pols erreicht hat, wird sie nordwärts zum Gipfel des Beardmore-Gletschers vorstoßen, wo sie auf die von dem Rossmeer kommende Gruppe zu treffen hofft. Beide Gruppen werden dann gemeinsam zum Basislager am Rossmeer zurückkehren, wo die vorige Expedition ihr Winterquartier aufgeschlagen hatte.

Insgesamt wird die Endurance vierzehn Männer zum Weddellmeer bringen. Sechs davon begeben sich auf die Durchquerung des Kontinents, drei werden nach Westen, drei nach Osten vordringen, und zwei bleiben in der Station, um die zuvor skizzierten Arbeiten durchzuführen.

Die Aurora wird sechs Männer zum Basislager am Rossmeer bringen. Sie werden auf der Route der Transkontinentalgruppe Depots anlegen und ihr zu ihrer Unterstützung entgegenmarschieren sowie die erwähnten geologischen und anderen Beobachtungen vornehmen.

Sollte die Transkontinentalgruppe wie erhofft die Durchquerung im ersten Anlauf schaffen, kann ihre Rückkehr in die Zivilisation für den April 1915 erwartet werden. Die anderen Abteilungen folgen im April 1916.

DIE EXPEDITIONSSCHIFFE

Die beiden Schiffe für die Expedition sind bereits ausgewählt. Die Endurance wird die Transkontinentalgruppe zum Weddellmeer bringen und anschließend eine unbekannte Küste erkunden. Sie ist ein neues Schiff, das unter der Anleitung eines Komitees von Polarforschern eigens für antarktische Verhältnisse entworfen worden ist. Sie wurde am Sandfjord bei Christensen gebaut, dem berühmten norwegischen Konstrukteur von Schiffen für die Robbenjagd. Sie ist als Barkentine4 getakelt und verfügt über eine Dreifach-Expansionsmaschine5, mit der sie unter Dampf eine Geschwindigkeit von neun bis zehn Knoten6 erreicht. Um eine größere Reichweite auf See zu ermöglichen, wird die Endurance sowohl Öl wie Kohle als Treibstoff mitführen. Sie hat eine Größe von etwa 350 Tonnen7 und ist aus ausgewähltem Pinien-, Eichen- und Grünherzholz gebaut. Dieses hervorragende Schiff hat die Expedition samt Ausrüstung 14 000 Pfund gekostet.

Die Aurora wird die andere Gruppe zum Rossmeer bringen und wurde von Dr. Mawson8 erworben. Sie gleicht in allen Belangen der Terra Nova von Captain Scotts letzter Expedition. Die Regierungsbehörden in Australien haben weitreichende Umbauten am Schiff veranlasst, um sie für Dr. Mawsons Expedition tauglich zu machen. Die Aurora liegt derzeit in Hobart in Tasmanien, wo die Rossmeergruppe im nächsten Oktober an Bord gehen wird.«

Ich hatte bereits Mitte 1913 mit den Vorbereitungen begonnen, jedoch vor dem 13. Januar 1914 keine öffentliche Ankündigung der Expedition herausgegeben. Die sechs Monate zuvor war ich mit den notwendigen Planungen beschäftigt, mühevolle Kleinarbeit, die für die Öffentlichkeit uninteressant war, aber lebensnotwendig für eine Expedition, die auf beiden Seiten des Kontinents ein Schiff liegen und eine Reise von 1800 Meilen vor sich hat, die ersten neunhundert davon zudem durch gänzlich unbekannte Landstriche.

Am 1. Januar 1914 habe ich dann nach Zusage einer finanziellen Unterstützung, die eine Ankündigung der Expedition vertretbar erscheinen ließ, die Angelegenheit öffentlich gemacht.

Sofort kam eine Flut von Bewerbungen von Leuten aus allen Schichten der Gesellschaft, die an dem Abenteuer teilnehmen wollten. Ich erhielt beinahe fünftausend Anfragen, aus denen ich sechsundfünfzig Männer auswählte.

Im März blieb zu meiner großen Enttäuschung und Sorge die zugesagte finanzielle Unterstützung aus, und ich sah mich mit der Situation konfrontiert, Verträge für Schiff und Ausrüstung unterzeichnet und eine Besatzung angeheuert zu haben, ohne über die Mittel zu verfügen, diesen Verpflichtungen nachzukommen. Sofort suchte ich neue Geldgeber und stieß überall auf großzügiges Entgegenkommen. Ich kann hier unmöglich die Namen aller nennen, die meinem Aufruf nachgekommen sind, doch will ich die Gelegenheit ergreifen, allen für ihre Beiträge zu danken, die sogar aus so weit entfernten Gegenden wie China, Japan, Neuseeland und Australien eintrafen. Besonders erwähnen möchte ich die großzügige Zuwendung von 24 000 Pfund des verstorbenen Sir James Caird und die 10 000 Pfund der britischen Regierung. Zu Dank verpflichtet bin ich auch Mr. Dudley Docker, der mir ermöglicht hat, den Kauf der Endurance abzuwickeln, und Miss Elizabeth Dawson Lambton, die seit 1901 eine zuverlässige Mäzenin der Antarktisforschung ist und auch bei dieser Gelegenheit reichlich Unterstützung gewährte. Die Royal Geographical Society spendete 1000 Pfund, und nicht zuletzt möchte ich mich ganz herzlich bei Dame Janet Stancomb Wills bedanken, deren Freigebigkeit es möglich gemacht hat, die Endurance mit allem Nötigen auszurüsten, besonders mit Booten (die uns letztlich gerettet haben), und die nicht nur zu Anfang der Expedition finanzielle Unterstützung geleistet hat, sondern auch in den schweren Zeiten, als wir vermisst wurden und Mittel erforderlich waren, um die Bedürfnisse aller an der Expedition Beteiligten zufriedenzustellen.

Das einzige Privileg, das ein Forschungsreisender als Gegenleistung bieten kann, um sich für die empfangene Hilfe erkenntlich zu zeigen, besteht darin, die entdeckten Landstriche nach jenen zu benennen, denen die Expedition ihr Zustandekommen verdankt.

Aufgrund der dringenden Erfordernisse des Kriegs hat sich die Veröffentlichung dieses Buchs lange hinausgezögert, und die genauen Karten werden in den wissenschaftlichen Monografien Platz finden. Ich habe die Ehre, in den neuen Gebieten die oben genannten Namen und die weiterer großzügiger Förderer der Expedition einzutragen. Die zweihundert Meilen der neuen Küstenlinie heißen Cairdküste. Zudem habe ich, als eine eher persönliche Geste, die drei Beiboote, in denen wir am Ende dem Griff des Eises entkamen, nach den Hauptfinanziers der Expedition benannt: die James Caird, die Stancomb Wills und die Dudley Docker. Die beiden Letztgenannten liegen noch immer auf der verlassenen sandigen Landzunge von Elephant Island, wo zweiundzwanzig meiner Kameraden in ihrem Schutz viereinhalb Monate um ihr nacktes Leben kämpften.

Die James Caird befindet sich jetzt in Liverpool. Sie wurde nach ihrer abenteuerlichen Fahrt durch antarktische Gewässer aus Südgeorgien wieder in die Heimat überführt.

Die meisten öffentlichen Schulen Englands und Schottlands haben der Expedition geholfen, die Hundegespanne zu erwerben, so habe ich nach jeder Schule einen Hund benannt. Abgesehen von diesen besonderen Spenden möchte ich erneut all den vielen anderen Menschen danken, die uns geholfen haben.

So schritten nun die Ausrüstung und die Organisation voran. Ich kaufte die Aurora von Sir Douglas Mawson und arrangierte für Mackintosh eine Reise nach Australien, um sie zu übernehmen. Wir schickten von hier Schlitten, Ausrüstung und die meisten Vorräte dorthin, wohingegen wir bei der Kohle und bestimmten anderen Notwendigkeiten ein wenig auf die Sympathie und Hilfe Australiens und Neuseelands angewiesen waren, wohl wissend, dass diese beiden Länder schon zuvor die Erforschung dessen, was man ihr Hinterland nennen könnte, stets freigebig unterstützt hatten.

Gegen Ende Juli war alles bereit, als plötzlich dunkle Kriegswolken über Europa aufzogen.

Es war vorgesehen, dass die Endurance nach Cowes segeln sollte, um von Seiner Majestät9 am Montag der Cowes Week10 inspiziert zu werden. Doch am Freitag erhielt ich die Nachricht, der König werde nicht nach Cowes kommen. Meine Leser werden sich erinnern, wie plötzlich die Kriegsgefahr heraufzog. Natürlich waren sowohl meine Kameraden als auch ich höchst beunruhigt, wie sich diese Gefahr für den Weltfrieden wohl auswirken würde.

Am Freitag, dem 1. August 1914 segelten wir von London los und gingen am Samstag bei Southend vor Anker. Am Sonntagnachmittag versetzte ich das Schiff nach Margate, und während immer schlimmere Gerüchte kursierten, nahm unsere Besorgnis stündlich zu. Montagmorgen ging ich an Land und las in der Morgenzeitung den Befehl zur Generalmobilmachung.

Sofort ging ich an Bord, ließ die gesamte Besatzung antreten und erklärte, ich wolle ein Telegramm an die Admiralität senden und darin dem Land im Falle eines Kriegsausbruchs Schiff, Ausrüstung und – wenn sie einverstanden wären – unsere Dienste anbieten. Alle stimmten ohne Zögern zu, und ich schickte ein Telegramm, mit dem ich der Admiralität alles zur Verfügung stellte. Wir baten nur darum, die Expedition im Falle einer Kriegserklärung als eine Einheit zu betrachten, um sie nicht auseinanderzureißen. Es gab unter uns genügend ausgebildete und erfahrene Leute, um einen Zerstörer zu bemannen. Binnen einer Stunde kabelte die Admiralität lakonisch zurück: »Weitermachen.« Binnen zweier Stunden kam ein längeres Telegramm von Mr. Winston Churchill, in dem er für unser Angebot dankte und mitteilte, die Behörden wünschten, dass die Expedition, die die volle Zustimmung und Unterstützung der Scientific und Geographical Societies hätte, fortgeführt werde.

Also segelte die Endurance gemäß dieser eindeutigen Anweisungen nach Plymouth. Am Dienstag bestellte mich der König zu sich und übergab mir den Union Jack für die Expedition. Noch am selben Tag brach um Mitternacht der Krieg aus. Am folgenden Samstag, dem 8. August, stach die Endurance von Plymouth aus auf direkten Befehl der Admiralität in See. Ich gehe deshalb so ausführlich auf diese Phase der Expedition ein, weil es kritische Stimmen gab, dass die Expedition zu diesem Zeitpunkt das Land verließ. In Hinblick darauf möchte ich noch hinzufügen, dass die Vorbereitungen der Expedition sich über ein ganzes Jahr hingezogen hatten und große Summen Geld ausgegeben worden waren. Wir boten an, die Expedition abzubrechen, ohne auch nur bei unseren Finanziers nachzufragen, und kaum jemand ahnte, dass der Krieg fünf Jahre lang dauern und die ganze Welt hineinziehen würde. Die Expedition begab sich nicht auf eine friedliche Kreuzfahrt zu den Südseeinseln, sondern auf eine höchst gefahrvolle, schwierige und mühselige Unternehmung, bei der fast unweigerlich mit einem gewissen Verlust an Menschenleben zu rechnen war. Und abschließend sei gesagt, dass praktisch alle Teilnehmer der Expedition, die unversehrt aus den Gefahren der Antarktis zurückgekehrt waren, ihren Platz auf dem Schlachtfeld einnahmen, und der Anteil der Gefallenen unter ihnen ist hoch.

Die Überfahrt nach Buenos Aires verlief ohne Zwischenfälle. Am 26. Oktober segelten wir von dort weiter nach Südgeorgien, den südlichsten Außenposten des britischen Empires. Hier waren wir einen Monat lang mit abschließenden Vorbereitungen beschäftigt. Vom Krieg hörten wir zum letzten Mal, als wir Buenos Aires verließen. Da rollte gerade die russische Dampfwalze heran. Viele meinten, der Krieg würde innerhalb von sechs Monaten zu Ende sein. Und so brachen wir auf, nicht ohne Bedauern, dass wir nicht dort unsere Plätze einnehmen konnten, doch in der Gewissheit, dass wir an einem entbehrungsreichen Feldzug zur Ehre unseres Landes teilnahmen.

Neben den Privatleuten und Gesellschaften möchte ich hier in großer Dankbarkeit die Unterstützung erwähnen, die seitens der Regierungen Neuseelands und Australiens zu Beginn der Rossmeer-expedition gewährt wurde. Den Menschen in Neuseeland und ihrer Regierung gebührt mein größter Dank für ihre fortwährende Hilfe, die während der dunklen Tage vor der Errettung der Rossmeergruppe von unschätzbarem Wert gewesen war.

Bei Mr. James Allen (stellvertretender Premier), dem verstorbenen Mr. McNab (Marineminister), Mr. Leonard Tripp, Mr. Mabin, Mr. Toogood und vielen anderen stehe ich in einer Schuld, die nie beglichen werden kann.

Dies ist für mich auch die Gelegenheit, der Regierung von Uruguay für ihre großzügige Unterstützung zu danken, als sie den Regierungstrawler Instituto de Pesca für den zweiten Rettungsversuch meiner Männer auf Elephant Island zur Verfügung stellte.

Schließlich war es die chilenische Regierung, die direkt für die Rettung meiner Kameraden verantwortlich war. Diese Republik im Süden zeigte sich unermüdlich in ihren Bemühungen, eine erfolgreiche Rettung durchzuführen. Ihnen gilt die Dankbarkeit unserer gesamten Expedition. Besonders erwähnen möchte ich die teilnahmsvolle Haltung von Admiral Muñoz Hurtado, dem Oberbefehlshaber der chilenischen Marine, und Kapitän Luis Pardo, den Kommandanten der Yelcho auf unserer letzten und erfolgreichen Bergungsfahrt.

Sir Daniel Gooch begleitete uns bis Südgeorgien. Ihm gebührt mein besonderer Dank für seine Hilfe mit den Hunden. Wir alle haben seine fröhliche Gesellschaft vermisst, als wir Richtung Süden segelten.

Ernest Henry Shackleton

1Meilen: Die englische Meile beträgt 1,609 km, die nautische Meile (Seemeile) 1,852 km.

2Weddellmeer: Die deutsche Schreibweise der Toponyme orientiert sich an Karten der National Geographic Society.

3Inklination: Durch die vertikale Anziehungskraft des Erdmagnetfelds verursachte Neigung der Kompassnadel, kann zu fehlerhaften Anzeigen der Himmelsrichtung führen.

4Barkentine: Dreimaster, der Merkmale von Schoner und Bark vereint (daher zuweilen auch »Schonerbark« genannt). Der Fockmast ist wie bei einer Bark rahgetakelt, die beiden hinteren Masten tragen die Schratsegel eines Schoners.

5Dreifach-Expansionsmaschine: Dampfmaschine, deren Wirkungsgrad durch die Expansion des einströmenden Dampfes erhöht wird. Bei Mehrfach-Expansionsdampfmaschinen sind mehrere Zylinder zu einer Verbunddampfmaschine hintereinander gereiht.

6Knoten: Die Geschwindigkeit von einem Knoten entspricht 1 Seemeile (1,852 km) pro Stunde.

7Tonnen: Einheit zur Bezeichnung von Schiffsgrößen, die je nach Berechnungsart unterschiedlich ausfallen kann.

8Sir Douglas Mawson, 1882–1958, australischer Geologe und Antarktisforscher. Hatte unter Shackleton an der »Nimrod«-Expedition (1907–09) teilgenommen.

9Seiner Majestät: George V., regierte von 1910–1936, pflegte eine Leidenschaft für den Segelsport, nahm selbst aktiv an Regatten – auch der Cowes Week – teil. Auf seinen Wunsch hin wurde seine Segelyacht nach seinem Tod vor der Isle of Wight von einem Kriegsschiff versenkt.

10Cowes Week: Segelregatta, die seit 1826 jährlich im August ausgetragen wird; benannt nach der Hafenstadt Cowes auf der Isle of Wight.

KAPITEL 1

Ins Weddellmeer

Ich beschloss, Südgeorgien um den 5. Dezember herum zu verlassen, und ging bis dahin als letzte Vorbereitung nochmals die Pläne für die Fahrt zu den Winterquartieren durch. Welch einen Empfang würde uns das Weddellmeer bereiten? Die Kapitäne der Walfänger in Südgeorgien gaben mir bereitwillig Auskunft über die Gewässer, in denen sie ihrem Gewerbe nachgingen. Sie bestätigten zuvor erlangte Informationen über die extrem schwierigen Eisverhältnisse in diesem Teil der Antarktis und gaben zudem noch weitere wertvolle Ratschläge.

Es scheint angebracht, hier kurz die Überlegungen wiederzugeben, die mich zu diesem Zeitpunkt und in den folgenden Wochen beschäftigten. Ich wusste, dass das Eis in diesem Jahr weit nach Norden vorgedrungen war, und entschied, nachdem ich die Ratschläge der Walfangkapitäne eingeholt hatte, die Südlichen Sandwichinseln anzusteuern, Süd-Thule zu umfahren und uns bis zum 15. Grad westlicher Länge ostwärts vorzuarbeiten, bevor wir Richtung Süden stießen. Die Walfänger betonten, wie schwierig es sei, bei den Südlichen Sandwichinseln durch das Eis zu kommen. Sie berichteten, dass sie selbst im Sommer Eisschollen bei den Inseln gesichtet hätten, und vermuteten, die Expedition müsse sich durch dichtes Packeis kämpfen, um ins Weddellmeer zu gelangen. Die beste Zeit für eine Fahrt ins Weddellmeer sei Ende Februar oder Anfang März. Die Walfänger hatten die Südlichen Sandwichinseln umfahren und waren mit den Bedingungen dort vertraut. Ihre Vorhersagen veranlassten mich, eine Deckladung Kohle zu übernehmen, denn wenn wir uns mühsam unseren Weg zum Coatsland bahnen mussten, würden wir jede Tonne Brennstoff brauchen, die das Schiff tragen konnte.

Ich hoffte, das Vordringen bis zum 15. westlichen Längengrad werde uns ermöglichen, durch dünneres Eis in den Süden zu gelangen, Coatsland anzusteuern und letztlich die Vahselbucht zu erreichen, wo Filchner11 1912 seinen Landungsversuch unternahm. Zwei Überlegungen gingen mir bei diesem Stand der Dinge durch den Kopf. Ich war aus bestimmten Gründen bestrebt, die Endurance im Weddellmeer überwintern zu lassen, aber es konnte sehr schwierig werden, einen sicheren Hafen zu finden. Ließ sich kein sicherer Hafen finden, müsste das Schiff in Südgeorgien überwintern. Es schien mir jetzt kaum Hoffnung, die Querung des Kontinents in diesem ersten Sommer durchführen zu können, da die Jahreszeit bereits weit vorangeschritten war und die Eisbedingungen sich wahrscheinlich als ungünstig erweisen würden. In Hinblick auf die Möglichkeit, mit dem Schiff im Eis zu überwintern, besorgten wir uns aus den Lagern der verschiedenen Stationen in Südgeorgien noch zusätzliche Kleidung.

Die andere Frage, die mir Kopfzerbrechen bereitete, betraf die Größe der Gruppe, die an Land gehen sollte. Wenn das Schiff während des Winters ausfahren müsste oder vom Winterquartier weggetrieben würde, wäre es von Vorteil, eine kleinere, sorgfältig ausgesuchte Gruppe von Männern an Land zu haben, nachdem die Schutzhütten gebaut und die Vorräte verstaut waren. Diese Männer könnten bereits aus eigener Kraft Depots anlegen und kurze Touren mit den Hunden unternehmen, um mit ihnen für den langen ersten Marsch im nächsten Frühjahr zu üben. Die Mehrzahl der Wissenschaftler würde an Bord bleiben, wo sie ihre Arbeiten unter guten Bedingungen durchführen könnten. Sie wären bei Bedarf in der Lage, kurze Ausflüge zu unternehmen, mit der Endurance als Station. All diese Pläne gründeten auf der Annahme, dass es wahrscheinlich schwierig werden würde, ein Winterquartier zu finden. Wenn sich auf dem Festland ein wirklich sicheres Basislager errichten ließe, würde ich an dem ursprünglichen Plan festhalten, eine Gruppe Richtung Süden zu senden, eine Richtung Westen, um die Bucht des Weddellmeeres herum zum Grahamland, und eine Richtung Osten zum Enderbyland.

Wir hatten alle Einzelheiten ausgearbeitet, was Entfernungen, Routen, notwendige Vorräte und so weiter betraf. Der Proviant für die Schlitten war perfekt eingeteilt, ein Ergebnis sowohl aus Erfahrungen als auch genauester Untersuchungen. Die Hunde ließen hoffen, nach etwas Übung mit beladenem Schlitten täglich etwa fünfzehn bis zwanzig Meilen zurücklegen zu können. Bei diesem Tempo könnte die Durchquerung des Kontinents innerhalb von hundertundzwanzig Tagen bewältigt werden, falls nichts Unvorhergesehenes dazwischenkam. Wir warteten ungeduldig auf den Tag, an dem wir diesen Marsch antreten konnten, dieses letzte große Abenteuer in der Geschichte der Erforschung des Südpols, doch das Wissen um die Schwierigkeiten, die zwischen uns und unserem Ausgangspunkt lagen, halfen, unsere Ungeduld im Zaum zu halten. Alles hing von der Landung ab. Wenn es uns gelänge, an Filchners Station anzulanden, gab es keinen Grund, warum ein Trupp erfahrener Männer dort nicht in Sicherheit überwintern können sollte. Doch das Weddellmeer war berüchtigt für seine Unwirtlichkeit, und wir wussten bereits, dass es sich uns von seiner schlechtesten Seite präsentierte. Aus seemännischer Sicht waren alle Bedingungen im Weddellmeer ungünstig. Die Winde wehten vergleichsweise schwach, so konnte sich selbst im Sommer neues Eis bilden. Das Fehlen starker Winde sorgt zusätzlich dafür, dass sich das Eis ungehindert massiv aufbauen kann. Dann treiben große Mengen von Eis unter Einfluss der vorherrschenden Strömung an der Küste entlang und füllen die Bucht des Weddellmeeres, indem sie sich in einem großen Halbkreis nordwärts bewegen. Ein Teil des Eises beschreibt sogar einen fast vollständigen Kreis und bewegt sich in kalten Jahren letztlich Richtung Südliche Sandwichinseln. Die starken Strömungen pressen die Eismassen gegen die Küste und bauen einen höheren Druck auf als irgendwo sonst in der Antarktis. Dieser Druck muss ähnlich groß sein wie der in dem gestauten Becken des Nordpolarmeeres, und ich neige zu der Ansicht, dass ein Vergleich für die Arktis sogar günstiger ausfallen würde. All diese Überlegungen hatten natürlich Auswirkungen auf unser gegenwärtiges Problem, nämlich ins Packeis vorzudringen und an der Küste des Südkontinents einen sicheren Hafen zu finden.

Dann kam der Tag der Abreise. Am 5. Dezember 1914 gab ich um 8:45 Uhr Befehl, den Anker zu lichten, und mit dem Gerassel der Ankerwinde zerbrach unsere letzte Verbindung zur Zivilisation. Der Morgen war trüb und wolkenverhangen, mit gelegentlichen Regen- und Schneeschauern, doch an Bord der Endurance waren alle frohen Mutes. Die lange Zeit der Vorbereitung war vorbei, und das Abenteuer lag vor uns.

Wir hatten gehofft, dass irgendein Dampfer aus dem Norden vor unserer Abreise Neuigkeiten vom Krieg und vielleicht Briefe aus der Heimat bringen würde. Am Abend des 4. Dezember traf ein Schiff ein, aber es brachte weder Post noch Aufschlüsse über das Weltgeschehen. Der Kapitän und die Besatzung waren alle stramm deutschfreundlich, und ihre »Nachrichten« bestanden aus unbefriedigenden Berichten über Niederlagen der Briten und Franzosen. Wir wären froh gewesen, die letzten Neuigkeiten aus einer freundlicheren Quelle erfahren zu haben. Anderthalb Jahre später erfuhren wir, dass der Dampfer Harpoon, der die Grytviken-Station versorgt, keine zwei Stunden, nachdem die Endurance in See gestochen war, mit Post für uns eintraf.

Der Bug der Endurance