Supernatural Secret Agency - Die Zwergenverschwörung - Andreas Gößling - E-Book

Supernatural Secret Agency - Die Zwergenverschwörung E-Book

Andreas Gößling

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Beschreibung

Eine packende Mischung aus Agententhriller à la 007 und Fantasywelt

Er ist halb Mensch, halb Geist. Er ist ein magischer Geheimagent. Und seine Mission ist lebensgefährlich. Denn nur er kann vermitteln – zwischen unserer Welt und legendären fantastischen Reichen.

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Der Autor

Autorenfoto: © privat

Andreas Gößling, geboren 1958, lebt und arbeitet als freier Autor in Coburg. Der promovierte Literatur- und Kommunikationswissenschaftler beschäftigt sich seit vielen Jahren mit fantastischen, mythen- und kulturgeschichtlichen Themen, insbesondere mit der alten Maya-Kultur, mit Drachenmythen und Schöpfungslegenden. Neben Romanen für jugendliche und erwachsene Leser hat er auch zahlreiche Sachbücher veröffentlicht.

Von Andreas Gößling sind bei cbt bereits erschienen:

Die Dämonenpforte (30491)

SuperNatural Secret Agency –

Geheimagent auf Elfenjagd (30698)

SuperNatural Secret Agency –

Die Rache der Vampirgeister (30699)

Andreas Gößling

SUPERNATURAL SECRETAGENCY

DieZwergenverschwörung

cbtist der Jugendbuchverlag

in der Verlagsgruppe Random House

1. Auflage

Originalausgabe März 2012

Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform

© 2012 cbt/cbj Verlag, München

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Frank Griesheimer

Umschlaggestaltung: init.büro für gestaltung, Bielefeld

SK · Herstellung: AnG

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-07430-2

www.cbt-jugendbuch.de

Kapitel I

Blaudampf

eins

Ich sitze zwischen meinen Freunden im hinteren Kahn und kämpfe mit einem Gähnkrampf. Im vorderen Boot schwärmt unser Biolehrer von der irren Vielfalt an Lebewesen hier im Spreewald und mir klappen schon wieder die Augen zu. Die Bäume lassen ihre Äste ins flache Wasser hängen, als ob sie auch gleich in Tiefschlaf fallen wollten.

Herr Grachus ist neu an unserer Schule und eigentlich ganz okay. Aber diese Bio-Exkursion in den Naturschutz-Sumpf ist total daneben. Erst mussten wir im Morgengrauen vor der Schule antanzen, dann wurden wir mit dem Bus zwei Stunden lang über Land gekarrt. Als Nächstes stiegen wir in diese altertümlichen Kähne um und graubärtige Käpt’ns stakten uns in den Urwald hinaus. Und als ob das alles nicht schon öde genug wäre, redet unser Biolehrer auch noch pausenlos auf uns ein. Frösche, Fische, Vögel– er lässt wirklich keine Spezies aus. Ganz zu schweigen von der Pflanzenwelt– gerade jetzt erklärt er uns die Wassernuss, nachdem er sich mindestens zehn Minuten lang über das Knabenkraut ausgelassen hat.

»Verdammte Biester!«, flucht Julian neben mir und haut gleich zwei Mücken auf seinem Unterarm zu Brei.

»Lass dich nur nicht erwischen– die stehen bestimmt auch unter Naturschutz!« Timm beugt sich von rechts über mich hinweg und grinst Julian an. »Vielleicht verrät uns Arvid ja seinen Zaubertrick!«

»Was für einen Zau…«, murmle ich und vergesse weiterzureden.

Mir dreht es sich vor Augen, wenn ich die Lider nur ein bisschen herunterfallen lasse. Mir pfeift es sogar schon leise in den Ohren– holy shit, denke ich, gleich schlafe ich wirklich ein.

»Na, gegen die Mücken!«, sagt Timm. »Du bist hier schließlich der Einzige, den die Blutsauger in Ruhe lassen. Also sag schon, Arvid, wie machst du das?«

Er rüttelt mich sogar am Arm, aber das kriege ich kaum mit.

Dieser Pfeifton, sage ich mir– der kommt nicht aus meinem Kopf, sondern von irgendwo da draußen im Wald! Es hört sich an wie von einem starken Elektromotor– von einem Schnellboot vielleicht, das mit halsbrecherischem Tempo durch diese Fließgewässer hinter uns her rast!

Auch wenn das eigentlich gar nicht sein kann. Wir sind schließlich im Naturschutzgebiet. Um die Frösche und Vögel zu schützen, sind Motorfahrzeuge aller Art hier verboten. Doch das hochtonige Pfeifen wird immer lauter.

Jede Wette, sage ich mir, dass da ein Rennboot durchs Naturschutzgebiet brettert! Und bestimmt sitzt hinter dem Steuer kein Öko-Freak, sondern…

Vor meinem geistigen Auge taucht eine bullige Gestalt auf: Otto! Mein Senior Agent von der SuperNat umklammert das Steuer mit seinen Furcht einflößend großen Pranken und dabei rollt er mit den Augen und fletscht die Zähne wie ein Retriever auf Red Bull.

Nein, sage ich mir, das kann unmöglich schon wieder Otto sein. Ich bin ja gerade erst seit ein paar Wochen von meinem letzten Einsatz zurück. Und selbst wenn die Supernatural Secret Agency mich schon wieder für eine Mission abholen wollte– woher sollten sie wissen, dass ich hier draußen im Urwald auf Bio-Exkursion bin?

Während ich mir das sage, wird das Heulen des Bootsmotors immer lauter. Ich höre sogar schon, wie der Bootsrumpf rhythmisch auf die Wasseroberfläche klatscht. Oder bilde ich mir das nur ein?

Auch Herr Grachus ist mittlerweile auf den Krach aufmerksam geworden. Den Mund halb geöffnet, die Stirn gerunzelt, steht er hoch aufgerichtet im vorderen Kahn und starrt über uns Schüler hinweg. Doch als ich mich umdrehe und seinem Blick folge, ist nur der schmale Kanal zu sehen, der sich ungefähr fünfzig Meter hinter uns mit einer Linkskrümmung im Gestrüpp verliert.

Nebelschleier schweben über dem Gewässer und hängen in den Wipfeln der Bäume, die sich über uns wie bei einem Laubendach verflechten. Alles sieht so friedlich und langweilig aus, dass ich beinahe aufs Neue gegen einen Gähnkrampf ankämpfen muss. Aber wirklich nur fast.

Im nächsten Moment kommt ein silberfarbenes Boot um die Kurve geschossen und jagt mit hysterisch jaulendem Motor auf uns zu. Hinter dem Steuer steht, genau wie ich es mir eben vorgestellt habe, mein Senior Agent O. Als er unsere beiden Kähne keine fünfzig Meter vor sich sieht, haut er den Rückwärtsgang rein und das silberfarbene Rennboot bäumt sich unter der Wucht des Umkehrschubs auf.

Die Wellen bringen unsere Gefährte zum Schaukeln. Ein paar Mädchen vorne im Kahn kreischen auf, ein halbes Dutzend Sumpfvögel gibt ihnen gackernd Antwort.

»Das ist… Umweltmord ist das!«, schreit Herr Grachus. »Sie Öko-Gangster!«, brüllt er Otto an, nachdem der sein Gefährt neben dem vorderen Kahn zum Stehen gebracht hat. »Wer hat Ihnen erlaubt, mit diesem Killerding durch ein UNESCO-Schutzgebiet zu rasen?«

Otto macht mir ein energisches Zeichen. Sein pfeilförmiges Boot sieht neben unseren Kähnen aus wie ein Rennpferd zwischen Ackergäulen.

»Retterding trifft es besser«, sagt er zu Herrn Grachus. »Das Boot und ich gehören zu den Guten. Aber UNESCO stimmt!«

Er kramt in den Taschen seines zerbeulten Jacketts und reicht unserem Biolehrer eine zerknickte Visitenkarte herüber.

Herr Grachus nimmt sie sichtlich zögernd entgegen. »Dr. Otto, UNESCO, Abteilung Schutz des kulturellen Menschheitserbes«, liest er in skeptischem Tonfall vor.

Doktor Otto?, denke ich und muss zur Abwechslung gegen einen Lachkrampf ankämpfen. Aber wenn schon der Name Otto nicht echt ist, kommt es auf einen gefälschten Titel auch nicht mehr an.

»Und welches Kulturerbe wollen Sie hier draußen schützen?«, fragt unser Biolehrer. Dabei sieht er Otto so finster an, als ob er ihn gleich zum Nachsitzen verdonnern wollte.

»Hier draußen– gar keins«, sagt Otto.

Herr Grachus und die gesamte 10c vom Wohlthat-Gymnasium starren Otto nur noch wortlos an. Mit seinem altmodischen grauen Anzug, dem kalkweißen Hemd und dem wie mit dem Lineal gezogenen Scheitel sieht er wie ein Zeitreisender aus den 1950er-Jahren aus.

Otto steuert das Boot im Rückwärtsgang längsseits neben den Kahn, in dem ich auf der hintersten Bank sitze. »Nun mach schon, Junge!«, ruft er mir zu. »Deine Mutter weiß Bescheid!«

Ich stehe auf, zwänge mich an Timm vorbei zum Kahnrand und schwinge mich zu Otto hinüber. Noch bevor ich mit meinen sämtlichen Gliedmaßen an Bord bin, haut er den Vorwärtsgang rein und beschleunigt so brutal, dass das Boot einige Augenblicke lang fast senkrecht im Wasser steht.

Ich halte mich krampfhaft an einer Sitzbank fest und währenddessen schreit der ganze Biokurs aus fünfundzwanzig Kehlen durcheinander:

»Hey, der Kerl entführt Arvid!«

»Der ist doch bestimmt nicht von der UNESCO!«

»Höchstens von der Cosa Nostra!«

»Arvid!«, ruft Herr Grachus mit Panik in der Stimme. »Was hat das zu bedeuten?«

»Alles okay!«, rufe ich und schenke ihm ein verzerrtesGrinsen. Ich bin schließlich ein Halbgeist und im Nebenberuf Geheimagent bei der Supernatural Secret Agency. Sagen Sie nur, das wussten Sie nicht, Herr Grachus?

Pfeilschnell jagen wir davon, und als ich es endlich schaffe, mich umzudrehen, ist von Herrn Grachus und meinen Mitschülern nichts mehr zu sehen.

»Musste das sein?«, frage ich Otto, nachdem ich mich auf den Sitz neben ihm gehievt habe.

Otto steuert das dahinrasende Boot im Stehen. Konzentriert schaut er nach vorne und wirft mir nur einen raschen Blick zu.

»Ich meine, wir sind doch Geheimagenten«, hake ich nach. »Anstatt mich vor zwei Dutzend Zeugen praktisch zu verschleppen, könntest du mich doch auch zu einem unauffälligen Treffpunkt bestellen. Warum musst du nur immer so eine Show abziehen, O?«

Missbilligend schüttele ich meinen Kopf. Dabei würde ich meinem Senior Agent am liebsten mit beiden Fäusten auf den muskelbepackten Oberarm trommeln– so dankbar bin ich ihm, weil er mich aus dieser sterbenslangweiligen Bio-Exkursion herausgeholt hat.

»Brandeiliger Einsatz«, gibt Otto kurzangebunden zurück.

Er wirft einen Blick auf seine Armbanduhr.

»Wir starten in zwanzig Minuten. Briefing nach dem Take-off!«

zwei

Eine Viertelstunde später stürmen Otto und ich tatsächlich die Gangway zu unserem SuperNat-Learjet hoch. Direkt hinter uns knallt der Kopilot die Tür zu.

Der Pilot lässt die Turbinen warmlaufen und checkt die Instrumente durch. »Welcome on board, Junior!«, ruft er mir über die Schulter zu.

»Nice to see you, Capt’n!«

Ich winke ihm zu und mein Herz trommelt ein kleines ekstatisches Solo in meiner Brust.

Wie jedes Mal verschlägt es mir für einen Moment die Sprache, als ich den luxuriösen Passagierraum unseres Fliegers betrete. Riesige, endlos bequeme Ledersessel, die sich in alle Richtungen drehen und schwenken lassen. Zu jedem Sessel gehört ein eigener Tisch, in den ein Hightech-Terminal mit Touchscreen integriert ist.

Alberta sitzt auf demselben Platz wie bei unserem letzten Einsatz. Ich grinse sie an und sie lächelt mir irgendwie reuevoll zu.

»Hallo, A«, sage ich und lasse mich auf meinen Stammplatz fallen– zu ihrer Rechten, durch den Gang von ihr getrennt. »Lange nicht gesehen!«

»Tag, Arvid«, sagt sie. »Tut mir wirklich leid, dass wir dich schon wieder um Hilfe bitten müssen. Aber es geht einfach nicht anders. Ich habe mit deiner Mutter telefoniert und ihr versprochen, dich spätestens in drei Tagen wieder bei ihr abzuliefern. Jetzt ist sowieso schon fast Wochenende, da versäumst du nicht zu viel in der Schule.«

»Ist schon okay«, antworte ich und spüre, wie mein Grinsen noch breiter wird. »Ohne mich geht hier sowieso nichts.«

Aber Alberta hat mir gar nicht zugehört. Sie starrt auf den Bildschirm in ihrem Tisch, auf dem ein halbes Dutzend bizarrer Gestalten zu sehen ist. Zwerge mit Knollennasen und Bärten wie aus Zuckerwatte. Seltsamerweise sind sie in Dreiersets wie auf Fahndungsfotos abgebildet: linkes Profil, Frontalaufnahme, rechtes Profil. Unter jeder Porträtserie stehen Chiffren wie Hekla-III-0911 oder Snefel-II-0705, die für mich erst recht keinen Sinn ergeben.

»Wird das hier noch was?«, schnauzt Otto unseren Kopiloten an. »Wir sollten längst in der Luft sein!«

Der Flugoffizier deutet nach draußen. »Höllisch kurze Startbahn, Sir«, sagt er. »Wir brauchen die maximale Turbinenleistung zum Take-off.«

Otto brummt etwas Unverständliches und wirft sich in seinen Sessel zwei Sitze vor mir. Ich schaue erschrocken nach draußen und sage mir, dass der Kopilot verdammt recht hat. Die Startbahn verliert sich ein paar Hundert Meter vor uns zwischen Wiesen und Äckern.

Tatsächlich ist das hier der kümmerlichste Flugplatz, den ich jemals zu sehen bekommen habe– und das will allmählich schon was heißen. Bisher sind wir immer nur auf solchen abgeschirmten kleinen Spezialflughäfen gestartet und gelandet– egal ob hier in Deutschland oder bei meinen beiden Einsätzen in Irland und Transsylvanien. Aber dieser Flugplatz am Rand des Biosphärengebiets Spreewald besteht praktisch nur aus einem Schuppen und dieser beängstigend kurzen Asphaltpiste hinter Sicherheitszäunen.

Vorhin hat Otto das Schnellboot so unvermittelt gestoppt, dass ich schon dachte, unser Akku wäre leer. Er lenkte es ins Ufergestrüpp und hastete die Böschung hoch, ich immer hinter ihm her. Oben war überhaupt nichts, nur ein gigantischer Acker, an dessen Rand wir entlangstolperten, bis auf der anderen Seite hinter einer Baumreihe dieser Miniaturflugplatz zum Vorschein kam. Die Wachposten winkten uns durch, und da sich das Rollfeld direkt hinter dem Zaun befindet, waren wir eine Minute später an Bord.

Otto nestelt sein klobiges Satellitenhandy aus der Tasche und murmelt wieder mal Orakelsprüche hinein. »Delta-sieben-sieben«, höre ich, »Genesis-drei-Rasputin. Over!«

»Was wird das hier?«, frage ich Alberta und deute auf ihren Monitor. »Du willst mir doch nicht sagen, dass wir ins Land der Zwerge fliegen, oder?«

Meine Senior-Agentin wischt mit der Hand über den Touchscreen und die Zwergen-Fahndungsfotos verblassen. Jetzt erst fällt mir auf, dass Alberta noch seltsamer angezogen ist, als ich das von ihr gewöhnt bin. Sie trägt eine Art Overall mit Rentiermuster und auf dem Kopf eine winzige Pudelmütze aus Schaffell.

»Ins Land der Vulkanzwerge oder Feuergnome, genauer gesagt«, antwortet sie mir. »Du hast doch bestimmt Der Herr der Ringe gesehen?«

»Sogar gelesen«, gebe ich zurück. »Seit wann haben sie im Auenland einen Flugplatz?«

»In Island«, berichtigt sie mich. »Aber du hast recht– dass sie dort außer Gletschern und Vulkanen überhaupt irgendwas haben, wundert mich auch jedes Mal.«

Während ich noch über diese sonderbaren Worte nachdenke, erklingt über Lautsprecher die Stimme unseres Kopiloten: »Lady and gentlemen, please fasten your seat belts– ready for take off!«

Ich lege den Gurt um, kralle meine Finger in die Lehnen meines Luxussitzes und starre nach draußen. Schwerfällig setzt sich unser Flieger in Bewegung. Müssten wir nicht viel schneller die Piste entlangrasen– als Ausgleich dafür, dass sie so höllisch kurz ist?

Vor uns reißt das Asphaltband unvermittelt ab, dahinter ist nur noch endloser Kartoffelacker. Obwohl ich meine Augen geschlossen habe, sehe ich schon vor mir, wie wir mit unserem Fahrgestell die Kartoffelstauden skalpieren. Da hebt unser Learjet im letzten Moment seine Nase und stemmt sich mühevoll hoch.

Bis in meine Zehenspitzen hinein spüre ich, wie der Flieger um jeden Zentimeter Auftrieb kämpft. Doch im nächsten Augenblick habe ich meine Panik vor einem Crash im Gemüsefeld vergessen.

»Also hör zu, Junge«, sagt Otto.

Er schwenkt seinen Sitz zu Alberta und mir herum, beugt sich vor und stemmt seine Arme auf die gewaltigen Oberschenkel.

»In Island hat vorgestern ein äußerst seltsamer Vulkanausbruch begonnen«, fährt Otto fort. »Höchstwahrscheinlich stecken irgendwelche Geister dahinter. Aber bisher haben weder Zwerge noch Trolle oder sonstige isländischen Geister mit unseren Local Agents Kontakt aufgenommen– deshalb brauchen wir dich, Junior. Wir müssen so schnell wie möglich herausfinden, wer dahintersteckt.«

Erstaunt schaue ich von O zu A. Vor den Fenstern ist nichts als Wolkenwatte zu sehen, so weiß und fasrig wie die Bärte der steckbrieflich gesuchten Feuergnome.

»Ein Vulkanausbruch?«, wiederhole ich. »In Island brechen doch ständig Vulkane aus, oder? Glaubt ihr ernsthaft, dass da jedes Mal irgendwelche Geister gezündelt haben?«

»Ich sagte, ein äußerst seltsamer Vulkanausbruch«, berichtigt mich Otto. »Der Vulkan spuckt nämlich weder Lava noch Asche aus. Sondern etwas sehr Sonderbares, das es da unten im Bauch des Berges eigentlich gar nicht geben dürfte.«

Otto verstummt unvermittelt und sieht mich aus zusammengekniffenen Augen an. Okay, sage ich mir, jetzt ist es wieder mal so weit. Wenn O eine Chance sieht, jemanden um den nächsten kümmerlichen Informationshappen betteln zu lassen, dann nutzt er sie auch.

»Und was spuckt der Vulkan also Seltsames?«, frage ich. »Eiswürfel vielleicht?«

»Das nicht gerade«, knurrt Otto.

Er verzieht sein Gesicht, als ob es eigentlich total unter seiner Würde wäre, einen minderjährigen Junior Agent zu briefen. Auch wenn der ein Halbgeist ist und sein Vater einst als Abgesandter eines ausgerotteten Volkes auf Erden wandelte. Wo er sich prompt in meine Mutter verliebte, die damals Literaturstudentin mit einer Schwäche für Spukromane war.

»Aus dem Vulkan Hekla tritt seit zwei Tagen quietschblauer Dampf aus«, fährt Otto fort. »Genauso hat es in den letzten paar Hundert Jahren schon ein paarmal begonnen. Als Nächstes wird es in sonderbar gleichmäßigen Abständen tief im Innern des Bergs donnern. Die Geologen haben bis heute keine Erklärung für diese Phänomene gefunden.«

Ich zucke mit den Schultern. »Na und?«, sage ich und sehe Otto aus übertrieben großen Augen an, wie ich das von ihm gelernt habe. »Wenn es da einfach mal ein bisschen in der Erde rumpelt und blauer Dampf aufsteigt, wen stört das schon groß? Ich kapiere nicht, O, warum du mich mit solchem Trara aus dem Spreewald kidnappen musstest– nur damit ich ein paar Liliputaner wegen dieser bunten Qualmerei ausfrage?«

Alberta beugt sich unvermittelt zu mir herüber. Sie krampft ihre Finger in meine Schulter und sieht mich beschwörend an.

»Jetzt hör doch bitte mal zu, Arvid!«, sagt sie. »Das hier ist kein Scherz– leider! Wir würden nur zu gerne mit dir darüber lachen. Aber die Sache verhält sich so…«

Auch sie unterbricht sich abrupt und schaut einen Augenblick lang schweigend ins Leere. Doch bei Alberta ist es kein Trick, mit dem sie einen zappeln lassen will, das weiß ich genau. Ihre Unterlippe zittert.

»In den letzten sechs- oder siebenhundert Jahren«, fährt Alberta kurz darauf fort, »hat es fast jedes Mal spätestens acht Tage nach einem solchen Blaudampf-Vorfall verheerende Vulkanausbrüche gegeben. Zehntausende Menschenleben stehen auf dem Spiel– nicht nur in Island, sondern in halb Europa und darüber hinaus!«

Alberta beugt sich noch weiter zu mir herüber. Die Rentiere auf ihrem Overall erbeben. Die Kamerabrosche an ihrem Kragen, mit der sie Geister fotografieren kann, blitzt auf.

»Vor rund zweihundertfünfzig Jahren war es besonders schlimm«, fährt Alberta fort. »Auch da hat der Vulkan Hekla zuerst diesen Blaudampf von sich gegeben– und danach hat er tödliche Gift- und Aschewolken bis nach England und Frankreich gespuckt! Der Himmel verdunkelte sich durch Millionen Tonnen Asche, über Monate kam kaum mehr Sonnenlicht durch. Die Menschen hungerten, viele erfroren, es kam zu Plünderungen und Aufständen. Und deshalb…«

Sie unterbricht sich aufs Neue und schaut Otto Hilfe suchend an. Er nickt seiner Partnerin zu und spricht den Satz für sie zu Ende.

»Und deshalb, Junior«, sagt O, »müssen wir den Verursachern von Blaudampf und Bergesgrollen so schnell wie überhaupt möglich auf die Schliche kommen– bevor die höllische Hekla wieder ausbrechen kann!«

drei

Kurz vor zwei Uhr nachmittags landen wir bei schönstem Sonnenschein in der High Security Area von Keflavik Airport.

Wir steigen die Gangway hinab, und Otto fängt gleich wieder an zu schimpfen: »Holy shit, wo ist unser Driver? Wie hieß der Kerl noch mal– Elmar Irgendwie?«

»Einar Ingwersen«, berichtigt ihn Alberta und verdreht die Augen in meine Richtung. »Einar ist ein engagierter und fähiger Local Agent«, fügt sie hinzu und sieht Otto tadelnd an. »Ohne ihn sind wir hier aufgeschmissen– also reiß dich bitte zusammen, O!«

Otto reibt sich die Arme, als ob er kurz vor dem Erfrierungstod wäre. Anklagend schaut er in Richtung Terminal. Obwohl wir erst Mitte September haben, ist es hier an der Südwestküste von Island wirklich schon ziemlich kühl. Aber wir haben Outdoor-Jacken übergezogen und mir zumindest ist es unter der dicken Daunenschicht sogar viel zu warm.

Kurz vor der Landung hat unser Kopilot mir den Rucksack mit Einsatzausrüstung übergeben, den die SuperNat für mich bereithält. Wieder konnte ich nur schnell einen Blick hineinwerfen: frische Kleidungsstücke, ein Bündel mit Dollar- und Euroscheinen, ein zerfledderter Reisepass. Ganz unten im Rucksack gibt es außerdem irgendwelche Spezialsachen »für den absoluten Notfall«, die ich mir bei nächster Gelegenheit unbedingt mal anschauen muss. Bisher bin ich nie dazu gekommen– es gab einfach immer viel zu viel zu tun.

Bevor Otto weitere Flüche von sich geben kann, kommt ein monstermäßig aufgepimpter Geländewagen quer übers Rollfeld auf uns zugerast. Er stoppt haarscharf vor unseren Füßen, ein hochgewachsener Mann stößt die Fahrertür auf und springt heraus.

»Hi, Alberta, Otto! Und hey, du musst Arvid sein!« Er winkt uns kumpelhaft zu. »Gerade eben hatte ich die Vulkanexpertin am Telefon, diese Grylassurda«, sagt er zu Alberta. »Sie scheut sich immer noch ein bisschen, sich mit uns zu treffen. Aber morgen ist sie so weit, die Gute– das hab ich im Gespür.«

Alberta schenkt ihm ihr herzlichstes Lächeln. »Du machst das großartig, Einar«, lobt sie, und der Riese mit den kurz geschorenen butterblonden Haaren wird tatsächlich eine Spur rot.

Otto gibt ein Schnaufen von sich und reißt die linke Hintertür des Monster-SUVs auf. »Ganz großartig machst du das, Elmar-Baby«, murmelt er so leise, dass Alberta nichts davon mitbekommt.

Ehrfürchtig umkreise ich unser Gefährt– ein schneeweißer Cadillac Escalade, fast sechs Meter lang und zwei Meter breit. Der Escalade hat natürlich Vierradantrieb und superbreite 285er-Reifen. Mit seinen mehr als 400PS kommt er zur Not auch extrem steile und vereiste Pisten hoch. Über der Frontscheibe ist eine Batterie weißer, roter und blauer Zusatzscheinwerfer aufmontiert. Auf dem Dachgepäckträger sind Reservekanister, Ersatzreifen und zwei sargförmige Metallkisten festgezurrt. Dahinter ragen gleich drei Antennen meterhoch in den Himmel.

Auf der Beifahrerseite steige ich hinten ein und habe wie üblich eine Bank für mich allein. Ich sitze mit dem Rücken zur Fahrtrichtung, während A&O natürlich wieder mal die Logenplätze mir gegenüber beschlagnahmt haben.

»Haben sich die Hekla-Zwerge mittlerweile gemeldet, Einar?«, fragt Alberta.

Unser Local Agent knallt vorne die Tür zu, dreht den Zündschlüssel und der Sechs-Liter-Motor startet mit bärigem Brummen.

»Leider nicht«, antwortet Einar. »Aber wenn deine Theorie stimmt, kann es nicht mehr lange dauern.«

Ich schaue rasch über die Schulter und bekomme eben noch mit, wie Einar Ingwersen verträumt in den Rückspiegel grinst. Als ich mich wieder umdrehe, kann ich gerade noch die kirschroten Flecken auf Albertas Wangen verblassen sehen.

»Lass dir von Otto nur keinen Unsinn erzählen«, empfiehlt sie mir und macht ein betont geschäftsmäßiges Gesicht. »Dass Einar und ich uns duzen, hat überhaupt nichts zu bedeuten– das machen in Island alle so.«

Otto nestelt sich aus seiner Outdoor-Jacke, beugt sich vor und tippt Einar auf die Schulter. »Bringen Sie uns zur Hekla, Agent Ingwersen«, kommandiert er, »und zwar full speed! Verstanden?«

Auch ohne mich umzudrehen, weiß ich, dass Einar erneut in den Rückspiegel grinst. Ich höre es an dem Lachen in seiner Stimme.

»Dein Wunsch ist mir Befehl, Agent Otto«, antwortet er und tritt aufs Gas.

Wir jagen über das Rollfeld zu einem Tor im Sicherheitszaun. Einar lässt die Scheibe herunter und ruft dem Wachtposten irgendetwas auf Isländisch zu. Jedenfalls nehme ich an, dass es Isländisch ist– es hört sich an wie Gepolter und verstehen kann ich kein Wort.

Der Uniformierte winkt ihm zu und schlendert in sein Wachhäuschen. Es dauert mindestens zwei Minuten, bis das Tor vor uns in Zeitlupe aufschwingt. Anscheinend geht es hier in Island ziemlich geruhsam zu.

Einar winkt lachend zurück, lässt die Scheibe wieder hochfahren und gibt aufs Neue Gas. Wir lassen den Airport hinter uns und fahren durch eine Landschaft, die aussieht wie auf dem Mond. Kahle, öde Flächen, wohin ich auch schaue, glitzernd schwarz und mit Geröllbrocken übersät.

»Das ist ja irre hier!«, sage ich. »Und dieses Licht– wie in einem Fantasy-Film!«

Der Himmel schimmert in unzähligen Blau- und Lilatönen. Wolken in allen erdenklichen Formen jagen über uns hinweg– Schiffswracks, zähnefletschende Trolle, Riesenköpfe mit aufgeblähten Wangen. Manche Wolken sind orange, andere schillern in sämtlichen Spektralfarben. Sogar über den eigentlich ganz unscheinbaren Häusern, die ab und zu am Straßenrand auftauchen, liegt ein irgendwie märchenhafter Schimmer.

Bald darauf fahren wir auf einer ausgebauten Straße hoch über der Küste entlang. Zu unserer Rechten wälzt sich der Atlantik auf die Insel zu, links in der Ferne türmen sich gewaltige Berge auf. Ihre Gipfel sind schneebedeckt und auch das Eis und der Schnee dort oben schimmern und schillern wie in einer Fantasy-Welt.

Alberta und ich haben unsere Outdoor-Jacken gleichfalls ausgezogen. Auf dem Touchscreen in dem Tisch zwischen unseren Bänken sind wieder die Fahndungsfotos von vorhin zu sehen.

»Wer sind diese Typen da eigentlich?«, frage ich und deute auf den Bildschirm.

»Das sind die Feuergnome, mit denen es die hiesige SuperNat bisher zu tun hatte«, erklärt mir Alberta. »Wenn die Vulkanwinzlinge irgendetwas von den Menschen wollten, haben sie immer diese Unterhändler vorgeschickt. Aber seit gestern diese Blaudampf-Sache angefangen hat, sind sämtliche Hekla-Zwerge spurlos verschwunden.«

»Vom Erdboden verschluckt!«, steuert Otto bei und deutet mit mürrischem Gesichtsausdruck auf den Boden.

Während Otto weiter die Zwergen-Porträts durchflippert, setzt Alberta mein Briefing fort.

»Bis zum Fuß der Hekla brauchen wir ungefähr eine Stunde«, erklärt sie mir. »Wie es danach weitergeht, hängt vom Wetter ab. Wenn der Wind nicht zu stark ist, können wir wie gestern mit dem Hubschrauber hoch. Notfalls steht auch ein Raupenfahrzeug für uns bereit– aber damit würden wir Stunden brauchen.«

»Immer noch besser, als zu Fuß da hochzugehen«, wirft unser Local Agent ein. »Einmal bin ich bei Schneesturm vom Rauðaskál bis zum Gipfel hochgestiegen– sieben Stunden für gerade mal vierzehn Kilometer!«

Ich drehe mich zu Einar um. »Der Rauðaskál?«, wiederhole ich, so gut ich die seltsamen Laute herausbekommen kann. »Was soll das denn sein, Einar?«

»Die Hekla ist das Zentrum einer gigantischen Vulkanspalte, die mehr als vierzig Kilometer lang ist«, erklärt mir Einar. »Und der Rauðaskál ist einfach einer der unzähligen Krater, die sich im Lauf der Zeit entlang der Spalte gebildet haben– durch Hunderte von Lava-Eruptionen während der letzten rund sechstausend Jahre.«

Und da wollen wir jetzt wirklich hoch?, schießt es mir durch den Kopf. Gegen so einen Vulkanausbruch kommt mir sogar die transsylvanische Vampirplage beinahe harmlos vor.

Aber wirklich nur beinahe.

vier

Schweigend fahren wir einige Kilometer weiter die Küstenstraße entlang in Richtung Osten. Die Nerven meiner Senior Agents sind wieder mal ziemlich angespannt.

Otto tippt wild auf seinem Satellitenhandy herum. Aber anscheinend ist niemand, den er an die Strippe kriegen will, zu erreichen. Schließlich gibt er es auf und stopft das unförmige Gerät zurück in seine Anzugjacke.

»Island ist das jüngste Land unseres Planeten«, ergreift Alberta irgendwann wieder das Wort. »Verstehst du, Arvid? So feurig wie hier und heute ging es zu Zeiten der Saurier überall auf der Erde zu. Die weitaus meisten Vulkanausbrüche hier auf der Insel haben deshalb überhaupt nichts Rätselhaftes. In der Regel gehen sie auch glimpflich aus– im Gegensatz zu den katastrophalen Ausbrüchen, bei denen vorher dieser Blaudampf ausgetreten ist.«

Ich hebe eine Hand, um ihren Redestrom zu stoppen. »Langsam, A«, sage ich. »Was soll das heißen: das jüngste Land? Willst du vielleicht behaupten, dass es Island erst seit ein paar tausend Jahren gibt?«

»Ein paar Millionen Jahre sind es schon«, antwortet mir Alberta. »Für die Wissenschaftler ist aber ein Land, das weniger als dreißig oder vierzig Millionen Jahre auf dem Buckel hat, praktisch noch in der geologischen Pubertät. O und ich haben uns mit Vulkanologen und Island-Experten unterhalten, und sie alle sagen, dass die Insel sozusagen noch auf der Suche nach ihrer Identität ist.«

Sie deutet zum linken Seitenfenster unseres SUV, vor dem bizarr gefärbte Lavahügel vorbeiziehen– einige mit sattgrünem Moos überzogen, andere schwefelgelb und sogar knallrot gefärbt.

»Die Vulkane«, fährt Alberta fort, »spucken solche Mengen an Lava, dass im ganzen Land ständig neue Berge und Täler entstehen. Quer durch die Insel verläuft eine Spalte, die jedes Jahr ein paar Zentimeter breiter wird. Wie das Land eines Tages aussehen wird, wenn seine geologische Entwicklung abgeschlossen ist, kann heute noch niemand so genau sagen. Das alles ist für die Wissenschaftler natürlich total spannend, aber eben nicht besonders rätselhaft– ganz im Gegensatz zu dem blauen Dampf, der gerade jetzt wieder mal aus der Hekla aufsteigt. Und zu dem Donnern tief im Innern des Vulkans. Nach dem, was uns die Experten erzählt haben, dürfte es das beides gar nicht geben.«

Alberta lehnt sich zurück und schaut an mir vorbei nach vorn. Ein Lächeln fliegt über ihr Gesicht– bestimmt hat Einar sie im Rückspiegel wieder angesmiled. Unser Local Agent ist schätzungsweise in Albertas Alter und die beiden scheinen total aufeinander zu stehen.

»Und ihr glaubt also«, frage ich Alberta, »dass die Feuergnome, die da oben im Vulkan hausen, diese blaue Qualmerei irgendwie in Gang gesetzt haben?«

Sie nickt und hebt gleichzeitig die Schultern.

»Jedenfalls sind es unsere aussichtsreichsten Kandidaten«, gibt sie zurück. »Höchstwahrscheinlich knallen die Zwerge uns in Kürze irgendwelche Forderungen auf den Tisch– du kennst das Muster ja mittlerweile auch. Bestimmt sollen wir irgendein uraltes Schmuckstück oder Kunstwerk ausbuddeln und instandsetzen, damit sich ihr Ansehen verbessert. Diese Zwerge sind ja meisterliche Waffen-, Gold- und Silberschmiede. Und damit wir gar nicht erst auf die Idee kommen, ihre Forderung abzulehnen, zeigen sie uns schon mal im Vorhinein, dass sie uns notfalls ordentlich Ärger machen könnten.«

Sie beugt sich zu mir herüber und sieht wieder total besorgt aus.

»Denn wie gesagt, Arvid«, fährt sie fort, »praktisch jedes Mal, wenn in den letzten so und so viel hundert Jahren dieser blaue Qualm längere Zeit aus der Hekla aufgestiegen ist, hat es kurz danach einen verheerenden Ausbruch gegeben. 1693 beispielsweise spuckte die Hekla nach einem Blaudampf-Vorfall sieben Monate lang hochgiftige Tephra– das sind diese winzigen Gesteinsbrocken, die in den Medien schwachsinnigerweise als Asche bezeichnet werden. In weitem Umkreis starben damals praktisch alle Tiere an Vergiftung durch Fluor, Schwefel und was weiß ich noch allem.«

Darüber denke ich erst einmal eine Weile nach.

»Dieser blaue Dampf, ist der auch giftig?«, frage ich schließlich »Und woraus besteht der überhaupt?«

Otto wirft sich abrupt auf seinem Sitz zurück und lässt seine Hände mit wedelnden Bewegungen aufwärts fliegen. »Es gibt gar keinen Blaudampf«, antwortet er. »Sagen jedenfalls die Experten, die das Zeug untersuchen sollten. Außer irgendwelchen Gasen, die ständig aus den Magmakammern aktiver Vulkane aufsteigen, haben sie nichts gefunden. Warum die Gase plötzlich so einen leuchtenden Blauton annehmen, konnte uns niemand erklären. ›Optische Täuschung‹ oder ›eine Laune der Natur‹ ist noch das Klügste, was den sogenannten Experten dazu einfällt.«

Einar setzt den Blinker, bremst ab und biegt nach links in eine schmale Straße ein. Sie führt steil in die Berge hinauf. Obwohl es noch nicht mal drei Uhr ist, wird es hier oben zwischen den schroffen Felshängen schon wieder düster.

»Wie siehst du das eigentlich?«, frage ich Otto. »Glaubst du genauso wie A, dass die Feuergnome dahinterstecken?«

Er hebt eine seiner buschigen Augenbrauen. »Sagen wir so: Ich hoffe es«, gibt Otto zurück und fährt sich mit der Hand übers Gesicht.

Optimismus geht anders, sage ich mir. Mit einem Mal ist mir ziemlich mulmig zumute.

Ich drehe mich zu unserem Local Agent um. »Deine Meinung interessiert mich natürlich auch«, sage ich.

Einar wirft mir über die Schulter einen nachdenklichen Blick zu. Seine Augen sind hellgrau, die Brauen fast farblos– ungefähr wie bei mir. Nur mit dem Unterschied, dass meine Augen kontrolllampengrün sind.

»Wir Isländer führen seit Langem Chroniken über alles, was in unserem Land passiert«, antwortet er mir. »Dieser Blaudampf und das Donnern in der Hekla tauchen in den Aufzeichnungen der letzten fünfhundert Jahre immer wieder mal auf. Meistens heißt es dort, dass die Vulkanzwerge als die Verursacher angesehen würden– aber soweit ich weiß, wurde niemals nachgewiesen, dass sie wirklich irgendetwas damit zu tun haben.«

Darüber denke ich noch nach, als Einar vor einer Straßensperre stoppt. Am Straßenrand stehen drei Jeeps mit rotierendem Blaulicht.

»Polizei«, sagt Einar. »Die glauben, dass sie die Piste sperren sollten, weil hier wieder mal ein Lahar droht, eine Schlammlawine. Von dem Blaudampf wissen sie natürlich nichts.«

In den Jeeps sitzen Männer mit dunkelblauen Uniformen. Einar ruft ihnen etwas zu, und endlich bequemt sich einer von ihnen, auszusteigen und zu uns herüberzukommen.

»Wir sind Vulkanexperten, von der Regierung beauftragt«, sagt Einar noch schnell zu uns, bevor er sein Seitenfenster herunterlässt. »Lasst mich nur machen.«

Er zieht ein imposant aussehendes Schriftstück mit blauem Lacksiegel aus seiner Brusttasche und reicht es dem Polizisten. Der wirft einen kurzen Blick auf das Blatt und gibt es Einar zurück. Gleich darauf geht die Sperre vor uns auf und Einar tritt wieder aufs Gas.

Über eine unbefestigte Piste geht es weiter steil aufwärts. Der Wind heult und schüttelt unser tonnenschweresGefährt hin und her. Einar muss immer wieder Geröllbrocken umkurven, die größer als Medizinbälle sind. Alles um uns herum glitzert– die schwarze Lava, der vereiste Schnee auf den Berggipfeln, der Atlantik tief unter uns.

Endlich stoppt Einar auf einem Lavafeld am Rand der Piste und stellt den Motor ab. Am anderen Ende der schimmernd schwarzen Geröllhalde steht ein Schuppen, unter eine schroffe Felswand geduckt. Einige Hundert Schritte rechter Hand klafft ein gigantischer, fast kreisrunder Krater im Fels.

»Der Rauðaskál«, sagt Einar. »Wir sind jetzt ungefähr auf 630Meter. Bis zur Hekla hoch sind es noch mal fast 900Meter. Aber wir haben Glück– bei dem bisschen Wind kann der Hubschrauber starten.«

Bisschen Wind?, denke ich, als wir draußen auf dem Lavafeld stehen. Der Sturm haut mich beinahe aus meinen nagelneuen Climbing-Schuhen, die zusammen mit einem Paar Kletterhandschuhen an meinem SuperNat-Rucksack hingen. Obwohl ich auch die Outdoor-Jacke wieder angezogen habe, spüre ich, wie mir der Frost unter die Haut kriecht.

Ich lege den Kopf in den Nacken. Drohend erhebt sich über uns die Hekla. Ihr spitzer Gipfel ist mit Eis und Schnee bedeckt– und auf einmal kommt es mir wie eine heimtückische Tarnung vor. Unter dem Eis verbirgt sich ein gigantischer Schlund, gefüllt mit Millionen Kubikmetern glühend heißer Magma. Und mit diesem mysteriösen Blaudampf.

»Was passiert denn jetzt eigentlich?«, frage ich Alberta. »Ich meine, nachdem wir mit dem Helikopter hochgeflogen sind und falls wir nicht unterwegs abstürzen?«

Ich muss gegen den Sturm anschreien. Als Alberta mir geantwortet hat, glaube ich zuerst, dass ich sie falsch verstanden habe. Dass der heulende Wind ihre Worte zerfetzt und auf eine Weise neu zusammengesetzt hat, die überhaupt keinen Sinn ergibt. Oder höchstens selbstmörderischen Irrsinn.

»Was hast du gesagt?«, schreie ich Alberta ins Ohr.

Sie hält ihre absurde Schaffell-Pudelmütze mit einer Hand fest und befestigt mit der anderen Hand ihre Kamerabrosche am Kragen ihrer Outdoor-Jacke. Währenddessen stolpern wir, mit vorgebeugten Schultern gegen den Sturm gestemmt, zwischen schädelgroßen Lavabrocken auf den Schuppen vor der Felswand zu.

»Wir warten, bis du die Zwerge aufgespürt hast!«, schreit Alberta zurück. »Und dann klettern wir dort in die Spalte hinein, wo du es uns sagst!«

fünf

Einar hat ein Walkie-Talkie unter seiner Jacke hervorgezogen und schreit auf Isländisch hinein. Geduckt gegen den Sturm rennen wir noch immer auf den Schuppen zu.

Irgendwie bin ich überhaupt nicht versessen darauf, in einen Vulkan hinabzuklettern, der mit ziemlicher Sicherheit in den nächsten Tagen explodieren wird. Und in dessen Innerem irgendwelche Geister lauern, die genau diese Katastrophe angezettelt haben.

Vielleicht ist es ja doch zu stürmisch für den Helikopter, denke ich hoffnungsvoll. Und für die Fahrt mit dem Raupenfahrzeug ist es doch bestimmt heute schon zu spät?

Im nächsten Moment geht das Schuppentor auf und dahinter kommt ein Hubschrauber zum Vorschein. Das muss ein Bell206 sein, sage ich mir, so eine Maschine erkenne ich sogar aus dreißig Metern Entfernung. Von Fluggeräten habe ich schließlich einigermaßen Ahnung. Als ich noch nicht wusste, dass ich ein Halbgeist bin und eine Karriere als Geheimagent vor mir habe, war es immer mein Traum, Pilot zu werden.

Es ist tatsächlich ein Bell206 Long Ranger, der mit flappendem Rotor aus dem Schuppen herausgeschaukelt kommt. Mit seinem gewölbten Glascockpit und der zweifarbigen Lackierung– unten weiß, oben mitternachtsblau– sieht er beinahe aus wie eine kleine Segeljacht, an die begeisterte Bastler Kufen und Propeller angeschraubt haben. Der Helikopter kann bis zu sechs Passagiere aufnehmen und bei einer Höchstgeschwindigkeit von 170km/h maximal drei Stunden in der Luft bleiben.

Hoffentlich kann er das auch bei gefühlter Windstärke acht bis neun. Aus der Nähe sieht der Bell 206 beängstigend zerbrechlich aus. Aber Einar und der Pilot wirken nicht im Mindesten beunruhigt – und die beiden müssten es ja schließlich wissen, wenn so ein Flug mit einer 700-Kilo-Maschine bei heulendem Sturm gefährlich wäre.

Einar winkt dem Piloten zu und schwingt sich neben ihm ins gläserne Cockpit. Uns macht er ein lässiges Zeichen, hinten einzusteigen, und währenddessen dreht der Pilot den Rotor hoch.

Otto steigt als Letzter ein und knallt hinter sich die Tür zu. Wir quetschen uns nebeneinander auf die Rückbank, und obwohl es mir idiotisch vorkommt, schnalle ich mich wie vorhin im Auto an. Falls der Bell gegen die Bergflanke kracht– möchte ich dann wirklich an einen abstürzenden Klumpen aus Glas und Metall gegurtet sein? Ein Raketenrucksack wäre mir tausendmal lieber, aber ich habe nicht mal meinen Junior-Agent-Rucksack dabei.

Ich beiße die Zähne zusammen und kralle die Fingernägel in meine Handballen. Schwankend heben wir ab und sofort packt der Sturm unsere zerbrechliche Libelle und will sie gegen die Bergwand drücken. Aber Einar und der Pilot lachen nur gutmütig, als hätte der Wind einen netten kleinen Witz gemacht. Dann steigen wir in einem Bogen, der uns mindestens hundert Meter von der Felswand wegführt, zum Gipfel auf.

Einar dreht sich zu uns um. Er hat Kopfhörer aufgesetzt und deutet auf eine Halterung hinter uns, an der weitere Headsets hängen. Ich greife mir eine der ledergepolsterten Spangen und klemme sie mir auf die Ohren.

»Wie lange brauchen wir bis nach oben?«, schreie ich ins Mikro.

Der Sturm wirft unseren Bell wie einen Ball hin und her.

»Keine zehn Minuten«, antwortet eine unerwartet schrille Stimme. »Ich bin übrigens Leif.«

Der Pilot dreht sich kurz zu mir um und zwinkert mir zu. Er ist schätzungsweise so alt wie Otto, irgendetwas zwischen Mitte und Ende dreißig. Aber im Gegensatz zu meinem Senior Agent sieht er in seiner Fliegermontur schmächtig und eigentlich sogar kleinwüchsig aus.

»Arvid«, sage ich und tippe mir auf die Brust.

Urplötzlich bekomme ich einen Lachanfall. Ich pruste und keuche ins Mikro, und es ist mir wieder mal total peinlich, aber das hilft überhaupt nichts. Ganz im Gegenteil: Von links und rechts schauen mich Otto und Alberta betreten an. Sogar der sonst so unerschütterliche Einar hat sich umgedreht und sieht mir unter hochgezogenen Brauen zu, wie ich von meinem Lachkrampf geschüttelt werde.

»Sorry«, bringe ich schließlich keuchend hervor. »Das muss die Aufregung sein.«

Schließlich kann ich ja nicht gut beichten, dass der Name unseres Piloten meinen Lachanfall ausgelöst hat.

Leif!, denke ich und atme durch die Nase vorsichtig ein und wieder aus. Wirklich ein sehr beruhigender Name für einen Todespiloten!

So plötzlich, wie mich der Lachkrampf gepackt hat, ist er auch wieder vorbei.

Leif fliegt eine torklige Runde über dem Kratersee oben auf der Hekla. Der steil abfallende Kraterrand ist mit Schneefetzen bedeckt und die Wasseroberfläche schimmert eisblau.

Wie ein starrendes Riesenauge, schießt es mir durch den Kopf. Ein Schauer läuft mir über den Rücken– vor Kälte, vor plötzlichem Grusel.

Wir landen auf einer einigermaßen ebenen Lavaflächeneben dem Krater. Leif schaltet den Motor aus und ich streife meine Kopfhörer ab. Als Otto die Tür aufzieht,fährt ein Schwall eiskalter Luft in den Helikopter hinein.

Außer dem Heulen des Sturms da draußen dürfte jetzt eigentlich kein Geräusch mehr zu hören sein. Aber seltsamerweise schreit irgendwo ganz in meiner Nähe ein Haufen Leute aufgeregt durcheinander.

Erstaunt sehe ich von O zu A. Doch meine beiden Senior Agents ziehen nur stumm die Reißverschlüsse ihrer Jacken hoch und klettern nach draußen.

Das Geschrei wird immer lauter. Es sind Männerstimmen, und weil alle durcheinanderrufen, kann ich kein Wort verstehen. Oder kommt das vielleicht daher, dass diese Typen auf Isländisch herumschreien?

Ich beuge mich vor und schaue ins Cockpit: Leif und Einar überprüfen wortlos den Inhalt ihrer Jackentaschen.

»Hört ihr das nicht?«, rufe ich.

Aber sie hören nicht einmal meine Frage. Der Sturm heult so laut, dass er jedes andere Geräusch übertönt. Außer dem Geschrei von mindestens einem Dutzend Männern irgendwo hinter mir.

Ich rappele mich von meinem Sitz auf und merke, dass mir meine Beine nicht richtig gehorchen. Das Geschrei hinter mir wird immer lauter. Ich taumele aus dem Hubschrauber, und der Sturm packt mich wie mit Riesenfäusten und schleift mich mit sich, auf eine Zickzackspalte im Lavaboden zu.

Plötzlich sehe ich alles nur noch verwackelt und in Schwarz-Weiß.

sechs

Ich bin immer noch auf dem Gipfel der Hekla, aber ich bin nicht mehr ich, oder jedenfalls nur zum Teil. Kapiert ihr nicht, A&O?, will ich ausrufen. Ich habe eine Vision!

Doch stattdessen kommen seltsam altertümliche Worte aus meinem Mund.

»Folget mir!«, rufe ich aus. »Hier ist er– der Eingang zur Hölle, der Rachen des Teufels!«

In meinem Kopf ist mit einem Mal eine schreckliche Verwirrung. Ich habe Angst, und gleichzeitig fühle ich mich so mutig wie ein Engel, so unverwundbar. Vor meiner Brust baumelt ein schwarzes Kruzifix, das ich mit einem Lederriemen aus zwei Stäben zusammengebastelt habe. Mit knochendürrem Finger deute ich auf die Spalte im Felsboden vor mir, aus der Qualmschwaden aufsteigen. Obwohl ich die Schwaden nur in Schwarz-Weiß sehe, spüre ich, dass mit ihrer Farbe etwas nicht stimmt.

So sieht doch kein Qualm aus!, will ich A&O zurufen. Aber als ich mich umwende, kann ich weder meine Senior Agents noch unsere beiden Isländer entdecken. Stattdessen sehe ich einen Haufen ausgemergelter Gestalten in löchrigen Lumpen, mit knochigen Gesichtern und wirren Bärten. Sie schreien aufs Neue wild und vollkommen unverständlich durcheinander.

»Wohlan!«, rufe ich aus. »Lasst uns hinabschreiten und singend durch die Hölle hindurchgehen, wie unser Herr es uns vorgemacht hat! Folgt mir!«

Ich drehe mich wieder nach vorn und mache einen Schritt auf die Bodenspalte zu. Hände packen mich von hinten bei den Schultern und reißen mich zurück. Ich verliere den Halt und falle rückwärts zu Boden. Es tut scheußlich weh und ich schließe die Augen und stöhne auf.

Als ich meine Lider wieder aufklappe, sind die Bilder um mich herum stabil und in Farbe. Einar kauert neben mir zwischen Lavabrocken und sieht mich mitfühlend an.

»Wir haben uns ein bisschen Sorgen gemacht«, sagt er mit seinem putzigen Akzent. »Glaubst du, du kannst jetzt wieder stehen?«

Er streckt mir eine Hand hin und ich lasse mich von ihm auf die Füße hieven.

»Das kommt von der Höhenluft, mein Guter«, fährt Einar fort.

»Danke, geht schon wieder«, antworte ich und befreie meine Hand samt Climbing-Handschuh aus seiner Rechten. »Aber das eben kam nicht vom Sauerstoffmangel– ich hatte eine Vision.«

Unser Local Agent wirft mir einen verwirrten Blick zu. Er schaut zu Alberta hinüber, die gerade ein Stück Traubenzucker aus der Verpackung nestelt.

»Was hast du gesehen, Arvid?«, fragt sie und reicht mir mit mütterlichem Lächeln den Traubenzucker.

Ich schiebe mir das pulvrige Ding in den Mund und lutsche daran herum. Der Wind ist mittlerweile schwächer geworden, aber das hilft mir auch nicht weiter.

»Tja, eigentlich kaum etwas«, sage ich und gehe zu Otto hinüber.

Er steht vor der Bodenspalte, gerade dort, wo Einar mich eben gepackt und nach hinten gerissen hat. Die Spalte ist hier mindestens sieben, acht Meter breit– wie tief, kann ich nicht erkennen. Aber die Dunkelheit da unten und der Sog, der von ihr ausgeht, lassen mich ahnen, dass sich dieser Schlund viele Hundert Meter tief in die Erde erstreckt.

Blauer Qualm steigt in Schwaden aus der Spalte empor. Jetzt, da ich wieder in Multicolor sehe, kommt er mir noch unwirklicher vor als vorhin in Schwarz-Weiß.

Noch unheimlicher, noch unheilvoller, geht es mir durch den Kopf.

Man braucht wirklich kein Vulkanexperte zu sein, um zu spüren, dass mit diesem strahlend blauen Dampf etwas nicht stimmt. Dass es ihn eigentlich nicht geben dürfte. Nicht hier auf der Hekla und vielleicht auch an keinem anderen Ort auf diesem Planeten.

»Ich wollte unbedingt genau hier in den Berg hineinklettern«, sage ich. »Oder nein– derjenige, der ich in meiner Vision war, wollte das. Keine Ahnung, wer das überhaupt war.«

Ich fasse mir an den Kopf. So ganz stimmt es immer noch nicht, was ich eben gesagt habe.

»Er kam mir schon irgendwie bekannt vor«, setze ich neu an. »Aber keine Ahnung, von wann und wo.«

Otto hört mir mit zusammengekniffenen Augen zu. Mit der Daunenjacke samt Fellkapuze, die er sich über den Kopf gestülpt hat, sieht er aus wie ein Eskimo in XXL.

»Ich habe genau gespürt, wie er sich gefühlt hat«, erkläre ich meinem Senior Agent. »Er hatte Angst, aber gleichzeitig war er viel mutiger als seine Begleiter. Sie haben wie verrückt auf ihn eingeschrien– wahrscheinlich um ihn zurückzuhalten. Er selbst hat ja gesagt, dass hier der Eingang zur Hölle wäre.«

Ich deute auf den Felsschlund vor unseren Füßen.

Otto schaut mich nachdenklich an, aber dann zieht ein Grinsen sein Gesicht in die Breite. Er legt seine Hände flach vor der Brust zusammen und verdreht die Augen wie ein betender Mönch nach oben.

»Die frommen Geister scheinen auf dich zu fliegen, Junior«, sagt er zu mir. »Vielleicht kam dir der Bursche nur deshalb bekannt vor. Egal ob in Irland, in Transsylvanien oder jetzt hier in Island: Jedes Mal sind es irgendwelche heiligen Männer, die bei deinen Visionen von dir Besitz ergreifen.«

Er klappt seine Hände auseinander und tut so, als wäre es ein erbauliches Buch, in dem er versunken lesen würde.

»Oder kannst du mir vielleicht erklären«, fährt Otto fort, »wie es den irischen Mönch Brandon oder den siebenbürgischen Ordensritter Ingebrandus hierher verschlagen haben könnte? Und vor allem: aus welchem Grund?«

Ich schüttele den Kopf. »Er kam mir bekannt vor, mehr kann ich nicht sagen«, gebe ich zurück.

Und außerdem sind es ja nicht gerade nur die frommen Geister, füge ich in Gedanken hinzu, die auf mich zu fliegen scheinen. In Irland ist vor allem Brianna auf mich geflogen, meine wunderschöne Fairy! Werde ich sie auch hier in Island wiedersehen, geht es mir durch den Kopf, so wie bei unserem letzten Fall in Transsylvanien? Vor Sehnsucht nach meiner geliebten Trickster-Geistin werde ich auf einmal ganz kribblig.

Alberta stellt sich neben mich und schaut in die blau dampfende Spalte hinab.

»Wäre ein komischer Zufall, das finde ich auch«, pflichtet sie Otto bei. »Aber so ist mit deiner Vision leider nicht viel anzufangen, Arvid.« Sie schenkt mir ein tröstendes Lächeln. »Vielleicht war das ja wirklich bloß ein Verrückter, der sich hier in den Vulkan stürzen wollte.«

Ich zucke mit den Schultern und mache ein zerknirschtes Gesicht.

»Tut mir leid«, sage ich, »mehr weiß ich wirklich nicht. Ich habe nicht mal einen Feuergnom zu sehen bekommen. Nur diesen blauen Dampf– aber der steigt hier ja schließlich überall aus dem Boden auf.«

Ich deute links und rechts auf die Spalte, die sich im Zickzack über die Lavafläche neben dem Kratersee zieht. Tatsächlich wabert an mindestens einem Dutzend verschiedenen Stellen der seltsame Blaudampf aus dem Fels hervor.

»Ganz genau«, sagt Otto. »Überall steigt hier blauer Qualm auf– deshalb wussten wir ja bis eben noch nicht, wo genau wir in den Berg reinklettern sollen. Aber jetzt haben wir einen Anhaltspunkt. Los geht’s!«

Wir alle schauen Otto verwundert an.

»Aber wir wollten doch warten, bis Arvid Verbindung mit den Zwergen aufgenommen hat!«, wendet Alberta ein.

Otto wirft mir einen mürrischen Blick zu. »Wie lange wird das dauern– was meinst du, Junior? Uns rennt die Zeit davon!«

Schuldbewusst senke ich den Kopf. Bisher habe ich meinen beiden Senior Agents nicht gebeichtet, dass ich allein gar nicht in die Geisterwelt hinüberreisen kann. Wenn sich die Feuergnome hier blicken lassen würden, dann würde ich sie natürlich auch so entdecken– aber offenbar wollen sie ja nichts mit uns zu tun haben. Also müsste ich in ihre Welt hinüberfliegen, doch dafür brauche ich eben Dwinte, meinen Geisterbock. Mein Vater schickt ihn mir ab und zu aus der Geisterwelt herüber, und manchmal schaffe ich es auch, ihn selbst herbeizurufen. Aber das gelingt mir höchstens dann, wenn ich in extremer Gefahr bin.

»Otto hat recht«, sage ich. »Vielleicht war der fromme Mann aus meiner Vision ja auch hinter den Feuergnomen her. Und unsere Chance, ein paar Zwerge zu treffen, ist da unten im Berg bestimmt größer als hier oben.«

Während ich das sage, steigt ein verdammt blödes Gefühl in mir auf. Eigentlich will ich gar nicht in diese düstere Spalte hinabsteigen. Tausendmal lieber würde ich zu unserem Helikopter zurückrennen und so viele Kilometer wie möglich zwischen mich und diesen unheilvoll dampfenden Berg bringen.

Aber wir sind schließlich SuperNat-Agenten und haben eine Mission zu erfüllen.

»Na, meinetwegen«, sagt Alberta und lächelt Einar zu.

Otto gibt ein gereiztes Knurren von sich.

»Holen Sie die Bergsteigerausrüstung aus dem Helikopter, Agent Ingwersen!«, kommandiert er. »Und bringen Sie den Piloten mit, hier wird jetzt jede Hand gebraucht!«

Unser Local Agent nimmt Ottos Order mit einem lockeren Lächeln entgegen. Er joggt zum Helikopter und kommt gleich schon mit Leif zurück. Beide sind mit Seilen und Rucksäcken bepackt.

»Wohlan«, sage ich und kämpfe gegen mein Zähneklappern an, »lasst uns in den Rachen des Teufels hinuntersteigen!«

sieben

Zu den Dingen, die mir immer schon richtig Spaß gemacht haben, gehört Klettern. Schon als kleiner Junge bin ich auf jeden Baum gekraxelt, der sich nicht rechtzeitig vor mir in Sicherheit gebracht hat. Meine Mutter wird heute noch blass, wenn sie erzählt, wie ich einmal in den Ferien auf dem Dach unserer Pension herumgestiefelt bin. Da war ich sechs oder sieben Jahre alt, und erst als ich die Panik in ihrem Gesicht sah, bekam ich selbst einen Schreck und wäre fast von der Dachrinne gepurzelt.

Schwindelgefühl kenne ich gar nicht. Unser Sportlehrer hat erst neulich zu mir gesagt: »Du hast den Gleichgewichtssinn einer Meerkatze, Arvid.« Um dann allerdings mit einem fiesen Grinsen hinzuzufügen: »Na gut, irgendwas kann schließlich jeder.« Was er damit sagen wollte, blieb leider niemandem in unserer Klasse verborgen: Arvid Warner ist beim Fußball genauso eine Flasche wie am Reck. Aber knote ihm ein Seil an den nächsten Glockenturm und er wird wie ein Affe daran hinauf- und wieder hinunterturnen.

Yessir, genau so ist es. Trotzdem bin ich immer noch ziemlich wacklig in den Knien. Aber nicht, weil ich mich davor fürchten würde, mit einem Bergsteigerseil in diesen Fels hinabzuklettern– sondern weil ich spüre, dass irgendwo da unten etwas ganz Übles auf uns wartet.

Seit einer halben Stunde steigen wir durch die Spalte in den Vulkan hinein. Jeder von uns hat einen Bergsteigerhelm auf dem Kopf und die Lavawände um uns herum glitzern im Schein unserer Grubenlampen.

Einar klettert vorneweg, ich bin ihm dicht auf den Fersen, genauer gesagt, mit meinen Schuhsohlen knapp über seinem Helm. Hinter mir schnaufen A&O und den Abschluss unseres kleinen Trupps bildet der kleinwüchsige Leif. Er ist zwei Köpfe kürzer als Otto oder Einar und sogar einen halben Kopf kleiner als ich.

Vielleicht ist Leif ja selbst ein Zwerg?, denke ich und beiße mir reuevoll auf die Zunge. Pfui Teufel!, würde meine Mutter schimpfen, wenn sie das mitbekommen hätte. Über körperliche Eigenheiten anderer Leute macht man sich nicht lustig! Und über körperliche Gebrechen schon gar nicht.

Aber ich mache mich ja nicht lustig, verteidige ich mich, ich versuche mich nur auf ein Zusammentreffen mit den Feuergnomen einzustellen. Falls ich doch noch ein paar von ihnen zu sehen kriege, hängt schließlich alles davon ab, dass ich ihr Vertrauen gewinne. Wie soll ich das denn bitte sehr anfangen? Wie klein sind diese Zwerge überhaupt? Soll ich mich vor sie hinknien, damit sie nicht zu mir aufschauen müssen? Oder komme ich dann erst recht als hochnäsig rüber?

Während ich mich zwischen Einar und Alberta in die Tiefe seile, halte ich unaufhörlich nach den Gnomen Ausschau. Um uns herum wird es immer düsterer. Wenn ich den Kopf zurücklege, kann ich vom Himmel nur noch einen schmalen, blasslila schimmernden Zickzackstrich sehen.

Der unheimliche Dampf hüllt alles in blaue Schleier. Angeblich ist das Zeug ja nicht giftig. Aber wenn die Experten nicht einmal feststellen konnten, wo das blaue Leuchten herkommt– woher wollen sie dann bitte schön wissen, dass man diesen Dampf gefahrlos einatmen kann?

In den Felswänden um mich herum entdecke ich immer wieder Stollen und Tunnel, die seitwärts ins Gestein hineinführen. Die meisten sind so schmal, dass sich nicht einmal Leif hindurchzwängen könnte. Otto würde wahrscheinlich schon mit seinem Kopf stecken bleiben wie ein Korken im Flaschenhals. Aber die Hekla-Zwerge können sich bestimmt bequem durch diese Tunnel bewegen. Also sind sie höchstwahrscheinlich nicht viel länger als mein ausgestreckter Arm und höchstens halb so breit wie Leifs Schultern.

Fast eine Stunde sind wir an den Seilen abwärtsgeklettert, als Einar unter mir plötzlich stoppt. Beinahe hätte ich ihm auf den Kopf getrampelt, aber ich kann meinen Fuß gerade noch zurückziehen.

»Gleich kannst du dich ein bisschen ausruhen, du Guter«, sagt Einar zu mir.

Mit seinem ewigen »ein bisschen, du Guter« geht er mir mehr als nur ein bisschen auf die Nerven.

»Sind wir schon ganz unten?«, frage ich, und die Wände werfen das Echo meiner Worte zurück.

Einar schüttelt den Kopf, macht aber trotzdem einen Schritt zur Seite und löst seinen Karabinerhaken vom Seil. Ich lasse mich vorsichtig weiter hinab, bis ich festen Boden unter den Füßen spüre. Dabei bewege ich meinen Kopf hin und her, um mit meiner Helmlampe die Umgebung anzuleuchten.

Anscheinend sind wir auf einer Art Plattform– einem breiten Steinsims, das wie eine vergessene einzelne Treppenstufe aus der Wand herausragt. Unzählige Stollen durchlöchern hier den Fels– die Plattform scheint eine Art unterirdischer Verkehrsknotenpunkt für die Feuergnome zu sein.

»Seid ein bisschen vorsichtig, ja?«, sagt Einar.

Er beugt seinen Kopf vor, um die zerklüftete Außenkante der Felsstufe anzuleuchten. Dahinter geht es unabsehbar weiter abwärts. Blaudampf steigt in dünnen Schwaden aus der Tiefe auf.

»Du machst das so gut, Einar!«, sagt Alberta.

Sie schenkt ihm ihr zartestes Lächeln und lehnt sich sogar gegen ihn, während Einar ihren Karabinerhaken vom Seil löst.

»Fast schon ein bisschen zu gut!«, flötet Otto.

Er lässt seinen Karabinerhaken gleichfalls aufschnappen und führt uns eine seiner miserablen Pantomimen vor. Die Lippen zu einem fetten Kussmaul vorgestülpt, hält er die angewinkelten Arme wie beim Engtanz vor sich und walzert im Uhrzeigersinn um Einar und Alberta herum.

Dabei fällt der Schein seiner Helmlampe auf eine Gruppe steinerner Skulpturen. Drei kleinwüchsige Gestalten mit Knollennasen und Fusselbärten, anscheinend aus der Wand herausgemeißelt. Reglos stehen sie da, so steingrau und lavaglitzernd wie die Felswand hinter ihnen.

Aber das sind keine Skulpturen, durchzuckt es mich– das sind leibhaftige Feuergnome!

Ich drängele mich zwischen Otto und Einar hindurch zur Wand. Die Gnome stehen auf einem fußbreiten Vorsprung, vielleicht einen Meter über der Plattform. So sind ihre grauen Schrumpfgesichter ziemlich in meiner Augenhöhe.

Hallo, sage ich in Gedankensprache und bemühe mich um ein freundliches Lächeln. Ich bin Arvid und das da sind meine Freunde.

Ich deute über die Schulter nach hinten, ohne die drei Zwerge aus den Augen zu lassen. Sie starren mich bewegungslos an, und einen Moment lang kommt es mir doch wieder vor, als ob es bloß Steinfiguren wären. Aber ihre Augen funkeln, und nun sehe ich auch, wie der Mund des mittleren Zwergs unter den Barthaaren zuckt.

Was wollt ihr Wahnwitzigen?, kreischt er mit schriller Gedankenstimme.

»Holy shit, was macht der Junge da?«, schimpft hinter mir Otto.

»Gute Frage«, antwortet Alberta.

Anscheinend sind die Zwerge für A&O unsichtbar.

Ich wage mich noch einen Schritt näher an die grauen Gnome heran und schaue von einem zum anderen. Sie haben struppige staubfarbene Haare, die in alle Richtungen abstehen, und tragen graue Mäntel aus einem Material, das mich an Spinnweb erinnert. Aber eigentlich sehen sieganz freundlich aus, auch wenn sie sich alle Mühe geben, Furcht einflößend dreinzuschauen. Der Mittlere der drei scheint sehr viel älter als die beiden anderen zu sein– vielleicht ist es ihr Vater oder sogar ihr Opa.

Wir kommen in friedlicher Absicht, versichere ich ihnen. Wir möchten euch fragen, was für einen Gefallen wir euch tun können.

Giftig sind die Gefallen der mordliebenden Menschen, antwortet der mittlere Gnom. Verlasst, ihr Verfluchten, unser lockendes Land! Nie dürft ihr neidischen Notbringer von den schimmernden Schätzen der Zwerge zehren!

Vor Verblüffung fällt mir fast die Kinnlade herunter. Dieser zerknitterte Winzling redet wie ein Barde aus alten Zeiten! In irgendeiner Reimform, deren Name mir gerade nicht einfällt.

Bitte glaub mir doch, sage ich. Wir sind wirklich nur gekommen, weil wir euch einen Gefallen tun wollen. Sagt uns einfach, welchen Wunsch wir euch erfüllen können. Zum Dank wollen wir nur eine Sache von euch: Sorgt dafür, dass dieses blaue Dampfen aufhört!

Als ich blaue sage, zucken die drei Gnome gleichzeitig zusammen. Bei Dampfen werden sie noch grauer im Gesicht, falls das überhaupt möglich ist.

Verdammte Verdächtiger argloser Alben!, kreischt der greise Gnom. Den Schlund des Schreckens zu schließen lag niemals in unserer Macht!

Gerade in diesem Moment fällt mir ein, wie die Methode, ohne Reime zu reimen, heißt: Was der Bonsai-Barde da rastlos raspelt, sind astreine Stabreime!

Im nächsten Moment werfen sich alle drei Gnome herum und verschwinden in einem der Stollen. Beinahe hätte ich versucht, ihnen hinterherzukriechen. Aber der Tunnel ist so eng, dass nicht einmal Leif sich hindurchzwängen könnte.

So beuge ich mich nur noch weiter vor und spähe durch die dunkle Röhre hinter ihnen her.

Fürchtet euch nicht, ihr friedliebenden Feuerwichte!, rufe ich ihnen nach. Und seid morgen zur selben Stunde wieder hier!

Doch ich bekomme keine Antwort mehr.

acht

Als wir wieder in unserem Super-SUV sitzen und auf der Ringstraße in Richtung Reykjavík fahren, fühle ich mich ziemlich fertig.

In der Felsspalte zum Gipfel der Hekla hochzukraxeln, hat doppelt so lang gedauert wie vorher der Abstieg. Danach schaukelten wir mit dem Helikopter zurück zum Krater Rauðaskál, wo der Escalade auf uns wartete.

Mittlerweile ist es acht Uhr abends und stockfinster. Auch A&O sehen so aus, als ob sie für heute eigentlich genug hätten. Aber unser Zusammentreffen mit den drei Feuergnomen lässt uns allen keine Ruhe.

»Also noch mal von vorne«, kommandiert Otto. »Wie sahen die Burschen aus, Junior? Gib dir ein bisschen Mühe, beschreib jedes Detail!«

Er versucht, sich nichts anmerken zu lassen. Aber ich spüre, wie sehr es ihn ärgert, dass er die Feuergnome nicht mit seinen eigenen Augen sehen konnte. Auch in Irland hatten er und Alberta ja ziemliche Mühe, die Fairies zumindest schemenhaft wahrzunehmen. Aber für solche Sachen haben sie schließlich mich.

»Es war ziemlich dunkel da unten«, rufe ich Otto ins Gedächtnis. »Und alles, was ich mitgekriegt habe, habt ihr schon dreimal von mir gehört.«

»Dann kommt jetzt Nummer vier«, kommandiert Otto.

Ich schließe meine Augen und versuche noch einmal, mir alle Einzelheiten zu vergegenwärtigen. »Der eine, dieser Zwergengroßvater«, sage ich, »hatte eine Nase wie ein Kieselstein und wulstige Lippen. Seine Augen wirkten irgendwie eingesunken. Er war der Wortführer, deshalb habe ich die beiden jüngeren Gnome nicht so genau angeschaut. Irgendwie hatte ich den Eindruck, dass sie die Söhne oder Enkel von diesem Alten sein müssten– aber mehr habe ich einfach nicht mitgekriegt!«

A&O wechseln einen Blick.

»Vielleicht haben wir ja Glück«, sagt Alberta.

Sie löst die Kamerabrosche von ihrem Kragen und legt sie auf das Scan-Feld neben dem Touchscreen.

»Ich habe das Ding hier eingeschaltet«, sagt sie zu mir, »als ich kapiert habe, warum du plötzlich die Wand angestarrt hast. Aber ich wusste ja nicht, wohin genau ich zielen sollte. Also schauen wir mal, ob außer Felsen und Blaudampf überhaupt irgendwas drauf ist.«

Der Bildschirm im Tisch zwischen unseren Sitzbänken beginnt zu flackern. Minutenlang ist nur lavaglitzernder Fels im Halbdunkel zu sehen. Doch dann zeichnen sich schattenhafte Silhouetten ab und wir alle drei vergessen fast zu atmen.

»Sind sie das?«, ruft Alberta. »Sag schon, Arvid!«

»Könnte sein«, murmele ich und starre gebannt auf den Touchscreen. »Könnte wirklich ein Treffer sein, A.«

Allmählich werden die Umrisse schärfer.

»Die Bildbearbeitung dauert noch einen Augenblick«, sagt Alberta.

Einar setzt den Blinker und zieht an einem Lastwagen voll zusammengepferchter Schafe vorbei. Zu seiner Linken erstreckt sich die ungeheure schwarze Fläche des Atlantiks, in der sich der Sternenhimmel spiegelt.

»Mir ging es übrigens genauso wie Otto und dir, Alberta!«, ruft Einar mit diesem speziellen Lachen in der Stimme. »Plötzlich hat Arvid angefangen, gegen die Wand zu starren– und ich hab da nicht mal einen Schatten gesehen.«

»Na ja, dafür bin ich ja im Team«, wiegele ich ab. »Nicht der Rede wert, Einar.«

Otto beißt die Zähne zusammen und starrt Brandlöcher in den Hinterkopf unseres Local Agent. Es scheint ihn wirklich fertigzumachen, dass er die Gnome nicht sehen konnte und genauso wenig mitbekommen hat, was ich in Gedankensprache mit ihnen geredet habe.

»Ich starte schon mal die Datenbank«, murmelt Otto und tippt auf dem Display herum.

Kurz darauf teilt sich der Bildschirm in zwei Hälften: Rechts schält sich immer klarer das Geisterbild heraus, das Alberta mit ihrer Kirliankamera gemacht hat, links erscheinen wieder die Fahndungsfotos in Dreiersets. Für mich stehen sämtliche Bilder auf dem Kopf, aber die drei Gnome erkenne ich trotzdem gleich wieder.

Im rechten Bildschirmfenster stehen sie ganz genauso nebeneinander auf dem Felsvorsprung wie vor ein paar Stunden in echt. In der Mitte der zerknitterte Alte mit der Knollennase, daneben die beiden viel jüngeren Zwerge, die ihm so ähnlich sehen wie Söhne oder Enkel.

In der linken Bildhälfte rattern die Fahndungsfotos jetzt so schnell von oben nach unten durch, dass mir vom Hinsehen ganz schummerig wird. Offenbar gleicht das Programm die Bestände in der Datenbank mit Albertas Foto ab– und höchstens eine halbe Minute später erscheinen dort drei Porträtsets, säuberlich übereinander aufgereiht.

»Bingo!«, ruft Alberta.

»Dachte ich mir’s doch«, knurrt Otto und haut seine rechte Faust in die offene linke Hand. »Dieses Hutzel-Trio gehört zu den Abgesandten, die die Hekla-Zwerge normalerweise losschicken, wenn sie mit den Menschen irgendwas aushandeln wollen.«

Die oberste der drei Porträtserien zeigt tatsächlich den zerknautschten Gnomen-Opa. Neben seinem rechten Profil steht Hekla-II-0206. Darunter sind die Fotos seiner beiden Söhne oder eher wohl Enkel zu sehen. Neben ihren Bildserien steht Hekla-VII-0810 und Hekla-VII-0910.

»Fragt sich nur, warum sie diesmal nicht mit uns reden wollen«, fügt Otto hinzu.

Er tippt auf das Kürzel Hekla-II-0206.