Survival Guide Norddeutschland - Ulfert Becker - E-Book

Survival Guide Norddeutschland E-Book

Ulfert Becker

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Beschreibung

Norddeutschland ist sicher eine der exotischsten und geheimnisvollsten Gegenden dieser Welt. Es gibt hier Meere, die mal da sind und mal nicht, Gebirge von sagenhaften acht Metern Höhe und wilde Tiere, die man eher in Eiswüsten vermuten würde. Die Ureinwohner verständigen sich telepathisch – oder doch nur über Grunzlaute? –, ihre Sitten und Gebräuche sind oft mehr als seltsam, wirken manchmal sogar sehr primitiv. Und doch haben sie etliche kulturhistorische Superlative hervorgebracht, die absolut sehenswert sind. Wer sich jedoch unvorbereitet in diese faszinierende Region traut, den erwarten etliche Fettnäpfchen, Fallen und Lebensgefahren. Dieses Buch klärt erstmals umfangreich über alle Risiken auf, macht fit und sensibel für den Umgang mit den Einheimischen und gibt darüber hinaus auch noch wertvolle Insider-Tipps für Abenteuer, wie es sie sonst kaum noch gibt. Überleben Sie garantiert jede Reise nach Norddeutschland – mit diesem Buch ist es ganz einfach!

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Seitenzahl: 213

Veröffentlichungsjahr: 2021

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INHALT

VORWORT

KLEINE LANDESKUNDE

Das Nordkorea Norddeutschlands

Die Hochgebirge der Flachländer

Das Wetter – aus typisch norddeutscher Sicht

Die Tierwelt des Nordens

Alles über Duckdalben

SABBELTÜCH UND ANDERE SPRACHLICHE FEINHEITEN

Ist Plattdeutsch eine eigene Sprache?

Welche Wörter man kennen muss

Das Schweigen der Norddeutschen

SELTSAME SITTEN & GEBRÄUCHE DER UREINWOHNER

Der Flachköpper

Klootschießen und Boßeln

Lütt un Lütt trinken – aber richtig!

Was man auf »Hummel, Hummel« zu sagen hat

Strandburgen bauen

Biikebrennen

Norddeutscher Zen

Hexentanz

Humor – aus norddeutscher Sicht

Die Hymne aller Norddeutschen

ESSEN & ALKOHOLZUFUHR

Norddeutsch essen

Bier.

Die Weine des Nordens

ÜBERLEBENSTIPPS FÜR ANFÄNGER & FORTGESCHRITTENE

Wenn der Wolf kommt

»Moin« sagen – wenn es denn sein muss

Gegen den Wind pinkeln

Wie man den Tidenkalender liest

Wie man sich nicht an Bernstein verbrennt

Angeln

Bis zum Kopf im Sand eingebuddelt sein – aber richtig!

Wissen, wo Norden liegt

Perverse Würste

Wie man (k)eine Moorleiche wird

Wattwürmer essen

Der richtige Umgang mit Gongers

FÜR ABENTEURER & ANDERE LEBENSMÜDE

Ultimatives Skiing

Ägyptische Mumien finden

Weltumrundungen und anderes

Unterwasserglocken

Der Norddeutsche King Kong

Über die Weser gehen – als Job!

Das achte Weltwunder

Mit dem Auto schweben

Besteig das Windrad!

Spuk-Watching

MUSIK- SPECIAL

Die Gesänge der Ureinwohner

KULTURELLES MINIMALGRUNDWISSEN

Nordeuropas Weltstädte

Der Schimmelreiter

Die Römer im Watt

Nobelpreisträger

Die Wahrheit über Klaus Störtebeker

BESSER AUCH NOCH ZU WISSEN

Welcher Seemann liegt bei Nanny im Bett?

Was der Blanke Hans anhat

Autostadt Hameln

Gold aus Papier

Die Elbe – ein Elfenfluss?

Kirchlicher Rekord

Welche Städte zur Hanse gehören

 

Danksagung

Norddeutschland ist sicher eine der abenteuerlichsten und geheimnisvollsten Gegenden dieser Welt, in Sachen Exotik durchaus vergleichbar mit den Regenwäldern Amazoniens, den Gebirgen der Antarktis oder Bielefeld nebst Umgebung.

Es gibt hier Meere, die mal da sind und mal nicht, Gebirge von acht Metern Höhe, wilde Tiere, die man eher in Eiswüsten vermuten würde … und so vieles mehr! Die Landschaft ist ausgesprochen abwechslungsreich: Es finden sich weite Marschen neben fast wellenlosem Flachland, plane Strandwüsten neben spiegelglatter See, ausgedehnte Flussniederungen in endlosen Tiefebenen, Felder, die bis zum Horizont reichen, und Wälder, die auf so waagerechtem Grund stehen, dass ihre Bäume bereits nach wenigen Metern jegliche Fernsicht unmöglich machen. Im Süden wird dieses vielgesichtige Land vom Rest der Welt durch die (manchmal) schneebedeckten Gipfelketten (fast) hochalpiner Mittelgebirge abgeschottet. Im Norden durch gewaltige Eisberge, die nur wenige Tausend Kilometer entfernt im Meer treiben.

Die Ureinwohner verständigen sich telepathisch – oder doch nur über Grunzlaute? Die meiste Zeit schweigen sie jedenfalls. Ihre Sitten und Gebräuche sind oft mehr als seltsam, wirken manchmal sogar etwas primitiv. Besonders in ländlichen Gebieten haben sie sich – wie alle Naturvölker – einen Hang zum Übersinnlichen bewahrt. Dennoch haben die Norddeutschen im Laufe der Geschichte etliche Werke geschaffen und Taten vollbracht, die sich – auch im internationalen Vergleich – mehr als sehen lassen können. In allen Bereichen, wohlgemerkt: Kultur, Technik, Politik, Kopfsprung, Militärwesen, Alkoholverbrauch u. v. m.

Der Zugang zu dieser faszinierenden Region gilt seit mehreren Jahrhunderten allgemein als erschlossen. Auch in ihrem Inneren bieten sich dem Reisenden viele Möglichkeiten, von A nach B zu kommen. Wer sich jedoch völlig unvorbereitet in diese wundersame Welt traut, den erwarten etliche Fettnäpfchen und Fallen, gelegentlich auch echte Lebensgefahren. Mancher BADEGAST(s. u.) wurde hier schon zur Moorleiche. Oder kehrte zumindest versehrt nach Hause zurück – zum Beispiel mit einem blauen Auge, das ihm ein aufgebrachter Ureinwohner wegen irgendeines ungewollten Tabubruchs verpasst hatte …

Um die Zahl derartiger Malheurs deutlich zu verringern und Norddeutschland vielleicht irgendwann sogar international als sicheres Reiseland anerkannt zu sehen, habe ich mich entschlossen, dieses Buch zu schreiben. Künftige Besucher sollen hier aus Insidersicht über die naturgegebenen Gefahren in der Wildnis, den richtigen Umgang mit den Ureinwohnern, die Möglichkeiten eines interkulturellen Austauschs mit ihnen … und noch so einiges mehr informiert werden.

Oft war ich selbst irgendwo auf der Welt ein Fremder: So bin ich allein durch Island gewandert, habe in Georgien Einheimische unter den Tisch gesoffen, durch New York ein Auto gelenkt. War eine Weile lang männliches Au-pair-Mädchen in der Schweiz und für eine Nacht der einzige Weiße in einer Diskothek in Johannesburg (übrigens: super!). Hatte eine Freundin in Rom, einmal sogar einen Pauschalurlaub in der Türkei … Immer waren mir dabei Reiseführer und Survival Guides treue Freunde und Helfer! Sei es nun bei der Vorbereitung auf das Unbekannte an sich, dem richtigen Umgang mit einer bestimmten brenzligen Situation im Besonderen … oder einfach nur, wenn ich ein außergewöhnliches Abenteuer erleben wollte. Bisher bin ich immer unbeschadet von all meinen Aufenthalten in der Fremde zurückgekehrt; ohne diese Bücher wäre das aber wohl eher nicht geschehen!

Wer ich bin? Ich würde mich selbst als gut globalisierten Nordling bezeichnen: Offiziell bin ich »geborener Hamburger« – aber einer, der in einem der ländlichen Randgebiete der Stadt aufgewachsen ist. Vertraut also sowohl mit dem urbanen Leben in norddeutschen Metropolen – wie auch mit dem Überleben in der Wildnis rundherum.

Erzogen wurde ich im liberalen weltoffenen, hanseatischen Geist; zugleich bin ich aber auch verwurzelt in der … recht speziellen (das Wort »eingeschränkt« will ich gern vermeiden) Weltsicht der Tieflandbewohner. Jener also, die Außenstehenden bis heute seltsam und unverständlich anmutet.

Wie schon erwähnt, reiste ich recht oft in die weite Welt jenseits der Mittelgebirge, um dort Kultur, Sprache und Lebensweise anderer Völker kennenzulernen. An einigen Orten hätte ich sogar bleiben können – doch am Ende zog es mich immer wieder zurück zum hohen Nordhimmel meiner windigen, verregneten Heimat. Ich denk nun mal, dat sind ganz manierliche Vorraussetzungen für so ’n Sabbelheini wie mich, um euch Badegäste sicher durch unser Plattland zu lotsen …

Womit wir beim nächsten Thema wären: Um Sie auf jene »Sprache«, in der etliche meiner Landsleute im Alltag kommunizieren (und die sehr vom Hochdeutschen abweichen kann!), schonend vorzubereiten, erlaube ich mir gelegentlich, diese auch in meinen Texten zu benutzen (meist in abgemilderter Form). Wundern Sie sich also bitte nicht, wenn Ihnen hier gelegentlich manches Spanisch … nein: Norddeutsch! vorkommt!

Einem Wort der Region werden Sie ständig begegnen – meine Großmutter hat es mich nämlich gelehrt und ich mag es einfach sehr: BADEGAST.

Der Begriff entstand Anfang des 19. Jahrhunderts, als urplötzlich begüterte Städter des Südens an den Nordseestränden auftauchten, um dort – zum Erstaunen der eher wasserscheuen Ureinwohner – in die kalte See zu stapfen. Und das nur, weil irgendwelche Medizingurus ihrer Zeit die Idee hatten, ein Bad im salzigen Wasser könnte unter Umständen gesund sein …

»Büsch ja dumm wie ’n Badegast!«, unkten die Küstenbewohner zunächst darüber. Dann aber machten sie das große Geld mit den Badenden – und schwiegen fortan lieber. Das B-Wort blieb jedoch weiter im kollektiven Gedächtnis des Nordens hängen. Allerdings wandelte sich seine Bedeutung im Lauf der Zeit und verlor dabei fast vollständig seine – eher negative – Konnotation.

Heute umschreibt man bei uns im Norden damit einfach nur Menschen, die nicht aus unserer Gegend stammen – dort aber waren oder sind. Ausnahmslos, geschlechtsneutral und wertungsfrei. Die Synonyme dazu sind also ausgesprochen zahlreich: Fremder, Besucher, Ausländer, Tourist, Bayer, Alien, Gast, Gastarbeiter, Aussiedler, Skandinavier, Reisender, Camper, Backpacker, Schwabe, Reptiloider, Traveller, Einwanderer, Italiener, Pauschalreisender, Kurgast, Argentinier, Staatsgast, Angeschwemmter … und noch vieles, vieles mehr.

Natürlich darf es in einem Buch wie diesem an KONKRETEN VERHALTENSREGELN FÜR LANDESTYPISCHE GEFAHRENSITUATIONEN – Begegnungen mit einem Gonger zum Beispiel – nicht fehlen. Ist es aber dafür nicht am besten, sie – wie auch das ganze Land an sich – so zu sehen, zu fühlen und zu begreifen wie ein norddeutscher Ureinwohner? Schließlich haben er und seinesgleichen hier mit ihrer Sicht auf die Dinge bereits seit Jahrtausenden überlebt! Ein Gespür für die vertrackte Sache mit Ebbe und Flut ist ihm so angeboren wie einem Wall-Street-Broker jenes für das Auf und Nieder der Aktienkurven. Er wittert beim Wasserlassen den Wind als einen ebenso realen Gegner wie der Massaijäger beim kleinen Geschäft den lauernden Löwen im Busch …

Der Nordling weiß mit seinen Gaben zielsicher das Überleben in der Wildnis zu sichern. Und auch Sie sollen eine Ahnung davon bekommen!

Zu einem ANGENEHMEN ÜBERLEBEN gehört es meiner Ansicht nach aber auch, mit den Menschen des fremden Landes friedlich zu koexistieren. Daher gehe ich ausführlicher, als es die meisten anderen Reiseführer tun, auf die Be- und Empfindlichkeiten von uns Norddeutschen ein (die manchmal stark von der globalen Norm abweichen), versuche, sie euch Badegästen so gut wie möglich im historischen, geografischen und kulturellen Kontext zu erklären. Das Notwendigste dazu in den ersten Kapiteln, für die wirklich Interessierten am Ende auch noch ein wenig Zusatzwissen, mit dem man im interkulturellen Austausch sicher punkten kann (es gäbe da noch viel mehr zu erzählen – aber dazu bedürfte es noch einiger weiterer Bücher …).

Wer nach dieser Lektüre aber immer noch »Guten Moin« sagt, wird Odin im Moor geopfert. Oder kriegt eine Extrakurtaxe aufgebrummt.

Für alle Freunde des EXTREMEN ÜBERLEBENS habe ich noch ein Kapitel über knallharte Abenteuer, wie man sie nur im Norden bestehen kann, beigefügt. Wer einem dieser Ausflugstipps der besonderen Art folgt, kann erproben, ob dieses Buch etwas taugt … Viel Glück!

Ich würde mich freuen, wenn Sie durch dieses Werk einen angenehmen Aufenthalt in meiner zauberhaften Heimat haben und unbeschadet nach Hause zurückkehren – um noch ihren Kindeskindern nur Gutes von meinem wundersamen Land im Norden zu erzählen. Also: HOL DI STIEF! –wie man bei uns so sagt.

 

Herzlichst

Ihr

Ulfert Becker

KLEINELANDESKUNDE

DAS NORDKOREA NORDDEUTSCHLANDS

Norddeutschland teilt sich vornehmlich in zwei Regionen auf, die ungefähr so unterschiedlich sind wie Nord- und Südkorea. Der Unterschied zwischen den beiden Koreas und den beiden Norddeutschlands liegt vor allem darin, dass sich durch letztere keine schwer bewachte Grenzanlage zieht. Na gut, das Klima ist noch ein wenig anders, die Landschaft unterscheidet sich auch komplett, Norddeutsche essen nicht mit Stäbchen, drohen nicht mit dem Atomkrieg … und noch ein paar andere Nebensächlichkeiten. Trotzdem können Marsch und Geest nicht unterschiedlicher sein als Nord- und Südkorea.

Die Marsch ist das flache Land, das nur knapp über dem Meeresspiegel an den westlichen Küsten und in den Ebenen der großen Flüsse, die in die Nordsee münden, liegt. Plattes Land eben, das einen sehr fruchtbaren Boden aufweist. Den mögen Pflanzen deshalb so gern, weil er gerade erst – wir reden hier erdgeschichtlich, meinen also »nur« ein paar Tausend Jahre – aus Meeresboden entstanden ist und noch voller Muschelkalk, organischen Resten und anderem Düngerkram steckt. »Man braucht da nur den Daumen reinzustecken und schon wächst was!«, sagen die Marschbauern stolz. Gefahren durch Winterfröste gibt es kaum, da die Gegend dauerhaft durch das nahe, vom Golfstrom aufgeheizte Meer warm gehalten wird. Dafür kommt im Sommer von der See immer ein kühlender Wind und genügend Regen. Der einzige Wermutstropfen – neben zu viel Regen – ist, dass das Land durch Deiche vor Sturmfluten geschützt werden muss, was ziemlich hohe Kosten verursacht. Aber gut, die Sache lohnt sich, weil hier enorm hohe Ernteerträge sicher sind. Entsprechend sind Marschbewohner immer schon recht begütert gewesen und konnten sich daher einen eigenen Kopf leisten. So hatten die Dithmarscher bis ins 16. Jahrhundert eine Art Bauernrepublik ohne fremde Herrscher. Die Vierländer fügten im 19. Jahrhundert ihrer traditionellen Kniebundhosentracht als Kopfbedeckung standesstolz einen eleganten Zylinder hinzu, wie er sonst nur den feinen Städtern vorbehalten war. Ungefähr zur gleichen Zeit kam auch die Mode auf, vor die Eingänge der alten Reetdachhäuser in der Marsch pompöse griechische Säulen zu stellen, um zu zeigen, dass man durchaus weltoffen, an neuster Mode interessiert, kein simpler Bauer und vor allem: solvent war. Aus heutiger Sicht mag das etwas neureich wirken; aber nur wer in diesem Augenblick gerade nicht neidisch auf den Porsche des Nachbarn schielt, werfe den ersten Stein! Trotzdem muss man konstatieren, dass die Landwirte der Marsch ziemlich borniert waren; bis ins 20. Jahrhundert hinein galt es als unschicklich, beim Liebesspiel »Bauer sucht Frau« bzw. »Landwirtstochter sucht Gatten« einen zukünftigen Lebenspartner aus der Geest zu suchen. Geest geht für einen Marschländer nämlich gar nicht. Allein schon der Name! Der kommt vom plattdeutschen Wort »gest«, was »trocken« und »unfruchtbar« bedeutet – und aus Tiefländersicht ist die Geest tatsächlich so. Hier ist der Boden sandiger, nicht besonders nährstoffreich. Zudem fließt das Regenwasser durch den Sand schnell ab und das Grün verdurstet bereits nach kurzen Trockenperioden. Erfolgreicher Ackerbau ist nur begrenzt möglich – weshalb die Geestbauern immer als die armen Verwandten betrachtet wurden, die man bloß nicht heiraten sollte. Wie eben auch niemanden aus Nordkorea – denn das ist ja auch bitterarm. Damit schlossen die Märschler freilich einen großen Teil der Norddeutschen als potenzielle Geschlechtsgenossen aus. Weite Teile Niedersachsens und Mecklenburg-Vorpommerns sowie große Regionen Schleswig-Holsteins gehören nämlich zur Geest.

Dabei hat diese Landschaft, die durch die Gletscher der Eiszeit ausgeformt wurde, durchaus auch ihre Vorteile, liegt sie doch im Schnitt ein paar Meter höher als die Marsch und ist damit vor etwaigen Fluten geschützt. Aus diesem Grund siedelten sich die ersten Norddeutschen auch hier an, nicht in den Feuchtgebieten der Marsch. Bereits vor rund 5000 Jahren – die ersten Marscheroberer waren gerade einmal ein paar Meter vom Geestrand weggekommen und steckten damit schon im matschigen Boden fest – wurden hier Großsteingräber aus gigantischen Findlingen errichtet; rund 900 dieser Zeugen einer ersten Nordkultur kann man noch heute besuchen. Die Bauwerke, die in den Jahrtausenden danach entstanden, beweisen, dass man auch in der Geest durchaus dauerhaft überleben kann.

Heute ist es eh relativ egal, ob man nun in der Marsch oder Geest seinen Hof hat: Dank der modernen Landwirtschaft ist der norddeutsche Ackerboden überall fast gleich fruchtbar. Und in den Dörfern und Städten herrschen überall die gleichen Moden der Globalisierung. Wie überall auf der Welt – bis auf Nordkorea.

Der Vollständigkeit halber seien hier noch die zwei anderen norddeutschen Landschaftsformen, die wir bisher ausgelassen haben, wenigstens erwähnt: In Schleswig-Holstein gibt es noch die wunderbare Kombination aus Marsch und Geest, die Endmoränenlandschaft. Aufgetürmt von den eiszeitlichen Gletscherfüßen findet sich hier hügeliges Ackerland mit gutem Boden, das hoch genug liegt, um von Meeresfluten nicht gefährdet zu sein. Und dann sind da noch die Mittelgebirge im südlichen Niedersachsen – aber das ist nun wieder eine ganz andere Geschichte, die schon nicht mehr so ganz norddeutsch ist …

DIE HOCHGEBIRGE DER FLACHLÄNDER

Lieblich liegt das Vorland da: In saftigem Grün erstrahlen die Wiesen und Weiden, glückliche Kühe weiden fleißig das üppige Gras in der Morgendämmerung, um uns alsbald ihre köstliche Milch zu schenken. Ein Idyll des Friedens. Der Wandersmann möchte verweilen – doch es drängt ihn weiter, zu Höherem, zu den Gipfeln. Dort, unter den Strahlen der gerade aufgehenden Sonne, ragen sie majestätisch empor. Nur wer sie jemals selbst bezwungen hat, weiß, welches Gefühl der Freiheit und Unendlichkeit den mutigen Bergsteiger dort oben erwartet. Doch zuvor gilt es, einige Strapazen zu erdulden. Ein wenig stockt der Mut des Wanderers, wenn er am Fuße der Giganten angelangt ist: Demütig schaut er hinauf zu ihrer Spitze, wissend, dass es nicht ganz ungefährlich ist, sie zu erklimmen. Vorsichtig wird das kleine Türchen im Zaun geöffnet, das Schafe und anderes Berggetier in seinen luftigen Reservaten hält. Vorsichtig werden nun die Schritte auf dem schmalen Pfad gesetzt – bergauf, immer weiter bergauf! Mühsam ist das Erklimmen des steilen Weges, bald schon wird die Luft dünner. Eine Rast ist nötig auf halber Höhe. Doch welch ein Blick über das weite Land wird einem hier bereits geboten, wie klein wirken die Welt und alle ihre Sorgen bereits von hier! Wie mag es erst sein, wenn der Gipfel erklommen ist? Weiter also, hinauf! Das Ziel rückt näher und näher. Endlich – die Kräfte sind fast vollkommen aufgezehrt – die letzten Meter. Der Himmel jenseits der Kuppe ist zum Greifen nahe, drei Schritte noch, zwei, einer … jetzt! Die Titanentat ist vollbracht! Der Held steht glücklich in luftigen Höhen, weit über den profanen Dingen da unten. Vor ihm erstreckt sich das blaue Meer in die Unendlichkeit (je nach Tidenkalender kann es allerdings auch die endlose Schlammwüste des Watts sein …).

Hinter dem Wagemutigen die norddeutsche Tiefebene, Grasland bis zum Horizont. Es mag einen schwindeln bei dieser Perspektive, die sonst nur dem Vogel zuteilwird. Doch der Triumph, hierher, auf den höchsten Erdenpunkt in einem Umkreis von unzähligen Kilometern gekommen zu sein, lässt alles Unwohlsein schnell wieder vergehen: Acht Meter Höhenunterschied sind überwunden.

Das ist hoch, sehr hoch für einen Norddeutschen, der in der Marsch – die sich kaum mehr als einige Zentimeter über den Meeresspiegel erhebt – geboren wurde und zum ersten Mal einen Deich erklimmt. In seiner Wahrnehmung sind selbst die Gipfel des Himalaja nur unwesentlich höher. Doch nicht nur das Wissen um die sportliche Leistung, es so weit nach oben gebracht zu haben, füllt das Herz so eines Deichbesteigers mit Stolz, nein: auch das Wissen darum, dass dieses Nordgebirge allein von Menschenhand erschaffen wurde! Mutige Vorfahren begannen bereits im späten Mittelalter, dem wütenden Meer mit solchen Bollwerken zu trotzen. Denn ohne die Deiche würden die Fluten salzigen Wassers immer wieder den fruchtbaren Boden der Ebene verderben und keines Menschen Leben hier erlauben. De nich will dieken, de mutt wieken – »Wer nicht eindeichen will, der muss weichen« –, so lautet der trutzige Kampfruf der norddeutschen Tiefländer seit Jahrhunderten. Und seit Jahrhunderten werden nach dem System »Versuch und Irrtum« immer festere, breitere und höhere Deiche gebaut. Ein Irrtum war es zum Beispiel, dass die Wälle im 17. Jahrhundert nur drei Meter hoch waren: Einige bösartige Sturmfluten mit so hübschen Namen wie »Mandränke« oder »Weihnachtsflut« schwappten da einfach drüber – und Abertausende mussten ihr Leben lassen. Also wurde aufgestockt. Heute, im Zeitalter des Klimawandels, denkt man sogar schon über zehn Meter hohe Bauwerke nach – obwohl in den letzten 40 Jahren die modernen Achtmeterdämme der Küste allen Fluten standhielten.

Mit einem gewissen Grauen denkt unser Wandersmann auf der Deichkrone daran, welche Mühsal wohl die Besteigung eines Zehnmetergiganten mit sich bringen würde. Aber – ach was! Auch diese Tat wird ihm gelingen! Doch zunächst gilt es, den gefahrvollen Abstieg hin zum wohlverdienten Deichbezwingerbier zu meistern. Nicht auszudenken, wenn man auf einem frischen Schafsköttel ausrutschte und in die Tiefe fiele! Ein munteres Lied hilft da, alle Furcht fahren zu lassen … Also jetzt alle zusammen: Beim Deichesglühen heimwärts wir ziehen / Deichvagabunden sind wir, ja wiiiir …

DAS WETTER – AUS TYPISCH NORDDEUTSCHER SICHT

Es ist eine lauschige Sommernacht. Lauschig ist sie aber nur deshalb, weil wir gerade eben die Heizung angestellt haben. Draußen prasselt ein Dauerregen, das Thermometer zeigt 12° C. Es ist Anfang Juli – aber das Wetter unterscheidet sich kaum von jenem, das wir bereits Ende Februar hatten. Ein Südländer, der hier im Norden zu Gast sein mag, beginnt sicher nun bald irgendwann, nach den übrig gebliebenen Psychopharmaka seines letzten Depressionsanfalls zu suchen. Oder nach der Pistole, mit der sich schon sein Onkel das Leben nahm. Bestenfalls bucht er einen Flug, der ihn einfach wieder nach Süden bringt.

Wir Norddeutschen haben all dies nicht nötig. Wir gehen einfach ins Internet, schauen auf die Statistiken – und sehen, dass hier, wo wir gerade sind, einfach der tollste Platz zum Leben ist. Weil es an anderen Orten nämlich noch viel schlimmer sein kann. In diesem obskuren München zum Beispiel: von wegen »sonniger Süden«!

Die Bayern dort haben nämlich ähn-lich viele Regentage wie wir Hamburger – bummelig 130 pro Jahr. Aber dabei gehen im Schnitt 860 Liter Wasser pro Quadratmeter herunter – in der Hansestadt nur lächerliche 770 Liter. Wir Nordmenschen wundern uns fast, dass die Bajuwaren noch nicht abgesoffen sind: so viel Wasser – und alles ganz ohne Deiche! Am schlimmsten sind in Deutschland allerdings offenbar die Wuppertaler dran: Denen tropfen pro Jahr fast 1200 Liter auf den Kopf.

Und dann dieses unsinnige Vorurteil, der Norden sei kalt! Angenehme 17° C Durchschnittstemperatur haben wir hier – im Juli. Das ist doch geradezu tropisch angesichts der −45,9° C, die am Heiligabend 2001 im bayrischen Funtensee herrschten! Kälter war es seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in ganz Deutschland allerdings noch nicht. Bei den Menschen, die anderswo auf dem ungefähr gleichen Breitengrad wie wir wohnen, jedoch schon: in Alaska zum Beispiel oder am Baikalsee in Sibirien – in beiden kann es im Winter mit bis zu −50° C empfindlich kalt werden! Kuschelige Wärme also in Norddeutschland – dem Golfstrom sei Dank! 9° C im Mai … damit würde so mancher Sibirier schon ins Schwitzen kommen.

Dann aber erst unsere gute Luft! Mit ihren herrlichen Aromen von Seesalz, fruchtbarem Landboden, grünen Blättern und Regentropfen! Gut aufgerührt durch die Winde, die ständig über unsere Tiefebene streichen – und allen Schiet in der Luft vornehmlich nach Südosten blasen. Rußpartikel und Co – da weiß der Norddeutsche doch erst mal gar nicht, was damit gemeint ist. Und warum er für sein Auto irgendeine Plakette braucht. Bis dann ein Kreuzfahrtschiff vorbeifährt und die weiße Tischdecke auf dem Balkon plötzlich grau ist … Noch ein Blick ins Internet. Na gut: Ganz da unten, in den Alpen, soll die Luft ähnlich sauber sein. Aber da ist es ja viel kälter als hier, es kommt mehr Regen runter und Berge sind da auch noch … Nee, nee, denken wir Norddeutschen uns dann: So richtig »prima Klima« ist doch genau hier, wo wir immer schon gelebt haben!

DIE TIERWELT DES NORDENS

DIE MEISTGESEHENEN

Überall in den Weiten der nordischen Tiefebene, wo sich das Grasland bis in die Unendlichkeit zu erstrecken scheint, findet man gewaltige Herden von schwarz- oder rotbuntem Hornvieh. Es handelt sich zumeist um HOLSTEIN-RINDER, eine der weltweit bedeutendsten Milchviehrassen. Suggeriert ihr Name auch, dass sie schon immer hier gegrast haben, so sind es doch in Wahrheit Einwanderer aus der Neuen Welt. Die allerdings norddeutsche Wurzeln haben … Die Tiere, die wir heute sehen, stammen nämlich aus Nordamerika; sie wurden dort jedoch aus alten Rassen des Nordens gezüchtet, die Aussiedler aus Friesland, Schleswig-Holstein und Niedersachsen bereits Ende des 17. Jahrhunderts in die Neue Welt mitgebracht hatten. In Sachen Milchproduktion ist die Züchtung unübertroffen, sie verbreitet sich immer mehr über die ganze Welt. Als »Re-Import« gelangte sie erst Mitte des 20. Jahrhunderts wieder zurück nach Norddeutschland und verdrängt seither zunehmend das alteingesessene SCHWARZBUNTE NIEDERUNGSRIND. Dieses ist kleiner als sein Konkurrent, gibt daher also auch weniger Milch, ist allerdings genügsamer und zäher. So hält man es sich gern als Zweitrind für alle Fälle. Dieses Modell ist jedoch nur in klassischem Schwarz-Weiß zu haben – will man modisches Braungesprenkeltes, muss man auf die Importe aus den USA oder Kanada zurückgreifen.

DIE POLAREN

Südländer denken oft, Norddeutschland läge irgendwo am Polarkreis, Eisberge würden hier auf dem Meer treiben und Schnee 300 Tage im Jahr liegen. Und noch mehr Menschen meinen, Robben und Seehunde würden sich in genau solchen Regionen herumtreiben. Das ist natürlich alles Quatsch – bis auf den Fakt, dass sich die Meeressäuger durchaus gern in Norddeutschland aufhalten. Sie tummeln sich zuhauf vor den Badeorten der Nordsee, auch in der Ostsee gibt es einige Exemplare. Selbst auf abgelegenen Stränden der Niederelbe sonnen sich die Wasserraubtiere genüsslich – und springen gelegentlich in den Fluss, um ein vorbeifahrendes Segelboot neugierig zu inspizieren. Manchmal sind sie sogar im Hamburger Hafen zu sehen – dort allerdings versucht man, sie so schnell wie möglich einzufangen und aus dieser Gefahrenzone mit ihren Schiffsschrauben und Abwässern zu bringen.

An der Nordseeküste gibt es jedoch mehrere Orte, an denen man Seehunde und Robben in aller Ruhe beobachten kann. Oft allerdings nur mit dem Fernglas, von einem Schiff aus. Nur auf Helgoland kann man den Strand mit ihnen teilen – muss aber einige Regeln des ansässigen VEREINS JORDSAND ZUM SCHUTZE DER SEEVÖGEL UND DER NATUR E. V. streng beachten. Jene zum Beispiel, dass man den Tieren niemals näher als 30 Meter kommen darf – geschweige denn, ein Robbenbaby, das gerade auf seine Mama wartet, gar zu streicheln. Die Einhaltung dieser Regeln ist relativ einfach, da die scheuen Tiere meist mit einem Plumps im Wasser verschwinden, wenn sich Menschen nähern.

DIE SCHNELLEN

Mit Spitzengeschwindigkeiten bis zu 55 km/h gehören sie eindeutig zur Turbotruppe im Tierreich: SCHWEINSWALE!

Wale in Norddeutschland??? Ja, es gibt sie tatsächlich – und ihre Zahl nimmt sogar langsam zu! Seit einigen Jahren werden in der Elbe immer mehr dieser Meeressäuger beobachtet, die teilweise sogar dauerhafte Verbände mit sechs Tieren bilden; vor der Ostseeküste schätzt man ihren Bestand derzeit immerhin auf 300 Individuen. Um Enttäuschungen gleich vorwegzunehmen: Erwarten Sie bitte nicht tonnenschwere Kolosse von 30 Metern Länge wie in einer Moby-Dick-Verfilmung! Schweinswale gehören zwar offiziell zur Familie der Wale – werden aber nur bis zu 2,50 Meter lang und 200 Kilogramm schwer; sie ähneln im Körperbau eher den Delfinen – mit denen sie eng verwandt sind – als den gigantischen Blauwalen (die für sie nur eine Art Schwippschwager darstellen). Ob sich der Aufwärtstrend ihrer Verbreitung wirklich auf Dauer fortsetzt, steht allerdings infrage: Die Tiere sind extrem hellhörig und in der Lage, Ultraschall zur Echoortung einzusetzen. Sie können sich über weite Distanzen mit einer Art Sprache aus Klick- und Pfeiflauten untereinander verständigen. Der Unterwasserlärm, den die Menschen zunehmend mit Schiffsmotoren, seismischen Ortungen oder U-Boot-Echoloten verursachen, stresst sie also gewaltig; manchmal verlieren sie dadurch sogar ihren Ortungssinn. Die Zahl der Totfunde von Schweinswalen an der Ostseeküste ist jedenfalls ähnlich gestiegen wie jene der Sichtung neuer Populationen in der Elbe.

DIE LECKEREN

Schon der Name zergeht einem auf der Zunge: BAD BENTHEIMER BUNTSAU! Sofort läuft beim Klang dieses Namens dem Feinschmecker das Wasser im Munde zusammen: feinstes Fleisch, durchzogen von relativ viel Fett! Appetitlich schon beim puren Ansehen, wunderbar zu braten, geschmacklich ein Gedicht. Nicht zu vergleichen mit allem, was sich in der Theke eines üblichen Metzgers tummelt. Aber ach! Wie an so viele andere wahre Delikatessen auch kommt man an das Fleisch dieses Tieres nur sehr schwer heran. Das BUNTE BENTHEIMER SCHWEIN (so der offizielle Name) ist nämlich vom Aussterben bedroht.