Systemisch visualisieren: Einfach machen! - Wiebke Lückert - E-Book

Systemisch visualisieren: Einfach machen! E-Book

Wiebke Lückert

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Beschreibung

"Worte haben keine Energie, solange sie kein Bild auslösen!", wusste schon Virginia Satir. Für systemisches Arbeiten sind verschiedene Sichtweisen auf die Wirklichkeit(en) und deren Beschreibung zentral. Es geht darum, Strukturen und Muster zu erkennen und zu verändern. Ein Wunder, dass die einfache Visu-Bildsprache, die jede:r lernen kann, noch nicht zum Standardwerkzeug für die Arbeit mit Menschen gehört! Das möchten Wiebke Lückert und Franziska Brauner mit diesem illustrierten Werkstattbuch inklusive Mini-Workshop zum Download ändern! Sie zeigen, wie Visualisierung funktioniert und wie sie sich mit systemischem Arbeiten verbinden lässt. Sie erklären unterhaltsam, wie aufmerksame Beobachtung und Strukturierung von Inhalten mit dem Stift helfen können, Komplexität zu reduzieren und Wesentliches auf den Punkt zu bringen. Keine Angst, wenn Zeichnen noch nie so Ihr Ding war: Mit diesem Buch lernen Sie Schritt für Schritt, wie Sie einfache Icons und Figuren selbst gestalten und Ihren eigenen Stil entwickeln. Zahlreiche Beispiele, Anleitungen und Vorlagen machen es möglich. Der beraterische Möglichkeitsraum erweitert sich dadurch erheblich: Setzen Sie Visualisierungen in der konzeptionellen Arbeit ein, strukturieren und dokumentieren Sie Prozesse, Lerninhalte oder eigene Gedanken, nutzen Sie sie für Präsentationen, Flipcharts, Arbeitsblätter oder Homepages. Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig, ob im Eins-zu eins-Setting oder in Gruppenseminaren, ob digital oder analog. Visualisieren beflügelt die Kreativität, macht Spaß und sorgt für Gefühl und Humor in der systemischen Arbeit. Warum nicht gleich loslegen?

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Wiebke Lückert / Franziska Brauner

Systemischvisualisieren:

Einfach machen!

Das Grundlagenbuch

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

© 2022 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen,

ein Imprint der Brill-Gruppe

(Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA;

Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland;

Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich)

Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlagabbildung: Kirsten Sainio

Illustrationen: Franziska Brauner und Wiebke Lückert

Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Produktion: Lumina Datamatics, Griesheim

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISBN 978-3-647-99381-2

Inhalt

1Noch ein Buch über systemisches Arbeiten –muss das sein?

1.1Digitales Zusatzmaterial – vom Buch zum Workshop

1.2Wie wir zum Visualisieren gekommen sind

1.3Herzlich willkommen – wo ist der Einstieg günstig?

2Systemisches Denken und Handeln

2.1Systemische Selbsterkundung

2.2Systemische Held*innen

2.2.1Virginia Satir und die humanistische Familientherapie

2.2.2Paul Watzlawick und der Konstruktivismus

2.2.3Salvador Minuchin und die strukturelle Familientherapie

2.2.4Mara Selvini Palazzoli und das Mailänder Modell

2.2.5Steve de Shazer, Insoo Kim Berg und die lösungs-orientierte Therapie

2.2.6Michael White und die narrative Therapie

2.3Zirkularität, Humanismus, Konstruktivismus und die systemische Haltung

3Systemisches Arbeiten mit der Grundausstattung

3.1Körper – sinnliche Wahrnehmung, Körperhaltungen und Gefühle

3.2Sprache – Kommunikation und Konstruktion von Wirklichkeit

3.2.1Sprache als Zeichensystem

3.2.2Sprache und Konzepte, Vorstellungen und Bedeutungen

3.2.3Konventionalisierung von Sprache

3.2.4Sprache in Beratung, Coaching und Therapie

3.2.5Sprache als Methode – Gesprächstechniken und Fragen

3.3Wahrnehmung, Beobachtung und Austausch

4Einblick in den systemischen Methodenkoffer

4.1Der typische Rahmen für Beratung, Coaching und Therapie

4.2Freie Arbeit mit Bildern – eine Ebene zum Drüberreden

4.3Genogramm – Arbeit mit einer Bildsprache

4.4Lebensfluss und Strukturaufstellungen – das dreidimensionale Bild

4.5Symbolsprachen und Symbolsysteme für neue Perspektiven

5Visualisierung in systemischer Arbeit

5.1Visualisierung – eine universelle Sprache

5.2Komplexes wird einfach – mit Bildern auf den Punkt kommen

5.3Visualisierung systemisch nutzen

5.3.1Denken, Verstehen, Lernen und Zuhören mit Stift

5.3.2Mitschreiben und Dokumentieren

5.3.3Kommunikation in Beratung, Coaching und Therapie

5.3.4Erklären, Illustrieren und Präsentieren

5.4Auf die Plätze, fertig, los!

5.4.1Inspirieren lassen – Vokabelbibliotheken und Designvorlagen

5.4.2Just do it – üben, üben, üben und einfach machen!

6Ran an den Stift – so geht Visualisieren

6.1Visuelle Vokabeln – Die Grundformen

6.1.1Der Punkt

6.1.2Die Linie

6.1.3Zwei Dimensionen – einfache Formen

6.1.4Das Viereck

6.1.5Das Dreieck

6.1.6Der Kreis

6.1.7Drei Dimensionen – komplexere Formen

6.1.8Mischformen

6.1.9Die Schleife und das Band

6.1.10Die Rolle

6.2Visuelle Vokabeln – Figuren

6.2.1Das Gesicht

6.2.2Gefühle und Mimik

6.2.3Der Körper und die Körperhaltung

6.2.4Gestik mit Armen und Händen

6.2.5Typische Ausstattungen

6.2.6Figuren in Aktion

6.3Visuelle Vokabeln weiterentwickeln

6.4Schrift und Text in Visualisierungen

6.5Konturen, Farbe und Schatten

6.5.1Arbeiten mit nur einer Farbe

6.5.2Arbeiten mit vielen Farben

6.6Ausstattung für systemisches Visualisieren

7Einblicke in unsere systemische Visualisierungs praxis

7.1Beispiele für Denken, Verstehen, Lernen und Zuhören mit dem Stift

7.1.1Drei Schritte für mehr Klarheit

7.1.2Ressourcenschonende Konzeption in Wort und Bild

7.1.3Neues lernen

7.1.4Mitschreiben und Dokumentieren

7.1.5Öffentliches Visualisieren

7.2Ad-hoc-Visualisierungen

7.3Visualisierung anregen mit Arbeitsblättern

7.4Illustrationen als Begleitung von Informationen

7.5Just do it – Unterstützung und Inspiration durch andere

8Systemisches Visualisieren

Dank

Literatur

1Noch ein Buch über systemisches Arbeiten – muss das sein?

Jepp. Es muss. Warum? Ganz einfach: Die systemische Arbeit mit Menschen und die Visualisierung über Bildsprache und Text ergänzen sich perfekt und befördern sich gegenseitig – beides zusammen gibt einen unglaublichen Schub für die Arbeit mit Menschen und auch für das gesamte Restleben. Systemisches Visualisieren ist ein Zusammenspiel aus einer umfassenden, lösungsorientierten Perspektive, einer menschenfreundlichen Haltung in psychosozialer Arbeit und einer nahezu universellen Sprache mit hohem individuellem Identifikationswert.

Systemisches Arbeiten und Visualisierung – Explain it like I am five

Was ist systemisches Arbeiten? Der einzelne Mensch und mögliche Auffälligkeiten oder Störungen in seinem*ihrem Verhalten werden nicht länger nur für sich betrachtet. Das Verhalten wird stattdessen im Zusammenhang – eben in einem bestimmten System – gesehen und verstanden. Damit gibt es weniger Notwendigkeit für potenziell stigmatisierende Diagnosen oder andere eindimensionale Zuschreibungen – die Verantwortung für Veränderung liegt nicht nur auf den Schultern einer Person, sondern es gibt mehrere Menschen im System, die zu Veränderungen und Lösungen beitragen können.

Der systemische Ansatz kommt ursprünglich aus der Familientherapie, prägt mittlerweile aber die begleitende Arbeit mit Menschen in unterschiedlichsten Feldern, seien es Sozialpädagogik, Beratung, Coaching, Therapie, (Aus-)Bildungssituationen oder auch ganz andere Kontexte. Zentrales Werkzeug in systemischer Arbeit ist die Sprache. Sie ist nicht nur Kommunikationsmittel: Vor allem werden mit ihr Wirklichkeiten verhandelt und neue Perspektiven eröffnet. Auch andere erfahrungs- und erlebnisorientierte Methoden werden von systemisch arbeitenden Menschen angewandt, um alle bisher gedachten Hypothesen, Erklärungen und Gedanken für die Suche nach einer Lösung zu nutzen, auch bisher noch nicht oder nicht mehr Bewusstes.

Dazu werden alle Sinne und der gesamte Körper, dessen Erinnerungen und/ oder Ideen mit einbezogen. Viele systemische Methoden arbeiten mit Vergegenständlichung oder Abbildung von Situationen bzw. Konstellationen. Die Systeme werden so in den Raum oder auf den Tisch geholt und von allen Seiten betrachtet. Klassische Methoden sind beispielsweise das Erstellen von Familienstammbäumen (Genogramme) oder die Darstellung von Lebensläufen oder (Familien-)Systemen mit Seilen und verschiedenen Figuren.

Was ist Visualisierung? Visualisierung im engeren Sinne ist ebenfalls eine Sprache. Eine, die nicht mit Buchstaben, Lauten, Wörtern und Sätzen arbeitet, sondern mit Bildern. Menschen tauschen sich seit jeher mittels Bildern aus, von Höhlenmalerei bis zum Bahnhofs-Piktogramm, vom Strichmenschen zum Rembrandt. Bildsprache ist im Unterschied zu Schrift- und Sprechsprachen sehr wenig festgelegt und reglementiert. Sie ist schnell erlernbar (eigentlich können wir sie alle schon) und fast universell einsetzbar. Deshalb gehört Visualisierung (im Folgenden mitunter auch nur »Visu« genannt) in den Instrumentenkoffer systemisch arbeitender Berater*innen. Dass sie dort bislang ein Schattendasein führt, wollen wir ändern.

Es kommt noch ein weiterer Grund hinzu: Visualisierung als systemische Methode bereichert das Denken und macht einfach Spaß. Das erfahren wir in unserer Beratungsarbeit: Visualisierung lässt unseren Austausch mit Klient*innen, unsere Trainings und Workshops bunter und fröhlicher werden. Wir kommen schneller auf den Punkt. Wir verstehen uns selbst und andere besser und befördern Entwicklung und Veränderung. Deshalb ordnen wir diese Technik der systemischen Grundausstattung zu und zeigen, wie sie den Methodenkoffer bereichern kann. Das ist sowohl für Menschen interessant, die schon lange systemisch arbeiten und mal (wieder) etwas Neues ausprobieren wollen, aber ebenso für Visualisierende aus allen Bereichen, die neugierig auf systemisches Denken und Arbeiten sind, und natürlich auch für Personen, die beides (besser) kennenlernen wollen.

Also Stifte gespitzt halten – wir präsentieren im Folgenden unser Verständnis von systemischer Arbeit in Wort und Bild. Außerdem erklären und zeigen wir, wie Visualisieren geht!

1.1Digitales Zusatzmaterial – vom Buch zum Workshop

Um zu ermöglichen, dass unsere Leser*innen tatsächlich »Einfach machen!«, stellen wir umfangreiches digitales Zusatzmaterial bereit – quasi der Workshop zum Buch.

Einfach ausdrucken und analog bearbeiten oder downloaden für die direkte digitale Bearbeitung! Falls das nicht möglich ist, sind irgendein Blatt Papier und ein Stift sowie ein Blick auf das digitale Material ebenfalls völlig ausreichend.

Nutzungshinweis für digitales Material

1.2Wie wir zum Visualisieren gekommen sind

Wir verstehen uns als systemische Visualistinnen: Wir sprechen mit Bildern und malen mit Worten! Dabei haben wir das große Ganze im Blick und suchen nach dem Wesentlichen, nach Zusammenhängen und der Ordnung, die aus dem jeweiligen System auftaucht.

Wer schreibt hier eigentlich?

Professionalisiert haben sich unsere Zugänge zu systemischer Arbeit und Visualisierung während unserer unterschiedlichen Aus- und Weiterbildungen und beruflichen Erfahrungen. Wir kommen fachlich aus der Psychologie, Sprachwissenschaft und Soziologie und haben Freude am Sprechen, an Gesprochenem und Geschriebenem. Besonders, wenn Metaphern und Bilder Sprache und Texte bereichern. Inzwischen arbeiten wir gemeinsam in eigener systemischer Coaching- und Beratungspraxis und nutzen Visualisierung in unseren Coachings, Trainings und Workshops als Methode zur Dokumentation, für Arbeitsblätter oder Flipcharts, zum Erklären oder zur Illustration, für konzeptionelles Arbeiten und zum gemeinsamen Denken.

1.3Herzlich willkommen – wo ist der Einstieg günstig?

Jede*r Leser*in wird einen eigenen Weg durch das Buch und das digitale Zusatzmaterial finden und ist dazu eingeladen, auch mittendrin anzufangen und kreuz und quer zu lesen – ganz in Abhängigkeit davon, aus welcher Richtung und mit welchem Ziel Buch und Lesende zusammenkommen. Selbstverständlich sind im Text Hinweise für Querverbindungen enthalten.

Herzlich willkommen – Zielgruppen und Lesehinweise

Vielleicht lohnt es sich für die Entscheidung zum Loslesen zu überlegen, wo ein guter Startpunkt ist. Dazu eignet sich der erste Ausflug ins digitale Zusatzmaterial.

•Wer neugierig auf alles ist, fängt einfach vorne an und folgt unserer Sortierung.

•Wer schon viel Visu-Expertisemitbringt, aber bisher nur wenig über das systemische Denken und Arbeiten weiß, kann gut mit Kapitel 2, 3 und 4 loslegen.

Kapitel 2, 3 und 4 – Systemisches

Wir starten in die systemische Perspektive mit einer kurzen Selbsterfahrung und nehmen unsere persönlichen Held*innen in den Blick: Was haben wir von diesen Menschen gelernt, was hat uns inspiriert? Außerdem zeigen wir die wesentliche systemische Arbeitsweise: Beobachtung und Austausch. Dabei spielen die Wahrnehmung aller Sinneseindrücke, der Körper und Gefühle sowie die Sprache eine große Rolle. Weil wir auch Visualisierung als Sprache verstehen, erklären wir Sprache als Regel- und Symbolsystem sowie zentrales Kommunikationsmittel und Arbeitswerkzeug in systemischer Arbeit. Ein Blick auf einige typische systemische Methoden macht deutlich, wie mit Bildern und Symbolen gearbeitet wird. Visualisierung passt in diese Arbeitshaltung und das Methodenrepertoire hervorragend hinein!

• Leser*innen mit systemischer Vorerfahrung und entsprechend breitem Methodenrepertoire mögen vielleicht gleich beim Visualisieren in Kapitel 5 einsteigen.

Kapitel 5 – Visualisierung in systemischer Arbeit

Wir zeigen, was Visuali sie rung im engeren Sinne über die bekannten systemischen Methoden hinaus ist, was Visualisierung als Sprache und Kulturtechnik ausmacht und wie Visualisierung funktioniert. Außerdem erklären wir, wie man mit dem Stift denken, dokumentieren, kommunizieren und Wissen oder Ideen präsentieren kann.

•Falls Finger und Stift nach den ersten Seiten schon ungeduldig zucken: Ran ans Digi-Material und an Kapitel 6! Denn dort geht es sofort los mit »Einfach machen!« und die Visu-Sprache ausprobieren.

Kapitel 6 – Ran an den Stift

Ausgehend von ganz einfachen Zeichen, die jede*r zeichnen kann, zeigen wir, wie visuelle Vokabeln – gegenständliche Symbole ebenso wie Figuren – entwickelt werden. Auch Kombinationen dieser Symbole und die Verwendung von Farbe und Perspektive erklären wir. Naheliegend, dass es hier besonders viel digitales Material gibt!

•Wer mehr von unseren eigenen Erfahrungen sehen und dazu lesen will, um sich von den Ergebnissen her dem Thema zu nähern: Kapitel 7 ist die richtige Tür.

Kapitel 7 – Einblicke

Hier zeigen wir verschiedene Beispiele von Visualisierung aus unserem Tagesgeschäft. Das digitale Zusatzmaterial sowie die Illustrationen im Buch sind ebenfalls Beispiele, die verdeutlichen, wie wir arbeiten. Das Buch ist in den frühen 2020er Jahren entstanden, und wir haben beim Schreiben sowie in unserer Praxisarbeit vom gesamtgesellschaftlichen Digitalisierungsschub profitiert – vorher hatten wir fast nur mit Stiften und auf Papier gezeichnet, unsere Lernkurve im digitalen Feld war und ist steil. Wir sind neugierig darauf, wie diese Reise weitergeht. Die Wahrnehmung der Welt passiert in Körper und Kopf, egal, ob man mit Papier und Stift oder digital arbeitet und auch egal, ob man sich leibhaftig begegnet oder über die digitale Bande. Wir arbeiten mit dem, was da ist!

•Und wer lesen will, was unsere Schlussfolgerungen für systemisches Arbeiten und Visualisieren sind: Das steht am Schluss. Es soll ja Leute geben, die Bücher von hinten anfangen …

Kapitel 8 – Systemisches Visualisieren

Visualisieren im engeren Sinne und systemisches Arbeiten sind in unterschiedlichen Töpfen und zu unterschiedlichen Zeiten gewachsen. Sie haben viele Gemeinsamkeiten und ergänzen sich hervorragend. Es kann sich sowohl für Visualisierende lohnen, etwas über systemische Methoden, Haltungen und Kompetenzen zu erfahren, als auch für systemisch arbeitende Menschen, sich mit Visualisierung zu beschäftigen.

Systemisches Visualisieren für alle!

Aber nun genug der Vorrede. Nicht vergessen: Papier oder Digi-Material bereitlegen, den analogen Stift spitzen oder den digitalen Stift aufladen … Jetzt geht’s los!

2Systemisches Denken und Handeln

Wir springen rein in die Welt des systemischen Arbeitens. Dazu starten wir bei den Lesenden selbst, um zu zeigen, dass Einzelne nicht nur für sich stehen, sondern immer Teil von Systemen sind. Systemen, in die sie hineinwirken und die auf sie selbst wirken. Für jede*n Leser*in wird dieser wechselseitige und zirkuläre Bezug auch im digitalen Zusatzmaterial erfahrbar (Kapitel 2.1).

Zirkuläre Bezüge

Außerdem erzählen wir Auszüge aus unserer eigenen systemischen Lerngeschichte, und zwar anhand von Menschen, die wir inspirierend finden. So bekommen Hintergründe, Theorien, Haltungen, Entwicklungen oder auch bestimmte Methoden ein »Gesicht«. Alles, was mit Menschen und Bildern verknüpft ist, können wir uns besser merken. Am Ende jedes Unterkapitels in diesem Buchabschnitt gibt es deshalb einen »Spickzettel« (Kapitel 2.2).

2.1Systemische Selbsterkundung

Wir sind alle Systeme, jeder Mensch ist eins, und es gibt darüber hinaus für jede und jeden von uns verschiedene größere und kleinere Systeme oder Kontexte, in die wir in unterschiedlichen Rollen eingebunden sind oder waren. Das alles prägt uns und beeinflusst unsere Arbeit, unser Verständnis der Welt – unser Sosein, wie wir eben (geworden) sind. Um andere Menschen professionell begleiten zu können, ist es wichtig, eigene Themen reflektiert und blinde Flecken kennengelernt zu haben (Schiersmann, in Tippelt u. v. Hippel, 2010). In vielen Beratungs- und/ oder Therapieausbildungen sind die Selbsterfahrung und der hohe praktische Anteil deshalb ein unverzichtbares Element. Im digitalen Material der folgenden Seiten finden sich einige erste Anregungen, wie systemische Visualist*innen sich selbst als System im System erkunden können.

Begleiter*in an sich

Die zeitliche Dimension eröffnet den Blick darauf, dass es jeden Menschen einerseits hier und jetzt gibt, zum Beispiel in einer aktuellen Begegnung. Doch es existiert andererseits auch eine Version dieses Menschen von gestern, von vorgestern, eine Jugendversion, eine Kinderversion, ein kleines Baby. Veränderung und Entwicklung sind nicht nur immer möglich, sondern wahrscheinlich. Es gibt von jeder Person unendlich viele zukünftige Versionen, zu denen Menschen demnächst werden könn(t)en. Die Metapher des Lebensflusses (Kapitel 4.4) eignet sich, um diese biografische Perspektive einzunehmen und sich klarzumachen, dass man nicht zweimal in denselben Fluss steigen kann, selbst wenn es immer der gleiche ist. Für biografische Erforschung können verschiedene Fragestellungen und Themen im Gestern, Jetzt und Demnächst in den Blick genommen werden. Zum Ausprobieren gibt es im Digi-Material eine Übung mit einem Thema der Wahl.

Jede*r kennt unterschiedliche Systeme, in denen Menschen in jeweils verschiedenen Rollen agieren, mit unterschiedlichen Funktionen eingebunden, mit vielen Menschen vernetzt und in Beziehung zueinander sind. Im Verlauf des Lebens sind Menschen Mitglieder verschiedener (Bildungs-)Institutionen, sind Kita-Kind, Schüler*in, danach vielleicht in beruflicher oder akademischer Ausbildung. Daran können sich spezifische berufliche Kontexte anschließen. Wenn der Lebenslauf nicht so »standardisiert« verläuft, sondern reicher ist an Weggabelungen, Umwegen (die ja bekanntlich die Ortskenntnisse erweitern), Raststätten oder unfreiwilligen Pausen, so durchlaufen wir doch alle im Wesentlichen die gleichen und dennoch verschiedene Systeme, wie beispielsweise auch Pflegeeinrichtungen, Hilfekontexte, Vereine oder Organisationen. Zusätzlich werden Menschen durch übergreifende Merkmale wie Kultur, Religion und andere gesellschaftliche Aspekte wie das politische System beeinflusst. Auch dafür eignet sich die visuelle Auseinandersetzung.

Meine Systeme und ich»›

Eine biologische Familie hat jede*r von uns. Selbst dann, wenn man sie nicht kennt. Die bewährte Methode, um sich damit auseinanderzusetzen, was die Familie Menschen – auch über mehrere Generationen – mitgegeben hat, ist der eigene Stammbaum. In der Welt des systemischen Arbeitens heißt dieser Genogramm (Kapitel 4.3).

Darüber hinaus gibt es Freundschaften, Nachbar*innen oder auch Wahlverwandtschaften bzw. logische Familien – das System der relevanten sozialen Beziehungen (im digitalen Zusatzmaterial findet sich auch ein Impuls zu »Meine Beziehungen und ich«, siehe auch Kapitel 5.3.3).

Eine Erkundung der eigenen Person in all diesen Dimensionen ist nicht mit dem Ausfüllen einiger Arbeitsblätter abgeschlossen. Es gibt noch viel mehr zu entdecken an sich selbst und dem eigenen So-(geworden)-Sein. Die Begleitung durch Berater*innen, Coaches oder Therapeut*innen, zum Beispiel im Rahmen der Selbsterfahrung während einer systemischen Ausbildung, unterstützt und erweitert eigene Reflexionsprozesse. Dadurch lassen sich andere – und mehr – Erkenntnisse gewinnen, als wenn man allein auf vermeintlich Bekanntes schaut. Man erklärt einer dritten, fremden Person das eigene Sosein, und dabei findet Selbstklärung statt. Unser digitales Material eignet sich für erste Explorationen und auch als erster Einblick in Visu-Arbeitsmaterialien.

Damit die Arbeit mit Menschen nicht unterkomplex wird, kann, darf oder sollte sich jede Person, die im psychosozialen Feld tätig ist, neben dem eigenen Sosein auch vor Augen halten, dass alle Menschen, mit denen wir interagieren und arbeiten, jeweils Systeme in Systemen sind. Jede*r Einzelne steckt ebenfalls in einer spezifischen, bunten und einzigartigen Konstellation. Jede*r bringt eine vergleichbar komplexe Landkarte der Vielfalt mit und verhält sich dementsprechend, das heißt er*sie versteht, denkt und nimmt die Welt aus dieser eigenen Position und vor dem Hintergrund der individuellen Erfahrungen wahr. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit sind die verschiedenen Handlungslogiken und Weltsichten von Beratungsperson und Klient*innen nicht immer übereinstim-mend. Für Beratende ist eine Sensibilität für diese Verschiedenheit, verbunden mit Neugierde und einer offenen Werthaltung, unverzichtbar.

Alle sind Systeme im System

Als Profis sind Beratende in weitere Systeme eingebunden. Es gibt ein systemisches Kon-textmodell, in dem die verschiedenen Ebenen in Wechselwirkung miteinander stehen und aktiv und bewusst gestaltet werden können. Zwischen Berater*innen (Beratendensystem) und Ratsuchenden (Ratsuchendensystem) entsteht ein drittes lebendiges System, nämlich die Arbeitsbeziehung, der Beratungsprozess oder das Beratungssystem. Dieses ist als solches wiederum eingebunden in den organisationalen und gesellschaftlichen Kontext oder Rahmen (Abbildung: Systemisches Kontextmodell nach Schiersmann, S. 22).

In systemischen Beratungseinrichtungen gibt es ein Selbstverständnis bezüglich des eigenen Arbeitens und der Standards von guter Beratung, im besten Fall schriftlich festgehalten in einem Leitbild, andernfalls in den Köpfen und Herzen der Mitarbeitenden (Kapitel 4.1). Dazu kommen spezifische Strukturen wie der Organisationsaufbau und sich daraus ergebende Prozessabläufe, Kommunikationswege und Arbeitskulturen. Auch die räumlich-sächliche Infrastruktur, die Stellenausstattung und -besetzung sowie Finanzierungsaspekte gestalten die Gesamtsituation.

Systemisches Kontextmodell nach Schiersmann (eigene Darstellung nach Tippelt u.v. Hippel, 2010, S. 753)

Aus unserer Erfahrung zeigt sich die Bedeutung des organisationalen Umfelds vielfach in kollegialen Fallberatungen (z. B. nach Tietze, 2010) oder bei professionell begleitetem Austausch über die Beratungspraxis in Super- bzw. Intervisionen. Wenn es im Beratungsgeschehen zu Schwierigkeiten kommt, ist es manchmal die Organisation als »Dritte im Bunde«, die das Beratungsgeschehen mit beeinflusst und bedingt. Das ist beispielsweise auch dann der Fall, wenn Systemiker*innen in Praxen oder Kliniken mit Diagnosen arbeiten müssen, um Abrechnungsanforderungen erfüllen zu können. An diesem Beispiel wird schon deutlich, dass der gesamtgesellschaftliche Kontext und das jeweilige System (Politik, Wirtschaft, Nation, Kultur, Religion, Weltanschauung etc.) ebenfalls eine Rolle für das Beratungsgeschehen spielen. Für diese Betrachtungsebene haben wir kein digitales Material im Angebot, verweisen aber auf den Qualitätsentwicklungsrahmen für Beratungseinrichtungen aus dem Feld Bildung, Beruf und Beschäftigung, wie er vom Nationalen Forum Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung e. V. herausgegeben wird (nfb, 2014c).

Für systemisch arbeitende Menschen ist diese Kompetenz, das große Ganze im Blick zu haben und dabei zugleich das persönliche und professionelle Sosein und die Strukturen und Systeme, in denen systemische Arbeit stattfindet, zu kennen, mindestens genauso wichtig, wie bestimmte Methoden und Interventionen zu kennen und anwenden zu können. Letztlich geht es bei der professionellen Begegnung mit einzelnen Personen, Gruppen, Teams oder Organisationen darum, eine Arbeitsatmosphäre zu gestalten, die lösungs- und ressourcenorientiert ist und Menschen oder Systeme in Bewegung bringt.

2.2Systemische Held*innen

Systemisches Arbeiten, Systemische Therapie und Beratung sind ein weites und hoch spannendes Feld. Es gibt viele Möglichkeiten, sich dieses Feld zu erschließen und es zu verstehen. Eine davon ist es, assoziativ ranzugehen, beispielsweise indem die Anfänge einer bestimmten Entwicklung bzw. Strömung in den Blick genommen werden, um ein Bild entstehen zu lassen, ein Gefühl für die Zeit, den Ort und die Menschen zu entwickeln, die zu jener Phase prägend waren für das systemische Arbeiten. In einem Workshop zum systemischen Denken (Triebiger, 2021) haben wir einmal frei zum Esalen Institute gebrainstormt, einer Bildungseinrichtung im kalifornischen Big Sur, die heute noch existiert. Welche Bilder, Wahrnehmungen, Gerüche, welche Musik, welche Literatur tauchen auf, wenn die Westküste Kaliforniens und die 1960er Jahre im Raum sind …?

Esalen wurde als interdisziplinärer Lern- und Begegnungsort 1962 gegründet. Bis heute finden dort jährlich ca. 500 Workshops zu ganz unterschiedlichen Themen statt. Gerade in den Gründungsjahren haben sich hier viele verschiedene Menschen aus den unterschiedlichsten Disziplinen getroffen und miteinander gedacht, gelernt und diskutiert. Aus der Musik zum Beispiel Bob Dylan und Joan Baez, aus der Literatur Aldous Huxley und Ray Bradbury, aus der sozial- und verhaltenswissenschaftlichen Ecke Erich Fromm und Frieda Fromm-Reichmann ebenso wie Virginia Satir, Timothy Leary und Paul Watzlawick, zudem Naturwissenschaftler wie Abraham Maslow, James Lovelock, Carl Sagan und Heinz von Foerster oder Ethnologen wie Carlos Castaneda und Gregory Bateson, um nur einige zu nennen.

Es muss eine ausgesprochen experimentelle, Fachgrenzen überschreitende – und beinahe revolutionäre – Atmosphäre gewesen sein, in der die Menschen damals zusammen gearbeitet und gedacht haben. Vielfach wurden bestehende Erklärungsmuster und therapeutische Praktiken durch systemische Erklärungen und Ideen radikal infrage gestellt. Daraus sind neue Interventionsformen und Methoden entstanden, wobei die Pionier*innen nicht selten ihre Reputation aufs Spiel gesetzt und Neues gewagt haben.

Ein anderer Zugang ist das im deutschsprachigen Raum zentrale Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung von Arist von Schlippe und Jochen Schweitzer (2016). Es zeichnet ausführlich und gut lesbar die Geschichte der systemischen Therapie nach und stellt alle wesentlichen Methoden und theoretischen Hintergründe sowie Anwendungsfelder vor. Die ersten Ansätze des familienorientierten Arbeitens liegen demnach schon in der Sozialarbeit des 19. Jahrhunderts, damals allerdings mit eher pathologisierend-forschendem Blick nach Ursachen für psychische Störungen. Beginnend in den 1960er Jahren entstanden dann die wichtigen Schulen der systemischen Therapie, zunächst in den USA, später auch in Europa, Israel und Lateinamerika.

Lernen durch Lesen

Deutlich wird in diesen beiden Varianten des Zugangs zum systemischen Arbeiten, dass es nicht den oder die eine*n Vordenker*in gibt, die*der diese neue Perspektive begründet hat, sondern dass viele Menschen – sprich: ein System – mit ihren Ideen und Experimenten dazu beigetragen haben, dass sich entwickelt hat, was wir heute systemisches Arbeiten nennen.

Individuelle Entdeckungsreise im Online-System

Sehr eindrücklich wurde diesem Umstand vom Projekt der Systemischen Geschichtswerkstatt (Levold et al., 2018a) Rechnung getragen. Die dortige nicht-lineare Online-System-Darstellung der Geschichte des systemischen Ansatzes bietet sich zum Stöbern an. Es werden Verbindungen zwischen Personen, Organisationen und Instituten, Therapieansätzen, Schlüsselwerken und Zeitschriften sowie über 70 bedeutsamen Ereignissen gezeigt, die jeweils mit weiterführenden Artikeln, Videos und Informationen verknüpft sind.

Wir zeigen im Folgenden einige dieser Menschen und Ideen auf, die uns für die systemische Arbeit und auch für das Visualisieren gute Wegbegleiter*innen waren und sind. Jedes Unterkapitel schließen wir mit einem visuellen »Spickzettel« zu der betreffenden Person und unseren entsprechenden Learnings ab. Apropos Spickzettel: Gute Gelegenheit, mit dem nächsten Digimaterial mal zu reflektieren, wie lernen bisher gut funktioniert …

2.2.1Virginia Satir und die humanistische Familientherapie

Als Erstes picken wir uns Virginia Satir heraus. Sie ist eine Vertreterin der wachstums- und erlebnisorientierten humanistischen Familientherapie und hat in einer Zeit, als es fast nur Männer in der Familientherapie gab, viele prägende Spuren hinterlassen und ihre besondere Perspektive eingebracht.

Geboren wurde Satir 1916 in Neillsville, Wisconsin, gestorben ist sie 1988 in Palo Alto, Kalifornien. Sie arbeitete zunächst als Lehrerin, dann als Sozialarbeiterin und Therapeutin und wandte sich schon früh der Eltern-Kind-Beratung zu. In Palo Alto gehörte sie zu den Mitgründer*innen des Mental Research Institutes (MRI) und war maßgeblich an der Entwicklung des ersten familientherapeutischen Ausbildungsprogramms in den USA beteiligt. Als Lehrende und Autorin wirkte sie an vielen Instituten und Kliniken in der ganzen Welt, nicht selten wird von ihr als einer »Lichtgestalt« und einem Vorbild gesprochen. Offenbar traf sie oft den richtigen Ton und arbeitete mit einer wunderbar gelungenen Mischung aus Leichtigkeit und Tiefgang, Humor, Schlagfertigkeit und Ernst (siehe z. B. das Interview mit Virginia Satir in Gester, 2017).