Systemische Erlebnispädagogik -  - E-Book

Systemische Erlebnispädagogik E-Book

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Beschreibung

Diese Publikation vollzieht einen Weg durch die kreativ-rituelle Prozessgestaltung: über Haltung zum Menschenbild, zum Kern des systemisch-pädagogischen Prozesses, hin zu den harten Wirklichkeiten der Sicherheit und des Projektmanagements. In den Artikeln werden einzelne methodische oder theoretische Aspekte beschrieben und in den Zusammenhang unterschiedlicher beruflicher Kontexte gesetzt. Ein reiches Spektrum, das fachliche Inspiration bietet und zur Reflexion des eigenen professionellen Handelns anregt. Zu Wort kommen Pädagogen, Beraterinnen, Künstler und Unternehmerinnen. Die Texte berichten von ihre Erfahrungen mit systemischer Erlebnispädagogik, sie geben Einblick in die methodische Praxis, ergreifen durch ihre Nähe zu persönlichen Erlebnissen und zeichnen sich durch stilistische Originalität aus.

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Seitenzahl: 339

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Dieser Titel ist auch als Printausgabe erhältlich

ISBN 978-3-937 210-96-4

Sie finden uns im Internet unter

www.ziel-verlag.de

Wichtiger Hinweis des Verlags: Der Verlag hat sich bemüht, die Copyright-Inhaber aller verwendeten Zitate, Texte, Bilder, Abbildungen und Illustrationen zu ermitteln. Leider gelang dies nicht in allen Fällen. Sollten wir jemanden übergangen haben, so bitten wir die Copyright-Inhaber, sich mit uns in Verbindung zu setzen.

Inhalt und Form des vorliegenden Bandes liegen in der Verantwortung der Autoren.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-944 708-31-7 (eBook)

Verlag:

ZIEL – Zentrum für interdisziplinäres erfahrungsorientiertes Lernen GmbHZeuggasse 7–9, 86150 Augsburg, www.ziel-verlag.de1. Auflage 2007, 2. korrigierter Nachdruck 2015

Grafik undLayoutgestaltung:

Hans-Peter Häderli, Hans-Peter Hufenus

© Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

eBook-Herstellung und Auslieferung: HEROLD Auslieferung Service GmbHwww.herold-va.de

Inhaltsverzeichnis

Systemische Erlebnispädagogik

Kreativ-rituelle Prozessgestaltung in Theorie und Praxis

1. Weiche Wirklichkeiten

Astrid Habiba Kreszmeier:

Im Spiel der PhänomenePhänomene

Edmond Tondeur:

Menschen stärken – Sachen klärenSystemische Haltung

Robert Hepp, Susanne Doebel:

Von der Offenheit für das GeheimnisProzessorientierung

Stephan Schmid:

BildwerferMenschenbild

Andreas Bühler, Peter Thomas, Karin Wabersich:

Posteingang (1): Stuttgarter BetrachtungenWahrnehmung, Handlungsorientierung, Ressourcen

Andrea Zuffellato:

In der Lösung liegt die KraftLösungsorientierung

2. Pädagogischer Prozess

Konstanze Thomas:

Perspektiven systemischer SprachführungSprachbegleitung

Evelyn Pöhl:

Die Geschichte vom KönigreichLeitung

Silvia Heller:

Handelnd lernen im UnternehmenskontextZiele & Auftrag

Andrea Guth:

Mit Jugendlichen auf QuellensucheNaturerfahrung

Hilde Scheikl:

Suchtprävention in Szene gesetztSzenische Arbeit

Bettina Grote:

Wer spielt hier alles mit?Szenische Arbeit

Claudia Fantz:

Eine Reise ins eigene LebenKreativtechnik

Hanspeter Hufenus, Astrid Habiba Kreszmeier:

Rituelle RaumstrukturenRituelle Gestaltung

Johannes Halsmayer:

Das Ineinanderfließen der vier FelderInterventionsformen

3. Harte Wirklichkeiten

Catherine Meyer:

Über den Körper und die EinkörperungOutdoor-Skills

Josef Eder:

Räumlich betrachtetRaumgestaltung

Jürg Meier:

Unsicherheit als WerkzeugSicherheit

Dominik Schwindt:

Kleines Brevier in Sachen MarketingMarketing & Präsentation

Hanspeter Hufenus:

Ein roter Faden ist eigentlich ein rotes NetzProjektmanagement, Qualitätsmanagement, Logistik

Vollendung und Neubeginn

Dank

Die Herausgeberinnen

Der Krpg-Globo

Diese Übersicht umfasst stichwortartig alle Prinzipien und Faktoren der Kreativ-rituellen Prozessgestaltung (Krpg). Daher dient sie im Folgenden immer wieder als inhaltlicher Bezugspunkt (vgl. auch Text Seite 8).

1. Weiche Wirklichkeiten

Einführung

Vor zehn Jahren entwickelten Astrid Habiba Kreszmeier und Hanspeter Hufenus die Kreativ-rituelle Prozessgestaltung (Krpg), ein Konzept zur Begleitung von Personen und Gruppen, welches auf der Verbindung erlebnispädagogischer Methoden mit einer systemischen Haltung beruht. In der Verknüpfung von Naturerfahrung, Kreativtechniken, Szenischer Arbeit und ritueller Gestaltung wird ein Lernprozess gestaltet, der den Einzelnen darin unterstützt, sich wahrzunehmen, Verhaltensweisen und gegebenenfalls Muster zu erkennen sowie Lösungen zu entwickeln, um mit einem Bewusstsein der individuellen Ressourcen und im lebendigen Austausch mit der Umwelt den guten Platz in der Gruppe, im Team oder in der Familie einnehmen zu können.

Seit 1997 haben viele Personen am Lehrgang für systemische Erlebnispädagogik teilgenommen, die mit Menschen in unterschiedlichen beruflichen Kontexten arbeiten: Sozialpädagogen, Berater, Geschäftsführer, Personalleiter, Händler, Physiotherapeuten, Lehrer, Arbeitsagogen, Bergführer, Künstler, um nur einige zu nennen. Sie nahmen die Kreativ-rituelle Prozessgestaltung in ihre professionellen Welten mit, verknüpften sie mit anderen Methoden oder passten sie den Anforderungen ihrer Zielgruppen an, und trugen so zur Vertiefung und Weiterentwicklung bei. Von ihren Erfahrungen, Wagnissen und Schritten berichten die Artikel dieses Herausgeberbandes.

In den Jahren der Lehrgangspraxis hat sich als theoretische und praktische Grundlage der Kreativ-rituellen Prozessgestaltung eine Übersicht herauskristallisiert, der „Krpg-Globo“, der als Abbildung auf Seite 7 zu sehen ist. Im Zentrum steht der pädagogische Prozess, welcher von unterschiedlichen Faktoren bestimmt, getragen und geführt wird, die wir in der Fachsprache weiche und harte Wirklichkeiten nennen. Der Weg dieses Bandes führt uns Schritt für Schritt durch diesen Krpg-Globo, Ausgangspunkt sind die weichen Wirklichkeiten. Diese beinhalten all jene Prinzipien des pädagogischen Handelns, die sich aus unserem Selbstverständnis ergeben. Es sind Bedeutungen, die wir geben, Haltungen, die wir einnehmen, gedankliche Verbindungen, die wir herstellen, Ideen, denen wir vertrauen; kurz, es ist die pädagogische Brille, mit der wir schauen.

Im Spiel der Phänomene

Astrid Habiba Kreszmeier

Menschen stärken – Sachen klären

Edmond Tondeur

Von der Offenheit für das Geheimnis

Robert Hepp, Susanne Doebel

Bildwerfer

Stephan Schmid

Posteingang (1): Stuttgarter Betrachtungen

Andreas Bühler, Peter Thomas, Karin Wabersich

In der Lösung liegt die Kraft

Andrea Zuffellato

Im Spiel der Phänomene

Astrid Habiba Kreszmeier

Eine phänomenologisch orientierte Pädagogik (wofür sich die Kreativ-rituelle Prozessgestaltung hält) baut ihren Rahmen, ihre Rhythmik und ihre methodisch-didaktische Interventionsführung auf der Annahme auf, dass der pädagogische Prozess von Phänomenen unterstützt oder gar geleitet werden kann. Wenn ich hier einige Sichtweisen zu diesem „Spiel der Phänomene“ im pädagogischen Kontext darstelle, dann im Bewusstsein, dass ich mich auf ein weites Feld begebe, dem ich nicht umfassend gerecht werden kann. Das hat einerseits mit unserer eigenen Begrenztheit, aber ebenso mit dem Gegenstand der Betrachtung zu tun, an den sich die Menschheit schon seit langer Zeit und aus vielen verschiedenen Forschungsrichtungen letztlich immer nur herantastet. So werde auch ich mich einer solchen Pädagogik hier nur fragmentarisch und assoziativ annähern, hoffe aber dennoch, einige hilfreiche Bilder und Gedanken mitteilen zu können.

Was ist (hier) ein Phänomen?

Ein Phänomen ist einfach gesagt „etwas, das sich zeigt“, „etwas, das sichtbar wird“, „etwas, das unter vielen anderen sichtbaren Ereignissen oder Dingen besonders hervorsticht“.

Wenn durch einen Seminarraum ein Tiger laufen würde, aber niemand sieht ihn, dann wäre er nicht nur kein Phänomen, sondern nicht einmal existent. Wenn sich in diesem Raum ein Schmetterling auf meinen Handrücken setzen würde, angenommen genau in dem Moment, in dem ich das berühmte Beispiel vom Flügelschlag eines Schmetterlings in China, der dann in Südamerika ein Erdbeben mitbewegt, erzähle, dann wird dieser Schmetterling erst dann wirklich, wenn ich oder irgendjemand ihn wahrnimmt. Aber selbst dann muss er noch kein Phänomen sein. Zum Phänomen wird er erst, wenn etwas zwischen mir und dem Schmetterling oder zwischen anderen und dem Schmetterling geschieht, das dieser Begegnung Bedeutung schenkt und die Beteiligten „berührt“.

Ein Phänomen ist also nicht per se ein Phänomen, sondern wird erst durch den Akt der Wahrnehmung und Beziehung zu einem solchen. Eine phänomenologisch orientierte Pädagogik ist also kurz gesagt eine Pädagogik der beziehungsstiftenden Wahrnehmung. Was die Sache nicht zwingend einfacher macht, weil die Wahrnehmung wohl einer der komplexesten Seinsvorgänge ist, mit denen wir uns befassen können.

Ein paar Gedanken zur Wahrnehmung

In uns allen fließt – weil über viele Jahrhunderte so gesehen und gelehrt – die Vorstellung, dass unsere Wahrnehmung ein Vorgang ist, durch den eine äußere Wirklichkeit objektiv und objektgetreu abgebildet wird. Das führt dazu, dass wir konsequent davon ausgehen, dass das, was wir wahrnehmen, genauso wirklich ist, dass es dort draußen, getrennt und unabhängig von uns, existiert.

Daran haben auch die Erkenntnisse der Physik, der Biologie, der Wahrnehmungspsychologie etc. der vergangenen 90 Jahre noch kaum etwas verändert, umso wichtiger, uns daran immer und immer wieder zu erinnern:

Das, was wir wahrnehmen, ist nichts Objektives, sondern das, was wir durch den Wahrnehmungsprozess, der von vielen vorbewussten Mustern und Selektionsverfahren geprägt ist, als Wirklichkeit herausfiltern.

Die Lebensfadenspinnmaschine

Demnach ist Wahrnehmung weit mehr als die Abbildung einer Wirklichkeit, sie ist ein Prozess, der aktiv an der Erschaffung dieser Wirklichkeit beteiligt ist. Meine Wahrnehmungsart beeinflusst nicht nur meine Wirklichkeit, sondern darüber hinaus auch die Wirklichkeit des Wahrgenommenen. Damit wird auch deutlich, dass Wahrnehmen kein einseitiger, sondern ein interaktiver Vorgang ist, bei dem die vorher so klaren Grenzen des Innen und Außen ziemlich rasch verschwimmen.

Für gewöhnlich geht der Wahrnehmungsprozess, das heißt auch der „Bedeutungsgebungsvernetzungsakt“ so schnell vor sich, dass er sich unserem Bewusstsein entzieht, wie die vielen Bilder im Film, die wir nie einzeln sehen, ohne die es beim schnellen Abspielen aber keine Bewegung gäbe. Und das macht auch Sinn, denn durch diesen Akt der Auswahl, Betonung, Ausblendung und Verknüpfung erzeugen wir eine kontinuierliche Ich-Identität und unser Leben erhält einen roten Faden.

Hinderlich ist, dass dieser sich hin und wieder ziemlich verheddert und auch, dass er uns manchmal hartnäckig von dem abhält, was das Leben auch noch zu bieten hätte, und wir an Lebendigkeit verlieren.

So gesehen ist die Wahrnehmung als bedeutungs- und wirklichkeitsstiftender Vorgang ein zentraler Faktor für menschliche Entwicklung. Wenn es gelingt, unsere Wahrnehmungsstruktur zu verändern, verändert sich unsere Welt – oder kurz gesagt, wer anders wahrnimmt, nimmt anderes wahr.

Ein Phänomen stört und erweitert die Kreise …

Davon ausgehend, dass Wahrnehmung ein stetiger Bedeutungsgebungsvernetzungsakt sein könnte, ist ein Phänomen (im pädagogischen Kontext) eine Erscheinung, die zunächst nicht ins Schema passt, die den Akt stört, die irritiert, schockiert, bremst, belustigt und anderes mehr. Ein Phänomen taucht aus der Fülle des Möglichen auf, materialisiert sich sozusagen vor der Nase des Protagonisten und bietet Begegnung und Beziehung an; es ist wie ein Angebot des Lebens, auch noch anders und anderes wahrzunehmen. Ob das dann auch geschieht, hängt freilich davon ab, ob der, um den es geht, in seiner Lebensfadenspinnmaschine dafür empfänglich werden kann. Denn wie schon weiter oben erwähnt: selbst ein überaus deutlicher Wink mit dem Zaunspfahl wird unbemerkt bleiben, wenn die Gemeinten ihn entweder nicht sehen oder sich nicht mit ihm in Beziehung bringen. Geschieht es jedoch, dass ein Phänomen wirkt, dann ist dies ein großes Geschenk für den Betroffenen und für den Pädagogen:

Es erhöht augenblicklich die Aufmerksamkeit, verdichtet den Moment, erweitert den Raum, in dem etwas Neues stattfinden oder ausprobiert werden kann, fördert Lernbereitschaft bzw. die Wirkfaktoren, die Lernen ermöglichen. Ein Phänomen ist vielleicht noch kein Torschuss, aber allemal ein präzises Zuspiel, das die Chance auf einen Treffer erhöht. Wobei ein Tor in diesem Kontext nichts anderes ist, als der nächste mögliche Lern- und Entwicklungsschritt, der jemandem zur Erweiterung seiner Lebenskreise offensteht.

Einige Erscheinungscharakteristika

Um verwirrenden Vorstellungen vorzubeugen: Ein Phänomen ist in diesem Sinn nicht unbedingt etwas Besonderes. Es kann ein kleiner Stein am Weg sein, ein Lufthauch, der durch Blätter streicht oder sonst etwas Kleines, das aus dem Moment heraus zu etwas Bedeutsamem wird.

Phänomene sind also Ereignisse, Zeichen, Begegnungen, die den Menschen von außen geschenkt werden, und die die Kraft besitzen, den kontinuierlichen Schöpfungsakt, in dem wir uns befinden, um neue Fäden oder Strickmuster zu erweitern.

Phänomene sind originell und einmalig, sie entziehen sich der Wiederholbarkeit, und ebenso den klassischen Kriterien von Überprüfbarkeit und Wissenschaftlichkeit. So gesehen gehören sie schon eher zur Welt der Magie, salopp gesprochen, weil da etwas wirkt und ins Wirken kommt, was rein rational unerklärlich bleibt. Phänomene lassen sich daher auch nicht klassifizieren, dennoch gibt es ein paar Auffälligkeiten, die immer wieder vorkommen und die auf einen Phänomenprozess verweisen können.

• Die Wiederholung

• Die Überraschung, das Absurde, das Unmögliche

• Das bescheidene Geschenk

• Begegnungen mit Tieren, Natur- und Wettererscheinungen

• Das Wunder

• Und über all dem die Zeit: der opportune Moment, die Wahrnehmung von Koinzidenzen und Synchronizitäten

Hinweise für phänomenologische Pädagogen und solche, die es werden wollen …

Eines sei gesagt: Phänomene kann man nicht machen, nicht planen, nicht steuern, man hat keinen Zugriff auf sie. Fast könnte man sagen: wer sie unbedingt will, verscheucht sie. Was man aber tun kann, ist, sie zulassen, ihnen Möglichkeiten geben, sich zu zeigen, sich von ihnen ergreifen lassen.

Oft fragen uns Studierende, wie wir es anstellen, dass so viel geschieht, während wir scheinbar so wenig tun, oder auch, worauf wir genau schauen, damit all das sichtbar wird, was sich zeigt. Cito antwortet dann manchmal zum Unverständnis einiger: „Wir schauen gar nicht so genau, richtig genommen übersehen wir ganz viel, damit das, was gesehen werden will, in Ruhe auftauchen kann.“ Das ist genauso paradox, wie es klingt; damit Phänomene wahrgenommen werden können, brauchen sie einen leeren oder vielleicht besser einen absichtslosen Raum.

Ein diagnostischer Blick, ein allzu schnelles Wissen, worum es geht, was es bedeutet und was zu tun ist, gezielte Beobachtung und Ähnliches verhindern, dass Phänomene wirksam werden können.

So ist der wichtigste Beitrag eines phänomenologisch orientierten Pädagogen nicht seine Fähigkeit, Phänomene zu erkennen, sondern seine Wahrnehmungshaltung, die hilft, den Raum mit zu kreieren, in dem diejenigen, um die es geht, ihren Phänomenen begegnen können. Dazu braucht es Schulung und Übung in einer Art des „Schauens“, die anders ist – die nicht trennt, sondern öffnet und verbindet mit den unendlichen sichtbaren und unsichtbaren Manifestationen des Lebens. Dieses Schauen oder diese Haltung, der man auch noch Qualitäten wie Durchlässigkeit, liebevolle Zeugenschaft oder freie Achtsamkeit zuschreiben könnte, erinnern eher an spirituelle „Skills“ als an pädagogische. Und so unpassend es auch scheinen mag: je länger, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass gewisse methodische und fachliche Fertigkeiten von Schlüsselqualifikationen spiritueller Natur abhängig sind, die nicht einfach vom Himmel fallen, sondern die man sich durch Zuwendung, Übung und Praxis erwerben kann.

Neben der beschriebenen Wahrnehmungsart spielen auch die Wahl des Raumes, die gesamte Raumdidaktik, die Rahmengestaltung des Lernsettings sowie die sprachliche Installation eine bedeutsame Rolle. Wer alles plant, alles weiß, alles erklärt, der lässt keinen Platz für Phänomene – wozu sollten sie denn auch noch kommen?

Eine allgemeingültige Gebrauchsanweisung für den Umgang mit Phänomenen gibt es nicht. Zu vielfältig, zu einmalig jede Situation, jeder Mensch. Als Leitlinien können aber gelten:

Alles einrichten, was nötig ist, dann aber gelassen auf den günstigen Moment warten, im Zweifelsfall selbst das scheinbar Auffälligste vorbeiziehen lassen, sich nicht weiter wundern, wenn alle Spatzen es schon von den Bäumen pfeifen, aber der Betroffene noch immer nichts ahnt, Interpretationen unterlassen und auf den Herzschlag des „Protagonisten“ lauschen.

Da uns die Phänomene oft auf spielerische, neckische Weise das Staunen wieder lehren, ist es hilfreich, mit ihnen auch so umzugehen. Spielerisches Staunen ist ihnen zuträglicher als allzu ernst gemeintes Erkennen. Freies Kombinieren und Wiederloslassen ist hilfreicher und lebensnäher als übereifrige Verknüpfung.

Als Anregung zum Weiterforschen möchte ich anstelle einer abschließenden Aussage lieber zwei interessante Fragen in den Raum stellen:

Welche Kraft dort draußen oder hier drinnen ist Bringerin der Phänomene?

Und wieso wählt solch eine kreative Kraft nicht einen direkteren Weg? Wozu die Verschlüsselungen? Wozu die Umwege?

Literatur

Sheldrake, McKenna, Abraham (2004): Denken am Rande des Undenkbaren. München (Piper)

Jung, C.G. (2001): Synchronizität, Akausalität und Okkultismus. München (dtv)

Astrid Habiba Kreszmeier

Geboren in der Steiermark, Österreich (1964), Buchhändlerin, Diplom Heil- und Sonderpädagogik, Diplom Erwachsenenbildung, Anerkennung als Systemische Psychotherapeutin und Supervisorin, seit 1994 Initiandin in Orixá-Traditionen und Naturkosmologien, Zusatzqualifikationen in Aufstellungsarbeit und körperorientierter Psychotherapie, Gründung und Leitung der Terra Sagrada (2006), seit 1994 Mitarbeit in der Wildnisschule, seit 2002 Mitbegründung und Leitung der Nachfolgeinstitution planoalto, Lehrtrainerin und Begleiterin in allen planoalto-Weiterbildungen, Autorin und Herausgeberin von sieben Büchern und zahlreichen Artikeln.

Von der Offenheit für das Geheimnis

Robert Hepp, Susanne Doebel

Robert: Wir hatten uns zu einem Trekking in der Wüste entschlossen. Am Morgen des zweiten Tages stellten wir der Gruppe die Aufgabe, die das Vertrauen zueinander und zur natürlichen Umgebung Wüste Sinai stärken sollte. Vor uns lag eine unbekannte und weglose Passage durch ein Wadi (Bergschlucht) hinauf auf eine Hochebene, zu einer kleinen Oase – circa drei Stunden Gehzeit. Die Gruppe hatte eine Stunde Vorbereitungszeit für die selbstverantwortliche Gestaltung dieses Abschnittes. Es sollte eine Leitungsperson installiert werden, ein vorbereitetes Kurzreferat zur dortigen Geologie platziert werden, Lunch und Trinkwasser organisiert sein, und sie sollten den Beduinenguide als Orientierungsressource einbeziehen. Der Titel dieser kleinen Reise hieß „Weg unseres Vertrauens“.

Alles verlief nach Plan: die Vorbereitungen, der Anstieg, der Vortrag, der Lunch, sogar das Erreichen des geografischen Ziels nach vier Stunden. Nur offensichtlich war das der Gruppe so nicht genug. Sie fühlten sich anscheinend unterfordert, vielleicht hielten sie den Auftrag für nicht erfüllt, war der Weg unseres Vertrauens noch nicht zu Ende oder stimmten die Vorstellungen und Bilder, die im Vorfeld entstanden waren, nicht mit dem Ergebnis überein.

„Wo stehen wir? Ich meine, was machen die da? Ich verstehe nicht, was hier passiert. Wo wollen sie hin? Ich habe den Eindruck, hier inszeniert sich etwas, was ich nicht kenne. Warum tun sie das?“, fragend schauten wir uns an, als wir, eine Zeit nach der Gruppe das Ziel erreichten und Folgendes beobachteten:

Sie gehen in einer Schlange hintereinander her, die Hände auf den Schultern des Vordermanns, alle bis auf den Ersten haben verbundene Augen und in einer eigentümlich wirkenden Rhythmik hört man Rufe wie „Stein links“, „großer Stein rechts“, „Steine rechts“ usw. Das alles geschieht mitten in der steinigen Hochgebirgswüste im Sinai. Sozialpädagogen, Jugendhelfer, Kommunikationstrainer, ein Matrose, deren Ziel es ist, als zukünftige Erlebnispädagogen mit anderen Menschen zu arbeiten. Wir werden der Reise dieses fast blinden und ängstlichen 22-Füsslers durch die Steinwüste mit unseren Blicken folgen. Man würde ihn noch weit hören können, Verlustängste kommen da nicht auf. Wie lange mag das wohl noch dauern? Die Sonne geht bald unter, das Abendessen wird gerade von den Beduinen vorbereitet und wir, das Leitungsteam dieser erlebnispädagogischen Zusatzausbildung, wollen eigentlich noch eine zusammenfassende Reflexion zu diesem Tag durchführen. „Vorsicht, großer Stein rechts!“ „Steine links“ …

„Mir reicht es jetzt! Ich finde das anstrengend und nervend!“

Das hört sich nach einer Erlösung für alle an.

„Ich denke, wir sollten das jetzt durchziehen, damit jeder mal vorne war.“

Vielleicht sollten wir doch intervenieren und dem Ganzen ein Ende bereiten, sonst passiert noch etwas. Es ist paradox, genau das wollen wir ja eigentlich, dass etwas passiert! Also lassen wir den Wurm weiterkriechen, auch wenn wir nicht verstehen.

Es dauerte noch eine Weile, bis sich die Rebellion durchsetzte und das „Tier“ zum Stehen kam. Der unbekannte Abschnitt bis zu dieser Oase lief für die Gruppe reibungslos, die vertraute und ohne unseren Auftrag angehängte Übung führte zu Chaos und Streit. Die selbst auferlegte Reflexionsrunde fand im direkten Anschluss statt und war eine Tortur für die Gruppe, aber sie konnten lange kein Ende finden.

„Ich fand diese Vertrauensübung total nervenaufreibend…“ „Jeder sollte vorne einmal in der Leitung sein und das auf seine Art und Weise machen. Dazu muss auch jeder mitmachen, auch wenn es lange dauert…“ „Wer kam überhaupt auf diese Idee?“

Sie waren in eine nicht endend wollende Auseinandersetzung geraten. Wir, die Leitung, saßen bewusst in Hörweite, denn sie sollten wissen, dass wir zuhörten und auf das Ende ihres Projektes warteten. Wir hatten unseren ursprünglichen Plan, eine Reflexionsrunde zu starten, endgültig aufgegeben. Wir warteten. Unwissend, aber mit wohlwollender Neugier, was uns dieser Prozess noch bringen würde, saßen wir im kühler werdenden Abendwind unter einem der seltenen Bäume. Wir hatten Fragen auf den Lippen, aber wir durften nicht fragen, noch nicht. Auf die selbst installierte Leitung konnten wir nicht mehr hoffen, sie hatte sich längst verabschiedet. Es war lange kein Ende abzusehen, aber glücklicherweise riss unser Geduldsfaden nicht. Irgendwann wurde das Schielen zu uns auffälliger, selbstironische Bemerkungen häuften sich und schließlich einigten sie sich darauf, dass der Auftrag erfüllt und damit die Aktion zu Ende sei. Wir waren als kompetente Leitung gewünscht und gefordert, jetzt unseren Beitrag zur Aufklärung ihres Mysteriums „Weg unseres Vertrauens“ zu leisten.

Gerne, aber wie? Was hätten wir sagen können, ohne alles kaputt zu machen, was sie sich hart erarbeitet hatten. Das Ziel für diesen Tag war erreicht. Die Teilnehmer hatten sich in dieser selbst gewählten Übung aneinander gerieben, auch unfreundliche Seiten an sich und den anderen erlebt, was zu tieferem Kennen und damit zu mehr Vertrauen in die Gruppe geführt hatte. Die Wüste ist groß und geduldig, wir waren gemeinsam angekommen. Wenn auch auf anderen Wegen, als wir es in der Leitung „geplant“ hatten.

Susanne: