Systemisches Prozessmanagement - Rainer Feldbrügge - E-Book

Systemisches Prozessmanagement E-Book

Rainer Feldbrügge

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Beschreibung

Zu häufig scheitern Digitalisierungsprojekte, weil die Kultur im Unternehmen mit der digitalen Entwicklung (noch) nicht harmoniert. Digitalisierung bedeutet nämlich, dass es in der Zusammenarbeit vor allem auf Rollen, Regeln und Prozesse ankommt. Dabei bleibt der analoge Aspekt des Unternehmens, der von Erfahrungswissen, Intuition und Beziehungen geprägt ist, häufig unberücksichtigt. Digitalisierung ist also weit mehr als das betriebswirtschaftliche Design neuer Prozesse und deren technischer Roll-out. Projekte zur Digitalisierung brauchen deshalb nicht nur Prozessmanagement-Methoden, sondern auch Methoden, mit denen sich Kultur in Teams an die neuen Anforderungen anpassen lässt. Das Buch erarbeitet im ersten Teil die theoretischen Grundlagen, insbesondere zur Verankerung von Prozessen in den Teams. Der zweite Teil bietet eine Fülle an Methoden, die in der Anwendung frei kombinierbar sind. - Digitale Transformation mit resonanten Arbeitsbeziehungen - Teammobilisierung und Prozessmodellierung: Säulen der Digitalisierung - Respektvoller Umgang mit der Unternehmenskultur ermöglicht die tragfähige Entwicklung neuer Prozesse Mit Downloadmaterial auf myBook+.

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[9]Inhaltsverzeichnis

Hinweis zum UrheberrechtImpressumVorwortAbbildungsverzeichnis1 Einleitung1.1 Die Bassmelodie im Unternehmen1.2 Was bedeutet »systemisches Prozessmanagement«?1.2.1 Theoretische Grundlagen verstehen1.2.2 Das Handwerkszeug1.3 Ein neues Rollenverständnis1.4 Einige Begriffsklärungen1.4.1 Soziale Systeme, Organisationen und Unternehmen1.4.2 Digital und Analog1.4.3 Muster und Prozesse1.4.4 UnternehmenskulturTeil 1: Das Rüstzeug2 Gibt es Prozesse wirklich?2.1 Prozesse sind (nur) ein Konstrukt2.1.1 Arbeitsteilung und Hierarchie2.1.2 Wie Prozesse entstehen2.2 Vom Wachsen des Prozesses2.3 Etablierte Vorgehensmodelle 3 Prozesse und Führung3.1 Führen ist Beobachten3.1.1 Beobachtung erster und zweiter Ordnung3.1.2 Was passiert, wenn keiner führt?3.2 Wie Prozesse Führung unterstützen3.2.1 Außenperspektive3.2.2 Zukunft3.2.3 Schleichende Entwicklungen3.2.4 Individuen und Organisation3.2.5 Transparenz und Führbarkeit4 Verantwortung in Prozessen4.1 Prozesse als Teamleistung4.1.1 Tragen Teams Verantwortung?4.1.2 Prozessverantwortung4.2 Prozesse in der Aufbauorganisation4.2.1 Lokale Prozesse4.2.2 Dezentrale Prozesse4.2.3 Übergreifende Prozesse4.2.4 Zentrale Prozesse4.3 Was bedeutet Prozessverantwortung?4.3.1 Nur ein Übersetzungsfehler?4.3.2 Verantwortung für das Ergebnis4.3.3 Verantwortung für die Beobachtung4.3.4 Verantwortung für die Entwicklung5 Das Ohr für die Bassmelodie5.1 »Wie interessant!«5.1.1 Rollen, Regeln und Prozesse5.1.2 Wie geht »Kulturwandel«?5.2 Menschen brauchen Resonanz5.2.1 Der »vibrierende Draht«5.2.2 Vier Dimensionen resonanter Beziehungen5.3 Resonanz und Produktivität5.4 Rationale Resonanz?5.5 Agiles Prozessmanagement?6 Wie geht Veränderung?6.1 »Change Management« – ein mehrdeutiger Begriff6.1.1 Roll-out-Koordination6.1.2 Gatekeeper für Änderungen6.1.3 Veränderungen ermöglichen6.2 Die Zusammenarbeit in der Organisation verändern6.2.1 Organisationsdesign: Wie alles zusammenhängt6.2.2 Spielarten von Veränderungsprojekten6.3 Organisationsprojekte umsetzen6.3.1 Warum Projekte oft scheitern6.3.2 Veränderung als Lernprozess6.3.3 Anpassungsbedarf wahrnehmen6.3.4 Veränderung als Dauerzustand6.3.5 Exkurs: Projekt- und Prozessmanagement6.4 Managementinstrumente und -systeme einführen7 Prozessmanagement als Teamentwicklung 7.1 Ist das Prozessteam ein Team?7.2 Regeln des Systemerhalts7.3 Lösungsfokussierung7.4 ReTeaming Teil 2: Das Handwerkszeug8 Die Teams mobilisieren8.1 Der Projektauftrag8.2 Schritte in der Mobilisation8.2.1 Was soll sich nicht verändern?8.2.2 Wer hat welche Erwartungen?8.2.3 Was passiert, wenn nichts passiert?8.2.4 Was müsste passieren, damit nichts passiert?8.2.5 Vision: Woran erkennen wir Erfolg?8.3 Einstieg in ein Veränderungsprojekt9 Den Prozess verstehen9.1 Auf die Zusammenarbeit schauen9.1.1 Den Prozess sichtbar machen9.1.2 Diskussion der »gefühlten« Prozesse9.2 In den Schuhen der Kunden gehen9.2.1 Erfahrungen nachspüren9.2.2 Kunden als Personas 9.2.3 Kontaktpunkte auf der Kundenreise 9.2.4 Kundenreise und Prozess übereinanderlegen9.3 Was wäre, wenn alles rund liefe?9.4 »Klassische« Prozessanalyse9.5 Zusammenfassung der Beobachtungen9.6 Was bedeutet »Prozesse optimieren«?9.6.1 Die Sequenz der Tätigkeiten9.6.2 Regeln der Optimierung9.6.3 Optimieren im Verborgenen10 Prozesse modellieren10.1 Einführung Modelle10.1.1 Was ist ein Modell?10.1.2 Warum Prozessmodellierung?10.2 BPMN – Prozesse modellieren10.2.1 Die wichtigsten Sprachelemente10.2.2 Alternativer, optionaler und paralleler Sequenzfluss 10.2.3 »Bullaugen zur Umwelt«: Ereignisse10.2.4 Arbeiten mit Teilprozessen10.2.5 Kollaboration zwischen Prozessen11 Mit Modellen arbeiten11.1 Der Weg ist das Ziel – auch beim Modellieren11.2 Den Prozess dokumentieren11.2.1 Modell und Dokumentation11.2.2 Hilfreiche Attribute in BPMN-Modellen11.2.3 Regel, Ausnahme, Variante11.3 Prozesslandschaften11.3.1 Darstellung von Prozesslandkarten11.3.2 Kernprozesse und Unterstützungsprozesse11.4 Qualitätsmanagementsysteme11.4.1 Elemente von Qualitätsmanagementsystemen11.4.2 Fehler, Abweichung und hilfreiche Illegalität11.5 Eine einheitliche Sprache nutzen11.5.1 Sprache und Begriffe: die verborgene Falle der Unternehmenskultur11.5.2 Objekte und Daten verstehen12 Prozesse digitalisieren12.1 Optimierung durch Automatisierung?12.2 Das »papierfreie« Büro12.3 Human Workflow: Zusammenarbeit steuern12.3.1 Die Workflow-Engine12.3.2 Voraussetzungen12.3.3 Einfache Workflowsysteme 12.3.4 Anspruchsvolle Workflow-Steuerung12.3.5 BPMN-Workflow-Engine12.3.6 Steuerung der Arbeitsplätze12.4 Prozesse mit BPMN automatisieren12.4.1 Orchestrierung von Schnittstellen12.4.2 Digitale Prozesse modellieren12.4.3 Automatisierte Regeln12.5 Digitale Projekte meistern12.5.1 Design Thinking: Nutzer im Mittelpunkt12.5.2 Design Thinking im Prozessmanagement12.5.3 Anforderungen steuern12.5.4 Iteratives Vorgehen13 SchlusswortLiteraturverzeichnisStichwortverzeichnisDer AutorArbeitshilfen Online
[1]

Hinweis zum Urheberrecht:

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Dafür vielen Dank!

Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft - Steuern - Recht GmbH

[4]Reihe Systemisches Management

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de/ abrufbar.

Print:

ISBN 978-3-7910-5261-8

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ISBN 978-3-7910-5262-5

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ePDF:

ISBN 978-3-7910-5263-2

Bestell-Nr. 10673-0150

Rainer Feldbrügge

Systemisches Prozessmanagement

1. Auflage, Oktober 2021

© 2021 Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft · Steuern · Recht GmbH

www.schaeffer-poeschel.de

[email protected]

Produktmanagement: Dr. Frank Baumgärtner

Lektorat: Heike Münzenmaier

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere die der Vervielfältigung, des auszugsweisen Nachdrucks, der Übersetzung und der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, vorbehalten. Alle Angaben/Daten nach bestem Wissen, jedoch ohne Gewähr für Vollständigkeit und Richtigkeit.

Schäffer-Poeschel Verlag Stuttgart

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Sollte dieses Buch bzw. das Online-Angebot Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte und die Verfügbarkeit keine Haftung. Wir machen uns diese Inhalte nicht zu eigen und verweisen lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung.

[7]Vorwort

Über dieses Buch

Prozesse gehen oft ihre eigenen Wege. Beraterinnen, Führungskräfte und Prozessmanager erleben immer wieder, dass die Zusammenarbeit im Unternehmen »im wirklichen Leben« wenig mit den Prozessen gemein hat, die sie in ihren Projekten identifiziert, analysiert, designt und implementiert haben. Und das, obwohl sie ihr Projekt nach allen Regeln des Managements richtig geführt haben. Diese häufige Erfahrung baut einen Druck auf, »aus den gemachten Fehlern gelernt« zu haben, und es im nächsten Projekt besser zu machen.

Dabei ist unser Einfluss auf das, was im Unternehmen passiert oder nicht passiert, eher gering. Der größte Irrtum von Führungspersonen ist es, ihre Wirkung auf die Organisation zu überschätzen. Die Wirkungskräfte in einer Organisation sind so komplex, dass eigentlich das Funktionieren von Führung erklärungsbedürftig ist, nicht ihr Versagen. Es steckt also ein tieferer Sinn darin, auf Prozesse und Prozessmanagement als halb gefülltes Glas zu schauen: Wir fokussieren auf die Farbe, den Duft und den Geschmack des Weins, nicht auf die Hälfte, die bereits fehlt.

Schauen wir darauf, wie wir mit den Teams in der Organisation die Prozesse entdecken können, wie wir die Lust darauf wecken, die Zusammenarbeit zu verbessern und uns auf das Abenteuer der Digitalisierung einzulassen. Dieses Buch soll Ihnen eher Leitfaden für unerschrockene Prozessentdecker sein. Die Rezepte für Ihr erfolgreiches Prozessmanagement kreieren Sie dann selbst!

Danke an viele Wegbegleiter

In dieses Buch fließt die Erfahrung aus vielen Projekten und Unternehmen ein. Viele Begegnungen und Diskussionen mit Kunden, Kolleginnen, Studierenden und Lehrenden in meiner Laufbahn haben ihre Beiträge zum Wissen in diesem Buch beigesteuert. Vielleicht wird der eine oder andere Kunde aus einem Projekt sein Thema wiedererkennen – ich habe sie jedoch alle so verfremdet und verallgemeinert, dass Rückschlüsse auf das konkrete Unternehmen nicht möglich sind.

Die Idee zu diesem Buch reift, seit ich die dritte Auflage des Buches »Alles was Sie über Prozessmanagement wissen müssen« zusammen mit Barbara Brecht-Hadraschek überarbeitet habe. Das ursprüngliche Buch entstand zwischen 2002 und 2005. Bei der Überarbeitung 2013 habe ich bemerkt, dass ich es eigentlich komplett anders schreiben müsste – aber dann wäre es ja ein neues Buch. Mehrmals habe ich Anlauf genommen, dieses neue Buch zu schreiben. Bei jedem dieser Anläufe habe ich neu dazu gelernt. Ich [8]danke Björn Richerzhagen, der einen dieser Anläufe mit mir zusammen genommen hat, bis wir merkten, dass wir unterschiedliche Vorstellungen von diesem Buch hatten. In den letzten Jahren habe ich verschiedene Publikationen veröffentlicht, immer hat mich Heidrun Schoppelrey mit ihrer hilfreichen Textkritik begleitet.

Kurz vor dem Endspurt im Frühjahr 2021 haben einige meiner Kolleginnen und Kollegen den Rohentwurf dieses Buches gelesen und mir wertvolle Rückmeldungen dazu gegeben. Ich danke dafür Pamela Wendler, Sven Bartel, Kai Bernhard, Prof. Dr. Tilko Dietert, Alexander Gutendorf, Dr. Heiner Heng, Björn Richerzhagen und Uwe Schönfisch.

»Gendern stört den Lesefluss«

Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass eine geschlechtergerechte Sprache den Schreib- und Lesefluss stört. Und dann frage ich mich, ob das vielleicht der Sinn des Genderns ist. In diesem Buch geht es darum, durch bewusstes Beobachten von Prozessen die unbewusst ablaufenden Muster der Zusammenarbeit zu stören und damit Veränderung möglich zu machen. Müsste das dann nicht auch für das verbreitete Muster gelten, die Hälfte der Leserschaft wegzudenken?

Gendersternchen und Binnen-I sind nicht mein Fall, ich lade Sie daher auf ein Experiment ein: Anstatt bei jedem generischen Maskulinum Frauen »mitzumeinen,« will ich jedes zweite auftretende generische Geschlecht in der weiblichen Form verwenden. Gemeint sind dann in jedem Fall beide Geschlechter.

Zusatzmaterial zum Buch

Zu meinem kurzen Einführungskurs über die Modellierungssprache BPMN in Kapitel 10 finden Sie auf der Website zum Buch eine PowerPoint-Präsentation mit den Inhalten des Kurses und Aufgaben zum Üben. Diese Präsentation dürfen Sie gerne verwenden, wenn Sie die Kenntnisse in Ihrem Unternehmen weitergeben wollen. Selbstverständlich stehe ich auch gerne für Kurse vor Ort oder Remote zur Verfügung. Ebenso finden Sie alle Abbildungen des Buches im elektronischen Format. Die können Sie verwenden, wenn Sie damit Ihre eigene Präsentation zu den Inhalten dieses Buch erstellen wollen. Zum Downloadbereich kommen Sie mit der Anleitung zu unserer SP myBook-Seite auf S. 5.

Nun wünsche ich Ihnen interessante Anregungen und praktisch nützliche Erkenntnisse bei der Lektüre. Ich freue mich über Ihre Rückmeldungen an [email protected].

Rainer Feldbrügge, Neumarkt, im Sommer 2021

[15]Abbildungsverzeichnis

Abb. 1:Koppelung von Akteuren und AktionenAbb. 2:Der Pool für den Auftragsprozess der Schreinerei SiebenpfeiferAbb. 3:BPMN-Pool mit UmweltAbb. 4:BPMN-Pool mit Start- und EndereignisAbb. 5:BPMN-Pool mit Start-, Ende- und ZwischenereignisAbb. 6:BPMN-Pool mit Nachrichtenfluss zur UmweltAbb. 7:BPMN-Pool mit AktivitätenAbb. 8:BPMN-Pool mit LanesAbb. 9:Exklusives GatewayAbb. 10:Paralleler SequenzflussAbb. 11:Optionaler SequenzflussAbb. 12:Exklusive Verzweigung und ZusammenführungAbb. 13:Optionale Verzweigung und ZusammenführungAbb. 14:Optional verzweigen, exklusiv zusammenführenAbb. 15:Deadlock: Das Token kann nie bis zum Endereignis ziehen.Abb. 16:AuftragsprozessAbb. 17:Das ereignisbasierte GatewayAbb. 18:Angeheftetes unterbrechendes EreignisAbb. 19:Nicht unterbrechendes angeheftetes EreignisAbb. 20:FehlerereignisAbb. 21:Angeheftetes Ereignis an TeilprozessAbb. 22:Fehlerereignis an TeilprozessAbb. 23:KollaborationsdiagrammAbb. 24:Vereinfachtes KollaborationsmodellAbb. 25:Ein häufiger ModellierfehlerAbb. 26:Prozessmodell mit EreignisteilprozessenAbb. 27:Generische Prozesslandkarte mit BlockpfeilenAbb. 28:Prozesslandkarte BPMN Arzneimittelherstellung NaturheilkundeAbb. 29:Webshop in einer Process EngineAbb. 30:Der »Double Diamond« im Design Thinking

[17]1Einleitung

1.1Die Bassmelodie im Unternehmen

Unternehmenskultur ist wie der Basslauf in der Musik. Man muss schon sehr aufmerksam lauschen, um den Bass herauszuhören, und doch prägt er die Farbe eines Stückes. Wenn die Bassistin den Blues hat und ihren Schmerz in die Saiten knetet, dann darf die Frontperson keinen Schlager über den ersten Kuss und die ewige Liebe trällern. Das wäre eine ziemlich misslungene Vorstellung!

In Projekten erleben wir immer wieder, wie Change Manager von Agilität und Diversität schwärmen, während sich im Unternehmen der Blues von Hierarchie und gewachsenen Männernetzwerken ausbreitet. Jeder ahnt, dass das Stück nicht gut ausgehen wird, aber keiner will der Spielverderber sein, der das laut ausspricht.1

Es gehört zum Standard der Business-Phrasen, dass die Digitalisierung einen Kulturwandel erfordert. Aber diese Feststellung allein genügt nicht, damit dieser Kulturwandel im Unternehmen auch passiert. Was ist denn überhaupt die Kultur im Unternehmen und wie kann man sie beeinflussen? Was muss sich in der Kultur ändern, damit Digitalisierung gelingen kann? Dieses Buch versucht eine Annäherung an diese Fragen und liefert damit ein theoretisches und methodisches Rüstzeug für Projektmanager, Führungskräfte und Beraterinnen für die Veränderungen mit der Digitalisierung.

1.2Was bedeutet »systemisches Prozessmanagement«?

Die Managementdisziplin Prozessmanagement ist in der Literatur umfangreich beschrieben, die Methoden sind bekannt. Einige Autoren betrachten die Disziplin vorwiegend aus der betriebswirtschaftlichen Sicht (z. B. Schmelzer/Sesselmann 2020), für andere ist Prozessmanagement vorrangig eine Herausforderung für die Informationstechnik (z. B. Dumas/LaRosa/Marcello/Mendling 2013, Freund/Rücker 2014). In jüngeren Publikationen führen Autorinnen auch agile Methoden für das Prozessmanagement ein (Stöger 2018). Dennoch wiederholen sich in der Praxis der Umsetzung immer wieder ähnliche Beobachtungen:

[18]Wenn Prozessmanagement stecken bleibt

Prozessmanager analysieren, dokumentieren und modellieren die Prozesse des Unternehmens – und dann liegen ihre Ergebnisse unbeachtet in den Repositories der elektronischen Unternehmenshandbücher. Oft verstauben sie auch noch in wirklichen Aktenordnern. Hier ist das Prozessmanagement entkoppelt von der organisatorischen Realität des Unternehmens.

Sehr häufig werden im Unternehmen sogenannte »Ist-Prozesse« aufgenommen, danach freigegeben und als verbindlich erklärt. Für die Zertifizierung des Managementsystems ziehen Auditorinnen diese Dokumente heran. Aber im »echten Leben« arbeiten die Teams nach ihren eigenen Regeln. Häufig haben sie sich zusätzliche Anleitungen und Dokumente geschaffen, die ihnen im Alltag helfen. Auf der Vorderbühne stellen die Manager Veränderung zur Schau, auf der Hinterbühne wird ein anderes Stück gegeben. Der Begriff »Fake Change« beschreibt diese Beobachtung (z. B. Kühl 2021 – Die Zeitschrift für Organisationsentwicklung widmet das ganze Heft dem Begriff Fake Change).

Ähnlich können wir beobachten, dass Unternehmen die Organisation »entlang der Prozesse« umstrukturieren – und der wirkliche Fortschritt an Wirksamkeit im Alltag überschaubar bleibt. Alle Mitarbeiterinnen wissen: Die neue Struktur ist nur vorübergehend, die nächste Umstrukturierung kommt bestimmt. Sie brauchen eine gewisse Pufferkompetenz, um die immer lauter werdende Kommunikation über Change im Unternehmen zu überhören. Ohne diese Rauschunterdrückung würden sie ihre Arbeit nicht mehr erledigen können. Axel Koch beschreibt dieses Phänomen in seinem Buch »Change mich am Arsch!« (Koch 2017).

Immer wieder hören wir von IT-Projekten zur Digitalisierung von Abläufen im Unternehmen, die auf halbem Weg stecken bleiben, die ihre Budgets sprengen und/oder aus dem Terminplan laufen. Im Laufe des Projekts treten immer mehr Anforderungen zutage, die in der anfänglichen Analyse übersehen wurden oder durch Änderung der Rahmenbedingungen aufgetreten sind. Anforderungen, die in der ersten Analyse mit geringer Priorität bewertet wurden, werden scheinbar plötzlich höher bewertet – häufig nur, weil Personen an Einfluss gewinnen, die sich in der frühen Phase des Projekts nicht durchsetzen konnten. Projekte sind eben nicht nur von sachlicher Analyse gesteuert, sondern unterliegen auch der sozialen Dynamik im Unternehmen.

In den Lehrbüchern zum Prozessmanagement wird immer wieder betont, wie wichtig die Unterstützung dieser Anstrengung durch das Topmanagement ist. Bei all meinen Projekten habe ich auch zu Beginn des Projektes die Zusicherung gehört, der Vorstand, die Geschäftsführung, die Eigentümer, die Bereichsleiter – wer immer als »Topmanagement« wahrgenommen wurde – stünden voll hinter der Sache. Häufig waren auch Ver[19]treterinnen des »Topmanagement« bei einer Kick-Off-Veranstaltung dabei, um diese Unterstützung zu signalisieren. Im Laufe des Projekts verschieben sich aber auch für das Management die Prioritäten. Wenn Projekte scheitern – gleich ob mit organisatorischer oder technischer Ausrichtung – wird sehr häufig die »fehlende Topmanagement-Attention« als Ursache diagnostiziert.

Schließlich wird immer wieder auf die Notwendigkeit eines Kulturwandels verwiesen, wenn es um Prozessmanagement und Digitalisierung geht. Ich höre dann, dass sich im Unternehmen »eine Prozessdenkweise« etablieren solle, dass man »Silos überwinden« müsse, »Fürstentümer« oder »Erbhöfe« schleifen solle. Prozessmanager fordern ein neues »Mindset«, eine »flache Hierarchie«, mehr »Agilität«. Es ist schwer, sich diesen Begriffen zu entziehen. Man kann einfach nicht »dagegen« sein. Also will sich keiner als jemand outen, der mit diesen Begriffen nichts anzufangen weiß oder sie für leere Buzzwords hält.

1.2.1Theoretische Grundlagen verstehen

Die Beobachtungen machen deutlich, dass die wissenschaftlich gut fundierten Methoden des Prozessmanagements nicht ausreichen, um die Zusammenarbeit der Menschen, Applikationen und Maschinen in Unternehmen nachhaltig zu steuern. Unternehmen sind soziale Systeme, die nicht mit einer mechanischen Logik der Betriebswirtschaft zu steuern sind. Die tastende Begrifflichkeit von »Mindset« oder »Denkweise« zeigt, dass man hinter den Kennzahlen das Wirken von Kräften wahrnimmt, die man mit den bewährten Methoden nicht richtig greifen kann.

Systemisches Prozessmanagement soll diese Kräfte für Prozessmanagerinnen greifbarer machen. Ich will mit diesem Buch eine Brücke schlagen zwischen der betriebswirtschaftlich-technischen Sicht des Prozessmanagements und dem systemtheoretischen Verständnis von Statik und Dynamik in Organisationen.

Um den Basslauf in der Musik herauszuhören, müssen wir unser Ohr schulen. Um die systemischen Wirkkräfte in Organisationen zu verstehen, müssen wir auf Beobachtungen schauen, die wir sonst leicht übersehen. Dazu brauchen wir einen aufmerksamen Blick und mehr Verständnis für das Leben in sozialen Systemen. Im ersten Teil meines Buchs liefere ich daher eine theoretische Grundlage über die sozialen Systeme rund um die Geschäftsprozesse.

Prozesse sind Konstrukte

Prozesse sind bloße Konstrukte. Betriebswirtschaftlich geschulte Prozessmanager haben gelernt, mit normativen Vorgaben und mathematisch herleitbaren Gesetzmäßig[20]keiten zu argumentieren. Prozesse sind aber keine objektiv feststellbaren Größen in der Betriebswirtschaft, sondern bloße Konstrukte unserer Sprache. Damit wollen wir Zusammenhänge benennen, die bei der Verwendung anderer Konstrukte wie »Abteilung« aus dem Blick geraten. Konstrukte sind immer subjektiv – es kann also kein richtig oder falsch geben. Im Prozessmanagement arbeiten wir also nicht daran, einen richtigen Prozess zu konstruieren, sondern innerhalb einer Gruppe von Beobachtern zu einem gemeinsamen Konstrukt des Prozesses zu gelangen. In Kapitel 2 erläutere ich die Auswirkungen dieser Sichtweise auf das Prozessmanagement.

Führung und Verantwortung

Prozessmanagement ist ein Instrument der Führung in Organisationen. Führung unterscheidet sich deutlich von Steuerung: Von Steuerung sprechen wir, wenn wir ein mechanisches System (wie eine Maschine) anhand von vorhersehbaren Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen steuern. In sozialen Systemen gibt es diese klaren Ursache-Wirkungs-Mechanismen nicht. Soziale Systeme steuern sich selbst. Durch Führung können wir aber das System stören und damit Interventionen setzen, auf die das System reagieren wird. So können wir die Entwicklung des Systems in (mehr oder weniger weiten) Grenzen beeinflussen. Wie wir mit dem Konstrukt Prozess und den Methoden des Prozessmanagements die Funktionen von Führung unterstützen, beschreibe ich in Kapitel 3.

Prozessverantwortung ist ein zentraler Begriff im Prozessmanagement. Aber wie ist Verantwortung in Prozessen und Verantwortung für Prozesse im Zusammenhang von Verantwortung im Unternehmen überhaupt zu greifen? In Kapitel 4 geht es daher um Verantwortung. Ich frage danach, wie ein Team Verantwortung übernehmen kann, wie Prozesse in der Aufbauorganisation sich an der Verantwortung in der Hierarchie reiben und wie man Verantwortung in Prozessen greifen kann.

Resonante Arbeitsbeziehungen

In Kapitel 5 lade ich zu einer Reise in ein noch wenig erforschtes Terrain ein. Wie können wir mit gut organisierten Prozessen die Bedürfnisse der Menschen befriedigen, die in unseren Organisationen arbeiten? Es erscheint als eine Binsenweisheit, dass Geld und Karriere alleine Menschen nicht motivieren. Alle Unternehmen sind aber darauf angewiesen, dass Menschen im Alltag dauerhaft mehr leisten, als sie vertraglich zu leisten verpflichtet sind: vom »Lächeln am Telefon« über »eigenverantwortlich Handeln« bis zu »in den Schuhen der Kunden gehen«. Wenn wir das Bedürfnis der Menschen nach resonanten Weltbeziehungen verstehen und unsere Arbeitsorganisation auf diese resonanten Beziehungen ausrichten, können wir Voraussetzungen dafür schaffen. Prozessmanagement kann dazu einen Beitrag leisten. Ich werde in Kapitel 5 das Konzept der Resonanz in unseren Arbeitsbeziehungen vorstellen.

[21]Veränderung und Teamentwicklung

Prozessmanagement ist immer Veränderung. Sobald wir beginnen, auf die Prozesse im Unternehmen zu schauen, verändern wir bereits die Art unserer Zusammenarbeit. Eine neutrale »Ist-Prozess«-Analyse ist also nicht möglich. Prozessmanagerinnen müssen daher verstehen, dass sie mit dem ersten Schritt in ihr Projekt Veränderungen im Unternehmen bewirken. In Kapitel 6 stelle ich Change Management als einen systemischen Lernprozess in Organisationen vor.

Und schließlich sind Prozesse immer Teamarbeit. Wenn wir einen Prozess sichtbar machen, der bisher in der Arbeitsorganisation hinter anderen Zusammenhängen verborgen war, dann schauen wir auch immer auf das Team der Menschen, die in diesem Prozess zusammenarbeiten. Sehr häufig sind diese Teams nicht sichtbar, die Menschen wissen nicht um ihre Zugehörigkeit zu diesem Team, das Team bildet keine für Teams typischen Strukturen – und dennoch übernimmt es Verantwortung für ein gemeinsames Arbeitsergebnis. In Kapitel 7 widme ich mich den Herausforderungen für die Teamentwicklung in Prozessen.

1.2.2Das Handwerkszeug

Nach dieser systemtheoretischen Fundierung stelle ich im zweiten Teil des Buchs handwerkliche Methoden vor, die wir für die Digitalisierung von Prozessen im Unternehmen benötigen.

Teams mobilisieren

Bevor wir überhaupt ein Projekt zur Digitalisierung starten oder Prozesse im Unternehmen »aufnehmen,« brauchen wir die Bereitschaft der Menschen, mit uns auf eine Reise zur Veränderung ihrer Zusammenarbeit aufzubrechen. In Kapitel 8 stelle ich Moderationsmethoden vor, mit denen wir Teams helfen, auf ihre Zusammenarbeit zu schauen, sich ihrer Stärken als Team bewusst zu werden und die Veränderungen wahrzunehmen, die die Zukunft für sie bereithält. Nur wenn ein Team einen Anpassungsbedarf selbst wahrnimmt, ist es bereit und in der Lage, die Muster (Prozesse) in seiner Zusammenarbeit zu verändern. Sie lernen in Kapitel 8 einige Frageformen und Moderationsansätze kennen, diese Wahrnehmung von Änderungsbedarf anzustoßen. Vorab nur soviel: Eine Management-Präsentation darüber, wie schlecht die jeweilige Abteilung für die anstehenden Herausforderungen der Digitalisierung (wahlweise der Globalisierung) gewappnet ist, dient nicht dazu, diese Wahrnehmung zu fördern.

Prozesse verstehen

Nachdem Sie mit Ihren Interventionen den Teams geholfen haben, ihren Anpassungsbedarf selbst zu formulieren, können Sie im zweiten Schritt den Blick der Teams auf [22]die Prozesse fördern. Es geht darum, dass die Personen, die für einen Prozess zusammenarbeiten, die regelmäßigen Muster ihrer Zusammenarbeit bewusst wahrnehmen und miteinander zu einem gemeinsamen Bild dieser Prozesse kommen. Ebenso ist es wichtig, dass sie die Perspektive von Kunden und anderen Interessierten wahrnehmen und ihren eigenen Arbeitsprozess aus diesem Blickwinkel beobachten. Damit können sie daran gehen, gemeinsam feste Abläufe zu vereinbaren, wo bisher vielfältige »Eigengewächse« waren, sie können ihre Prozesse den Erwartungen von Kunden anpassen oder für weniger Ressourcenverbrauch sorgen oder ihre Zusammenarbeit auf digitale Medien umstellen. In Kapitel 9 stelle ich mit der Methode der haptischen Prozessmodellierung ein Moderationskonzept vor, das diesen Diskussionsprozess in Teams gut unterstützt.

Führung in IT-Projekten

In Kapitel 10 wird es digital. Sie finden dort eine Einführung in den Modellierungsstandard BPMN (Business Process Model & Notation) zur Darstellung von Geschäftsprozessen. Dieses Kapitel wirkt vielleicht auf den ersten Blick etwas fremd in einem Buch zum systemischen Prozessmanagement. Es wird aber kein Projekt zur Optimierung von Prozessen geben, das ohne Veränderung von IT-Systemen auskommt. In allen Prozessen müssen Personen auf Informationen und Wissen zugreifen, um Entscheidungen zu treffen oder Kommunikation zu führen. Dieses Wissen wird immer stärker digital bereitgestellt. Prozessmanagerinnen müssen daher immer auch Führung in IT-Projekten übernehmen.

Der Modellierungsstandard bietet eine gute Plattform zum gemeinsamen Verständnis von Prozessen zwischen den Verantwortlichen in der Organisation und den Leuten »aus der IT«. Die abstrakte Notation hilft den Beteiligten im Prozess, aus einer Distanz auf ihre Zusammenarbeit zu schauen. Bei der Modellierung übernehmen sie die Perspektive eines Token, das durch den Prozess wandert und spüren so die logischen Brüche im Prozess. Die bisher gewohnte verbale Beschreibung von Prozessen bietet immer wieder Möglichkeiten, solche Brüche mit wohlfeilen Formulierungen zu verdecken. Später treten im IT-Projekt genau an diesen Stellen unerwartete Probleme auf.

Für die Entwickler in IT-Projekten ist es wichtig, die Prozesse der späteren Anwender wirklich zu verstehen. Das fällt besonders dann schwer, wenn in der Organisation der Prozesse eine eigene Welt aus Begriffen und Zusammenhängen aufgebaut ist, die Außenstehende nur schwer nachvollziehen können. Mit einem Prozessmodell können sie die Arbeitszusammenhänge leichter verstehen und besser konkrete Fragen stellen. Prozesse modellieren ist also keine Einbahnstraße, sondern ein Geben und Nehmen zwischen Organisation und IT.

Prozessmodelle in der Anwendung

In Kapitel 11 stelle ich verschiedene praktische Anwendungen für die Arbeit mit Prozessmodellen vor. Dabei geht es von der Prozessdokumentation im Organisationshandbuch [23]über die Arbeit mit Prozesslandschaften bis zum Aufbau von Qualitätsmanagementsystemen. Ich zeige auf, wie Sie in diesen Anwendungen einerseits die Möglichkeiten der Prozessmodellierung mit BPMN wirkungsvoll einsetzen, andererseits auf den systemischen Grundlagen aufbauen, die Sie in der Moderation mit den Teams gelegt haben. Dieses Kapitel soll Ihnen helfen, das »echte Leben« im Unternehmen und die Vorderbühne der Managementsysteme in Einklang zu bringen.

Im Kapitel 12 zeige ich, wie Sie Prozessmodelle einsetzen, um Prozesse zu digitalisieren. Hier erfahren Sie, wie das Team mit einer Workflow-Engine seine Zusammenarbeit beobachtbarer und zuverlässiger gestaltet und wie Prozessmodelle helfen, die komplizierte Landschaft von IT-Anwendungen und Organisationsabläufen zu strukturieren. Schließlich zeige ich hier, wie Prozessmanagerinnen und Führungspersonen aus der Organisation in agilen Projekten zur Digitalisierung ihre Rolle wahrnehmen und Führung übernehmen können.

1.3Ein neues Rollenverständnis

Systemisches Prozessmanagement bedeutet, dass ich die Rollen in dieser Veränderung anders verstehe als in den meisten Büchern zum Prozessmanagement. Dort ist der Prozessmanager eher Macher des digitalen Wandels. Die Fachleute in den vom Wandel betroffenen Teams heißen dort Business Experts (oder auch Subject Matter Experts) und liefern dem Projekt Geschäftswissen hinzu, das der Prozessmanager nicht hat. Ohne den Prozessmanager geht aber in diesem Verständnis nichts.

Prozessmanager und Führungskräfte

Ich möchte das Team als Handelnden in der Veränderung verstehen. Damit sich die Zusammenarbeit in einem Team wirksam entwickelt, muss das Team selbst zum Treiber werden, nicht Kunde (oder gar Opfer) des Projekts bleiben. Die Prozessmanagerin sehe ich als beratende Dienstleisterin für die Teams. Sie liefert Wissen zur Methodik der Prozesse und zur Veränderungsdynamik in Organisationen. Sie kann Teamprozesse moderieren, kann die Sichten des Teams auf die Zusammenarbeit in Prozessmodelle gießen, Know-how über digitale Prozesse beisteuern und die Kommunikation zwischen dem Team und der IT unterstützen.

Das Team

Wer ist in diesem Zusammenhang das Team? Das Team sind alle an einem Prozess beteiligten Personen. Sie zusammen tragen die Verantwortung dafür, dass der (interne oder externe) Kunde ihrer Zusammenarbeit eine gute Leistung erhält. Und sie sorgen gemeinsam für die zur Verfügung stehenden Ressourcen. Meistens gehören diese Personen zu [24]unterschiedlichen Einheiten der Aufbauorganisation, selten haben sie in der Hierarchie eine gemeinsame Vorgesetzte. Es kommt vor, dass ein Prozess vorwiegend innerhalb einer organisatorischen Einheit abläuft, aber das ist nicht die Regel.

In den meisten Organisationen werden Entwicklungsprozesse von Führungskräften in der Hierarchie initiiert und vorangetrieben. Wenn ein Prozessteam aber über die Grenzen der Aufbauorganisation hinaus zusammengesetzt ist, braucht es jemanden, der diese Führungsrolle für das Prozessteam übernimmt. Das kann eine übergeordnete Führungskraft sein, eine der Führungskräfte der am Prozess beteiligten Einheiten – oder auch jede andere Person innerhalb dieses Kreises. Führung bedeutet im Zusammenhang der Organisationsentwicklung, den Impuls für eine Veränderung anzustoßen und über einen ausreichenden Zeitraum wirksam zu halten. Führung bedeutet nicht, den beteiligten Personen mitzuteilen, wie sie in Zukunft zu arbeiten haben.

1.4Einige Begriffsklärungen

1.4.1Soziale Systeme, Organisationen und Unternehmen

Ich verwende in diesem Buch die Begriffe Organisation und Unternehmen synonym. Organisationen sind soziale Systeme, die einem speziellen Zweck dienen und dazu eine (mehr oder weniger) formelle Zusammenarbeit etablieren. Damit unterscheiden sie sich von anderen sozialen Systemen wie Familien, Freundeskreisen, Religionsgemeinschaften, Clans etc. Wenn das Besondere an Organisationen der Zweck ist, dann müssen Organisationen auch rationaler ausgerichtet sein als andere Systeme. Der Zweck fordert auch, dass sie sich stärker unabhängig von einzelnen Personen machen – prinzipiell sind Personen in Organisationen austauschbar – in Familien bekanntlich nicht. Diese Anforderungen führen zu der beobachteten Formalität von Organisationen.

Aber es gibt keine harte Grenze zwischen den Systemtypen, eher ein Mehr oder Weniger von Rationalität, Austauschbarkeit und Formalität. Unternehmen sind Organisationen, die einem primär wirtschaftlichen Zweck dienen. Behörden sind auch Organisationen, sie dienen der öffentlichen Versorgung. Die klare Orientierung an Regeln »ohne Ansehen der Person« ist ihr Wesenskern. Non-Profit-Organisationen tragen im Namen, dass sie nicht den Profit zum Zweck haben. Die genannten Merkmale von Organisationen sind in den verschiedenen Typen auf unterschiedliche Weise und unterschiedlich stark ausgeprägt.

Von Unternehmen erwartet man, dass die Formalität dort sehr stark ausgeprägt ist, bei Familien vermutet man das eher weniger. Und wie soll dann eine Unternehmerfamilie oder ein Familienunternehmen aussehen? Diese Diskussion zeigt, dass wir mit Kategori[25]sierungen und harten Unterscheidungen vorsichtig sein müssen. Unternehmen sind für mich Organisationen, die in einigen Merkmalen von anderen Organisationen mehr oder weniger unterschieden werden können. Weil ich diese Unterschiede nicht zu stark betonen möchte, nutze ich Unternehmen und Organisation hier synonym. Ich tendiere dabei mehr zum Begriff Unternehmen, wenn ich auf die Besonderheiten von Unternehmen abziele und zu Organisation, wenn die Unterschiede an dieser Stelle weniger wichtig sind.

1.4.2Digital und Analog

Dies ist ein Buch über Digitalisierung – also muss ich erklären, wie ich diesen großen und kaum greifbaren Begriff hier verwende. Ich spreche dabei von digitaler Organisation und von analoger Organisation. Die digitale Organisation ist stärker von informationstechnischen Lösungen geprägt als analoge, aber der technische Aspekt ist für mich Nebensache. Technische Lösungen funktionieren nämlich nur, wenn die Kommunikations- und Entscheidungsmuster in der Organisation digital geprägt sind. Darum nutze ich die folgende Unterscheidung:

Analoge Organisation orientiert sich stärker an Personen, digitale Organisation stärker an Rollen, Regeln und Prozessen. In einer analogen Organisation zählen Erfahrung, Intuition und Beziehungen, in einer digitalen sind eher rationale Argumentation und sachliches Wissen von Bedeutung. Natürlich können wir mit diesen Begriffen Unternehmen nicht in diese oder jene Schublade sortieren, wir können aber beobachten, wann welche Aspekte der Organisation stärker hervortreten.

1.4.3Muster und Prozesse

Wenn es in der Digitalisierung um Prozesse geht, sollten wir klären, wie ich diesen Begriff hier im Buch verwende. Sehr allgemein wird ein Prozess als eine Folge von Aktivitäten angesehen, die aus einem Input einen Output erzeugen. Wenn die Betriebswirtschaftslehre von Geschäftsprozessen spricht, fügt sie drei genauere Definitionskriterien hinzu. Das erste ist, dass diese Aktivitäten eine von Kunden angeforderte Leistung erzeugen. Das zweite Kriterium besagt, dass mehrere Unternehmensfunktionen an dieser Zusammenarbeit beteiligt sind. Und drittens sollen Geschäftsprozesse Ziele erfüllen, die aus der Geschäftsstrategie abgeleitet sind. So lesen wir im Standardwerk von Hermann J. Schmelzer und Wolfgang Sesselmann.

Aus dieser Definition klingt das betriebswirtschaftliche Verständnis von Rationalität. Ich halte dieses Verständnis für zu mechanisch, um die Dynamik in Organisationen zu ver[26]stehen (oder auch das scheinbare Fehlen von Dynamik). Ich möchte daher eine, wie ich finde, nützliche Unterscheidung zwischen Muster und Prozess einführen.

In allen Systemen kommunizieren Individuen auf eine für das System spezifische Weise. In einem Chor kommuniziert man anders als in einer Buchhaltung, und in einem Kirchenchor sind diese Regeln noch einmal andere als in einem profanen Männergesangverein. Aber viele dieser Regeln nehmen die Beteiligten gar nicht wahr – sie sind im Laufe der Zeit gewachsen, haben sich etabliert und scheinen auf irgendeine Art recht stabil zu sein. Ich spreche dabei von Mustern der Kommunikation. In allen Organisationen können wir viele solcher Muster der Zusammenarbeit beobachten, wenn wir genau hinschauen.

Das tun wir aber in der Regel nicht – die Zusammenarbeit läuft in eingespielten Mustern, und meistens ist es auch besser, darüber nicht nachzudenken. Denn was in Routinen abgesunken ohne Nachdenken klappt, holpert, sobald man bewusst darauf achtet. Eben dieses Beobachten macht den Unterschied zwischen einem Muster und einem Prozess aus.

Vielleicht ahnen Sie schon, warum in vielen Teams das Wort »Prozess« keinen guten Klang hat – es fordert dazu auf, aus den eingefahrenen Mustern herauszugehen und von außen darauf zu schauen. Das ist anstrengend.

Aus eingefahrenen Kommunikationsmustern herauszutreten und von außen zu betrachten kann in vielen Zusammenhängen sinnvoll sein – auch in der Familientherapie, dem Coaching oder in einer Gruppenmoderation. Wir würden dann aber nicht von Prozessen sprechen.

Einen Prozess verstehe ich als eine bewusst beobachtete Zusammenarbeit, die eine Leistung für einen Kunden erzeugt. Ein Kunde kann dabei ein zahlender externer Kunde sein, aber ebenso ein anderer Prozess oder ein Team in derselben Organisation. Bei Non-Profit-Organisationen und Behörden entfällt häufig der Aspekt des »Zahlens« für die Leistung.

Allen gemeinsam ist das Verständnis, dass in einem Prozess ein Team zusammenarbeitet, um eine Leistung für andere zu erstellen und (Achtung – wichtig!) sich dabei bewusst beobachtet.

1.4.4Unternehmenskultur

Die Unternehmenskultur ist ein Begriff, den wir etwa so schwierig greifen können wie Digitalisierung. In jeder Organisation sind verschiedene Prämissen für Entscheidungen [27]etabliert. So wird in den einen Organisationen eher geregelt, wer eine Entscheidung treffen soll, in anderen eher der Prozess, wie es zu einer Entscheidung kommt oder nach welchen Kriterien zu entscheiden ist. Der Soziologe Niklas Luhmann beschreibt Kultur als die Entscheidungsprämissen, über die in einer Organisation nicht entschieden werden kann – weil sie gewachsen sind und sich einer bewussten Diskussion entziehen. Fritz B. Simon bezeichnet Kultur als ein Set von ungeschriebenen Regeln darüber, wie man sich verhalten muss, um »dazuzugehören« bzw. mit welchem Verhalten man sich an den Rand stellt.

In einer analog geprägten Unternehmenskultur haben Menschen, die schon lange dazugehören oder höher in der Hierarchie stehen (oder beides), bei Entscheidungen »ein Wort mitzureden« – auch wenn sie in der Sache nicht wirklich Bescheid wissen. Wer eine Entscheidung »durchkriegen« will, sollte wissen, wen man tunlichst vorher zurate zieht, damit nicht »hintenrum« die Entscheidung wieder gekippt wird.

Unternehmen mit einer eher digital ausgerichteten Kultur ticken dagegen »rational.« Regeln zur Entscheidung legen nicht etwa fest, wer zu fragen ist, sondern nach welchen Kriterien zu entscheiden ist. Entscheidungen werden dort getroffen, wo das Wissen zur Sache sitzt – unabhängig von Unternehmenszugehörigkeit und Beziehungen. Diese Haltung macht »digitale« Organisationen für junge Mitarbeiter interessant – sie können Dinge schneller vorantreiben und werden nicht »ausgebremst«.

Diese Unterscheidung ist holzschnittartig überspitzt. In den meisten Unternehmen wird man eine Kultur auf Graustufen zwischen diesen Polen beobachten. Manche Themen werden im Unternehmen stärker digital angegangen, andere eher analog.

Prozessmanager argumentieren in der Regel rational und betonen die Notwendigkeit von Rollen, Regeln und Prozessen im Sinne von Effektivität und Effizienz. Wenn sie damit auf eine vorwiegend analog geprägte Unternehmenskultur treffen, erleben sie häufig Frustration: Neu eingeführte Systeme »funktionieren nicht«, längst sicher geglaubte Investitionsentscheidungen werden plötzlich infrage gestellt, Projekte ziehen sich in die Länge, die versprochene Unterstützung durch das Topmanagement erweist sich als wachsweich. Rationalität alleine reicht also nicht, um in Unternehmen Veränderungen voranzubringen. Kultur folgt nicht (immer) den Regeln der Rationalität.

1 Die Metapher der Unternehmenskultur als Bassmelodie im Unternehmen stammt von Torsten Groth, meinem Trainer in der Beraterausbildung bei Simon, Weber & Friends. Er prägte dieses Bild in einem virtuellen Diskussionsforum. Mehr zur Unternehmenskultur bei Groth 2017, Grubendorfer 2016, Nagel 2017, Wimmer/Meissner/Wolf 2014.

[29]Teil 1: Das Rüstzeug

[31]2Gibt es Prozesse wirklich?

2.1Prozesse sind (nur) ein Konstrukt

In Wirklichkeit gibt es Prozesse gar nicht. Lange bevor irgendjemand den Begriff Prozess verwendet hat, haben Unternehmen bereits rationell gearbeitet, sind gewachsen und haben gut verdient. Offenbar können Unternehmen auch ohne Prozesse funktionieren. Wozu dann dieser Begriff und einen guten Regalmeter Fachliteratur dazu? Wenn man in Unternehmen von Prozessen spricht, dann geht es meistens um die arbeitsteilige Zusammenarbeit zwischen Menschen aus verschiedenen Arbeitsumgebungen.

2.1.1Arbeitsteilung und Hierarchie

Um die Arbeitsteilung in industriellen Unternehmen zu organisieren, hat es sich schon früh durchgesetzt, von Abteilungen zu sprechen, wenn man Menschen mit ähnlicher Qualifikation und Aufgabenstellung meinte, die meist am gleichen Ort arbeiteten. Das Konstrukt »Abteilung« hat sich so sehr eingeprägt, dass es in der Unternehmenskommunikation nicht zu übersehen ist: Es steht schon im Arbeitsvertrag und auf der Visitenkarte der Mitarbeiter, an den Türschildern, häufig ist die Abteilung in einem Raum oder einem Flur angesiedelt, verfügt über eine eigene Kaffeemaschine (mit zugehöriger Kaffeekasse), eine gemeinsame Vorgesetzte genehmigt den Urlaub (selbst wenn sie sonst keine Führung ausübt). Es ist in den meisten Unternehmen unmöglich, dieses Konstrukt nicht wahrzunehmen. Aber auch die Abteilung ist nur ein Konstrukt unserer Kommunikation.

Das Konzept des Prozesses ist deutlich jünger, und es hat es schwer, sich in der täglichen Kommunikation gegen die vorherrschende Konstrukte Abteilung und Hierarchie durchzusetzen. Über Prozesse sprach man, als man die Notwendigkeit wahrnahm, die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Abteilungen zu thematisieren. In der Folge wurde der Begriff auch verwendet, um Zusammenarbeit verschiedener Personen in einem Team zu beschreiben. In den meisten Unternehmen sind die Prozesse aber nicht genau definiert – und selbst wenn es dokumentierte Prozesse gibt, spiegeln sie häufig nicht die Realität der Zusammenarbeit wider.

Anders bei der Aufbauorganisation. In fast allen Unternehmen gibt es eine klare Festlegung der »Berichtslinien« in einem Organigramm. Die daraus abgeleiteten Grenzlinien werden allgemein akzeptiert. Es ist recht ungewöhnlich, dass sich ein Mitarbeiter eines Tages spontan zu anderen Kolleginnen setzt und mit diesen die Arbeit teilt, ohne dass dies mit einem Vorgesetzten abgesprochen ist.

[32]Geburt eines Organigramms

Ich hatte in meiner Karriere das seltene Glück, die »Geburtswehen« eines Organigramms mitzuerleben. Kurz nachdem ich als Gebietsleiter im Unternehmen angeheuert hatte, wurde die Firma verkauft und von einer mittelständischen Familienholding übernommen. Der von der Holding eingesetzte Co-Geschäftsführer zeigte sich erstaunt, dass man ihm kein Organigramm zur Orientierung zeigen konnte, so bat er, man möge doch bitte eines erstellen.

Das Organigramm war schnell erstellt. Dann aber traten heftige Konflikte zutage: Führungspersonen fanden sich plötzlich auf einer hierarchischen Ebene wieder, die nicht ihrer Selbstwahrnehmung entsprach. Personen, die bisher dafür bekannt waren, einen »guten Draht« zum Gründer zu haben und qua Person für beinahe alles zuständig waren, mussten nun in ein Kästchen einsortiert werden.

Die Chance, ein solches Schauspiel zu erleben, gibt es nur noch selten. Meistens gibt es eine klare Abgrenzung, wer wohin gehört – und die wird selten infrage gestellt. Wenn Sie Mitarbeiter bitten, das Organigramm aufzuzeichnen, werden die Zeichnungen der verschiedenen Personen weitgehend übereinstimmen.

Prozesse als unterschiedliche Konstrukte

Bitten wir aber Mitarbeiterinnen oder Führungskräfte, die Prozesse darzustellen, an denen sie beteiligt sind (oder auch die Prozesse, die für das Unternehmen wichtig sind), dann offenbart sich schnell eine Fülle von sehr unterschiedlichen Bildern. Welches davon ist richtig?

Bei Konstrukten kann es kein »richtig« und »falsch« geben. Es ist aber sehr wohl möglich, dass sich Beteiligte an einem Prozess auf ein gemeinsames Konstrukt einigen. Solange es kein solches gemeinsames Bild von der Zusammenarbeit zwischen den Teams oder Abteilungen gibt, wird es schwierig, diese Zusammenarbeit zu verändern. Es geht also nicht darum einen »richtigen« Prozess zu erkennen, sondern darum, ein gemeinsam akzeptiertes Bild des Prozesses zu gewinnen.

2.1.2Wie Prozesse entstehen

Prozesse entstehen erst beim Beobachten. Die Zusammenarbeit im Unternehmen funktioniert, ohne dass es einer bewussten Beobachtung bedarf. Die Muster haben sich so entwickelt. Ein Beispiel: In einem Unternehmen sollen dezentrale Anlagen gewartet werden. Irgendwann hat mal jemand begonnen, die Wartungsarbeiten über die Anlagen zu planen. Später wurden die Anlagen in einem ERP-System erfasst. Jemand schlug vor, [33]auch die Wartungsplanung in diesem System zu verankern. Das Modul Maintenance gibt die Funktionen her. Einige Personen haben herausgefunden, wie Wartungspläne damit erstellt werden, aber die Nutzung der verschiedenen Kategorien im Programm verstehen sie nicht einheitlich.

Es entstehen Excel-Tabellen, die die Planung unterstützen sollen. Sitzungen werden ins Leben gerufen, um die Planungen abzustimmen. Irgendwann hat sich ein umfangreicher Ablauf etabliert, aber niemand kann genau sagen, welche Tätigkeit, welche Liste, welche Abfrage wofür gut ist. Was ist hier der Prozess? Solange niemand die Notwendigkeit sieht, auf die überlieferten Muster der Zusammenarbeit zu schauen, können wir von einem Prozess nicht sprechen.

Das Unternehmen wächst, es kommen immer weitere Anlagen hinzu. Neue Mitarbeiter stoßen zum Unternehmen, sie werden von unterschiedlichen Personen eingearbeitet und entwickeln ein eigenes Verständnis darüber, wie »es hier läuft«. Einzelne Teams versuchen, Tätigkeiten zu optimieren. Sie führen neue Systeme ein: ein System zur Einteilung der Wartungsteams, mobile Erfassungsgeräte für die Wartungsmitarbeiterinnen, ein neues System für die Materiallogistik. Diese vereinzelten Projekte können nur scheitern, wenn es kein gemeinsames Bild eines Prozesses gibt.

»Ist-Prozess« und »Soll-Prozess«

Das zentrale Prozessmanagement im Unternehmen wird beauftragt, den »Ist-Prozess« aufzunehmen. Der Berater kommt mit einem guten Verständnis von Prozesslogik, Input und Output. Er kann zwar die interessanten Verästelungen in der Zusammenarbeit nicht nachvollziehen, erstellt aber ein schlüssiges Modell darüber, welche Arbeitsschritte in welcher Reihenfolge notwendig sind und wer wofür verantwortlich ist (oder sein sollte?). Die Führungskräfte sind dankbar, dass jemand ihren »Ist-Prozess« so übersichtlich veranschaulicht. Der Prozess wird schnell »freigegeben« und im Unternehmenshandbuch veröffentlicht. Ist das jetzt der »richtige« Prozess?

Entgegen der verbreiteten Praxis im Prozessmanagement empfehle ich, auf die Begriffe Ist-Prozess und Soll-Prozess zu verzichten. Die Vorstellung, man könne einen »Prozess abbilden« ist irrig, wenn der Prozess erst beim Draufschauen entsteht. Vorher gab es eine nicht einheitlich verstandene Zusammenarbeit, die irgendwie (mehr oder weniger) funktioniert. Da ist kein Prozess, den man »aufnehmen« oder »abbilden« könnte.

Der kleinste gemeinsame Nenner

Sobald die Beteiligten Teams auf ihre Zusammenarbeit schauen, entstehen verschiedene Prozess-Konstrukte. Im Laufe der Diskussion schält sich ein gemeinsames Bild über die Zusammenarbeit heraus. Dabei werden bereits einige Aspekte verändert. Unnötige [34]Listen werden weggelassen, Informationen werden weitergeleitet, von denen vorher das eine Team nicht wusste, dass das andere sie braucht. Jemand erklärt die Bedeutung der verwendeten Kategorien im ERP-System und danach verwenden die Beteiligten sie einheitlich. Wann soll man in diesem kontinuierlichen Wachsen von einem Ist-Prozess sprechen?

Irgendwann ist man soweit, dass alle beteiligten Teams sich auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner eines Prozesses geeinigt haben. Den schreiben sie auf und sehen dieses Dokument als verbindlich an. Alle Mitarbeiterinnen werden informiert, wie sie ab sofort arbeiten sollen. »Das ist jetzt unser Ist-Prozess«, heißt es dann. Vorgesetzte sollen beobachten, ob sich die Mitarbeiter an die vereinbarten Vorgaben halten und Gespräche führen, wenn sie Abweichungen feststellen. Natürlich ist das kein Ist, sondern ein Soll. Die Begrifflichkeit von Ist und Soll ist einfach nur irreführend, ich werde sie hier nicht verwenden.

2.2Vom Wachsen des Prozesses

Ich schlage ein alternatives Konzept für das Arbeiten mit Prozessen vor: Wenn Prozesse nur Konstrukte sind, dann besteht ihr Wert darin, dass sich Beteiligte in einer Zusammenarbeit auf ein gemeinsames Konstrukt einigen. Dann können sie sinnvoll darüber sprechen, wie diese Zusammenarbeit in der Zukunft aussehen soll. Der Weg dahin geht über verschiedene Stadien, die in jedem Projekt mehr oder weniger deutlich ausgeprägt sind.

Prozesse bedeuten Veränderung

Prozesse in Organisationen zu thematisieren macht dann Sinn, wenn es eine Notwendigkeit gibt, die Muster der Zusammenarbeit für die Zukunft zu verändern. Solange es keinen Veränderungsbedarf gibt, macht das Arbeiten mit Prozessen keinen Sinn. Die Leute in Organisationen verstehen diesen Zusammenhang meist intuitiv. Wenn ein Prozessmanager auftaucht und ausgibt, er wolle »nur die Ist-Prozesse aufnehmen«, dann riechen die Leute schon, dass es bei einer »Ist-Aufnahme« nicht bleiben wird. Prozess – das heißt im Klartext: Es gibt Veränderung. Darum lassen Sie auch die Nebelkerzen von »Ist-Aufnahme« beiseite und sprechen Sie die Veränderungsbedarfe an. Wie Sie das teamorientiert tun, dazu später mehr.

Unterschiedliche Sichten wahrnehmen

Die erste Stufe eines entstehenden Prozesses ist das gemeinsame Schauen auf die Muster der Zusammenarbeit. Wer macht was, wer braucht was von wem? Was soll am Ende herauskommen? Was ist dazu notwendig? Wie funktioniert unsere Zusammenarbeit? [35]Wenn sich am Ende des Tages Vertreterinnen aus verschiedenen Teams darüber einig sind, dass sie kein gemeinsames Bild haben, weil jede den Prozess anders sieht, dann ist das gut. Versuchen Sie nicht, auf Teufel-komm-raus ein verbindliches (und auch noch nach allen Regeln der Modellierung korrektes) Modell eines Prozesses zu erstellen. »We agree to disagree« ist ein gutes erstes Ergebnis.

Uneinheitliche Praxis benennen

Häufig wird in Prozessmanagement-Projekten versucht, schnell einen »freigegebenen« Prozess zu erreichen. Vergessen Sie es. Wenn Sie über das erste Stadium (»We agree to disagree«) hinauskommen, dann stellen die Prozessbeteiligten oft fest, dass es in der Praxis Unterschiede gibt, die vorher nicht klar waren. Mitarbeiter verwenden unterschiedliche Vorlagen für Schreiben, erledigen Dinge in unterschiedlicher Reihenfolge, Teams in verschiedenen Niederlassungen verwenden ganz unterschiedliche Abläufe und so weiter. Dieses Stadium ist eine Stufe näher am Prozess als das erste: Es gibt ein gemeinsames Bild über die Unterschiedlichkeit der Praxis. Ein echter Erfolg!

Jetzt haben Sie auch ein erstes gemeinsames Bild, das Sie vielleicht in einem Prozessmodell niederschreiben können. Darin kommt zum Ausdruck, welche Schritte Stand heute bereits einheitlich sind, wo es einheitliche Meilensteine wie Auftragsdokumente, Lieferungen oder Rechnungen gibt und wo die Einzelnen oder die Teams unterschiedlich arbeiten. Wenn Sie unbedingt den Begriff »Ist-Prozess« nutzen wollen – hier wäre er am ehesten angebracht.

Anpassungsbedarf wahrnehmen

Die uneinheitliche Praxis bewusst zur Kenntnis zu nehmen verhindert den häufigsten Fehler im sogenannten Change Management: Dass Sie Vereinheitlichungen annehmen, die es in Wirklichkeit nicht gibt. Jede noch so offensichtliche Standardisierung der Praxis in einer Zusammenarbeit ist eine Veränderung. Veränderungen passieren dabei nicht auf Knopfdruck und nicht auf Anweisung. Ich werde später auf das Thema Change Management eingehen, hier nur so viel: Nehmen Sie keine Veränderung für »geschenkt«. Schon öfter habe ich in Projekten von Vorgesetzten gehört, dass Dinge »ab sofort« vereinheitlicht würden und ich deshalb den »Ist-Prozess« so modellieren sollte. Immer habe ich nachher gesehen, dass der modellierte Prozess Makulatur wurde.

Gibt es überhaupt den Bedarf, an der beobachteten Praxis etwas zu verändern? Die Wahrscheinlichkeit ist recht hoch, denn ohne dass es eine Unzufriedenheit mit der Zusammenarbeit gegeben hätte, würde sich ja niemand die Mühe machen, sie überhaupt zu diskutieren. Dennoch ist die Frage nach dem Anpassungsbedarf notwendig. Organisationen sind per se stur. Sie haben – wie alle sozialen Systeme – die Eigenart, bestehende Muster der Kommunikation weitgehend stabil fortzusetzen. Werden sie dabei [36]gestört, versuchen sie nach etwas »Ruckeln« zurück in den alten eingeschwungenen Zustand zu kommen – oder eben möglichst nahe daran.

Damit sich etwas bewegt, muss das System eine solche Störung oder einen Anpassungsbedarf selbst wahrnehmen. Wahrnehmen bedeutet, dass in der Organisation über diesen Bedarf gesprochen wird. Eine Hochglanz-PowerPoint-Präsentation vom Vorstand oder von einem Beratungshaus ist nicht in der Organisation gesprochen, sondern von außen vorgesetzt. Ich stelle später ein Workshopkonzept vor, wie Sie dieses Wahrnehmen von Anpassungsbedarf unterstützen können.

Gemeinsam Veränderung verabreden

Standardisierung ist Veränderung. Wenn ein Prozessteam verabredet, Arbeitsabläufe zu vereinheitlichen, dann ist das eine Veränderung zum Status quo – denn da war ja eine gewisse Uneinheitlichkeit gegeben. Wenn wir das gemeinsame Bild der bisherigen Praxis erstellt haben, können wir in einem neuen Bild aufzeigen, welche Teile des Prozesses wir in der Zukunft gemeinsam gleich machen wollen.

Ein dokumentiertes gemeinsames Bild des Prozesses hilft, den Unterschied zwischen der aktuell gelebten Praxis (einheitlich oder uneinheitlich) und einem vereinbarten zukünftigen Ablauf klar zu kommunizieren. Dabei wird auch deutlich, welche Voraussetzungen zunächst erfüllt sein müssen, damit dieser neue Ablauf auch überall funktionieren kann. So können Sie vereinbaren, bis wann wer welche Voraussetzungen schafft und wann Sie einen neuen Zustand des Prozesses gemeinsam als verbindlich anerkennen.

Außerdem ist es vortrefflich, über dieses neue Bild der Zukunft zu streiten. Seien Sie skeptisch, wenn jemand (oder gar Sie selbst) eine Veränderung des Prozesses vorschlägt und alle sofort zustimmen. Da lauert Gefahr. Oft haben nicht alle die Veränderung im Ablauf wirklich verstanden und haben insgeheim ein anderes Bild vor Augen. Auch kommt es immer wieder vor, dass Menschen in dieser Phase zwar anderer Meinung sind, aber keine starken Argumente zur Hand haben. Dann warten sie auf eine bessere Gelegenheit, die Veränderung noch zu »kippen«. Gerade darum ist Streit in dieser Phase sehr hilfreich: Wenn noch etwas offen ist, kann es hier am besten besprochen werden. Drehen Sie hier also lieber noch eine Schleife, um sicherzustellen, dass alle dabei sind.

Ein vereinbarter und dokumentierter zukünftiger Prozess ist die Grundlage für die Projektarbeit an den notwendigen Voraussetzungen (auch wenn er im Laufe des Projekts noch mehrfach verändert wird.) Wir kommen darauf wieder zurück, wenn wir über die Umsetzung digitaler Geschäftsprozesse sprechen.

[37]2.3Etablierte Vorgehensmodelle

Es gibt in der Prozessmanagement-Literatur einige bekannte und bewährte Vorgehensmodelle für Prozessmanagement-Projekte. Ich möchte Sie nicht unnötig verwirren, indem ich zu dieser Sammlung noch ein weiteres »wirklich richtiges« Modell hinzufüge. Vielmehr möchte ich versuchen, das hier vorgestellte Verständnis vom Wachsen des Prozesses mit den etablierten Vorgehensmodellen soweit in Einklang zu bringen, dass Sie damit auch in einem vorgegebenen Projektsetting arbeiten können.

BPM Lifecycle

Alle mir bekannten Vorgehensmodelle für Prozessmanagement nutzen das Bild eines Kreises, um zu veranschaulichen, dass sich die Anstrengungen kontinuierlich wiederholen. Einer der berühmten Kreismodelle ist der PDCA-Zyklus, von William Edwards Deming aus den 1940er-Jahren, wobei das Kürzel für »Plan-Do-Check-Act« steht. Fast ebenso bekannt ist der DMAIC-Zyklus aus der Qualitätsmanagementschule Six Sigma. Hier heißen die Schritte »Define-Measure-Analyze-Improve-Control.« Beide Konzepte gehen davon aus, dass sich Verbesserung in der Organisation von Zusammenarbeit vor allem auf statistische Auswertung von Beobachtungen stützt.

Process Identification

In Bezug auf digitale Geschäftsprozesse hat sich ein sechsschrittiges Zyklusmodell durchgesetzt, das als BPM Lifecycle in der Literatur beschrieben wird. Dieser Zyklus liegt auch dem Standardwerk »Fundamentals of Business Process Management« von Marlon Dumas und Kollegen zugrunde (vgl. Dumas et al. 2013), wo Sie das Modell sehr gut nachlesen können. Hier startet die Reise zum digitalen Prozess mit der Process Identification, wo man die Prozesse benennt, die man verbessern will und die im Zusammenhang von Bedeutung sind. Als Ergebnis dieses Schrittes steht eine Prozess-Architektur. Hier sind die für das Projekt relevanten Projekte und ihre Beziehungen untereinander dargestellt.

Process Discovery

Nach dieser initialen Identifikation startet der Zyklus mit der Process Discovery. Das Bild der Entdeckung spielt darauf an, dass die Strukturen des Prozesses unter viel Alltag, Varianten, Uneinheitlichkeit und Material verschüttet sind und mit dieser Arbeit »freigelegt« werden. Da ich von Haus aus Historiker bin, gefällt mir dieses Bild eines »Prozess-Archäologen«. Am Ende dieser Phase soll ein As-is-Prozessmodell stehen. Der Ist-Prozess also! Wie schon dargestellt, bin ich mit diesem Begriff nicht einverstanden. Die Vorstellung, dass man nach dieser »Entdeckerreise« ins Innere des Teams ein gemeinsames Bild des Prozesses erarbeitet hat, gefällt mir eher.

[38]Process Analysis

Wenn der nächste Schritt – Process Analysis