Tala und der verschollene Weise 1 - Maria Hermann - E-Book

Tala und der verschollene Weise 1 E-Book

Maria Hermann

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Beschreibung

Eine dunkle Bedrohung, viele Welten - und das Geheimnis eines Mädchens, das über das Schicksal aller entscheiden wird! Wir schreiben den 1800. Beginn der Goldenen Zeit, zur 3. Sternengeneration in der Welt der vielen Himmel: Wieder wird Tala von ihrem Feind aufgespürt. Sie flieht aus Moas behaglicher Zwischenwelt nach Sphäria - in eine Welt voller Wunder, Rätsel und Gefahren. Auf den mächtigen Aststraßen der verbotenen Hohen Wälder trifft sie auf den ausgestoßenen Waldkrieger Arun, und gemeinsam folgen sie der Spur um ein sagenumwobenes Amulett. Doch kann Tala Arun wirklich trauen? Und wird sie ihre Freunde aus der Eiswelt wiederfinden? Der erste Teil des 2. Bandes der fantastischen Vielwelten-Trilogie!

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Bereits erschienene Bücher der Vielwelten- Trilogie:

Band I: Tala und die vergessenen Tore

Band II: Tala und der verschollene Weise Teil 1

Wegen des großen Textumfangs erscheint Band II in zwei Teilbänden. Der 2. Teil von „Tala und der verschollene Weise“ erscheint im November 2022. Weitere Fortsetzungen werden auf www.vielwelten.de bekannt gegeben.

Inhaltsverzeichnis

Arun

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Gryf

Namens- und Personenregister

Wortregister

Arun

Angst trieb ihn vorwärts. Immer schneller rannte er über die mächtigen Äste der Baumstraßen von Angal Fén. Dieser Teil der Hohen Wälder war ihm vertraut. Als Kind war er oft wie eine Baumechse um die dicken Äste gelaufen, hatte sich kopfüber von deren Unterseite baumeln lassen und war die großen Stammwände emporgeklettert − bis in die hohen Wipfel der mächtigen Riesen.

Doch heute war alles anders …

Aruns Füße bewegten sich wie von selbst und berührten kaum die Rinde der schwebenden Baumstraße. Auch die tiefen Abgründe zwischen den gigantischen Baumriesen konnten den jungen Sermiramis nicht aufhalten. Kam er an eine Kluft, drehte sich sein sehniger Körper geschmeidig zur Seite und er flog mit einem kräftigen Sprung über das Hindernis hinweg. Die Wucht der Landung ließ Arun jedes Mal tief in die Knie gehen, doch sobald er sich auf der glatten Rinde eines tiefer gelegenen Astes wieder aufgerichtet hatte, rannten seine braunen, nackten Füße unbeirrt weiter.

Gedanken schwirrten in seinem Kopf wie lästige Insekten. Auf seiner Reise vom Lande Phanes zurück in die Hohen Wälder der Solodeen hatte ihn eine erschreckende Botschaft erreicht: Seine Mutter war schwer krank. Sie sei vergiftet worden, so hatte ihm der Harzhändler aus Fessart versichert. Nervös biss Arun die Zähne zusammen. Niemand webte den Schutz vor den giftbringenden Schatten so außergewöhnlich gut wie seine Mutter. Riss der Schutz ein, war man verloren.

Die goldenen Sternenstrahlen, die wie Lichtpfeile die Wipfel der Hohen Wälder durchdrangen, kündigten den Wechsel der Zeiten an und spiegelten sich auf Aruns hellbraun schimmernder Haut. Die mächtigen Baumstämme der Stillen Wälder standen stumm in grünblauem Zwielicht, wie versunkene Säulen am Grunde eines tiefen Ozeans. Dichte, feuchtwarme Luft benetzte das Moos auf den breiten Aststraßen und verfing sich in Aruns dunkelbraunem, zu einem langen Zopf geflochtenen Haar. Der geschwungene Jagdbogen und der Köcher mit den bunten Federpfeilen schlugen im Takt seiner Schritte gegen seinen nackten Rücken. Schon bald würde sich das Wipfeltal der Kokonstadt vor ihm öffnen, seiner alten Heimat, der er den Rücken gekehrt hatte, als er fast noch ein Kind gewesen war. Flüchtig tauchten die zornesroten Augen seines Vaters gleich Irrlichtern in seiner Erinnerung auf. Ein Stich durchdrang Aruns Brust und er versuchte, das Bild aus seinem Kopf zu verscheuchen, wie eine hartnäckige Fliege, die er doch nicht loswurde.

Jetzt erreichte er die Ausläufer der Baumstraßen des Fén. Das Blätterdickicht lichtete sich und gab den Blick auf das weite Tal frei, in welchem an den Ästen der Bäume die Kokonhäuser in seidigem Weiß schimmerten. Manche der Behausungen sahen aus wie leuchtende Tautropfen, andere wie schwebende Spiralmuscheln. Die unzähligen glitzernden Sternenlampions, die die Stadt erhellten, spiegelten sich in Aruns hellgrün-goldenen Augen wider, als er seinen Blick über das Wipfeltal schweifen ließ.

Zarte Seidenkokons schmiegten sich an Terrassen, die die Formen von Blättern nachzeichneten, und zwischen ihnen schlängelten sich endlose Wendeltreppen an den Stämmen der Bäume entlang. Kokonstadt war eine der anmutigsten Städte der Hohen Wälder und die Anmut war, nach dem Edelmut, eine der wichtigsten Tugenden der Sermiramis.

Arun griff nach einer der freihängenden Kletterpflanzen und schwang sich mit deren Hilfe von einer Ranke zur nächsten die Ausläufer des Tales entlang, bis er an einer Terrasse auf der mittleren Ebene der Stadt angelangt war. Ohne anzuhalten hastete er die große Wendeltreppe hinauf zu den Hohen Häusern der Wächter. Die feuchte Luft kündigte bereits den Regenschlaf an und so begegnete ihm kaum jemand auf seinem Weg in die Krone der Stadt.

Mit einem letzten kraftvollen Sprung erreichte Arun einen Platz, dessen gewölbter Boden an die Formen von vom Wind aufgewirbelten Blättern erinnerte.

Im selben Moment trat einer der ehrwürdigen Wächter aus dem Kokonhaus, welches sich in der Mitte des Platzes wie eine Muschel spiralförmig gen Himmel erhob. Es war Hundendral, der auf der Stirn den hellen Kristall trug, der ihn als den Führer der Wächter auszeichnete. Das Haar hatte er straff nach oben gebunden und sein seidenes Gewand wehte hinter ihm her, als er mit erhobenem Kinn und ernster Miene auf Arun zuschritt. Die Haut des Wächters war glatt und für die Haut eines Sermiramis ungewöhnlich hell. Scharf traten die Knochen an Kinn und Wangen heraus, was seinem Gesicht etwas Herrisches verlieh.

„Du bist hier nicht erwünscht, Arun Neventél!“

Arun zuckte zusammen, obwohl er diese demütigende Anrede bereits einige Male hatte ertragen müssen. Er straffte die Schultern und antwortete kühl, die höflichen Begrüßungsformen der Sermiramis willentlich außer Acht lassend: „Ich muss zu meiner Mutter! Wie geht es ihr?“

„Es geht ihr nicht gut und deine Anwesenheit wird das Übrige dazu tun. Njendal hat deinetwegen schon zu viel gelitten. Du hast hier nichts zu suchen. Kehr‘ zurück zu deinen geächteten Freunden, mit denen du deinen niederen Geschäften nachgehst!“ Hundendrals scharfkantiges Gesicht zeigte keinerlei Regung, doch in seiner Stimme schwang tiefer Hass. Arun presste die Lippen zusammen und schüttelte so bestimmt den Kopf, dass sein langer Zopf über die vom langen Lauf zitternden Muskeln seines Oberkörpers schwang.

„Sie ist meine Mutter!“, stieß er flehend hervor. Aber Hundendrals Augen blieben hart.

„Lass‘ mich zu ihr!“ Laut schallte Aruns Stimme durch das stille Tal, als er sich mit ganzer Kraft gegen den großen Mann warf. Dieser war stärker, als der jugendliche Waldkrieger geglaubt hatte, und stieß ihn so grob zurück, dass Arun unter der Wucht des Stoßes zurückstrauchelte, bis sein linker Fuß über den Rand der Ebene rutschte. Schwindel erfasste ihn und sein Magen krampfte sich zusammen. Im letzten Moment fing er sich und warf sich nach vorne.

In einer sich aufbäumenden Hilflosigkeit fasste er nach hinten und zog einen Pfeil aus dem Köcher. Auf das, was er jetzt tat, stand die Todesstrafe − und doch spannte sich sein Bogen in entschlossener Anmut.

„Ich MUSS zu meiner Mutter und du wirst mich nicht aufhalten!“, stieß er hervor, die Bogensehne und die bunten Federn seines Pfeiles an den Mundwinkel gepresst.

Im selben Augenblick strich ein feiner Lufthauch über seine Wange und im Eingang des Hohen Hauses erschien Seranja, eine der alten Wächterinnen, die Arun als Kind oft bei der Hand genommen und ihm mit flüsternder Stimme von den Geheimnissen des Waldes erzählt hatte. Wenn Seranja lachte, dann glaubte man, den heiseren Schrei eines Feuervogels zu hören, vermengt mit dem hellen Plätschern sanft fallender Regentropfen.

Langsam, als würde sie den Boden mit jedem Schritt ganz in sich aufnehmen, ging die alte Wächterin auf Arun zu, legte eine Hand auf seinen Bogen und die andere auf seinen Arm.

„Komm‘, Arun“, sagte sie mit sanfter Stimme. „Deine Mutter erwartet dich. Sie hat bereits nach dir gefragt.“

Hundendral sah Seranja scharf an, wagte aber nicht, ihr zu widersprechen. Langsam ließ Arun den Bogen sinken, warf seinem Widersacher einen letzten, bitteren Blick zu und rannte dann an den beiden vorbei in das Haus der Wächter.

Er lief durch die gewundenen Gänge in den hinteren Teil des Spiralhauses, wo die Kranken untergebracht wurden, und als er in den weißgetünchten, tropfenförmigen Raum mit den seidenen Vorhängen trat, fand er seine Mutter schlafend und mit zusammengefalteten Händen. Unruhig flackerten Njendals Lider und ihre hohe Stirn war von Schweiß bedeckt.

Der ausgestoßene Sermiramis sank neben dem Krankenbett auf den Boden und ließ den Kopf auf die Hände seiner Mutter sinken.

„Verzeih‘ mir, Mutter. Verzeih‘ mir.“

Hinter ihm betrat Seranja den Raum. Ihr silbernes Haar war mit goldenen Blättern aus gehärtetem Harz zusammengesteckt und ihre bernsteinfarbenen Augen musterten sorgenvoll die Kranke.

„Hohes Fieber peinigt ihren Körper. Sie hat alle Symptome der Vergiftung.“

Ungläubig hob Arun den Kopf. „Wie kann das sein? Wie kann eine Wächterin wie Njendal vergiftet werden? Sie beherrscht den Schutzzauber wie keine andere!“

„Glaub‘ mir, Arun, das frage ich mich mit jedem Atemzug. Aber Hundendral ist sich vollkommen sicher. Er hat schon viele Vergiftungen gesehen …“

„Hundendral!“ Arun spuckte den Namen aus wie eine verdorbene Frucht − was nochmals ein grober Verstoß gegen die Gebräuche seines Volkes war. Doch Seranja nahm es gelassen.

„Lange habe ich über die Krankheit deiner Mutter geschwiegen und Rat bei den Sternen gesucht, aber ich komme zu keiner anderen Erklärung.“ Die Wächterin wirkte entmutigt und ihr sanftes Gesicht war voller Trauer.

In diesem Augenblick öffnete Njendal mit zitternden Lidern die Augen; ihr Kopf rollte zur Seite und sie erblickte ihren Sohn.

„Arun!“ Großes Erstaunen durchdrang ihre brüchige Stimme, gleichzeitig kehrte etwas Leben in sie zurück.

Arun ergriff ihre feingliedrigen Hände. „Ich bin hier, Mutter! Ich bin bei dir!“

Njendal lächelte mit trockenen Lippen. Einst war sie eine der schönsten Frauen von Kokonstadt gewesen; jetzt war ein Schatten auf sie gefallen und dunkle Ränder umgaben ihre mattleuchtenden blauen Augen. Sie entzog ihrem Sohn eine Hand und strich ihm sanft über Stirn und Wangen. Arun kämpfte gegen die Tränen an, die sich unerbittlich in seinen Augen sammelten.

„Mein Junge, es tut mir leid. So unsagbar leid.“

Entschieden schüttelte Arun den Kopf. „Nicht doch Mutter, mir tut es leid. Es ist alles meine Schuld. Hätte ich damals nicht …“ Njendal legte ihm einen Finger auf die Lippen.

„Nein, du gehst deinen Weg. Ich habe zu spät erkannt, dass das richtig ist. Ich bin sehr stolz auf dich.“ Nur mit Mühe hielt Arun seine Tränen zurück, die sich mit festem Druck einen Weg nach draußen erkämpfen wollten.

„Und Vater? Wo ist er? Warum ist er nicht bei dir?“

Erschöpft drehte Njendal ihren Kopf zur anderen Seite und erwiderte schwach: „Es gibt wieder Unruhen zwischen den Menschen aus Ta Nétjer und unserem Volk. Die Mimir sind auf der Seite der Menschen, weil sie ihren Reichtum schützen wollen, aber …“ Njendal schien es große Anstrengung zu kosten, über diese Dinge zu sprechen. „Er ist bereits auf dem Weg hierher.“

Betroffen sah Arun zu Boden. Das letzte Mal, als er seinen Vater gesehen hatte, hatte dieser ihn töten wollen. Was geschehen würde, wenn er ihn hier antraf, konnte Arun nur ahnen.

Seranja nickte Arun zu, warf einen letzten besorgten Blick auf Njendal und verließ den Raum.

Kaum waren sie allein, drückte seine Mutter seine Hand fester: „Arun, du kannst nicht hierbleiben!“

Ein unangenehmes Stechen breitete sich in Aruns Kehle aus. „Ich weiß, aber ich werde dich nicht alleine lassen!“

„Das musst du aber, mein Junge, weil ich dich darum bitte. Es ist nicht wegen der Sermiramis oder deinem Vater. Ich habe einen wichtigen Auftrag für dich!“ Njendal zog eine kleine, zierliche Glasflasche in der Form eines Wassertropfens unter ihrem Hemd hervor. Ihre matten Augen wurden groß und sie flüsterte jetzt.

„Bevor ich krank wurde, habe ich etwas gesehen. Ich sah etwas tief Verstörendes. Das Bild war so stark, dass es Lücken in meinen Schutz riss, ohne dass ich es bemerkte.“

Erneut fühlte Arun das Stechen in seiner Kehle und hinter den Augen. Wenn das stimmte, war alles verloren: Vergiftungen konnten nicht geheilt werden. „Bist du dir sicher, Mutter?“

„Ich kann mir meine Krankheit nicht anders erklären, aber das ist jetzt nicht wichtig! Wichtig ist, dass du dieses Fläschchen zu Merlon in die schimmernde Stadt bringst! Ich habe in meiner Vision etwas wiedererkannt, das ich damals während meiner Lehre bei ihm in einem alten Buch gesehen habe.“ Njendal sah ihrem Sohn fest in die Augen. „Sage mir, was weißt du von Nurendai und dem Ende aller Zeiten?“

Arun schluckte schwer. Seit er in seiner Kindheit von dem Helden Nurendai und den vergessenen Toren gehört hatte, war er nicht mehr von der Idee losgekommen, diese Tore zu finden. Auf ganz Sphäria hatte Arun den Geschichten gelauscht, die von Nurendai und den Vielwelten erzählten. Und doch waren es im Grunde nur Kindergeschichten − zu phantastisch, um wahr zu sein. Deshalb antwortete er seiner Mutter zögernd: „Du sprichst von der uralten Legende, dass das Gleichgewicht der Welten erneut gestört und Sphäria untergehen wird?“ Njendal drückte seine Hand so fest, dass es schmerzte.

„Vielleicht hängt die Zukunft von ganz Sphäria davon ab, dass du sicher zu Merlon gelangst!“ Arun blinzelte. Er war sich nicht sicher, ob es der Wahn der Krankheit war, der aus seiner Mutter sprach. „Hier traue ich niemandem mehr“, fuhr Njendal eindringlich fort. „Hundendral ist blind für alles, was seinem guten Ruf schaden könnte, und er ist nicht der Einzige.“ Die Wächterin drückte ihrem Sohn die tränenförmige Flasche mit dem silbernen Verschluss in die Hand und sank erschöpft zurück.

„Was auch immer Merlon dir sagt, Arun: Folge seinem Rat.“

Fest schlossen sich Aruns Finger um das kleine Gefäß. Es fühlte sich merkwürdig kalt an.

„Du kannst dich auf mich verlassen, Mutter“, antwortete er leise und mit schwerer Zunge.

Traurig lächelte Njendal ihren Sohn an. „Ich weiß. Du musst jetzt gehen. Es ist Zeit, Abschied zu nehmen.“

Mit zitternden Lippen beugte Arun sich vor und küsste seine Mutter auf die Stirn. Die Tränen liefen ihm lautlos über die Wangen.

„Ich bin immer bei dir, hörst du? Ich werde dich nie verlassen! Auch wenn mein Körper zu den Sternen fliegt.“ Mit gläsernem Blick blickte Njendal Arun an, als wolle sie sich ihn genau einprägen. „Jetzt eile dich!“, wisperte sie. „Geh‘! Ich sende meinen Schutz mit dir.“

Arun schloss die Augen und drückte die Hände seiner Mutter ein letztes Mal fest an seine Lippen, dann stand er schnell auf. Er verbeugte sich förmlich, wie alle Sermiramis es tun, wenn sie sich von ihren Eltern verabschieden, drehte sich mit einem Ruck um und verließ mit festen Schritten den Raum.

An seine Brust gepresst hielt er das gläserne Fläschchen mit der Erinnerung seiner Mutter. Er wusste, dass er sie soeben das letzte Mal lebend gesehen hatte.

1

Der perfekt geformte Tunnelgang wölbt sich weit über Rex Medardus‘ Kopf. Glatt polierte Wände ohne jeden Riss oder Spalt, ohne eine einzige Unebenheit, umgeben den Obersten des Auges in eigentümlicher Dunkelheit. Einer Dunkelheit, in deren Tiefen man sich verliert, wenn man zu lange in sie hineinsieht.

Schon oft ist Medardus diesen Weg gegangen, der ihn zum Allerhöchsten führt, dem Einzigen, dem er Rechenschaft schuldig ist. Für gewöhnlich hat er es vermieden, den Blick seiner verschiedenfarbenen Augen auf die Wände des Tunnels zu richten, aber jetzt verspürt er den Wunsch, stehenzubleiben, zu verweilen und sich fallen zu lassen in das kalte Nichts des schwarzen Gesteins. Alles, nur nicht weitergehen und dem Schrecklichen gegenüberstehen, den er fürchtet, verehrt und gleichzeitig − hasst.

Doch er geht weiter. Kein Lufthauch bläht seinen roten Mantel und seine Schritte verursachen keinen Laut; denn der Stein schluckt alles, was die Sinne berühren kann.

Jetzt nähert er sich dem großen Gewölbe, dem schwarzen Saal, in welchen der Gang ohne Tür oder Tor mündet. Gähnend wie das Maul eines riesigen Tieres klafft die Öffnung am Ende seines Weges. Medardus weiß, dass er an dieser Stelle die wirkliche Welt, aus der er kommt, verlässt. Zeit und Raum folgen in jenem Realitätsspalt, der Bürde seines Herrn, anderen Gesetzen. Oftmals vergeht eine ganze Ewigkeit, bis Medardus in dem weiten Saal steht; dann wieder hat er das Gefühl, auf der Stelle zu treten, wie in einem bedrückenden Albtraum.

Dieses Mal fliegt die Öffnung auf ihn zu und im nächsten Moment findet er sich atemlos inmitten des schwarzen Saales wieder.

Hoch über ihm spannt sich die dunkle Decke auf und die Seitenwände der riesigen Gruft fließen wie rußiger Rauch vom schwarzen Himmel herab.

Sein Herr ist mächtig. Keiner kann sagen, was oder wer er wirklich ist, doch hat er die Bruderschaft der Wissenden vor Jahrtausenden gegründet. Der Allerhöchste stirbt nicht, er lebt ewig und er sieht und hört auf geheimnisvolle Weise alles, was im Kreis der Bruderschaft vor sich geht.

Eine Gänsehaut zieht sich den runden Rücken des Rex hinauf, als er sich umsieht. Kein Laut ist zu hören, nur ein seltsames, unangenehmes Brummen − ein dunkler, heiserer Ton aus den Tiefen des Steins.

Plötzlich steht jemand direkt hinter ihm und die Gänsehaut auf Medardus‘ Rücken verwandelt sich in einen eisigen Kälteschauer, als ein körperloses Flüstern an sein Ohr dringt.

„Du bist da. Medardus.“

„Ja, mein Herr und Meister, wie Ihr befohlen habt.“ Der Oberste will sich umdrehen, aber seine Füße sind am Boden festgewachsen, während sein Atem nur noch gepresst in seine Lungen hinein- und aus ihnen herausstößt.

„Ich möchte mich nicht lange mit dir aufhalten. Es liegt mir nichts daran, dich zu quälen. Die Zeit eilt. Es ist wichtig, dass jetzt alles schnell geht: Ein schneller Schnitt − ein leiser Schrei.“

Das Blut rauscht in Medardus‘ Ohren. Er spürt die nebelhafte und dennoch verstörend massive Gestalt seines Herrn in seinem Rücken und die Anwesenheit des Schrecklichen legt sich wie eine Klammer um seine Brust.

„Ich verstehe nicht, mein Herr und Meister. Was muss schnell gehen? Wen soll ich eliminieren?“ Seine Worte verhallen, als hätte der Stein unter seinen Füßen sie verschluckt.

„Ich werde frei sein!“ Die flüsternde Stimme schwillt zu einem Beben an und die Melodie der Worte geht in einem Dröhnen unter. „Nicht mehr gefangen in diesem Saal, in dieser unwirtlichen Gruft, mich nutzloser Handlanger bedienend. Ich werde frei sein und meinen Samen wieder selbst säen können in den vielen Welten unter den Sonnen.“

Medardus versucht zu schlucken, aber seine Kehle ist wie ausgetrocknet.

„Wie kann ich Euch behilflich sein, Allerhöchster Meister?“

„Überbringe diese Botschaft an Cyrill Aragaz: Er soll das Amt des Obersten übernehmen und die Weltenuhr zu mir bringen. Sag‘ ihm, er soll die Cruor nach dem Mädchen aussenden, welches du hast entkommen lassen. Sag‘ ihm das, Medardus, mein treuer Diener. Wirst du das tun?“ Beinahe sanft verklingt die Stimme des Allerhöchsten in der flüsternden Schwärze.

Medardus steht da mit aufgerissenen Augen und die Eiseskälte breitet sich in seinem ganzen Körper aus. Widerstand regt sich in ihm, gleich einer aufflackernden Flamme. Er, der Oberste der Bruderschaft, menschlicher Vertreter des Allerhöchsten, soll ersetzt werden durch Aragaz? Vor dem Tod aus diesem Amt enthoben zu werden bringt ewige Schande über eine Seele! Ist das der Dank? Der Dank für seine lebenslangen Mühen?

„Ich weiß, ich weiß“, klingt die Stimme jetzt beinahe zärtlich im Innern seines Kopfes. „Es ist schwer zu ertragen. Deshalb werde ich dich von deiner Schmach erlösen.“ Die Stimme scheint zu lächeln. „Geh‘ zur hellen Brücke über der Schlucht! Geh‘ bis zu ihrer Mitte und sag‘ deinen Männern, sie sollen sie dematerialisieren, sobald du über dem Abgrund stehst. Es wird ein langer Fall, und während du fällst, kannst du darüber nachdenken, was du alles falsch gemacht hast. Es wird ein reinigender Tod sein. Dunkel, das gebe ich zu, aber reinigend. Ich werde deine Seele im Auge behalten. Keine Angst.“

Angst! Das Wort hallt in Medardus‘ Kopf wie der Schwur, den er einst seinem Herrn geleistet hat. Er öffnet seinen Mund, um sich zu wehren, sich zu befreien − doch etwas hält ihn fest umklammert. Und mit einem Mal sieht er das Ergebnis seiner unumkehrbaren Entscheidungen klar und deutlich: Er hat diesen Eid geschworen, und wenn er sich nicht selbst tötet, dann wird ER es tun. Die unnachgiebigen Klauen lösen sich aus seinem Körper und sein Kopf sinkt ergeben auf seine Brust.

„Wie Ihr befehlt, mein Herr und Meister.“

Talas nackte Füße berührten kaum das Gras. In ihrem Blick lag eine funkelnde Freude und auf ihrem schmalen Gesicht zeigte sich keinerlei Anstrengung. Sie war ein Pfeil im Wind − klein, stark und stromlinienförmig.

Im nächsten Moment ging sie in die Knie und sprang aus der Hocke hoch in die Luft. Ihr Körper drehte sich im Wind, die Arme schossen im Einklang mit allen Luftteilchen, die sie umgaben, weit über ihren Kopf. Für einen kurzen Moment überließ sie sich ganz der Vorstellung, von weiten Schwingen mit langen Federn getragen zu sein, und genoss das Gefühl der Schwerelosigkeit, bevor ihr Körper die Wasseroberfläche des Sees durchbrach.

Mit geschlossenen Augen tauchte sie durch das kühle Nass und spürte die Anwesenheit von Fischen, Fröschen, Lurchen und kleineren Lebewesen, deren Bewusstsein sie nur am Rande streifte. Sie fühlte, wie sich ihr Körper in ihrer Vorstellung mit Schuppen bedeckte und ihr zwischen den Zehen und Händen Schwimmhäute wuchsen. Auf diese Weise tauchte Tala ganz und gar in ihr Wasserwesen ein, welches sie beim Schwimmen unterstützte und in das sie sich eingefühlt hatte, indem sie wochenlang Fischen und Fröschen nachgeschwommen war. Zwanzig Züge ohne aufzutauchen – fünfundzwanzig – dreißig: Die verbrauchte Luft in ihren Lungen drängte nach draußen, doch ihr Geist blieb ruhig. Sechsunddreißig Züge und sie spürte, wie sich der Grund des Sees ihr entgegenhob. Ohne die Augen zu öffnen, stemmte sie die Füße nach unten und drückte sich nach oben. Ihr Kopf durchstieß die Wasseroberfläche und ein tiefer Atemzug füllte ihre Lungen. Schuppen und Schwimmhäute perlten mit dem Wasser des Sees von ihr ab, als sie weiterrannte.

Der angrenzende Wald empfing sie mit einer angenehmen Kühle; die Vögel dort kannten und grüßten sie in Gedanken mit ihrem Namen.

Im nächsten Moment warf Tala die Arme in die Höhe, bekam einen Ast zu fassen und schwang sich aufwärts, weiter, immer weiter hinauf, bis in die Baumkrone. Nun war sie ein Eichhörnchen, schnell und behände. Oben angelangt umfloss sie der Wipfel des Baumes in sattem Grün. Ein paar tänzelnde Schritte über die dünnen Äste − und schon balancierte sie auf den Nachbarbaum. Die Zweige wippten unter ihrem Gewicht und sie genoss das Zusammenspiel ihrer Muskeln, die sich die Biegsamkeit der Äste und die Anziehungskraft der Erde zunutze machten.

Tala schwang sich von der großen Esche herab, dankte der alten Dame in Gedanken und war mit drei Sprüngen aus dem Wald heraus. Ihre Hände berührten nun steilen Fels und zielsicher suchte sie sich ihren Weg nach oben. Sie kannte jede Kante, jede Ritze dieser Felsansammlung und kletterte allein mit der Kraft ihrer Fingerkuppen und ihrer Beine nach oben. Jetzt war sie eine Berggämse: Kein Hang war ihr zu steil und kein Berg zu hoch. Noch während sie kletterte, sandte sie ihren Geist nach Apeiron aus. Der große Wolf hatte seine Übungseinheit bereits beendet und wartete am Wasserloch hinter den Felsen auf sie. Flink erklomm sie den letzten Vorsprung.

Die Felsnadel, auf der sie nun stand, war gerade einmal sechs auf vier Fuß breit. Gegen den Stein lehnte ihr langer Kampfstock aus dunklem, glattem Ebenholz. Gekonnt tippte sie mit dem Fuß gegen das Stabende und schon landete die elegante Waffe in ihrer Hand. Tala versenkte sich in den Leopard und die Schlange, wirbelte herum und stieß den Stock mit aller Kraft einem imaginären Angreifer ins linke Auge. Eine weitere Drehung, und der nächste Angreifer ging mit gebrochenem Knie zu Boden. Sie ließ den Stab jetzt über ihrem Kopf kreisen und drehte sich dabei um ihre eigene Achse.

Nachdem sie die Kampfsequenz beendet hatte, stieß sie sich mit dem Kampfstock ab. Wieder flog sie durch die Luft, unter ihr stob ein Wasserfall in die Tiefe und gemeinsam mit der herabfallenden Gischt tauchte sie in das Wasserloch am Fuße der Felsen. Prustend tauchte Tala auf und schwamm mit kräftigen Zügen ans Ufer, wo Apeiron im Gras saß und auf einem Stock herumkaute. Zufrieden zog sich Tala aus dem Wasser und rief lachend: „Du siehst aus wie ein Hofhund!“

Der schwarze Wolf hob eine Lefze und gab ein knurrendes Geräusch von sich. „Ich entsage seit fünf Tagen jeglicher Nahrung und bin am Verhungern! Da werde ich mich ja wenigstens ablenken dürfen.“

„Es ist die letzte große Prüfung für dich, da solltest du deinen Geist besser im Griff haben“, antwortete Tala und setzte eine tadelnde Miene auf.

„Ein Wolf ist zum Fressen geboren, unser Leben ist auf die Jagd ausgerichtet.“ Apeirons Stimme hatte einen wehleidigen Ton angenommen.

„Aber die Waheela sind mehr als gewöhnliche Wölfe! Sie stammen aus einem uralten Geschlecht, und sie kümmern sich um durchaus mehr als ihre nächste Mahlzeit.“

„Oh danke, Menschentochter! Danke, dass du mich daran erinnerst! Das hilft meinem knurrenden Magen reichlich wenig.“

Tala streckte ihre Glieder und sah Apeiron an. Seine goldgelben Augen funkelten so hell wie eine sternenklare Nacht.

„Du bist gewachsen, Menschentochter. Du siehst fast ausgewachsen aus und bist noch dünner als früher. Vielleicht solltest du ein bisschen mehr fressen, damit du was auf die Rippen bekommst.“ Tala verdrehte die Augen und zwickte ihren Freund in die Seite. Er knurrte spielerisch und warf sich gegen sie. Tala wurde von seinem Gewicht umgeworfen, rollte sich ab und stand einen Moment später wieder grinsend auf den Beinen. Knurrend kam Apeiron auf sie zu und Tala hob die Arme.

„Du willst wohl eine Tracht Prügel, Wolfsbruder.“ Sie wollte eben zum Sprung ansetzen und Apeiron einen schönen Schlag auf die Schnauze versetzen, als sie spürte, wie ihr die Glieder schwer wurden.

„Oh nein!“ Mit ganzer Kraft bemühte sie sich, die Lähmung gedanklich auf den Wolf zurückzuwerfen. Vergeblich! Es lag in der Natur der Riesenwölfe, ihre Beute mithilfe des Mamuh kampf- und fluchtunfähig zu machen. Auch Tala besaß diese Gabe, da sie das Wolfsmal trug, aber Apeiron setzte diese Kraft ein, seit er ein Welpe war.

„Das ist ungerecht! Hör‘ sofort auf damit!“

„Es ist auch nicht gerade heldenhaft, seinen Gegner auf die empfindliche Schnauze schlagen zu wollen!“, knurrte der Wolf.

„Du hast in meinen Gedanken gelesen!“ Tala schnaubte, doch dann bemerkte sie, wie die geistigen Fesseln schwächer wurden, und nun reichte ihre Kraft aus, um sich ganz zu befreien. Mit zwei Sätzen war sie neben ihrem Freund und zog sich an dessen langem schwarzem Fell nach oben auf seinen Rücken. Sie kniff ihn ins rechte Ohr und sagte: „Lass‘ uns zurückgehen.“

Schweigend lief Apeiron durch den Wald bis zu dem großen See und der Wiese, an deren Rand Moas Hütte stand. Ihr Lehrer war gerade im Garten und zupfte Kräuter von den Büschen. Die Sonne ließ sein weißes Haar glänzen wie Schnee. Er schaute auf, die Wangen von der Arbeit wie immer leicht gerötet. Das sanfte Lächeln in seinem runden Gesicht strahlte noch mehr, als er sie sah.

„Gut, dass ihr zurück seid. Wir müssen uns beeilen. Es wird Zeit.“ Seine äußerliche Ruhe stand in krassem Gegensatz zu der Dringlichkeit seiner Worte. Tala hob die Augenbrauen und baumelte unruhig mit ihren Füßen; Moa hatte sie noch nie zur Eile angetrieben.

„Wieso? Ist etwas passiert?“ Auch Apeiron trat nervös von einer Pfote auf die andere.

Moa rieb seine Hände an der Schürze ab, die er um seine Hüfte gebunden hatte, und sah die beiden Freunde ernst an. Die Sonnenstrahlen schienen von hinten durch sein Haar und ließen es leuchten wie einen strahlenden Lichterkranz.

„Etwas regt sich in den Netzen zwischen den Welten. Ich spüre etwas, das ich lange gefürchtet habe.“ Eine Wolke schob sich vor die Sonne und der Lichterkranz erlosch zu grauer Asche. „Es ist Zeit, eure Fragen zu beantworten, die ihr geduldig solange zurückgehalten habt, und ich muss euch vorbereiten auf das, was euch außerhalb dieser sicheren Welt erwartet.“ Moas Worte rollten wie eine Welle durch Talas Körper und sie spürte, dass sie trotz des warmen Sommertages zitterte. Düstere Bilder bahnten sich ihren Weg in ihr Bewusstsein. Erinnerungen an echte Kämpfe, Tod und Trauer. Sie sah hoch zum Himmel, wo sich die Sonne tapfer einen Weg zurück durch die Wolken freikämpfte.

„Ihr habt eure Sache sehr gut gemacht, in der ganzen langen Zeit bei mir“, fuhr Moa fort. „Heute Abend werden wir ein Feuer entzünden und es wird brennen, bis der Morgen anbricht. Wir werden reden, und ihr werdet alles erfahren, was ihr wissen müsst. Beruhigt euer Inneres und stärkt euch, denn die Nacht hat viel zu erzählen und ihr werdet eure ganze Aufmerksamkeit brauchen, um das, was ich zu sagen habe, zu verinnerlichen.“

Das Feuer loderte hoch in den Nachthimmel hinauf. Moa zerrieb Kräuter und warf sie in die Flammen, sodass sie prasselnd und zischend verbrannten und einen vielschichtigen Duft auf der Lichtung verbreiteten. Der alte Weise sang mit geschlossenen Augen eine sanfte, wohltuende Melodie und Tala und Apeiron saßen schweigend um das Feuer.

Schließlich hörte Moa auf zu singen und öffnete die Augen. Er lächelte die beiden an und tausend Lachfältchen umrandeten Mund und Augen und wetteiferten miteinander in der Herzlichkeit, die sie versprühten. Die wenigen Sterne dieser Welt blinzelten bereits zu ihnen herab und Tala sog tief die abendliche Luft ein.

Plötzlich trug ein eiskalter Wind etwas Dunkles über die Lichtung, als hätten sich die Wolken des Nachmittages auf die Erde gelegt, um den hellen Flammen des Feuers Einhalt zu gebieten. Moa sah sich besorgt um und ein Schatten huschte über sein Gesicht. „Ich habe euch die Antworten auf eure Fragen lange vorenthalten und euch auf eine andere Zeit vertröstet“, meinte er ernst, „deshalb will ich euch jetzt Rede und Antwort stehen. Die Zeit ist heute Nacht auf unserer Seite, dafür habe ich gesorgt.“

Einen Moment herrschte Stille, dann hob der Riesenwolf seinen Kopf.

„Wie lange waren wir bei dir?“, fragte Apeiron und schnupperte in die Luft, als versuche er aus ihr die Zeit zu lesen. „Die Bäume hier sind immer grün, der Himmel meist blau und klar, außerdem ist Tala gewachsen“, fuhr er fort. „Menschen werden schneller älter als die Waheela. Ich habe kein Gefühl für die Zeit, die wir hier verbracht haben.“

Es hatte Tala nie sonderlich gewundert, dass Moa die Wolfssprache verstand, denn das war nur eine weitere Zutat im Reigen der Wunderlichkeiten, die seine ganze Person umgaben. „Es ist so“, erläuterte Moa, „die Zeit besitzt keine feste Größe − sie verändert sich und verläuft in manchen Welten anders. Für euch sind, seit ihr hier angekommen seid, etwa zweieinhalb Erdenweltjahre vergangen.“

Tala bekam große Augen. Das hieß, dass sie mittlerweile etwa vierzehn Jahre alt war.

„Was hat es mit dieser Welt auf sich?“, fragte Tala neugierig und zeigte mit dem Arm über die Lichtung und zum Wald hinüber. „Ich habe versucht herauszufinden, was sich hinter dem Wald befindet. Aber egal wie sehr ich darauf geachtet habe, geradeaus zu laufen, ich bin immer wieder zu deiner Hütte zurückgekommen!“

„Diese Zwischenwelt wurde für meine Zwecke geschaffen und dient mir als Exil“, erklärte Moa.

„Wie meinst du das, sie wurde für deine Zwecke geschaffen?“

„Ich habe diese Welt erschaffen, als ich von meinem größten und stärksten Feind verfolgt wurde. Ich konnte ihn zwar mit einem Bann belegen, aber er hat mit Hilfe der Menschen ein mächtiges Netz gespannt, und so musste ich mich verstecken.“

„DU hast diese Welt erschaffen? Die Bäume, die Wiese, den Himmel UND die Sterne?“, rief Tala und starrte ihren Lehrer ungläubig an. Moa nickte einfach und Talas Mund klappte zu. Sie zitterte leicht, als sie ihn schließlich wieder öffnete: „Moa, wer bist du?“

Der weise Alte erwiderte ruhig ihren Blick.

„Ich bin der, der dich liebt.“

Unendlich viele Erinnerungen − ein Nachhall aus der Ewigkeit − funkelten in Moas Augen und Tala war es, als sehe sie ihn zum ersten Mal.

„Du bist sehr alt.“

„Älter als die Vielwelten, welche ineinander verschlungen sind wie die Herzen der Wesen, die in ihnen leben“, nickte Moa.

„Aber …“, erwiderte Tala verwirrt, „wenn du älter als die Vielwelten bist, wo warst du davor?“

Sachte legte ihr Meister ein weiteres Stück Holz auf das Feuer. „Ich war weder Hier noch Dort. Ich war Dazwischen. Zwischen dem Anfang und dem Ende, dem Alles und dem Nichts, dem Leben und dem Tod. Bevor es diese Dinge gab, gab es das Dazwischen. Es ist die Verbindung, die vor dem Anfang steht, und nicht der Punkt.“

„Und dein Feind?“, knurrte Apeiron mit belegter Stimme. „Ist er genauso alt und mächtig wie du?“

„Ja. Er ist wie ich, und doch ganz anders.“ Die Schatten des Waldes tanzten um sie herum und Tala fror zum ersten Mal, seit sie in Moas Zwischenwelt lebte.

„Ich möchte nicht zu viel über ihn sagen, denn der Bann löst sich und es wäre zu gefährlich. Er hütet seine Pläne mit dunklen Kräften und steht im Mittelpunkt des Geheimbundes, der die Erdenwelt beherrscht, und den ihr ‚das Auge‘ nennt. Mit Hilfe der Menschen hat er einen Weg zurück in die Vielwelten gefunden, und er ist kurz davor, seine Freiheit wiederzuerlangen. Und jetzt hat er auch noch die Weltenuhr, die ich vor ihm zu verbergen suchte, und ich fürchte, er kann damit das Gleichgewicht aller Welten stören. Das ist schon einmal passiert, doch konnte ich damals das Schlimmste verhindern.“ Düsternis umfing nun den Wald hinter ihnen und ein Vogel schrie so schrill und laut, dass Tala unwillkürlich zusammenzuckte.

„Moa, was habe ich mit all dem zu tun? Ich meine, ich bin ein Saivo und meine Seele gehört eigentlich dem Auge“, Tala schluckte schwer, „aber warum jagen sie mich? Was ist da in mir, was sie haben wollen? Conan, der Rabe, sagte, ich trage eine wichtige Erinnerung in mir.“

„Zunächst einmal: Niemand gehört irgendwem, Tala“, erwiderte Moa mit fester Stimme. „Jeder gehört allein sich selbst. Oder warum, glaubst du, hat das Auge dich als Säugling nicht aufspüren können? Du hast einen Schutz in dir, der mächtiger und älter ist als alle Schwüre, die du dem Auge jemals geleistet hast. Und was deine Erinnerungen betrifft: Es wird unter anderem deine Aufgabe sein, herauszufinden, welche von ihnen dir von Nutzen sein können … “

„Aber Moa!“, fiel Tala ihrem Lehrer lauter als beabsichtigt ins Wort, „wie soll ich helfen, das Auge zu bekämpfen, wenn ich selbst all diese schrecklichen Dinge getan habe?!“ Jetzt war sie heraus, die Frage, die sie am meisten fürchtete und auf die sie die Antwort eigentlich gar nicht hören wollte. „Immer wieder sind da so viele komische Gefühle in mir. Und ich kann die Geisteskraft nicht immer kontrollieren! Selbst hier mit deiner Hilfe habe ich sie oft nicht im Griff! Wie soll ich helfen, das zu besiegen, was ich jahrelang selbst gewesen bin!“

Moa verschränkte seine Hände und seufzte. „Ich verstehe dich, Tala, glaube mir, ich verstehe dich sehr gut. Die Zukunft kann niemand mit Sicherheit kennen, denn sie entfaltet sich in jedem Moment neu, mit jedem Gedanken, mit jeder Entscheidung. Die eigene Vergangenheit zu kennen ist hilfreich, aber nur, wenn man aus ihr lernt und sich nicht zu ihrem Sklaven macht.“ Er sah Tala eindringlich an. „Du hast gerade deshalb eine große Kraft in dir, weil du sowohl die helle als auch die dunkle Seite kennst! Vielleicht verstehst du jetzt noch nicht, wie wichtig das ist. Aber nur wer beide Seiten kennt, kann sie miteinander versöhnen und dem ewigen Kampf ein Ende setzen. Es ist sehr wichtig, dass ihr das versteht! Jede Seite des Daseins hat ihre Berechtigung. Wenn man eine Seite abtrennt, trennt man einen Teil von sich selbst ab! Diesen Fehler machen viele Lebensformen seit Anbeginn der Zeit und immer geschieht dies aus Angst − einer Angst, die sehr mächtig werden und ganze Welten in den Abgrund stürzen kann. Du wirst lernen, ‚Ja‘ zu dir selbst zu sagen, Tala, anstatt dir jedes Mal die Hände vor die Augen zu halten, wenn die Sonne deinen Schatten wirft.“ Eine sanfte Brise stob aus dem Wald und zerzauste liebevoll Talas dunkle Haare.

„In der Welt, in der sich die Schwarze Festung des Auges befindet, gibt es eine Bibliothek“, erklärte Moa weiter. „Die Bruderschaft nennt sie die ‚Bibliothek des unberührbaren Geheimwissens‘. Sie hat dort alles Wissen gesammelt, welches für den Erhalt ihrer Macht vonnöten ist. Das meiste davon haben sie gestohlen. Ich glaube, dass auch dir Wissen gestohlen wurde, Tala. Wenn du mehr über dich und deine Vergangenheit herausfinden willst, musst du dort hin.“ Moa seufzte erneut, ehe er fortfuhr: „In dieser Bibliothek gibt es auch einen verborgenen Ort, an den nur ER gelangen kann! Ich glaube, dass ER dort alle Erinnerungen aufbewahrt, die ihm gefährlich werden könnten!“ Moa legte sinnend einen Finger an die Lippen. „Ich hege den Verdacht, dass die geschützten Erinnerungen in deinem Geist dich dorthin führen könnten. Allerdings sieht es so aus, als ob deine eigenen Schutzwälle dich angreifen, sobald du versuchst, an diese Erinnerungen heranzukommen …, so wie es passiert ist, als du im Unterwasserboot von Themistoklis Chrisovalandis in die Dunkelheit gefallen bist.“

Tala schwirrte der Kopf. Sie sollte in diese düstere Welt zurück, um in einer geheimen Bibliothek einen verborgenen Ort zu finden, an den selbst die Obersten des Auges nicht gelangen konnten? Mühsam versuchte sie, ihre Gedanken zu ordnen. „Ich habe es kaum geschafft, aus der Festung zu fliehen. Wie soll ich dort je wieder hineinkommen?“

„Die Bibliothek des unberührbaren Geheimwissens liegt nicht in der Schwarzen Festung, sondern tief im Innern der Verlorenen Welt verborgen“, bemerkte Moa.

„Und wie kommen wir dorthin? Wie sollen wir nur gegen das Auge ankommen, Moa! Diese Leute benutzen Elektrizität und Maschinen, um ihre Geisteskraft zu verstärken. Was haben wir dem entgegenzusetzen?“ Hilflos ließ Tala ihre Hände auf die Schenkel fallen und Apeiron knurrte zustimmend.

„Das Geheimnis der Kraft liegt nicht in der Technologie − das Geheimnis liegt hier und hier.“ Moa legte den Zeigefinger zuerst an seinen Kopf und dann auf sein Herz. „Nur Geduld, ihr werdet Hilfe bekommen.“ Er räusperte sich. „Aber zunächst wird dich dein Weg woanders hinführen, Tala. Du musst deine Freunde wiederfinden. Sie haben es mit Hilfe der Shima geschafft, aus der Eiswelt nach Sphäria zu fliehen. Einer Welt inmitten der Sterne von Askebian. Während ihr hier bei mir in der Zwischenwelt wart, sind für deine Freunde nur wenige Wochen vergangen. Es ist wichtig, dass du den Sannleikkur in diese Welt folgst, deshalb werde ich dir morgen ein Tor nach Sphäria öffnen.“ Zum ersten Mal erschien eine Sorgenfalte auf Moas Stirn. Er griff mit seiner linken Hand unter sein Hemd und zog eine Halskette mit einem Anhänger hervor. Behutsam streifte er sie über seinen Kopf und gab sie Tala.

Das ovale Amulett wog schwerer in ihrer Hand, als seine Größe vermuten ließ. Auch konnte Tala nicht sagen, ob es aus Gold oder Silber gefertigt war, denn das Kleinod glänzte sanft in einem unwirklichen Licht. Es hatte die Form einer Spirale, und auf der Spirale schimmerte eine liegende Acht, deren geschwungene Hälften sich auf einer Seite dunkel und auf der anderen hell färbten. Die Spirale selbst war durchdrungen von Wellen, wie Wasserwellen auf einem unruhigen See. Oberhalb der liegenden Acht erblickte Tala ein geflügeltes Auge, und unterhalb war das Bild eines Schlüssels in das seltsame Metall eingearbeitet. Tala spürte eine große Macht, eine Anwesenheit, die sie noch nie zuvor wahrgenommen hatte und die sie nicht einordnen konnte.

„Ich habe dieses Zeichen schon einmal gesehen“, sagte sie leise und fuhr mit ihrem Finger die liegende Acht nach. „In der Höhle der Erinnerung, in der die Waheela des Verlorenen Wissens gedenken.“ Vorsichtig drehte Tala den Anhänger um. Auf der Rückseite waren Symbole eingraviert, die den Zeichnungen in der Felswand der Grotte glichen, aus der sie die Weltenuhr geborgen hatte.

„Ich möchte, dass du dieses Amulett einer Seherin bringst, die seit langem auf Sphäria, der Welt der vielen Himmel lebt. Ihr Name ist Linnéa. Falls sie dich nicht empfangen will, sag‘ ihr, dass Moa dich schickt. Sie kann mitunter recht schwierig sein, aber sie wird dich nicht zurückweisen, wenn sie das Amulett sieht. Es ist wichtig, dass sie es erhält, bevor ER sich befreien kann!“

Da wackelte Apeiron mit den Ohren und hob die Lefzen. „Du sprichst die ganze Zeit von dem Weg, den Tala beschreiten soll. Doch ich werde an ihrer Seite sein und sie unterstützen. Das ist meine Aufgabe. Ich habe es meinem Vater geschworen.“

Moas Augenlider zuckten kurz und die Sorgenfalte auf seiner Stirn wurde noch ein wenig steiler. „Du hast deinen eigenen Weg vor dir, Apeiron. Ich weiß, ich habe euch gemeinsam ausgebildet und inzwischen könnt ihr blind aufeinander vertrauen. Nur wenige könnten es mit euch aufnehmen, wenn ihr gemeinsam kämpft. Selbst die Cruor müssten sich vor euch in Acht nehmen.“

„Cruor?“ Apeiron wackelte erneut mit den Ohren.

„Gezüchtete Kämpfer des Auges“, erklärte Moa. „Weder Mensch, noch Tier, noch Maschine. Sie sind von allem etwas und ich spüre, dass ER sie auf die Jagd nach euch geschickt hat. Noch seid ihr ihnen einen Schritt voraus und sie müssen euch erst einmal aufspüren. Dort, wo du hingehst, Apeiron, werden sie dir schwer folgen können, denn du wirst die Welten der Lebenden verlassen.“

Apeirons Ohren schossen nach vorne. „Was? Wohin gehe ich? Aber ich gehe mit Tala! Ich habe es versprochen. Ich MUSS sie beschützen!“

„Du wirst sie dadurch am besten beschützen, indem du deinen Vater suchen gehst. Seine Seele ist weder zurückgekehrt noch weitergegangen“, fuhr Moa mit Bedacht fort. „Er weilt in einer der Unterwelten und es ist deine Aufgabe, ihm zu helfen von dort zu entfliehen, und alles von ihm zu erfahren, was uns nützlich sein kann.“

„Ich glaube, ich verstehe nicht, was du meinst“, antwortete Apeiron schrill. „Mein Vater ist tot! An den Ort, an den er gegangen ist, kann ihm keiner folgen.“

„Es ist ein gefährlicher Weg für ein lebendiges Wesen, die Grenze zu den Unterwelten zu überschreiten“, pflichtete Moa ihm bei, „doch er ist nicht ungehbar.“

Apeirons Augen suchten Talas Blick. „Ich will dich nicht verlassen“, erklang seine Stimme in ihrem Kopf, und Talas Magen krampfte sich zusammen. All die Zeit waren sie Tag und Nacht beisammen gewesen. Apeirons Nähe war ihr so natürlich wie das Ein- und Ausatmen. Sie konnte sich nicht mehr vorstellen, wie es war, ohne ihn zu sein.

Die Flammen des Feuers hatten sich zusammengezogen und die Glut leuchtete in einem gespenstischen Blau. Tala atmete tief durch.

Das also war Moas Plan: Apeiron sollte zu den Toten hinabsteigen und sie sollte allein in einer gänzlich fremden Welt ihre Freunde suchen, während der Feind ihr mit einer schaurigen Armee auf den Fersen war.

Moa schien ihre Verzweiflung zu spüren. „Habt Mut!“, sagte er und hob die Hände. „Nicht alles ist so verloren und dunkel, wie es scheint. Ihr seid gut ausgebildet, habt einen wachen Geist und einen starken Körper. Ihr wisst, wie man sich vor dem Feind verbirgt und wie man ihm die Stirn bietet. Die Nacht neigt sich nun dem Ende, darum hört mir jetzt gut zu und verinnerlicht meine Worte:

Hütet euch vor Kühnheit und Übermut! Lasst euch nicht von euren Gefühlen zu törichten Taten hinreißen, doch vertraut ihnen, wenn ihr keinen Ausweg wisst. Das wertvollste Wissen liegt tief in eurem Innern und es kommt immer dann zum Vorschein, wenn ihr es am wenigsten erwartet. Hütet das, was heute Nacht gesprochen wurde, wie einen Schatz. Erinnert euch daran, wenn ihr euch verloren glaubt. Denn auch in der dunkelsten Nacht gibt es Licht, und im hellsten Licht gibt es Dunkelheit. Das Licht ist von seltsamer Wesensart: Wenn es auf einen Widerstand trifft, offenbart es Farben und Formen. Fliegt es allerdings ungehemmt und frei, ist es unsichtbar und dem Nichts ähnlicher als dem Etwas.“

Die Glut des Feuers leuchtete nur noch schwach und die Schwärze des Nachthimmels wurde bereits von einem heller werdenden Blau abgelöst.

„Die Nacht wird vom Tag vertrieben − genauso wie ihr aus meiner Welt. Ihr wart gute Schüler und ich sende meine Kräfte mit euch auf jeden Weg, den ihr beschreiten werdet.“ Moa nickte ihnen noch einmal innig zu. „Jetzt solltet ihr etwas schlafen. Es ist besser, ihr seid frisch und ausgeruht, wenn ihr die Grenzen dieser Welt überschreitet.“

„Werden wir dich wiedersehen?“, fragte Tala benommen.

„Auch ich werde diese Welt verlassen und mich auf eine lange Reise begeben“, erwiderte Moa. „Es wird sich zeigen, wo und wann sich unsere Wege wieder kreuzen werden. Schlaft jetzt, und stärkt euren Geist in den unendlichen Gefilden der Träume.“ Aufmunternd lächelte der Weise den beiden Freunden zu. Apeiron und Tala standen auf und gingen zur Moas Hütte hinüber. Tala hatte eine Hand im Fell ihres geliebten Wolfsbruders vergraben und versuchte die Tatsache zu verdrängen, dass sich ihre Wege schon viel zu bald trennen würden.

In der Hütte ließ der große Wolf sich auf die Felle und Decken auf dem Boden fallen. Tala rollte sich an seinem Bauch zusammen und ließ sich von seinem steten Atem in den Schlaf wiegen. Fetzen von Moas Ankündigungen huschten unruhig in ihrem Geist umher. Schließlich siegte die Müdigkeit, und ein ohnmächtiger, traumloser Schlaf holte sie zu sich.

Als Tala die Augen aufschlug war irgendetwas anders.

Apeiron war verschwunden und es drang kein Sonnenlicht durch das Fenster von Moas Hütte. Das warme, braune Holz der Wände war seltsam grau, und oben, unter dem Regal mit den Gewürzen, da war ein …

Tala sprang auf. Da war ein Loch! Ein Nichts! Ein blinder Fleck in der Wirklichkeit! Der Hals wurde ihr eng, sie packte ihren Kampfstock, rannte aus der Hütte hinaus und fand den Himmel wolkenverhangen. Ein starker Wind riss an ihren Haaren. Dort! In der Luft über ihr! Ein großer Spalt − ein riesiger Riss! Dahinter sah sie scharfe, von grellen Blitzen erhellte Felsen. Moas Welt löste sich auf!

„Moa!“, schrie sie und fuhr herum. In diesem Moment kam der alte Weise aus dem Wald auf sie zugelaufen, dicht gefolgt von ihrem Wolfsbruder.

Durch den Wind rief er ihr entgegen: „Ich habe dir ein Tor geöffnet, dort hinten im Stamm des Ahornbaumes!“ Tala stürzte sich in seine Arme und er umfing sie mit sanfter Kraft. „Denk‘ daran: Solange du das Amulett trägst, bist du vor den Cruor geschützt“, drang seine Stimme an ihr Ohr. „Aber du musst es Linnéa geben, das ist sehr wichtig! Und du musst ihr sagen, dass ER wieder frei ist. Du bist klug und tapfer, Tala!“ Ein Blitz zerriss die Luft. Tiefes Donnergrollen folgte, sodass die Erde erbebte. Moa drückte ihr einen Beutel mit Proviant in die Hände. „Du musst los! Lebe wohl!“

Schnell wandte sich Tala zu Apeiron um. Er kam auf sie zu und seine Wolfsaugen blickten sie tieftraurig an, als er seine Stirn an die ihre legte. „Pass‘ auf dich auf, Menschentochter.“

„Und du auf dich, Wolfsbruder.“

Sie lösten sich voneinander. Ein Schluchzen wollte sich aus ihrer Kehle befreien, da erklang plötzlich Moas Stimme in ihrem Kopf: „Die Cruor! Sie sind da! Lauf‘, Tala! Jetzt!“

Blitze, Donner und Erdbeben erschütterten Moas kleine Zwischenwelt. Tala ahnte die Gefahr in ihrem Rücken, doch sie spürte instinktiv, dass sie keine Zeit hatte, sich nach den Cruor umzusehen. Sie hörte Apeirons Knurren und ihre Hände lösten sich aus seinem Fell. Ein schimmernder Riss leuchtete ihr vor dem Stamm des Ahorns entgegen. Während sie darauf zu rannte, blitzte vor ihrem inneren Auge ein anderes Bild auf: Sie erblickte Apeiron, wie er einem düsteren Horizont entgegenlief. Ein großer schwarzer Wolf, einsam, in einem leeren, öden Land …

Noch einmal bebte die Erde, und der Boden schien unter ihr wegzusacken. Tala sprang vorwärts. Sie flog durch die Luft, direkt auf das Tor zu. Im nächsten Moment umschloss sie Dunkelheit.

2

Der Schneefuchs hebt flugs die Schnauze in die dichte, warme Luft. Eine Vielzahl von Düften dringt in seine Nase: Es riecht nach einer Mischung aus süßem Wasser, würzigem Grün und alter Baumrinde. Dazu kommen die Duftspuren zahlreicher Lebewesen, die sofort verschwinden, wenn er in ihre Nähe kommt. Gleichzeitig fangen seine gespitzten Ohren kaum wahrnehmbare Geräusche auf und seine eisblauen Augen erhaschen hie und da die Ahnung einer Bewegung. Die Eindrücke, die ihm seine Sinne vermitteln, vereinen sich zu Bildern und geben dem fremden, dämmrigen Wald um ihn her ein Gesicht. Auf diesem riesenhaften Wald scheint ein ewiger Schlaf zu liegen.

Sein Weggefährte fliegt mit weit ausgebreiteten Schwingen über ihm um die riesigen Äste herum, die sich wie schwebende Wege durch die Luft schlängeln. Alopex selbst steht auf einem solchen Astweg, der von nirgendwo herzukommen und nirgendwo hinzuführen scheint. Auch sein Freund, der weiße Falke, ist beunruhigt. Kein Himmel ist zu sehen, keine Baumwipfel, einzig in der Ferne ein blaugrünes Leuchten, das die nachtlaue Luft durchwebt wie Sternenlicht die Träume von Tierkindern. Sie sind auf Nahrungssuche gewesen und haben sich verirrt. Der vierbeinige Jäger knurrt verdrießlich in sich hinein. Ein Polarfuchs und ein Schneefalke, die sich verirren! Niemals zuvor ist ihm so etwas passiert − doch in dieser Welt ist vieles anders.

Der Fuchs spitzt die Ohren: Weder er noch sein gefiederter Freund können die Witterung ihrer menschlichen Gefährten aufnehmen. Sie sind verschwunden im weiten Labyrinth dieses fremdartigen Waldes.

Vorsichtig schleicht er näher an den Rand des Astes, auf dem er steht, und sieht hinunter in die Tiefe. Weitere Äste winden sich dort wie große Schlangen durch den riesigen Wald. Wie weit der Boden entfernt ist, kann Alopex nur erahnen.

Plötzlich durchfährt ihn ein Zittern und er wendet sich schnell wieder der Mitte des Astes zu.

Der Fuchs denkt an seine warme, gemütliche Höhle im Wald hinter dem Baumstammhaus in der Eiswelt. An den niedrigen Tannen- und Fichtenwald, in dem es reichlich Nahrung gibt, und er sehnt sich nach dem vertrauten Geruch von Schnee, Eis und Tannennadeln. Was hat ein Polarfuchs auf einem hohen Baum verloren, inmitten einer feuchtwarmen Welt ohne Mäuse oder Schneehühner, hunderte Fuchssprünge über dem Erdboden? Der kleine Räuber schüttelt missmutig sein Fell.

Er hebt seine eisblauen Knopfaugen zu dem blaugrünen Leuchten hinauf. ‚Die Welt der vielen Himmel‘, hatten die Klangwesen aus der Eiswelt diesen Ort genannt, aber wo sind diese Himmel? Der Falke stößt einen Schrei aus und fliegt an ihm vorbei nach oben. Wenn es einen Himmel gibt, wird er ihn finden.

„Wie lange werden wir noch durch diesen seltsamen Wald irren? Ich sehe mich schon mein gesamtes restliches Leben auf dem Ast eines Baumes verbringen, von dem ich noch nicht mal einen Stamm, geschweige denn die Krone sehen kann. Das wird gewiss wundervoll und höchst abwechslungsreich!“ Calvins Stimme klang gewohnt sarkastisch. Die dunklen Locken hingen ihm ins Gesicht, und sein schwarzes Gewand war an einigen Stellen zerrissen. Er drehte sich nach seinem Freund um: Janus sah nicht besser aus. Er hatte eine große Schürfwunde, die sich über die rechte Schulter bis zum Hals hinaufzog, und sein Gesicht war mit Dreck verschmiert.

„Wir könnten zum Tor zurück und die Shima fragen, ob wir in ihrem See unter den Nebeln bleiben dürfen“, erwiderte Janus mit sehnsüchtigem Blick. „Ich hatte dort alles Schlimme vergessen, was ich jemals erlebt habe.“

„Ja, genau. Dumm nur, dass die Shima das Tor hinter uns verschlossen haben. Falls du also irgendwo eine Weltenuhr auftreiben kannst, sag‘ mir bitte Bescheid.“ Calvin fuhr sich mit dem Handrücken über seine ausgetrockneten Lippen. Dunkle Ringe lagen unter seinen Augen. „Aber ich fürchte, dass wir selbst dann keinen Zugang zurück in die Eiswelt finden würden, wenn wir die Weltenuhr hätten.“

Janus hielt an und horchte in den Wald hinein. Sein zerzaustes hellbraunes Haar und der Bart, der beständig wuchs, seit sie in dieser Wildnis umherirrten, verliehen seinen sonst so weichen Gesichtszügen etwas Verwegenes. „Glaubst du, Meena und Nerthus sind weit von uns entfernt?“

„Wahrscheinlich irren sie genau wie wir umher und fragen sich, warum, bei Himmel und Schatten, sie unsere Anwesenheit nicht spüren können!“ Calvin sah verärgert nach oben. „Alles fühlt sich anders an in dieser Welt! Die Luft, das Licht, die Farben und die Geräusche. Und wo ist eigentlich das obere Ende dieser Riesenbäume?“ Der junge Nj´osnari hatte das Gefühl, seit Wochen umherherzuirren. Sie waren zusammen mit Meena und Nerthus aufgebrochen, um für die Sannleikkur nach Nahrung und einem Unterschlupf zu suchen. Mühsam waren sie die riesigen Bäume emporgeklettert und deren breite Äste entlanggewandert. Doch sie hatten sich verirrt und Alopex und Fergal verloren! Der Schneefuchs und der Falke hatten die Vorhut gebildet, aber als die Tiere länger nicht zurückkehrten, hatten die jungen Männer sich von Meena und Nerthus getrennt, um nach ihren tierischen Gefährten zu suchen. Bisher hatten sie allerdings kein Glück gehabt, so sehr sie sich auch mühten: Ihre Gefährten blieben verschwunden.

„Immerhin ist Janus wieder der Alte“, dachte Calvin verdrossen. Der Besuch bei den Klangwesen, den wundersamen Shima, hatte seinem Freund gutgetan. Über das Schicksal von Tala und Lycaon sprachen sie nicht; ihre momentane Lage war heikel genug. Tala war nicht in dem Tunnel aufgetaucht, der sie zu den Shima geführt hatte, und natürlich fragte sich Calvin, ob das Mädchen in die Hände des Feindes gefallen war oder ob sie zusammen mit dem König der Waheela hatte entkommen können.

Calvin hütete sich davor, seine Befürchtungen auszusprechen, aus Angst, Janus könnte wieder in seine Trauerstarre zurückfallen wie damals, als Tala ins Nebelmeer gefallen war. Janus trug eine große Stärke in sich und hatte ein noch größeres Herz, doch genau das machte ihn als Krieger verletzlich. Wenn die Menschen, die er liebte, litten oder gar umkamen, knickte er um wie eine Sommerblume im Herbststurm. Als Meena damals von den Greifern des Auges beinahe getötet worden war, war Janus monatelang ein Schatten seiner selbst gewesen und hatte nur langsam in seine alte Kraft zurückgefunden. Damals hatte Calvin seinem Freund einen Vorwurf daraus gemacht. Seiner Meinung nach hätte Janus sich besser um Meena kümmern sollen, anstatt in seinem eigenen Leid zu zerfließen. Aber er war nicht dabei gewesen, als Janus Meena halbtot gefunden hatte, und heute war Calvin klar, dass er sich kein Urteil über Janus‘ Verhalten bilden konnte und durfte.

Plötzlich zuckte er zusammen: Ein gellender Schrei klang langezogen durch den weiten Wald.

„Was ist?“ Janus blieb alarmiert stehen.

„Da war ein Schrei!“

„Was für ein Schrei? Ich habe nichts gehört.“

„Schsch ...!“ Calvin legte energisch den Zeigefinger über die Lippen. Wieder erhob sich der klagende Laut.

„Da! Es klingt, als ob eine Frau schreit.“ Er horchte angestrengt und seine Augen waren weit aufgerissen. „Eine Frau, die große Schmerzen leidet!“ Calvins Herz fühlte sich mit einem Mal seltsam an. Es war, als ob die Qual, die in diesem verzweifelten Schrei gefangen war, sich mit jedem Pulsschlag in seinem Körper ausbreitete.

Ohne zu überlegen rannte er los. Seine schlanken Beine jagten wie von einer fremden Kraft getrieben über das breite Astgeflecht dieses unendlichen Waldes.

„Calvin! Warte!“, schrie Janus hinter ihm her. „Ich habe nichts gehört! Wer weiß, was es hier für Tiere gibt? Kopflos mehrere hundert Fuß über dem Boden über schwebende Äste zu rennen bringt gar nichts!“ Janus‘ Stimme klang jetzt wütend.

Es hatte angefangen zu regnen und dicke Tropfen schlugen Calvin ins Gesicht. Hinter sich hörte er Janus rufen, doch das rührte ihn nicht. Immer wieder vernahm er die Stimme der Frau, mal näher, mal ferner, einmal glaubte Calvin sogar, sie stehe direkt neben ihm. Er musste zu ihr, dass wusste er, er musste ihr helfen! Das Regenwasser rann inzwischen die Äste hinab und die breiten Astwege verwandelten sich in glitschige Stolperfallen.

Und da geschah es: Calvin rutschte auf der nassen Rinde aus und glitt von dem Ast, auf dem er vorwärts gehastet war. Seine Hände suchten vergebens nach einem Halt. Er fiel und schlug dumpf mit der Seite auf einen anderen Ast, der aber zu groß und zu schlüpfrig war, um sich daran festzuhalten. So fiel er tiefer und tiefer. Etwas schrammte an seinem Bein entlang und über sich hörte er Janus schreien. Immer wieder krachte er gegen dicke Äste und mehr als einmal drückte ihm die Wucht des Aufpralls die Luft aus den Lungen. Doch plötzlich, ohne Vorwarnung, war es vorüber.

Wasser schloss sich um seinen Leib und er ruderte wild mit den Armen nach oben, bis er schließlich hustend und keuchend die Wasseroberfläche durchbrach. Calvin holte tief Luft und brauchte einen Moment, um sich zu orientieren und sich darüber klar zu werden, dass er nicht zu Tode gestürzt war.

Die Stimme der Frau war verstummt, und glasklares Wasser umgab ihn. Um ihn herum wuchsen kleine Bäume, deren Wurzeln im Wasser versanken und deren Blätter sich über ihm zu einem grünen Dach vereinigten. Der junge Sannleikkur nahm einige große Schlucke, und das Wasser rann ihm süß und kühlend durch die heiße, vertrocknete Kehle.

„Calvin!“ Janus‘ Stimme erscholl von irgendwo über ihm. Sein Freund musste todesmutig von Ast zu Ast gesprungen sein, um ihm zu folgen.

„Hier! Hier unten!“ Calvin schwamm in die Richtung, aus der er meinte, Janus rufen zu hören.

„Bist du verletzt?“

„Ich glaube, ja. Ich werde mir ein paar meiner hübschen Rippen gebrochen haben. Aber ich kann noch schwimmen.“

„Schwimmen?“

„Ich habe Wasser gefunden!“

Die Blätter der Bäume lichteten sich etwas und Calvin sah etwa dreißig Fuß über sich einen breiten Ast, auf dem Janus gelaufen kam. Sein Freund hielt an, als er ihn sah, stemmte die Hände in die Hüften und beugte sich erschöpft nach vorne. Seine Brust hob und senkte sich heftig.

„Sieht so aus, als müsste ich springen, um zu dir zu kommen.“

„Es ist tief genug. Jedenfalls für mich.“ Calvin konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

„Dir wird das Lachen vergehen, wenn ich runterkomme und dir eine Tracht Prügel verpasse! Was fällt dir ein, über die Äste zu rennen, als wären die Seelenlosen hinter dir her! Es ist einfach unglaublich, dass du dir nicht das Genick gebrochen hast!“ Mit diesen Worten sprang Janus von dem dicken Ast und landete mit einem lauten Platsch neben Calvin im Wasser.

Prustend tauchte er auf und nahm einen kräftigen Schluck von dem lebenserhaltenden Nass. Bisher hatten sie notdürftig den Regen auffangen müssen, um ihren Durst zu stillen.

„Und jetzt?“ Janus‘ braune Augen sahen wachsam umher. „Das Wasser ist warm. Anstatt auf den Ästen in der Luft herumzubalancieren, werden wir jetzt durch die Wurzeln dieser kleinen Bäume tauchen?“

„Es bleibt uns nichts anders übrig, oder?“, erwiderte Calvin und strich sich die nassen Locken aus dem Gesicht.

Janus zog die Stirn in Falten. „Dein Starrsinn hat den Sturz jedenfalls überlebt. Doch ich habe Angst, dass wir uns immer weiter von den anderen entfernen. Was ist mit Alopex und Fergal? Wenn sie uns nicht aufspüren können, dann werden wir die anderen nie wiederfinden.“

„Fergal wird mich finden. Da bin ich mir sicher.“

„Hoffen wir es.“ Und so begannen die Freunde, sich ihren Weg durch den Wasserwald zu suchen.

~

„Hier gibt es grüne Blätter! Schau‘, Nerthus!“ Meena berührte einen Ast, aus dem mehrere schmal geschwungene Blätter sprossen. Das Laub fühlte sich dick und glatt an, als seien die Blatthälften mit einer weichen Masse gefüllt.

„Ich glaube, wir kommen den Baumwipfeln näher! Wir müssen weiter nach oben klettern!“ Meena schwang ihr zerzaustes, nussbraunes Haar zurück und begann, den steileren Ästen zu folgen, die nach oben führten.

„Gut, weiter nach oben“, erwiderte der Meister der Geisteskunst keuchend. „Vielleicht verschaffen wir uns auf diese Weise endlich einmal einen Überblick über diese Welt. Und vielleicht gibt es dort oben irgendwo etwas zu essen, zum Beispiel Baumfrüchte − wenn wir Glück haben.“ Nerthus zog sein verschmutztes, quietschgelbes Jackett zurecht. Seine lila Hose war verdreckt und stellenweise zerrissen, und sein bunt kariertes Hemd klebte schweißnass an seinem Oberkörper. Er wirkte in diesem riesigen Wald wie eine große Blüte auf zwei Beinen. Meena sah den Meister der Geisteskunst mit kritischem Blick an. Sie hatte in den letzten Wochen gelernt, dass Nerthus häufig Stimmungsschwankungen unterlag, wenn er hungrig oder müde war − und in ihrer momentanen Lage waren sie die meiste Zeit beides.

„Die Luft ist wirklich seltsam, oder?“, meinte die junge Nj´osnari und fuhr mit den Fingern auf und ab, als streichele sie einen unsichtbaren Stoff. „Sie ist irgendwie dichter, und ich fühle mich auch zunehmend leichter, seit wir vom Tor fortgegangen sind. Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein.“

„Nun, das kann mit der Gravitation zusammenhängen, der Anziehungskraft dieses Planeten, oder auch mit der allgemeinen Schwingung der Energieflüsse in der Materie selbst. Außerdem ist die Luft sehr feucht, wahrscheinlich kommt sie dir deshalb dichter vor. Ha! Unter Wasser bist du ja auch leichter!“ Nerthus strahlte sie an wie ein kleines Kind, das soeben entdeckt hat, dass alle Dinge wieder zu Boden fallen, egal, wie hoch man sie wirft.

„Ich weiß nicht. Ich glaube nicht, dass es nur daran liegt.“ Die junge Frau kniff die Lippen zusammen. Es hatte meist keinen Sinn, mit Nerthus zu diskutieren. Für ihn war alles genauso, wie er es im gegenwärtigen Moment wahrnahm, und das Problem dabei war, dass seine Wahrnehmungen sich von einem Augenblick zum anderen ändern konnten. Meena hatte schon immer gewusst, dass der Meister der Geisteskunst ein schräger Vogel war, doch hier, in dieser fremden Welt, benahm er sich manchmal so