Tala und die vergessenen Tore - Maria Hermann - E-Book

Tala und die vergessenen Tore E-Book

Maria Hermann

4,8

Beschreibung

520. Jahrzyklus im Vierten Zeitalter der Erdenwelt: Tala wird von unheilvollen Träumen heimgesucht. Als eine finstere Macht nach ihren Gedanken greift, entkommt sie an der Seite des Rebellen Janus durch ein vergessenes Tor in die Eiswelt. Doch auch diese Zuflucht ist in Gefahr! Die Jagd nach einem uralten Artefakt beginnt, das die Vielwelten befreien oder ins Verderben stürzen kann. Niemand ahnt dabei, dass Tala ein Geheimnis in sich trägt, das über das Schicksal aller entscheiden wird. Fantastischer Auftakt der Vielwelten-Trilogie!

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Prolog

In der Abenddämmerung, wenn das Licht die Welt verlässt, verschwimmen alle Grenzen. Getrenntes fließt ineinander und ungeahnte Empfindungen bahnen sich ihren Weg durch die nahende Nacht. Schatten liegen über Schatten, Düfte über Düften, und längst vergessene Erinnerungen steigen empor und lichten sich in der wachsenden Dunkelheit.

In diesem Dunkellicht zwischen Tag und Nacht streicht der Wind durch einen uralten Wald und verfängt sich zwischen den Zweigen einer großen Eiche. Im Gras, den Büschen und den Bäumen, die sie umgeben, flüstern Geheimnisse, wie man sie nur auf schattenumwobenen Lichtungen tiefer Wälder findet.

Plötzlich löst sich eine Gestalt aus dem Dickicht, und das blasse Gesicht eines jungen Mannes erscheint. Aufmerksam wandern seine dunklen Augen über die Lichtung und bleiben an dem Stamm der alten Eiche hängen.

Im nächsten Moment zerreißt ein Schrei die Stille des Waldes und ein weißer Falke stößt vom Himmel herab. Er landet auf dem ausgestreckten Arm des Mannes, und Mensch und Vogel sehen sich an, als könne der Eine in den Augen des anderen eine stille Botschaft lesen.

Der schlanke Mann wendet sich der Eiche zu und seine fein geschwungenen Lippen bewegen sich lautlos, als wolle er die Geheimnisse dieses Ortes wecken.

Auf einmal blitzt vor dem Stamm des Baumes ein Licht auf, gleich einem Stern, gestohlen vom Nachthimmel einer fremden Welt.

Der Mann greift mit beiden Händen in den Stern hinein und zieht das strahlende Licht auseinander, bis ein mannshoher Spalt entsteht.

Eiseskälte weht dem Reisenden aus dem Riss entgegen. Er wendet sich dem Falken zu. Ein Stoß, ein Schrei − und der anmutige Vogel verschwindet in dem geöffneten Tor. Ein letztes Mal sieht sich der junge Mann um, ehe er seinem Gefährten in die Kälte folgt und das Tor sich lautlos hinter ihm schließt.

Nichts als klare durchsichtige Luft und das Flüstern der alten Eiche bleiben zurück. Eine weitere Erinnerung in ihren Blättern. Eine weitere Faser im Bast ihres Wissens.

1

„Wenn du springst, dann bin ich nicht mehr dein Freund! Und damit du’s nicht vergisst: Ich bin dein einziger Freund weit und breit!“ Tim stemmte unbeholfen die Hände in seine Hüften und die zahlreichen Sommersprossen in seinem Gesicht hüpften nervös auf und ab, als er versuchte, Tala den Weg zu versperren. Die Kinder standen dicht vor der Abbruchkante des alten Steinbruches, welcher − gesäumt von schwarzen Tannen − inmitten des Nordwaldes lag.

„Du brauchst mich nicht daran zu erinnern. Das weiß ich sehr gut. Und jetzt geh’ mir aus dem Weg, sonst versuche ich es das nächste Mal, wenn du nicht dabei bist!“

Der zehnjährige Rotschopf blickte in die dunkelgrünen Augen seiner eigensinnigen Freundin und dann hinter sich: Keine zwei Schritte, und die rissige Steinwand brach steil nach unten ab. Tala hatte sich in den Kopf gesetzt, von der Abbruchkante auf die nächste Tanne zu springen, die von der Sohle eines kleinen Tales zu ihnen heraufwuchs. Ihre Zweige rauschten, als der Wind frisch hindurchfuhr, und Talas schwarze Haare zausten sich um ihre Stirn. Von Schwindel ergriffen trat Tim mit einem ängstlichen Seufzer beiseite.

Tala band ihr Haar zu einem Zopf zusammen und stopfte den Saum ihres grauen Alltagskleides in die Strumpfhose. Ihr schmales Gesicht mit der leicht gebogenen Nase wirkte hochkonzentriert, als sie ihr Ziel fixierte.

„Tu’s bitte nicht! Du wirst abstürzen!“

Als Antwort spannte Tala ihren dünnen Körper, schoss nach vorne und sprang.

Steine lösten sich von der Abbruchkante und stürzten polternd in die Tiefe. Tim schnappte nach Luft und kniff die Augen zusammen. Als er sie wieder öffnete, hing seine Spielgefährtin wie ein Käfer an der heftig schwankenden Schwarztanne.

„Alles in Ordnung bei dir?“ Tims Hände waren schweißnass und er zitterte am ganzen Körper. Wie sehr er Talas Mutproben hasste! Ständig kam sie auf diese blöden Ideen, und kein Tag verging, an dem er nicht ein Auge auf sie haben musste!

„Ja, alles gut. Aber ich denke, ich habe mir meine Arme und Beine zerkratzt.“ Talas Kichern steigerte sich zu einem glucksenden Lachen. „Ich klettere jetzt hinunter!“

Sie begann, sich durch die Äste der Tanne nach unten zu wühlen.

„Ich gehe lieber außen herum“, erwiderte Tim mit hochgezogenen Schultern, lief dann links am Rande des Steinbruchs entlang und rutschte in einer aufwirbelnden Staubwolke den Geröllhang hinunter.

Tala inspizierte gerade ihre Strumpfhose, als Tim in die Senke gelaufen kam. Ein großes Loch klaffte in der Wolle, gleich oberhalb des rechten Knies, und auf ihrer Haut sah man lange, rote Kratzer.

„Oh weh, das wird Ärger geben“, murmelte Tala und zog schnell ihr Kleid über die Strumpfhose, um das Loch zu verbergen. „Gestern schon hat mir Stina eins mit dem Kochlöffel übergezogen, weil ich mich mit den Jungs auf dem Schulhof geprügelt habe. Dabei haben die angefangen!“

„Wenn du so weitermachst, werden sie dich bestimmt rausschmeißen!“ Tim vergrub seine Hände tief in die Hosentaschen. Schon oft hatte er die Aufseherinnen des Waisenhauses darüber reden hören, dass sie Tala in ein anderes Heim schicken wollten, da ihnen ihr Ungehorsam allmählich über den Kopf wuchs.

„Das sagen sie immer. Und dann tun sie’s doch nicht“, erwiderte Tala und reckte die Nase in die Luft. Doch beim Anblick des dunkler werdenden Himmels wurden ihre Augen groß. „Mist noch eins, es dämmert schon, und ich muss noch die Wäsche zu Mrs. Begetstone bringen!“

Ohne weiter auf ihren Freund zu achten, rannte Tala aus dem Steinbruch hinaus und weiter auf dem Weg durch den oberen Nordwald Richtung Kesgrave. Die Blätter der wenigen Laubbäume, die den Weg zum Dorf hinab säumten, färbten sich allmählich gelb. Die Luft spiegelte noch die Wärme des Spätsommers, doch die Tage wurden schon kürzer, und nach Sonnenuntergang spürte man bereits die Frische des Herbstes.

Die Erdenwelt zählte das letzte der drei Sonnenjahre mit ihren ertragreichen Sommern, den kurzen Wintern und langen Tagen, an welchen man im Hellen zu Bett ging und bei strahlendem Licht wieder erwachte. Doch bald schon würden die beiden Schattenjahre anbrechen, düster und kalt. Alle Menschen von Anglia, der Insel im Nordmeer der Erdenwelt, fürchteten diese Zeit. Denn in den Schattenjahren gab es wenig Licht, und die dunklen Tage brachten immer wieder schwere Hungersnöte über das Land.

Als sie Kesgrave erreichten, hatte Talas pausbackiger Freund sie fast eingeholt, obwohl sein blasses Gesicht feuerrot angelaufen war und er nur noch keuchend einen Fuß vor den andern setzen konnte. Der Staub wirbelte unter den ausgetretenen Lederschuhen der Kinder auf, als sie an Sir Edmund’s Warenhaus vorbei die alte Kreisstraße entlangrannten.

Kurz vor dem Waisenhaus mit seinen weiß verputzten Mauern und dem schlichten Holzdach wurde Tala langsamer. Tim drückte sich die Hände in die Seiten und schnappte nach Luft.

„Schläfst du heute wieder bei der ollen Begetstone?“, fragte er und seine Miene verfinsterte sich. Die Frau, welche die Wäscherei des Dorfes führte, war ihm nicht geheuer.

„Ja, warum?“, gab Tala zurück und zog ihre dunklen Augenbrauen hoch.

„Die anderen reden schon!“, bemerkte Tim mit Nachdruck.

„Das tun sie doch sowieso!“

„Die Begetstone ist eine Hexe“, grummelte Tim und seine Sommersprossen zogen sich ängstlich zusammen. „Sie lockt kleine Kinder in ihr Haus, kocht sie und braut daraus Liebestränke, mit denen sie unschuldige Männer verführt! Die anderen sagen, dass sie ihren eigenen Sohn geopfert hat! Er ist vor Jahren verschwunden und kein Mensch hat ihn je wieder zu Gesicht bekommen!“

Tala warf Tim einen verächtlichen Blick zu. „Sie ist keine Hexe“, erwiderte sie barsch. „Ich helfe ihr bei der Arbeit und verdiene mir ein paar Münzen dazu. Immerhin werde ich mir Wolle kaufen müssen, um das Loch in der Strumpfhose zu stopfen!“

Im Waisenhaus war es gang und gäbe, dass Kinder, die ungehorsam waren, zur Strafe die Wäsche zur Dorfhexe bringen mussten.

Tala half Martha Begetstone aber tatsächlich gerne bei der Arbeit, manchmal blieb sie sogar das ganze Wochenende bei ihr. Vor Tim hätte sie das nie zugegeben, aber sie fühlte sich wohl in dem kleinen, schiefen Wäschereihaus am anderen Ende des Dorfes. Am liebsten wäre sie die ganze Woche dort geblieben.

„Wie du meinst“, entgegnete Tim. „Aber wundere dich nicht, wenn sie dich heute Nacht in ihren Hexenkessel steckt und du morgen – puff! – verschwunden bist!“

Tala lachte. „Keine Sorge! Ich verschwinde schon nicht.“

„Na gut, du weißt es ja sowieso wieder besser!“ Tim schmatzte abschätzig, ballte die Hände und stopfte sie wieder tief in die Hosentaschen. Dann schlenderte er betont langsam zum Haupthaus, in dem sich Küche, Essraum und die Schlafsäle befanden. Tala sah ihrem Freund einen Moment mit gerunzelter Stirn hinterher und überlegte, ob sie besser noch etwas Nettes zu ihm sagen sollte. Immerhin war er tatsächlich ihr einziger Freund und sie mochte ihn gerne, auch wenn er oft ein echter Hasenfuß war.

„Bis morgen!“, brachte sie heraus, doch Tim reagierte nicht. Achselzuckend wandte Tala sich um, lief hinter das Gebäude, schnappte sich einen Blechwagen und stieß die Tür zur Wäschekammer auf. Sie stopfte den Wagen bis zum Rand mit Wäsche voll und machte sich auf den Weg durchs Dorf.

Quietschend rollte der Blechwagen hinter ihr her, die Kreisstraße in südlicher Richtung hinunter. Vorbei an den alten Seemannshütten, die dicht an dicht am Straßenrand kauerten, als wollten sie sich gemeinsam vor dem starken Nordwind schützen, der des Abends vom Meer her durch die Gassen zog. Fahler Kerzenschein flackerte durch die Fenster, die das kleine Waisenmädchen misstrauisch beäugten, wie es da allein durch die Straßen ging. Tala reckte das Kinn vor, machte sich etwas größer und lief schneller durch die wachsende Dunkelheit.

Die Räder holperten über den Kies und ließen den Wagen hin und her schaukeln. An der neuen Straße zum Küstendorf Dunedin bog sie rechts ab und lief an der Dorfkapelle vorbei. Sie vermied es, an die Andacht am Sonnentag, dem siebten Tag der Woche, zu denken. An die feinen Spitzenkleider, die sie am Hals kratzten, und die Zeit, die nicht vergehen wollte, wenn sie mit wunden Knien auf der harten Holzbank ausharrte. Manchmal schaffte Tala es, sich zu drücken, indem sie während der Gebete unter den Bänken und Füßen hindurch nach draußen kroch. Allerdings wurde es immer schmerzhaft, wenn die Aufseherinnen des Waisenhauses sie dabei erwischten.

An der nächsten Kreuzung hielt Tala unschlüssig an: Nach links führte die lange Südwaldstraße weiter durch das Dorf, geradeaus schlängelte sich der Mühlenweg am Mühlenwald entlang bis zum Nutbach.

Dieser Weg war kürzer und würde Tala eine gute Strecke Fußweg ersparen. Allerdings mied sie, wenn möglich, den Mühlenweg in der Dämmerung, denn er führte sie an der ausgebrannten Mühle der Familie Morrison vorbei, die dort vor zehn Jahren bei einem Brand ums Leben gekommen war. Tagsüber trieb sie sich oft bei der Mühle herum, schwamm im aufgestauten Bachlauf bei dem alten Mühlrad oder spielte mit Tim in dem verrußten Haus Verstecken. Doch in der Schwärze der Nacht schienen Schatten aus dem Ruß zu steigen. Tala war tagsüber stets mutig und furchtlos; was sie Tim jedoch nie verraten würde, war, dass sie nach Einbruch der Dunkelheit stets ein mulmiges Gefühl überkam, sobald sie alleine draußen herumstreunte.

Einmal hatte Tala beim Spielen am Bach die Zeit vergessen. Die Sonne war schon untergegangen und die nackten Balken des verbrannten Dachstuhls stachen wie das Gerippe eines toten Tieres unheilvoll in den finsteren Himmel. Da war es ihr plötzlich, als höre sie Schreie aus der Ruine. Jedes einzelne Haar an ihrem Körper hatte sich aufgerichtet und sie war, so schnell ihre Beine sie trugen, zurück zum Waisenhaus gerannt. Seitdem achtete sie peinlich genau auf den Stand der Sonne, wenn sie den Mühlenweg einschlug.

Jetzt blickte Tala die vom Schein der Fenster erleuchtete Südwaldstraße hinunter, dann wieder zu dem düsteren Mühlenweg und biss sich unschlüssig auf die Lippen. Immerhin war es noch nicht stockdunkel, und sie sparte eine gute Strecke Weg, wenn sie am Nutbach entlang zu dem Haus von Mrs. Begetstone ging.

„Ich werde einfach ganz schnell an der alten Mühle vorbeirennen“, sagte sie sich, atmete tief ein und lief los.

Rechterhand aus dem Wald drangen schon jene nächtlichen Geräusche, die die Menschen das Fürchten lehren. Hier und da raschelte es im Unterholz, und der Schrei eines Uhus flog über die Wipfel der Kiefern und Schwarztannen. Noch konnte Tala mit ihren scharfen Augen alle Umrisse um sich herum gut ausmachen, und der Weg selbst wand sich wie ein helles Band durch die Düsternis. Das Rauschen des Nutbaches wurde lauter und lauter, als der Weg einen Bogen beschrieb und das verkohlte Gebälk der ausgebrannten Mühle in Sicht kam. Tala lief schneller und versuchte, nicht zu dem Haus hinüberzusehen. Sie war fast an der Ruine vorbei, da nahm sie aus den Augenwinkeln ein schemenhaftes Flattern wahr. Erschrocken drehte sie sich um und hielt unvermittelt die Luft an: Auf dem mit Ruß überzogenen Mühlentor saß etwas! Tala umfasste den Griff ihres Blechwagens fester. Für einen kurzen Moment schossen ihr Bruchstücke von Bildern durch den Kopf, die sie oft nachts in ihren Albträumen quälten. Doch dann schüttelte sie den Kopf.

„Reiß‘ dich zusammen, Tala!“, flüsterte sie sich zu. „Das dort ist gewiss nur ein wilder Vogel. Der Größe nach vielleicht ein Greifvogel.“ Allerdings erinnerte der Umriss des Schattens eher an einen Raben. Bei Tageslicht wäre sie jetzt neugierig nähergetreten, aber im Zwielicht der einbrechenden Nacht zögerte sie. Was, bei Himmel und Schatten, war das für ein Vogel? Wenn es denn ein Vogel war. Tala hatte jedenfalls das Gefühl, dass das Ding sie beobachtete.

Und plötzlich und ganz und gar unvermittelt leuchteten dort, wo sie den Kopf der unheimlichen Erscheinung vermutete, zwei flammend rote Punkte auf! Eine Gänsehaut wanderte über Talas Rücken bis in ihre Haarspitzen hinauf. Nun legte der Geistervogel oder was immer das war seinen Kopf schief und die roten Punkte bohrten sich tief in Tala hinein. Auf einmal drehte sich alles in ihrer Umgebung in halsbrecherischer Geschwindigkeit um sie herum! Schon glaubte sie taumelnd zu Boden zu fallen, da vernahm sie eine Stimme, tief aus ihrem Inneren: Lauf‘ weg! Mit aller Kraft bäumte sie sich gegen die drohende Ohnmacht, fasste den Blechwagen und brachte ihn auf dem abschüssigen Pfad zum Rollen. Hinter sich hörte sie ein durchdringendes Krächzen, das sich gen Himmel schwang. Und im gleichen Moment war der Schwindel verschwunden.

So schnell wie nie zuvor rannte sie nun am Nutbach entlang in Richtung Südwald. Sie sah sich nicht um und hörte nichts mehr als ihre Lederschuhe auf dem Steinweg und das laute Scheppern des Blechwagens, das die Stille des angrenzenden Waldes auseinanderriss wie ein Waffenklirren den Frieden.

Völlig außer Atem erreichte sie das schiefe Haus von Martha Begetstone. Rasch sah sie hinter sich auf den Weg und zum Himmel hinauf und fürchtete, im nächsten Moment erneut das schaurige Krächzen zu hören. Doch da war nichts. Kein Schatten, der sie verfolgte, keine leuchtenden Augen, die sie aus der Dunkelheit heraus anstarrten.

Tala schob den Blechwagen neben die Haustür und schöpfte Atem. Noch nie hatte sie einen solchen Vogel gesehen, außer vielleicht in ihren Albträumen. Was war das für ein Tier, dessen Augen leuchteten wie glühende Kohlen?

Oder war es am Ende ein ganz gewöhnlicher Rabe gewesen, und ihre Sinne hatten ihr in der Dunkelheit nur einen Streich gespielt?

Erneut spähte Tala den düsteren Weg entlang. Am Himmel blitzten bereits die ersten Sterne, und der Nordwind summte sachte durch den Wald hinter dem Nutbach. Alles war friedlich und ruhig. Tala seufzte. Jedenfalls war sie sich sicher, dass ihr Bedürfnis nach Mutproben fürs Erste gestillt war!

In der Wäscherei, die im Erdgeschoss des Hauses lag, war es bereits dunkel. Das war sonderbar, denn normalerweise arbeitete Martha Begetstone wochentags bis in den Abend hinein. Tala ging ein paar Schritte zurück und sah zu den Fenstern im ersten Stock hinauf.

Das Haus von Mrs. Begetstone war schmal und schief und lag einsam am südlichen Rand des Dorfes. Roter Backstein und wenig kunstvolles Fachwerk hielten es zusammen. Das Holzdach bog sich in einem krummen Winkel dem Himmel entgegen, sodass man stets fürchtete, dass der nächste Windstoß es fortriss.

Tala kniff die Augen zusammen. Dort, am Küchenfenster, flackerte Kerzenschein.

Sie lehnte sich gegen die Haustür und öffnete sie leise.

Im unteren Flur war es stockdunkel. Tala tastete mit den Händen durch die Luft, bis sie das abgegriffene Holzgeländer zu fassen bekam. Eben wollte sie die Stufen hinaufeilen, als sie plötzlich leise Stimmen hörte. Tala spürte, wie ihr Herz wieder anfing zu klopfen. Martha Begetstone bekam nie Besuch, und nach Einbruch der Dunkelheit gab auch niemand aus dem Dorf hier seine Wäsche ab.

Die alten Holzstufen protestierten ächzend unter Talas Gewicht, als sie leise die Treppe hinaufschlich. Sie hielt bei jedem Schritt die Luft an, und ihre Augen starrten Löcher in die Dunkelheit, während sie sich immer weiter vorantastete.

Jetzt waren die Stimmen besser zu hören: Ein Mann sprach leise und eindringlich, zwischendurch vernahm Tala auch Mrs. Begetstone. Ihre Antworten waren kurz und knapp, und die Stimme der älteren Frau hörte sich seltsam verändert an.

Tala hatte jetzt das obere Ende der Treppe erreicht. Ein schmaler Lichtstreifen drang aus der angelehnten Küchentür in den Flur.

„Ich weiß, was ich dir angetan habe“, sagte der Mann gerade. „Es tut mir aufrichtig leid. Glaube mir, ich habe es mir nicht ausgesucht! Ich habe dir einen Brief geschrieben in der Hoffnung, er würde dich erreichen.“

„Er ist nie angekommen.“

„Das habe ich befürchtet. Ich konnte nicht früher kommen. Ich habe trotz großer Gefahren diesen Umweg genommen. Ich dürfte im Grunde gar nicht hier sein. Meine Feinde sind sehr mächtig und …“− die Stimme des Mannes verstummte.

„Und?“ Mrs. Begetstone klang alarmiert.

„Wir werden belauscht! Da ist jemand draußen auf der Treppe.“ Und noch ehe Tala reagieren konnte, wurde die Küchentür aufgerissen und ein schlanker, junger Mann mit hellbraunem Haar und weichen Gesichtszügen stand vor ihr. Seine braunen Augen leuchteten wie die eines Rehs kurz vor der Flucht, doch als er erkannte, wen er vor sich hatte, entspannte sich sein Körper und er musterte das kleine Mädchen mit hochgezogenen Augenbrauen. Neben ihm erschienen die hochgesteckten grauen Haare von Mrs. Begetstone im Türrahmen.

„Tala!“, rief sie erleichtert und legte dem jungen Mann begütigend eine Hand auf den Arm. „Das ist Tala. Sie wohnt im Waisenhaus und hilft mir ab und an in der Wäscherei.“ Viele kleine Lachfalten legten sich um den schmalen Mund. „Komm’ herein! Tee ist gemacht und die Suppe steht noch heiß auf dem Herd. Ich habe hohen Besuch.“

Tala schob sich an dem fremden Mann vorbei, setzte sich auf die Küchenbank und Mrs. Begetstone machte sich am Herd zu schaffen. Über ihre langen, dunkelbraunen Röcke hatte sie eine Schürze gebunden und ihre beschmutzte Bluse erzählte von einem langen Arbeitstag. Martha Begetstone war nicht besonders groß, doch sie hielt sich aufrecht und strahlte dadurch eine gewisse Würde aus, die sich auch in ihrem Gesicht spiegelte. Einige wenige Handgriffe und die vermeintliche „Hexe“ hatte dem Waisenmädchen und ihrem ungewöhnlichen Besucher Suppe und Tee auf den hölzernen alten Küchentisch gestellt.

Die Einrichtung der kleinen Küche bestand aus einer Bank, Tisch und Stühlen und einem Ofen, welcher zum Kochen und Backen benutzt wurde. Das Feuer knisterte behaglich und die Holzscheite spuckten und pfiffen, als brenne im Ofen ein Feuerwerk ab.

Tala saß abwartend vor ihrem Teller und musterte den hochgewachsenen Mann. Er trug ein helles Hemd, darüber ein abgetragenes Lederwams, und seine vollen, hellbraunen Haare hingen ihm wirr in die Stirn. Die Anspannung war aus seinem Gesicht gewichen und nun hielt er Tala lächelnd die Hand hin:

„Ich bin Janus.“ Seine Stimme klang klar und freundlich. Zögernd erwiderte Tala den Gruß und kräftig schloss sich Janus’ Hand mit angenehmem Druck um die ihre.

„Janus ist mein Sohn“, sagte Martha und gab Tala einen Löffel für die dampfende Suppe. „Er war lange … − auf Reisen.“ In Talas Magen begann es zu kribbeln. Dann war Mrs. Begetstones Sohn gar nicht tot! Aufgeregt wippte sie mit den Beinen.

„Und wohin bist du verreist?“, fragte sie und biss sich sofort auf die Lippen. Im Waisenhaus schimpften die Aufseherinnen immer mit ihr, wenn sie zu neugierig war. Und wie auf ein Signal hin verschwand das Lächeln auf Janus’ Gesicht. Seine ebenmäßige Haut wurde eine Spur blasser, während er müde und abgekämpft in seine Suppe starrte. Schließlich sah er sie offen an: „Das kann ich dir leider nicht erzählen.“ Er senkte den Kopf.

„Bist du auf der Flucht vor jemandem?“ Tala konnte ihre Neugier nicht beherrschen, die Worte purzelten einfach aus ihr heraus. Wieder biss sie sich auf die Lippen, aber − sie musste Geheimnissen nun einmal immer und unbedingt auf den Grund gehen. Wann immer es irgendwo nach einer Heimlichkeit roch, spürte sie tief in ihrem Innern ein Kribbeln und sie konnte gar nicht anders, als ihre Nase in Dinge zu stecken, die sie eigentlich nichts angingen.

Doch als Janus erneut den Blick hob, erschrak sie: Auf einmal war alle Freundlichkeit aus dem Gesicht des jungen Mannes verschwunden und etwas anderes beherrschte seine Augen: Nackte Angst. Talas Mund fühlte sich auf einmal ganz trocken an. „Du hast keine Ahnung, wie gefährlich deine Worte sind! Also tu’ uns allen und dir selbst einen Gefallen und frag‘ nicht weiter!“

Tala schluckte. Kurz dachte sie an den großen Vogel mit den leuchtenden Augen. War es vielleicht gar kein Zufall, dass sie dem unheimlichen Tier gerade heute begegnet war?

„Bleibst du über Nacht?“, fragte Mrs. Begetstone.

„Ja!“, antworteten Tala und Janus wie aus einem Mund und Martha musste lachen.

„Na, dann werde ich mal den Bratapfelwein aus dem Keller holen. Schließlich haben wir heute etwas zu feiern!“ Mit diesen Worten verließ sie die Küche und Tala hörte sie die knarrenden Treppenstufen hinabsteigen.

„Und du wohnst in dem Waisenhaus?“, fragte Janus und schlug wieder einen versöhnlicheren Ton an.

„Ja“, erwiderte Tala zögernd. „Aber ich mag es dort nicht besonders.“

Die Wahrheit war, dass all die anderen Kinder, außer Tim, Tala seltsam fanden: Entweder streifte sie stundenlang allein durch den Wald, oder sie saß in einer Ecke und malte. Tala malte für ihr Leben gern. In der Schule brachte sie die Lehrer zur Weißglut, weil sie ihre Hefte vollkritzelte, anstatt dem Unterricht zu folgen. Allerdings waren die Bilder, die sie zeichnete, recht sonderbar. Vor ein paar Tagen hatte sie ihre Bettnachbarin zum Weinen gebracht, weil sie ein Blatt mit einem Totenkopf auf deren Bett vergessen hatte. Statt der leeren, dunklen Augenhöhlen hatte Tala ihm zwei lebendige Augäpfel gemalt. Sie wusste selbst nicht, warum sie solche Dinge zeichnete, doch plagten sie ihre Albträume weniger, wenn sie das, was sie nachts sah, zu Papier brachte.

Umgekehrt ließen die anderen Kinder keine Gelegenheit ungenützt, Tala das Leben schwer zu machen. Vor einiger Zeit hatten sie ihr Ameisen ins Bett gesetzt. Das Waisenmädchen war abends müde hineingefallen − und mitten im Einschlafen mit brennender Haut wieder aufgeschreckt.

„Wie alt bist du?“ Janus’ Finger trommelten auf die Tischplatte.

„Elf. Ungefähr. So genau weiß das niemand. Ich bin gefunden worden, als ich sechs oder sieben Monate alt war. Niemand weiß, wer mich ausgesetzt hat.“ Tala gab sich unbeteiligt, als wären ihr die Umstände ihrer Herkunft und das grausame Verhalten ihrer Eltern durchaus egal. „Ich feiere meinen Geburtstag am 12. des Apfelmonats. Weil ich den Polarstern so gerne habe.“

„Na, dann alles Gute nachträglich!“ Janus lächelte und Tala bemerkte erstaunt und dankbar, dass seine Augen dabei nicht diesen bestimmten Ausdruck von Betroffenheit und Mitleid annahmen, den sie bei Erwachsenen in solchen Situationen oft beobachtete – und den sie verabscheute. Denn Tala wollte kein Mitleid.

„Wie lange warst du fort?“ Sie konnte es nicht lassen.

„Acht Jahre, zwei Monatskreise und dreizehn Tage“, antwortete Martha Begetstone, die soeben mit dem Bratapfelwein hereingekommen war. „Aber nun wollen wir trinken!“

Sie stellte drei Gläser auf den Tisch und schenkte ein. Tala bekam nur einen winzigen Schluck Wein, den Mrs. Begetstone mit reichlich Tee und Zucker verdünnte.

„Weißt du noch, Mutter, wie ich mit dreizehn Jahren aus dem Keller Bratapfelwein gestohlen habe?“ Janus’ Augen blitzten vergnügt. „Ich hing die ganze Nacht über der Waschschüssel.“

„Allerdings“, erwiderte Martha lebhaft. „Mich wundert, dass du jemals wieder Geschmack daran gefunden hast!“ Sie hob ihr Glas: „Auf meinen totgeglaubten Sohn! Auf dass er der Gefahr, die ihn bedrängt, entfliehen kann und glücklich wird.“ In ihren Augen blitzten Tränen und das Glas in ihrer Hand zitterte leicht.

„Auf die Freiheit!“, sagte Janus feierlich und die Gläser trafen sich in der Mitte des Tisches.

Die Stimmung wurde ausgelassen. Und obwohl Marthas Augen vom Wein und von der Müdigkeit immer kleiner wurden, trug sie eine Anekdote nach der anderen vor: Wie Janus mit seinem Freund, dem Sohn des Bauern Henderson, auf dessen Pony durch die Dorfkapelle geritten war. Oder wie er mit dem Brotteig seiner Mutter Ball gespielt hatte, bis sich Dreck und Staub darin verfingen, sodass das Brot hinterher zwischen den Zähnen knisterte.

Mehr als einmal musste Tala so sehr lachen, dass sie glucksend unter den Tisch auf den Boden sank. Janus zog sie jedes Mal mit einem kräftigen Ruck auf die Bank zurück, obwohl er selbst nicht weniger lachte.

Alle Schrecken des Abends waren vergessen und in weite Ferne gerückt. Martha Begetstone saß selig auf ihrem Stuhl und strahlte über das ganze Gesicht. Der Abend war schon weit vorangeschritten, als Martha schließlich sagte: „Deine alte Mutter muss ins Bett. Ich breite dir vor dem Ofen ein paar Felle aus, Tala schläft auf dem Dachboden, und ich werde mich in die Stube zurückziehen.“

Mit diesen Worten erhob sie sich, holte Felle, Decken und Kissen aus der Küchenbank und bereitete für Janus ein Bett. Tala stieg bereits die Leiter zum Dachboden hinauf, als Janus sagte:

„Ich werde morgen sehr früh aufbrechen müssen. Es hat mich gefreut, dich kennenzulernen!“

„Mich auch!“, erwiderte sie strahlend. „Komm‘ bald wieder!“

„Wenn es mir möglich ist. “ Janus zwinkerte ihr zu und hob die Hand zum Abschied. „Gute Nacht!“ Tala drückte die Dachluke in der Küchendecke auf und schlüpfte hindurch.

Die Luft im Dachgeschoss war wie immer feucht. Kühl drang die Nacht durch die Ritzen zwischen den Dachziegeln, und der Mondschein bahnte sich seinen Weg durch das kleine Fenster, sodass der Raum schwach erleuchtet war.

Unter der Dachschräge lag sorgfältig ein Laken über frischem Stroh ausgebreitet, neben dem Lager stand eine große Truhe. Tala lächelte. Sie schlief hier viel besser als auf den harten Matten im Schlafsaal des Waisenhauses. Ruhig ging sie zu der Truhe hinüber und zündete die Kerze an, die darauf stand. Sie wollte noch ein wenig die Zeichnungen anschauen, die sie letztes Wochenende hier gemalt hatte und die seitdem auf einer alten Schulbank unter dem Fenster lagen. Diese Schulbank hatte Martha gehört, die als Kind im Haus ihrer Eltern hier auf dem Dachboden gewohnt und gelernt hatte. Nun diente die Bank Tala als Maltisch und Versteck für ihre vielen Zeichnungen.

Sie war noch mit der Kerze beschäftigt, die nicht gleich angehen mochte, als sie mit einem Mal spürte, dass sie nicht alleine war. Langsam drehte Tala sich zur Schulbank um. Das Dachfenster stand offen und zwei leuchtend rote Augen starrten sie aus der Dunkelheit heraus an.

Dort auf der Schulbank saß der Vogel von der alten Mühle! Es war tatsächlich ein Rabe, nur war er bestimmt dreimal so groß wie die, die sich im Winter auf dem Dach des Waisenhauses tummelten. Seine roten Augen durchdrangen den Raum in einem seltsamen Glühen. Tala wich zurück, stolperte und ließ die Kerze fallen. Das Licht erlosch und sie war unter den finsteren Dachbalken im Halbschatten des Mondes gefangen. Sie spürte, wie ein fremdes Bewusstsein nach ihr griff und sich unsichtbare Klauen um ihren Brustkorb legten wie eiserne Ketten. Ihr Mund öffnete sich, aber kein Laut kam heraus. Wieder begann sich die Welt um sie herum zu drehen und sie fiel auf den rauen Holzboden. Die Klauen pressten ihren Körper weiter zusammen und etwas bohrte sich in ihren Kopf. Heftig pochte das Blut in ihren Schläfen und der Schwindel wurde so stark, dass sie glaubte, ins Bodenlose zu stürzen. Sie wollte um Hilfe rufen, aber ihre Stimme schien ihr nicht mehr zu gehorchen. So rief sie verzweifelt in Gedanken: ‚Hilfe! Hilfe!‘

Plötzlich hörte sie ein Poltern auf der Leiter, und im nächsten Moment wurde die Dachluke aufgerissen und das Gesicht von Janus erschien. Blankes Entsetzen schlich sich in seine Augen, als er den Raben erblickte. Mit einem kräftigen Ruck schwang er sich in das Zimmer und spuckte dem Vogel ein Wort entgegen, welches Tala nicht verstand. Schlagartig lösten sich die unsichtbaren Klauen und der Rabe wandte sich zum offenen Fenster. Erst jetzt bemerkte sie, dass er eine ihrer Zeichnungen im Schnabel trug. Erstaunt riss sie den Mund auf, aber da war das große Tier schon mit kräftigem Flügelschlag in die Nacht verschwunden. Janus hastete zum Fenster und zog es schnell zu.

„Meine Zeichnung“, hauchte Tala fast lautlos. Ein seltsames Gefühl hatte sie erfasst.

„Was?“ Janus drehte sich zu ihr um.

„Der Rabe hat eine meiner Zeichnungen mitgenommen.“ Tala starrte Janus mit aufgerissenen Augen an und deutete auf die Schulbank. Martha Begetstones verschollener Sohn sah verwirrt auf die bemalten Seiten hinunter. Plötzlich atmete er keuchend aus, beugte sich vor und sah sich hastig ein Blatt nach dem anderen an. Entsetzt blickte er auf, zog eine Zeichnung heraus und hielt sie ihr hin.

„Wie um Himmels willen kommst du dazu, so etwas zu malen?“ Seine Stimme klang gepresst, und Tala trat mit weichen Knien näher. Auf dem Papyrus sah man ein großes, offenes Auge, welches sie wissend anstarrte. Plötzlich wurde ihr eiskalt und sie begann unkontrolliert zu zittern.

„Ich weiß es nicht“, flüsterte sie hilflos. Und das war die Wahrheit. Eine Wahrheit, die sie wie die Albträume, die sie jede Nacht heimsuchten, bereits ihr ganzes Leben begleitete.

Einen Moment sah Janus sie einfach nur an, unbeweglich, gefangen in der Spannung unausgesprochener Fragen. Doch mit dem nächsten Atemzug kehrte alle Lebendigkeit in den jungen Mann zurück. Mit hektischen Bewegungen sammelte er die Papyrus-Blätter ein, warf sie in den Regeneimer, der neben der Truhe stand, und zündete sie an. Beißend kroch der Rauch aus dem Eimer empor und kratzte Tala im Hals, während sie auf die züngelnden blauroten Flammen starrte. Janus wartete, bis das Papier völlig verbrannt war, dann schaute er auf. „Wir müssen weg von hier. Sofort.“

In der Küche nahm Janus seinen ledernen Rucksack und stopfte alles Essbare hinein, das er finden konnte.

„Was ist das für ein Lärm?“ Mit zerknittertem Gesicht trat Martha Begetstone in den kleinen Raum, ihre grauen Haare zu einem langen Nachtzopf geschlungen.

„Wir müssen fort!“, sprach Janus hastig. „Jeder Augenblick ist kostbar! Sag’ mir, hast du eine warme Jacke für Tala?“

„Tala? Aber warum denn Tala? Du meine Güte, was ist hier los?“ Martha Begetstone starrte ihren Sohn verwirrt an, die Falten in ihrem Gesicht schienen immer tiefer zu werden und sie sah auf einmal sehr alt aus.

Tala stand in der Ecke und verstand nichts von dem, was hier vor sich ging. Ihr Kopf war eigenartig leer. Ihr war zwar klar, dass sie irgendeine Rolle in diesem Geschehen spielte, doch hatte sie nicht die geringste Ahnung, welche. Janus warf dem Mädchen eine Wolljacke zu, die auf der Küchenbank lag, dann wandte er sich zu seiner Mutter und küsste sie auf die schmale Stirn.

„Du bist außer Gefahr, glaube mir. Vielleicht bekommst du Besuch, aber du weißt nichts und das ist deine Rettung! Dir wird nichts geschehen! Ich werde nicht wiederkommen können, doch halte die Augen offen, eines Tages, vielleicht, wirst du Nachricht von mir erhalten.“

Marthas Augen füllten sich mit Tränen. „Janus, in was bist du da hineingeraten? Ich weiß nicht, was ich denken soll.“ Sie zitterte am ganzen Körper. Das erste Mal, seit Tala sie kannte, verlor sie die Fassung.

„Mutter“, Janus nahm Marthas Hände in die seinen, „ich kann dir versichern, dein Sohn kämpft mit ganzer Kraft für die Wahrheit und die Freiheit und alles, was das menschliche Leben lebenswert macht! Aber vielleicht nicht mehr lange, wenn wir nicht sofort fliehen. Der Feind fliegt schnell.“

„Was ist mit Tala? Warum musst du sie mitnehmen?“

Der junge Mann sah das schwarzhaarige, dünne Mädchen an, das immer noch stocksteif neben dem Ofen stand.

„Ich habe nicht die geringste Ahnung, aber mein Instinkt sagt mir, dass sie in großer Gefahr ist. Nach dem, was ich oben gesehen habe … − es kann sein, dass sie nicht wegen mir gekommen sind.“ Die letzten Worte sprach er wie zu sich selbst. Dann wandte er sich zur Tür. „Lebewohl.“

Er nahm Talas Hand und zog sie aus der Küche. Rasch eilten sie die Treppe hinunter. Unten öffnete Janus die Haustür und spähte nach draußen. Auf der Straße, die vom Haus ins Dorf führte, hatte sich Nebel gebildet und das Mondlicht ließ den trüben Dunst silbern bleich erstrahlen. Nichts rührte sich.

„Komm’“, flüsterte Janus. Sie huschten um das Haus herum und überquerten die schmale Brücke, die vom Dorf fort über den Nutbach und in den Südwald hineinführte. Sofort umfing sie der Tannenwald mit schwarzer Finsternis und Janus führte sie eilig vom Weg fort, mitten hinein in den dichten Südwald. Tief hingen die Zweige der Bäume herab und zerkratzten ihre Gesichter.

Tala spürte ihre Beine, als sie immer schneller Fuß vor Fuß setzte. Und sie spürte ihre Hände, wenn sie hinfiel und sich wieder aufrappelte. Aber sie konnte weder nachdenken noch Fragen stellen, während sie sich stolpernd vorankämpfte. Das grauenvolle Gefühl, als der fremdartige Geist des Raben nach ihr gegriffen hatte, trieb sie vorwärts, und in ihrem Kopf formierten sich nur wenige Worte: Weg! Bloß weg von hier!

Ihr Atem ging stoßweise und ihre Kehle brannte. Immer wieder hielt Janus an, horchte kurz, und ging dann zügig und ohne zu Zögern weiter in eine bestimmte Richtung. Es mussten Stunden vergangen sein, seit sie sich ohne Pause durch den tiefen Wald schlugen, als ihr Führer endlich zur Rast anhielt. Sie befanden sich in einer kleinen Senke, und um sie herum standen die Tannen dicht wie eine Mauer.

Erst jetzt bemerkte Tala, dass sie außerstande war, auch nur einen Schritt weiter zu gehen. Sie sank auf die Knie. Da zog Janus eine Decke aus seinem Rucksack und wickelte das Waisenmädchen darin ein. „Wir werden nicht lange verweilen, deswegen schlafe jetzt.“ Der Waldboden war weich mit Tannennadeln gepolstert und die Decke schützte Tala vor der Feuchtigkeit, die aus der Erde kroch. Sie atmete den würzigen Duft von Harz und Moos ein und nahm gerade noch wahr, dass es bereits dämmerte, als sie in einen tiefen, traumlosen Schlaf sank.

Als sie wieder zu sich kam, war es, als tauche sie durch einen dichten Nebel. Sie spürte, wie sie nach oben gezogen wurde, wie die Schatten, die sie umgaben, von ihr wichen. Sonnenstrahlen glitzerten durch ihre schwarzen Wimpern und Tala öffnete langsam die Augen.

Über ihr strahlte ein blauer Himmel und es roch würzig nach getrockneten Tannennadeln. Sie fühlte sich so warm und geborgen, dass sie einen Moment lang liegen blieb, ohne dass ein graues Wölkchen ihre Gedanken trübte. Doch nach und nach fing ihr Verstand wieder an zu arbeiten.

Im nächsten Moment fuhr sie mit einem Ruck auf und die Panik angesichts der überstürzten Flucht in der Nacht stieg ihr wieder die Kehle hoch. Tala wühlte sich aus der warmen Decke und krabbelte die Senke hinauf. Vorsichtig spähte sie über den Rand: Kein Janus, niemand − nichts als Tannen ringsherum.

Plötzlich raschelte es neben ihr und sie fuhr herum. Keine Armlänge von ihr entfernt stand ein Fuchs mit bauschigem, schneeweißem Fell, der sie mit hellwachen Knopfaugen ansah. Eine eisblaue Iris ließ seine Augen leuchten wie einen tiefgefrorenen Fluss in der Morgensonne. Seine zierlichen Ohren waren aufmerksam gespitzt und seine Nasenspitze zuckte witternd. Noch nie hatte Tala einen weißen Fuchs in den Wäldern von East Anglia gesehen! Ehe sie sich jedoch weiter Gedanken darüber machen konnte, stieß der Fuchs seine helle Schnauze in die Luft und verschwand zwischen den Tannenzweigen.

„Gut, dass du wach bist! Wir müssen weiter.“ Janus war aus dem Dickicht des Waldes getreten und Tala bemerkte, dass die letzte Nacht auch in seinem Gesicht Spuren hinterlassen hatte. Dunkle Ringe lagen unter seinen Augen und er wirkte angespannt und unruhig. Tala wollte eben zu einer Frage ansetzen, als Janus ihr mit einem Wink Einhalt gebot.

„Wir müssen dringend miteinander reden, aber nicht ohne gewisse Schutzvorkehrungen“, erklärte Janus. „Setz’ dich vor mich und sei bitte eine Weile still. Ich muss mich konzentrieren.“ Der junge Mann schloss die Augen. Tala beobachtete seine ernste Miene, als sie mit einem Mal das Gefühl überkam, dass der Wald um sie herum trüber wurde, leicht unscharf und seltsam entrückt. Gleichzeitig nahm sie die Farben und Dinge in ihrer unmittelbaren Nähe intensiver wahr: Janus‘ Kleider, sein Gesicht und der Waldboden wirkten irgendwie wahrhaftiger als zuvor.

Dann öffnete Janus die Augen.

„Was ist passiert?“ Verwundert sah Tala sich um. Auch die Geräusche des Waldes klangen plötzlich merkwürdig gedämpft.

„Ein Schutzschild“, antwortete Janus knapp. „Tala, du musst mir gut zuhören! Unser Überleben hängt davon ab, ob du das tust, was ich dir sage. Du musst mir blind vertrauen und ich weiß, dass das nicht leicht ist! Wir werden zur Südküste fliehen und dort ein Schiff nehmen. Wenn uns das gelingt, so hoffe ich, ist das Schlimmste überstanden. Ich weiß, die Ostküste ist viel näher, aber ich fürchte, dort werden sie uns erwarten.“

„Wer sind die?“ Talas Stimme zitterte, als fürchte sie, die Frage allein würde die Schatten der letzten Nacht auferstehen lassen.

„Ich werde dir alles erzählen, alles was du wissen willst, sobald wir in Sicherheit sind. Damit meine ich einen Ort, an den uns niemand folgen kann. Weit weg von dieser Insel und weit weg von dieser Welt. Ich bitte dich, solange musst du dich gedulden! Ich habe eine Nachricht an einen guten Freund geschickt, der zwei stramme Tagesmärsche von hier entfernt wohnt. Wenn wir unentdeckt zu ihm gelangen, sind wir erst einmal sicher und können beratschlagen, wie wir zur Küste kommen. Aber auch dort kann ich dir nur wenig erzählen. Je mehr du weißt, desto wahrscheinlicher ist es, dass unsere Flucht misslingt!“ Janus atmete tief und seufzte. „Ich gebe dir nun eine Aufgabe. Meine Kraft, diesen Schutz aufrechtzuhalten, schwindet. Er erfordert hohe Konzentration und Disziplin, und von deiner Disziplin hängt es nun ab, ob wir überleben! Ich bitte dich, denke auf dem Weg nur an das, was du siehst. Als würdest du einen schönen Spaziergang machen. Beobachte die Blätter, die Vögel, egal was! Denke weder an die Vergangenheit noch an die Zukunft. Und am allerwenigsten an das, was wir gestern Abend erlebt haben!“

„Aber warum? Ich …“, setzte Tala an.

„Weil sie uns sonst finden!“, unterbrach Janus sie hart, und plötzlich konnte Tala in seinen Augen dieselbe Hilflosigkeit erkennen, die sie gefühlt hatte, als der Rabe seine unsichtbaren Klauen auf sie geworfen hatte.

Tala zuckte zurück und überlegte einen Moment. Janus hatte offensichtlich auch Angst! Aber im Gegensatz zu ihr, die keine Ahnung hatte, was hier vor sich ging, wusste er anscheinend ganz genau, was zu tun war. Tala kannte diesen Menschen kaum, aber ihr Instinkt sagte ihr, dass sie ihm vertrauen konnte. Und dieser Instinkt hatte sie noch nie im Stich gelassen. Deshalb nickte sie schließlich. „Ich will es versuchen.“

Die Welt um sie herum wurde wieder scharf und Janus gab ihr ein kleines Stück Brot.

„Kannst du im Gehen essen? Ich fürchte, wir haben uns schon zu lange an einem Ort aufgehalten.“

Tala nickte, nahm das Brot und biss ein großes Stück ab, während Janus die Decke in den Rucksack packte, ihn verschnürte und schulterte.

„Weiter oben ist ein Wildpfad, der nach Süden führt, da kommen wir schneller voran.“

Sie stiegen eine kleine Anhöhe hinauf und stießen schon bald auf den schmalen Pfad. Janus schlug ein rasches Tempo an. Unter seiner braunen Leinenhose, die hier und da mit Lederflicken verstärkt war, verbargen sich lange, durchtrainierte Beine. Seine Stiefel, die ihm bis über die Knöchel gingen, hatten allerdings schon bessere Tage gesehen, denn rechts und links der Sohle franste bereits das Leder aus.

Tala versuchte, in den Fußabdrücken ihres neuen Gefährten zu laufen, aber sie gab es bald auf. Ständig musste sie springen und lief dadurch Gefahr, auf dem unebenen Waldboden umzuknicken. Plötzlich fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte, Janus von dem weißen Fuchs zu erzählen. Schon hatte sie den Mund geöffnet und tief Luft geholt, da erinnerte sie sich an ihre Aufgabe, weder an die Vergangenheit noch an die Zukunft zu denken, und so schloss sie ihre Lippen schnell wieder. Gleich darauf schoss ihr unwillkürlich die Frage durch den Kopf, warum Janus ihr wohl eine solch’ rätselhafte Aufgabe gestellt hatte, und sofort zog ihr Gehirn erneut eine Verbindungslinie zu dem eigenartigen Gefühl, das sie beschlichen hatte, als sie dem schwarzen Raben im Dachstuhl gegenüber gestanden hatte.

Etwas war von dem seltsamen Tier ausgegangen − etwas hatte nach ihr gegriffen! Nach ihrem Geist oder ihrer Seele?

„Nein, nicht, verdammt noch eins!“, fluchte sie. Janus hatte sie gebeten, nicht an die Vergangenheit zu denken, und sie dachte an das Allerschlimmste! Sie reckte ihr Kinn in die Luft. „Ich kann mich zusammenreißen, jawohl!“

Der Wald um sie herum wurde jetzt lichter und immer mehr Laubbäume säumten ihren Weg. Viele verschiedene Vogelstimmen waren zu hören, und je genauer Tala auf die Lieder der Vögel achtete, desto eher schien sie zu verstehen, wovon diese Lieder erzählten. Es war ihr, als wäre von Aufbruch die Rede, vom Wandel der Jahreszeiten und dem kommenden Winter. Eine Reise wurde angekündigt, weit, anstrengend und beschwerlich.

Ganz in den Rhythmus des Laufens versunken, fiel es Tala plötzlich leicht, sich dem Sein zu überlassen und nur das wahrzunehmen, was ihre Sinne ihr vermittelten. Der Duft der Laubbäume und des modrigen Erdbodens. Der Geruch von fauligen Blättern und Pilzen, die sich an Baumrinden klammerten. Und das kratzende Geräusch kleiner Krallen, wenn die Eichhörnchen von Ast zu Ast hüpften.

Ihre Füße schmerzten bereits, doch das Weiterlaufen wurde zur zwingenden Gewohnheit, die den Schmerz übertönte. Irgendwann gab ihr Janus einen Apfel und ein Stück Käse. Er selbst aß nichts, und noch bevor sie den letzten Bissen geschluckt hatte, drängte er sie weiter.

Ihr Weg führte nun stetig bergab und das Licht der Sonne wurde bereits matter, als sie schließlich den Einstieg zu einer schmalen Schlucht erreichten. Deren Felswände schwangen sich rechts und links steil hinauf und waren von Gestrüpp überwuchert, das sich auf den Vorsprüngen drängelte.

„Wir sollten diese Schlucht noch vor Einbruch der Dunkelheit hinter uns lassen. Sollte sich dieser Weg als Falle herausstellen, gibt es keinen Fluchtweg. Falls uns jemand auf den Fersen ist, wird es ein Leichtes sein, uns hier einzukesseln. Bleib’ kurz hier.“ Mit diesen Worten verschwand Janus zwischen Hecken und Büschen, die auch den Eingang in die Schlucht überwucherten.

Lange ließ sich Janus nicht blicken und Talas Unruhe wuchs mit jedem Herzschlag. Die Schlucht sah alles andere als einladend aus, und einmal glaubte sie auch, ein krächzendes Geräusch über sich zu hören. Erschrocken starrte sie in den bereits dunkler werdenden Himmel, aber dort war nichts zu sehen außer den Zweigen und Ästen der Bäume, die sich im auffrischenden Abendwind hin und her wiegten.

Die Bäume des Laubwaldes um sie herum, der am Tage noch einladend und freundlich ausgesehen hatte, wirkten in der zunehmenden Dunkelheit immer fremder. Die Stämme schienen gleich einer unsichtbaren Mauer zusammenzurücken, als streife hier des Nachts ein anderer Geist umher. Tagsüber als Besucher geduldet, schienen Menschen in der Dunkelheit unerwünscht, und Tala erinnerte sich schaudernd an all die Geschichten über die Geister des Südwaldes, die in hohlen Bäumen und unter knorrigen Baumwurzeln ihr Unwesen trieben.

Plötzlich raschelte es vor ihr im Unterholz, doch zu Talas großer Erleichterung war es nur Janus, der kurz darauf aus den Schatten hervortrat. Sein hellbraunes Haar war zerzaust und es hingen einzelne Dornenranken und Blätter darin.

„Es gibt keine andere Möglichkeit, als durch die Schlucht zu gehen. Überall sind hohe Felsen und undurchdringliches Gestrüpp. Hoffentlich ist der Grund der Schlucht leichter begehbar“, murmelte er, und so kletterten sie über die schroffen Felsen in die schmale Schlucht hinab. Wie für sie geschaffen, schlängelte sich ein Weg am Grund der steilen Felswände entlang. Nur ab und zu mussten sie über herabgestürzte Steine klettern, und das verschaffte Talas Beinen, die mit jedem Schritt schwerer wurden, eine willkommene Abwechslung.

Die hereinbrechende Nacht machte aus den Felsen, die sich zu beiden Seiten höher und höher türmten, ein Bollwerk, das einer überirdischen Burg glich. Und obwohl sie sich schon eine ganze Weile den schmalen Pfad entlang kämpften, war das Ende der Schlucht noch immer nicht in Sicht. Die Steinriesen links und rechts hatten etwas Erdrückendes und bei dem Gedanken, sie müssten die Nacht hier unten verbringen, fühlte Tala, wie sich wieder die fesselnden Klauen um ihren Brustkorb legten, die ihr das Atmen schwer machten.

Plötzlich hörten sie einen Schrei − das kalte Krächzen, das Tala nun schon allzu gut kannte, hallte zwischen den Steinwänden wider! Blitzschnell duckte sich Janus, wobei er Tala mit sich zog. Dann sah er sich hastig um, aber es gab hier weder eine Höhle, noch ein anderes gutes Versteck. Wieder ertönte ein langgezogenes Krächzen, diesmal klang der heisere Rabengesang wie ein Ruf, wie ein Signal!

„Lauf‘!“, rief Janus und sprang auf. Alle Müdigkeit war aus Talas Gliedern gewichen und sie rannte los, als gäbe es kein Morgen. Noch konnte sie den Weg vor sich gut erkennen. Nur einmal zuckte ein Schmerz durch ihren ganzen Körper, als sie einen vorstehenden Felsen übersah und sich daran das Knie aufschrammte. Ihr Atem ging stoßweise, doch die Erinnerung an das Krächzen über ihnen ließ sie blindlings weiterlaufen. Immer wieder meinte sie, einen schwarzen Schatten am Himmel zu sehen, der sie verfolgte, doch sie musste sich auf die Felsen und den steinigen Weg konzentrieren.

Weiter rannten sie, bis sie im letzten Licht des Tages und völlig außer Atem den Ausgang der Schlucht erreichten. Die Felsen endeten abrupt und gaben den Blick auf eine Graslandschaft frei, die von dunklen Bauminseln durchbrochen war. Im Schutz der Dämmerung liefen sie von Baumgruppe zu Baumgruppe, duckten sich an niedrigen Büschen entlang, immer wieder hinter und über sich spähend. Talas Kehle brannte und ihre Muskeln zitterten so, dass sie fürchtete, ihre Beine könnten sie jeden Moment im Stich lassen.

Es war bereits stockdunkel und die Schlucht lag weit zurück, als Janus endlich inmitten einer der vielen Bauminseln haltmachte. Erschöpft ließ sich Tala auf die Erde fallen. Janus sog die Luft durch die Nase, als würde er etwas wittern. Dann entspannten sich seine Züge, er kramte in seinem Rucksack und gab Tala etwas in die Hand, was sich wie ein kleines Stück getrocknetes Obst anfühlte, vielleicht etwas härter.

„Was ist das?“, fragte Tala müde.

„Das ist ein wahres Wundermittel. Eine besondere Baumwurzel, die wir ‚Bangyu‘ nennen. Sie sättigt, gibt Kraft für den nächsten Tag und − das Wichtigste für uns: Du träumst nicht.“

„Ich träume nicht? Warum soll ich nicht …?“

„Deine Träume könnten die Greifer auf unsere Fährte locken“, erklärte Janus angespannt. „Und ich habe nicht mehr die Kraft, ein weiteres Mal zu flüchten. Das Beste ist wirklich, wenn du jetzt schläfst.“

Tala betrachtete kopfschüttelnd das ‚Wundermittel‘. Was hatte das alles zu bedeuten? Aber auch sie hatte keine Kraft mehr, ein weiteres Mal zu flüchten, und so steckte sie die Wurzel in den Mund und kaute darauf herum. Sie schmeckte holzig und leicht süß. Ein wohliger Schauer durchdrang Talas Körper und ihre Muskeln entspannten sich. Sie sah noch, wie Janus sich gegen den nächsten Stamm lehnte und wachsam in die Nacht hinaus horchte. Dann holte der Schlaf sie zu sich und sie glitt sanft in ein traumloses Nichts hinüber.

2

„Sie sind spät dran − spät, spät. Wollen wir mal schauen, wie es da oben aussieht.“ Themistoklis Chrisovalandis sprach nach seiner Gewohnheit leise mit sich selbst und zog an einem Metalldraht, welcher rechts aus dem Rohr seines Polemoskops herausragte. Ungefähr sechsundzwanzig Fuß über ihm öffneten sich daraufhin im Stamm einer alten Hainbuche vier Gucklöcher, die nach den vier Himmelsrichtungen ausgerichtet waren, und gaben die Sicht auf die Erdoberfläche frei. Der ältere Mann raufte sein weißes Haar, welches nach allen Seiten abstand, als hätte ein Blitz in seinen Kopf eingeschlagen. Zweimal fiel ihm sein Monokel aus den Augenfalten, als er an dem metallenen Feinregler drehte, um seine Sicht auf die Umgebung über seiner Erdbehausung scharf zu stellen.

Jedes Mal, wenn das feingeschliffene Augenglas herunterfiel, stieß er einen kurzen Schimpflaut aus, räusperte sich und klemmte es ungelenk wieder vor das linke Auge. Als die Sehhilfe endlich saß, wandte er sich dem runden Beobachtungsloch am unteren Ende seines Polemoskops zu.

Es war stürmisch auf der Erdoberfläche, doch die Sonne strahlte und die klare Luft verschaffte ihm gute Sicht. Im Norden entfaltete sich eine weite Graslandschaft, das saftige Grün wogte auf und ab, während östlich des Hügels, unter dem seine Behausung lag, ein Schwarm Vögel in spielerischem Übermut seine Kreise zog. Der Wind riss an den Zweigen der Büsche am südlichen Ende des grasbewachsenen Hanges, und im Westen stemmte sich eine kleine Gruppe von Bäumen gemeinsam gegen den Sturm. Ansonsten war nichts zu sehen − rein gar nichts!

Themistoklis seufzte und kratzte sich an der knubbeligen Nase, die mit dem zunehmenden Alter ihres Besitzers immer größer und länger geworden war, vielleicht, weil er sie über die Jahre immer tiefer in die Bücher und Schriften gesteckt hatte, die den Wissenschaftler in seiner unterirdischen Behausung in großer Zahl umgaben.

Erneut zog er an dem Metalldraht und die Gucklöcher oben in der Hainbuche wurden mithilfe stabiler Holzblättchen verschlossen. Der Forscher ließ das untere Rohrende des Polemoskops nach oben in die Steindecke seiner Höhle gleiten und sah auf seine Uhren, die in schier unendlicher Reihe entlang der Wände in Glasvitrinen und Regalen aufgestellt waren. In einer Felsnische plätscherten alte Wasseruhren, während in einem kleinen Gewölbe daneben Sanduhren in allen Größen und Formen lautlos vor sich hin rieselten. Seine kostbare Sammlung bestand aus antiken Schattenuhren, Eisenuhren, Pendeluhren bis hin zu astronomischen Sternen-, Quecksilber- und atmosphärischen Uhren. Ja, sogar Feueruhren glänzten auf den Holzregalen, welche an den dunkelgrün leuchtenden Felswänden des rundlichen Raumes angebracht waren. Außerdem hatte der Wissenschaftler eine besondere Vorliebe für fantasievolle Eigenkreationen, das waren hochkomplizierte mechanische Zeitmesser mit schwer lesbaren Ziffernblättern, die wenig alltagstauglichen Zwecken dienten. Erhellt wurde das unterirdische Wohn- und Arbeitszimmer von hellorange strahlenden Steinen, die in die Felsdecke eingelassen waren und aus sich selbst heraus leuchteten, Tag und Nacht.

Jetzt trat Themistoklis an seinen großen Schreibtisch und wühlte in seinen Büchern und Pergamentschriften herum, wobei er die dampfende Teekanne umstieß, deren Inhalt sich daraufhin mit herbem Geruch über die kostbaren Schriften ausbreitete.

„Beim heiligen Hippopotamus!“ Mit hastigen Bewegungen zog der Zeitwissenschaftler ein staubiges Tuch von einem Gegenstand, der sich als goldener Globus entpuppte, und tupfte damit auf den Papieren und Buchseiten herum.

Plötzlich drang ein dumpfer Klang durch den Raum und Themistoklis fuhr zusammen. Derart selten ertönte die alte Euphonglocke, dass er zuerst völlig verwirrt in deren Richtung starrte. Schließlich setzte er sich mit einem Ruck in Bewegung.

„Ach ja! Na endlich! Das wurde aber auch Zeit“, murmelte er und eilte an das andere Ende des Raumes zu einem Sprachrohr aus Horn, das rechts neben einer ovalen Holztür in der Steinwand verschwand.

„Vinur 'Ologinn Selas Tûrn?“, sprach er langsam und deutlich in das Rohr, drehte den Kopf und horchte. Dumpf hallte ihm die Antwort entgegen: „Sannur vinur Janus Nj'osnari.“

Geschwind richtete Themistoklis sich auf und betätigte einen riesigen Hebel. Die ovale Tür rollte zur Seite und gab den Blick auf eine Wendeltreppe aus roh bearbeiteten Steinstufen frei. Feucht und erdig roch die Luft in diesem Treppengang, welcher eng und überwuchert von dicken Wurzeln nach oben an die Erdoberfläche führte.

Themistoklis nahm eine Steinlaterne von der Wand und leuchtete ins Dunkel. Zuerst hörte er nur dumpfe Schritte auf der Steintreppe, dann die helle, fragende Stimme eines Kindes und schließlich tauchten die Gesichter eines jungen Mannes und eines Mädchens von etwa elf Jahren im hellorangenen Schein der Laterne auf. Die Kleider der beiden waren dreckig und teilweise zerrissen, und die beiden Ankömmlinge wirkten sichtlich erschöpft. Dennoch überflog ein erleichtertes Lächeln das Gesicht des Einsiedlers. „Janus, mein Freund! Sei gegrüßt! Ich hatte Angst, euch sei etwas zugestoßen! Meinen Berechnungen zufolge hättet ihr − in Berücksichtigung der Meilen von Kesgrave hierher, dem Höhenunterschied, der geologischen Beschaffenheit eures Weges sowie eurer körperlichen und psychischen Krafteinteilung − schon vor sechs und dreiviertel Sonnenstunden hier sein sollen!“

Janus kam mit offenen Armen auf den verlegen lächelnden Mann zu und drückte ihn an sich.

„Es tut gut, dich zu sehen, Themistos. Wir waren in großer Gefahr und mussten einige Haken schlagen, um den Feind abzuhängen. Wie erleichtert bin ich, mich hier bei dir von der Erde verschlucken zu lassen! Meine Kraft ging mir aus, und zwar in jeglicher Hinsicht.“

Mit müden Augen sah Janus seinen alten Freund an. Erst jetzt bemerkte Themistoklis die dunklen Augenringe und die Sorgenfalten auf der Stirn seines sonst so ausdauernden jungen Freundes.

„Du meine Güte, du bist erwachsen geworden, mein Junge“, meinte Themistoklis nachdenklich. „Reifer und ernsthafter! Doch sicherlich bist du durch große Gefahren gegangen seit unserem letzten Treffen. Wie lange ist es her? Bestimmt eineinhalb Sonnenjahre! Aber ich bin außerordentlich unhöflich. Ich plaudere mit dir und vergesse ganz, mich deiner Begleiterin vorzustellen.“ Er neigte sich zu dem dunkelhaarigen Mädchen hinab, das gleichzeitig den sonderlichen Mann und den von Minerallicht erhellten Höhlenraum neugierig begutachtete.

„Themistoklis Chrisovalandis mein Name, aber du kannst mich Themistos nennen. Ich bin ein Freund von Janus und zudem selbsternannter Zeitwissenschaftler, wie du hier siehst.“ Er deutete auf die vielen Uhren, die sich überall in dem unterirdischen Zimmer aneinanderreihten. „Und du bist?“

„Tala, einfach nur Tala“, erwiderte das Mädchen. Vorsichtig trat sie ein paar Schritte in den Raum hinein und sah sich mit großen Augen um.

„Ja, kommt herein! Nur herein mit euch! Hier ist es warm und sicher. Tee ist …− ach nein, ich …− wartet einen Moment. Ich werde eben einen Tee kochen, und etwas zu essen wird sich auch finden lassen. Ich habe eine reich gefüllte Vorratskammer; ich gehe selten aus.“

Bei diesen Worten zwinkerte Themistos Tala zu und deutete auf drei lederne Ohrensessel, die um einen kleinen runden Holztisch gruppiert waren. Während Tala und Janus Platz nahmen, eilte der ältere Mann erstaunlich flink durch den großen Raum und verschwand um eine Ecke. Kurz darauf hörten sie das Klappern von Geschirr, das Scheppern von Metall und ein pfeifendes Geräusch.

Tala sah sich um. Der Höhlenraum, in dem sie sich befanden, war weder rund noch eckig und gerade so beschaffen, dass man sich weder verloren noch eingeengt fühlte. Das unterirdische Gemach bildete einen leicht abgerundeten Quader, der zur Eingangstür hin schmaler wurde. Rechts und links neben der Tür aus massiver Eiche hingen seltsame Konstruktionen von der Decke: Große Holzkästen mit einem Metallgitter als Boden und zwei sich drehende Windräder.

Die stark abgenutzten Sessel, auf denen sie saßen, dufteten herrlich nach altem Leder. Sie standen in der Mitte des Raumes neben einer Wand voller Bücherregale, wo sich große Bücher mit vergilbten Einbänden an kleine Hefte und übereinandergestapelte Pergamentrollen drängten. Den Lesesesseln gegenüber, an der anderen Wand, stand ein schwerer Schreibtisch aus dunklem Holz. Tala konnte von ihrem Platz aus die Holzwurmlöcher erkennen, die fleißige Holzfresser im Lauf der Zeit in das Schmuckstück genagt hatten. Auch auf dem Schreibtisch stapelten sich Bücher und alte Pergamente, außerdem glänzten dort ein goldener Globus der Erdenwelt und einige Instrumente, wie sie Tala noch nie zuvor gesehen hatte.

Der Schreibtisch war umringt von Regalen und Glasvitrinen voller großer, kleiner, goldener, silberner und verrosteter Uhren. Manche besaßen seltsam verschobene Ziffernblätter und sonderbare Zeichen anstelle von Zahlen.

Den Steinfußboden bedeckten Teppiche in allen möglichen Mustern und Farben, und an den Wänden, sofern sie nicht schon mit Regalen oder Büchern vollgestopft waren, hingen Landkarten von Meeren und Ländern, von denen Tala bisher nicht einmal gewusst hatte, dass es sie gab.

Eine dieser Weltkarten, die über dem Schreibtisch hing, erregte ihre Aufmerksamkeit: Es war eine handgezeichnete Karte von einer Weltkugel, die fast über und über mit Eis bedeckt war. Auf der weiß gefärbten Fläche stand das Wort ‚Eismantel‘ geschrieben. Diese Fläche öffnete sich nur auf dem südlichen Drittel der Kugel zu einem Meer und einem Stück Land, das aussah wie eine Insel oder ein kleiner Kontinent.

Stirnrunzelnd betrachtete Tala die merkwürdige Karte und wollte eben Janus danach fragen, als Themistos mit einem Tablett aus der Felsspalte trat, in der er zuvor verschwunden war, und die allem Anschein nach in die Küche dieser ungewöhnlichen Behausung führte. Der Wissenschaftler kam mit schnellen kleinen Schritten zu ihnen herüber, wobei seine hellen, milchig blauen Augen besorgt auf das Silbertablett starrten, als fürchtete er, die Tassen könnten von selbst auf den Boden springen.

Themistos trug eine dunkelblaue Samthose, die ihm deutlich zu groß war, ein grün kariertes Hemd und ein rotes Samtjackett. Er war einen ganzen Kopf kleiner als Janus und wirkte erstaunlich agil, wenn auch etwas zerstreut. Schnell eilte Janus ihm entgegen und nahm ihm das Tablett ab.

„Danke, mein Junge.“ Themistos ließ sich in einem der Ohrensessel nieder. „Ich merke langsam das Alter. Meine Ungeschicklichkeit nimmt mit jedem Jahr zu.“

„Nicht doch, Themistos. Ich würde sagen, du bist im besten Alter.“ Janus lächelte verschmitzt und füllte die Tassen. „Wie geht es dir? Du bist sehr einsam hier unten.“

„Ach ja, man gewöhnt sich, man gewöhnt sich“, erwiderte Themistoklis und raufte sein Haar. „Nach beinahe vierzig Jahrkreisen hält man sich selbst schon aus. Ich habe meine Arbeit, und die wird nicht weniger! Einmal im Monat fahre ich mit meinem Aeolipilos auf den Markt von Nionville.“ Als er Talas verwirrten Blick sah, fügte er hinzu: „Ein Aeolipilos ist ein selbst entwickeltes Automobilis, aber mit Wasserdampf betrieben. Ich verkaufe an der Südküste meine Uhren und treffe auf dem Markt ein paar flüchtige Bekannte. Sie glauben, dass ich in einer Hütte im Wolktal wohne, dass ich Gustavsson heiße und ein einfacher Uhrmacher bin; aber keiner von ihnen ahnt, wie und wo ich wirklich lebe. Nur äußerst selten bekomme ich Besuch von Nj’osnari wie dir.“ Lächelnd nickte er Janus zu, während Tala die beiden Männer verständnislos anstarrte.

„Was ist ein Nj’osnari?“, fragte sie. Es fiel ihr schwer, das fremde Wort auszusprechen.

„Ein Spion“, antwortete Themistos ruhig.

„Spion?“, rief Tala und richtete sich neugierig auf.

„Bitte Themistos, sie sollte nicht zu viel erfahren“, fiel Janus schnell ein. „Nicht, bevor wir auf einem Schiff weit draußen auf dem Meer sind, oder noch besser: Durch das Tor und außer Reichweite des Feindes. Es ist viel zu gefährlich − sie beherrscht nicht ein einziges der geistigen Prinzipien.“

„Tut sie nicht?“ Themistos zog seine buschigen weißen Brauen hoch. „Wie, beim heiligen Hippopotamus, habt ihr es dann bis hierher geschafft?“

„Ich würde sagen, wir hatten eine große Portion Glück, gewürzt mit ein paar Stücken Bangyu und der Disziplin und Ausdauer meiner kleinen neuen Begleiterin hier“, er lächelte Tala zu. „Aber ich fürchte, der weitaus längere Weg liegt noch vor uns.“ Erschöpft rieb sich Janus die Stirn.

„Nun“, entgegnete Themistos und seine blassblauen Augen blitzen vergnügt, „zumindest in diesem Punkt habe ich eine gute Nachricht für euch!“ Janus hob fragend den Kopf und der alte Herr nickte.

„Du weißt doch, dass ich seit nunmehr zwei Jahrzyklen an einem bestimmten Projekt arbeite. Nun, diese Arbeit ist abgeschlossen und das Resultat wartet darauf, in Betrieb genommen zu werden.“

„Du meinst …?“ Janus sah den alten Wissenschaftler mit großen Augen an.

„Jawohl! Es ist fertig, und so was von fertig! Es wird uns sicher durch das Meer bis Dalarna bringen. Das ist eine lange Strecke Weg, auf der sie euch nicht aufspüren können!“ Themistos strahlte über das ganze Gesicht, seine Augenbrauen hüpften auf und ab und er sah plötzlich viel jünger aus.

„Was ist das für ein Projekt?“, fragte Tala und spürte, wie die Neugierde eine Horde von Krabbeltieren durch ihren Bauch schickte, sodass sie kaum noch stillsitzen konnte. Gleichzeitig stieg eine unbändige Wut in ihr hoch, denn sie fühlte sich zunehmend ausgeschlossen, wie all die Jahre im Waisenhaus!

So brodelte langsam, aber sicher eine Mischung aus ungezügeltem Wissensdurst und tiefsitzendem Groll in ihrer Kehle nach oben, die dringend an die Luft wollte.

„Du sagtest, hier sind wir sicher, Janus! Wovor?“ Ihre helle Stimme drang laut durch den unterirdischen Höhlenraum. „Wohin fliehen wir? Warum erzählt ihr mir nichts? Warum darf ich nichts wissen? Bei Himmel und Schatten!“ Die Fäuste geballt, sprang Tala vom Sessel auf, wobei sie gegen den Holztisch stieß, sodass sich der Tee wie ein kleiner Wasserfall auf den