Talente - Karl Scheffler - E-Book

Talente E-Book

Karl Scheffler

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Beschreibung

In 'Talente' von Karl Scheffler wird die Geschichte eines jungen Künstlers namens Sebastian erzählt, der in der pulsierenden Kunstszene Berlins nach seinem Platz sucht. Das Buch ist in einem klaren, präzisen Stil verfasst, der die Leser in die Welt der Künstler und ihre Kämpfe eintauchen lässt. Karl Scheffler präsentiert eine realistische Darstellung von Sebastian's inneren Konflikten und den Herausforderungen, denen er gegenübersteht, während er versucht, sein kreatives Talent zu entfalten. Der Roman bietet einen Einblick in die Kunstszene Berlins zu Beginn des 20. Jahrhunderts und beleuchtet die Themen Identität, Erfolg und die Suche nach Anerkennung.

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Karl Scheffler

Talente

Die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts
 
EAN 8596547731788
DigiCat, 2023 Contact: [email protected]

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur dritten Auflage
Das Talent
Qualität und Gesinnung
Max Liebermann
Hans Thoma
Adolf von Hildebrand
Max Klinger
Louis Corinth
Graf Leopold von Kalckreuth
Max Slevogt
Ernst Barlach
Waldemar Rösler
Hans Meid
Der moderne Kolorismus
Hans Purrmann
Rudolf Großmann
Ernst Ludwig Kirchner
Max Pechstein
Erich Heckel
Oskar Kokoschka
Karl Walser
Ferdinand Hodler
Edvard Munch
Julius Pascin

Vorwort zur dritten Auflage

Inhaltsverzeichnis

Die neue Auflage ist wieder stark verändert worden. Im wesentlichen sind es Erweiterungen. Ein Aufsatz (über Max Beckmann) ist weggeblieben; hinzugekommen sind sowohl Aufsätze über Hans Purrmann, E. L. Kirchner und Oskar Kokoschka, wie auch zwei Abhandlungen grundsätzlicher Natur über »Qualität und Gesinnung« und über den »Modernen Kolorismus«. Der Text der andern Aufsätze ist durchgearbeitet und zum Teil ergänzt worden.

Es ist nicht Zufall, daß dieses Buch von Auflage zu Auflage Veränderungen erfährt. Charakteristiken von Künstlern, die noch leben oder eben gestorben sind, die zum Teil erst seit einem Jahrzehnt in der Öffentlichkeit stehen, können nicht wohl endgültig sein. Die Wertung schwankt naturgemäß, und es ist das beste, dem vertrauenden Leser offen zu zeigen, wie sie bemüht ist, sich endgültig zu orientieren.

Die Länge oder Kürze der einzelnen Abhandlungen darf nicht zu der Meinung verführen, es solle damit ein Grad der Schätzung ausgedrückt werden. Diese Arbeiten sind zuerst in der Zeitschrift »Kunst und Künstler« erschienen, der Umfang ist in den meisten Fällen von redaktionellen Bedürfnissen diktiert worden. Auch stehen die Aufsätze nicht in einem festen Verhältnis zueinander. Es mag vorkommen, daß von einem bedeutenden Künstler scheinbar kälter gesprochen wird, als von einem weniger Begabten. Wer genau zusieht, wird aber finden, daß der größere Künstler dann wie selbstverständlich vor den Hintergrund einiger Jahrhunderte gestellt worden ist, während der kleinere nur vor dem Hintergrund einiger Jahrzehnte steht. Ein gerechter historischer Ausgleich ist nicht versucht worden, das Bedürfnis und die Empfindung der Stunde hat nicht selten den Ton temperiert; dafür ist eine innere Einheitlichkeit erstrebt und wie ich glaube auch erreicht worden. Nur bleibt diese Einheitlichkeit in mancher Beziehung latent. Sie ergibt sich aus dem unerschütterlichen Streben, Klarheit zu gewinnen über die vielfältigen und scheinbar widerspruchsvollen Äußerungen des modernen Talents, sie beruht auf der Einheitlichkeit der Persönlichkeit. Endlich darf auch der Umstand, ob ein Künstler überhaupt in diesem Buch aufgenommen worden ist, keineswegs als eine Tat kritischer Berechnung aufgefaßt werden. Das Buch soll in keiner Weise eine Rangliste sein.

Es besteht die Absicht, in absehbarer Zeit einen zweiten Band mit ähnlichen Charakteristiken moderner Künstler folgen zu lassen.

Sommer 1921 Karl Scheffler

Das Talent

Inhaltsverzeichnis

Keiner weiß, woher es kommt und wie es entsteht. Es ist plötzlich da, es überrascht durch eine vorher gar nicht vorstellbare Originalität, und es dauert nicht lange, so kann man es sich nicht mehr wegdenken: es scheint notwendig zu sein im Haushalt des Lebens. Tritt es hervor, so sieht es wie das Produkt einer zufälligen Kräftemischung aus; ist es aber da, so wirkt es wie vorgedacht und vorgewollt. Dann ist es, als verwirkliche es allgemeine Instinkte, als würden in ihm Triebe und Ahnungen vieler bewußt und aktiv, als sei es ein absichtsvoll gezeugtes Sonntagskind der Nation. Jedes echte Talent hat beides: das Einmalige, Einziggeartete und auch das Allgemeingültige; ein jedes ist darum wie ein kleines Wunder, das in Erstaunen setzt. Man tut auch am besten, es als ein solches hinzunehmen, denn man tut ihm Unrecht, wenn man ihm Vorschriften macht und ihm eine bestimmte zweckvolle Rolle im sozialen Leben anweist. Das Talent ist nie zweckmäßig im gemeinen Sinn, es ist zweckmäßig nur in einer vorher nicht zu berechnenden und ganz übertragenen Weise. Darum bleibt der Kern seines Wesens der Analyse, der Kritik unzugänglich. Ewig dunkel bleibt dem untersuchenden Verstand die Tatsache, wie es möglich wird, daß eine Kraft da ist, die aus sich heraus Neues gestaltet, Dinge gestaltet, die den Schein einer schönen Notwendigkeit haben, so daß Gott sich des Umwegs über das Talent, des Werkzeugs des Talents zu bedienen scheint, um die Schöpfung nach der Seite des geistig Sinnlichen zu erweitern. Ein Punkt ist es, an dem der Verstand immer wieder abprallt: wie es kommt, daß Eindrücke und Empfindungen, die alle Menschen haben oder doch haben könnten, im Talent sich in konkrete Formen verwandeln, in Formen, die die merkwürdige Fähigkeit haben, sich mit zwingender Kraft im Betrachter rückwärts wieder in Eindrücke und Empfindungen zu verwandeln. Unbegreiflich bleibt es, kraft welcher Eigenschaft Maler und Bildhauer, indem sie die äußere Natur nachahmen, zugleich ihr inneres Erlebnis gestalten und wie sie, indem sie ihr Inneres wie mit einer Handschrift darlegen, zugleich die ganze sichtbare Natur in diese Handschrift hineinzuziehen vermögen. Rätselhaft ist diese fortgesetzte Verwandlung von Objekt und Subjekt, so daß das eine immer für das andere da zu sein scheint. Und rätselhaft ist es auch, daß dieses alles ebensosehr ein Müssen, ein nicht anders Können, wie ein Wollen ist. Es ist, als sei ein leiser Wahnsinn am Werke, eine scheinbar durch nichts hervorgerufene und gerechtfertigte Exaltation; aber das Resultat sind Werke, die jeden einzelnen irgendwie über sich selbst aufklären, die nach irgendeiner Seite ein Fenster oder Fensterchen ins Gebäude unserer Weltanschauung brechen.

Deutlicher zu begreifen ist das Talent nur von seiten seiner Beschränkungen. Denn von dem Augenblick an, wo es ins Leben tritt, ist es ja konkreten Mächten auch eng verbunden. Diese beeinflussenden Kräfte können erkannt werden, nicht aber die Urkraft, von der das Talent den Antrieb und die Gestaltungsmöglichkeit empfängt. Von dieser kann eigentlich, wie von allem Göttlichen, nur »mittels der Analogie« gesprochen werden.

In erster Linie ist die geheimnisvolle, die selbst ihrem Träger geheimnisvolle Talentkraft der physischen Organisation unterworfen. Damit wird sie abhängig von der Abstammung, von der Ahnenreihe, der Familie, der Konstitution, kurz von allem Physischen. Sodann ist das an ein bedingtes Individuum gebundene Talent abhängig von der Eigenart des Volkes, worin es wächst, von nationalen Charakterzügen und Stammesmerkmalen. Und es muß in der Folge auch die Geschichte von großem Einfluß werden. Es wird das Talent vom ersten Tage an erzogen von einer bestimmten Tradition, es wächst heran in der Lehre aller der Künstler, die vorher da waren, es wird während der Handwerkslehre, ohne sich dem entziehen zu können, aufgenommen in die Entwicklungsreihen der Geschichte, und es wird ihm von vornherein so ein Platz angewiesen. Das an sich einmalige Talent wird dadurch zum Glied einer langen Kette, zum Angehörigen einer großen, die Jahrhunderte durchwandelnden Künstlerfamilie. Daneben wirkt aber auch der Geist der Zeit, der Gegenwart auf das Talent absichtsvoll und programmatisch ein. Er macht es abhängig von der Sitte, von der Kultur und Zivilisation der Zeit, sogar von der Mode, er bringt es in Wechselwirkung mit dem Sozialen und Wirtschaftlichen, spornt es zu etwas Neuem an, macht es revolutionär und sucht fortgesetzt auch zum Sensationellen zu verführen. Und endlich wird das Talent beeinflußt von der inneren Struktur des Individuums. Es liegt entweder mit dem Seelischen im Streit oder verbündet sich ihm. Es wird ebensowohl getrieben wie abgelenkt durch einen festen Willen, durch Entsagungsfreudigkeit und Intelligenz, durch Selbstliebe, Egoismus, Eitelkeit, Lust am Erfolg und am Wohlleben oder durch natürliche Trägheit. Und es geht dabei so wunderlich, daß menschliche Schwächen ein Talent ebenso fördern können wie sie es zu schädigen vermögen.

Nach diesen Seiten läßt sich beim aufmerksamen Betrachten vieles erkennen; dem Wesentlichen der Gestaltungskraft aber ist man dadurch nicht eigentlich näher gerückt.

Wir wissen nicht, was das Talent ist und wie es entsteht, wir können es nicht züchten, sind auf die Gnade der Natur angewiesen und stehen immer wieder vor derselben Frage. Talent ist nicht Fleiß, wie es in paradox charaktervoller Formulierung gesagt worden ist; doch gehören Fleiß und Arbeit durchaus zu ihm und seiner Entwicklung. Es ist auch nicht Charakter, wie andere behaupten, obwohl zwischen Talent und Charakter viele Wechselwirkungen bestehen, dergestalt, daß der Charakter das Talent sittlich zu legitimieren und dieses den Charakter frei zu machen sucht. Talent ist nicht Temperament, obwohl dieses der Gestaltungskraft Flügel verleiht; es ist nicht Besonnenheit, wenn es ohne diese sich leicht auch im Regellosen verliert; und es ist nicht Phantasie, sondern nur ein Zwillingsbruder davon. Auch Wille ist es nicht, oder doch eine ganz besondere Art von Willen. Als Rest bleibt immer die geheimnisvolle Gestaltungsfähigkeit, die Kraft der Umwandlung, die Gabe der Manifestation. Dieses Geheimnis macht das Talent aber nur um so wertvoller, um so liebenswürdiger: es macht es unendlich.

Früher pflegte man das Wort Talent mehr auf eine halb automatische Nachahmungsgabe anzuwenden und pflegte von hier aus dann gern Unterscheidungen zwischen Talent und Genie zu machen. Doch hat dieser Versuch nie zu befriedigenden und noch weniger zu exakten Ergebnissen geführt. Es ist richtig, daß das Talent im allgemeinen nur auf eine Zeit und innerhalb eines Volkes wirkt, das Genie aber auf alle Zeiten und viele Völker; doch ist mit dieser Feststellung nur eine Unterscheidung der Wirkungen gegeben, nicht der Ursachen. Auch gibt es Talente, die über die Grenzen des Genialen hinüberwechseln, und es gibt Genies, denen man mehr Talent, das heißt mehr Bestimmtheit, mehr den »einseitigen Strom aller Kräfte«, wie Jean Paul es genannt hat, wünschen möchte. Wir in unserer Zeit haben wenig Ursache, Genie und Talent grundsätzlich zu unterscheiden. Denn es ist jetzt recht eigentlich eine Zeit der Talente. Es herrscht heute die Kunst, es herrschen die Künstler, die nicht über die Ewigkeit, sondern über Jahrzehnte gebieten. Trotzdem wir in einer Epoche leben, die das Neue und Unbedingte mit leidenschaftlicher Anstrengung will, die also scheinbar des Genies bedarf, herrscht doch das Talent. Alle diese Zeittalente werden der Menschheit kaum etwas Entscheidendes sein, uns aber bedeuten sie nicht wenig. Sie machen es, daß das Leben unserer Tage, unserer Jahrzehnte geistig vibriert und uns seine Eigenart offenbart. Sie machen, daß wir die Geschichte empfinden und erkennen, während wir sie erleben. Denn es wird eine Gemeinsamkeit sichtbar, die alle Zeittalente zu einer einzigen großen Familie macht und sie als Werkzeuge eines alles umfassenden Willens erscheinen läßt. Diese Gemeinsamkeit ist der Stil der Zeit. Dann aber löst sich auch wieder aus der großen geistigen Gemeinsamkeit jedes einzelne Talent individuell ab und steht nur wie für sich selbst da, als ein originelles Geheimnis, das immer wieder zur Deutung anreizt und sich doch auch jeder Deutung verschließt. Das alles ist höchst merkwürdig. Aber noch wunderbarer ist es vielleicht, daß jeder Laie mit jedem Talent vertraut werden kann, daß wir alle die mannigfaltigen Kunstsprachen verstehen, daß wir im Verkehr uns mit jedem Talent geistig zu identifizieren vermögen. So sind also, wie es scheint, latent in uns allen alle Möglichkeiten des Schöpferischen, so ist also unsere Resonanzfähigkeit unendlich, so ist jede Seele ein kleines Universum, ein Mikrokosmos!

Auf diesem Punkte wird es deutlich, von welcher Seite wir mit den Talenten, die neben uns schaffen, zusammenhängen, trotzdem wir so wenig von ihnen und ihrem Geheimnis wissen. Dieses Geheimnis ist da, aber es trennt nicht, es verbindet. Denn es spricht zum Instinkt, zur Einbildungskraft, zum Unendlichen in uns. Und das ist um vieles besser, als wenn es nur zum Verstande spräche.

Max Slevogt, Illustration zum »Gestiefelten Kater«, Zeichnung.

Qualität und Gesinnung

Inhaltsverzeichnis

Wilhelm Worringer hat ausgesprochen, was überall in der Luft lag, als er 1918 im Ausstellungskatalog der Berliner Freien Sezession diese Worte schrieb: »Gewiß, über allem Streit der Richtungen steht die Qualitätsfrage. Über sie zu reden erübrigt sich. Sie muß sich, wie das Moralische, von selbst verstehen. Aber neben der Qualität der Malerei gibt es auch eine Qualität der Gesinnung, und sie steht nicht zuletzt mit jeder neuen Ausstellung zur Diskussion. In diesem Sinne Qualität haben heißt mehr als gutes Handwerk liefern.«

Diese Sätze und die weiteren Ausführungen, die später auch im »Genius« wiederholt worden sind, stellen nicht nur die persönliche Meinung eines geistreichen, pathetisch erregten Mannes dar, sondern sie sind wie ein Programm. Sie bezeichnen die Meinung nahezu der ganzen Jugend und werfen ein helles Licht auf deren künstlerische Arbeitsweise. Darum wird eine Auseinandersetzung mit diesen Sätzen an der Spitze der hier vereinigten Abhandlungen nicht unangebracht erscheinen. Denn dieses Buch ist ja recht eigentlich da, um einer anders gearteten Auffassung zu dienen.

Die Leitsätze erscheinen gefährlich, weil sie geeignet sind, einem wohlfeilen Idealismus zu schmeicheln und ernsthafte Arbeit zu entwerten. Gefährlich sind sie, weil sie die Qualität der Kunst gleichsetzen mit »gutem Handwerk« und diesem dann die Gesinnung entgegensetzen, als sei es etwas Edleres und Höheres. Gefährlich sind solche Sätze vor allem, weil sich darin letzten Endes eine Unkenntnis des eigentlich Künstlerischen in der Kunst ausspricht.

In Wahrheit können Qualität der Malerei und der Gesinnung nicht zweierlei sein, sofern beides echt ist. Große, tiefe und liebevolle Kunstgesinnung kann überhaupt nur als Qualität in Erscheinung treten, sie hat gar nicht die Möglichkeit, sich anders zu manifestieren. Äußert sie sich neben der Qualität, neben dem Handwerk, so wird sie gleich bedenklich, denn sie verführt dann den Künstler, über seine Kräfte hinauszugehen, seinen Gaben und dem Handwerk Gewalt anzutun und, in ideologischen Irrtümern sich verstrickend, gar unehrlich gegen sich selbst und gegen die Öffentlichkeit zu werden. Gesinnung ohne Qualität führt stets zur Programmatik, zur Tendenz und weiterhin zur mehr oder weniger leeren Geste. Gesinnung im Verein mit Qualität aber ist ein Pleonasmus. Beides ist in ähnlicher Weise untrennbare Einheit wie Talent und Charakter. Man darf bei solchem Vergleich freilich das Wort Charakter nicht gesellschaftlich verstehen. Der Künstler kann, sozial betrachtet, manchen Fehler haben, er kann unzuverlässig als Staatsbürger, als Familienvater und unmoralisch im Sinn der Gesellschaft sein. Als Künstler aber hat er bei alledem Charakter, sofern seine Kunst Qualität hat. Ein Künstler kann andererseits aufs höchste edel sein und voller lebendiger Instinkte für das Wesen seiner Zeit, er kann der lauterste Mensch sein, in allen seinen Gedanken und Handlungen getragen von einer groß wollenden Gesinnung – und seine Kunst kann doch charakterlos sein. Qualität haben, das heißt: in seinem Charakter, in seinen Gesinnungen tausendfach erprobt sein, hundertfach gesiegt und das Wollen restlos, alle Widerstände überwindend, in ein Können verwandelt haben. Welcher Jüngling hat wohl nicht einen sehr guten Willen, solange ihn die Not des Lebens noch nicht zu verführen und in Kompromissen zu verstricken sucht! Welcher Jüngling fühlt nicht mit seiner Zeit, blickt nicht in die Zukunft! Das aber entscheidet nicht. Die Qualität des Künstlerwerks setzt die sicherste Instinktkraft, aber auch ein langes Leben voll von bestandenen Prüfungen und Selbstkorrekturen, voll von unablässiger praktischer, nicht theoretischer Veredlung voraus. Sie ist die Frucht einer permanent gewordenen Gesinnung, sie ist die in Fleisch und Blut übergegangene, die in konkrete Kunstwerke verwandelbare, Konventionen nicht unterworfene Lebensmoral. In der Qualität ist ohne weiteres eine erprobte Wahrheitsliebe enthalten, es ist bewährter Wille darin und ein heiliger Gehorsam gegen das Leben, es ist in ihr, und nur in ihr, künstlerische Phantasie und zugleich Ehrfurcht vor den Gesetzen der Formgestaltung, es ist darin die Kenntnis der eigenen Kraft und ihr Gebrauch bis zur Grenze des Möglichen – aber auch nicht darüber hinaus. Die Qualität setzt nicht nur gestaltendes Talent und schöpferische Fähigkeit voraus (was die Gesinnung nicht tut), sondern auch Fleiß, Ernst und Handwerkstüchtigkeit. Das »gute Handwerk« ist nichts Untergeordnetes, ist nicht Mittel zum Zweck, sondern ist ein Teil der Qualität selbst, es ist ein Prüfstein der Gesinnung, nicht umgekehrt. Gesinnung so ganz im allgemeinen haben und sie mit Worten äußern, »die in Purpur und Ultramarin« waten, oder sie betätigen, indem man mit dem Letzten beginnt und nur das Höchste überhaupt gelten läßt, das ist wohlfeil; worauf es ankommt, ist, daß Gesinnung in jedem Pinselstrich sei. Idealistengesinnung, Zukunftsideen kann jeder Fant haben; gute Handwerkergesinnung hat nur der erprobte Meister. Ein Beispiel: man hört allerenden die Phrase aussprechen und wiederholen, die Impressionisten, also genauer gesagt, die großen Maler der vorigen Generation, hätten »nur die zufällige Erscheinung« gemalt. Ihre Bilder seien willkürliche Naturausschnitte. Dieselben Leute, die so laut von Gesinnung reden, vermögen in diesem Fall also nicht zu erkennen, daß die Bilder dieser Meister ebenso streng komponiert und abgewogen sind, daß Farbe und Zeichnung ebenso altmeisterlich kultiviert sind, wie es die Stilkunst der Heutigen fordert, ohne aber diese Forderung zu erfüllen. Die Qualität des Urteils versteht sich hier leider nicht von selbst. Sonst würden die überlegen sich Gebärdenden einsehen, daß die künstlerische Ordnung in den Bildern der Impressionisten zwar nicht so offen zutage liegt, daß sie aber eben darum in höherem Grade vorhanden ist. Denn eine jedem und dem ersten Blick sichtbare Ordnung ist viel leichter zu erzielen, sie ist aber auch viel weniger nachhaltig. Nichts leichter als »komponieren«, nichts schwerer als eine geistige Ordnung herstellen und doch den Schein des unmittelbar Lebendigen erwecken. Dieses letzte taten die großen alten Meister. Der Gesinnung nach möchten viele der Neueren nun freilich sehr gern den alten Meistern gleichen. Sie kennen aber nicht das Mittel, sie wissen nicht, daß der Weg einzig über die Qualität führt. Und weil sie es nicht wissen, oder weil ihnen sonst der Weg zum Können versperrt ist, werden sie heftig, prunken sie mit höchster Sicherheit, übertreiben sie nach Seiten der Kunstgesinnung – und können es doch nicht vermeiden, daß sich dem schärfer blickenden Auge ihre Form als unsicher, als schwankend, als konventionell und akademisch darstellt. Bei ihnen findet sich sehr oft die »Gesinnung« nur darum ein, weil ihnen das Wesentliche der Wirkungskenntnis fehlt, weil sie ihren Eklektizismus verhüllen wollen.

Worringer fragt in seinem Aufsatz weiter: »Gesinnung – woran sie messen?« Die Antwort kann nur lauten: allein an der Qualität. Denn diese ist das einzig Bleibende und Feste in der Kunst neben den ewigen Metamorphosen der Gesinnung. Es gibt gar keinen anderen Maßstab für Kunst als die Qualität. Alles andere ist fließend oder wankend, ist dem Irrtum, der Tendenz, dem Stilbegriff, einer falschen Romantik und der Lüge unterworfen. Die Qualität allein steht über den Irrungen und Wirrungen der Parteien, sie ist das Ruhende in der Erscheinungen Flucht. Sie ist aber deswegen nicht etwa ohne Verbindung mit dem Zeitgeist, ist nicht unlebendig und abstrakt. Im Gegenteil, eben sie ist ganz ein Kind dessen, was Manet »contemporanéité« nannte. Sie kann nur entstehen, wo das höchste Leben ist, wo die seit Anbeginn der Kunst immer wieder neu geschaffenen Vollkommenheitswerte noch einmal geschaffen werden, als geschähe es zum erstenmal. Zum Schöpfungsakt der Qualität ist es nötig, daß sich im Künstler die Zeitgesinnung aufs äußerste steigert, daß er das Wollen seiner ganzen Generation zusammenfaßt und daß sein Werk ein Stück Zukunft vorwegnimmt. Ein Werk von Qualität ist nie altmodisch; dagegen kann ein Werk von scheinbar modernster Gesinnung sich als ganz petrefakt erweisen, wenn es der Qualität ermangelt.

Die Betonung des Wortes Gesinnung läßt leider vermuten, daß sich ein Unvermögen, das den Trägern Pein bereitet, dieser Geste bedient. Zu oft hat gerade die Schwäche mit diesem Wort geprunkt, als daß nicht eine Warnung am Platze wäre. Die Nazarener hatten ebenfalls Gesinnung. Cornelius hatte sie und alle die gedankenschweren Stilisten der deutschen Kunst bis hinab zu den ganz leeren Formalisten. Verehrungswürdige Männer waren es in vielen Fällen; aber möge uns der Himmel behüten, selbst vor einer neuen Gesinnungskunst, wie Feuerbach sie repräsentiert. Und das ist noch die beste Möglichkeit. Weit schlimmer ist, daß sich so leicht die im Grunde ihres Herzens Gesinnungslosen des Wortes Gesinnung bemächtigen können, Künstler, die nichts wahrhaft lieben und hassen, in deren Leben kein Müssen ist, sondern bestenfalls ein vages Wünschen. Um alles zu sagen: Gesinnung ohne Qualität oder getrennt vom Begriff der Qualität führt sehr oft zur Verderbtheit der Instinkte und zu einer allgemeinen idealistischen Verlogenheit. Mancher Künstler unserer Tage würde sich entsetzen, wenn er sehen könnte, welche Verheerungen in der Kunst diese Verlogenheit anzurichten im Begriff ist, wie viele betrogene Betrüger es in den Reihen unserer so gesinnungsstark auftretenden Jugend gibt und wie daran nichts schuld ist als – die Unfähigkeit, zur Qualität zu gelangen.

Max Slevogt, Illustration zum »Benvenuto Cellini«, Lithographie.

Max Liebermann

Inhaltsverzeichnis
1847 – 1935

Max Liebermann, Lithographie zu »Kleists kleinen Schriften«.

Es lebt kein Künstler, der fester mit Berlin verwachsen wäre und der mehr für das Ansehen der Reichshauptstadt getan hätte. Man kann sich Liebermann in keiner anderen Stadt recht vorstellen, kann ihn nur als Sohn des altberlinischen Judenpatriziats denken, und es scheint mehr als ein Zufall, daß das von ihm bewohnte Elternhaus neben dem Brandenburger Tor liegt, mit dem Blick auf Linden und Tiergarten. Das Schicksal des neuen Berlin ist auch das Schicksal Liebermanns. Er steht nicht nur da am Ende einer langen Reihe Berliner Künstler, deren erster Chodowiecki ist und die über Namen wie Gottfried Schadow, Blechen, Franz Krüger, Steffeck und Menzel dahinführt, sondern es beginnt mit ihm auch recht eigentlich die neue Zeit für Berlin. Menzel war der letzte preußische, Liebermann ist der erste großdeutsche Maler Berlins. Durch ihn erst ist Berlin künstlerisch zur Reichshauptstadt geworden. In der schnell wachsenden Großstadt, in diesem Mittelpunkt des politischen und wirtschaftlichen Lebens, ist es zuerst begriffen worden, daß die deutsche Kunst vom Provinziellen erlöst und zu europäischer Geltung wieder erhoben werden muß. Berlin hat München überflügelt, weil es am wenigsten gezögert hat, dem Impressionismus die Tore zu öffnen, weil das unentbehrliche Fremde dort am selbständigsten verarbeitet und die notwendig gewordene Revolutionierung der Kunst am entschlossensten durchgeführt worden ist. Der Künstler aber, der diese Aufgabe der Zeit zu seiner persönlichen Aufgabe gemacht hat, unter dessen Führung der Geist Norddeutschlands auch kulturell die Leitung im Reiche übernommen hat, ist Max Liebermann.

Die Bedeutung der Tat, daß Liebermann bei uns den Impressionismus verwirklicht hat, liegt darin, daß der Impressionismus – wie ich es vor fünfzehn Jahren in der »Zukunft« formuliert habe und wie auch Liebermann es später in einer seiner Sezessionsreden ausgedrückt hat – eine Weltanschauung ist, das heißt, ein Schicksal, das jedermann persönlich angeht, eine Angelegenheit der Menschheit, woran die Deutschen nicht vorübergehen durften. Alles kam darauf an, welcher Art der Vermittler war, der uns die neue Sehform ins Deutsche übersetzte, wie groß die gestaltende Kraft war, die für das Allgemeine die besondere deutsche Form fand. Wir müssen es segnen, daß der Führer zu den neuen Zielen ein großes Talent war, eine naive Natur und ein reiner Wille. Liebermann hat sich seine geschichtliche Mission sicher nicht klar gemacht, aber er hat sie instinktiv empfunden, und bei jedem Strich, den er machte, die Verantwortung gefühlt. Er fühlte, daß er sein Berlinertum betonen müsse, um die deutsche Kunst erweitern zu können, daß er den vorwärtsdringenden, auf geistige Erweiterung zielenden Geist der Hauptstadt idealisieren müsse, wenn ein neues künstlerisches Deutschland entstehen sollte.

Liebermann konnte die deutsche Malerei revolutionieren, weil er der Schöpfer eines Malstils geworden ist, den eine ganze Jugend als die ihr gemäße Ausdrucksform erkannte. Zuerst hat er die Kunst gereinigt. Er hat sie von der mechanischen Nachahmung der Natur befreit und von allem Subalternen. Seine Arbeitsweise hat weiter dargetan, daß es sich in der Kunst um Formenschöpfungen handelt und daß der Abstand vom Gegenstand die erste Bedingung aller malenden Kunst ist. Doch hat er nicht Verachtung der Natur gelehrt; er hat, im Gegenteil, seine Staffelei unmittelbar ins Freie hinausgetragen, während seine Genossen im Atelier blieben. Er hat gezeigt, daß der Maler, im Sinne der alten Meister, Aug in Aug mit der Natur schöpferisch sein soll, daß der Künstler angesichts der Natur vom Naturvorbild muß absehen können; und damit hat er die deutsche Kunst ein neues Verhältnis zur Natur gelehrt. Einer neuen Art von Phantasie hat er den Weg bereitet, als er die Phantasie von der Anschauung, vom Handwerk, sogar von der Technik aus begriff. Auch hierin hat er im Sinne der alten Meister gehandelt. So revolutionär sein Beginnen zuerst erschien, so sehr war es doch erhaltend; je mehr Liebermann in einen Gegensatz zu seiner Zeit geriet, um so näher stand er bei den großen Malern der Vergangenheit. Zu einem neuen Malstil ist er gelangt, weil er die eine unteilbare Kunst meinte, die in jeder Zeit zwar ein neues Gesicht hat, im Wesen aber immer dieselbe ist. Dieser Stil, der sich in der Folge als die Ausdrucksweise einer ganzen Generation erwies, kann als der Stil einer abkürzenden Darstellungsweise, als malerische Kurzschrift bezeichnet werden. Liebermann hat die inspirierte Studie zum Range des Bildes, des vollendeten Kunstwerkes erhoben. Nicht weil er das Flüchtige wollte, nicht aus Unvermögen, sondern weil er heftig immer ein Ganzes wollte, weil der Wille zur Synthese ihn so beherrscht, daß er nicht die kleinste Kreideskizze machen kann, ohne sie geistig abzurunden und ihr eine gewisse Endgültigkeit zu geben. Sein Stil gestaltet das Bleibende im ewig Wechselnden, er gibt zugleich mit dem Unmittelbaren eine Summe von Eindrücken, er schreitet vom Besonderen zum Ganzen fort, vom Erlebnis des Auges zur Erfahrung des Gesetzlichen, von der Einfühlung zur Abstraktion. Er führt den Schüler mitten hinein in die lebendige Natur und zwingt ihn dann, sich über den Augenblick im Augenblick selbst zu erheben.

Max Liebermann, Studie zu den »Flachsscheuern«.

Liebermann hat die Deutschen von jener Verträumtheit befreit, die ihnen so lange zum Wesen der Kunst zu gehören schien. Die Romantik hat er überwunden, sowohl die idyllisch-naturalisierende wie die klassizistisch-stilisierende, die Romantik der poetischen Ideen ebensowohl wie die der Bildung. Wo seine Art doch ins Romantische hinüberzuspielen scheint, da erhebt sich die Stimmung zum Kosmischen. Die Romantik dieses Künstlers heißt Lebensgefühl, sie ist im Räumlichen, in der Richtigkeit der Tonwerte, sie ist ein Bestandteil der Form. Das erste und letzte in der Kunst Liebermanns ist die Form; er verdient den schönen Titel eines Handwerkers der Form. Die Formgestaltung aber gelingt so sicher und überzeugend nur, weil der Künstler die große Sachlichkeit hat, weil er »vom Objekt das Gesetz empfängt«. Nie hat er sich vom Stoff, vom Gegenstand helfen lassen, er hat vielmehr mit Fleiß das Unscheinbare in die Sphäre des rein Künstlerischen erhoben. Auch benutzt er die Malerei nicht zu irgendwelchen unkünstlerischen, wenn auch noch so edlen Zwecken. Durch sein ganzes Leben geht die Frage: was ist Kunst? Er hat versucht, die Antwort zu finden, hat sich selber Rechenschaft gegeben und ist dahin gekommen, über Kunst auch zu schreiben. Und dieselbe Frage hat ihn zu einem der feinsten Sammler moderner Meisterwerke werden lassen. Es scheint, als hätte mit seinem Hirn die deutsche Kunst über sich selbst nachgedacht. Wenn eine neue Jugend jetzt besser als früher weiß, worin die Aufgaben der Kunst bestehen und wie ihre Wirkungen zustande kommen, so verdankt sie es nicht zuletzt Max Liebermann.

Max Liebermann, Mutter und Kind, Zeichnung.

Dem Lebenswerk ist eine eindrucksvolle Größe eigen, weil es sowohl die Naivität wie die Kultur des Klassischen hat. Es ist eine reife Frucht lebendiger Überlieferungen und wertvoller Lehren, aber es ist bis zum letzten naiv und unbeeinflußt von akademischen Konventionen. Die ungemeine Naivität verleiht der Form das Endgültige; und dieses wiederum gibt der Form Kultur. Diese Kunst, die zuerst so struppig erschien, ist sehr vornehm. Je länger man sie kennt, um so mehr verwandelt sich die technische Heftigkeit in Anmut und die scheinbare Rauheit in Glanz und Schönheit. Liebermanns Kunst ist reif in all ihrer Bewegtheit. Das wird noch heute nicht von vielen erkannt. Wie jeder Bringer neuer Formen, ist Liebermann mißverstanden worden. Zuerst hat man ihn einen Maler der Dunkelheit genannt, dann einen Apostel des Häßlichen, einen Sozialisten, einen Naturalisten und endlich einen vaterlandslosen Internationalen. Man hat ihn zynisch und brutal gescholten, hat seinen Bildern die Farbe und die Zeichnung, die Komposition und die Technik abgesprochen, hat ihn phantasiearm genannt und traditionslos. Nichts von alledem war richtig. Immer meinte Liebermann nur eines: die Kunst, wie die großen Meister sie von je verstanden haben. Als man ihn gesetzlos nannte, erfüllte gerade er das Gesetz der Überlieferung besser als jeder andere; als man ihn undeutsch schalt, tat er das Entscheidende für die deutsche Kunst. Keiner hat so sicher wie er den Weg durch eine bewegte Zeit verfolgt. In seinem Lebenswerk gibt es nicht Abwege. Es gibt darin stärkere und schwächere Epochen, Werke von sehr verschiedener Qualität, aber nicht grundsätzliche Irrtümer. Darum steht Liebermann als Sieger da. Als ein noch immer von vielen nur widerwillig anerkannter Sieger. Volkstümlich ist Liebermann nicht; er wird es nie sein. Aber weder die Gegnerschaft Zurückgebliebener noch die allzu ungestüm Vorauseilender kann ihm den Ruhm schmälern, das Schicksal der deutschen Kunst bestimmt zu haben, wie die Geschichte es wollte, ein Lebenswerk geschaffen zu haben, das von Jahr zu Jahr imposanter erscheint, dessen Wirkungen unabsehbar sind und das aus der Geschichte der Kunst nicht mehr fortzudenken ist. Man hört gegen Liebermanns Malerei oft den Vorwurf der Kälte aussprechen. Aber diese Kälte ist zu großen Teilen nichts anderes als die Phrasenlosigkeit und der Mangel an Sentimentalität, es ist die starke Objektivität und die Abwesenheit alles weich Romantischen. Was diese Kunst meisterhaft macht, ist subjektiven Sympathien und Antipathien entzogen. Sie schmeichelt nicht und ist nicht sensationell; sie ist, bei aller modernen Nervosität, einfach wie die Kunst der alten Holländer. Sie hat die Kühle reifer Galeriekunst. Die Ursachen, daß sie nicht volkstümlich wird, sind dieselben, die einen Maler wie den großen Frans Hals nie populär werden lassen.

Moderne bürgerliche Malerei bester Art! Sie stellt den hellen, klaren Tag dar. Nie hat Liebermann die Natur wie im festlichen Sonntagsgewand gemalt, sondern stets in der Werktagsstimmung. Es gibt von ihm kein Bild von Morgen- oder Abenddämmerungen, keine Darstellung künstlichen Lichts, keine Schilderung von Sturm, Gewitter oder anderen dramatischen Naturvorgängen. Er malt nur das stille, starke Licht des Tages und die Dinge, die sich diesem Licht in den Weg stellen, davon überflutet werden und sich darin bewegen. Die Gelassenheit geduldig arbeitender Menschen zeigt er in einem Gerinnsel farbiger Sonnenflecke, oder vor weiten Horizonten, die unbestimmt ins Kosmische weisen. Sein Pinsel gewinnt der Natur eine neue Art von bürgerlicher Monumentalität ab. Auf seine Kunst passen die Worte des alten Hermann Grimm von der »liebevollen Durchdringung und Verehrung der leidenden Natur«, von dem »Alleinsein-Wollen mit der Natur«.

Für die deutsche Kunst bezeichnet diese einfach schöne Malerei den Weg ins Freie. Darum ist darüber auch so viel gesprochen und geschrieben worden. Sich mit Liebermann auseinandersetzen, das heißt, sich mit der neuen deutschen Kunst auseinandersetzen. Wie von selbst ist Liebermann zum Führer der Berliner Sezession und damit zum Präsidenten der wichtigsten deutschen Künstlergruppen geworden. Und sein Judentum hat ihn für die Stelle eines Erweiterers, eines Vermittlers des Fremden noch besonders geeignet gemacht; denn es hat ihn verhältnismäßig leicht Hemmungen überwinden lassen, die selbst für einen Menzel noch unüberwindlich waren.