Tangata Whenua - Fire of Love - Christel Siemen - E-Book
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Tangata Whenua - Fire of Love E-Book

Christel Siemen

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Beschreibung

Emotionsgeladene Dramatik und romantische Sinnlichkeit vor der wunderschönen Kulisse Neuseelands – Romantik zum Träumen. Für Fans von Sarah Lark. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter, verlassen vom Vater und ohne Job, findet die junge Chiara auf der Rinderfarm »Tangata-Whenua« ihrer Tante Maggie an der Ostküste von Neuseeland ein neues Zuhause. Chiaras unkomplizierte Art, ihr Witz und Charme und die Freundlichkeit der Menschen auf der Farm, helfen ihr, sich schnell heimisch zu fühlen. Vor allem der schweigsame Rinderherden-Manager Marc zieht sie magisch an. Doch seine verschwiegene, schicksalhafte Vergangenheit macht es Chiara nicht leicht, ihn für sich zu gewinnen. Durch Sabotageakte auf der Farm überschlagen sich die dramatischen Ereignisse und Chiaras Leben hängt plötzlich an einem seidenen Faden … »Tangata Whenua« von Christel Siemen ist ein eBook von feelings*emotional eBooks. Mehr von uns ausgewählte erotische, romantische, prickelnde, herzbeglückende eBooks findest Du auf unserer Facebook-Seite. Genieße jede Woche eine neue Geschichte - wir freuen uns auf Dich!

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Christel Siemen

Tangata Whenua: Inferno der Herzen

Neuseeland-Roman

Knaur e-books

Über dieses Buch

Emotionsgeladene Dramatik und romantische Sinnlichkeit vor der wunderschönen Kulisse Neuseelands

Nach dem frühen Tod ihrer Mutter, verlassen vom Vater und ohne Job, findet die junge Chiara auf der Rinderfarm »Tangata Whenua« ihrer Tante Maggie an der Ostküste von Neuseeland ein neues Zuhause. Chiaras unkomplizierte und herzliche Art, ihr Witz und Charme und die Freundlichkeit der Menschen auf der Farm, helfen ihr, sich schnell heimisch zu fühlen. Vor allem der schweigsame Rinderherdenmanager Marc zieht sie magisch an. Doch seine verschwiegene, schicksalhafte Vergangenheit macht es Chiara nicht leicht, ihn für sich zu gewinnen. Durch Sabotageakte auf der Farm überschlagen sich die dramatischen Ereignisse und Chiaras Leben hängt plötzlich an einem seidenen Faden …

Für alle Fans von Sarah Lark.

feelings-Skala (1=wenig, 3=viel): Erotik: 2 Spannung: 1 Gefühl: 3

»Tangata Whenua: Inferno der Herzen« ist ein eBook von feelings*emotional eBooks. Mehr von uns ausgewählte erotische, romantische, prickelnde, herzbeglückende eBooks findest Du auf unserer Facebook-Seite: www.facebook.de/feelings.ebooks. Genieße jede Woche eine neue Geschichte - wir freuen uns auf Dich!

Inhaltsübersicht

Zitat1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel26. Kapitel27. Kapitel28. Kapitel29. Kapitel30. Kapitel31. Kapitel32. Kapitel33. Kapitel
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»Wenn Sie aufgehört haben sich zu verändern, dann haben Sie aufgehört zu leben.«

 

Benjamin Franklin

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1. Kapitel

Er stand rußgeschwärzt auf der morschen Veranda des herrschaftlichen Farmhauses. Der verkohlte Boden knackte unter seinen bloßen Füßen. Von der Decke des ehemals feudalen Verandavorbaus tropfte es unaufhörlich. Die Tropfen klatschten auf seine feuchten Haare. Er rührte sich nicht von der Stelle. Seine Augen stierten regungslos geradeaus. Im Mondschein glänzte seine Haut bronzefarben. Die Nacht roch nach Tod, drückend und stickig. Es war Hochsommer in Wellington am südlichen Zipfel der Nordinsel Neuseelands. Die Luft verströmte den Geruch von verkohltem Holz und vermischte sich mit der feuchten Luft zu einem modrigen Gestank – irgendwo verendete eine Kuh. Jämmerlich hallten ihre Klagerufe durch die stille Nacht. Im Gegensatz dazu strahlte der Mond hell am Himmel und kämpfte mit den ersten Sonnenstrahlen, die von Osten den neuen Tag begrüßten. Hätte der Mann auf der Veranda seinen Kopf gehoben, wäre sein Blick auf die nahe Bucht gefallen. Über dem Wasser bot sich gerade ein grandioses Schauspiel der aufgehenden Sonne. Der immer praller werdende Lichtball schillerte in orange- und tiefroten Glitzertiraden und schien geradewegs aus den Tiefen des Meeres aufzusteigen. Es wurde zunehmend heller, und die Nacht nahm Abschied, um für den neuen Tag Platz zu machen. Sonst hatte eine junge Frau jeden Morgen bei Sonnenaufgang das Schlafzimmerfenster geöffnet und sich wohlig im Morgenlicht die Arme gereckt, um den neuen Tag genussvoll mit einigen tiefen Atemzügen zu begrüßen. Doch heute Morgen öffnete hier niemand das Fenster.

 

Vor zwei Stunden war der Leichenwagen mit seiner Frau und der kleinen, gerade mal zwei Jahre alten Tochter Stella davongefahren. Niemals würde er sie wiedersehen, ihre fröhlichen Stimmen vernehmen oder ihnen übers Haar streichen können, was er so gern getan hatte. Das alles nur, weil er sein Pferd gesattelt hatte, um nach einem anstrengenden Tag abzuschalten und dem ganzen Stress zu entfliehen. Sie hatten sich beim Abendbrot mal wieder gestritten. Schon seit Jahren verstanden sie sich nicht mehr so gut wie am Anfang ihrer Beziehung. Wäre Stella nicht gewesen, wer weiß, ob sie noch zusammengeblieben wären. Dieses Mal ging es um eine Kleinigkeit, um die Mary ihren Mann bat. »Würdest du bitte endlich die Nachttischlampe von Stella reparieren? Ständig gibt es einen Kurzschluss, wenn ich sie einschalte. Wie oft habe ich dich schon darum gebeten!«, nörgelte sie, weil sich Marc seit einiger Zeit im Haus um rein gar nichts mehr kümmerte.

»Musst du mir immer mit solchen unwichtigen Dingen kommen? Du weißt genau, dass ich dafür überhaupt keine Zeit habe, seit zwei meiner Männer krank geworden sind. Nimm gefälligst eine andere Lampe!«, hatte er gereizt geantwortet. Er war so was von überarbeitet, dass ihn die Bitte seiner Frau nervte. »Immer nur die Farm, um uns kümmerst du dich gar nicht mehr!«, beschwerte sich Mary bitterlich. Ein Wort gab das andere, und der Streit drohte zu eskalieren. Wütend schnappte sich Marc seinen Hut und lief laut schnaubend zur Tür hinaus. »Ach, lasst mich doch alle in Ruhe! Ich brauche frische Luft.« Weg war er. Er sattelte sein Pferd und ritt davon, um sich abzureagieren. Sollten sie doch alle mal einen Abend ohne ihn auskommen. Er hatte die Schnauze voll.

 

Nach dem Abendbrot brachte seine Frau Mary stets das Kind zu Bett. Stella konnte abends schlecht einschlafen. Deshalb legte sich seine Frau immer neben das Mädchen und blieb so lange im Schlafzimmer, bis die Kleine fest schlief.

 

Marc sah schon von weitem das Farmhaus in lodernden Flammen stehen, als er von seinem Ausritt zurückkam. »Los, Archie!« Er gab seinem Pferd die Sporen und ritt, was das Zeug hielt, auf das Farmgelände zu. Das Haus und der direkt angrenzende Melkstall brannten lichterloh. Er nestelte schnell sein Handy aus der Jeans und tippte blind die Nummer der ortsansässigen Feuerwehr. »Marc Bradley hier, Bradley-Farm, es brennt! Kommen Sie schnell!« Als er vor dem Haupthaus gehetzt aus dem Sattel sprang, waren die angestellten Landarbeiter bereits dabei, mit Feuerlöschern der Situation Herr zu werden. Das sonst so treue Pferd scheute und rannte aus Angst vor dem Feuer davon. Marc schrie auf.

»Wo sind Mary und Stella?«

Die Männer zuckten die Schultern und arbeiteten hektisch weiter. »Verdammt noch mal! Irgendjemand muss sie doch gesehen haben!«

»Wir sind selbst gerade erst von der Südweide zurückgekommen, als wir den Brand bemerkt haben«, sagte Jeff, einer der Männer. »Mary wollte Stella ins Bett bringen! Sie müssen noch im Haus sein!«

 

Marc zögerte keine Sekunde und rannte auf die Haustür zu. »Ah …!« Ein höllischer Schmerz durchzuckte seine rechte Hand. Die metallene Türklinke war viel zu heiß. Mit aller Kraft trat er mit dem Fuß auf die stabile Holztür ein. Mehrmals holte er mit voller Wucht aus, bis das Holz splitternd nachgab und die Tür aufsprang. Beißender Qualm kam ihm entgegen. Er konnte kaum etwas sehen. Hier drinnen war es stockdunkel. Schützend hielt er sich seinen Arm vor die tränenden Augen und tastete sich durch den dunklen Flur Richtung Treppe. Laut zerbarsten die Fenster unter der starken Hitze. Die Glasscherben splitterten in alle Richtungen. Überall im Haus loderten mittlerweile die Flammen meterhoch. Plötzlich krachte ein Balken donnernd direkt vor ihm auf den Boden. Er kam nicht weiter. Jeff, der hastig hinter ihm hergeeilt war, hielt eine nasse Jacke schützend über seinem Kopf. »Mensch, Marc, raus hier, da kommst du nicht durch!«, keuchte er mit vorgehaltener Hand.

 

»Ich muss zu meiner Frau!« Hustend wollte er weitergehen. Doch Jeff, ein Zweimetermann von gewaltiger Statur, packte sich den etwas leichteren Marc und zog ihn mit aller ihm zur Verfügung stehenden Kraft aus dem Flammenmeer. Der verzweifelte Mann wehrte sich mit Händen und Füßen. Zwei weitere Männer kamen am Eingang Jeff zu Hilfe; sonst wäre es fraglich gewesen, ob die beiden dieser Hölle hätten entrinnen können. Tief keuchend und laut hustend verharrten sie einige Sekunden vor dem Gebäude. Es tat höllisch weh, die frische Luft in die Lungen einzuatmen.

Genau in diesem Moment traf mit lautem Sirenengeheul die Feuerwehr ein.

 

»Schnell, eine Leiter, dort oben an das Fenster! Meine Frau und meine Tochter müssen sich noch im Schlafzimmer befinden!«, krächzte Marc und befreite sich energisch aus Jeffs Klammergriff. Ungeduldig versuchte er, dem Feuerwehrmann den Schlauch aus den Händen zu reißen. Der Schweiß rann ihm aus allen Poren. Von seinem Arm tropfte Blut, und der Kopf drohte ihm zu bersten. Doch davon bemerkte er nichts. Sein einziger Gedanke galt seiner Familie, die er retten wollte. In Windeseile wurde der Leiterwagen an das Fenster gefahren. Die Einsatzkräfte rollten bereits die Schläuche aus. »Wasser, marsch!« Schwarze Rauchwolken drangen aus den Fenstern. Die wahnsinnige Hitze ließ die Menschen zurückweichen. Ein Feuerwehrmann in Schutzkleidung kletterte kühn über den Balkon, nachdem von zwei Seiten die Stichflammen von der Wasserzufuhr der Feuerwehr zurückgedrängt worden waren. Während mehrere Neugierige und Farmmitarbeiter den Atem anhielten, verschwand der wagemutige Feuerwehrmann im Inneren des Obergeschosses. Marc verlor beinahe die Nerven. Ungeduldig lief er unten an der Leiter hin und her. Immer wieder wollte er selbst hinaufklettern. Doch die Männer bewahrten ihn davor, sich nochmals in das Flammeninferno zu begeben. Ihm kam es wie eine Ewigkeit vor, bis der Feuerwehrmann endlich wieder am Fenster auftauchte. Gott sei Dank! Auf seinen Armen trug er einen Kinderkörper. Rasch wurde ihm dieser auf der Leiter von seinem Kollegen abgenommen. Dann verschwand er wieder im Dunkeln. Augenblicke später folgte er mit der leblosen Gestalt einer Frau. Marc nahm dem Mann rasch das kleine Bündel ab und legte es vorsichtig ins nasse Gras. »Schnell! Sie atmet noch!« Behutsam beugte er sich zu seiner kleinen Tochter hinab und versuchte mit Mund-zu-Mund-Beatmung das Leben des Kleinkindes zu retten.

»Stella, komm meine Süße, halte durch!« Sekunden, Minuten, keiner konnte sagen, wie viel Zeit verstrichen war, plötzlich war der Notarzt zur Stelle und übernahm Marcs verzweifeltes Bemühen um das junge Menschenleben.

»Bitte treten Sie zur Seite, ich löse Sie ab!« Der Arzt versorgte Stella mit einer Sauerstoffmaske und begann mit der Herz-Lungen-Massage. Immer wieder fühlte er den Puls. Nach bangen Minuten drehte er sich um und schüttelte stumm den Kopf.

»Es tut mir leid. Sie hat es leider nicht geschafft.« Schnell richtete er sich auf und beugte sich nun zu dem Frauenkörper, den man neben dem Kind ins Gras gelegt hatte. Er hielt seinen Finger an den Hals, um den Puls zu fühlen, und versuchte mit seinem Stethoskop etwaige Lebenszeichen festzustellen.

»Nein! Nein!« Marc schrie auf. »Das kann nicht sein! Bitte Doc, tun Sie doch etwas!« Er warf sich schluchzend auf die leblose Gestalt seiner Frau. »Mary, wach auf!«

Dann lief er wieder zu seiner Tochter, nahm den leblosen kleinen Körper in seine Arme und wiegte ihn hin und her. »Stella, du brauchst jetzt nicht zu schlafen, mach die Augen auf!« Voller Verzweiflung sank er in die Knie. Ein schrecklicher Laut entrann seiner Brust. Er schrie wie ein wildes Tier. »Das kann nicht sein, das darf nicht sein!« Jeff zog ihn hoch. Weinend klammerte sich Marc an den großen Mann. Vor lauter Verzweiflung bemerkte er gar nicht, wie tief sich seine Finger in die Oberarme seines Mitarbeiters gruben. Jeff musste die Zähne zusammenbeißen. Doch er ließ ihn gewähren. »Diese verfluchte Lampe, schuld ist bestimmt die Lampe, die ich nicht repariert habe. Hätte ich nur nach dem blöden Ding gesehen, dann würden die beiden noch leben. Aber ich musste ja ausreiten. Ich habe sie im Stich gelassen! Ich bin schuld! Ich bin schuld! Ich bringe nur Unglück!« Er schrie und tobte. Keiner konnte ihn beruhigen. Die Menschen dort waren selbst völlig fassungslos. Der Doktor fackelte nicht lange, zog eine Beruhigungsspritze auf und versenkte sie in Marcs Arm. Mit Müh und Not schaffte Jeff es, ihn auf eine nahe Bank zu ziehen.

 

Der Arzt blieb bei dem Farmer, während Jeff eilig zum Kuhstall hinüberhastete. Er wusste, in der Wartebox standen noch fünf Kühe, die er am Abend nicht auf die Weide gelassen hatte. Am Stall bot sich ihm jedoch ein verheerendes, trostloses Bild aus Flammen und Qualm. Das frei stehende Gebäude war bis auf die Grundmauern zusammengefallen. Obwohl die Feuerwehr auch hier die Flammen von mehreren Seiten in Schach hielt, war nichts mehr zu retten. Vergeblich. Es war alles verloren!

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2. Kapitel

Erschrocken fuhr Chiara zusammen.

»Die Passagiere des Fluges eins-drei-zwei-zwei Frankfurt nach Auckland begeben sich bitte zum Gate fünf.«

Sie war mit ihren Gedanken ganz woanders gewesen. Schnell rappelte sie sich auf. Der dicke Mann neben ihr schlug ihr beim Aufstehen seine Laptoptasche in die Kniekehlen. »Autsch!« Die Zähne fest zusammenbeißend, rieb sie sich die schmerzende Stelle und schaute ihn grimmig an. Das würde einen dicken blauen Fleck geben. Eine nervöse Mutti neben ihr zerrte genervt ihre kleine Tochter hinter sich her. Diese beschwerte sich lautstark und quengelte. Es war ein ohrenbetäubender Lärm um sie herum. Chiara war das nicht mehr gewohnt. Die junge Frau konnte es noch nicht glauben, da war sie nun – am Frankfurter Flughafen, inmitten einer Menge aufgeregter Fluggäste. Aufmerksam studierte sie die Anzeigetafel und strich sich das lange blonde Haar aus der Stirn. Noch drei, noch zwei Flüge, gleich würden die Passagiere erneut aufgerufen werden. Verschiedene Sprachfetzen aus aller Herren Länder schwirrten durch die Luft. Die Menschen hasteten durch die Flughalle, als gäbe es am anderen Ende etwas umsonst. Überall waren Hektik und Stress zu verspüren.

Ob die anderen auch so aufgeregt sind wie ich? Auf geht’s, Chiara.

 

Sie schnappte sich ihr Handgepäck, hängte sich ihre Jacke über und ordnete sich in den Strom der Fluggäste ein, die das gleiche Ziel hatten wie sie: Neuseeland. Es dauerte noch etwas, bis sie ins Flugzeug steigen konnte. Doch dann endlich ließ Chiara sich in die weichen Polster fallen. Innerlich seufzte sie auf. Sie war an einem entscheidenden Wendepunkt in ihrem Leben angekommen. Mit dem heutigen Tag würde sich alles verändern. Wie, das wusste sie noch nicht. Es begann eine Reise in eine für sie noch unbekannte Welt. Das Alte blieb vollständig zurück, oder besser gesagt, da war nichts mehr, was zurückblieb. Die Zelte hatte sie hinter sich komplett abgebrochen. Ganz in Gedanken spielte sie mit den weißen, losen Fäden der Kopfstütze ihres Vordermannes. Erleichtert, sich endlich ausruhen zu können, lehnte sich Chiara bequem zurück und blies ihre Ponyfransen aus dem Gesicht, die ihr wie immer vorwitzig in die Stirn fielen. Ihr Handgepäck hatte sie bereits im Fach über sich sorgfältig verstaut. Eine Stewardess ging nun von Sitzreihe zu Sitzreihe und überprüfte, ob sich alle Gäste ordnungsgemäß angeschnallt hatten. Über Chiara schnarrte der Bordlautsprecher mit der Stimme des Flugkapitäns:

»Guten Tag, verehrte Fluggäste, ich begrüße Sie recht herzlich auf unserem Flug eins-drei-zwei-zwei. Unsere heutige Reise führt Sie über Hongkong auf die Nordinsel von Neuseeland, nach Auckland.«

Mindestens dreißig Stunden der Vorfreude und Entspannung lagen vor ihr. Chiara schloss verträumt die Augen und ließ ihre Gedanken beim Abheben der Maschine mit davontragen. Sie sah weder aus dem Fenster, noch interessierte sie in diesem Moment ihr Magen, der beim steilen Anstieg des Flugzeuges Purzelbäume schlug. Ihre Gedanken wollten einfach nur davondriften, hinaus in eine andere Welt. Weg aus ihrem bisherigen Leben in eine neue Zukunft! Ein leiser Singsang wiederholte sich ständig meditativ in ihren Gedanken. »Flieg, flieg«, immer nur: »Flieg, flieg …«

Darüber musste sie wohl eingeschlafen sein. Stunden später berührte eine Hand sachte ihre Schulter. »Entschuldigung. Möchten Sie vielleicht noch etwas essen oder trinken, bevor der Nachtflug beginnt?«, fragte sie eine freundliche Stewardess.

 

Chiara schaute auf ihre Armbanduhr. Es war nach einundzwanzig Uhr. Tatsächlich, sie hatte lange geschlafen. Etwas verwirrt schaute sie die Stewardess an. »Ja, sehr gerne.« Freundlich wurde sie bewirtet und über den weiteren Verlauf des Fluges informiert. Sie erhielt Auskunft darüber, wann sie in Hongkong Zwischenstopp einlegen würden und wie das Radio zu bedienen war. Im Bordkino lief gerade ein Film an. Nachdem sie bereits wunderbar geschlafen hatte, ließ sie sich gerne davon die Zeit vertreiben. Es wurde der alte Klassiker »Ein Hund namens Beethoven« gezeigt. Die lustige Komödie lenkte Chiara ab. Erst als es um sie herum ruhig wurde, die meisten Passagiere hatten zum größten Teil ihre Augen geschlossen und die Sitze etwas gesenkt, ließ sie die Erlebnisse der vergangenen Monate wie im Zeitraffer an sich vorbeiziehen.

 

Es war ungefähr ein Jahr her, dass ihre Mutter ihren schlechten Gesundheitszustand offenbart hatte. Aus der vor Gesundheit strotzenden Frau wurde nun innerhalb von wenigen Wochen ein Pflegefall. Erst wurde seitens der Ärzte noch mit einer Chemo versucht, den Lymphdrüsenkrebs zu bezwingen, doch die kräftezehrende Therapie hatte nichts mehr genutzt. Der heimtückische Krebs wucherte bereits an mehreren Stellen im Körper ihrer Mutter. Chiara zog sofort wieder zu ihrer Mutter und gab ihre erste Anstellung als Lehrerin auf, um sich ganz um sie kümmern zu können. Tag und Nacht verbrachte sie an ihrem Bett und hielt ihre Hand. Sie wollte die verbleibende, kostbare Zeit bei ihr sein. Der Arzt dachte daran, sie ins Krankenhaus zu verlegen. Doch die Mutter bat darum, die letzten Tage in ihrer eigenen Wohnung verbringen zu dürfen. Manchmal hatte sie die müden Augen etwas geöffnet und gelächelt. Still umschloss sie mit ihrer kraftlosen Hand die Finger ihrer Tochter. Das waren ihre Zeichen, zu verstehen zu geben, dass sie Chiaras Nähe spürte und dankbar genoss. Vor zwei Wochen hatte sie ihre Augen dann für immer geschlossen. Zuletzt war sie friedlich eingeschlafen. In aller Stille setzte Chiara sie bei. Weinend stand sie alleine am Grab und trauerte um ihre Mama. Es war ein trister, regnerischer Novembermorgen gewesen. Verwandte gab es in Deutschland nicht und Freunde hatte das Mutter-Tochter-Gespann in der Zeit, in der sie in Frankfurt gewohnt hatten, nicht gewinnen können. Einsam und allein kehrte Chiara nach der Beerdigung in die Wohnung ihrer Mutter zurück. Traurig löste sie den Hausstand auf. Mechanisch verrichtete sie die Dinge, die zu erledigen waren. Viel war nicht zu tun; die Möbel konnte sie in einem Kellerraum unterstellen, und die wenigen Kleidungsstücke bekam eine Wohlfahrtseinrichtung. Da sie in ihrem Leben oft umgezogen waren, passten auch die persönlichen Habseligkeiten mühelos in einen Koffer.

Als alles Notwendige erledigt war, kehrte Chiara einige Tage später in das Internat zurück, an dem sie gerade einmal sechs Wochen als Englischlehrerin gearbeitet hatte. Mit dem Direktor war sie seinerzeit so verblieben, dass sie, sobald ihre familiären Angelegenheiten geklärt waren, wiederkommen konnte. Beide waren von einigen Wochen ausgegangen. Eine vorübergehende Vertretung war eingestellt worden. Es hatte ja keiner damit gerechnet, dass sie so lange fortbleiben würde. Doch was war passiert? Dem Schulamt war nichts anderes übriggeblieben, als die Stelle an einen anderen Lehrer weiterzugeben, weil sich Chiara noch in der Probezeit befand und entsprechend schnell gekündigt werden konnte.

»Es tut mir sehr leid, Frau Christensen, aber mir waren die Hände gebunden. Ich habe Sie schriftlich informiert und weiß auch um Ihre persönlichen Belange, wieso Sie nicht reagiert haben.«

Dabei senkte er beschämt den Kopf, um seiner Mitarbeiterin nicht in die Augen sehen zu müssen.

Etwas mitleidig sah er hinter ihr her, während Chiara stumm sein Büro verließ. Was sollte sie dazu auch sagen? Insgeheim hatte sie gehofft, dass der Internatsleiter mehr Möglichkeiten gehabt hätte, ihr die Stelle wiederzugeben. Da stand sie nun. Um sie herum ein Berg gepackter Koffer, kein Heim, keine Arbeit, und sie war mutterseelenallein! Ihr Zimmer im Internat, so wurde sie höflich gebeten, sollte sie innerhalb einer Woche räumen. Die nächsten vierundzwanzig Stunden musste sie wohl heulend in ihrem Bett verbracht haben. So einsam hatte sie sich noch nie im Leben gefühlt. Wie sollte es weitergehen? Sie hatte keinen blassen Schimmer. Alles Wichtige war, ohne dass sie es hätte aufhalten können, unter ihr weggebrochen. Wenn sich nicht die natürlichen Grundbedürfnisse des Menschen wie Hunger und Durst bei ihr bemerkbar gemacht hätten, wer weiß, ob sie jemals wieder aufgestanden wäre. Mühsam quälte sie sich hoch. Beim Aufstehen stolperte sie über einen der Koffer, die im Raum standen. Darin waren alle Habseligkeiten von Chiara verstaut, es war der »Erinnerungskoffer« ihrer Mutter. Chiara hatte, bevor sie den Hausstand der Verstorbenen aufgelöst hatte, einige Erinnerungsstücke der Mutter zurückbehalten und in einem separaten Koffer verstaut. Die Schlösser sprangen auf, und ein Stapel Papiere, die nur lose zusammengebunden waren, flog heraus. Träge raffte sie diese wieder zusammen. Da stach ihr unverhofft ein Brief mit bunten Briefmarken in die Augen. Chiara drehte den Umschlag neugierig zwischen ihren Händen. Er war von Tante Maggie aus Neuseeland. Das Schreiben darin war bereits älter als ein Jahr. Es richtete sich an ihren Vater, den Bruder ihrer Tante. Wieso auch nicht! Sie öffnete das Kuvert und las nachdenklich den Inhalt der steilen Schriftzüge. Der Brief erzählte von dem turbulenten Leben auf der Farm, auf der ihre Tante seit über zwanzig Jahren lebte. Der Schlusssatz lautete: »Ich würde euch so gerne wiedersehen. Leider kann ich hier nicht weg. Wie wäre es: Wollt ihr mich nicht endlich mal besuchen? Ich lade euch hiermit herzlich ein.«

Chiaras Magen knurrte unaufhörlich. Allmählich kehrten ihre Lebensgeister wieder zurück. Sie duschte ausgiebig, wusch sich die Haare und zog sich an. Während sie sich schminkte, blickten ihr zwei traurige Augen aus dem Spiegel entgegen. Tiefe Augenringe lagen wie zwei schwarze Schatten unter ihren dichten schwarzen Wimpern. Einen Preis konnte sie damit ganz sicher nicht gewinnen. Sorgfältig vertuschte sie mit etwas Schminke die fahle Blässe und zeichnete mit einem roséfarbenen Lippenstift ihre vollen Lippen nach. Die zarte Stupsnase und die leichten Sommersprossen auf ihrem Gesicht übertünchte sie mit einem bronzefarbenen Puder. Ganz in der Nähe gab es ein Café, das ein herrliches Frühstück anbot. Dort wollte sie hingehen.

 

Als sie den warmen Mantel auszog, knisterte es in ihrer Tasche. Tante Maggies Brief. Sie hatte ihn ganz in Gedanken dort hineingesteckt. Nachdenklich spielten ihre Finger mit dem Papier. Sie nahm wahr, wie im hinteren Teil des Cafés ein Telefon klingelte. Trotz der murmelnden Geräusche im Raum war es nicht zu überhören. Die Kellnerin nahm das Gespräch entgegen. Einige englische Sprachfetzen drangen zu ihr herüber, die sie erst nur im Unterbewusstsein hörte.

 

»Okay …, we have to do … yes, I will come tomorrow. Bye.« Chiara aß gerade ihr Rührei und nahm dazu einen Schluck stärkenden Kaffee, als ihr plötzlich beinahe die Gabel aus der Hand fiel!

»Ich habe es!«, rief sie laut. Einige Gäste im Café drehten sich neugierig zu ihr um. Doch das interessierte Chiara herzlich wenig. Sie wussten ja nicht, dass sich genau in diesem Moment eine Zentnerlast von ihren angespannten Schultern löste. Die vergangenen Wochen hatte sie wie durch einen undurchdringlichen Nebel wahrgenommen. Alles hatte sich schwer und belastend angefühlt. Das war es! Sie würde noch einmal ganz neu anfangen! Hier gab es keine Perspektive für sie. Es war mitten im Schuljahr, eine Arbeitsstelle würde sie so ohne weiteres nicht finden. Familie und Freunde gab es nicht. Aber vielleicht in Neuseeland bei Tante Maggie? Ach was, schalt Chiara sich im gleichen Augenblick wieder selbst. Das ist eine Schnapsidee. Das geht ja gar nicht. Wir kennen uns kaum, obwohl wir verwandt sind. Sie verwarf den Gedanken sofort wieder. Doch im Laufe des Tages kam Chiara gedanklich immer wieder auf diesen Einfall zurück. Sie rang mit sich. Mehrmals hielt sie den Telefonhörer unentschlossen in der Hand. Es war nicht schwer gewesen, die Telefonnummer herauszufinden. Im Zeitalter des Internets war das kein Problem mehr. Sie hatte sogar einige Fotos von der Farm ihrer Tante gefunden, die sie neugierig studiert hatte. Letztendlich nahm sie am Abend all ihren Mut zusammen und wählte die lange Nummer. Als Maggie vernahm, wer sie so überraschend vom anderen Ende der Welt anrief, überschlug sie sich fast vor Freude. Nachdem sie sich höflich ein wenig ausgetauscht hatten und Chiara trotz der Entfernung spürte, wie freundlich und aufgeschlossen ihre Tante war, überwand sich Chiara und stellte die entscheidende Frage: »Weshalb ich anrufe, ich möchte dich fragen, ob ich für einige Wochen zu dir kommen kann.«

»Aber Mädel, so lange du willst. Ich warte schon so lange auf eine Nachricht von euch. Ihr könnt alle drei kommen.«

»Tante Maggie, ich muss dir vorher aber noch etwas Wichtiges sagen.« Chiara schluckte. Sie konnte erst gar nicht sprechen.

»Ja, was denn?«

»Mama … Mama ist vor einigen Tagen gestorben.« Schweigen in der Leitung. »O nein, mein Kind! Das kann doch nicht wahr sein! Was ist passiert?«

Chiara konnte trotz der Trennung durch die Telefonleitung spüren, wie erschrocken und traurig Maggie über diese Nachricht war. Sie hatte von der unheilvollen Krankheit ihrer Schwägerin nichts gewusst. »Und was ist mit Hans, wie geht es deinem Vater? Er hat sich ewig nicht mehr bei mir gemeldet. Sonst war es wenigstens noch deine Mutter, die mir auf meine Briefe geantwortet hat.«

»Von Papa habe ich mich getrennt. Seit Jahren habe ich schon keinen Kontakt mehr zu ihm. Er hat uns wegen einer anderen Frau verlassen. Ich weiß noch nicht einmal, wo er sich heute aufhält. Das hat Mama und mir so weh getan, dass wir nach Deutschland zurückgekehrt sind.« Bitterkeit stieg in ihr hoch, während sie mühsam ergänzte: »Er hat sich in den vergangenen Jahren nicht die Mühe gemacht, sich bei mir zu melden.«

Eine lange Stille folgt auf diese Eröffnung. Chiara meinte durch die Telefonleitung zu hören, wie die Tante versuchte, ein Seufzen zu unterdrücken, bevor sie antwortete.

»Weißt du was? Du kümmerst dich jetzt erst einmal um einen Flug, und sobald du kommen kannst, rufst du mich noch einmal an. Ich werde dich dann vom Flughafen in Hamilton abholen. Wenn du bei mir bist, wirst du mir alles in Ruhe erzählen. Einverstanden?« Ihre Stimme klang sehr gütig und verständnisvoll. Chiara mochte sofort ihren warmen Klang. So war vorerst ihr weiteres Schicksal entschieden.

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3. Kapitel

Ein leichtes Kribbeln vibrierte durch Chiaras Körper. Alles, was jetzt vor ihr lag, war ungewiss. Es war, als hätte sie einen Cocktail aus Angst, Vorfreude und Traurigkeit zu sich genommen: Mal schlotterten ihr die Knie vor dem Unbekannten, dann wieder keimte Zuversicht auf. Im nächsten Moment plagten sie dagegen Existenzsorgen. Ihr Geld reichte gerade mal für den Flug nach Neuseeland, hin und zurück. Schnell wischte sie diesen Gedanken wieder fort und sagte zu sich selbst, natürlich so, dass es niemand hören konnte: »Chiara, du machst jetzt erst einmal Urlaub, und dann siehst du weiter. Eigentlich bist du ja von Natur aus ein optimistischer und fröhlicher Mensch. Kommt Zeit, kommt Rat.«

Aber irgendwie hatten die vergangenen Wochen aus ihr einen stillen und nachdenklichen Menschen gemacht. Es war an der Zeit, dass sie wieder unter Menschen kam, dass sie mit jemandem reden konnte. Zu viele stumme Zwiegespräche tun niemandem auf Dauer gut.

Die Motoren des Flugzeuges brummten leise vor sich hin und lullten Chiara und ihre Gedanken in sanfte Schwingungen. In wenigen Stunden würde sie ihre Tante persönlich kennenlernen. Sie dachte darüber nach, was sie von ihr wusste. Eigentlich kannte sie Tante Maggie nur aus den Erzählungen ihrer Eltern: In jungen Jahren hatte diese eine ländliche Hauswirtschaftslehre absolviert und danach Landwirtschaft studiert. Für ihr Studium benötigte sie ein einjähriges Praktikum. So hatte es sich schnell ergeben, dass die reiselustige Frau von einer Agentur auf die Nordinsel von Neuseeland zu Claas van Wyk geschickt worden war. Claas’ Eltern waren Mitte der fünfziger Jahre von den Niederlanden nach Neuseeland ausgewandert. Anfang der neunziger Jahre bewirtschaftete Claas bereits auf der Höhe von Hamilton an der Ostküste eine eigene Farm. Er suchte Praktikanten und engagierte gerne Deutsche. Dann nahm wohl das Schicksal seinen Lauf. Es »funkte« heftig zwischen dem Chef und der hübschen Bauerstochter. Doch nach acht Monaten lief Maggies Arbeitsvisum ab. Sie musste den Inselstaat wieder verlassen, flog zurück in die Heimat und studierte weiter. Nach neun Monaten bekam sie für ein Jahr ein neues Reisevisum von der Botschaft. 1993 nahm der Holländer dann seine große Liebe auf dem Flughafen von Hamilton in Auckland in die Arme. Zu jener Zeit waren die Einreisebestimmungen schwierig. Maggie musste nachweisen, dass sie genug Geld zum Leben mitbrachte. Nach einem Jahr beantragte sie ein Studentenvisum, um im Land bleiben zu können. Erst nach einem zweijährigen Zusammenleben mit Claas und einer harten Prüfung erhielt Maggie eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung von der Immigrationsbehörde und begann unter anderem ein Masterstudium. 1996 hatte sie dann ihre große Liebe geheiratet. Zusammen mit Chiaras Onkel baute sie mit großer Leidenschaft ein Farmimperium auf. Kinder bekamen die beiden nicht. Im Jahr 2006 erreichte Chiaras Eltern die schreckliche Nachricht aus der Ferne, dass der Onkel bei einem schweren Arbeitsunfall ums Leben gekommen war. Das Ehepaar van Wyk hatte gerade seine dritte Farm erworben. Ihre Eltern, die zu der Zeit noch zusammen waren, flogen zur Beerdigung und erzählten nachher von den tragischen Umständen. Sie selbst befand sich damals in wichtigen Abschlussprüfungen und flog nicht mit. Insgesamt war der Kontakt zur Schwester ihres Vaters in den letzten zwanzig Jahren äußerst sporadisch gewesen, denn ihr Vater arbeitete als Diplomat im Ausland. Bis zur Trennung ihrer Eltern hatte die Familie im Ausland an den unterschiedlichsten Einsatzstellen des Vaters gelebt. Die Großeltern waren in Deutschland früh verstorben, und der Hof, auf dem Hans, ihr Vater und seine Schwester Margret aufgewachsen waren, war längst verkauft. Ihre Mutter wuchs als Heimkind ohne Wurzeln auf. Sie hatte schon früh in Chiaras Vater die ganz große Liebe gefunden und war ihm überallhin gefolgt. Für sie gab es nur ein Leben an seiner Seite und mit ihrer Tochter. An dem war auch lange nichts auszusetzen gewesen. Sie lebten glücklich in ihrer kleinen Familie und genossen es, die verschiedensten Orte der Erde kennenzulernen. Chiara besuchte ausländische Schulen und machte später in einem Internat in Bayern ihr deutsches Abitur.

Dann aber brach ihr behütetes Elternhaus von einem Tag auf den nächsten wie ein Kartenhaus zusammen. Ihre Mutter eröffnete ihr aus heiterem Himmel, dass sich der Vater in eine junge Amerikanerin verliebt hätte und mit ihr ein neues Leben beginnen wolle. Weiter erzählte sie ihrer Tochter irgendetwas davon, dass ihr Vater wohl einer Art Midlife-Crisis verfallen sei. Es gab kein Halten. Die Ehe ihrer Eltern brach auseinander. Vor lauter Enttäuschung packte sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Koffer, als sich der Vater auf einer Geschäftsreise befand, und bestand darauf, dass ihre Tochter sie begleitete. Anfangs versuchte sie sich noch mit Händen und Füßen gegen den schnellen Auszug zu wehren. Chiara drängte darauf, mit ihrem Vater sprechen zu dürfen. Doch gegen den eisernen Entschluss ihrer durchsetzungsstarken Mutter kam sie nicht an. So hatte sie sie noch nie erlebt. Mit dem Spruch: »Du kannst mich jetzt nicht auch noch im Stich lassen«, zwang sie ihre Tochter mitzukommen. Sie konnte nicht verhindern, dass diese in eine tiefe seelische Krise stürzte. Immer wieder bekam sie zu hören, daran sei nur der Vater schuld. Da Chiara zu der Zeit mit dem Studium begann, wurde Frankfurt ihr neues Zuhause. Wenn sie sich nach ihrem Vater erkundigte, bekam sie nur die Antwort, er sei in ein ihr unbekanntes Land versetzt worden und habe ihr keine Adresse hinterlassen. Ständig hieß es nur: »Glaub mir, Kleines, er will mit uns nichts mehr zu tun haben. Ein Abschied hätte dir nur noch mehr weh getan.« Natürlich vermisste sie ihn fürchterlich. Ihr tat es sehr weh, dass er sich nicht von seiner »Püppi« verabschiedete hatte. Immer waren sie ein Herz und eine Seele gewesen. Jetzt aber kam kein Anruf, keine Karte zum Geburtstag oder zu Weihnachten. Aus der anfänglichen Enttäuschung wurde Wut, irgendwann Hass. Sie hatte nie verstanden, wieso er ihrer Mutter und ihr das angetan hatte. Es hatte lange gedauert, bis ihre Mutter wieder alleine zurechtkam. Die, die es nie gelernt hatte, auf eigenen Füßen zu stehen, musste erst in ein eigenes und selbständiges Leben zurückgeführt werden. Das war mehr als schwierig gewesen. Durch einen Zufall und die große Überredungskunst ihrer Tochter fand sie eine Aufgabe als Betreuerin in einem Heim für Integrationskinder. Diese Arbeit lenkte sie ab und verschaffte ihr etwas Abwechslung. Sie selbst hatte die Trennung von ihrem heiß geliebten Papa nie ganz verkraftet. Wie auch? Er, der ihr immer ein liebevoller, treusorgender Vater gewesen war, ließ seine Tochter von einem Tag auf den anderen für immer im Stich. Wenn sie daran dachte, kroch heute noch die kalte Wut in ihr hoch.

Doch dann brach mit einem Paukenschlag der heimtückische Krebs bei ihrer Mutter aus und stellte ihr Leben nochmals auf den Kopf und Chiara erneut vor eine schwere Bewährungsprobe.

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4. Kapitel

Sie war so aufgeregt. Nervös drehte sie die ganze Zeit ihre langen Haare. Immer wieder zwirbelte sie die Strähnen um ihren Zeigefinger. In Hongkong hatte das Flugzeug zum Tanken zwei Stunden Aufenthalt. Dann ging es weiter, quer über Australien, Chiaras neuer Zukunft entgegen. Es war vier Uhr in der Nacht, als Chiara endlich ihr Ziel, den Flughafen von Hamilton, erreichte. Todmüde stand sie am Gepäckband und wartete auf ihre Koffer. Dann endlich hatte sie alle Gepäckstücke zusammen und bewegte sich mühsam mit ihrem überladenen Gepäckwagen zum Ausgang. Hier wollte sie sich mit ihrer Tante treffen. Ihre Ankunftszeit hatte Chiara per SMS mitgeteilt und eine Nachricht zurückerhalten, dass sie in der Ankunftshalle abgeholt werden würde. Überall hielt sie Ausschau nach einer Dame mittleren Alters. So ganz genau wusste sie nämlich nicht, wie sie aussah. Sie kannte ihr Gesicht nur von alten Familienfotos. Doch keine der Personen, die an ihr vorbeiliefen, deutete auf Tante Maggie hin. Etwas ratlos ließ sie sich auf ihren großen Koffer fallen. Und nun? Mit dem Taxi war es zu weit. Da wurde sie plötzlich von einer tiefen Stimme von hinten angesprochen.

»Mrs. Christensen?« Erschrocken drehte sie sich um. Dort stand ein Mann, er mochte Mitte dreißig sein, mit zerzausten, lockigen Haaren, lässig in Jeans und Holzfällerhemd gekleidet.

»Ja?«, erwiderte sie und merkte, wie sie vor Verlegenheit rot wurde. Türkisblaue Augen, tief wie zwei Bergseen, blickten sie neugierig an. Wow! Was für ein Ausdruck! So etwas hatte sie noch nie gesehen. Total verwirrt betrachtete sie ihn näher. Ihr Blick glitt über sein Gesicht. Feine Bartstoppeln »zierten« sein Gesicht. Eine Rasur wäre nötig gewesen. Ob er einen Kamm besaß, das war dahingestellt. Aber irgendwie war das egal. Von ihm ging eine Anziehung aus, der Chiara sich nicht entziehen konnte.

»Ihre Tante schickt mich. Sie ist leider verhindert. Kommen Sie!« Seine Stimme war etwas rau, und seine Anweisungen klangen abgehackt. Völlig perplex schaute Chiara hinter ihm her. Ohne sich umzudrehen, lief er mit weit ausholenden Schritten voraus.

Das ist ja eine nette Begrüßung! Was blieb ihr anderes übrig? Hastig raffte sie ihre Siebensachen zusammen und stolperte mit ihrem schweren Gepäckwagen so gut sie konnte, schwer atmend, hinter ihm her.

»He Sie! Hallo, warten Sie! Ich komme nicht mit!« Doch ihr Vordermann setzte seinen Weg unbeirrt fort. Der Abstand zwischen ihnen wurde immer größer. Da konnte sie rufen und schimpfen, wie sie wollte. Sie merkte, wie ihre Wangen vor Anstrengung glühten. Allmählich wurde sie wütend. Dieser ungehobelte Klotz! Erfreulicherweise blieb er endlich vor einem Pick-up mit offener Lagefläche stehen. Doch zu ihrem Unglück rutschte genau in diesem Moment einer ihrer Koffer von ihrem Gepäckturm hinunter und sprang auf. Dabei verteilten sich alle Utensilien mitten auf dem Parkplatz. Ein Auto blieb laut hupend direkt vor ihr stehen. Schließlich befand sie sich noch auf dem Parkstreifen für an- und abfahrende Fluggäste.

»So ein Mist!« Wohl oder übel kniete sie sich hin und stopfte so schnell sie konnte ihre Sachen hastig in den Koffer zurück. Da stand der unbekannte Schöne plötzlich wieder hinter ihr, wedelte mit einem spitzenbesetzten BH vor ihrer Nase herum und warf ihn mit einer Eleganz, die Chiara ihm nicht zugetraut hätte, zu den anderen Klamotten. Ein Anflug eines Grinsens zog sich über sein Gesicht. Der Vorgang hatte mit Sicherheit nicht mehr als zehn Sekunden gedauert. Da war der Moment einer Gefühlsregung des unbekannten Mannes auch schon wieder vorbei.

»Eh, Sie!« Chiara schimpfte wütend über diese freche Provokation. Doch ungerührt über Chiaras Schimpftirade hievte dieser mit Schwung den schweren Koffer auf die Ladefläche, als hielte er eine leichte Tasche in der Hand. Chiara blieb vor Staunen der Mund offen stehen. Mühsam hatte sie mit dem Gepäckwagen ihr Ziel ebenfalls erreicht. Das kann ja heiter werden! Will der mich auf den Arm nehmen?

»Können Sie keine Rücksicht nehmen? Ich bin nicht so schnell wie Sie!« Ohne Kommentar landeten die anderen Gepäckstücke bei dem ersten Koffer auf dem Wagen. »Einsteigen!«

 

Schnell kletterte Chiara auf den Beifahrersitz. Sie wollte sich gerade anschnallen, da hatte er bereits den Motor angelassen und preschte los. Mit einem heftigen Ruck wurde sie in das Sitzkissen zurückgeschleudert. Da stehen mir ja glorreiche Zeiten bevor, wenn ich in den nächsten Wochen noch öfter mit diesem ungehobelten Klotz zu tun bekomme.

Zügig ging die Fahrt in die dunkle Nacht hinaus. Von der faszinierenden Stadt Hamilton, über die sie im Reiseführer bereits viel gelesen hatte, bekam sie in dieser Nacht leider nicht viel zu sehen.

Das Raubein von Mann neben ihr schwieg weiterhin beharrlich. Ob er sauer war, sie mitten in der Nacht abholen zu müssen? Obwohl, er sah nicht so, als würde ihm das etwas ausmachen. Na gut, wenn du das so willst, mein Lieber, dann schweigen wir eben beide