Tanz der Elemente - Michael Pilz - E-Book

Tanz der Elemente E-Book

Michael Pilz

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Beschreibung

Für Kursbuch 199 unterzieht Michael Pilz das Periodensystem der Elemente einem Intelligenztest und fördert dabei weit mehr zutage als stumpfes Wissen über Chemie und Physik. Im Periodensystem, so wie es heute in Schulklassen und Forschungslaboren hängt, offenbare sich nichts weniger als die Gesamtheit von Natur und Kultur des Menschen, so Pilz. Ob jedoch alles untereinander wirklich in systematischer Ordnung steht oder sich hinter dem Tanz der Elemente nicht viel eher das Chaos verbirgt?

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Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhalt

Michael PilzTanz der ElementeDas Periodensystem als Welterzählung

Der Autor

Impressum

Michael PilzTanz der ElementeDas Periodensystem als Welterzählung

Vor 150 Jahren wurde die Welt in Ordnung gebracht: Im Jahr 1869 brütet Dmitri Mendelejew in Sankt Petersburg an seinem Schreibtisch über 63 Spielkarten für die damals bekannten Elemente und sucht nach einem System. Er schreibt gerade an einem Lehrbuch für seine Studierenden über die Chemie als reine Lehre der Materie. Im ersten Band behandelt er die Elemente Fluor, Chlor, Brom und Jod, im zweiten Lithium, Natrium, Kalium, Rubidium und Cäsium. Danach weiß er nicht mehr weiter. Gold und Eisen, Kohlenstoff und Schwefel, Wasserstoff und Sauerstoff. Die Welt wirkt wie ein willkürliches Werk aus schwereren und leichteren Substanzen, von denen sich manche näherstehen als andere. Mendelejew glaubt nicht an die Schöpfung. Der Professor macht aus seinen atheistischen und anarchistischen Gedanken kein Geheimnis. Er stammt aus Sibirien und sieht auch aus, wie literarisch entworfene Bilder eines Sibiriers vermuten lassen: Langes Haar, zerzauster Bart, einmal im Jahr lässt er sich gemeinsam mit den Schafen scheren. Mendelejew ist der Rasputin der neuen Wissenschaften, ein Schamane, der die rätselhaften Zeichen der Natur versteht und sie den Menschen übersetzen kann. In Worte, Schriften und Symbole, in Kultur.

Über die 63 Karten sinnierend nickt er ein. Als er erwacht, notiert er das Periodensystem der Elemente. Es ist ihm im Traum erschienen. So weit die Legende. Jener magischen Intelligenz des Unbewussten ist so manches zu verdanken, von Einsteins Relativitätstheorie bis »Yesterday« von den Beatles. Als die Tabliza Mendelejewa zur Welt kommt, liegt sie auf der linken Seite. Manche Elemente stehen an der falschen Stelle. Aber das System steht fest, oder, wie es ihr Schöpfer schon in seinen frühesten Schriften formuliert hat: »Das Gebäude einer jeden Wissenschaft erfordert nicht nur Material, es braucht auch einen Plan.« 1 Ihm geht es um »Prinzipien« und »Symmetrien«. Seine Elemente bilden keine lange Reihe mehr mit stetig steigenden Atomgewichten, sondern eine sinnvolle Tabelle aller Bausteine des Universums. Eine Tafel, die aus sich heraus intelligent gestaltet ist, weil Gott – wenn es ihn gäbe – auch nicht würfeln würde.

Auch das Periodensystem ist demnach, wie alle großen Kreationen, weiser als sein Schöpfer. Der Prophet ist nicht Dmitri Mendelejew, das Prophetische ist seine Ordnung selbst mit ihren Leerstellen und Anschlüssen für immer neue Elemente: Gallium, Scandium und Germanium sagt das System voraus. Die Edelgase finden ihren Platz, so heftig Mendelejew es auch gegen sie verteidigt. Selbst die Lücke auf Platz 43, siebte Gruppe, fünfte Periode, wird nach 68 Jahren vom Technetium besetzt, dem ersten künstlich hergestellten Element. Danach werden die Transurane im Labor erzeugt, die Elemente 93 und so weiter, bis das Periodensystem voll ist und mit 118 Elementen seinen 150. Geburtstag feiern kann, im Jahr 2019. Aber ist es überhaupt noch wahr? War Mendelejews Ordnung jemals mehr als eine überzeugende Infografik für die alte, von Goethe am eindringlichsten formulierte Menschheitsfrage danach, was die Welt im Innersten zusammenhält? Ist die Ordnung mehr als ein Weltbild, das in Klassenräumen und Seminarsälen hängt, das in Fernsehserien wie Breaking Bad illustriert und das als Duschvorhang verkauft wird?

Die Erzählung von Natur und Kultur

Das Periodensystem erzählt, und darin liegt seine umfassende Intelligenz, zugleich die kosmische Naturgeschichte und die menschliche Kulturgeschichte. Man muss das System nur lesen können. Einerseits berichtet es von rohen Naturgewalten, vom Urknall, von den Kernfusionen in der Sonne und von der Evolution der Elemente: Einprotonige Wasserstoffatome krachen ineinander und erzeugen zweiprotoniges Helium. Die Kernfusionen setzen Lithium, Beryllium und Bor auf die drei folgenden Plätze. In den neugeborenen Sternen steigen die Dichte und die Energie, bis aus drei Heliumkernen mit vier Neutronen der Kohlenstoff entsteht und aus dem Kohlenstoff durch einen weiteren Heliumkern der Sauerstoff. Daraus emergieren auf Erden so allgegenwärtige Substanzen wie Silizium und Eisen. Wenn ein Stern wieder verglüht, wird seine Energie so hoch, dass die Materie sich vom Eisen bis hinunter zum Uran verdichtet, auf Platz 92 in der unteren der beiden Unterzeilen des Periodensystems.

Auf der anderen Seite ist der Tafel die menschliche Kulturgeschichte eingeschrieben. Von den ersten Elementen, die durch die Chemie des Feuers sichtbar werden – Kohlenstoff und Kupfer – über die gediegenen Metalle Gold, Silber und Eisen, das in Meteoren vom Himmel fällt, bis hin zu jenen Elementen, die im Menschen und in Erzen oder Mineralien verborgen sind, wie etwa Kalzium und Eisen, das verhüttet werden muss. Schließlich bis hin zu jenen, deren Plätze leer wären, wenn sie der Mensch nicht maschinell erschaffen hätte, wie Einsteinium und Oganesson. Seit die Rede ist von Elementen und Atomen geht es um den Plan, um Symmetrien und Prinzipien. Die Antike kommt auf eine Ordnung von vier Elementen, Feuer, Wasser, Luft und Erde, ein abstraktes fünftes ist der Äther. Die platonische Materie besteht in ihrer Vielfalt aus der Einheit immer gleicher Teilchen. Diese kleinsten Körper setzen sich aus regelmäßigen Drei-, Vier- oder Fünfecken zusammen. Feuer bildet sich aus Tetraedern, Wasser aus Ikosaedern, Luft aus Oktaedern und Erde aus winzigen Würfeln. Die Dodekaeder bleiben für die Quintessenz, den Äther, übrig. Dass sich jedes der vier ursprünglichen Elemente in ein anderes verwandelt lässt, ist geometrisch einfach zu berechnen: Einmal Wasser wäre zweimal Luft und einmal Feuer. Zweimal Feuer wäre einmal Luft. Und einmal Wasser wäre dann auch zweieinhalbmal Luft. Auf Aristoteles geht das erste System zurück, die erste Matrix der vier Elemente: Feuer – warm und trocken –, Wasser – kalt und feucht –, Luft – warm und feucht – und Erde – kalt und trocken. »Alles ist entweder Element oder setzt sich aus Elementen zusammen«, steht bei Aristoteles, dem ersten Chemiker der Welt.2

Alles besteht aus Elementen und jedes der Elemente aus Atomen. Auch das atomare Zeitalter beginnt in der Antike. Demokrits Atome unterscheiden sich nach Form und Größe, seine kleinsten, unteilbaren Teilchen sind einfache Körper, Kugeln, Würfel, Pyramiden und Zylinder. Später schreibt Lukrez in Über die Natur der Dinge: »Weil man die Urelemente mit Augen zu sehn nicht imstand ist/ Höre nun weiter von Körpern, die eingestandenermaßen/ Zwar in der Welt sich befinden und doch sich nicht sichtbar bekunden.« 3 Die Atome heißen bei Lukrez »Ursprung der Dinge« oder »Mutterstoff«. Es sind sich selbst organisierende, intelligente Teilchen, die zu Wasser, Erde, Luft und Feuer werden, genauso wie zu Pflanzen, Tieren und Menschen. Mit dem Christentum verschwinden die Atome. Die vier Elemente überleben die Jahrtausende als Schöpfungsakt der höchsten, überirdischen Intelligenz. Die Elemente sind nach Platon, Aristoteles und ihren Schülern göttlicher Natur. Die Gnostiker und Alchemisten streben nach einer Vervollkommnung des Geistes und einer Veredlung der Materie. Wie sich Gott in jedem Menschen offenbart, schläft in jedem grauen Metall das edelste aller Metalle, nämlich Gold. Die Alchemisten suchen danach, nach dem Stein der Weisen.

Die Evolution der Ordnung