Tanz mit mir - Gabriele Walter - E-Book

Tanz mit mir E-Book

Gabriele Walter

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Beschreibung

Seit zwanzig Jahren ist Leonie glücklich verheiratet. Doch wie schon des Öfteren, herrscht auch diesmal wieder Krisenstimmung vor dem gemeinsamen Urlaub. Da Erich glaubt, unabkömmlich in der Firma zu sein, muss sie die gebuchte Reise zum wiederholten Mal stornieren. Aus Enttäuschung beschließt sie, sich in der alten Heimat bei ihren Eltern zu erholen. Als sie bei einer Zufallsbegegnung in die karibikblauen Augen eines Fremden blickt, kommen lange verborgene Gefühle wieder hoch. Eine Laune des Schicksals? Für Leonie beginnt eine berauschende Achterbahnfahrt der Gefühle.

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Die Autorin

Im Jahre 1954 wurde sie in Schwäbisch Hall geboren. Ihre Kindheit und Jugend verbrachte sie in Schwäbisch Gmünd. 1973 heiratete sie. 1981 zog die Familie ins Nördlinger Ries.

Bereits als Teenager schrieb sie Kurzgeschichten für ihre Freundinnen. Nach der Schulzeit wollte sie ihren größten Wunsch, Schriftstellerin zu werden, in die Tat umsetzen. Doch das Leben kam dazwischen. Erst Jahre später gelangte sie nach einigen Umwegen in eine Situation, die sie erkennen ließ, dass allein das Schreiben genau das war, was sie schon immer tun wollte. Und so wurde es zu einem wesentlichen Teil ihres Lebens.

Während ihrer jahrelangen beruflichen Tätigkeit als Einzelhandelskauffrau, Ausbilderin und Seminarleiterin durfte sie Menschen aus unteschiedlichen sozialen Schichten kennenlernen und zwischenmenschliche Erfahrungen sammeln, die sich in ihren Romanen widerspiegeln.

Ihre Romane handeln von der Liebe, die stets geheimnisvoll und zuweilen sogar gefährlich sein kann, von Schicksalen, wie sie einem täglich begegnen, und mystischen Ereignissen, die der Verstand mitunter nur schwer erklären kann. Es geht jedoch immer um Frauenschicksale. Starke, schwache, träumende, liebende und mit dem Schicksal hadernde Frauen.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 1

Kein noch so kleines Wölkchen unterbrach die unendliche Weite des tiefblauen Himmels. Obwohl an diesem Abend ein laues Lüftchen sanft über ihre Haut strich und die Hitze des Tages auf angenehme Weise vergessen ließ, war es immer noch angenehm warm.

Leonie genoss Abende an denen das Leben nur noch leise pulsierte und doch so präsent war. Sie lag in ihrer Hängematte, beobachtete nah an ihr vorüber flatternde Schmetterlinge und Vögel, die sich ihren Weg hoch oben am Himmel suchten oder an Dachgiebeln saßen und ihr Abendlied zwitscherten. Bienen und Hummeln summten, brummten und labten sich an den reichhaltigen Blütenstauden, von denen sie in Leonies Garten durch eine überwältigende Farbenpracht und von süßen Düften angelockt wurden. Nachbarn unterhielten sich. Wortfetzen drangen zu ihr herüber. Kinder lachten und kreischten fröhlich auf dem in der Nähe gelegenen Abenteuerspielplatz. Die Luft war erfüllt vom Duft des Sommers. Jemand grillte Steaks. Der Geruch zog ab und zu, je nachdem woher das Lüftchen wehte, unter ihrer Nase vorbei und versuchte ihren Appetit anzuregen. Meistens aber duftete es nach einem Gemisch aus Jasmin und Rosen, die ganz in ihrer Nähe blühten und ab und zu umgarnte sie der Duft der letzten Holunderblüten. Damals, als sie den Garten um ihr Haus anlegten, pflanzte sie den Holunder eigenhändig, obwohl der Landschaftsgärtner ihr erklärte, dass es sich dabei nicht gerade um ein Edelgehölz handle. Doch als sie ihm von ihrer Großmutter berichtete, die davon überzeugt war, dass in ein Haus, in dessen Garten ein Holunder stehe, nie der Blitz einschlagen würde, zuckte der junge Mann nur mit den Schultern und ließ sie gewähren.

Nun sog sie den süßen Duft, nach dem sie sich Jahr um Jahr aufs Neue sehnte, da er ihr ein Gefühl von Heimat, Geborgenheit und – Liebe vermittelte, tief in ihre Lungen. Liebe – echte, tiefe Liebe – die nicht gelebt wird, ist wie Unkraut das, selbst wenn man es hundertmal herausreißt, nie ganz auszumerzen ist. Es bedarf nur eine jener feinen Haarwurzeln, die irgendwo tief verborgen zurückgeblieben ist und ehe man es sich versieht, treibt sie wieder aus.

Tief einatmen – langsam ausatmen. Sie sollte viel öfter meditieren. So erholsam und beruhigend es sein konnte, die Gedanken einfach nur schleifen zu lassen oder die Stille zu genießen, so aufregend vermochten immer wiederkehrende Erinnerungen sein, die sie, angeregt vom Duft des Holunders, tiefer und tiefer in die Vergangenheit zogen, zu einem Abend, den sie nie vergessen würde.

Doch kaum befanden sich ihre Gedanken an diesem fernen Ort, wurde sie vom Einklinken der Haustür aufgeschreckt. Sie erhob sich und schlenderte über die Terrasse ins Haus.

„Dominik! Du bist schon zu Hause?“, fragte Leonie verwundert, als sie durch die Terrassentür eintrat und feststellte, dass ihr Sohn vor dem geöffneten Kühlschrank stand und wieder Mal, viel zu gierig, eine eiskalte Cola in seine Kehle kippte.

Er setzte die Flasche ab und sah sie verwundert an. „Was heißt hier schon? Ich hatte vor ’ner Stunde Feierabend, war nur noch bei … Ist Dad etwa noch nicht zu Hause?“

Leonie schüttelte verneinend den Kopf.

Dominik machte einen großen Schritt auf sie zu, betrachtete sie kritisch, bevor er den Zeigefinger unter ihr Kinn legte und es sanft anhob. „Hast du etwa geweint, Mam?“, fragte er besorgt.

„Nein, nicht wirklich“, erklärte sie lächelnd.

„Nicht wirklich? Unwirklich oder was?“

„Nicht, weil ich irgendwelchen Kummer habe“, antwortete sie und deutete nach draußen. „Ich lag eben in der Hängematte und da schweiften meine Gedanken ein bisschen in Erinnerungen ab.“

„Ah ja?“, fragte er mit erwartungsvoll hochgezogenen Augenbrauen und fügte, bevor er die Flasche erneut an seine Lippen setzte, hinzu: „Und was sind das für Erinnerungen, die dich zum Weinen bringen?“

„Ach, nur sentimentales Zeug“, antwortete Leonie, doch fragte sie sich einen winzigen Augenblick, weshalb sie in letzter Zeit so häufig von dieser Erinnerung und vor allem mit dieser Sehnsucht im Herzen eingeholt wurde.

„Sentimentales Zeug? So, so.“

„Erinnerungen“, erklärte sie. „Ich dachte an eine Zeit, die schon sehr lange der Vergangenheit angehört.“

„Das klingt ja beängstigend tiefgründig“, meinte er und fügte besorgt hinzu: „Und anscheinend belasten sie dich noch heute?“

„Quatsch! Ist schon wieder vorbei. Manchmal sind wir Frauen halt gewissen Stimmungen unterworfen. Du weißt doch ich bin zu nah am Wasser gebaut. Soll ich nun etwas kochen oder belege ich uns ein paar Brote?“, lenkte sie das Thema in eine unverfängliche Richtung, während sie die Kühlschranktür öffnete.

„Warum fragst du mich? Hat Dad bezüglich des Abendessens keine Wünsche geäußert?“, spöttelte er ein wenig gereizt.

„Nein, hat er nicht.“ Sie wusste genau, was er mit seiner Bemerkung andeuten wollte. „Ich frage dich, weil dein Vater erst spät nach Hause kommen wird. Er hat eine Besprechung im Betrieb und wird in der Kantine essen.“

„Was gibt es denn schon wieder so Wichtiges zu besprechen?“, wollte er wenig interessiert wissen.

„Firmeninterne Probleme. Ich weiß nur, sollten sie keine Lösung finden, werden sie einige Leute entlassen müssen. Doch du kennst ja deinen Vater, weißt wie hartnäckig er sein kann. Bevor er das zulässt, geht er erst mal alle anderen Möglichkeiten durch. Wir leben nicht gerade in rosigen Zeiten. Wenn das so weiter geht …“

„Mal’ nicht gleich den Teufel an die Wand. Sollte es dazu kommen, bin ich einer der ersten, der seinen Job verliert. Aber was soll’s, bis es dann letztendlich soweit ist, studiere ich bereits in München und das hier geht mir alles am Arsch vorbei. Mach dir mit dem Essen keine Umstände. Ich bin nicht hungrig“, erklärte er miesepetrig.

„Was ist los? Ich verstehe weder, dass du keinen Hunger hast, noch diesen gereizten Ton. Und was bitte, sollen die derben Ausdrücke? Du weißt, ich kann das nicht leiden. Ist etwas passiert? Geht’s dir nicht gut?“

„Es ist nichts und es geht mir gut“, antwortete er mürrisch. „Ich habe nur keinen Appetit … Was soll’s, ich geh zu Bett.“

„Ich frage dich nochmal, was ist …?“

„Nichts!“, unterbrach er sie unwillig. „Das verstehst du nicht.“

„Komm schon, rede mit mir“, bohrte sie hartnäckig weiter. „Es geht um ein Mädchen?“

„Und wenn schon“, murmelte er vor sich hin. „Wie könntest du mir dabei helfen?“

„Nun ja, ob du es glaubst oder nicht, ich war auch mal jung.“

„Tatsächlich?“, fragte er schmunzelnd. „Bist du denn inzwischen alt?“

Leonie zuckte mit den Schultern. Zumindest fühle ich mich mitunter so, dachte sie.

„Ach Mam, du siehst toll aus und ich bin einfach nur genervt. Gestern Abend – na ja, da war diese Schönheit mit dem wohl bezauberndsten Lächeln das ich je gesehen habe“, Dominik ließ genießerisch seine Augäpfel kreisen. „Eine Figur zum Anbeißen und Augen in denen eindeutig ein Versprechen lag. Sie sah mich an und schon hat’s gefunkt – zumindest bei mir. Wir unterhielten uns eine ganze Weile richtig gut und ich dachte doch wirklich, die ist es. Bis gegen eins plötzlich so ein ungehobelter Typ auftauchte und sie regelrecht hinauszerrte. Vermutlich ihr Freund.“

Leonie lächelte mitleidig und legte ihm ihre Hand auf die Schulter. „Du Ärmster. Bist du dir nicht sicher? Du steigerst dich also schon wieder in eine Vorstellung rein, die möglicherweise gar nicht den Tatsachen entspricht. Vielleicht hat sie ihm nach diesem Auftritt den Laufpass gegeben. Womöglich sind die beiden längst getrennt oder sie waren nie zusammen. Es soll schon vorgekommen sein, dass es zwischen Männern und Frauen zu Auseinandersetzungen kam, obwohl sie weder verliebt, verlobt oder verheiratet waren. Sicher gibt es eine plausible Erklärung. Warum gehst du heute nicht aus?“

„Keine Lust“, murmelt er.

„Könnte ja sein, dass du sie triffst und bei dieser Gelegenheit erklärt sie dir, was es mit diesem Typen auf sich hat, wer er ist und warum sie mit ihm mitgegangen ist?“

„Meinst du?“, fragte er skeptisch und lehnte sich nachdenklich an den Küchenschrank.

„Ein Versuch wär’s doch wert. Du willst doch Anwalt werden? Verurteilst du deine Mandanten dann auch auf bloße Indizien hin, bevor du mit ihnen gesprochen hast? Wie willst du sie dann gut verteidigen?“

„Das ist ein Argument.“

„Um Missverständnisse zu vermeiden, muss man über alles reden. Glaub mir, ich weiß wovon ich spreche.“

„Aha! Du also auch? Was hast du verschwiegen?“, feixte er, bevor er befreit auflachte, das Gesicht seiner Mutter zwischen beide Hände nahm und kurz, aber ungestüm küsste. „Ich schiebe mir nun doch eine Pizza ins Backrohr, danach gehe ich nochmal weg“, sagte er grinsend. „Danke, Mam. Du bist großartig“, fügte er hinzu, während er die Tür des Gefrierschranks öffnete und eine Pizza herausnahm. „Möchtest du auch eine?“

„Nein, danke“, lehnte sie ab, „ich habe keinen Appetit. Außerdem werde ich schon wieder von diesen entsetzlichen Magenkrämpfen geplagt, ich lege mich aufs Sofa und warte auf deinen Vater.“

„Warum gehst du nicht gleich zu Bett? Dad will ganz sicher nicht, dass du auf ihn wartest“, meinte Dominik besorgt.

„Nein. Will er sicher nicht, aber, wenn ich ihn nicht ab und zu daran erinnere, dass zu Hause ebenfalls ein Mensch ist, der ihn braucht, vergisst er das womöglich völlig. Er bat mich heute, unseren Urlaub zu stornieren.“

„Das ist nicht sein Ernst?“

„Doch. Er ist wieder einmal unabkömmlich“, antwortete sie und die Enttäuschung war deutlich in ihrer Stimme zu vernehmen. Leonie liebte ihren in sich ruhenden Ehemann, der sich nie verstellte und stets tat, was getan werden musste. Das änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass sie sich mitunter einsam fühlte. Er schien sich überhaupt nicht vorstellen zu können, dass seine Frau ihn am liebsten davon abhalten würde, ständig für andere den Helden zu spielen.

„Das tut mir leid, Mam. Vielleicht könnt ihr ja in ein paar Wochen fahren“, bemühte er sich, sie zu trösten.

„Ja, vielleicht. Gute Nacht, mein Sohn“, antwortete sie resignierend.

„Schlaf gut, Mam.“

Bereits auf dem Weg ins Schlafzimmer begann sie die Knöpfe ihrer Bluse zu öffnen. Sie liebte es bequem, darum holte sie ihren Pyjama unter dem mit gestreiftem Satin bezogenen Kissen hervor. Einen Teil ihrer Kleider hängte sie ordentlich auf Bügel, Unterwäsche und Strümpfe warf sie gleich in den Wäschekorb. Nachdem sie ihren Pyjama angezogen hatte, ging sie ins Bad, schminkte sich ab, putzte ihre Zähne und schlenderte ins Wohnzimmer zurück. Dort lag wie immer griffbereit die karierte Baumwolldecke auf dem Sofa. Leonie kuschelte sich drunter und versuchte zu schlafen. Was ist bloß los mit mir? Irgendetwas stimmt nicht. Ständig plagen mich diese verdammten Magenschmerzen und die Appetitlosigkeit gibt mir auch zu denken. Ich sollte Erichs Rat befolgen und endlich mal einen Termin bei Doktor Cloos vereinbaren, überlegte sie, da sie es sich zurzeit auf keinen Fall leisten konnte, krank zu werden. Ihr Terminplaner war, außer in den nächsten beiden Wochen, die sie für ihren Urlaub eingeplant hatte, gespickt voll. Schade, wieder mal ein Urlaub, aus dem nichts wird. Ein Gedanke, der sogleich erneute Magenkrämpfe auslöste. Beide Beine anziehend presste sie ihre Hände fest auf den Bauch und schob den belastenden Gedanken von sich. Um sich abzulenken, konzentrierte sie sich auf die Arbeit, die sie am kommenden Tag in der Fußgängerzone, im Hause „Altmann“, einem renommierten Herrenausstatter, erwartete.

Der Auftrag lautete, zwei Fenster für den kommenden Sommerschlussverkauf zu dekorieren. Wie immer, während der heißen Sommertage, würde sie schon gegen sechs Uhr beginnen. Optimale Voraussetzungen, um sich nicht allzu sehr der Hitze des Tages aussetzen zu müssen. Um die Mittagszeit schien die Julisonne direkt in die riesigen, leider nicht isolierten Fenster. Obwohl Herr Altmann stets die Markisen herunterließ, konnte man in dieser Hitze bisweilen Eier ausbrüten. Mitunter überkam einen dann das starke Bedürfnis hinauszustürmen, um frische, kühle Luft auf der Haut zu spüren und die Lungen zu füllen, da man glaubte, entweder ersticken oder dahinschmelzen zu müssen, bliebe man auch nur noch eine Minute länger in diesem Backofen. So wie der gewiefte Geschäftsmann es wünschte, würde sie so viel Ware wie möglich im Fenster dekorieren. Die Kunst bestand darin, diese so zu drapieren, dass er sie jederzeit selbst herausholen konnte, da er diese natürlich ebenfalls zu verkaufen gedachte. Das würde sicher nicht viel Zeit in Anspruch nehmen. Sollte alles so klappen wie sie es sich vorstellte, konnte sie bereits zur Mittagszeit fertig sein und sich geistig auf ihren Urlaub einstimmen. Ja, für Montagvormittag vereinbare ich einen Termin bei Doktor Cloos. Wenn er mir bestätigt, dass keine ernsthafte Erkrankung bei mir vorliegt, kann ich mich während der kommenden zwei Wochen beruhigt erholen. Schade, ich habe mich so sehr auf diesen Urlaub gefreut. Zwei Wochen Katalonien – Sonne, Strand, Meer, romantische Dörfer, gutes Essen … Na ja, was soll’s, in Gardenien ist es auch sehr schön. Aber Gardenien habe ich jeden Tag, dachte sie trotzig. Ich erwarte doch nicht zu viel, wenn ich meinen Ehemann auch mal für mich alleine haben möchte? Dass ihm seine Arbeit wichtig ist, schon immer wichtig war, das weiß ich ja. Aber in letzter Zeit habe ich immer häufiger das Gefühl, dass ihm auch seine Verantwortung als Betriebsrat wichtiger ist als unsere Ehe. Doch was kann ich tun? Ich muss mich damit abfinden.

Seufzend sah sie sich bereits im Liegestuhl räkeln oder am nahegelegenen Waldrand ausgedehnte Spaziergänge unternehmen. Plötzlich, sie konnte sich nicht erklären wieso gerade jetzt, erinnerte sie sich an die Zeit nach Dominiks Geburt, als Erich sie bat, ihren Beruf an den Nagel zu hängen. Prinzipiell hatte sie nichts dagegen einzuwenden. Im Gegenteil, sie glaubte sogar, dass sie es ihrer kleinen Familie schuldig war, ganz für sie da zu sein. So verwöhnte sie ihren Ehemann mit einem vor Gemütlichkeit strotzenden Heim und für Dominik bemühte sie sich die nahezu perfekte Mutter zu sein. Sie empfand es beglückend, ihren Sohn bei den ersten Schritten ins Leben begleiten zu können, ihn zu beobachten wie er mit weit aufgerissenen Augen, staunend oder kritisch, die Welt betrachtete und erste Erfahrungen sammelte. Während seiner Schulzeit unterstützte sie ihn so gut sie konnte. Abwechselnd mit anderen Müttern brachte sie die Jungs ins Freibad und zum Fußballtraining. Als er aufs Gymnasium wechselte, änderten sich seine Interessen. Er bekam Klavierunterricht und spielte Keyboard in der Schülerband. Je älter er wurde, umso selbstständiger wurde er. Dazu trug letztendlich auch das Mofa bei, das ihm sein Vater zum Schulwechsel geschenkt hatte. Leonie bereute keine Minute dieser gemeinsamen Zeit. Doch immer öfter kam sie sich überflüssig vor. Bald fiel ihr buchstäblich die Decke auf den Kopf und letztendlich gab sie vor sich selbst zu, dass sie ihre Arbeit vermisste. Und als sie erkannte, dass sie langsam zu einer jener frustrierten Ehefrauen mutierte, die, weil ihnen ihre Küche tagsüber nichts Neues zu berichten hatte, ihren Ehemännern abends mit idiotischen Fragen auf den Geist gingen, entschloss sie sich, wieder ins Berufsleben einzusteigen. Um sich die Zeit frei einteilen zu können, da sie für ihren Sohn dennoch stets erreichbar sein wollte, entschied sie sich zur Selbständigkeit. In Fachkreisen war sie bereits vor ihrer Auszeit, als handwerklich exakte, phantasievolle Dekorateurin bekannt, da von ihr dekorierte Fenster eine ganz eigene Handschrift trugen. So kamen, nachdem sie ihre Einfraufirma publik gemacht hatte, die Aufträge wie von selbst.

Da Dominik mittlerweile das Abitur in der Tasche hatte und gut alleine zurechtkam, konnte sie nun sogar zu allen erdenklichen Zeiten arbeiten. Und die Geschäftsleute vertrauten ihr. Die meisten händigten ihr sogar einen Schlüssel zur Hintertür des Geschäftes aus. Auf diese Weise füllten sich bisweilen die einsamen Abende, an denen Erich länger im Büro zu tun hatte.

Nachdem Erich vor fünfzehn Jahren das Angebot erhielt, als Leiter in der Entwicklungsabteilung eines Werkes für Elektronikteile zu arbeiten, zogen sie zunächst in eine vom Werk zur Verfügung gestellte Wohnung nach Bad Mergentheim. Ein Jahr später bezogen sie ihr eigenes Haus. Erich arbeitete oft bis spät in die Nacht. Und als ob diese Arbeit ihn nicht schon genug von zu Hause abhielt, ließ er sich vor zwei Jahren, wegen seiner Bereitschaft sich für andere einzusetzen, in den Betriebsrat wählen. Und als die Betriebsräte ihn baten, den Vorsitz zu übernehmen, stimmte er auch dem noch zu. Erich, ihr Fels in der Brandung – ja, das war er wirklich. Sie wusste, sie konnte sich hundertprozentig auf ihn verlassen, würde es ihr ersichtlich schlecht gehen. Er würde nicht von ihrer Seite weichen. Bisher war das jedoch nur zwei-, dreimal der Fall. Während der Schwangerschaft, einer schweren Grippe und als sie den Wunsch nach einem weiteren Kind begraben musste. Genauso erwartete er von ihr, dass sie, während er für andere den Helden gab, das nötige Verständnis aufbrachte. Ihr Kopf tat das auch, ihr Herz freilich vermisste die Zweisamkeit. Daran konnten auch die wenigen Abende und Wochenenden, an denen sie ihre Liebe pflegten, nichts ändern.

Fast wäre sie eingenickt, hätte sie nicht ein zarter Kuss und ein geflüstertes „Hallo Schatz“, davon abgehalten. „Es tut mir leid, ich hätte dich gerne schlafen lassen, aber du bist dann morgen nicht wirklich ausgeruht.“

„Ich habe noch nicht geschlafen, nur so vor mich hingedöst“, antwortete sie. „Ich habe auf dich gewartet.“

„Das sollst du doch nicht“, antwortete er und das schlechte Gewissen stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Er zog die Wolldecke von ihr herunter, streckte ihr seine Hand entgegen und half ihr aufzustehen. „Geh zu Bett, da hast du es doch entschieden bequemer. Ich komme auch gleich nach.“

„Das hoffe ich“, bat sie, ergriff seine Hand und rappelte sich langsam auf.

Erich zog sie in die Arme, drückte sie kurz an sich und gab ihr einen liebevollen Kuss auf die Stirn. „Gute Nacht, Liebling“, flüsterte er.

„Alles in Ordnung?“, fragte sie noch, während sie sich schlaftrunken, müde mit den Augen zwinkernd und laut gähnend, in Richtung Schlafzimmer bewegte.

„Ja, mach dir keine Gedanken. Schlaf gut“, antwortete er abwesend, offenbar mit seinen Gedanken bereits wieder bei Firmenproblemen.

„Na gut“, flüsterte sie vor sich hin. Sie fühlte sich inzwischen viel zu müde, um mit ihm zu diskutieren. Außerdem wäre es um ihren ruhigen Schlaf geschehen, würde sie über ihn und sein Verhalten nachdenken, da sie spätestens dann wieder von diesen quälenden Magenschmerzen heimgesucht würde. Sie wusste, wenn Erich nicht gleich mit ihr zu Bett ging, war noch gar nichts in Ordnung. Er würde ein Glas Wein nehmen und sich auf seinen Lieblingsplatz unter der großen Stehlampe setzen, um noch ein wenig zu entspannen. Da ihn aber die Probleme der Firma nicht losließen, würde er keine fünf Minuten später wieder aufstehen und die Unterlagen aus dem Aktenkoffer kramen, um nach versteckten Möglichkeiten zu suchen, die geplanten Entlassungen doch noch abzuwenden. „Leider vergessen Politiker nur zu gerne, dass hinter Arbeitslosenzahlen Menschen stehen“, hatte er mal zu ihr gesagt.

Als Leonie etwa zwei Stunden später wegen Magenschmerzen erwachte, tastete sie vorsichtig sein noch unbenutztes Bett ab. Immer diese Probleme, die ihn nicht schlafen lassen. Oder einfach kein Interesse, mit mir das Bett zu teilen? Wann haben wir uns das letzte Mal geliebt?

Nicht, dass Sex für sie den wichtigsten Aspekt einer Ehe darstellte, doch in solchen Momenten fragte sie sich dennoch wie wichtig sie ihm noch war. Bei allem Verständnis für seine beruflichen Belange, wurde ihr in letzter Zeit zunehmend bewusst, dass ihre eigenen Interessen dabei auf der Strecke blieben. Während der letzten zwei oder gar drei Jahre kam es ihr oft so vor, als wäre er nicht mit ihr, sondern mit der Firma verheiratet.

Ein Glas Wasser und ein Stück Brot wird mir sicher guttun, dachte sie, während sie die Steppdecke zurückschlug, sich erhob und schlaftrunken in die Küche schlenderte. Bevor sie wieder ins Schlafzimmer zurückging, schaute sie nach Erich. Er wirkt müde, sehr müde, die zwei steilen Falten auf seiner Stirn scheinen noch tiefer zu sein. Im Nu schämte sie sich ihrer Gedanken. Gleichzeitig, machte es sie wütend, ihn so zu sehen.

Als er sie entdeckte, nahm er seine Lesebrille ab, auf die er seit etwa zwei Jahren angewiesen war und rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Augen. „Du schläfst nicht?“

„Du doch auch nicht. Er wird sich noch kaputt machen. Sollen sich doch mal andere den Kopf zerbrechen – Leute, die dafür bezahlt werden. „Schatz, komm ins Bett. Es bringt doch nichts, dich hier aufzureiben.“

Er erhob sich und verstaute, ohne sich gegen ihre Bitte aufzulehnen, die Unterlagen in seinem Aktenkoffer. „Nein, das bringt nichts und eine Lösung, habe ich immer noch nicht gefunden. Ich werde sicher auch keine mehr finden. Heute nicht, vielleicht morgen. Ja, morgen, wenn mein Hirn wieder aufnahmebereit ist.“ Nachdem er den Aktenkoffer geschlossen hatte, legte er seinen Arm um Leonie und drückte sie liebevoll an sich. „Magenschmerzen?“, fragte er, als er das Brot in ihrer Hand bemerkte.

Sie nickte nur.

„Rufst du morgen bei Doktor Cloos an oder soll ich das machen?“

„Ich mach das selbst.“

*

Leonie brauchte keinen Wecker, um wach zu werden. Sie erhob sich leise aus ihrem Bett und schlich aus dem Zimmer, da sie Erich keinesfalls wecken wollte. Er hatte sich während der ganzen Nacht unruhig im Bett herumgewälzt. Außerdem liebte sie die zu dieser frühen Morgenstunde im ganzen Haus herrschende Stille. Und sie liebte es, den Vögeln zu lauschen, die mit ihrem Gezwitscher den Tag begrüßten, während die Kaffeemaschine vor sich hin brabbelte und auf ihrem Lieblingssender im Radio leichte Schlagermusik übertragen wurde. Es müsste ein Gesetz erlassen werden, dachte Leonie vor sich hin lächelnd, wonach morgens nur gute Nachrichten gesendet werden durften. Die Menschen würden positiver in den Tag starten, wenn ihnen nicht ständig eingebläut würde, wie schlecht es doch in der Welt zugeht. Dann werde auch ich die Nachrichten anhören.

Nachdem sie geduscht hatte, massierte sie ein blumig duftendes Öl auf ihre Haut und föhnte die dunklen, wie Kastanien glänzenden Haare, die ihr feines Gesicht umschmeichelten. Mit etwas Lidschatten und Wimperntusche betonte sie die Lider ihrer blauen, ein wenig schräg stehenden Augen, die stets freundlich und neugierig in die Welt blickten. Leonies schmale, kecke Nase unterstrich diesen Ausdruck noch zusätzlich. Schließlich trug sie einen kräftigen karmesinroten Lippenstift auf ihre wohlgeformten, weichen Lippen, bevor sie einen letzten, zufriedenen Blick in den Spiegel warf. „Du kannst dich immer noch sehen lassen, Leonie“, sagte sie fröhlich zu ihrem eigenen Spiegelbild und zog die Nase kraus.

Als sie die selbst entworfene und liebevoll im Landhausstiel eingebaute Küche betrat, war der Kaffee bereits durch die Maschine gelaufen. Sie zog die Kanne heraus und goss das heiße, aromatisch duftende Getränk in ihre riesige „Guten Morgen“ Tasse. Gemächlich schlenderte sie in den lediglich durch eine niedere Fachwerkwand und grobe Balken abgetrennten Essbereich und setzte sich an den großen, naturbelassenen Eichentisch, der mit seinen acht Stühlen einer großen Familie Platz bot. Doch dazu war es nicht gekommen. Nach Dominik war sie nicht wieder schwanger geworden. Da gab es etliche traurige Momente, bis sie sich schließlich mit der Gegebenheit abgefunden hatte.

Inzwischen zeigte sich ein roter Streifen am östlichen Horizont. Bereits diese frühe Morgenstunde versprach einen heißen Tag. Selbst die sanfte Kühle der Nacht hatte die Hitze des Vortages nicht besiegen können. Spätestens gegen elf würde die sauerstoffarme Luft in den Schaufenstern stehen und die erdrückende Hitze würde unerträglich werden.

Ein kurzer Blick auf die Uhr ermahnte Leonie aufzubrechen. Da sie das erforderliche Dekomaterial für den kommenden Tag stets am Abend zuvor ins Auto lud, konnte sie gleich losfahren.

Gut zehn Minuten später erreichte sie die kleine Seitenstraße, die zum Hintereingang des Modehauses führte. Als sie ausstieg, drang aus einem der geöffneten Fenster bereits ein fröhliches Lied, das wohl von irgendeinem Radiowecker kam. Leider wurde es durch geräuschvolles, mitunter pfeifendes, dann wieder sägendes Schnarchen gestört. „Wenn der nicht bald aufwacht, sägt er noch den ganzen Schwarzwald um“, flüsterte sie amüsiert vor sich hin lächelnd, während sie die wenigen Dekorationsutensilien, die sie diesmal benötigte, aus dem Kofferraum ins Innere der Schaufenster trug.

Wie vermutet, gelang es ihr bereits gegen Mittag, die Arbeit zu beenden. Gemeinsam mit Herrn Altmann kontrollierte sie die Preise im Fenster. Auch diesmal bedankte er sich begeistert für ihre Arbeit. „Sie sind eine wahre Künstlerin. Obwohl ich nichts Anderes erwartet habe, fasziniert es mich stets aufs Neue wie Ihre Arbeit genau das trifft, was ich mir vorgestellt habe. Ich bin mehr als zufrieden.“

„Danke, das freut mich. Wie immer war ich inspiriert von Ihrer wunderschönen Ware.“

„Das freut nun wieder mich. Sie schicken mir die Rechnung wie üblich zu?“

*

Leonie hatte sich mit Erich zum Mittagessen in ihrem Lieblingscafé verabredet. Gerade als sie sich hinters Steuer ihres Wagens gleiten ließ, klingelte das Handy. Erich! Also kein gemeinsames Mittagessen, dachte sie ein wenig enttäuscht als sie den Anruf annahm. Im Grunde hatte sie ohnehin nichts Anderes erwartet. Und tatsächlich, wieder einmal war ihm etwas Unaufschiebbares dazwischengekommen. Also fuhr sie zum Supermarkt, um noch einiges fürs Abendessen zu besorgen. Während sie ihre Einkäufe im Auto verstaute, spürte sie plötzlich einen harten Gegenstand zwischen ihren Schulterblättern.

„Raus mit dem Geld“, krächzte eine männliche Stimme.

Instinktiv drehte sich Leonie, ohne lange nachzudenken, blitzschnell um und schlug, noch bevor sie ihn erkannte, mit ihrer Geldtasche auf den Mann ein. „Bert! Du Idiot!“

„Au, au, au“, jaulte der Mann, der gebückt, die Hände schützend vors Gesicht haltend, vor ihr stand. „Und der Idiot ist Beamtenbeleidigung“, fügte er hinzu. Doch obwohl sich seine Worte ernst anhörten, zeigten ihr seine Augen, aus denen der Schalk blitzte und sein strahlendes Lächeln, dass er es nicht so meinte.

Kommissar Bert Maier, Nachbar, Erichs bester Freund und das, was man schlechthin als Bilderbuchpolizisten bezeichnen konnte. Mit seinen einszweiundneunzig überragte er Erich, der durchaus ebenfalls eine stattliche Größe besaß, um ganze zwölf Zentimeter. Sein kräftiger, durchtrainierter Körper ließ darauf schließen, dass er regelmäßig Sport trieb. Scherzhaft behauptete er von sich selbst, cooler als Schimanski zu sein. Da er zudem privat meistens gut drauf war, gab es bei gemeinsamen Unternehmungen immer viel zu lachen. Von Erich wusste sie allerdings, dass er in seinem Job knallhart sein konnte.

„Du bist ganz schön grob. Das hat wehgetan“, meinte er schmollend, während bereits wieder ein amüsiertes Grinsen in seinen Mundwinkeln steckte.

„Bist selbst schuld, wieso legst du dich auch mit mir an?“, fragte sie, bevor sie, trotz ihres immer noch heftig pochenden Herzens, ebenfalls lachte.

„Andererseits muss ich zugeben, dass du ganz schön mutig bist. Hast du auch nur eine Sekunde darüber nachgedacht, was so ein Typ mit dir anstellen könnte, würdest du ihn mit diesem Monstrum von einer Geldtasche nicht richtig treffen? Mein Gott!“ Er schüttelte den Kopf und verdrehte die Augäpfel. „Daran darf ich gar nicht denken. Was macht Erich, ich habe die ganze Woche noch nichts von ihm gehört?“

„Der hat wie immer viel um die Ohren. Du kennst ihn ja. Sowie er sich in eine Sache verbissen hat, hängt er sich voll rein. Dabei bleiben leider Familie und Freunde auf der Strecke.“

„Noch schnell die Welt retten, bevor ihr in den Urlaub startet, wie?“

„Nix Urlaub, habe ich gestern storniert.“

„Wie bitte? Schon wieder?“, fragte er betroffen. „Ist nicht der letzte auch schon ins Wasser gefallen?“

„Ist er. Aber was soll’s, in Gardenien ist es auch ganz schön“, erklärte sie, als würde ihr Erichs Entscheidung nichts ausmachen.

„Stimmt. Dennoch frage ich mich, ob du da wirklich zur Ruhe kommst? Erinnere dich an letztes Mal. Du hast während deines Urlaubs Termine angenommen.“

„Ich gehe einfach nicht ans Telefon.“

„Wie du meinst. Grüß Erich von mir.“

„Mach ich. Man sieht sich.“ Leonie warf die Geldtasche auf den Rücksitz, ließ sich schwungvoll hinters Steuer gleiten und fuhr los. Da krampfte sich plötzlich, schmerzhaft wie nie zuvor, ihr Magen zusammen. Zwangsläufig presste sie eine Hand auf ihren Bauch, kniff die Augen zu und trat dabei versehentlich das Gaspedal durch. Dieser kurze Augenblick der Unachtsamkeit genügte, um fast einen entgegenkommenden Campingbus zu schrammen. Gerade noch rechtzeitig gelang es ihr zwar auszuweichen, doch fiel es ihr äußerst schwer die Kontrolle über ihr bereits verdächtig schlingerndes Fahrzeug zu behalten. Zudem näherte sie sich mit immer noch zu hoher Geschwindigkeit der Ausfahrt des Parkplatzes und einem auf der Straße von links kommenden Lieferwagen der sie, selbst nach einer Vollbremsung, unweigerlich schrammen würde. Instinktiv drückte sie daher das Gaspedal durch und schaffte es so, auf die andere Straßenseite zu gelangen, ohne vom Lieferwagen erfasst zu werden.

„Verdammte Tussi, haste deinen Führerschein beim Lotto gewonnen?“, schimpfte der Fahrer durch das offene Fenster. Einen Moment sah es so aus, als wolle er anhalten, doch dann gab er Gas und fuhr weiter.

Mit bis zum Hals klopfendem Herzen, fuhr sie auf den gegenüberliegenden Parkplatz, brachte den Wagen zum Stehen und atmete erst mal tief durch.

Keine Minute später wurde auch schon die Tür ihres Wagens aufgerissen. „Bist du des Wahnsinns? Ist dir klar, was da eben geschehen ist? Was ist los mit dir?“, schrie Bert, der den Vorfall mit Entsetzen beobachtet hatte, völlig außer sich.

Es dauerte einige Sekunden, bis sie ihn mit Tränen in den Augen ansehen konnte. „Wieder diese verdammten Schmerzen. So plötzlich kommen sie normalerweise nicht und so schlimm, waren sie auch noch nie. Ich war einen Moment abgelenkt.“

„Dieser Moment hätte dich dein Leben kosten können“, erklärte er aufgeregt. Er wusste zwar von ihren ständigen Magenschmerzen – sie hatten schon mal darüber gesprochen, doch nicht, wie schlimm sie von ihnen gequält wurde.

„Warst du mittlerweile beim Arzt?“, fragte er nun ein wenig ruhiger.

„Montag habe ich einen Termin.“

„Wenigstens etwas“, meinte er. Dann schüttelte er nachdenklich den Kopf. „Ich rufe Erich an. Er soll dich abholen.“

„Unsinn! Es geht mir schon wieder besser. Das war nur ein Krampf. Ich komme gut alleine klar.“

Bert nickte. „Das hast du eben zur Genüge demonstriert. Ich sollte dich verhaften, wegen Gefährdung des öffentlichen Straßenverkehrs.“

„Untersteh dich!“, begehrte sie auf.

„Jedenfalls kann ich es nicht verantworten, dich weiterfahren zu lassen. Mensch Mädel, das ist dir doch hoffentlich klar? Vor allem habe ich keine Lust mir einen Anschiss von deinem Mann einzuhandeln, an dem ich wahrscheinlich noch in zehn Jahren knabbern würde, bloß, weil ich ihn jetzt nicht anrufe“, sagte er, zog sein Handy aus der Gesäßtasche und wählte Erichs Nummer. Darauf wartend, dass Erich das Gespräch annahm, ging er einige Schritte die Straße entlang.

Insgeheim gab ihm Leonie recht. Vermutlich wäre Erich wirklich stinksauer auf Bert, sollte der den Vorfall auf die leichte Schulter nehmen und würde ihr dadurch noch Schlimmeres geschehen. Sie lächelte bei dem Gedanken an ihren gutmütigen Ehemann, der mitunter ziemlich deutlich werden konnte, wenn er wütend war. Und plötzlich erinnerte sie sich an Worte, die er ihr vor langer Zeit, romantisch gestimmt, ins Ohr geflüstert hatte: „Nur mit dir, bin ich ein ganzer Mensch, würdest du mich verlassen, könntest du mir auch gleich das Herz aus der Brust reißen. Denn so, wie man ohne Herz nicht leben kann, könnte ich es ohne dich auch nicht.“ Leonie schüttelte grübelnd den Kopf. Ist lange her. Ob er das noch immer so empfindet? Wieso fällt mir das gerade jetzt ein? Diese ständigen Grübeleien über den verpatzten Urlaub? Das ist es nicht. Es ist diese Sehnsucht, die mich während der letzten Tage immer häufiger befällt. Was fehlt mir denn? Ich habe doch alles was eine Frau glücklich macht. Alles, bis auf einen Mann der mich nicht nur mit Lippenbekenntnissen in Schach hält, sondern auch Taten sprechen lässt.

„Er kommt“, unterbrach Bert ihre düsteren Gedanken, als er wieder bei ihrem Wagen ankam.

„Ach, hat er plötzlich doch Zeit?“, spöttelte sie.

„Was meinst du?“

„Wir waren zum Mittagessen verabredet. Doch er musste wieder einmal absagen“, erklärte sie verbittert. „Ständig muss ich hinter diversen Katastrophen zurückstecken. Mein Mann will die Welt retten. Doch was ist mit mir, mit unserer Ehe? Vermutlich ist das der Grund für meine Magenkrämpfe. Und der abgesagte Urlaub sicher ebenfalls. Die Erholung hätte mir sicher gutgetan und Erich natürlich auch.“

„Ja sicher. Ich kann sowieso nicht verstehen, weshalb Erich es zulässt, dass du so viel arbeitest. Das habt ihr doch gar nicht nötig.“

Leonies Augen funkelten und blitzten ihn wütend an. „Wie bitte?“, fragte sie empört. „Ich sage dir mal, was ich nicht verstehen kann.“

„Ich höre“, antwortete er mit gekünstelt tiefer Stimme und ernstem Blick.

„Dass du anzunehmen scheinst, mein Mann würde sich das Recht nehmen, über mein Leben zu bestimmen. Erich würde mir nie Vorschriften bezüglich meiner Arbeit machen. Wie könnte er auch?“, meinte sie mit zunehmend lauter werdender Stimme. „Ausgerechnet der, der selbst ein Workaholic ist, dem es nicht genügt den ganzen Tag, sondern allzu häufig auch die halbe Nacht, in der Firma zu verbringen. Und kommt er dann doch mal pünktlich nach Hause, was durchaus vorkommt, ist sein Kopf mit Ideen oder Problemen gespickt voll, die nichts mit mir oder unserer Familie zu tun haben.“ Lag es am Schock oder an Berts Worten, Leonie ließ ihrem Frust freien Lauf. „Dominik ist erwachsen und geht bald nach München. Was, in Gottes Namen, sollte ich den ganzen Tag zu Hause tun? Mich pflegen, schmökern, shoppen gehen? Oder was hältst du von einem Liebhaber? Nein, am besten gleich zwei, einen mit dem ich reden kann und einen zum …“

„Hör auf!“, unterbrach er eindringlich ihren Wortschwall.

„Warum? Das wäre doch eine schöne Abwechslung für eine frustrierte Ehefrau.“ Sie sog einmal tief Luft in ihre Lungen und atmete hörbar wieder aus, während sie ablehnend den Kopf schüttelte.

„Aber du hast doch ...“, wollte er einlenken.

„Ich entscheide immer noch selbst, was und wie viel ich tun möchte“, beendete sie ihre Ausführungen entschieden leiser, aber immer noch wütend.

Bert sah sie betroffen an und schüttelte nachdenklich den Kopf. „Entschuldige. Ich wollte dich nicht beleidigen“, meinte er mit ernster Miene sagen zu müssen. „Schließlich weiß ich nur zu gut wie recht du hast, in Bezug auf Erichs Engagement für seine Arbeit. Und wie sehr er dich dadurch leider allzu oft vernachlässigt, weiß ich auch. Trotzdem“, fügte er lächelnd hinzu, „sollst du dir deswegen keinen Liebhaber zulegen.“

„Meinst du?“

Winzige Lachfältchen erschienen an seinen Augenwinkeln, während er sie, wie ein kleiner Junge der naschend am Marmeladentopf erwischt wurde, verlegen grinsend betrachtete. „Es sei denn, du nimmst mich.“

„Bert!“, tat sie entrüstet und boxte ihn sanft auf seinen Oberarm, den er auch gleich darauf rieb, als hätte sie ihm entsetzlich wehgetan. Natürlich nahm sie ihn nicht ernst. Schließlich wusste sie genau wie sehr er seine Brigitte liebte und, dass es sich nur um einen seiner üblichen Späße handelte, um ihr ein Lächeln abzugewinnen.

„Tut mir leid, ich hab’s nur gut gemeint und nicht richtig nachgedacht“, lenkte er ein.

„Für die Zukunft rate ich dir, das zu tun, bevor du etwas Unüberlegtes sagst. Das ist immerhin dein Job, Herr Kommissar.“

„Wenn schon, dann Polizeihauptkommissar. Mein lieber Schwan, dich möchte ich nicht zur Feindin haben. Du kannst ’ne ganz schöne Giftspritze sein. So kenne ich dich gar nicht?“

Sie hätte ihm gerne eine passende Antwort gegeben. Da aber Erich just in diesem Moment seinen schwarzen Jeep um die Kurve lenkte, als wäre der Teufel selbst hinter ihm her, sparte sie sich den Kommentar.

Gemäß dem Motto, „Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss!“, brachte er ihn gleich darauf auf der gegenüberliegenden Straßenseite zum Stehen, stieg aus dem Wagen, knallte die Tür zu und eilte zu ihr. Bevor er auch nur ein Wort sprach, nahm er sie fest in die Arme. „Wenn dir etwas geschehen wäre, hätte ich das nicht überlebt“, sagte er mit ängstlich klingender Stimme.

Leonie, die das Telefonat nicht mitbekommen hatte, warf Bert über Erichs Schulter einen fragenden Blick zu. „Was hast du ihm erzählt, dass ich halbtot bin?“

Bert hob nur unschuldig die Achseln und grinste ein wenig dümmlich.

„Ist ja nochmal gut gegangen, bring mich bitte nach Hause“, sagte sie, nahm sein Gesicht zwischen ihre Hände und küsste ihn.

Erich schlug Bert freundschaftlich auf den Oberarm. „Danke, dass du mir Bescheid gegeben hast. Wir sehen uns Samstagabend?“

Samstags trafen sich die befreundeten Ehepaare regelmäßig zum Essen, mal bei Maiers, mal bei Erich und Leonie. Das ging schon seit Jahren so. Natürlich wurde im Sommer, so das Wetter es erlaubte, im jeweiligen Garten gegrillt. Bei schlechtem Wetter kochte die jeweilige Gastgeberin in ihrer Küche ein ausgefallenes Gericht, das noch niemand kannte. Dabei gab es so manche Überraschung und mitunter viel zu lachen.

„Nimm bitte die Lebensmittel aus meinem Wagen“, bat Leonie. „Wie kommt der überhaupt nach Hause?“

„Den hole ich später mit Dominik“, antwortete er, während er den Korb mit den Lebensmitteln aus Leonies Kofferraum holte. Er brachte Leonie auf direktem Weg nach Hause und bestand darauf, dass sie sich wenigstens für kurze Zeit niederlegte.

Erst als sie auf einem der Küchenstühle in sich zusammensackte, bemerkte sie, wie sehr diese Geschichte sie doch mitgenommen hatte.

„Ruh dich ein Weilchen aus. Am besten, du legst dich ins Bett. Da hast du deine Ruhe.“

Leonie erhob sich und ging langsam, ohne darauf zu antworten, ins Schlafzimmer. Als sie wenig später die Lider schloss, ließ sie ihre Gedanken Revue passieren. Das war echt an der Grenze, dachte sie voller Entsetzen, doch auch erleichtert, dass ihr nichts geschehen war. Und dann, bevor sie in einen ruhelosen Schlaf fiel, lächelte sie über Erichs so plötzlich erwachtes Interesse.

*

Als sie gegen dreizehn Uhr aus einem unruhigen Schlaf erwachte und das Schlafzimmer verließ, umschmeichelte appetitanregender Duft aus der Küche ihre Nase.

„Ach Schatz, da bist du ja wieder. Gut, dann muss ich dich nicht wecken. Das Essen ist fertig. Setz dich doch schon mal.“

„Du hast gekocht?“, fragte sie erstaunt.

„Na ja, so würde ich es nicht gerade nennen. Es gibt Leberkäse mit Spiegelei. Ich bin ja nicht gerade der größte aller Köche, aber das mit den Spiegeleiern, krieg ich doch immer ganz gut hin. Ich habe sogar einen Salat gemacht. Na, was sagst du?“

„Du bist einfach unglaublich. Hättest du nicht in den Betrieb zurückgemusst?“

„Die können auch mal ohne mich, du brauchst mich jetzt nötiger“, meinte er gönnerhaft. Sein Handy, das sich in diesem Moment meldete, schien allerdings anderer Meinung zu sein.

„Bist du sicher?“, fragte Leonie mit leicht sarkastischem Unterton in der Stimme.

Erich griff nach dem Handy, das auf der Arbeitsfläche in der Küche lag. „Ja? --- Dann soll der Georg das in die Hände nehmen. --- Wie? ---Doch der kann das. --- Nein. --- Nein, ich komme erst morgen wieder. - -- Das muss jetzt mal ohne mich gehen. --- Mal sehen“, meinte er noch, bevor er das Gespräch beendete.

Leonie musste zugeben, dass ihr seine Fürsorge gefiel. Da meldete sich ein winziger Gedanke, den sie gerne gleich wieder verworfen hätte. Doch unwillkürlich spann sie ihn zu Ende. Muss ich nur krank werden, um seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken? Laut sagte sie aber: „Du hast mir gestern nicht die Wahrheit gesagt. Ihr konntet das Problem im Betrieb noch nicht lösen, stimmt’s?“

„Stimmt! Die ganze Chose ist ziemlich verfahren. Ich wollte dich nicht auch noch damit belasten.“

„Na hör mal! Was soll das? Bisher sprachen wir doch immer über all unsere Probleme.“

„Über unsere, das ist meines und das der Kollegen.“

„Wenn deine Probleme auch unser Privatleben belasten, dann werden sie automatisch zu unseren. Also, was ist los?“

„Na gut, ich erzähl es dir. Aber jetzt setz dich endlich und iss“, bat er fürsorglich, „bevor das Essen kalt wird.“

„Du bist vielleicht nicht der größte aller Köche. Deine Spiegeleier sind allerdings die besten der Welt“, antwortete Leonie und schob einen Bissen in den Mund. „Mmm, lecker“, sagte sie kauend, „jetzt erst merke ich wie hungrig ich bin.“

Währen des Essens erzählte Erich, was der Betriebsrat bisher erreicht hatte. „Und nun suchen wir nach einer passablen Lösung, die für alle Seiten akzeptabel sind. Ich denke, wir werden einen Weg finden. Da musst du dir nicht auch noch dein hübsches Köpfchen zerbrechen. So, nun will ich wissen, was da vorhin genau mit dir passiert ist. Eins will ich dir sagen, mit dir wird es wirklich nie langweilig.“

„Ach, habe ich etwa deine Aufmerksamkeit auf mich gelenkt?“, fragte sie zynisch, gab ihm dann immerhin einen kurzen Bericht über das Geschehene.

„Ich bin deinetwegen sehr besorgt. Hast du endlich einen Termin bei Doktor Cloos gemacht?“

„Du musst dir keine Sorgen machen“, sagte sie, doch ganz tief in ihr drinnen, meldete sich erneut die Stimme, die ihr zuflüsterte, dass sie dieses warme Gefühl, das seine Besorgnis in ihr ausgelöst hatte, gerne öfter für sich in Anspruch nehmen würde. „Am Montag, zehn Uhr, wird er mich gründlich untersuchen. Sicher bin ich nur überarbeitet“, erklärte sie beruhigend, fügte allerdings neckend hinzu: „Du hast ein schlechtes Gewissen, stimmt’s?“

Er nickte. „Würde ich mehr Zeit bei dir verbringen, kämst du nicht auf die Idee, all diese Aufträge anzunehmen und wärst folglich auch nicht überarbeitet. Seit ich auch noch im Betriebsrat sitze …“

„... bist du noch seltener zu Hause. Für die Kollegen nimmst du dir mehr Zeit, als für deine Familie“, vollendete sie seine Ausführungen. „Selbst in deiner Freizeit hörst du dir ihre Probleme an. Dominik geht mittlerweile zwar seine eigenen Wege, aber ich meine, ab und zu ein Gespräch von Mann zu Mann würde er zu schätzen wissen. Und wir beide haben ebenfalls Bedürfnisse, die zu erfüllen mindestens ebenso wichtig sind. Wir könnten es so schön haben, würdest du mich nicht so oft allein lassen. Siehst du es denn nicht? Du hast mich während der letzten Jahre zu einem bequemen Beiwerk degradiert, das allerdings für bestimmte Tätigkeiten ganz nützlich ist. Dass dieses Beiwerk ab und zu ein wenig mault, ist lediglich eine unbequeme Nebenerscheinung, das sich mit ein paar netten Worten schnell wieder beschwichtigen lässt. Wenn das so weitergeht, weiß ich nicht …“

„Leonie. – Mir ist durchaus bewusst, dass ich mich in letzter Zeit ...“

„In letzter Zeit?“

„... zu wenig um dich gekümmert habe“, ignoriert er ihren Einwand. „Ich weiß, wir sollten dringend ein paar Tage Urlaub machen. Mal raus aus allem, Tapetenwechsel, irgendwo in den Bergen oder am Meer relaxen, mal wieder richtig auftanken, aber das ist derzeit unmöglich.“

„Schon gut“, erklärte sie enttäuscht. Was rede ich denn da? Nichts ist gut. Ich mag meinen Mann nicht mehr mit den Problemen anderer teilen. Zumindest während unserer ohnehin knapp bemessenen Freizeit will ich ihn für mich haben. Von wegen, schlechtes Gewissen! Er ist besorgt, ich könnte ihm durch eine Krankheit seine heile Workaholic-Welt zerstören. Ich habe es satt, ständig die mitfühlende, verständnisvolle und uneigennützige Ehefrau zu sein. „Dennoch sollten wir …“, startete sie einen weiteren Versuch.

„Wenn es dir nichts ausmacht“, unterbrach er sie, „geh ich doch nochmal kurz in den Betrieb. Das lässt mir keine Ruhe. So gegen sieben bin ich wieder zurück. Es macht dir doch nichts aus?“

Das haut dem Nilpferd doch den Eckzahn raus. Kaum geht es mir wieder besser, schon ist für ihn das Problem Ehefrau erledigt. Anscheinend muss ich ihn erst festbinden, um dieses Thema auszudiskutieren. „Nein, es macht mir nichts aus“, antwortete sie resigniert und legte, da sich ihr Magen erneut verkrampfte, unwillkürlich eine Hand auf ihren Bauch. „Warum auch? Geh nur. Ich lege mich in die Hängematte. Vielleicht vergehen ja diese verdammten Magenkrämpfe, wenn ich etwas zur Ruhe komme.“

„Sagtest du eben nicht, die Schmerzen hätten nachgelassen? Mein Gott, Schatz, nun habe ich dich womöglich noch mit den Problemen der Firma belastet. Das tut mir leid, ich bleibe natürlich bei dir.“

„Nein, geh nur, ich möchte nicht schuld am Scheitern eurer Verhandlungen sein.“

„Schatz, so lasse ich dich nicht ...?“

„Nein! Ich möchte, dass du gehst. Es geht mir gut.“

„Na ja, wenn du das sagst. Iss in Ruhe zu Ende“, sagte er erleichtert. „Ich beeile mich, dann machen wir uns einen gemütlichen Abend und wenn du möchtest, gehen wir dein Problem an.“ Er beugte sich zu ihr hinunter, gab ihr einen Kuss auf die Wange, dann blickte er sie eine Weile zärtlich und schuldbewusst an, als erwarte er noch eine letzte Zustimmung.

Leonie hielt seinem Blick stand – sagte jedoch nichts. Sie hatte keine Lust mehr zu diskutieren. Das hatte ohnehin keinen Zweck. Absolution wollte sie ihm allerdings auch nicht erteilen. Mein Problem, dachte sie, du bist mein Problem, du, deine Arbeitswut und dein Bedürfnis dich ständig als Retter ungerecht behandelter Kollegen aufspielen zu müssen. Und wenn du, mein lieber Mann, so weitermachst, wirst auch du bald ein Problem haben. Am liebsten hätte sie ihm das gesagt, doch stattdessen strich sie nur zärtlich über die immer noch vollen, blonden Haare ihres attraktiven Ehemannes.

Ein Typ wie Robert Redford, hatte sie damals gedacht, als sie ihn zum ersten Mal sah und obwohl sich in den letzten Jahren ein paar Falten in sein Gesicht gegraben hatten, ließ ihn das keinesfalls unattraktiver erscheinen, ganz im Gegenteil. Mitunter fragte sie sich sogar wie ihr Mann den vielen Versuchungen, die sich ihm täglich boten, widerstehen konnte? Doch dann lächelte sie in sich hinein. Sie kannte die Antwort und die stimmte sie gnädig. Er liebte sie wie keinen zweiten Menschen auf dieser Welt und sie liebte ihn ja auch. War das nicht Grund genug, mehr oder weniger geduldig auf jede Stunde zu warten, die sie gemeinsam verbringen konnten?

*

Mit geschlossenen Lidern lag sie in der Hängematte und döste in Gedanken versunken vor sich hin. Deshalb bemerkte sie auch nicht, wie sich der Himmel über ihr verdunkelte. Erst als Regentropfen auf ihr Gesicht fielen, schlug sie die Lider auf, erhob sich schwungvoll und lief ins Haus.

Dominik stand in der Küche und mischte gerade ein Radler für sich zusammen. Als er seine Mutter sah, ging er auf sie zu und drückte sie fest an sich. „Wo kommst du jetzt her? Ich dachte, du schläfst.“

„Habe ich. In der Hängematte.“

Er deutete aus dem Fenster. „Es regnet.“

„Ha, ha.“

„Hey Mam, stimmt das, was Dad mir erzählt hat? Nicht auszudenken, wenn dir etwas passiert wäre. Du musst in Zukunft besser auf dich achten.“

„Dein Dad hatte tatsächlich Zeit, dir davon zu erzählen?“, fragte sie mit unverkennbar zynisch angehauchtem Unterton in der Stimme.

„Ja, und er schien sehr besorgt.“

Leonie nickte vor sich hin. Davon bin ich überzeugt. „So, nun werde ich uns etwas Leckeres kochen. Schon seit langem habe ich nicht mehr so viel und so gut geschlafen wie an diesem Nachmittag. Es geht mir richtig gut.“

„Keine Magenschmerzen?“

„Nein, keine Magenschmerzen.“ Sie hatte den Schock gänzlich überwunden und fühlte sich rundum wohl.

„Mam, für mich brauchst du nicht zu kochen. Ich geh mit Leni zuerst zum Italiener und danach in die Disco“, sagte er und grinste vor sich hin.

„Leni?“, fragte Leonie neugierig. „Ist sie das?“

Dominik grinste spitzbübisch. „Du hattest recht. Stell dir vor, bei dem Kerl, von dem ich dir erzählt habe, handelte es sich um ihren Bruder. Er wollte nach Hause, doch sie wäre gerne noch geblieben. Logisch, wenn man gerade einen so coolen Typ wie mich kennengelernt hat. Auf jeden Fall tat ich gut daran, mit ihr zu sprechen. Ich bin froh, dass ich es gestern Abend gleich konnte. Danke, Mam. Du bist eben doch die Klügste“, meinte er und gab ihr einen dicken Kuss auf die Wange.

„Lebenserfahrung. Etwas, das die meisten Mütter haben. Also gut, dann geh’ du zu deiner Leni, ich werde den heutigen Abend, mit meinem Erich genießen“, antwortete sie lächelnd. Sie hatte sich vorgenommen, Erich nicht mit Vorwürfen zu löchern. Er hatte, weiß Gott, genug um die Ohren. Außerdem wäre es doch dumm, einen schönen Abend zu vergeuden.

Als Erich nach Hause kam, war der Tisch auf der Terrasse romantisch gedeckt. Kerzen brannten, der Champagner war kaltgestellt und aus der Küche zog ein herrlicher Duft nach Gebratenem durchs Haus.

„Hallo mein Schatz, hast du heute noch etwas Besonderes vor?“, fragte Erich und küsste sie zärtlich.

„Wer weiß? Dominik ist nicht zu Hause. Was hältst du von einem romantischen „Dinner for two“, fragte Leonie und lächelte verführerisch.

„Du siehst phantastisch aus. Das Kleid ist neu?“, fragte Erich, während er sie stürmisch an sich zog, in ihr volles Haar griff, ihren Kopf sanft nach hinten zog und sie leidenschaftlich auf den Hals küsste.

Das Kleid hatte sie tatsächlich erst vor zwei Tagen in Monas Boutique erstanden. Während sie die beiden Schaufenster dekorierte, hatte sie es zwischen den Kleidern entdeckt, die für die Auslage bestimmt waren. Sie hatte das figurbetonende, in unterschiedlichen Blautönen schimmernde Moirekleid anprobiert und sofort gekauft. „Mmm“, seufzte sie lächelnd. Er weiß nur allzu gut wie sehr ich es liebe, so von ihm berührt zu werden.

„Du machst mich wahnsinnig, wenn du so lächelst“, flüsterte er mit belegter Stimme in ihr Ohr, wodurch sein heißer Atem sanft über ihre Haut strich. „Ich bin am Verhungern, am liebsten würde ich dich gleich hier vernaschen. Weißt du eigentlich wie sehr ich dich liebe? Und genau das werde ich dir zeigen – jetzt sofort.“

„Aber aber, mein Lieber“, sagte sie schelmisch lächelnd, „du wirst dich noch etwas gedulden müssen, zumindest bis nach dem Essen. Auch, wenn es mir sehr schwerfällt, dir zu widerstehen. Riechst du nichts?“

Erich schnupperte, zog den Duft ein paar Mal kräftig in die Nase. Erst jetzt bemerkte er, dass sie ihm sein Leibgericht zubereitet hatte. „Lammkoteletts! Nun ja, unter diesen Umständen wäre ich bereit, mich noch kurze Zeit zu beherrschen“, meinte er und lachte fröhlich.

„Die Liebe geht also tatsächlich durch den Magen. Schenkst du uns schon mal ein Glas Wein ein?“

Erich tat wie ihm geheißen. Wenig später reichte er ihr ein Glas und prostete ihr zu. Dann zog er sie erneut an sich und küsste sie noch einmal.

„Erich, jetzt ist aber genug“, sagte sie und befreite sich aus seinen Armen. „Nimm du das Fleisch und die Soße, ich nehme die Ofenkartoffeln und die Bohnen.“

Wenig später lehnte sich Leonie satt zurück, als Erich nochmal nach der Fleischgabel griff und in das letzte Kotelett stach. Wie immer, wenn es sein Leibgericht gab, konnte er nicht genug kriegen. Manchmal fragte sie sich, wohin er das alles aß. Seiner Figur jedenfalls sah man seinen enormen Appetit nicht an. Das war schon immer so, er konnte essen wie ein Bauarbeiter, ohne dadurch auch nur ein Gramm zuzunehmen. Sie wäre rund wie eine Tonne, würde sie so viel essen, vorausgesetzt, sie könnte es überhaupt.

„Das ist so verdammt gut. Ich kann das unmöglich verkommen lassen.“

„Dass du mir aber nicht träge wirst“, scherzte sie.

„Ich und träge? Gleich werde ich dir zeigen, wie träge ich bin.“

Nachdem er den letzten Bissen in den Mund geschoben und hinuntergeschluckt hatte, stand er eiligst auf und half Leonie das Geschirr in die Küche zu bringen. Kaum die Teller in der Spüle abgestellt, fasste er sie an der Schulter und wirbelte sie zu sich herum. „Danke, du hast dich wieder mal selbst übertroffen“, meinte er und küsste zärtlich ihren verführerisch lächelnden, roten Mund. „Und nun will ich das Dessert“, raunte er ihr ins Ohr, während er den Reißverschluss ihres Kleides öffnete. „Komm“, sagte er gleich darauf heiser, hob die zierliche Person auf seine Arme und trug sie eilig ins Schlafzimmer. „Und? Was meinst du, bin ich träge?“, fragte er, als er sie auf den Bettrand absetzte.

Leonies ungläubige Mimik verriet, dass sie noch nicht ganz von seiner Leistung überzeugt war.

Da ergriff er ihre Hände, zog sie wieder zu sich hoch und küsste sie stürmisch, während er die Träger des Kleides langsam über ihre Schultern streifte.

Leonie achtete nicht auf das Kleid, das langsam über ihre Hüften zu Boden glitt, da ihre Finger bereits an den Knöpfen seines Hemdes nestelten und einen nach dem anderen öffnete. Als sie es geschafft hatte, schob sie es über seine Schultern und küsste dabei zärtlich seine Brust.

Erich stöhnte lustvoll auf, öffnete den Gürtel seiner Hose, Knopf und Reißverschluss und zog sie hastig aus.

Inzwischen hatte sich auch Leonie bereits ihrer restlichen Kleidung entledigt.

Liebevoll hob er sie auf seine Arme, legte sie sanft aufs Bett und setzte sich zu ihr. Gleich darauf küsste er erneut ihren Hals, bevor seine Zunge einen Weg zu ihren Brüsten suchte, um ein erregendes Spiel mit den rosigen Spitzen zu treiben.

Leonie stöhnte entrückt, und während sich seine Hände lustvoll über ihre Schenkel zu ihrem Po bewegten, bog sie ihm ihren Körper verlangend entgegen.

Durch ihre offensichtliche Erregung ließ auch er seiner zunehmenden Leidenschaft freien Lauf. Seine Lippen sogen an ihren Brüsten, wanderten zu ihrem Bauch und bedeckten die empfindlichste Stelle der Frau, die sich schnurrend wie eine Katze unter ihm räkelte.

Erich verstand es immer wieder, sie in höchste Erregung zu versetzen, um dann ihrer Lust nachzugeben, behutsam in sie einzudringen und sie zu lieben, bis die Welt um sie herum nicht mehr existierte …

„Ich liebe dich“, flüsterte er, als er erschöpft neben ihr lag, „du machst mich unendlich glücklich.“

„Du warst auch ganz gut, mein Schatz“, erklärte sie zufrieden lächelnd.

„Nur ganz gut? Ich war phänomenal, gib es zu“, scherzte er und küsste sie noch einmal. „Komm, leg dich zu mir.“

Leonie schmiegte sich an ihn, da sie sich nichts Schöneres vorstellen, als geborgen in seinen Armen zu liegen, auf das Klopfen seines Herzens zu lauschen, die Wärme seines Körpers zu spüren und den maskulinen Duft seiner Haut zu riechen. Das wird sich hoffentlich nie ändern, dachte sie. Allerdings wäre es schön, könnten wir öfter so zusammen sein. Dabei ging es ihr nicht um Sex. Auf Dauer konnte auch Sex keine Ehe retten. Sie wollte einfach nur mehr Zeit mit ihm gemeinsam verbringen. Wie oft hatte sie das Thema bereits angeschnitten, doch stets, noch bevor sie an den Kern des Problems vorstoßen konnten, kam eines um vieles wichtigeres Problem im Betrieb dazwischen.

„Ich möchte, dass du weniger arbeitest“, sagte Erich plötzlich, als hätte er ihre Gedanken gehört.

„Dasselbe wollte ich gerade dir vorschlagen“, antwortete Leonie.

„Zurzeit geht es einfach nicht anders. Ich verspreche dir, im September einige Tage Urlaub einzuplanen.“

Leonie lachte auf. „Das glaube ich erst, wenn wir in einem gemütlichen Hotel unsere Koffer auspacken. Ich lasse mich aber gerne überraschen“, antwortete sie, als sich plötzlich durch das Wort „überraschen“, ein, wie sie glaubte, genialer Gedanke breitmachte. Warum fahre ich nicht ohne Erich weg? Ich könnte doch ..., ja, ich könnte nach Löwenstein fahren, Mutsch und Paps überraschen und von dort aus, die alte Heimat unsicher machen. „Wenn ich okay bin, werde ich einige Tage ohne dich wegfahren“, sprudelte es da auch schon aus ihr heraus.

Da es inzwischen dunkel geworden war, knipste Erich das Licht wieder an, setzte sich auf und betrachtete sie verwundert. „Ohne mich? Wie darf ich das verstehen?“

Leonie lachte. „Du bist doch nicht etwa eifersüchtig? Denkst du etwa, ich lache mir einen Mann an, der bereit ist, mit mir die Nächte in einer Bar in Cala Spinosa durchzutanzen oder mich zu den Sehenswürdigkeiten der Umgebung zu begleiten?“

„Vorstellen könnte ich mir das durchaus“, schmollte er.

„Ja, ich muss zugeben, die Idee ist gar nicht mal so schlecht“, nutzte sie die Gelegenheit, ihn ein wenig zu triezen.

„Wir fahren prinzipiell nicht getrennt in Urlaub“, begehrte er auf. „Das hatten wir doch so besprochen?“

„Ach ja? Wir hatten auch besprochen, mindestens einmal im Jahr alle Fünfe grade sein zu lassen, um Urlaub im Land unserer Wahl zu machen. Außerdem sind Prinzipien, auch selbst auferlegte, nicht dazu da, sich von ihnen geißeln zu lassen. Und wenn du meinst, dich nicht an unsere Absprachen halten zu müssen, kann ich das auch.“

„So siehst du das?“

„Ja, genau so. Und nun beruhige dich mal wieder. Ich dachte daran, einige Tage nach Löwenstein zu fahren.“

„Ach so?“ Erich legte sich erleichtert zurück, tastete nach der Nachttischlampe, knipste das Licht wieder aus und zog sie erneut an sich. „Zu deinen Eltern? Das ist eine sehr gute Idee. Lass dich von deiner Mutter wieder mal richtig verwöhnen, das wird dir guttun, und wie ich sie kenne, ihr auch. Aber ich werde dich vermissen.“

„Ich denke nicht. Du erstickst doch förmlich in Arbeit und endlich wirst du dich ihr ohne Reue widmen können.“

„Trotzdem“, sagte er, während er laut gähnte. „Allein dich hier zu wissen, genügt mir.“

Wenige Sekunden später hörte Leonie ihn tief und gleichmäßig atmen. Sie drehte sich zur Seite, und noch während sie an ihre Eltern dachte, an deren erfreut und erstaunt blickende Gesichter, beim plötzlichen Auftauchen der Tochter, schlief auch sie ein.

Kapitel 2

„Guten Morgen, Liebling. Setz dich, der Kaffee ist fertig“, erklärte Erich fröhlich.

„Oh, was ist passiert?“, fragte sie erstaunt. „So verwöhnt zu werden, daran könnte ich mich gewöhnen.“

Er warf ihr einen verhaltenen Blick zu. „Ein kleines Zeichen meines guten Willens. Außerdem möchte ich, dass du richtig frühstückst. Du brauchst Kraft.“

Leonie hob abwehrend die Hand und schüttelte verneinend den Kopf. „Das ist wirklich lieb von dir, aber ich bring jetzt keinen Bissen runter.“ Er scheint doch tatsächlich etwas besorgt wegen des bevorstehenden Arzttermins. Unwillkürlich lächelte sie in sich hinein. Obwohl sich ihr Appetit wirklich in Grenzen hielt, überlegte sie, dass sie zumindest ein halbes Brötchen essen könnte, um nicht mit knurrendem, weil leeren Magen zur Untersuchung zu erscheinen. Nicht, dass der alte Doktor noch annimmt, ich hungere, um mir meine gute Figur zu bewahren. Aber …

„Ich bestehe darauf. Du isst wenigsten ein Brötchen“, unterbrach er ihre Gedanken, schnitt ein Vollkornbrötchen auf und bestrich es mit Butter. „Wurst, Käse, Erdbeermarmelade oder was haben wir denn da?“ Er drehte das Glas so, dass er es lesen konnte. „Akazienhonig! Nun sag schon, was darf ich dir aufs Brötchen schmieren?“

Warum lässt er mich nicht einfach in Ruhe meinen Kaffee trinken, fragte sich Leonie entnervt. Gleichzeitig wunderte sie sich, dass ihr seine Aufmerksamkeit, die sie während des vergangenen Wochenendes noch als angenehm empfunden hatte, nun derart auf die Nerven ging. „Honig bitte“, murmelte sie. Irgendwo hatte sie gelesen, Honig wäre gut für den Magen. „Und nur ein halbes, mehr geht beim besten Willen nicht.“

„Honig. Jawohl, gnädige Frau. Ihr Wunsch ist mir Befehl.“ Er steckte den gedrechselten Honignehmer ins Glas und ließ anschließend den dickflüssigen, goldbronzenen Honig auf die untere Hälfte des Brötchens fließen.

Leonies Laune sackte ins Bodenlose. Warum empfinde ich alles, was er tut, als aufgesetzt und falsch? Heute zeigt er sich als besorgter Ehemann. Sollte sich am Ende herausstellen, dass ich wirklich nur überarbeitet bin, wird er mich morgen erleichtert, dachte sie mit einem Hauch Sarkasmus, mit einem Lächeln und guten Wünschen zu meinen Eltern entlassen. Erleichtert, weil ich ihm zum einen keine weiteren Vorwürfe machen werde und zum anderen, weil er mich dort gut verwahrt weiß. Zu meinen Eltern, nicht wie vorgesehen nach Cala Spinosa, wo sich eventuell der eine oder andere Mann nach mir umdrehen könnte. Der Gedanke an den abgesagten Urlaub ärgerte sie an diesem Morgen ganz besonders. Normalerweise, stellte sie bei einem Blick auf die alte Standuhr fest, würden wir jetzt in diesem wunderschonen Hotelrestaurant in Cala Spinosa beim Frühstück sitzen. Nun ahnte sie auch, was ihr an Erichs Aufmerksamkeit missfiel. Er, als intelligenter Mann, konnte sich gut vorstellen, wie sie sich an diesem Morgen fühlte. Nur darum tat er alles, um ihre Laune aufzubessern. Er wollte lediglich erneute Vorwürfe und den daraus resultierenden Stress vermeiden.

Erich legte das Honigbrötchen auf ihren Teller.

Dieser verdammte Mistkerl, dachte sie, als sie sein jungenhaft selbstgefälliges Lächeln bemerkte, dem sie einfach nie widerstehen konnte. Heute wirst du mich nicht um den kleinen Finger wickeln. „Danke, auch wenn du das nur tust, um dein schlechtes Gewissen zu beruhigen.“

„Ach Schatz, wir holen ...“

„Und wegen der Untersuchung“, unterbrach sie ihn, „musst du dir keine Sorgen machen. Es geht mir hervorragend. So ein ungestörtes Wochenende wie das letzte, tut manchmal Wunder.“

„Ja, die Erholung tat auch mir gut. Zukünftig sorge ich dafür, dass wir zumindest die Wochenenden in Ruhe genießen können. Ich verspreche es.“