TCM-Diagnostik in der Veterinärmedizin - Stephanie Reineke - E-Book

TCM-Diagnostik in der Veterinärmedizin E-Book

Stephanie Reineke

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Beschreibung

Ein chinesisches Sprichwort besagt: Ohne Diagnose keine Therapie. In ihrem Buch erklärt Ausbilderin und Therapeutin Stephanie Reineke leicht verständlich die wichtigsten Grundlagen und Zusammenhänge der TCM: die Puls- und Zungendiagnostik, die Diagnose nach den Zang Fu und den Leitbahnen, und wie schlussendlich ein fertiges Behandlungskonzept entsteht. Mit diesem Grundlagenwerk sind Anfänger:innen und Lernende in der TCVM hervorragend beraten. Anschauliche Illustrationen unterstützen den Lernprozess, und interessierte Pferde- und Hundehalter:innen kommen ebenfalls auf ihre Kosten. Durch die vielen Praxistipps zur Diagnose und Behandlung ist dieses Buch aber auch für die Gesamtheit der Tiertherapeut:innen besonders wertvoll.

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Seitenzahl: 359

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Stephanie Reineke

TCM-Diagnostikin der Veterinärmedizin

Sichere Diagnostik underfolgreiche Therapiefür Pferd und Hund

Hinweis:

Dieses Buch ersetzt keine praktische Ausbildung. Es ist äußerst wichtig, das theoretisch erlernte Wissen auch praktisch am Tier und mit Hilfe von kompetenten Ausbilder:innen zu erlernen.

1. Auflage 2022

© 2023 Crystal Verlag, Wentorf bei Hamburg

Alle Rechte vorbehalten

Kein Teil des Buches darf in irgendeiner Form oder zu irgendeinem Zweck elektronisch oder mechanisch, einschließlich Fotokopie, Recording und Wiederherstellung ohne schriftliche Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass er auf im Text enthaltene externe Links keinerlei Einfluss hat. Eine Haftung des Verlags ist daherausgeschlossen.

Umschlaggestaltung: Andrea Barth | Guter Punkt unter Verwendung von Fotos von Marie Schade (großes Foto, kleines Foto unten rechts) und Diana Wahl (kleines Foto oben links und kleines Foto oben Mitte) Bildnachweis: siehe Anhang

Lektorat: Eva Wagner

Registererstellung: Eva Wagner

Layout und Satz: Marx Grafik & ArtWork

Druck: Westermann Druck Zwickau GmbH

Printed in Germany ISBN

978-3-95847-401-7 /EBOOK 978-3-95847-731-5

Inhalt

1

Einleitung

1.1 Warum TCM-Diagnostik?

1.2 Die wichtigsten Fachbegriffe

2

Die TCM-Diagnostik/Zhong Yi Zhen Duan

2.1 Die Bedeutung des Begriffs

2.2 Die TCM-Diagnose hat Vor- und Nachteile

2.3 Die vier Elemente der TCM-Diagnostik

2.3.1 Anamnese – oder die Kunst, die richtigen Fragen zu stellen

2.3.2 Adspektion – oder die Kunst, richtig hinzusehen

2.3.3 Palpation – oder die Kunst, richtig zu tasten

2.3.4 Olfaktion und Auskultation

3

Diagnostik nach den Acht Leitkriterien/Ba Gang

3.1 Ist es eine Außen- oder eine Innenerkrankung?

3.1.1 Außen/Biao

3.1.2 Innen/Li

3.2 Liegt ein Fülle- oder ein Leerezustand vor?

3.2.1 Fülle/Shi

3.2.2 Leere/Xu

3.3 Liegt ein Hitze- oder ein Kältezustand vor?

3.3.1 Hitzezeichen

3.3.2 Kältezeichen

3.4 Yin und Yang

3.4.1 Die Geschichte von Yin und Yang

3.4.2 Ungleichgewicht von Yin und Yang

3.4.3 Beispiele von Yin und Yang in der Tiermedizin

4

Diagnostik nach den Fünf Grundsubstanzen

4.1 Das Qi

4.1.1 Qi-Arten

4.1.2 Bildung der Qi-Arten

4.1.3 Funktionen des Qi

4.1.4 Qi-Syndrome

4.2 Das Xue-Blut

4.2.1 Entstehung von Xue-Blut

4.2.2 Die Beziehung von Herz, Milz und Leber zu Xue-Blut

4.2.3 Funktionen des Xue

4.2.4 Xue-Blut-Syndrome

4.2.5 Die Beziehung zwischen Qi und Xue

4.3 Die Jing-Essenz

4.3.1 Die Vorhimmels-Essenz

4.3.2 Die Nachhimmels-Essenz

4.3.3 Die Nieren-Essenz

4.3.4 Die Funktionen der Jing-Essenz

4.4 Die JinYe-Körpersäfte

4.4.1 Die Pathologie der JinYe

4.4.2 Abhängigkeit der JinYe von Qi und Xue

4.5 Der Shen-Geist

4.5.1 Shen-Geist-Störungen

5

Diagnose nach den Sechs äußeren pathogenen Faktoren

5.1 Wind/Feng

5.1.1 Wind-Arten

5.1.2 Wind ist Yang und schädigt Xue und Yin

5.1.3 Pathologien des Windes

5.1.4 Äußerer Wind

5.1.5 Innerer Wind

5.1.6 Wind in der Haut

5.2 Kälte/Han

5.2.1 Pathologien der Kälte

5.2.2 Allgemeine Kälte-Muster

5.2.3 Kälte kann vier Ursachen haben

5.2.4 Lungen-Yang-Mangel

5.2.5 Milz-Yang-Mangel

5.2.6 Nieren-Yang-Mangel

5.3 Hitze/Re

5.3.1 Hitze-Krankheiten

5.3.2 Hitzetoxine

5.3.3 Dynamiken der Hitze

5.3.4 Hitze-Symptome

5.3.5 Sommerhitze/Shu

5.4 Feuchtigkeit/Shi

5.4.1 Allgemeine Krankheitsanzeichen für Feuchtigkeit

5.4.2 Feuchtigkeitsbedingte Erkrankungen

5.4.3 Feuchtigkeit wird unterschieden in innere und äußere Feuchtigkeit

5.4.4 Unterschied zwischen Feuchtigkeit und Schleim

5.4.5 Schleim-Arten

5.4.6 Unterschiede in der Behandlung von Feuchtigkeit und Schleim

5.5 Trockenheit/Zao

5.5.1 Klinisches Erscheinungsbild

5.5.2 Häufig betroffene Funktionskreise und ihre Symptome

5.5.3 Wie unterscheidet man Trockenheit, Yin-Mangel und Xue-Mangel?

5.6 Feuer/Huo

6

Bi-Syndrome

6.1 Entstehung von Bi-Syndromen

6.2 Arten von Bi-Syndromen

6.2.1 Wanderndes Bi

6.2.2 Schmerzhaftes Bi

6.2.3 Fixiertes Bi

6.2.4 Hitze-Bi

6.2.5 Knochen-Bi

6.3 Behandlung von Bi-Syndromen

7

Diagnose nach den Sieben inneren pathogenen Faktoren

7.1 Die inneren pathogenen Faktoren

7.1.1 Zorn, Wut

7.1.2 Freude

7.1.3 Grübeln/sich sorgen

7.1.4 Trauer

7.1.5 Angst

7.1.6 Schock

8

Die einfachen Wege zur richtigen Diagnose

8.1 Pulsdiagnostik

8.1.1 Taststellen für die Pulsdiagnostik

8.1.2 Techniken der Pulsdiagnostik

8.1.3 Persönliche Voraussetzungen für die Pulskontrolle

8.1.4 Die drei Kriterien des Pulses

8.1.5 Pulsqualitäten

8.1.6 Einteilung der Pulse

8.2 Zungendiagnostik

8.2.1 TCM-Faktoren der Zunge

8.2.2 Einteilung der Zunge

8.2.3 Wie geht man als Therapeut:in bei der Zungendiagnostik vor?

8.2.4 Was muss bei der Zungendiagnostik beachtet werden?

8.2.5 Welche Komponenten werden betrachtet?

8.2.6 Beispiele zur Zungendiagnostik

8.2.7 Übungsaufgaben: Welches Krankheitsbild passt zu dieser Zunge?

8.3 Die Shu-Punkte

8.3.1 Wie gehen wir bei der Shu-Punkte-Diagnostik vor?

8.3.2 Topographie und Pathologie der Shu-Zustimmungspunkte

8.4 Die Diagnose über die Mu-Punkte

8.4.1 Lage der Mu-Punkte

8.4.2 Mu-Punkte in der Therapie

8.5 Die Ting-Punkte

8.5.1 Ting-Punkt und Leere-Erkrankung

8.5.2 Ting-Punkt und Fülle-Erkrankung

8.5.3 Die Antiken Punkte

8.6 Die RAC/VAS-Diagnostik

9

Diagnostik nach den Wandlungsphasen

9.1 Die Fünf Wandlungsphasen in der Chinesischen Medizin

9.1.1 Die Fünf Wandlungsphasen/Wu Xing in der Natur

9.1.2 Die Fünf Wandlungsphasen als Prozesse und Bewegungsrichtung

9.2 Die Fünf Wandlungsphasen und ihre Entsprechungen

9.2.1 Wichtige Entsprechungen der Fünf Wandlungsphasen/Wu Xing

9.2.2 Wechselbeziehungen der Fünf Wandlungsphasen

9.3 Die Fünf Wandlungsphasen in der Diagnostik

9.4 Behandlung über die Fünf Wandlungsphasen

10

Die Diagnose nach den Organsystemen/Zang-Fu

10.1 Funktionen und Disharmoniemuster des Funktionskreises Lunge-Fei

10.1.1 Aufgaben der Lunge-Fei

10.1.2 Häufige Disharmoniemuster der Lunge-Fei

10.2 Funktionen und Disharmoniemuster des Funktionskreises Dickdarm-Dachang

10.2.1 Aufgaben des Dickdarms-Dachang

10.3 Funktionen und Disharmoniemuster des Funktionskreises Milz-Pi

10.3.1 Aufgaben der Milz-Pi

10.4 Funktionen und Disharmoniemuster des Funktionskreises Magen-Wei

10.4.1 Aufgaben des Magens-Wei

10.5 Funktionen und Disharmoniemuster des Funktionskreises Herz-Xin

10.5.1 Aufgaben des Herz-Xin

10.6 Funktionen und Disharmoniemuster des Funktionskreises Dünndarm-Xiaochang

10.6.1 Aufgaben des Dünndarm-Xiaochang

10.7 Funktionen und Disharmoniemuster des Funktionskreises Niere-Shen

10.7.1 Aufgaben der Niere-Shen

10.7.2 Alle chronischen Krankheiten erschöpfen die Niere-Shen

10.8 Funktionen und Disharmoniemuster des Funktionskreises Blase-Pangguang

10.8.1 Aufgaben der Blase-Pangguang

10.8.2 Die Blase-Pangguang ist eng mit dem Dreifach-Erwärmer verbunden

10.8.3 Stau in der Blasen-Leitbahn kann Rückenschmerzen verursachen

10.8.4 Die Blase-Pangguang reagiert empfindlich auf Kälte

10.9 Funktionen und Disharmoniemuster des Funktionskreises Pericard-Xinbao

10.9.1 Aufgaben des Pericard-Xinbao

10.10 Funktionen und Disharmoniemuster des Funktionskreises Dreifach-Erwärmer/Sanjiao

10.10.1 Aufgaben des Dreifach-Erwärmers/San Jiao

10.10.2 Pathologien des Dreifach-Erwärmers

10.10.3 Disharmoniemuster des Dreifach-Erwärmers

10.11 Funktionen und Disharmoniemuster des Funktionskreises Leber-Gan

10.11.1 Die Aufgaben der Leber-Gan

10.11.2 Häufige Disharmoniemuster der Leber-Gan

10.12 Funktionen und Disharmoniemuster des Funktionskreises Gallenblase-Dan

10.12.1 Aufgaben der Gallenblase-Dan

10.12.2 Häufige Disharmoniemuster der Gallenblase-Dan

11

Diagnose nach den Leitbahnen

11.1 Die Hauptleitbahnen/Jing Mai

11.1.1 Verlauf der Hauptleitbahnen

11.1.2 Tageszeitliche Aktivität der Leitbahnen

11.2 Die Netzleitbahnen/Luo Mai

11.3 Die Muskelleitbahnen/Jing Jin

11.4 Die Pathologien der Leitbahnen

11.5 Diagnostik mit Hilfe der Leitbahnen

11.6 Leitbahnen und innere Organe

11.7 Leitbahnen und Sinnesorgane

11.8 Die Leitbahnen mit ihren Verläufen und Störungen

11.8.1 Die Lungen-Leitbahn

11.8.2 Die Dickdarm-Leitbahn

11.8.3 Die Magen-Leitbahn

11.8.4 Die Milz-Pankreas-Leitbahn

11.8.5 Die Herz-Leitbahn

11.8.6 Die Dünndarm-Leitbahn

11.8.7 Die Blasen-Leitbahn

11.8.8 Die Nieren-Leitbahn

11.8.9 Die Pericard-Leitbahn

11.8.10 Die Dreifach-Erwärmer-Leitbahn

11.8.11 Die Gallenblasen-Leitbahn

11.8.12 Die Leber-Leitbahn

12

Diagnose nach den Acht außerordentlichen Gefäßen/Qi Jing Ba Mai

12.1 Die Acht außerordentlichen Gefäße/Qi Jing Ba Mai

12.2 Besondere Merkmale der außerordentlichen Gefäße

12.2.1 Das Lenkergefäß/Du Mai

12.2.2 Das Konzeptionsgefäß/Ren Mai

12.2.3 Das Durchdringungsgefäß/Chong Mai

12.2.4 Das Gürtelgefäß/Dai Mai

12.2.5 Das Yin-Schreitgefäß/Yin Qiao Mai

12.2.6 Das Yang-Schreitgefäß/Yang Qiao Mai

12.2.7 Das Yin-Verbindungsgefäß/Yin Wei Mai

12.2.8 Das Yang-Verbindungsgefäß/Yang Wei Mai

13

Fallbeispiele

Fallbeispiel 1: Pferd mit Sehnenschaden

Fallbeispiel 2: Hund mit Diarrhö und Erbrechen

Fallbeispiel 3: Wallach mit Knieproblemen

Fallbeispiel 4: Hund mit nächtlicher Unruhe

Fallbeispiel 5: Pferd mit Kotwasser

Fallbeispiel 6: Hund mit Hautproblemen

Fallbeispiel 7: Tinker mit Lahmheit der Vordergliedmaße

Fallbeispiel 8: Stute mit COB

Fallbeispiel 9: Hündin mit Blasenschwäche

Fallbeispiel 10: Pferd mit Husten

Anhang

Behandlungsprotokoll Akupunktur

Quellenangaben

Danksagung

Stichwortregister

Für meine Tochter Skadi.

Ich bin stolz auf Dich.

Und für meinen Lebenspartner Frank.

Ohne Dich wäre ich niemals da, wo ich jetzt bin.

Ich möchte mich bei allen bedanken, die mich bei der Entstehung des Buches unterstützt haben:

Bei all meinen Lehrer:innen, Kolleg:innen, Freund:innen, und bei meinen Schüler:innen für euren Zuspruch und die vielen fantastischen Bilder, die ihr mir zur Verfügung gestellt habt – und, natürlich nicht zu vergessen, bei meinen vierbeinigen Patient:innen, für die immer wieder neuen Erkenntnisse und Erfahrungen.

Mein besonderer Dank gilt Diana „Pio“ Tiebes, Helge Wolanska und Silke Braun für ihre konstruktive Kritik, die viele Zeit und all die Anregungen, die dieses Buch zu dem gemacht haben, was es jetzt ist.

1

Einleitung

1.1 Warum TCM-Diagnostik?

Als ich vor mehr als zehn Jahren zum ersten Mal mit der TCM in Kontakt kam, war ich sofort „infiziert“. Ich habe gleich erkannt, dass auch „Nicht-Tierärzt:innen“ ohne Röntgengerät und Ultraschall, über eine Diagnostik nach Traditioneller Chinesischer Medizin (TCM), Erkrankungen einstufen und klassifizieren können.

Im Laufe meiner therapeutischen Arbeit musste ich leider feststellen, dass dieses Instrument kaum genutzt wird, und so kam ich bereits vor einigen Jahren auf die Idee, ein Buch zu diesem Thema zu schreiben. Dies war ein Herzenswunsch, und so habe ich sehr viel Arbeit investiert, um die Diagnostik nach TCM genau zu erforschen.

Im Laufe der Jahre haben verschiedene Mediziner:innen immer wieder neue Interpretationen zur Chinesischen Medizin hinzugefügt, um sie für westliche Therapeut:innen und Tierärzt:innen zu „vereinfachen“. Dies erschwert die Diagnostik allerdings eher, da dadurch viele verschiedene Interpretationen der Untersuchung und Behandlung nach TCM entstanden sind. Dieses Buch beschäftigt sich ausschließlich mit der Traditionellen Chinesischen Medizin und der Diagnose nach klassischen chinesischen Grundsätzen.

Um die Chinesische Medizin zu begreifen, müssen wir Europäer:innen erst einmal umdenken und lernen, in chinesischen Mustern zu denken. Ich hoffe, dieses Buch kann Ihnen dabei helfen, zu einer neuen Sichtweise zu gelangen.

Die TCM ist das älteste überlieferte medizinische Behandlungssystem der Welt – das sind ca. 5000 Jahre Weisheit. Sie wird bis heute an chinesischen Universitäten gelehrt – das sind 3000 Jahre Wissensvermittlung. Und fast genauso lange hat es gedauert, bis sich die TCM auch hier im Westen etabliert hat. Gerade in den letzten Jahren hat die Traditionelle Chinesische Medizin auch in der Veterinärmedizin immer mehr an Ansehen gewonnen.

Willkommen in der fantastischen Welt der Chinesischen Medizin.

Abb. 1: Moxibustion ist eine spezielle Methode der Akupunktur, bei der die Akupunkturpunkte erhitzt werden.

Zu Beginn möchte ich aus dem Grundbuch der chinesischen Heilkunde, „Huang Di Nei Jing Su Wen – Nan Jing“, zitieren, warum eine fundierte TCM-Diagnostik immer erfolgreicher ist als eine Akupunktur nach schulmedizinischen Kriterien. Im ersten Kapitel des Grundbuchs der chinesischen Heilkunde und Nadel-Moxa-Therapie sagt der kaiserliche Arzt Qi Bo zum Herrscher:

„Der ungebildete Mediziner betrachtet seine Patienten nur von außen. Der bessere Arzt erkennt das Shen1 seines Patienten und damit den ganzen Hintergrund der Krankheit.“ Und weiter: „Primitive Heiler stechen gewöhnlich nur Nadeln an den Gelenken. Der bessere Arzt versucht, vor der Behandlung, den Kranken als Ganzes zu erfassen, das heißt sein Shen und die Reserven seiner Organfunktionen zu ergründen.“2

Abb. 2: Akupunktur erfordert viel Fingerspitzengefühl.

Leider hat es sich sowohl in der Human- wie auch in der Tiermedizin etabliert, Akupunkturnadeln nach westlicher Diagnose zu stechen. Das mag wohl zu einem großen Teil daran liegen, dass es nur sehr wenige Ausbildungsinstitute gibt (ich spreche ausschließlich von der Tiermedizin, zur Humanmedizin kann ich mich nicht äußern), die eine fundierte TCM-Diagnostik und -Behandlung lehren. Auch sind leider sehr viele Schüler:innen nicht bereit, eine intensive Ausbildungszeit und große Mühe zu investieren, sondern möchten lieber schnell und einfach therapieren.

Die chinesische Krankheitsanalyse ist aber für die korrekte Therapie mittels Nadeln oder Kräutern unentbehrlich und darf nicht einfach durch westliche Diagnosen oder – noch laienhafter – durch das Locus-dolendi-Stechen (Stechen von Schmerzpunkten) ersetzt werden. Denn dabei würde die Wirkung der Behandlung vermindert.

Leider lässt sich die Chinesische Medizin nicht in drei Wochenendkursen erlernen – vielmehr ist es ein kontinuierliches Streben nach immer mehr Wissen. Auch ich bin noch längst nicht an meinem Ziel angekommen und strebe nach immer mehr Ausbildung.

Ein chinesisches Sprichwort besagt:

Um die Chinesische Medizin kompetent zu beherrschen, benötigt der zielstrebige Schüler ca. 950 Jahre.

Dieses Sprichwort soll nicht abschrecken, sondern eher den Durst nach immer mehr Wissen anregen. Ich selbst nehme diese Aussage als Ansporn. Wenn ich noch nicht alles weiß, so liegt es einfach daran, dass ich erst etwa zehn Jahre lerne. Mal sehen, was die nächsten 940 Jahre noch bringen.

Abb. 3: Untersuchung von reaktiven Akupunkturpunkten

1.2 Die wichtigsten Fachbegriffe

Da die TCM so komplex ist, ist es unmöglich, Themen der Reihe nach zu behandeln, ohne dazu Begriffe zu verwenden, die erst an späterer Stelle im Buch genau erläutert werden. Damit Ihnen, liebe Leser:innen, die Lektüre trotzdem leichtfällt, finden Sie hier eine Tabelle mit den wichtigsten Begriffen zum Nachschlagen. Die Seitenzahl verweist jeweils auf das vertiefende Kapitel bzw. den Abschnitt, in dem dieser Begriff genau erklärt wird.

Bi-Syndrom:

Blockade bzw. Schmerz-Syndrom (S. 89)

chinesische Phytotherapie:

chinesische Arzneitherapie

Disharmoniemuster:

Erkrankungen nach TCM-Diagnose (S. 186 ff.)

Funktionskreise:

Organe der TCM mit ihren Zugehörigkeiten

Grundsubstanzen:

die Fünf Substanzen, die für die Funktionsabläufe im Körper zuständig sind (S. 43)

Jing:

Lebensessenz (S. 54)

JinYe:

Körperflüssigkeiten (S. 56)

Leitbahnen:

Kanäle, in denen die Lebensenergie fließt und auf denen sich die Akupunkturpunkte befinden (S. 237)

Leitkriterien:

Grundlage zur Bestimmung von Krankheitsmustern, ältestes Diagnoseverfahren (S. 29)

Moxibustion:

Erwärmen des Akupunkturpunktes mit Beifußkraut (S. 74)

Mu-Punkte:

Diagnosepunkte für die inneren Organe (S. 160)

pathogener Faktor:

krankmachender Faktor (S. 63, 93 u. a.)

Qi:

Lebensenergie (S. 43)

Shen:

Geist/Seele, psychischer Aspekt (S. 60)

Shu-Punkte:

Diagnosepunkte auf dem Rücken (S. 154)

Stau, Stase und Stagnation:

In der TCM verschiedene Begriffe, die alle beschreiben, dass eine Grundsubstanz und/oder eine Leitbahn im Fluss gestört ist

Ting-Punkte:

Diagnosepunkte am Kronrand oder an den Krallen (S. 162)

Xue:

Blut, materieller Teil der Lebensenergie (S. 50)

Yin und Yang:

zwei Begriffe der Chinesischen Medizin, mit denen gegensätzliche Beziehungen zwischen zwei, drei oder auch mehreren Dingen ausgedrückt werden (S. 36)

Zang-Fu:

Organsysteme in der TCM (S. 183)

Akupunkturpunkte

Zur Vereinheitlichung habe ich in diesem Buch immer die Abkürzungen der Akupunkturpunkte benutzt, z. B. „Lu7“. Zum besseren Verständnis finden Sie hier eine Liste mit den Abkürzungen:

Lunge

Lu

Dickdarm

Di

Magen

Ma

Milz-Pankreas

MP

Herz

He

Dünndarm

Blase

Bl

Niere

Ni

Pericard

Pc

Dreifach-Erwärmer

3E

Gallenblase

Gb

Leber

Le

Konzeptionsgefäß

KG

Lenkergefäß

LG

1 Der chinesische Begriff „Shen“ wird in Abschnitt 4.5 erläutert.

2 aus: Paul U. Unschuld: „Antike Klassiker der chinesischen Medizin – Huang Di Nei Jing Su Wen – Nan Jing“, Cygnus Verlag 2013

3

Diagnostik nach den Acht Leitkriterien/Ba Gang

Das Schriftzeichen Ba Gang wird übersetzt mit „Acht Leitkriterien“, wobei Ba (八) das Schriftzeichen für „Acht“ ist, und Gang (钢) so viel wie „Hauptüberschriften“ bedeutet.

Die Acht Leitkriterien sind

Innen 裏 – Außen 表

Kälte 寒 – Hitze 熱

Leere 虛 – Fülle 實

Yin 陰 – Yang 陽

Die Diagnostik nach den Acht Leitkriterien ist die Grundlage für alle anderen Methoden zur Bestimmung des Krankheitsmusters. Sie ist die theoretische Basis und auf jedes Muster anwendbar. Sie hilft uns, verwirrende Zustände zu entwirren und die Wurzel einer Erkrankung zu erkennen. Sie sollten aber nicht als ein „Entweder-Oder“ gesehen werden. Es kann durchaus sein, dass gleichzeitig ein Innen- und ein Außen-Zustand, Kälte und Hitze oder Fülle und Leere anwesend sind.

Die Acht Leitkriterien sind, wie alles in der TCM, miteinander verknüpft und bedingen sich gegenseitig.

Die verschiedenen Störungen müssen auch nicht immer alle vier Charakteristika (innen oder außen, Kälte oder Hitze, Leere oder Fülle sowie Yin oder Yang) aufweisen. Oder es kann auch vorkommen, dass ein Pferd zum Beispiel gleichzeitig unter einer Innen- und einer Außenerkrankung leidet: So treten Kotwasser und Sommerekzem oft zusammen auf.

Über die Diagnose nach den Acht Leitkriterien können wir das Wesen und die Entstehung einer Krankheit besser erkennen und dadurch leichter zu ihren Wurzeln vordringen.

3.1 Ist es eine Außen- oder eine Innenerkrankung?

Die Unterscheidung zwischen einer Außen- und einer Innenerkrankung erfolgt auf der Basis ihrer körperlichen Lokalisation.

3.1.1 Außen/Biao

Das Zeichen Biao (表)stellt Haare (毛)eines Tierfells dar, das als Kleidung (衣)genutzt wird.

Eine Erkrankung wird nicht als Außenerkrankung klassifiziert, weil ein äußerer pathogener Faktor eingedrungen ist, sondern weil sich die Erkrankung (noch) an der Oberfläche des Körpers befindet. Das Außen in der TCM bezieht sich auf den Bereich zwischen der Haut und den Muskeln, in dem das Abwehr-Qi (Wei-Qi) fließt. Dieser Bereich wird auch zuerst von äußeren pathogenen Faktoren (siehe Kapitel 5) angegriffen.

Alle Erkrankungen, die die Muskeln, Sehnen, Faszien, Leitbahnen oder die Haut betreffen, sind Außen-Erkrankungen.

Eine Außenerkrankung kann, wenn sie länger andauert, ins Innere wandern und sich somit in eine Innenerkrankung umwandeln.

Die Hauptsymptome einer beginnenden Außenerkrankung sind: Fieber, Frieren, Körperschmerzen, Genickempfindlichkeit und ein oberflächlicher Puls (siehe Abschnitt 8.1, Pulsdiagnostik).

3.1.2 Innen/Li

Das Schriftzeichen Li (里)bedeutet „kleines Dorf“ oder auch „Innenseite“ – ein Ort mit Erde (土) und Feldern (田). Bei der traditionellen Form für die häufigste Verwendung von „innen“ (裏) wird (里) durch das Zeichen für „Kleidung“ (衣, siehe auch oben) ergänzt.

Eine Innenerkrankung liegt vor, wenn die inneren Organe oder die Knochen betroffen sind. Eine Außenerkrankung kann sich, wie schon erwähnt, wenn sie länger andauert, in eine Innenerkrankung umwandeln. Diagnostiziert wird dies, wenn sich ein Kältezustand (frieren, helle Zunge, kein Durst, heller Urin) in einen Hitzezustand (schwitzen, hecheln, rote Zunge, viel Durst) umgewandelt hat. Deshalb ist es so wichtig, eine gründliche Anamnese mit den Vorerkrankungen vorzunehmen!

Innenerkrankungen werden hauptsächlich durch falsche Ernährung, emotionalen Stress und überforderndes Training sowie chronische Erkrankungen verursacht. Es gibt sowohl Innere-Kälte- wie auch Innere-Hitze-Erkrankungen.

Hier nochmals der Vergleich zwischen Außen/Biao und Innen/Li:

Außen/Biao

Innen/Li

Haut, Leitbahnen, Muskeln

Innere Organe, Knochen

durch äußere pathogene Faktoren

durch falsche Fütterung, Stress, Überforderung

Tab. 1: Die wichtigsten Unterschiede zwischen Außen/Biao und Innen/Li

3.2 Liegt ein Fülle- oder ein Leerezustand vor?

Ein Fülle- oder Leerezustand wird anhand von Vorhandensein bzw. Fehlen eines pathogenen Faktors und der Energie/Stärke des Patienten diagnostiziert. Beide Zustände können akut oder chronisch sein.

Bei einem Füllezustand ist ein pathogener Faktor vorhanden, und die körpereigene Energie (Qi) ist noch relativ stark. Bei einem Leerezustand ist der Patient schwach, und es ist kein pathogener Faktor vorhanden.

Es kann auch eine kombinierte Leere-Fülle-Störung vorkommen. Hierbei wird ein Leerezustand durch eine Fülle verkompliziert. Bei diesem Zustand haben wir die Anwesenheit eines pathogenen Faktors in Kombination mit einer körperlichen Schwäche.

3.2.1 Fülle/Shi

Das Zeichen Shi (sprich: Schö) bedeutet „voll“ oder „erfüllt sein von etwas“ und setzt sich zusammen aus 宀 (Mian) und 头 (Tou). Mian bedeutet „Dach“, und Tou bedeutet „Kopf“.

Die Fülle-Erkrankung ist charakterisiert durch das Eindringen eines äußeren pathogenen Faktors (Wind, Hitze, Kälte, Feuchtigkeit; siehe auch Kapitel 5). Hierbei ist das pathogene Qi (Xie-Qi) bereits durch die Wei-Qi-Schicht (Abwehr-Schicht) eingedrungen, aber das Zheng-Qi (= Summe aller Qi-Abwehrleistungen) ist noch sehr stark und kämpft gegen den pathogenen Faktor an.

Abb. 8: Das Zheng-Qi kämpft gegen Wind und Feuer an.

3.2.2 Leere/Xu

Das Zeichen für „Leere“ heißt Xu (sprich: Schü) und setzt sich zusammen aus Hu (虍) und Ye (业). Hu kommt von „Hügel“ oder „großer Erhebung“. Ye ist das untere Zeichen. Hier geht es darum, dass eine Haltung beschrieben wird: ohne Absicht, das heißt, dass die Dinge nicht das Herz berühren, sondern frei von Beurteilung sind.

Leerezustände lassen sich nicht verallgemeinern, da sie vom betroffenen Organ (siehe auch Kapitel 10) und der betroffenen Grundsubstanz (siehe auch Kapitel 4) abhängig sind. Allgemein macht sich eine Leere-Störung bemerkbar durch Müdigkeit, Lustlosigkeit, weichen Kot, Diarrhö, blasse Zunge, schwachen Puls.

3.2.2.1 Qi-Leere

Die Qi-Leere ist die harmloseste Stufe von Leere. Oft sind die Funktionskreise Milz-Pankreas und Lunge betroffen. Qi-Leere äußert sich durch Müdigkeit, weichen Kot, Appetitmangel und einen leeren Puls.

3.2.2.2 Yang-Leere

Am häufigsten sind die Funktionskreise Milz-Pankreas, Niere, Lunge, Herz und Magen betroffen. Die häufigsten Symptome bei Yang-Leere sind Kälteabneigung, kalte Gliedmaßen, kein Durst, weicher Kot, häufiger Harndrang, heller Urin, schwacher Puls, blasse und feuchte Zunge.

3.2.2.3 Xue-Blut-Leere

Am häufigsten betroffen sind die Funktionskreise Herz, Leber und Milz-Pankreas mit den Symptomen allgemeine Trockenheit, brüchige Hufe/Krallen, stumpfes/raues Fell, unruhiger Schlaf, blasse Zunge und dünner/rauer Puls.

3.2.2.4 Yin-Leere

Die häufig betroffenen Funktionskreise sind Niere, Lunge, Herz, Leber und Magen. Die Yin-Leere äußert sich durch Fieber am Abend, Unruhe und Hecheln in der Nacht, Abmagerung, eine rote Zunge und einen oberflächlichen, leeren Puls.

Anmerkung der Autorin: Eine Leere wird oft auch als Mangel bezeichnet.

Fülle

Leere

starke Symptome

schwache Symptome

starke Schmerzen

dumpfe Schmerzen

viel Schweiß (Pferd)

schwitzt selten

Unruhe/Hecheln

Lustlosigkeit/Müdigkeit

Druck verschlechtert

Druck bessert

Bewegung bessert

Bewegung verschlechtert

voller Puls

leerer Puls

akuter Beginn

schleichender Beginn oder chronischer Verlauf

Tab. 2: Die wichtigsten Leitsymptome zur Unterscheidung von Fülle- und Leere-Zuständen

3.3 Liegt ein Hitze- oder ein Kältezustand vor?

Hitze- oder Kältemuster beschreiben das Wesen einer Erkrankung. Sie werden anhand von Puls, Zunge, Temperatur und Verhalten beurteilt. Unterschieden werden außerdem noch Hitze/Kälte-Fülle und Hitze/Kälte-Leere, je nachdem, ob ein Yin/Yang-Überschuss oder ein Yin/Yang-Mangel vorhanden ist.

3.3.1 Hitzezeichen

Folgende Befunde sind Hitzezeichen:

viel Durst

warme Gliedmaßen

Fieber

Obstipation

Kot stinkend

Maulgeruch

dunkler Urin

rote Zunge

schneller Puls

Unruhe

Pferd steht gerne im Schatten/kühlem Stall

Hund liegt gerne auf kaltem Boden

Hitze kann ein Fülle- oder ein Leere-Zustand sein:

Fülle-Hitze (pathogener Faktor)

Leere-Hitze (Yin-Mangel)

trinkt viel, kaltes/frisches Wasser

trinkt oft, aber wenig

hohes Fieber

leichtes Fieber am Nachmittag/Abend

sehr unruhig

unbestimmte Angst

Obstipation mit Bauchschmerzen

trockener Kot, keine Bauchschmerzen

Puls: schnell, voll, überflutend

Puls: schnell, leer, oberflächlich

Behandlung: Hitze klären

Behandlung: Yin stärken

Tab. 3: Unterschiede zwischen Fülle-Hitze und Leere-Hitze

3.3.2 Kältezeichen

Kältezeichen sind:

kein Durst

kalte Gliedmaßen

kein Fieber

Diarrhö

Kot geruchlos

viel heller Urin

blasse Zunge

langsamer Puls

Erschöpfung, sehr ruhig

Pferd steht gerne in der Sonne

Hund liegt gerne warm und weich

Auch die Kälte kann als Fülle- oder als Leere-Zustand auftreten:

Fülle-Kälte (pathogener Faktor)

Leere-Kälte (Yang-Mangel)

starke Schmerzen, Druck verschlechtert

diffuse Schmerzen, Druck bessert

Besserung nach Kotabsatz

Verschlechterung nach Kotabsatz

Puls: voll, straff, tief

Puls: langsam, schwach, tief

Behandlung: Kälte ausleiten

Behandlung: Yang stärken

Tab. 4: Unterschiede zwischen Fülle-Kälte und Leere-Kälte

In einigen Fällen kann es auch zu den für die Diagnostik schwierigen Zuständen von Kombinationen aus Hitze und Kälte oder zu einer sogenannten falschen Hitze oder falschen Kälte kommen. Das heißt, es ist nicht gleich ersichtlich, ob es sich um eine Hitze- oder eine Kälteerkrankung handelt. Im Humanbereich wird dies hauptsächlich mithilfe der Gesichtsfarbe und der Empfindungen diagnostiziert.

Praxistipp:

Die Diagnostik bei unseren Tieren gestaltet sich hierbei etwas schwierig.

Wenn ich zum Beispiel ein Pferd in Behandlung habe, das gleichzeitig unter der Kälte-Erkrankung „Kotwasser“ (sehr flüssig, ohne Geruch, nicht reizend), und der Hitze-Erkrankung „Husten mit gelbem Auswurf“ leidet und bei der Diagnostik sowohl eine rote Zunge als auch wenig Durst und einen langsamen Puls aufweist, verzichte ich bei der ersten Behandlung auf wärme- oder kälteausleitende Akupunkturpunkte und bevorzuge temperaturneutrale Arzneien. Die Erkrankung könnte sich ansonsten, bei falsch eingesetzter Akupunktur oder Phytotherapie, rapide verschlimmern. Bei der Nachbehandlung zeigt sich meist – durch die Neuordnung des Systems – die zugrunde liegende Pathologie, und ich kann gezielter weiterbehandeln.

Allerdings ist es nicht förderlich, immer nur „neutral“ zu behandeln, aus der Angst heraus, etwas falsch zu machen, da sich dann keine langfristigen Erfolge einstellen werden.

Ansonsten gilt: Das akute Problem hat Vorrang und wird zuerst behandelt.

3.4 Yin und Yang

Ein Zitat aus dem „Gelben Kaiser“/„Huang Di Nei Jing Su Wen – Nan Jing“ lautet:

„Das Prinzip von Yin und Yang

ist das Grundprinzip des gesamten Universums.“3

Die chinesischen Zeichen für „Yin“ und „Yang“ beziehen sich auf das Bild eines Hügels:

Yin: Das linke Zeichen bedeutet „Hügel“, und das rechte so viel wie „unter den Wolken“.

Yang: Auch hier ist links wieder das Schriftzeichen für „Hügel“ zu sehen, und das Zeichen auf der rechten Seite bedeutet „Sonne über dem Horizont“ und „Lichtstrahlen“. Yin bedeutet also „Hügel unter den Wolken“, und Yang „Hügel in der Sonne“.

Es wird vermutet, dass der Ursprung von Yin und Yang aus den Beobachtungen der Bauern stammt, die sich ihrer Umwelt und dem zyklischen Wechsel von Tag und Nacht sehr bewusst waren. Deshalb entspricht der Tag dem Yang und die Nacht dem Yin, und des Weiteren die Aktivität dem Yang und die Ruhe dem Yin. Yin und Yang sind nicht statisch. Es sind zwei Stadien einer zyklischen Bewegung, bei der jeweils das eine in das andere übergeht.

Yin

Yang

kalt

heiß

dunkel

hell

Nacht

Tag

weich

hart

langsam

schnell

ruhig

aktiv

blass

rot

nass

trocken

innen

außen

Leere

Fülle

Bauch

Rücken

Struktur

Aktivität

innere Organe/Knochen

Muskeln/Haut

absteigen

aufsteigen

Tab. 5: Allgemeine Zuordnung von Yin und Yang

3.4.1 Die Geschichte von Yin und Yang

Der Reisbauer steht auf seinem Feld und beobachtet einen Hügel zur Zeit der aufgehenden Sonne. Auf der südöstlichen Seite, die von der Sonne beschienen wird, ist es warm und hell. Es herrscht eine große Aktivität der Insekten und Vögel, und das Wasser aus dem Boden kann als Wasserdampf am Hügel nach oben steigen. Auf der nordwestlichen Schattenseite ist es noch dunkel und kühl. Dort ist es ruhig, und der Dampf der Luft verwandelt sich in Wasser, das sanft den Hügel hinabfließen kann, um die Erde zu versorgen.

Aus dieser Beobachtung ergibt sich die Physiologie von Yin und Yang:

Yin

Yang

befeuchtet

trocknet

kühlt

wärmt

hemmt

bewegt

Abb. 9: Hügel, Sonne, Schatten

Yin und Yang sind gegensätzlich: Yin und Yang sind gegensätzliche Stadien eines Zyklus oder von Aggregatzuständen. Diese Gegensätzlichkeit ist allerdings relativ. Nichts ist absolut, da Yin auch immer einen Yang-Aspekt hat, und umgekehrt. Yin ist immer nur Yin im Vergleich zu Yang. So ist warmes Wasser im Verhältnis zu kaltem Wasser Yang – aber warmes Wasser kann auch Yin sein, im Vergleich zu heißem Wasser.

Auch wenn alles Yin und Yang enthält, sind diese beiden Energien nie zu gleichen Teilen, also nicht statisch in einem 50:50-Verhältnis vorhanden. Das Verhältnis von Yin und Yang ist immer ein dynamischer Vorgang, der sich ständig ändert.

Yin und Yang sind voneinander abhängig: Auch wenn Yin und Yang gegensätzlich sind, so sind sie doch auch abhängig voneinander. Das eine kann ohne das andere nicht existieren. Die Nacht kann nur nach dem Tag kommen, und es gibt keine Aktivität ohne Ruhe, keine Kälte ohne Wärme, und keine Energie ohne Materie. Yin und Yang stehen in bestem Fall in einem dynamischen Gleichgewicht. Gerät dieses Gleichgewicht aus der Balance, dann entwickelt sich eine Störung bzw. Erkrankung.

3.4.2 Ungleichgewicht von Yin und Yang

Es gibt vier Möglichkeiten des Ungleichgewichts von Yin und Yang:

Yin-Überschuss

Yang-Überschuss

Yin-Mangel

Yang-Mangel

Abb. 10: Yin und Yang im Gleichgewicht

Abb. 11: Yin und Yang im Ungleichgewicht

Es ist wichtig, den Unterschied zwischen einem Yin-Überschuss und einem Yang-Mangel zu erkennen. Auf den ersten Blick mag es das Gleiche sein, wird aber unterschieden in primär und sekundär. Im Falle eines Yang-Überschuss ist dieser primär und entwickelt sich sekundär zu einem Yin-Mangel, da das Yang das Yin verbraucht.

Hier bietet sich der Vergleich mit einem Feuer an: Das Holz ist die Struktur, also Yin; und die Flamme ist die Energie, also Yang. Je heißer die Flamme (Yang) brennt, desto schneller zerfällt das Holz (Yin) zu Asche. Und je weniger Holz (Yin) vorhanden ist, umso kleiner wird die Flamme (Yang).

Ein Überschuss zeigt sich bei einer Fülle-Erkrankung, und ein Mangel bei einer Leere-Erkrankung.

Ein weiteres Beispiel: Wenn Yin im Übermaß vorhanden ist, reduziert es das Yang – wie bei einem Wasserhahn mit einem Kalt- und einem Warmwasserregler. Sind beide Hähne gleich weit aufgedreht, kommt aus dem Hahn warmes Wasser in einem Yin-und-Yang-Gleichgewicht. Wird jetzt der Kaltwasserregler weiter aufgedreht, dann bekommen wir kühleres Wasser, also einen Yin-Überschuss. Wird dagegen der Warmwasserregler weiter zugedreht, so wird das Wasser kälter durch einen Yang-Mangel.

Für die folgende Behandlung ist es wichtig, ob wir es bei der Erkrankung mit einem Mangel oder einem Überschuss zu tun haben, da die Behandlung jeweils vollkommen unterschiedlich ausfällt: Bei einem Mangel müssen wir tonisierend arbeiten, und bei einem Überschuss ableitend.

Abb. 12: Wie warmes und kaltes Wasser kann man auch Yin und Yang auf unterschiedlichen Wegen regulieren.

Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Gäste-WC, das nur über ein sehr kleines Waschbecken verfügt. Wenn Sie den Wasserhahn zu weit aufdrehen, läuft das Waschbecken über. Da wäre es doch wichtig zu wissen, ob das Wasser zu heiß ist, weil der Heißwasserhahn zu weit offen ist – oder ob es zu heiß ist, weil der Kaltwasserhahn zu wenig geöffnet ist. Gehen wir einmal davon aus, dass Sie nicht erkannt haben, dass viel mehr Wasser aus dem Heißwasserhahn (Yang) kommt, und Sie möchten es regulieren, indem Sie den Kaltwasserhahn weiter aufdrehen (Yin tonisieren), dann wird Ihnen das Waschbecken überlaufen. Wahrscheinlich haben Sie jetzt immer noch keine sauberen Hände, weil Sie in Ihrer Panik den Hahn schnell wieder zugedreht haben, aber zusätzlich müssen Sie jetzt auch noch den Boden wischen.

Wenn Sie vorher gewusst hätten, dass Sie nur den Heißwasserhahn etwas hätten zudrehen müssen, um angenehm temperiertes Wasser zu bekommen, hätten Sie das wahrscheinlich auch getan, und dadurch jetzt saubere Hände und einen trockenen Boden.

Genau so verhält es sich mit der Akupunktur (oder auch mit Kräuterverschreibungen) ohne gründliche TCM-Diagnostik: Es kann leicht schiefgehen.

Ob wir es mit einem Mangel oder einem Überschuss zu tun haben, erkennen wir vor allem an den Vitalzeichen, oder auch an den Anzeichen für Fülle und Leere. Bei allgemeiner Fülle liegt eine Überschuss- und bei Leere eine Mangelerkrankung vor.

Ist das Tier vital, unruhig oder gar aggressiv und hat es einen kräftigen Puls, dann handelt es sich um eine Fülle-Erkrankung, also einen Yin- oder Yang-Überschuss.

Wenn das Tier aber müde, schlapp und lustlos und der Puls schwach ist, handelt es sich um eine Leere-Erkrankung, also einen allgemeinen Mangel. Dies könnte ein Yin- oder ein Yang-Mangel, aber auch ein Qi- und/oder ein Xue-Mangel sein.

Alle Symptome und Zeichen können auf ein Yin-Yang-Ungleichgewicht zurückgeführt werden.

Ob ein Yin/Yang-Mangel oder ein Yin/Yang-Überschuss die Ursache der Erkrankung ist, erkennen wir außerdem an der Entwicklung der Erkrankung und an der Unterscheidung nach primär und sekundär. Hinweise auf einen Fülle- oder einen Leerezustand geben zusätzliche Anhaltspunkte, ob es sich um einen Yin-Mangel oder einen Yang-Überschuss handelt.

Yin

Yang

chronische Erkrankung

akute Erkrankung

schleichender Beginn

rascher Beginn

Tier ist lustlos, schläfrig

Tier ist unruhig

Hund liegt gerne weich und warm

Hund liegt gerne auf hartem, kaltem Boden

kalte Gliedmaßen

warme Gliedmaßen

blasse Zunge

rote Zunge

kein Durst

viel Durst

mag abgestandenes Wasser

mag frisches Wasser

viel klarer Urin

wenig gelber Urin

Diarrhö, weicher Kot

Verstopfung, trockener/harter Kot

leerer, langsamer Puls

voller, schneller Puls

Tab. 6: Yin- und Yang-Pathologien

3.4.3 Beispiele von Yin und Yang in der Tiermedizin

3.4.3.1 Hitze – Kälte

Eine Gelenkentzündung mit Wärme und Röte deutet auf einen Yang-Überschuss oder einen Yin-Mangel hin. Da Hitze und Röte vorhanden sind, wird es vermutlich eine Fülle-Erkrankung mit Yang-Überschuss sein. Deutliche Hinweise gibt das Tier. Wenn es aktiv oder eventuell sogar unruhig ist, müssen wir also Hitze ausleiten.

Eine Kastrationsnarbe, die kalt im Vergleich zum umgebenen Gewebe ist, weist auf einen Yang-Mangel oder einen Yin-Überschuss hin. Das Gewebe ist verhärtet und die Folge einer Operation. Ist das Tier schwach, so handelt es sich um eine Leere-Erkrankung, also einen Yang-Mangel, und die Behandlungsmethode bestünde darin, das Yang zu tonisieren.