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Julia Möhn

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Beschreibung

Feminismus für jeden Tag! 12 Impulse für mehr female empowerment im Alltag "Wir brauchen vier Umarmungen am Tag zum Überleben, acht Umarmungen am Tag zum Leben und 12 Umarmungen am Tag zum innerlichen Wachsen" – so die These der Psychotherapeutin Virginia Satir. Jeden Tag 12 Umarmungen. Klingt das nicht schon nach einem guten Versprechen? Aber wie müssten diese 12 Umarmungen beschaffen sein, damit sie uns Frauen helfen, voranbringen, unterstützen, gut tun? Wiebke Harms, Julia Möhn und Liske Jaax stellen in diesem Buch 12 Impulse vor, mit denen Frauen sich in ihrem Alltag gegenseitig unterstützen und stärken können: Zum Beispiel mit Komplimenten an der Fahrradampel, Empathie ohne Erklärmanie, radikaler Ehrlichkeit und dem Schaffen eines Sicherheitsnetzes. Denn Solidarität, Gemeinschaft und Zusammenhalt lebt und erlebt man am besten täglich, um kleine Herausforderungen des Lebens und große gesellschaftspolitische Fragen besser bewältigen und verändern zu können und Feminismus einfach zu leben.  Die 12 Impulse sind eine Antwort auf die Frage: Was können wir jetzt tun? Ein feministischer Call-to-action Plan, der im Kleinen oder im Großen funktioniert. Im Job und im Privaten. Die 12 Impulse befreien uns von dem Gefühl der Machtlosigkeit und helfen uns, ins Handeln zu kommen.   "Wir glauben daran, dass Frauen, wenden sie einige der Impulse an, eine Veränderung in ihrem Umfeld erzeugen können. Frauen sollen sich durch uns gestützt und gesehen fühlen."

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Julia Möhn • Wiebke Harms • Liske Jaax

Team F

Feminismus einfach leben 12 Impulse für den Alltag

Knaur e-books

Über dieses Buch

Feminismus für jeden Tag! 12 Impulse für mehr female empowerment im Alltag

 

»Wir brauchen vier Umarmungen am Tag zum Überleben, acht Umarmungen am Tag zum Leben und 12 Umarmungen am Tag zum innerlichen Wachsen« – so die These der Psychotherapeutin Virginia Satir. Jeden Tag 12 Umarmungen. Klingt das nicht schon nach einem guten Versprechen? Aber wie müssten diese 12 Umarmungen beschaffen sein, damit sie uns Frauen helfen, voranbringen, unterstützen, gut tun?

Miriam Böndel, Julia Möhn und Liske Jaax stellen in diesem Buch 12 Impulse vor, mit denen Frauen sich in ihrem Alltag gegenseitig unterstützen und stärken können: Zum Beispiel mit Komplimenten an der Fahrradampel, Empathie ohne Erklärmanie, radikaler Ehrlichkeit und dem Schaffen eines Sicherheitsnetzes. Denn Solidarität, Gemeinschaft und Zusammenhalt lebt und erlebt man am besten täglich, um kleine Herausforderungen des Lebens und große gesellschaftspolitische Fragen besser bewältigen und verändern zu können und Feminismus einfach zu leben.

Die 12 Impulse sind eine Antwort auf die Frage: Was können wir jetzt tun? Ein feministischer Call-to-action Plan, der im Kleinen oder im Großen funktioniert. Im Job und im Privaten. Die 12 Impulse befreien uns von dem Gefühl der Machtlosigkeit und helfen uns, ins Handeln zu kommen.

»Wir glauben daran, dass Frauen, wenden sie einige der Impulse an, eine Veränderung in ihrem Umfeld erzeugen können. Frauen sollen sich durch uns gestützt und gesehen fühlen.«

Inhaltsübersicht

WidmungEinleitung1. Zeige Liebe2. Lass mal drücken3. Verteile Lob4. Stell sie vor5. Schau hin6. Biete Hilfe an7. Kämpft zusammen8. Sprich’s aus9. Rücken stärken10. Sei offen11. Hör ihr zu12. Sei die ErsteDie ProtagonistinnenGlossarAnmerkungen
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Für Miri, in deren Herz und Kopf dieses Buch entstanden ist.

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Einleitung

Es ist eines unserer Lieblings-GIFs[1], vielleicht kennst du es auch: Eine Frau zieht eine andere hoch, diese hilft ihr mit einer Räuberleiter weiter nach oben, die nächste kommt, ein prächtiger Reigen in Pastell beginnt. Es wirkt ein bisschen wie ein Trainingscamp für Superheldinnen. Sie bauen einander auf. Sie bauen aufeinander auf. Aber: Es ist nur ein GIF. Wie auch »Run the world (Girls)« von Beyoncé nur ein Song ist, wenn auch ein fantastischer. Und Wonder Woman von Patti Jenkins nur ein Film, wenn auch ein wundervoller. Wo finden wir Superheldinnen in unserem wirklichen Leben? Wo nehmen wir selbst die Superkräfte her?

Nötig hätten wir sie.

Schauen wir auf Deutschland: Frauen können hier seit hundert Jahren wählen, aber im Bundestag ist ihr Anteil so niedrig wie seit dreißig Jahren nicht mehr. Frauen erzielen so hohe Bildungsabschlüsse wie noch nie, aber nur etwa zehn Prozent von ihnen verdienten 2019 mehr als zweitausend Euro netto. Mehr Frauen als jemals zuvor in der Nachkriegsgeschichte arbeiten, aber im Schnitt erhalten sie zwanzig Prozent weniger Lohn als die Männer. Wenn wir auf bestimmte Frauengruppen schauen, trübt sich das Bild noch weiter ein: Muslimische Frauen mit Kopftuch müssen viermal so viele Bewerbungen schreiben wie andere Anwärterinnen mit gleicher Qualifikation, um zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden.

Schauen wir auf Familien: Zwar nehmen immer mehr Väter Elternzeit, aber während Frauen 2016 im Schnitt beinahe zwölf Monate zu Hause blieben, waren es bei den Männern gerade einmal gut drei. Mütter verdienen in Deutschland auch zehn Jahre nach der Geburt ihres ersten Kindes im Schnitt noch 61 Prozent weniger als im Jahr vor der Geburt. Nach einer Trennung ist das Armutsrisiko für Frauen groß. 38 Prozent der Einelternfamilien waren 2018 auf Leistung zur Grundsicherung angewiesen. 2020 gab es 2,2 Millionen alleinerziehende Mütter, aber nur vierhunderttausend Väter.

Schauen wir auf die Welt: Die Corona-Krise hatte und hat für Frauen verheerende Konsequenzen. Die Fälle häuslicher Gewalt sind weltweit gestiegen, die UN rechnete bei einem sechsmonatigen Lockdown mit 31 Millionen zusätzlichen Fällen. Frauen verloren ihren Zugang zur Verhütung, ihre Ersparnisse, Mädchen die Chance, zur Schule zu gehen.

Wir sind überfordert, gestresst, unsere Bedürfnisse werden marginalisiert, Frauen in der digitalen und analogen Öffentlichkeit werden angegriffen und bedroht. Wir kommen kaum voran und müssen manchmal zurückweichen, weil wir dem Druck nicht standhalten können. Solidarität bleibt oft abstrakt, wir fühlen uns allein und verunsichert.

Das große Wort »Feminismus« haben wir uns lange als Riesenschirm vorgestellt, unter dem sich alle Frauen versammeln können. Doch so weit sind wir noch nicht. Chimamanda Ngozi Adichie – Autorin des tollen Buchs Mehr Feminismus![2] – sagte in einem Gespräch auf dem Hay-Festival: »Es spielt keine Rolle, dass Menschen ›Feminismus‹ auf ihrem T-Shirt stehen haben oder Beyoncés Song hören, es ist immer noch ein Wort, das starke Ablehnung erfährt.«[3]

Und es ist eben nur ein Wort; ein großes, wichtiges Wort natürlich, aber solange wir es nicht mit Leben füllen, können wir unsere Pullover mit den »The future is female«-Aufdrucken im Schrank lassen. Wie kommen wir zu Taten, die lauter sprechen als Worte? Beziehungsweise, was hält uns von diesen Taten ab?

In den vergangenen Monaten war es so, dass wir in viele verschiedene Richtungen gestürmt sind, lauter und wütender als zuvor. Nicht ein Feminismus, viele Feminismen. Julia stürmte los, als sie sah, wie rollenstereotyp die Belastungen in der Corona-Zeit verteilt waren: Frauen konnten weniger bezahlte Arbeit leisten, sie kümmerten sich mehr um die Kinder, sie verdienten weniger und bekamen für ihre Leistungen keine Anerkennung, sondern ein »Hast du dir doch selbst so ausgesucht«. Wiebke ging zu den Solidaritätsprotesten für die Black-Lives-Matter-Bewegung und lernte einmal mehr, dass das große »Wir« in ihrem Feminismus viel zu oft noch ein »wir weiße[1] Frauen« war. Liske konterte Hasskommentare im Internet, statt sie stehen zu lassen, und bot Betroffenen Hilfe an. Denn Anschläge wie in Hanau und Halle zeigten immer deutlicher: Es reicht nicht mehr, nur zu denken »Ich bin gegen rechts«. Wir müssen laut werden, wenn rassistische und frauenfeindliche Parolen salonfähig und immer mehr Frauen mit dem Leben bedroht werden, wenn sie ihre Meinung öffentlich äußern.

Bleibt die Frage: Was können wir jetzt tun?

Vielleicht, zum Start, sollten wir die Vielfalt des Feminismus feiern, anstatt auf die Unterschiede zu starren und uns nicht mehr zu bewegen, weder nach vorne noch aufeinander zu. Denn auch das ist uns in den vergangenen Jahren klar geworden: Uns bringt nicht der kleinste gemeinsame Nenner weiter, sondern die größte gemeinsame Offenheit. Die großartige britische Autorin Caitlin Moran hat 2020, knapp zehn Jahre nach ihrem Buch How to be a Woman, das Buch More than a Woman veröffentlicht. Im Guardian schreibt sie:

Von meinem 45 Jahre alten Hexenthron aus, auf dem ich gesehen habe, wie der Feminismus abebbte, aufwallte und wieder zurückging, möchte ich alle noch einmal an den wichtigsten, großartigsten, manchmal aber auch frustrierendsten Aspekt des Feminismus erinnern: Er ist keine Wissenschaft. Er hat keine Regeln. Auch heute noch ist er nichts anderes als ein Konzept, das von Millionen von Menschen über Jahrhunderte hinweg geschaffen wurde. Und es kann nur überleben, wenn die nächste Generation sich in der Lage fühlt, frische Ideen zu entwickeln, Fragen zu stellen, Fehler zu machen und das Konzept immer wieder neu zu erfinden, sodass wir die nächste Welle des Feminismus lostreten können. Und noch eine. Und noch eine.[4]

Deshalb gibt dieses Buch nicht nur eine Antwort auf die Frage, was wir jetzt tun können, sondern zwölf. Denn die gewünschten Superkräfte schlummern schon in uns. Bevor wir erklären, wie wir sie wecken und entfalten können, müssen wir kurz erzählen, wie die magische Zahl zwölf in unser Leben kam.

»Wir brauchen zwölf Umarmungen am Tag.« Dieser Satz stammt von der amerikanischen Psychotherapeutin Virginia Satir. Ihre These: »Wir brauchen vier Umarmungen am Tag zum Überleben, acht Umarmungen am Tag zum Leben und zwölf Umarmungen am Tag zum innerlichen Wachsen.« Zum ersten Mal gehört haben wir diesen Satz auf einem Frauenbarcamp, einer Veranstaltungsform, die wir besonders mögen: Die Teilnehmerinnen bestimmen selbst, worüber sie sprechen wollen, von Politik über Menstruation bis Aktivismus auf Instagram oder Frauenfreundschaften.

Inneres Wachstum ist genau das, was wir verspüren, wenn wir uns auf solchen Veranstaltungen oder in Videokonferenzen mit Gleichgesinnten austauschen und verbinden. Die Kraft der Gruppe, der Gemeinschaft ist fast greifbar. Leider ist sie auch flüchtig. Wie speichern und transportieren wir diese Energie, wie verwandeln wir sie in eine Superkraft für jede Frau? Schließlich brauchen wir sie nicht nur dann, wenn wir zusammensitzen und diskutieren, sondern in den Momenten, in denen wir auf Widerstände stoßen. Wie die ruhende Hand auf der Schulter, die einen ermutigt, den Weg weiterzugehen, auch wenn man gerade ganz alleine dasteht.

Stellvertretend für die zwölf Umarmungen haben wir uns zwölf Impulse überlegt, mit denen Frauen sich gegenseitig unterstützen können. Darin eingegangen sind private Erfahrungen, journalistische Erkenntnisse, Instrumente aus der Community-Arbeit, aus dem Coaching. Wir drei Autorinnen treffen bei unserer Arbeit als Journalistinnen immer wieder die realen Superheldinnen. Dieses Buch soll auch ihre Bühne sein.

Wir haben mit Frauen gesprochen, die mit uns großzügig ihre Erfahrungen teilen und Empfehlungen aussprechen. Sie sind sich keinesfalls in allem einig, divers in Background und Haltung. Denn wirklich voran kommen wir nur, wenn wir mehr sehen als die eigene Perspektive, die stets nur ein begrenztes Stück der Realität zeigen kann. Eine Wahrnehmung, die gefärbt ist von den eigenen Erfahrungen und Erlebnissen. Dieser blinden Flecken müssen wir uns bewusst sein. Wir hoffen, dass es für unsere Leser*innen funktioniert wie für uns selbst: Die Feminismen von anderen Frauen kennenzulernen bereichert. Und zu erfahren, wo überall Feminismus wirksam sein kann, macht stark.

Wir haben Ideen gesammelt, die in den verschiedensten Lebensmomenten helfen, im Privaten, in der Öffentlichkeit wie bei der Arbeit: auf dem Sofa, dem Spielplatz, im Sportverein, am Schreibtisch. Herausgekommen ist ein Call-to-action-Plan, den jede von uns für sich zusammenstellen und anwenden kann.

Einiges wirst du vielleicht unbewusst schon längst tun. Unser Alltag ist alles andere als banal – jede kleine Aktion hebt uns ein Stück weiter aus dem Gefühl der Machtlosigkeit. Diese Impulse bringen uns einander näher, sie schaffen Öffentlichkeit oder helfen, geben Kraft, schweißen zusammen, motivieren zum Weitermachen. Weil es weitergehen muss. Weil auch wir uns in den letzten Jahren immer wieder von Frauen umarmt gefühlt haben und weil uns das stärker gemacht hat. Stärker, weil eine Umarmung ausdrückt: »Ich sehe dich.« Solche Anerkennung hat uns aber auch ermutigt, und zwar für das einzutreten, was wir wollen und was für Frauen immer noch so nötig ist. Wir können die Geschichte nur verändern, wenn wir das Narrativ verändern – und das war bis jetzt meist männlich, weiß und privilegiert.

Für Veränderungen brauchen wir nach wie vor einen langen Atem, wir brauchen Durchhaltevermögen und das Bewusstsein, dass wir gegen das angehen, was die Gesellschaft von Frauen erwartet. Und genau das – Strukturen zu hinterfragen, mit Stereotypen zu brechen – geht einher mit Unverständnis, Ablehnung, vielleicht sogar Anfeindungen. Wir wollen mit diesem Buch zeigen, dass sich unser Weg trotz der Mühen lohnt. Dass eine bessere Welt möglich ist – eine gerechtere. Dass wir andere Frauen nicht nur sehen, sondern dass sie uns stärken. Und wir ihnen Kraft zurückgeben können.

Aber: Es liegt nicht allein in unseren Händen. Wer die Umstände kleinredet und behauptet, es sei an jeder Frau, sich nicht als »Opfer« zu fühlen, »sich halt mal anzustrengen«, ignoriert Fakten, Zahlen und Studien. Es ist das System, das geändert werden muss. Es sind Strukturen, die geändert werden müssen, doch das wird nur passieren, wenn wir immer weiter auf das zeigen, was schiefläuft, und uns für Veränderung einsetzen.

Wir können Teams bilden, große, kleine, stete Verbindungen und kurze gemeinsame Momente, in denen wir füreinander da sind. Denn wir drei Autorinnen sehnen uns nach Gemeinschaft. Du dich auch? Dann haben wir eine Idee:

 

Join the Team F[2].

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1Zeige Liebe

Warum wir Politik mit Liebe machen sollten, wie sie sich organisieren lässt und warum du deinen Feminismus einfach lieben musst

Die Menge jubelt den Frauen im Ankunftsbereich des Flughafens von Dublin zu, begrüßt sie mit Pappschildern, auf denen Worte des Dankes und der Anerkennung stehen: »Welcome home you absolute legends« – Willkommen daheim, ihr Legenden! Viele von den Frauen, deren Ankunft in Irland am 25. Mai 2018 ein bewegendes Video zeigt, tragen Pullover und T-Shirts, auf denen in Großbuchstaben »Repeal« steht. »Abschaffen« heißt das auf Deutsch. Die Forderung bezieht sich auf einen Zusatzartikel, der 1983 in die irische Verfassung geschrieben wurde, um Abtreibungen zu verbieten. Bis zu 14 Jahre Haft drohten Frauen, die in dem Land einen Schwangerschaftsabbruch durchführen ließen. An jenem Freitag im Mai 2018 stimmte die Mehrheit der irischen Bevölkerung in einem Referendum dafür, diesen Artikel abzuschaffen. Tausende Ir*innen, die im Ausland leben, sind dafür extra aus Großbritannien, aus Kanada, aus Spanien, aus Deutschland und anderen Staaten nach Irland gereist. Obwohl sie in Ländern mit weniger strikten Abtreibungsgesetzen leben, haben sie Flugtickets bezahlt und Urlaubstage genommen, denn Briefwahl war nicht möglich. Eine Frau erzählt in die Kamera, dass eine Freundin von ihr vor Kurzem eine Abtreibung im Ausland hat durchführen lassen. Für diese Freundin sei sie angereist, aber auch für ihre Schwester, für alle Frauen in Irland.[5] Damit die Irinnen selbst bestimmen können, ob sie ein Kind austragen möchten.

Wie die Frauen einander im Flughafen begrüßen, hat etwas ungemein Liebevolles. Die Szene strahlt Hoffnung aus. Sie berührt uns und zeigt, wie viel Kraft dadurch frei wird, dass diese Frauen gemeinsam etwas erreichen wollen, unabhängig davon, wie unterschiedlich sie sonst sein mögen. Einige von ihnen verarbeiten damit eigene Erfahrungen, viele handeln selbstlos, für eine gemeinsame Vision von einem moderneren Irland. Aus Liebe zu anderen Frauen.

Das Referendum in Irland ist für uns ein Sinnbild dafür, dass das Wohlwollen gegenüber anderen Menschen Verfassungen ändern und Gesetze verbessern kann. Dass Liebe viel bewegen kann. Dass sie politisch ist und dass man Politik mit Liebe machen kann. Oder, wie Melinda Gates in ihrem Buch Wir sind viele, wir sind eins schreibt: »Liebe ist das mächtigste und am wenigsten genutzte Instrument, um die Welt anders zu gestalten«.[6]

Wir wollen Veränderungen anstoßen, einen positiven Wandel, wir wollen gestalten. Und wir sind uns sicher, dass uns das nur mit einer liebevollen Grundhaltung gelingen wird.

»Menschen, die lieben, tun Dinge nicht nur aus Eigennutz«, sagt die Kulturwissenschaftlerin, Autorin und Journalistin Dr. Mithu M. Sanyal. Sie meint mit Liebe nicht die kitschig romantischen Emotionswallungen, für die sich die Hauptfiguren in Hollywoodfilmen aufopfern, sondern ein kollektives Gefühl, ein grundsätzliches Wohlwollen anderen gegenüber, das ein starker Antrieb für Gesellschaften sein kann. Sie sagt weiter: »Mit Liebe entwickeln wir Visionen. Also: Wo wollen wir gemeinsam hin?« Ein liebevoller Blick in die Zukunft sozusagen.

Aber wie entlocken wir der Liebe ihre visionäre Kraft? Zuallererst, indem wir sie neu betrachten. »Liebe ist kein Substantiv. Liebe ist ein Verb. Liebe ist eine Handlung, eine Art, wie wir miteinander umgehen«, sagt die Kulturwissenschaftlerin Sanyal. Ihr geht es darum, Strukturen aufzuzeigen, die unsere kollektive Liebe ausbremsen. Solche Stopper sind beispielsweise in unserem Wertesystem eingebaut, in dem das meiste Ansehen genießt, wer etwas leistet. Wer Geld verdient, am besten richtig viel. Wer im Sinne des Kapitalismus produktiv ist.

Wir könnten ein paar neue Werte gebrauchen, die anerkennen, was unsere Gesellschaft besser oder glücklicher macht – und nicht nur im Sinne des Kapitalismus reicher.

Denn irgendwas tragen alle bei: die Bekannte, die den Freundeskreis zusammenhält. Die Freundin, die jede Woche mehrere Stunden ihrer Zeit in ein Ehrenamt investiert. Sogar obdachlose Menschen, die momentan in unserem Wertesystem so gut wie keine Anerkennung bekommen, uns aber beispielsweise ermöglichen, ein gutes Gefühl zu haben, wenn wir ihnen einen Euro geben. So sehen das die Menschen in Indien. Bettler geben ihnen die Chance, etwas Gutes zu tun, indem sie ihnen Geld oder Lebensmittel geben. »Die Bettler erfüllen dadurch eine wichtige soziale Funktion«, so Sanyal.

Damit mehr Liebe in die Welt kommt, müssen also ganz grundsätzliche Haltungen verändert werden. Und es geht vor allem darum, seine Haltung dem gegenüber zu ändern, was einen Menschen, was das Leben wertvoll macht. Anderen unvoreingenommen zu begegnen wäre da ein Beispiel.

So wie Verena, eine Freundin, die ganz wundervoll von anderen schwärmen kann. Lernt sie jemanden kennen, gönnt sie dem Gegenüber das Beste und geht andersherum davon aus, dass auch die neue Bekanntschaft ihr nur Gutes will – und tatsächlich: Verena bekommt beinahe immer zurück, was sie ausstrahlt.

Wir neigen dazu, Menschen sofort zu beurteilen und in Schubladen zu schieben, auszusortieren, wer uns nutzlos erscheint. Diese Menschen bestrafen wir mit Liebesentzug, so wie wir es in Deutschland mit Menschen tun, die auf der Straße leben – und mit vielen anderen. »Wir sagen vielen Menschen in unserer Gesellschaft: Du bist weniger Liebe wert, deswegen bist du insgesamt weniger wert. Und das ist eine ganz wirksame Form, wie Menschen an ihrer eigenen Entrechtung teilhaben können. Wenn man sich wertlos fühlt, ist man viel manipulierbarer«, sagt Sanyal. So funktionieren Unterdrückungssysteme.

Aber: Wenn eine Gesellschaft systematisch Liebe entziehen kann, müsste dann nicht auch das Gegenteil möglich sein? Die logische Schlussfolgerung wäre doch, Liebe zu verteilen, und zwar mit System. Die Liebe zu organisieren, erscheint manchmal sogar notwendig. Um dem Hass etwas entgegenzustellen. Denn der hat im Internet – und nicht nur dort – längst System.

Jeden Tag habe sie mindestens eine Viertelstunde damit verbracht, bei Twitter andere Nutzer zu blockieren, die ihr Hassnachrichten und Drohungen schickten, erzählte die Autorin, Journalistin und Aktivistin Kübra Gümüşay 2016 auf dem Podium der Digitalkonferenz Re:publica. Ihr Vortrag hat viel Aufmerksamkeit erfahren. Auch fast fünf Jahre später lohnt es sich noch, ihn anzuschauen. Denn sie erklärt darin eindrucksvoll und sehr berührend, warum wir unsere Liebe gegen den Hass im Internet bündeln sollten, um Menschen zu stärken, die wie sie täglich angefeindet und bedroht werden.

Man kann Gümüşay mit vielen Zuschreibungen vorstellen: Sie schreibt Kolumnen, Artikel und Bücher, sie spricht drei Sprachen, sie hat ein Blog geschrieben, das für den renommierten Grimme-Preis nominiert wurde, sie ist Feministin, spricht auf Konferenzen, ist Mutter. Stattdessen sehen viel zu viele in ihr nur: eine Kopftuchträgerin, Muslima, Migrantin, Ausländerin. Aufgrund dieser eindimensionalen politischen Projektionen, so berichtet sie, schlug ihr viel Hass entgegen, online wie offline. Damit wurden sie und Menschen wie sie immer wieder dazu gedrängt, für ihr Recht zu argumentieren, überhaupt in Deutschland zu leben. Ja, gar ihre eigene Existenz als deutsche Muslima zu verteidigen. Deswegen, wie sie weiter ausführte, konnte sie nie nur für sich sprechen, sondern alles, was sie sagte, wurde auf die muslimischen Gemeinschaften projiziert. »Rassistischen Hass zu ignorieren ist ein Privileg«, stellte sie fest.[7]

Eines, das Schwarze und People of Color (BI*PoC) – eigentlich alle Menschen, deren Hautfarbe nicht weiß ist, nicht haben.[3] Sie spüren wie Kübra Gümüşay den Hass, der sich gegen sie entlädt. Und sie merken, dass die Mehrheit dazu schweigt. »Wir müssen Liebe organisieren, denn Hass ist organisiert«,[8] lautete Gümüşays Schlussfolgerung. Wie das gehen kann? Beispielsweise, indem wir ehrlich sind. Und es eben aussprechen oder ins Internet schreiben, wenn wir etwas oder jemanden gut finden. »Wir müssen einander feiern«, sagte Gümüşay. »Ich finde dich toll, ich bin ein Fan von dir. Und zwar von lebenden Menschen und nicht nur von Toten. Lebende Menschen in Deutschland, die noch nicht zu Legenden verkommen sind.«[9]

Nach dem Vortrag erreichten Kübra Gümüşay viele Mails mit Zuspruch. Meistens enthielten sie auch Fragen danach, wie es weitergehen soll. »Niemand hat das in vorwurfsvoller Absicht gemacht, aber ich habe mich damit plötzlich in so einer Verantwortungsposition befunden. Dabei ist das eine Kollektivaufgabe«, sagt Gümüşay. Sie merkte daran auch, dass in unserem öffentlichen Diskurs ein Problem vorliegt. »Es gibt keine Korrektivräume, wo wir uns abseits der politischen Überzeugungen, die wir haben, über die Art und Weise verständigen, wie wir miteinander ins Gespräch kommen.« Zu schnell, so ihre Wahrnehmung, enden öffentliche Debatten in Schuldzuweisungen, bis endlich ein Sündenbock gefunden ist.

Wie in einer Talkshow, in der die Gäste eigentlich diskutieren sollten – und stattdessen nur ihre eigenen Standpunkte vortragen und verteidigen. Mit der eigenen Meinung rein, mit derselben wieder raus. Zurück bleibt ein Diskurs, der keinen Schritt vorangekommen ist. So aneinander vorbeizureden tarnt die Strukturen, die wir eigentlich loswerden wollen. Damit überkommen wir Probleme nicht. »Denn für ein wirklich gemeinsames Nachdenken über unsere gemeinsame Zukunft braucht es vor allem das: Wohlwollen zwischen den Menschen, die sich prinzipiell den gleichen Werten verschrieben haben«, resümiert Gümüşay in ihrem 2020 erschienenen Bestseller Sprache und Sein.[10]

Fangen wir also im Kleinen damit an, unser Wohlwollen rauszulassen. Warum nicht gezielt die Kraftreserven anderer Frauen auffüllen, indem wir Liebe und Wertschätzung verteilen? Uns daran erfreuen, um uns herum andere Frauen wachsen zu sehen. LinkedIn-Nachrichten an Speakerinnen, die sich für unser aller Belange auf Podien setzen, sind schnell verfasst, und die Bewunderung für die Mutter aus der Kita, die bald eine neue Stelle anfängt und für den Elternrat spricht, kann man ihr ruhig mal ins Gesicht sagen. Ohne Tipps, wie sie das alles noch besser hinkriegen könnte, nicht als klassische Sandwich-Feedback-Technik, in der das Lob nur die Verpackung für Kritik ist. Einfach raus mit den positiven Gefühlen. Ich mag dich! Und dich! Und dich! Du bist auch cool!

Unsere Gehirne stehen auf Anerkennung und liebevolle Zuwendung. Das Gefühl, geliebt zu werden, lindert sogar Schmerzen: Versuchspersonen in einem Experiment litten weniger unter leichten Elektroschocks, die Wissenschaftler*innen ihnen verpassten, wenn eine geliebte Person ihre Hand hielt. Der Effekt zeigte sich in verschiedenen Untersuchungen im Labor der University of Virginia nicht nur, wenn Partnerinnen oder Partner Händchen hielten, sondern auch bei guten Freund*innen und sogar – wenn auch schwächer – durch den Körperkontakt mit Fremden.[11]

Wenn wir Liebe verteilen, helfen wir damit nicht nur anderen beim Wachsen. Wir tun uns auch als Absender etwas Gutes. In einer Untersuchung mit 271 Kindern, Teenagern und jungen Erwachsenen zwischen elf und 18 Jahren konnten Psycholog*innen nachweisen, dass vor allem die weiblichen Teilnehmerinnen der Untersuchung es selbst viel mehr genossen, nett zu anderen zu sein, als wenn sie sich gemein verhielten. Wenn sogar Pubertierende Freude daran haben, Liebe statt schlechter Laune zu verbreiten, dann muss da was dran sein.[12]

Der Amerikanerin Hannah Brencher haben Liebesbekundungen gar aus einer Depression geholfen, wie sie über sich selbst sagt. Und zwar in Form von selbst verfassten Liebesbriefen: Mit 22 Jahren war Brencher gerade nach New York gezogen. Damit hatte sie sich einen Traum erfüllt. Doch in der riesigen Stadt fühlte Brencher sich nicht wohl. Sie war einsam, gestresst, traurig. Als sie jünger war, halfen ihr in solchen Phasen die Briefe, die ihre Mutter für sie schrieb (Briefe, weil Mutter Brencher nichts von digitalen Nachrichten hielt). Hannah Brencher begann, Liebesbriefe in der Stadt zu verteilen. Sie legte Zettel in Bibliotheken aus, in Cafés, in der U-Bahn, auf denen nette Dinge standen, die wir alle gern hören. Dazu begann sie, ein Blog zu schreiben, auf dem sie anbot: Wer Liebe brauche, könne einen Brief von ihr bekommen. Ihr Postfach füllte sich mit Nachrichten von einsamen Menschen, von Studentinnen und Studenten, von alleinerziehenden Müttern, von Teenagern. Das war 2011. Inzwischen hat ihre Organisation The World Needs More Love Letters nach eigenen Angaben mehr als 250000 Briefe in alle Welt an Leute verschickt, die gerade ein wenig Liebe gebrauchen können.[13]

 

Es spricht also vieles dafür, mehr Liebesbekundungen zu verteilen. Aber wir tun uns schwer damit, es einfach auszusprechen, wenn wir jemanden spitze finden. »Wir leben in einer Zeit, die durchtränkt ist von Kritik. Kritik ist allgegenwärtig«, diagnostiziert Gümüşay. »Wir stehen am Gipfel der Reflektiertheit. Wir haben den größten und längsten erhobenen Zeigefinger.«[14]

Statt auf das zu achten, was uns eint, verheddern wir uns in den Differenzen. Dabei würde es uns helfen, nach der größten gemeinsamen Offenheit zu suchen, um gemeinsam voranzukommen. Wir sollten öfter nach Verbindungen suchen, statt reflexartig den Zeigefinger zu heben. Dann kommen wir eher in einen Dialog.

Das soll nicht heißen, dass wir keine Kritik mehr hören wollen. Es gibt noch mehr als genug zu bemängeln an dieser Welt. Als Feministinnen haben wir noch einiges zu erledigen: Wir wollen den Gender Pay Gap schließen, denn noch immer verdienen Frauen im Schnitt 21 Prozent weniger als Männer. Und um die Drastik dieser Zahl zu verdeutlichen: Insgesamt arbeiten Frauen durchschnittlich 77 Tage im Jahr ohne Lohn – 77 Tage! Das wirkt sich nicht nur auf die aktuelle Lebenssituation aus, sondern führt später auch zu einer geringeren Rente. Wir wollen auch eine andere Lücke schließen, den Gender Care Gap, denn Frauen leisten im Haushalt und für ihre Familien 50 Prozent mehr Arbeit als Männer. Im Schnitt verbringt eine Frau jeden Tag 87 Minuten mehr mit Aufgaben wie Wäsche waschen oder Kinder umherfahren als ein Mann.[15] In der Zeit, in der sie unbezahlte Arbeit verrichtet, könnte er fast vier Folgen der Sitcom Friends anschauen. Wir wollen keine Angst mehr haben müssen, wenn wir nachts nach Hause laufen. Wir wollen nicht anhand unserer Körper bewertet werden, selbst entscheiden, ob wir Kinder wollen und wie lange wir eine Auszeit vom Berufsleben nehmen möchten, um sie aufzuziehen.

An so vielen Fronten zu kämpfen ist ein anstrengendes Unterfangen. Denn es gibt keine allgemeingültige feministische Agenda, die wir Punkt für Punkt abarbeiten können. Wir müssen uns unsere eigenen Prioritäten setzen, und wir müssen es aushalten, dass nicht alle dieselben Punkte ganz oben auf ihre Liste schreiben. Gar nicht so selten müssen wir auch damit leben, dass wir unseren eigenen Idealen nicht gerecht werden. Feministisch leben im Patriarchat, also in einer Welt, deren maßgebende Werte, Normen und Verhaltensmuster von Männern geprägt, kontrolliert und repräsentiert werden, das klappt nicht immer ohne Reibungsverluste.

Uns Frauen sei antrainiert worden, sich wegen allem schuldig zu fühlen, schreibt die Komikerin Deborah Frances-White. »Für viele von uns ist Feminismus zu einer weiteren Sache geworden, die uns Schuldgefühle macht.«[16] Frances-White hat 2015 mit ihrer Kollegin Sofie Hagen einen Podcast gestartet, in dem die beiden ihre Schuldgefühle thematisieren. Die Folgen von The Guilty Feminist wurden schon mehr als 60 Millionen Mal heruntergeladen. Zum einen liegt das sicher daran, dass die Gespräche über Freundschaften, das Älterwerden, Väter, Menstruation, Make-up oder Popmusik sehr witzig sind. Aber der Erfolg beruht auch darauf, dass vor allem Hörerinnen diese Schuldgefühle kennen. Jede Episode beginnt mit einem Geständnis. Frances-White erzählt beispielsweise, wie sie während einer Demonstration für Frauenrechte in einem Geschäft auf die Toilette ging. Auf dem Weg nach draußen landete sie beim Regal mit den Gesichtscremes, probierte einige aus – und verpasste die Demo. Auch die Gäste ihrer Show geben feministische Makel zu: »Ich bin Feministin, aber ich bin gern ein Sexobjekt.« Oder: »Ich bin Feministin, aber vergangene Woche war ich zu müde, um zu einem Women’s March zu gehen. Stattdessen habe ich Sex and the City geschaut.«[17]

Über die mehr oder weniger schlimmen Verfehlungen zu lachen hilft dabei, sie zu verarbeiten. Sich zu vergeben. Denn gerade uns selbst gegenüber neigen wir dazu, mit der Liebe zu knausern.

»Der Mensch muss eine bejahende, liebende Einstellung zu sich selbst haben«,[18] schrieb der Psychoanalytiker Erich Fromm. Wer sich selbst nicht lieben kann, tut sich mit der Liebe auch anderen gegenüber schwer, so die Annahme, die bis heute Grundlage für Therapieansätze ist. Ein gutes Verhältnis zu sich selbst zu pflegen ist nichts Egoistisches und schon gar nicht narzisstisch. Es ist gesund und notwendig. Wir tun nicht nur uns selbst damit etwas Gutes, sondern auch unseren Mitmenschen. Denn wer sich selbst liebt, kennt seine Bedürfnisse, kann sie kommunizieren – und löst so viele Konflikte. Aber wie geht das, sich selbst lieben?

Impuls Diese Schritte helfen dir, die Liebe zu dir selbst zu entdecken

Die kleine Selbstlieberoutine beginnt damit, in sich hineinzuhorchen: Welche Gefühle sind da gerade? Welche Gedanken treiben dich um?

Versuche, einfach nur wahrzunehmen, was du entdeckst. Ohne ein Label wie »gut« oder »schlecht« dranzuhängen, ohne zu bewerten.

Versuche, deine Gedanken zu respektieren. Sie sind ein Teil von dir. Das ist okay.

Wenn du dich ein bisschen besser kennengelernt hast: Gesteh dir selbst deinen Wert zu und vertraue dir selbst. Du kannst dich bei dir selbst sicher fühlen. So kommst du zu mehr Selbstsicherheit. Ist es nicht eigentlich toll, wer du bist?

Wer selbstsicher ist und Selbstvertrauen entwickelt, hat auch den Mut und die Kraft, etwas zu verändern. Eine gehörige Ladung Mut und Kraft können wir nämlich gut gebrauchen, denn oft genug wird uns eingeredet, dass wir das Problem sind, wenn wir Missstände ansprechen. Feminist*in sein, das heißt, anderen auf die Nerven zu gehen. Die britisch-australische Gender-Forscherin Sara Ahmed hat dafür den Begriff der »Feministischen Spaßbremse« (»Feminist Killjoy«) erfunden. Eine Art Berufsbezeichnung, die wir uns stolz anheften können, um uns nicht kleinmachen zu lassen. Ahmed beschreibt, sie habe als Jugendliche beim Abendessen mit der Familie gemerkt, dass sie manchmal so eine Spaßbremse sein muss. Nicht selten war sie in dieser Runde die Einzige, die Widerworte hatte. »Wer Probleme anspricht, wird dadurch selbst zum Problem«, stellt sie fest.[19] Manches davon dürfte uns allen schon einmal widerfahren sein: Wer bei sexistischen Witzen nicht mitlacht, muss sich beispielsweise anhören, keinen Humor zu haben. Ahmed macht aus dem Vorwurf eine Tugend: Die feministische Spaßbremse lacht, wann sie will. (Und über Blondinenwitze oder Humor, der auf Kosten von Minderheiten geht, will sie nicht lachen.) Ja, sie ist ungemütlich, wenn es sein muss. Aber nicht, weil sie grundsätzlich eine schlecht gelaunte Person ist, sondern um etwas zu verändern. »Es gibt ein Bedürfnis, zu glauben, dass Frauen Feministinnen werden, weil sie unglücklich sind. Dieses Bedürfnis entsteht aus dem Verlangen, das Glück gegen feministische Kritik zu verteidigen. Das soll nicht heißen, dass Feministinnen nicht tatsächlich unglücklich sind; Feministin zu werden kann zu der Erkenntnis führen, dass es sehr viele Gründe gibt, unglücklich zu sein«, schreibt Ahmed.[20] Ja, auch das kann uns passieren, wenn wir feministisch denken: Uns fallen Ungerechtigkeiten auf, die wir vorher übersehen haben. Feminismus öffnet Augen.

Immer anzuecken ist natürlich anstrengend. Darum braucht auch die stärkste Spaßbremse Fans. »Wir brauchen Unterstützung, wenn wir unsere Leben so leben, dass andere uns als stur oder hartnäckig empfinden«,[21] schreibt Ahmed. Damit brechen wir auch mit einem alten Mythos: dass Frauen nur liebenswert sind, wenn sie freundlich, adrett und warmherzig sind.

Der Mythos von der wütenden Feministin ist wahrscheinlich so alt wie der Feminismus selbst. Als die Suffragetten Anfang des 20. Jahrhunderts in Großbritannien für das Frauenwahlrecht kämpften, beschimpften ihre Gegner sie als »Hyänen in Unterröcken«. Um der Bewegung ihre Berechtigung abzusprechen, verbreiteten Antifeminist*innen den Mythos, dass da vor allem frustrierte, hässliche Weiber auf die Straßen gingen. Später etablierte sich das Bild der aggressiven, männerhassenden Feministinnen. »Ich habe den Vorwurf lange nicht verstanden, weil ich mich selbst nicht als aggressiv wahrgenommen habe«, erzählt Erica Fischer. Sie hat in den 1970ern die österreichische Frauenbewegung mitbegründet. »Ich bin eine total schüchterne und eher in mich zurückgezogene Person. Aber ich war leidenschaftlich im Verteidigen meiner Positionen.« Fischer hat durch ihr Engagement damals gelernt, ihre Wut zu schätzen – und anderen deren Wut zuzugestehen: »Laurie, I love your rage«,[22] schreibt Fischer in einem ihrer Bücher als Widmung an die Autorin Laurie Penny, die für ihre spitzzüngigen Analysen bekannt ist. »Diese Wut ist auch eine Liebe. Eine Liebe zur Welt. Also das Gefühl, dass es unerträglich ist, das, was wir vorfinden, akzeptieren zu müssen. Ich glaube, ohne Wut auf die Verhältnisse gibt es auch keine Veränderung«, sagt Fischer. Die Liebe sieht sie als eine der Antriebskräfte für ihren Aktivismus. Wobei es ihr anfangs doch vor allem um die romantische Liebe zu Männern ging. Denn Fischer war überzeugt, dass sie nur auf Augenhöhe funktionieren kann, nur wenn Frauen und Männer gleichberechtigt sind. Fischer wurde also Feministin, weil sie gleichberechtigte Partnerschaften führen wollte. Die wichtigere Erkenntnis kam ihr eher nebenbei. Durch ihr politisches Engagement lernte sie viele andere Frauen kennen und merkte: Die sind ja toll! »Das war das Aufregende an der Frauenbewegung«, sagt Fischer. »Wir haben durch dieses kollektive Projekt uns gegenseitig schätzen und lieben gelernt. Also das war eine unglaubliche Erfahrung. Das war vielleicht die stärkste Erfahrung. Der Respekt und die Wertschätzung anderer Frauen.« Einer ihrer Schlüsselmomente für diese Erfahrung war ein Treffen, das heute wohl als »Mädelsabend« bezeichnet werden würde. »Das erste Frauenfest in Wien hat in meiner WG-Wohnung stattgefunden. Darauf bin ich wirklich stolz«, sagt Fischer. Etwa dreißig Frauen kamen, erinnert sie sich. Sie musizierten, tranken Wein, aßen Schmalzbrote (ja, die waren sehr beliebt in den 1970ern) und tanzten. Stolz ist sie, wenn sie daran zurückdenkt, nicht nur auf das gelungene Fest, sondern auch darauf, ein riesiges Tabu gebrochen zu haben: »Dass wir uns amüsieren konnten, ohne Männer.« Was daran so befreiend war? »Ich habe damals wunderschöne Fotos gemacht. Es gibt ein Foto von einer, wo man dieses Gefühl der Befreiung sieht. Dieses Gefühl, tanzen zu können mit anderen Frauen und nicht körperlich bewertet zu werden von Männern. Das war eine ungeheure Erfahrung.«

Diese liebevolle Verbundenheit, von der Fischer erzählt, wir haben sie auch schon oft gespürt. Beispielsweise, als die Ärztin Kristina Hänel 2019 in Hamburg die Auszeichnung Frau der Stunde vom Magazin EMOTION entgegennahm und alle im Saal sich für Minuten erhoben, um für sie zu applaudieren. Hänel führt in ihrer Praxis unter anderem Abtreibungen durch. Darauf hatte sie auf ihrer Webseite hingewiesen – was bis 2019 eine Straftat war. Ärzt*innen durften nicht für Schwangerschaftsabbrüche werben. Allein der Hinweis, dass eine Praxis sie durchführt, galt laut Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs schon als Werbung. Hänel hat ein Jahrzehnt daran gearbeitet, den Paragrafen zu ändern, mit Klagen und mit Petitionen. Sie hat dafür viel Hass abbekommen und doch weitergemacht. »Kristina Hänels Mut hat viele Frauen berührt«, hieß es in der Laudatio, und weiter: »Sich so sichtbar zu machen, sich so einzusetzen, das macht andere auch mutig, das ermutigt andere zur Solidarität, zur Wahrheit, zum Vernetzen, Unterstützen, Weitermachen.«[23] Die Ärztin hat mit ihrem Engagement für einen feministischen Grundsatz gekämpft. Für die Selbstbestimmung über unsere Körper. Ihr Engagement war selbstlos und aus Überzeugung – eine Liebestat. Denn Feminismus befähigt nicht nur zum Kampf und zum Aufstand. Er macht Liebe möglich, und wir lieben unseren Feminismus dafür. Schließlich geht Feminismus davon aus, dass alle Menschen gleich viel wert sind. Also: Liebt euch und liebt euren Feminismus!

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2Lass mal drücken

Wenn Frauen sich Gefühlen öffnen – denen der anderen und den eigenen – erleben sie Nähe und Heilung. Empathie gibt den sozialen Bewegungen von Frauen weltweit Kraft

Es gibt einen Satz, den Christine Finke hasst. Die Autorin, Mutter von drei Kindern, ist seit zehn Jahren alleinerziehend. Es ist der gleiche Satz, den die Freundin von Julia hasst, deren Sohn das Downsyndrom hat und der infolge verschiedener Erkrankungen täglich Medikamente braucht. Der Satz lautet: »Ich könnte das nicht.« Gesagt bekommen die beiden ihn von flüchtigen Bekannten, Freundinnen, Verwandten. Klingt aber doch eigentlich nach einem Ausdruck von Anerkennung für ihre Leistung, nach Wertschätzung, oder? In der Langfassung hieße der Satz: Ich könnte das nicht, mich seit zehn Jahren um drei Kinder kümmern, allein für sie verantwortlich sein, rund um die Uhr. Oder: Ich könnte das nicht, mich um ein Kind zu kümmern, das nicht spricht. »Die Worte sind bestimmt auch gut gemeint«, sagt Christine Finke, »die meisten wollen wahrscheinlich so etwas wie Freundlichkeit rüberbringen.« Aber was kommt stattdessen an bei den beiden? Julias Freundin sagt: »Gedankenlosigkeit. Und ein Versuch, mich zu etwas anderem zu machen als sie. Ich bin aber nicht anders.«

»Ich könnte das nicht« – das hält das Leben der anderen auf Abstand, das trennt Welten, schiebt Wände zwischen uns. »Ich könnte das nicht« – das meint eben auch: Und zum Glück muss ich das ja auch nicht. Der Satz transportiert zwar Mitleid, aber dem Mitgefühl verweigert er sich. »Ich könnte das nicht« – das ist das Gegenteil von empathisch.

Wir wollen in diesem Kapitel zeigen, was Gutes passieren kann, wenn wir mehr Mitgefühl wagen. Mehr davon geben und mehr davon empfangen. Dass, wenn wir uns von Empathie führen lassen, neue Gemeinschaften entstehen können, soziale Bewegungen erfolgreich sind und wir es vermögen, untereinander Nähe zuzulassen, die heilend sein kann. Für die Verletzungen, die wir alle mit uns herumtragen.

Wir haben dabei zuerst an Leonard Cohens Song »Anthem« gedacht und an den Refrain: »There is a crack in everything. That’s how the light gets in«, also etwa: »In allem gibt es einen Riss. So kommt das Licht hinein.« Aber wie sehen wir die Risse in den scheinbar heilen Fassaden der anderen, vor allem, wenn sie nicht leicht zu entdecken sind? Weil sie verborgen sind hinter geglätteten Joblebenslaufversionen? Und alle sich im besten Social-Media-Licht präsentieren? Oft umkurven Gespräche auch unter Frauen die heiklen Themen, wir übergehen Peinliches, verschweigen Trauriges.

»Warum haben alle meine Freundinnen, die mit über vierzig Mutter wurden, gesagt, es sei ganz leicht gewesen, schwanger zu werden?«, fragt unsere Freundin Nina. »Warum hat keine über die Schwierigkeiten gesprochen?« Weil Schweigen oft die einzige Rettungsinsel bleibt in einem Meer aus Überforderung und tiefer Trauer, wenn Frauen keine Kinder bekommen können oder eine Fehlgeburt erleiden. Weil die Gefühle zu diesen Erlebnissen unangenehm sind, wie Angst, Wut und Neid. Teresa, die Schauspielerin ist, sagt über ihren beruflichen Nahbereich: »Das ist eine sehr körperfixierte Welt, in der man besser nicht vierzig wird. Wenn ich Schwäche zeige, über Probleme spreche, ist sofort eine andere da, um meine Position einzunehmen.«