The Brooklyn Years - Wo wir hingehören - Sarina Bowen - E-Book

The Brooklyn Years - Wo wir hingehören E-Book

Sarina Bowen

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Beschreibung

Wenn das Schicksal dir eine zweite Chance gibt

Silas Kelly hat es endlich von der Reservebank ins Tor der Brooklyn Bruisers geschafft. Doch um seinen großen Traum zu verwirklichen, hat er viele Opfer bringen müssen. Am meisten bereut er, die aufstrebende Sängerin Delilah Spark bei ihrem ersten Date versetzt zu haben. Jetzt, drei Jahre später, erhält er unverhofft eine zweite Chance. Delilah, mittlerweile ein gefeierter Superstar, taucht plötzlich bei einem Eishockeyspiel auf. Mit einer Wette auf Twitter bringt Silas sie dazu, sich mit ihm zu verabreden. Aber kann Delilah ihm verzeihen, dass er seinen Traum über sie gestellt hat?

"Sarina Bowen hat eine unvergleichliche Art Geschichten zu erzählen, die voller bildhafter Beschreibungen, Emotionen und einzigartiger Charaktere sind." BLÜTENZEILEN

Band 6 der Sports-Romance-Reihe THE BROOKLYN YEARS von USA-TODAY-Bestseller-Autorin Sarina Bowen

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Seitenzahl: 424

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INHALT

Titel

Zu diesem Buch

Leser:innenhinweis

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Die Autorin

Die Romane von Sarina Bowen bei LYX

Leseprobe

Impressum

SARINA BOWEN

The Brooklyn Years

WO WIR HINGEHÖREN

Roman

Ins Deutsche übertragen von Wiebke Pilz und Nina Restemeier

ZU DIESEM BUCH

Torwart Silas Kelly ist ein riesengroßer Fan der erfolgreichen Sängerin Delilah Spark. Damit ziehen ihn seine Teamkollegen bei den Brooklyn Bruisers ständig auf. Doch was niemand weiß: Silas hat Delilah bereits im Sommer vor drei Jahren kennengelernt, als er noch als Barkeeper arbeitete und sie auf den großen Durchbruch mit ihrer Musik wartete. Beide spürten sofort eine tiefe Verbindung, aber um ihre Träume zu verwirklichen, mussten sie Opfer bringen. Nichts bereut Silas mehr, als Delilah bei ihrem ersten Date versetzt zu haben, um seine Profikarriere im Eishockey zu verfolgen. Jetzt, drei Jahre später, erhält er unverhofft eine zweite Chance. Als Delilah plötzlich bei einem Spiel auftaucht, fordert er sie auf Twitter zu einer Wette heraus. Der Gewinn: ein Date mit ihr. Delilah weiß nicht, dass sich hinter dem Spieler der Brooklyn Bruisers der Barkeeper von damals verbirgt, doch als sie sich wiedersehen, ist die Anziehung zwischen ihnen stärker denn je. Aber wird Delilah ihm verzeihen können, dass er seinen Traum über sie gestellt hat?

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.

Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.

Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!

Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.

Euer LYX-Verlag

1

Silas

Juni

Was macht ein Haufen Eishockeyspieler im Sommer, wenn sie in der ersten Runde der Play-offs rausgeflogen sind? In meiner Wohnung herumliegen und noch mehr Eishockey gucken, offensichtlich. Aber das macht mir nichts aus. Die vergangenen zwei Jahre waren irre, und vielleicht brauchen wir alle mal eine Verschnaufpause.

Letztes Jahr haben wir es bis ins Finale geschafft. Das war das Abenteuer meines Lebens. Und in den Schoß gefallen ist mir das nicht. Mit erst fünfundzwanzig Jahren habe ich in meiner Karriere schon mehr Höhen und Tiefen erlebt als eine in die Jahre gekommene Achterbahn.

Ich gehöre nicht zu den Typen, die quasi über Nacht erfolgreich wurden. Es gab Momente, in denen ich glaubte, diese Karriere wäre vorbei, bevor sie richtig angefangen hatte. Ich habe schreckliche Enttäuschungen erlebt. Aber diese Saison war bisher meine absolut beste.

Leider endete sie vor zehn Tagen abrupt, als unsere Verteidigung in der Verlängerung in sich zusammenfiel und einen Spielzug zuließ, den ich nicht parieren konnte. Als der Puck an meinem Ohr vorbeischoss und in der Ecke des Netzes landete, gab mir niemand die Schuld.

Oder nur ein bisschen. Aber ich bin Torwart. Daran gewöhnt man sich.

Und damit war unsere Saison vorbei. Auf einmal hatten wir Sommerferien, aber einen Urlaub hatte ganz sicher niemand geplant. Wer würde das Schicksal herausfordern wollen, indem er vorauszusagen versucht, an welchem Datum im Mai oder Juni wir plötzlich frei haben würden? Ich jedenfalls nicht.

Erst mal flog ich ein paar Tage zu meiner Mom nach Nordkalifornien. Aber jetzt bin ich wieder hier und weiß nicht genau, was ich mit diesen kostbaren Sommerwochen anstellen soll.

Aber da bin ich nicht der Einzige.

Ich sitze in unserem Wohnzimmer auf dem Sofa, eingequetscht zwischen meinem früheren Mitbewohner Leo und meinem jetzigen Mitbewohner Jason. Und Jasons Freundin Heidi – die jetzt auch hier wohnt und auf seinem Schoß sitzt. Wir sind also zu viert auf der Couch.

Wenigstens sitze ich auf der Couch bequem. Unser Teamkollege Drake liegt ausgestreckt auf dem Teppich, und unser Kapitän O’Doul hat sich einen Küchenstuhl geholt.

Wir schauen uns Spiel sechs der dritten Runde an, Dallas gegen Los Angeles. Dallas drückt in diesem Zimmer niemand die Daumen. Nicht nachdem sie uns letztes Jahr im Finale in der Verlängerung besiegt haben. Wir hassen diese Mannschaft. Und wie.

Aber in Bezug auf dieses Spiel habe ich ein gutes Gefühl. In der Serie steht es drei zu zwei für Los Angeles. Und L. A. hat einen Lauf. Dallas steht heute Abend eine Lektion in Sachen Demut bevor. Ich kann es kaum erwarten, dabei zuzusehen.

»Wer hat Lust, Anfang August ein Haus am Wasser zu mieten?«, fragt O’Doul, der auf seinem Handy herumtippt. Er schaut sich die Angebote auf Airbnb an.

»Klingt nach Spaß«, sagt Jason. »Meinst du, du findest noch was, obwohl wir schon Juni haben?«

»Keine Ahnung«, knurrt O’Doul. »In Cape Cod und Fire Island ist schon alles ausgebucht.«

»Was für eine Überraschung«, murmele ich. »Pst, Leute! Power Play. Gaborova könnte es schaffen.«

»L. A. kann heute Abend nicht gewinnen«, sagt Jason. »Die Spieler wirken müde.«

»Unsinn!«, widerspreche ich. »Dallas spielt viel zu ängstlich. Sie haben zweimal hintereinander verloren. Jetzt werden sie versagen.« Ich weiß, wovon ich spreche …

»Du bist aber auch der Einzige, der glaubt, L. A. könne heute Abend gewinnen«, sagt Leo.

»Echt? Die L. A.-Fans sind da sicher anderer Meinung.«

»Wir wollen bloß nicht enttäuscht werden«, sagt Heidi von Jasons Schoß aus. »Das ist so nervenaufreibend. Wenn mir bloß jemand einen Drink bringen würde, dann könnte ich mich vielleicht entspannen.« Sie schaut ihren Freund mit klimpernden Wimpern an.

»Tolle Idee. Und was trinken wir?«, fragt Jason.

»Schnaps«, antwortet seine Freundin. Sie grinsen sich an wie ein Liebespaar auf einer Hochzeitspostkarte. Das ist irgendwie eklig. Andererseits war mein Mitbewohner früher ein muffeliger Brummbär, und jetzt hat er immer gute Laune.

Außerdem ist Heidi ein herzensguter Mensch und eine großartige Köchin. Da sie ein schlechtes Gewissen hat, weil sie in eine ehemalige Junggesellenbude eingezogen ist, kocht sie immer genug für drei. Heute Abend hat sie mir gebratenen Lachs auf Kartoffelpüree mit Knoblauchspinat als Beilage kredenzt.

Also komme ich schon irgendwie damit klar.

»Was steht denn in deiner Hausbar?«, fragte Leo von der anderen Seite.

»Du könntest nachsehen«, schlage ich vor. »Du glaubst doch wohl nicht, dass ich dir beim Power-Play einen Drink hole.«

»L. A. wird es nicht nutzen können«, argumentiert Leo. »Seit sie ihre dritte Reihe ausgewechselt haben, haben sie im Power-Play kein Tor mehr gemacht.«

Noch während er spricht, macht L. A. einen schlechten Pass. Er landet bei Dallas, und ich stöhne auf.

»Nenn mal ein paar Orte in den Hamptons, Leo«, sagt O’Doul.

Ich bin total gefesselt von diesem Spiel, und unser Captain versucht, ein Strandhaus zu mieten?

»Southampton, East Hampton, Westhampton«, leiert Leo herunter.

»Schlauberger!«, kommt die Antwort. »Da habe ich schon gesucht.«

»Vergiss Bridgerhampton nicht«, sagt Heidi. »Sagaponack. Montauk. Und Quogue.«

»Quogue?«, knurrt O’Doul. »Ich weiß nicht, ob ich in einem Ort mit diesem Namen Urlaub machen will. Klingt wie ein Werkzeug für Klempner. Quogue – und verstopfte Rohre sind vergessen.«

»Guckt denn gar keiner das …« Ich keuche auf, als die Katastrophe über mich hereinbricht. Ein Verteidiger von Dallas passt blind zum Flügelstürmer. Das hätte niemals funktionieren dürfen. Aber während ich gebannt auf den Bildschirm blicke, schießt der Flügelmann und tunnelt L. A.s Torwart.

Dallas punktet in der siebten Spielminute.

»Siehst du?«, fragt Leo ruhig. »L. A. wird Dallas heute Abend nicht rauswerfen.«

»Doch, das werden sie!«, widerspreche ich, denn jetzt bin ich in Stimmung. »Das wird sie wachrütteln. Wart’s nur ab.«

»Mit Bier wäre das Warten besser«, stichelt Leo. »Ich mein ja nur.«

»Gut.« Total angespannt stehe ich auf. »Ich schaue im Kühlschrank nach.« Ich will sowieso nicht dabei zusehen, wie die Dallas-Fans feiern.

»Da sind drei Sixpacks drin«, sagt Heidi, als ich vom Sofa aufstehe. »Ein Brooklyn Lager und zwei Ales von … Wow! Silas!«

Bei Heidis Aufschrei drehen sich alle um und schauen auf den Bildschirm. Die Kamera schwenkt über die besten Plätze im Stadion, und der Kommentator verweist auf den Teameigner und verschiedene Prominente im Publikum.

Und – heilige Scheiße – da ist es, das prominente Gesicht aus meinen Träumen. Delilah Spark, die gefeiertste neue Singer-Songwriterin der Welt, sitzt bei dem verdammten Dallas-Spiel in der zweiten Reihe. Und während ich ihr wunderschönes Gesicht betrachte, sagte der Kommentator genau das, was ich denke. »Das ist unglaublich! Wer hätte gedacht, dass die Singer-Songwriterin Delilah Spark Eishockeyfan ist?«

»Meine Fresse!«, schreit Jason. »Alter!«

»Das ist deine Chance!«, lacht O’Doul.

Heidi quietscht vor Aufregung. »Jetzt habt ihr etwas gemeinsam! Etwas anderes als, du weißt schon, sie aus der Ferne anzuhimmeln und Tag und Nacht ihre Musik zu hören.«

Aber ich höre nicht zu. Ich schaue immer noch gebannt auf den Bildschirm.

»Delilah Spark hat es letzten Monat in die Klatschspalten geschafft, als sie sich von ihrem Freund, dem Musikproduzenten Brett Ferris, getrennt hat«, dröhnt der Kommentator.

Meine Freunde heulen auf. »Sie ist Single, Mann!«, schreit Leo. »Na, mach schon!«, fügt ein anderer hinzu.

»Sehr witzig«, knurre ich. Außerdem habe ich die Schlagzeilen über ihre Trennung schon gelesen. Aber im Moment ist das ganz weit hinten in meinem Kopf. Weil mir etwas Schreckliches aufgefallen ist. »Sie trägt ein …« Kann das denn wahr sein? »Ein Dallas-Trikot.«

Tumult bricht aus. Drake heult, und O’Doul wirft eine Papierserviette nach dem Bildschirm. »Ohhhh!«, jammert Heidi. »Was für eine Wendung!«

»Das ist hart, Mann«, sagt Jason und schüttelt den Kopf. »Wie tragisch. Und du glaubtest, sie zu kennen.« Er lacht, weil er es ironisch meint.

Wenn es nur so wäre.

Ich trotte in die Küche. Mit einem Mal bin ich richtig schlecht gelaunt. Ich bin daran gewöhnt, wegen meiner Schwärmerei für Delilah Spark jede Menge Spott einzustecken, auch wenn mein Interesse an ihr nicht ganz so erbärmlich ist, wie die anderen glauben.

Trotzdem kenne ich sie natürlich nicht richtig. Aber Dallas? Es fühlt sich an, als hätte sie mir ein Messer ins Herz gerammt. Und es ist total unlogisch. Delilah kommt aus Kalifornien.

Ich schnappe mir mein Handy und öffne Twitter. Ich folge genau siebenundsechzig Leuten – Teamkameraden, Hockeyfreunden, Sportkommentatoren und Delilah Spark.

Natürlich hat sie über das Spiel getwittert. Mein erstes Eishockeyspiel! Kann mir jemand die Regeln erklären?

Ihr Tweet hat schon 834 Likes und Dutzende von Antworten. Achte nicht auf den Puck, sondern auf die Spieler! Und: Wenn die rote Lampe leuchtet, war das ein Tor – mehr musst du nicht wissen. Und: Eishockeyspieler sind heiß! Und so weiter.

Ich twittere eine Antwort, auch wenn ich bezweifle, dass sie sie lesen wird. Ich bin großer Fan von dir, aber warum unterstützt du ausgerechnet Dallas? Lassen sie dich danach überhaupt wieder nach Kalifornien?

Ich stopfte mein Handy wieder in die Tasche und fühle mich kein bisschen besser. Warum konnte ihr erstes Eishockeyspiel nicht eins von mir sein?

Ich öffne den Kühlschrank. Heidi hat Biernachschub besorgt, genau wie sie gesagt hat. Ich nehme die drei Sixpacks heraus, schnappe mir einen Öffner und schleppe alles zurück ins Wohnzimmer. »Wehe, jemand hat sich auf meinen Platz gesetzt«, knurre ich.

»Würde mir nicht im Traum einfallen«, sagt Drake vom Boden aus.

Als ich das Bier auf dem Couchtisch abstelle, klopft es an der Tür. »Machst du mal bitte auf, Rookie?«

»Wann hört dieser Rookie-Mist endlich auf?«, fragt Drake, steht aber trotzdem auf.

Castro schnaubt. »Wenn jemand anders auftaucht, den wir Rookie nennen können. Siehst du hier so jemanden?«

»Nein.« Drake öffnet die Tür, und davor steht Georgia, Leos Frau. Sie schleift einen Sitzsack hinter sich her. Und Bayer, der vor Kurzem seine Karriere beendet hat.

Ein Chor glücklicher Stimmen ertönt, weil wir ihn nur noch so selten zu Gesicht bekommen. »Er lebt!«, ruft jemand. »Erzähl uns alles.«

»Würde ich ja, aber es läuft ein Spiel.« Er lehnt den Sitzsack für Georgia an die Wand. »Bestellen wir Pizza?«

»Machen wir«, sagt Heidi. »Wer hat ein Handy?«

Ich entsperre meins und gebe es ihr. Dann mache ich mir ein Bier auf. L. A. wirkt auf dem Bildschirm jetzt lebendiger. »Siehst du? Sie fangen an zu kämpfen. Manchmal entzündet ein Rückstand das Feuer.«

»Oder wenn man ein ganzesSpiel im Rückstand ist«, wendet Jason ein. »Wir sollten wetten. Wer glaubt wie Silas, dass L. A. das Ding gewinnt?«

Meine Teamkollegen unterhalten sich weiter, und ich versuche, mich auf das Spiel zu konzentrieren. Aber jetzt, da ich weiß, dass Delilah Spark gleich links neben der Bank von Dallas sitzt, kann ich nicht aufhören, nach ihr zu suchen. Und jedes Mal, wenn sie den Trainer in der Totale zeigen, der hinter seinen Spielern Kaugummi kaut, erhasche ich einen flüchtigen Blick. Dunkle, glänzende Haare und ein Lächeln voller Geheimnisse.

Und das grüne Trikot. Das ist der Teil, den ich am liebsten nie gesehen hätte.

»Jeder von uns schuldet Silas fünfzehn Dollar«, sagt Heidi, die auf meinem Handy herumtippt. »Wenn ihr es nicht passend habt, gebt ihm zwanzig.«

»Hast du auch eine Pizza mit …«, setzt Drake an.

»Ja«, unterbricht ihn Heidi. »Glaubst du wirklich, ich wüsste nicht mittlerweile, was ihr mögt?«

»Sorry«, erwidert Drake vom Boden aus, denn dumm ist er nicht.

Heidi ist eine der Assistentinnen des Geschäftsführers. Unterschätzen sollte man sie nicht. »Silas«, sagt sie, »dein Twitter-Account explodiert. Hier.« Sie gibt mir mein Handy zurück.

»Ach ja?«, frage ich langsam und nehme das Telefon. Vierundvierzig neue Benachrichtigungen. Hm. Das kann nur eins bedeuten. »Delilah Spark hat auf meinen Tweet geantwortet.«

»Was?«, quietscht Heidi. »Zeig her!« Sie schnappt sich mein Handy, bevor ich die Nachricht lesen kann. »Ohmeingott! Hör zu: Kann ich nicht Fan von beiden Teams sein? Ein Radiosender aus Dallas hat mich zu meinem ersten Spiel eingeladen.«

»Moment, hast du dein Idol fertiggemacht, weil sie ein Dallas-Trikot trägt?«, fragt Jason, und die anderen fangen an zu lachen.

»Ich konnte nicht anders«, verteidige ich mich.

Meine Teamkollegen finden das zum Totlachen. Sie lachen so sehr, dass Drake das Bier aus der Nase schießt.

»Lass mich mal gucken!«, sagt Jason, und dann wird mein Handy herumgereicht, als wären wir alle wieder in der siebten Klasse und ein süßes Mädchen hätte mir einen Zettel zugesteckt.

»Du musst auf jeden Fall antworten«, meint Leo.

»Sie sollte für die Hälfte des Spiels ein L. A.-Trikot tragen«, sagt Georgia, »damit sie die Fans in ihrer Heimatstadt nicht verärgert.«

»Ahhh«, sagen alle, denn das ist ein gutes Argument. Georgia ist Pressesprecherin, weshalb sie regelmäßig über so etwas nachdenken muss.

»Kennen wir irgendjemanden, der dort ist?«, fragt Leo.

»Tja, wir kennen nur die Jungs auf dem Eis«, sagt O’Doul, und ich schnaube. »Wir können wohl kaum Gaborova bitten, dem Mädchen sein Trikot zu geben.«

»Abgesehen von den Jungs«, entgegnet Leo.

Georgia stöhnt auf, greift aber nach ihrer Handtasche. »Ihr wollt nicht wirklich, dass ich jetzt arbeite, oder?«

»Bitte?«, flehe ich. »Du kennst doch bestimmt jemanden aus der PR-Abteilung des Teams.«

»Wir brauchen ein L. A.-Trikot, richtig?«, fragt sie und tippt auf ihr Handy ein. »In einer Geschenktüte. Und jemanden, der es ihr bringt?«

»Und eine Nachricht«, sage ich.

»Oh!«, quietscht Heidi und boxt mir auf den Arm. »Was soll denn drin stehen?«

Tja, gute Frage. »Schreib … Dieses Trikot erfüllt zwei Zwecke. Erstens verdirbst du es dir nicht mit der Mannschaft deiner Heimatstadt. Und zweitens stehst du damit auf der richtigen Seite, wenn L.A. diese Serie im dritten Drittel gewinnt.«

»Sie werden heute Abend nicht gewinnen«, widerspricht O’Doul.

»Wart’s nur ab«, blaffe ich.

Aber das Warten fällt mir schwer. Weil ich so nervös bin, esse ich viel zu viel Pizza. L. A. kämpft um den Sieg, aber nach der Hälfte des mittleren Drittels liegen sie immer noch null zu zwei zurück. »Kommt schon, kommt schon«, feuere ich sie beim nächsten Puckbesitz an. »Ihr könnt es schaffen. Dallas wird zu selbstgefällig.«

»Aus gutem Grund«, flüstert Jason.

»Halt die Klappe.«

Die Anspannung wegen des Spiels wird durch Delilah Sparks häufiges Erscheinen auf unserem Bildschirm auch nicht besser. Die Kamera liebt Delilah fast so sehr wie ich. Obwohl sie immer noch dieses grässliche Trikot anhat. Ich bemühe mich, es nicht als Unglücksbringer zu sehen.

Doch dann nimmt sich L. A. ein Time-out, und während sie ihre sechzig Sekunden des Zusammenseins genießen, schwenkt die Kamera wieder zurück auf Delilah. Und – heilige Scheiße – jemand mit einer L. A.-Jacke versucht, ihr eine Tüte zu geben. Nach kurzen Verhandlungen mit einem stämmigen Bodyguard landet sie in ihren Händen.

»Geschafft!«, ruft Georgia. Sie steht auf und stößt mit der Faust in die Luft.

»Du bist einfach die Tollste!«, sagt Leo, und die beiden klatschen sich ab. Er versperrt mir kurz die Sicht, und als ich wieder sehen kann, zieht Delilah ein schwarzes Kleidungsstück aus der Tüte.

»Was ist das?«, fragt ein Kommentator. »Delilah Spark bekommt bei ihrem ersten Eishockeyspiel ein Geschenk. Es ist …« Delilah enthüllt das L. A.-Logo auf dem Trikot.

Die Mannschaft in unserem Wohnzimmer rastet aus.

»Das ist der Hammer«, sagt Jason neben mir. »Selbst wenn Dallas gewinnt …«

»Halt die Klappe, verdammt.«

»Wo ist denn die Nachricht?«, fragt Heidi. »Hat sie sie nicht gesehen?«

Wir finden es nicht heraus, denn die Kamera schwenkt zurück, um den Anstoß zu zeigen.

Mist.

»Du musst ihr noch mal twittern«, sagte Heidi. »Sie muss wissen, dass es von dir ist.«

»Nein, muss sie nicht.« Es spielt sowieso keine Rolle.

»Aber was, wenn die Nachricht auf den Boden gefallen ist?«, bohrt Heidi nach, und zwischen ihren Augenbrauen bildet sich eine Sorgenfalte.

»Dann ist sie auf den Boden gefallen«, sage ich. Es gibt schlimmere Schicksalsschläge. Ich spreche aus Erfahrung.

»Gib mir dein Handy«, sagt Heidi.

»Auf keinen Fall.«

»Ich will bloß sehen, ob sie antwortet.«

»Wenn du sterben willst, dann twittere etwas«, drohe ich und gebe es ihr.

»Power-Play!«, ruft Drake laut, und meine Aufmerksamkeit richtet sich wieder auf das Spiel.

»Das wird L. A. nichts nützen«, brummt Leo.

Doch das tut es! Nach siebenundzwanzig Sekunden im Power-Play kassiert Dallas ein Tor. Und dann verlieren sie auch noch die Nerven, bringen vor den Augen des Schiedsrichters einen Spieler von L. A. zu Fall und kassieren eine weitere Strafe.

Im Wohnzimmer wird es still. Alle Augen sind auf den Fernseher gerichtet. Vierzig Sekunden später trifft Gaborova erneut und gleicht aus.

Der slowakische Spieler reckt die Faust in die Höhe, und mein Wohnzimmer platzt fast vor Aufregung.

»Ich hab doch gesagt, sie können es schaffen!«, ruft Leo und kassiert einen Schlag von mir. »Au. War doch nur Spaß.«

»Jungs!«, ruft Georgia. »Schaut mal.«

Die Kamera schwenkt herum, und da ist wieder mein Mädchen. Sie hat jetzt ein schwarzes Trikot an und lacht. Sie nimmt ihr Handy von der Frau neben ihr und tippt etwas auf dem Bildschirm.

»Das ist ihr Tweet!«, sagt Heidi kurz darauf. »Ich hab wohl Zauberkräfte, lautet er. Wer hätte das gedacht? Bestimmt flehen sie jetzt Tausende von Dallas-Fans an, wieder das andere Trikot anzuziehen.«

»Das darf sie nicht!«, schreit O’Doul den Fernseher an. »Wo es doch gerade interessant wird.«

Heidi stupst mich mit dem Ellenbogen an. »Guck mal, Silas. Sie hat sich bei dir bedankt.«

Ich greife so schnell nach dem Handy, dass sie lacht.

@SilasKellyGoalie Danke für das Trikot. Es scheint zu funktionieren.

Schnell tippe ich zurück. @DelilahSpark Das musste sein. Wenn du es bis zum Ende des Spiels anlassen könntest, würde ich das sehr zu schätzen wissen.

»Oh, mein Herz!«, seufzt Heidi. »Silas flirtet auf Twitter mit einem Popstar.«

»L. A. gewinnt wahrscheinlich trotzdem nicht«, sagt O’Doul, nur um mich zu ärgern. »Sie haben die Reihen verändert, um Myerson zu schonen. Seine Sehne wird nicht durch Zauberei heilen, bevor der Buzzer ertönt.«

Leider hat er recht.

Die nächsten vierzig Minuten sind heftig. Fünf Minuten vor Schluss – es steht immer noch unentschieden – bin ich so angespannt und erschöpft, als hätte ich selbst gespielt.

Ich weiß nicht viel über Eishockey, twittert Delilah Spark während eines Time-outs von Dallas. Aber fünf Minuten sind nicht viel, oder? Was passiert, wenn sie unentschieden spielen?

»Die Arme kennt die Regeln nicht«, sagt Heidi. »Sie braucht private Eishockey-Nachhilfe von dir, Silas.«

»Genau«, meint Jason mit einem fiesen Grinsen. »Genau das wünscht sich Silas schon ewig. Ihr Privatunterricht im Eishockey zu geben.« Er nimmt seiner Freundin das Telefon aus der Hand.

Und genau da mache ich einen Riesenfehler. Ich gucke beim Anstoß zu, anstatt auf Jason zu achten. Erst als sich das Spiel über das Eis auf eine Ecke zubewegt, bemerke ich, dass er auf meinem Display herumtippt.

»Hey!« Ich will es ihm abnehmen, aber er hält es außer Reichweite. »Was machst du da?«

»Ich helfe dir«, sagt Jason und zieht eine Augenbraue hoch. »Als Nächstes solltest du sagen: Lass uns wetten, Delilah. Wenn L.A. in den nächsten fünf Minuten ein Tor schießt, gehst du mit mir aus.«

»Nein«, erwidere ich ruhig und schätze die Distanz zwischen mir und meinem Handy ab. Das einzige Problem ist, dass Heidi im Weg ist. Ich muss es zurückbekommen, ohne sie bei dem Kampf zu treffen.

»Das ist eine großartige Idee«, sagt Jason und grinst teuflisch. »Du wirst dich noch bei mir bedanken.«

»Genau, Kumpel!«, stimmt Leo zu. »Stimmen wir ab: Wer ist dafür, dass Silas Delilah einlädt?«

Alle im ganzen verdammten Zimmer heben die Hand.

»Sehr witzig«, sage ich durch zusammengebissene Zähne. Ich wende den Blick ab, aber das ist nur eine Täuschung. Ich springe auf und drehe mich dabei zu Jason.

Es hätte funktionieren sollen, aber wenn man sich mit Profisportlern anlegt, kann alles passieren. In Bezug auf Kraft und Reflexe sind Jason und ich einander ebenbürtig. Meine Hand schnellt zum Telefon, aber er kommt mir zuvor, und seine Finger schließen sich um das Display.

Sie treffen genau auf den Senden-Button.

»Hast du gerade auf Senden gedrückt?«, frage ich.

»Ich … äh … mal sehen.« Jason schaut auf das Telefon in seiner Hand und lacht nervös auf. »Ich will gar nicht nachsehen.«

»Oh je«, flüstert Heidi.

Ich stürze mich auf das Handy.

2

Silas

Drei Jahre zuvor

Es ist vier Uhr nachmittags, und an der Theke sitzt noch niemand. Die Tische draußen sind den ganzen Tag und die ganze Nacht bis auf den letzten Platz besetzt, und in neunzig Minuten beginnt im Restaurantbereich der Andrang für das Abendessen.

Aber da es Sommer ist, wird der schwach beleuchtete Barbereich noch eine Weile menschenleer bleiben. Ich nutze die Ruhe und schneide Zitronen- und Limettenscheiben, bevor der Happy-Hour-Ansturm einsetzt. Stocke Bier- und Weinvorräte auf.

Ach ja, und mache mir wegen der jüngsten katastrophalen Ereignisse in Ontario Vorwürfe.

Als ich noch auf dem College war, hat Toronto mich in der zweiten Draft-Pick-Runde ausgewählt. Spieler, die in der ersten Runde ausgewählt werden, finden immer einen Platz, auch wenn es nur in der Mannschaft der Minor League ist. Im Mai habe ich meinen Abschluss gemacht. Das heißt, vor vier Wochen habe ich meinen Traum gelebt und habe mit den Profis von Toronto trainiert.

Meine Agentin sagte, bald würde der Vertrag vorliegen. Ich war auf Erfolgskurs und bereit, die Liga zu erobern.

Oder auch nicht, wie sich herausstellte. Der Druck machte mir zu schaffen, und in Ontario versagte ich.

Es kam kein Vertrag. Auf Torontos neuer Torwartliste war mein Name nicht zu finden – weder für die NHL noch für die Mannschaft in der Minor League. Und sie entließen mich ohne Vertrag.

Jetzt stehe ich wieder bei Roadie Joe’sBar and Grill hinter der Theke, schneide Limetten und stecke sie in Flaschen mit mexikanischem Bier.

Die Tatsache, dass mir Mr Dirello einen Sommerjob gegeben hat, ist ein Segen. Allerdings war es keine reine Wohltätigkeit seinerseits. Darlington Beach ist eine angesagte Stadt und im August und September Gastgeber eines sechswöchigen Musikfestivals. Für das Roadie Joe’s ist es die geschäftigste Zeit des Jahres.

Es ist zwar nicht das Ritz, aber wenigstens habe ich einen Job. Und ich kann (wie ein Loser) bei meiner Mutter wohnen.

Während ich in meinem Selbstmitleid bade, bemerke ich, dass vor mir auf dem Barhocker jemand sitzt. Ich schaue hoch, und mein Blick fällt auf die fesselndste junge Frau, die ich je gesehen habe.

Ihre dunkelbraunen Augen sind fast zu groß für ihr Gesicht. Sie sind rund, mit langen Wimpern und erinnern mich an ein Reh. Sie müssten unschuldig wirken. Allerdings verleihen ihr die gewölbten Augenbrauen einen misstrauischen Ausdruck.

Und in diesem Blick liegt etwas, das mir den Atem raubt. »Hi«, keuche ich.

»Hi«, antwortet sie. Und auch ihre Stimme überrascht mich. Ihr Klang ist so unerwartet, dass ich mit dem Messer von der Limette abrutsche und mir in den Daumen schneide.

»Scheiße«, zische ich. »Tut mir leid. Was hättest du gern?«

Es vergehen ein paar Sekunden, während sie herauszufinden versucht, ob ich zurechnungsfähig bin. »Hat die Bar schon auf?« Ihre Stimme hat mehr Tiefe, als es eine Person dieser Größe vermuten ließe. Und sie ist so rau, dass ihr Tonfall mich fast genauso fesselt wie ihr Gesicht. »Falls nicht, sag es mir. Bitte.« Sie tippt auf eine große Uhr an ihrem schmalen Handgelenk. »Ich hab nicht viel Zeit.«

»Tut mir leid. Ja. Tut mir leid«, stammele ich. Und dann schaue ich nach unten und sehe, dass Blut aus meinem Daumen auf das Schneidebrett tropft.

»Autsch«, sagt sie, und ihre Stimme wird weicher. »Kümmere dich lieber zuerst darum.«

Die kleinen Demütigungen in meinem Leben nehmen einfach kein Ende. »Du solltest wohl besser keine Margarita bestellen.« Ich werfe die Limettenscheiben auf dem Schneidebrett in den Müll und lege Brett und Messer in das Spülbecken. Dann lasse ich mir Wasser über den Daumen laufen, um die Blutung zu stoppen.

»Ich wollte sowieso nur ein Bier«, sagt sie. »Am liebsten ein eiskaltes Lager. Und es darf mit Steuern und Trinkgeld nicht mehr als acht Dollar kosten, denn mehr habe ich nicht.«

»Damit kann ich arbeiten.« Mit der heilen Hand ziehe ich eine Flasche Trapp Vienna von ganz unten aus dem Eis im Kühler und stelle sie auf die Bar.

»Kein Glas«, sagt sie, als ich nach einem greife. »Ich trinke aus der Flasche.«

»Klar.« Wie wahnsinnig eloquent von mir. Ich mache einen Schritt auf sie zu, um die Flasche zu öffnen, aber sie bremst mich mit erhobener Hand.

»Tut mir leid. Ich weiß, dass das komisch ist, aber ich muss sie selbst aufmachen.« Sie hält ihren Schlüsselbund hoch. Ein Flaschenöffner hängt daran.

»Okay«, sage ich langsam. Ich kann nicht aufhören, sie anzusehen. Sie hat dunkle gewellte Haare und feine Gesichtszüge. Ihre Haltung hingegen ist alles andere als fein.

»Das ist nur eine merkwürdige Angewohnheit.« Sie fordert mich mit ihrem Blick heraus, ihr zu widersprechen.

»Na dann, bitte.« Ich gebe ihr die Flasche, und sie lässt den Kronkorken ploppen.

»Danke«, sagt sie. »Wie geht’s deinem Daumen?«

»Super«, lüge ich. Aber ich will nicht darüber sprechen, wie sehr sie mich auch jetzt noch verwirrt.

Sie stützt sich mit dem Ellenbogen auf die Theke und mustert das Lokal, angefangen bei den bodentiefen Fenstern, dann die Zapfhähne und das Spirituosenregal.

Und dann mich. Als diese großen Augen mich von Kopf bis Fuß mustern, bin ich wie elektrisiert.

»Danke«, sie wirft einen Blick auf mein Namensschild, »Ryan.«

»Gern geschehen.« Schnell bedecke ich das Schild mit der Hand, dann wird mir bewusst, was ich da tue. Also lasse ich sie wieder sinken.

Kurz frage ich mich, ob ich ihr verraten soll, dass ich gar nicht Ryan heiße. Das Schild ist ein Scherz. Ich war mit dem Sohn des Besitzers – Danny Dirello – auf der Highschool. Und er verpasste mir im ersten Jahr den Spitznamen Ryan, als ich nach einer Bierparty auf den Parkplatz reiherte.

Aber dem tollsten Mädchen, das man je getroffen hat, erzählt man nicht mal eben, dass einen das Namensschild immer daran erinnert, dass man vor all seinen Freunden kotzen musste.

Außerdem hat sie ihr Getränk bekommen, womit meine Arbeit hier erledigt ist. Ich muss mir eine andere Beschäftigung für meine Hände und wohl auch für mein Hirn suchen. Sonst muss ich sie die ganze Zeit anstarren, weil sie so schön ist.

Allerdings fällt es mir nicht leicht, den Blick abzuwenden. Selbst als ich ein Pflaster suche und es auf die Wunde an meinem Daumen klebe, werfe ich ihr immer wieder heimliche Blicke zu. Sie ist schlaksig, hat lange Arme und einen glatten Hals, den ich mustere, als sie ihr Bier anhebt und einen Schluck trinkt. Doch die dunklen welligen Haare mildern ihre scharfen Züge.

Sie trägt ein schlichtes schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift Eine ziemlich große Nummer. Das bringt mich zum Lächeln.

»Was?«, fragt sie, stellt das Bier ab und beweist damit, dass ich meine Fähigkeit, subtil zu sein, völlig verloren habe.

»Nichts. Ich hab mich nur über dein Shirt amüsiert.«

Sie blickt nach unten und runzelt die Stirn, als hätte sie es noch nie gesehen. »In dieser Stadt muss man über sich selbst lachen können, oder?« Sie schaut wieder auf und fixiert mich mit einem Blick, bei dem mir der Atem stockt. »Alle nehmen sich so ernst. Ich dachte, die Nordkalifornier wären so entspannt.«

»Oh, das sind wir auch«, behaupte ich. »Ich gehe surfen, wann immer ich einen freien Tag habe. Man kann nicht surfen und verklemmt sein. Dann wird man sofort aus der Stadt gejagt.« Ich höre mich selbst plappern, und es ist mir egal. Solange sie mich nur weiter anschaut. »Es sei denn, du bist mit den Leuten vom Musikfestival hier. Durch sie herrscht im Sommer eine völlig andere Atmosphäre.«

»Dann bin ich also mit den falschen Leuten hier?«

»Ähm …«

Sie trinkt noch einen Schluck Bier, und ich beobachte hilflos, wie sich ihr eleganter Hals dabei bewegt. »Vielleicht. Es gibt nicht viele Musikmanager auf Surfboards. Ich mein ja nur.«

Sie lächelt mich frech an. »Da könnte ja die Rolex nass werden.«

»Die meisten sind wasserdicht«, sage ich dummerweise.

»Was sonst.« Sie verdreht die Augen. »Nun, Ryan, du warst sehr erhellend. Dazu passt, dass ich jeden Tag für diese Leute für einen Hungerlohn arbeite.«

Ich schnappe mir einen Lappen und wische die Theke ab, die eigentlich nicht gewischt werden muss. »Was machst du auf dem Festival?«

»Na ja …« Sie lacht leise. »Ich spiele, wann immer sie mich lassen. Bei einigen sehr exklusiven Abendessen bin ich für die Hintergrundmusik zuständig und spiele ansonsten zu ungünstigen Zeiten auf der Hauptbühne.«

»Ach, krass.« Sie ist Musikerin. Das hätte ich nicht erwartet, wahrscheinlich, weil sie so jung aussieht. Anfang zwanzig, denke ich. »Das hört sich trotzdem lustig an.«

»Oh, ist es auch. Ich würde jede Sekunde genießen. Aber der Sinn all dieser kleinen Auftritte ist, wichtige Leute auf mich aufmerksam zu machen. Das ist also anstrengend. Und mein Manager will Tag und Nacht über das Geschäft reden.« Sie verdreht die Augen. »Ich brauche mal ’ne Pause. Und vielleicht mal einen freien Tag.«

»Tja …« Ich will ihr meine Hilfe anbieten, komme aber nicht dazu.

»Ryan!«, ruft mein Freund Danny aus der Küche. »Wir brauchen Wein für den Coq au Vin!«

Ernsthaft? Kann er nicht einfach herkommen und ihn sich selbst holen? »Oui, Monsieur!«, rufe ich zurück. »Braucht der Herr sonst noch etwas? Vielleicht ein eisgekühltes Getränk? Oder eine Fußmassage?«

In der Durchreiche zwischen Küche und Bar erscheint eine Hand. Sie zeigt mir den Mittelfinger.

Das schönste Mädchen der Welt lacht.

»Bin gleich wieder da«, sage ich. Als würde sie das interessieren. Dann schnappe ich mir eine Flasche Pinot Noir und verschwinde durch die Tür, die in die Küche führt.

Danny rührt mit einem Holzlöffel, der so lang ist wie ein Baseballschläger, in einem riesigen Topf. Er hat Hotel- und Restaurantmanagement studiert und hat jetzt im Laden seines Vaters angefangen. »Hast wohl Spaß da draußen?«, fragt er mich grinsend.

Ich senke die Stimme zu einem Flüstern. »Du bist ein Riesenarsch.«

»Vielleicht.« Er kichert. »Aber ich brauche den Wein trotzdem. Mach sie auf und lass es krachen.«

Noch bevor er den Satz beendet hat, habe ich den Korkenzieher aus meiner Tasche geholt. Je schneller ich das hier erledige, desto schneller bin ich wieder bei ihr.

»Date heute Abend?«, fragt er, während ich die Flasche entkorke.

»Wir werden sehen«, murmele ich.

Danny grinst. Er schnappt sich die Flasche und schüttet sie kurzerhand in den Topf. »Dann halt dich besser ran«, sagt er. »Ich drück dir die Daumen.«

»Ja, darauf wette ich.«

Doch jetzt kommt eine neue Stimme durch die Durchreiche. Eine laute.

»Sag mir nicht, dass denen in Deutschland das Cover nicht gefällt! Es ist ein verdammt gutes Cover, und ich habe sogar ihren Fotografen genommen. Die können mich mal. Das Cover ist in den Umfragen gut angekommen, und für diesen Künstler nehmen wir sowieso nie Frauen über vierunddreißig.«

Danny und ich drehen uns gleichzeitig um und beugen uns gerade weit genug vor, um durch die Durchreiche schauen zu können. »Scheiße«, flüstert er.

Wir sehen einen blonden Schnöseltypen mit Sonnenbrille und gebügeltem Hemd, Bluetooth-Kopfhörer im Ohr, der in voller Lautstärke telefoniert wie ein echter Arsch. Jeder, der einen Blick auf ihn wirft, würde sofort erraten, dass er ein Riesenarsch ist.

Aber ich muss gar nicht raten. Denn ich kenne diesen Riesenarsch. Ohne zu übertreiben, ist er derjenige, den ich am allerwenigsten mag. Wenn man bedenkt, dass mein gewalttätiger Vater eine Haftstrafe absitzt, will das schon was heißen.

Brett Fucking Ferris. Ich sehe ihn zum ersten Mal, seit ich wieder in Darlington Beach bin. Seiner Familie gehört praktisch die Stadt. Und seine Mutter organisiert das Musikfestival. Ich stehe hinter der Theke eines der meistbesuchten Restaurants der Stadt.

Es war nur eine Frage der Zeit, dass ich ihm irgendwann begegne. Aber dadurch wird es nicht besser.

»Ganz ruhig«, flüstert Danny. »Soll ich seine Bestellung aufnehmen?«

»Nein«, knurre ich. »Glaubst du echt, dass ich mich nicht im Griff habe, wenn der Wichser hierherkommt? Als hätte ich meine Lektion noch nicht gelernt?«

»Das habe ich nicht gesagt«, erwidert mein ältester Freund. »Aber er wird es dir nicht leicht machen.«

Wahrscheinlich hat er recht. Aber es hat keinen Sinn, auch nur eine Minute meines Tagesablaufs für diesen Wichser zu ändern. Und wenigstens muss ich seine Fresse nicht mehr jeden Tag sehen, so wie damals, als wir dieselbe Privatschule besuchten.

Ich hatte dort ein Tennisstipendium, obwohl eigentlich Eishockey mein Lieblingssport war. Aber wir sind hier in Kalifornien, und die Privatschulen bezahlen dir das Schulgeld, um andere Privatschulen im Tennis zu schlagen, nicht im Eishockey.

Deshalb war ich sowohl Kapitän des Tennisteams als auch Torwart für die beste Amateur-Eishockeymannschaft in Nordkalifornien. Denn fliegende Objekte abzufangen ist meine Stärke, egal ob in weißen Turnschuhen oder schwarzen Schlittschuhen.

Brett Ferris hat auch Tennis in der Schulmannschaft gespielt. Er hielt sich für einen Star, also hat er mich vom ersten Augenblick an gehasst, als ich mit meinem Stipendium durch die Tür kam. Aber darüber machte ich mir keine Sorgen.

Hätte ich das mal besser gemacht.

Im Lagerraum schnappe ich mir die Kiste Dos Equis, die ich nachfüllen muss, und gehe in die Bar zurück. Ferris blickt nicht einmal auf. Nicht, dass mich das überrascht.

Was mich mehr überrascht, ist die Art, wie er das hübsche Geschöpf, das Bier auf dem Barhocker trinkt, anschnauzt. »Ich habe dich überall gesucht. Gehen wir.«

Und schon kocht mein Blut. Ich glaube, ich höre Danny von der Küche aus stöhnen.

Aber mein Mädchen hebt bloß die Flasche und nimmt gemächlich einen Schluck Bier, als hätte er nichts gesagt.

Nicht viele ignorieren Brett Ferris, also lache ich.

Das ist der Augenblick, in dem er mich bemerkt, sein Gesichtsausdruck zu Abscheu wechselt und sich seine Augen verengen. Er telefoniert immer noch. »Hast du etwas von den Aussies gehört?«, fragt er die arme Seele am anderen Ende der Leitung. »Dann weck sie halt auf! Ich brauche diese Zahlen bis Freitag. Muss los.« Er tippt auf das Display und wendet sich zu ihr. »Los geht’s.«

Sie lässt sich von seiner Unhöflichkeit kein bisschen irritieren. »Ich brauche noch eine Minute«, sagt sie. Dann winkt sie Richtung Tür, als wolle sie ihn nach draußen scheuchen.

Aber er rührt sich nicht und starrt stattdessen auf ihr T-Shirt. »Das willst du heute Abend tragen?«

In ihren riesigen Augen blitzt Wut auf. »Es ist witzig! Meine Güte.« Sie schüttelt den Kopf. »Ich komme nach. Ryan muss sich deine Telefonate nicht anhören.«

»Ryan, der Barkeeper.« Brett grinst mich an. »Was für eine Karriere.«

»Es ist ehrliche Arbeit«, sage ich. Man beachte die Betonung. Aber weiter lasse ich mich nicht auf ihn ein, auch wenn er bereits meine ganze gute Laune ruiniert hat. Nicht, dass das heutzutage besonders schwierig wäre.

»Ihr kennt euch?«, fragt sie.

Bretts Antwort bleibt mir erspart, denn sein Telefon klingelt erneut. Es zerreißt mir fast das Trommelfell. Ich wusste gar nicht, dass man den Klingelton so laut stellen kann.

Sie zuckt zusammen und deutet dann auf die Tür. »Raus damit. Lass mich in Ruhe austrinken.«

»Beeil dich«, sagt er. Als er sich umdreht, fällt mir auf, dass er die größte, glänzendste Rolex überhaupt trägt. Was auch sonst.

Kein Wunder, dass dieses Mädchen einen harten Sommer hat, wenn sie ihn mit diesem Trottel verbringen muss. Sein Telefon klingelt weiter, aber er geht gnädigerweise ran. Wir hören nur noch sein Bellen, während er Richtung Tür geht.

»Highschool«, sage ich, um ihren fragenden Blick zu beantworten. »Er mochte mich nicht besonders.«

»Konkurrenten?«, rät sie.

»So was in der Art.« Genau so war es. Aber ich will ihr nicht meine rührselige Geschichte erzählen. »Seine Familie ist hier in der Stadt eine große Nummer«, sage ich stattdessen. »Und seine Mutter hat das Musikfestival ins Leben gerufen.«

»Ich hab davon gehört«, erwidert sie. »Ich folge ihm wie eine kleine Ente, weil er mich mit allen wichtigen Leuten bekannt machen kann.«

»Das ist sicher wahr«, sage ich, und meine Laune geht noch weiter in den Keller.

Sie trinkt einen letzten Schluck Bier. »Ich muss los.« Sie greift in ihre Tasche, holt genau acht Dollar heraus und klatscht sie auf die Theke.

Als ich danach greife, ist sie schon auf den Beinen. »Warte! Du kriegst noch was wieder.« Selbst mit Trinkgeld kostet das Bier keine acht Dollar. Deshalb kommen die Leute ins Roadie Joe’s.

»Stimmt so!« Sie grinst mich an. »Du bist einer von den Guten, Ryan.«

Ich schiebe ihr zwei Dollar zu. »Vorschlag: Gib mir stattdessen deine Nummer.«

Sie macht große Augen. »Ich …« Sie zögert. »Das sollte ich lieber nicht.«

Das war dann wohl ein Korb. Wahnsinn. »Dann einen guten Auftritt heute Abend«, sage ich und frage mich, wie ich an diesen Punkt gekommen bin. Eine weitere kleine Enttäuschung in einer ziemlich fiesen Serie.

Und offensichtlich bin ich nicht besonders gut darin, es zu verbergen. »Danke.« Sie beißt sich auf die Lippe, dreht sich um und geht. Die zwei Dollar liegen immer noch auf der Theke.

Sie hat mir noch nicht mal ihren Namen verraten.

3

Silas

Keine drei Tage später sehe ich sie wieder.

Ich komme nach einem brutalen Workout aus dem Fitnessstudio. Von den Kniebeugen, die ich gerade gemacht habe, zittern mir die Beine. Es ist schwer zu sagen, warum ich mich immer noch so anstrenge. Meine Sportlerkarriere ist wahrscheinlich vorbei. Aber ich bin noch nicht bereit, das zu akzeptieren.

Jedenfalls trete ich auf die Main Street hinaus und überlege, welchen Proteinshake ich bestellen soll, als mich diese dunklen ausdrucksstarken Augen von einem Plakat an einem Kiosk anblicken. Und – das ist mir wirklich peinlich – ich bin so erschrocken, dass ich tatsächlich über meine eigenen Füße stolpere. Ich bleibe mit einem Sneaker am anderen hängen, verliere kurz das Gleichgewicht und lande fast auf dem Boden.

Zum Glück sieht es nur ihr Foto.

Als ich das Gleichgewicht wiedererlangt habe, gehe ich näher heran, um mir das Plakat genauer anzusehen. Freitag, einundzwanzig Uhr im Coconut Club. Singer-Songwriterin Delilah Spark.

Delilah. Jetzt weiß ich ihren Namen. Und es sieht so aus, als hätte sie endlich einen anständigen Termin in einem der größeren Clubs bekommen. Ich stehe auf der Straße, schaue mir das Plakat an und grinse wie ein Honigkuchenpferd.

»Sie ist ein echter Hingucker«, krächzt jemand neben mir.

Ruckartig drehe ich den Kopf nach links und sehe einen rotgesichtigen älteren Mann, der in sich hineinkichert. Vor Wut pulsiert sofort das Blut in meinen Ohren. Ich kann weder sein Lachen noch seinen lüsternen Blick ertragen.

Ganz ruhig, ermahne ich mich. Ich bin es nicht gewohnt, so stark auf jemanden zu reagieren. In dem Wissen, dass ich ein schrecklicher Heuchler bin, wende ich mich ab und schlendere den Bürgersteig entlang. Was immer Delilah mit diesem Kerl anstellt, es wirkt auch bei mir. Und zwar zehnmal so stark.

Der Unterschied zwischen uns ist nur, dass ich am Freitagabend tatsächlich in den Coconut Club gehe, um sie zu hören. Ich bezahle zwanzig Dollar Eintritt, die ich mir wirklich nicht leisten kann, und suche mir einen Platz an der Wand. Der Laden ist proppenvoll. Jeder Tisch, jeder Barhocker ist besetzt.

Auf der Bühne steht bereits eine Band. Ein Aufkleber auf der Bass Drum verrät, wie sie heißen: Pebble Yell. Es ist der dümmste Name, den ich je gehört habe, aber die Band ist besser als ihr Name. Viel besser. Sie hat einen warmen Neunziger-Grunge-Sound, mit dem sie den ganzen Club in ihren Bann zieht. Der Leadsänger gleicht dem jungen Eddie Vedder, hat aber eine weichere Stimme. Und der Leadgitarrist ist ein Magier.

Und Delilah muss nach ihnen spielen?

Jetzt werde ich stellvertretend für sie nervös. Wo ist sie überhaupt? Ich überfliege die gespannten Gesichter im Publikum und entdecke Delilah. Sie lehnt an der gegenüberliegenden Wand, in der Nähe der Bühne, eine Flasche Wasser in der einen, einen Gitarrenkoffer in der anderen Hand. Sie wirkt völlig gelassen – als wüsste sie nicht, dass sie so klingen muss, damit die Leute im Saal bleiben.

Mich durchströmt ein nur allzu bekanntes Gefühl – ein Cocktail aus Aufregung und Furcht. Es spielt keine Rolle, wie talentiert man ist oder wie sehr man diese Chance verdient hat. Manchmal hat man einfach Pech. Ich habe das seltsame Verlangen, den Raum zu durchqueren und mich neben Delilah zu stellen. Um sie zu unterstützen.

Aber ich bleibe, wo ich bin, denn das wäre einfach nur seltsam.

Währenddessen feiert das Publikum Pebble Yell. Die Leute an den Tischen beugen sich auf ihren Stühlen vor. Und der hintere Teil des Clubs ist so voller Fans, dass die Kellnerinnen mit ihren Getränken kaum noch durchkommen. Als endlich der letzte satte Akkord durch den Verstärker schallt, will niemand, dass es schon vorbei ist.

Es folgt donnernder Applaus, und die Hälfte des Publikums steht auf.

Ich komme ins Schwitzen. Ich kenne Delilah ja gar nicht, aber was, wenn sie es vermasselt? Was, wenn das Publikum mehr von der Grunge-Band hören will und nicht die leiseren Töne einer Sängerin? Oder – noch schlimmer – was, wenn Delilah scheiße ist? Was, wenn sie keinen geraden Ton herausbekommt?

Da bemerke ich, dass etwa ein Viertel der Zuschauer entschieden hat, zu gehen. Die Leute packen ihre Sachen zusammen und strömen zu den Ausgängen. Eine neue Welle des Unbehagens schlägt über mir zusammen, als wäre ich derjenige, der auf die Bühne gehen und singen muss.

Und überhaupt – wie schafft man so was? Und warum hielt ich es für eine gute Idee, heute Abend herzukommen? Ich hätte die zwanzig Dollar besser in Fisch-Tacos und Bier investiert. Ich könnte mir jetzt am Strand einen Joint anstecken und im Mondschein spazieren gehen. In meinem Leben gibt es schon genug Rückschläge. Wer will schon dabei zusehen, wie ein hübsches Mädchen in der Luft zerrissen wird?

Ich ganz sicher nicht.

Wo wir gerade von Reinfällen sprechen – in diesem Moment bekomme ich eine Voicemail von meiner Agentin. Ich höre sie nicht ab, weil ich weiß, dass es schlechte Neuigkeiten sein müssen. Wenn sie gute Neuigkeiten hätte, hätte sie viermal angerufen und mehrere Nachrichten geschrieben, anstatt nur einmal anzurufen.

Ich muss sie nicht abhören, weil ich den Inhalt schon kenne. »Hör mal, Silas, du musst nur noch ein paar Monate warten, dann finden wir vielleicht ein Minor-League-Team, das einen neuen Torwart braucht. Und wenn das nicht klappt, könnte ich etwas im Ausland für dich finden. Vielleicht in Deutschland oder Russland.«

Aber dahin gehen nur gescheiterte Eishockeyspieler. Mit zweiundzwanzig will ich die Hoffnung noch nicht aufgeben.

Plötzlich schlecht gelaunt betrachte ich Delilahs Publikum mit Misstrauen. An den eben noch leeren Tischen sitzen jetzt die Leute, die sich vorher hinten drängten. Das ist doch wenigstens etwas. Aber sie schauen Delilah nicht mal an. Sie schreiben Textnachrichten und trinken. Ein Typ befummelt seine Begleitung, die genervt wirkt. Und ein anderes Paar streitet. Sie sitzen direkt vor mir und zischen sich wütend an. Dann steht der Kerl tatsächlich so schnell auf, dass sein Stuhl mit einem lauten Knall umfällt. Er stapft davon, während die Frau sich augenscheinlich unbehaglich fühlt, weil wir sie alle anstarren.

Verstört beugt sie sich hinunter und hebt den Stuhl auf.

Delilah bemerkt nichts davon. Sie hat sich schon mitten auf der Bühne auf einen Hocker gesetzt. Sie rückt ihr Mikrofon zurecht. Das Licht eines einzelnen Scheinwerfers hebt sie aus der tiefen Schwärze hervor. Er leuchtet hell und verleiht ihrem Haar einen lilafarbenen Schimmer.

Ein Mann springt auf die Bühne. Er schnappt sich das Mikro, das Delilah gerade erst ausgerichtet hat, und sagt extrem gelangweilt: »Applaus für das neue Talent Delilah Spark.«

Dann hüpft er hinunter, holt eine Zigarette aus der Packung, als wolle er sagen, Delilahs Auftritt sei der perfekte Zeitpunkt, um draußen eine zu rauchen.

Ich würde ihm am liebsten die Fresse einschlagen, echt jetzt.

Doch Delilah sieht da oben ganz gelassen aus. Sie justiert das Mikro und stimmt ihre Gitarre. Ihrem Gesichtsausdruck nach könnte sie auch in ihrem eigenen Wohnzimmer sitzen, so ruhig wie sie die einzelnen Wirbel dreht und dann leise die Saiten zupft.

Wärmen sich Sänger nicht vorher auf? Oh Gott. Das geht schief. Ein Schweißtropfen läuft mir den Rücken hinunter.

Einige Gespräche verstummen, aber nicht alle. Ich starre eine Frau vielsagend an, die gerade in ihr Handy quasselt. »Du bist wo? In dieser Strandbar?« Sie bemerkt meine Verärgerung nicht einmal.

Und dann schreit ein Betrunkener vor der Bühne: »Holt die Band zurück! Die waren verdammt gut.«

Meine Hände ballen sich zu Fäusten.

Delilah lässt die Saiten mit der Hand verstummen und blickt ihn direkt an. »Du meinst, wir sollen die Kerle zurückholen, richtig? Du glaubst, nur ein Penis kann rocken?«

Die Menge lacht gezwungen.

»Du weißt, was ich meine«, brummt der Betrunkene. »Ein Mädchen mit einer Gitarre. Das ist nicht dasselbe.«

Sie stellt erneut das Mikrofon ein und würdigt ihn keines weiteren Blickes. »Sie, Sir, sind der Grund, warum ich Musik mache. Sie können sagen, was Sie wollen, denn ich mag es, unterschätzt zu werden.«

Jetzt ist es still im Raum, und Delilah beginnt, die Gitarrensaiten in einem markanten Rhythmus zu schlagen. Ich brauche eine Sekunde, dann erkenne ich, dass sie ohne irgendeine Einleitung die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich gezogen hat.

Ihre Finger fliegen über das Griffbrett. Die Akkordfolge ist nicht kompliziert, aber mir läuft ein Schauer über den Rücken. Was spielt sie da? Es kommt mir bekannt vor, aber ich kann es erst zuordnen, als sie anfängt zu singen.

Ich bekomme eine Ganzkörpergänsehaut. Diese Stimme. Sie ist heiser und voll. Sie dringt bis in den allerletzten Winkel meiner Brust. Delilah covert Black von Pearl Jam. Vielleicht hat sie es als großartigen Übergang vom Neunziger-Sound der letzten Band gewählt. Oder vielleicht fängt sie immer mit diesem Lied an, denn durch ihre Stimme wird der Text noch interessanter als durch Eddie Vedders.

Mal ehrlich – das kann man nicht hören und sich dabei an der Bar unterhalten. Man kann seiner Mutter keine Nachricht schreiben oder seine Freundin betatschen oder sich die Eier kratzen, weil diese heisere, wilde Stimme einem in die Seele kriecht und man keine andere Wahl hat, als zuzuhören.

Die Musik hüllt mich ein. Jede Zeile ist pure Ekstase. Wenn ich nicht schon nach dem kurzen Gespräch an der Bar von Delilah fasziniert gewesen wäre, wäre ich es spätestens jetzt. Ton für Ton zieht sie alle mit einem Lied über Ängste und eine verlorene Liebe in ihren Bann.

Ich bin hin und weg. Ehrlich. Sie ist magisch.

Und es lässt nicht nach. Nachdem sie alle mit Pearl Jam aus den Socken gehauen hat, covert sie Bonnie Raitt. »Das ist heute wohl ein Neunziger-Abend«, flüstert sie nach ihrem zweiten Song ins Mikrofon.

Das Publikum lacht herzlich, als wären sie alle alte Freunde von ihr. Und das sind sie mittlerweile wohl auch. Offensichtlich ist das ihre Gabe. Ich bin sicher nicht der Einzige hier, der eine seltsame Verbindung zu der erstaunlichen Frau auf der Bühne spürt.

Menschenmengen sind auch Teil meiner Welt. Wenn die Fans bei einem Spiel auf deiner Seite sind, gibt es nichts Besseres als ihre gebrüllte Unterstützung. Es ist wie die beste Umarmung, die man je bekommen hat, gepaart mit einem High five des Allmächtigen höchstpersönlich. Das ist Balsam für die Seele. Bei einem guten Spiel vor einem tollen Publikum fühle ich mich am lebendigsten. Das war zumindest früher so. Auch im Moment fühle ich mich sehr lebendig.

»Diesen Song habe ich für einige der Frauen in meinem Leben geschrieben. Ihr wisst, dass ihr gemeint seid«, sagt Delilah. Sie zupft sanft auf ihrer Gitarre, und ihr Gesichtsausdruck ist fast intim – als spiele sie für sich selbst. Als wäre das Publikum gar nicht anwesend. Sie hebt den Kopf und schließt die Augen. Dann fängt sie an zu singen:

You shouldn’t wait around for him

Men don’t have a lock on praise

Show me how you lift your chin

Show me how you own this place

Sparkle on, honey, sparkle on …

Sie holt Luft, und mir fällt auf, dass ich den Atem angehalten habe.

Don’t let him tell you lies

He doesn’t get to write your story

You’re not his to minimize

Own your flaws and mine your glory

Sparkle on, honey, sparkle on …

Der Song erzählt die Geschichte einer Frau, die sich verloren hat. Aber am Ende jeder herzzerreißenden Strophe blickt Delilah ins Publikum und ermutigt es, nie aufzuhören zu funkeln.

Diejenige, die funkelt, ist jedoch sie. Es ist immer noch so leise, dass ich hören kann, wie Delilahs Plektrum über die Saiten schrammt. Ich mustere die Menge und sehe nur verzückte Gesichter. Getränke stehen vergessen auf den Tischen. Mein Blick bleibt an der Frau vor mir hängen, deren Freund wütend gegangen ist. Sie wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel.

Delilah spielt kaum eine Viertelstunde und hat schon jemanden zum Weinen gebracht.

Das nenne ich Macht. Oh Gott. Was für eine Frau.

Viel zu schnell ist der Song zu Ende. Aber wenigstens spielt sie weiter. Das Tempo nimmt zu, als Delilah zu einem weiteren Coversong übergeht. Mit der Hand schlägt sie den Rhythmus auf dem Korpus der Gitarre. Das verstärkt ihren Sound, und das Publikum bewegt sich sanft im Takt.

Ich frage mich, wie sie wohl mit einer Band klingen würde. Bestimmt überwältigend.

Es ist wieder brechend voll im Club. Jeder Stuhl ist besetzt, und auch die Bar ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Hunderte von Menschen beugen sich vor, um dem kleinen Mädchen mit dem großen Sound ein wenig näher zu sein.

Dann ist es vorbei. Eher als mir lieb ist, steht sie auf und verabschiedet sich, während das Publikum frenetisch applaudiert. Ich stehe immer noch da, klatsche mit offenem Mund Beifall und durchlaufe jede nur mögliche Emotion, als sie von der Bühne geht.

Und da tritt Brett Ferris aus dem Schatten und legt besitzergreifend den Arm um sie, während das Publikum immer noch applaudiert.

Dann zieht er sie in einen heftigen Kuss. Was für ein Primat.

Und ich bin … entsetzt trifft es noch nicht mal ansatzweise. Geschlagen. Am Boden zerstört. Alles auf einmal. Bei der Vorstellung, dass er sie anfasst, möchte ich kotzen.

Und die Aktion ist so typisch für Brett – sich in ihrem Moment auf sie zu stürzen. Ihn für sich zu beanspruchen.

Es ist ein schwacher Trost, dass auch sie genervt aussieht.

Ich muss hier weg. Ich stoße mich von der Wand ab und schlängele mich zur Hintertür, weiche Körpern aus, um zum Ausgang zu gelangen.