Top Secret: ein MM-College-Roman - Sarina Bowen - E-Book

Top Secret: ein MM-College-Roman E-Book

Sarina Bowen

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Beschreibung

Keaton Hayworth III. muss in seiner Studentenverbindung in große Fußstapfen treten, immerhin gilt es, die Familientradition als Verbindungspräsident fortzusetzen. Doch der Biologiestudent bekommt es mit einem entschlossenen Gegenkandidaten zu tun, dem BWL-Studenten Luke Bailey, einem nervigen Außenseiter, der auch noch sein Zimmernachbar ist und mit dem er so gar nichts gemeinsam hat. Auch privat geht es bei Keaton gerade turbulent zu, denn seine langjährige Freundin wünscht sich zum Geburtstag einen Dreier. Doch wo findet man dafür einen geeigneten Mann? Ganz klar – online. Allerdings bringen die Chats mit dem potenziellen Kandidaten einige Überraschungen ans Licht …

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SARINA BOWEN

ELLE KENNEDY

 

 

TOP SECRET

 

EIN MM-COLLEGE-ROMAN

Aus dem Englischen von Anne Sommerfeld

Über das Buch

Keaton Hayworth III. muss in seiner Studentenverbindung in große Fußstapfen treten, immerhin gilt es, die Familientradition als Verbindungspräsident fortzusetzen. Doch der Biologiestudent bekommt es mit einem entschlossenen Gegenkandidaten zu tun, dem BWL-Studenten Luke Bailey, einem nervigen Außenseiter, der auch noch sein Zimmernachbar ist und mit dem er so gar nichts gemeinsam hat.

Auch privat geht es bei Keaton gerade turbulent zu, denn seine langjährige Freundin wünscht sich zum Geburtstag einen Dreier. Doch wo findet man dafür einen geeigneten Mann? Ganz klar – online. Allerdings bringen die Chats mit dem potenziellen Kandidaten einige Überraschungen ans Licht …

Über die Autorinnen

Sarina Bowen hat einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften von der Yale University und arbeitete früher an der Wall Street. Ihre Contemporary-Romance-Geschichten landeten zahlreiche Male auf Bestsellerlisten.

Als Nachfahrin von Holzfällern und Farmern im Vermont der 1760er ist sie dankbar für die Erfindung von Sanitäranlagen und WLAN während der vergangenen 250 Jahre. Sie lebt mit ihrer Familie auf einem bewaldeten Grundstück in New Hampshire.

Elle Kennedy wuchs in der Vorstadt von Toronto in Kanada auf und schloss ihr Studium an der York University mit einem B.A. in Englisch ab. Schon von Kindheit an wusste sie, dass sie Schriftstellerin werden wollte, und hat bereits in ihrer Jugend damit begonnen, diesen Traum zu verwirklichen.

Elle schreibt Romantic Suspense und Contemporary Romance für mehrere Verlage. Ihre Bücher haben es auf die Bestsellerlisten der New York Times, der USA Today und des Wall Street Journal geschafft. Sie liebt starke Heldinnen und sexy Alpha-Helden und verpasst ihren Geschichten gerade genug »spice« und Gefahr, um die Dinge interessant zu halten.

Die englische Ausgabe erschien 2019 unter dem Titel »Top Secret«.

Deutsche Erstausgabe Juni 2023

 

Copyright © 2019. TOP SECRET by Elle Kennedy & Sarina Bowen

The moral rights of the authors have been asserted.

© für die deutschsprachige Ausgabe 2023:

Second Chances Verlag, Inh. Jeannette Bauroth,

Hammergasse 7–9, 98587 Steinbach-Hallenberg

 

Alle Rechte, einschließlich des Rechts zur vollständigen oder auszugsweisen Wiedergabe in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Alle handelnden Personen sind frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

 

Umschlaggestaltung: Ronja Forleo

Lektorat: Annika Bührmann

Korrektorat: Nina Restemeier

Schlussredaktion: Daniela Dreuth

 

ISBN: 978-3-948457-89-1

 

www.second-chances-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Titel

Über die Autorinnen

Impressum

1

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Weitere Bücher der Autorinnen

1

EIN FREMDER IST SUPER

KEATON

»Sieh mal«, flüstert Annika mir ins Ohr. Sie drückt mit ihrer kleinen Hand unter dem Tisch mein Bein, während sie mit der Wange sanft mein Kinn in Richtung Tür dreht. »Der ist süß.«

»Sehr subtil«, necke ich sie, ehe ich dem Objekt ihrer Aufmerksamkeit einen neugierigen Blick zuwerfe. Er ist einfach nur ein großer Typ mit braunen Haaren. Soweit ich das beurteilen kann, nichts Besonderes. »Wie wäre es, wenn wir uns dieses Gespräch für später aufheben?«

Sie verdreht die Augen. »Wir wissen beide, dass dieses Gespräch nicht zustande kommen wird, Keaton. Du spielst gern mit, ziehst es aber letztendlich nicht durch.« Dieses Mal vergisst sie, die Stimme zu senken.

»Was denn durchziehen?«, fragt einer meiner Verbindungsbrüder von der anderen Tischseite aus. Tanner, Judd und ich sind nach dem Training für eine Dosis Koffein in den Starbucks am Campus gegangen. Annikas nächster Kurs findet direkt gegenüber statt, also hat sie sich kurz zu uns gesellt.

»Nichts«, antworte ich Tanner.

Wenn man es als nichts bezeichnen kann, dass die eigene Freundin einen Dreier mit einem anderen Typen will.

Jap, meine Freundin will einen Dreier. Und ich hatte gedacht, dass mich Annika nach sechs gemeinsamen Jahren nicht mehr überraschen kann.

Wir sind seit dem vorletzten Jahr auf der Highschool unzertrennlich. Ich kenne jede Einzelheit über sie, angefangen von ihrem Lieblingsessen bis hin zu den Dingen, die sie auf die Palme bringen. Ich weiß, dass sie in langen Schlangen nervös wird, dass sie jedes Mal niest, wenn ihr Zimt in die Nase steigt, und dass sie den Strand liebt, aber Skifahren hasst.

Aber ich wusste nicht, dass meine Freundin von einem Dreier fantasiert. Als sie es das erste Mal angesprochen hat, dachte ich noch, sie würde Witze machen. Annika Schiffer, Erbin eines Möbelhausvermögens, will mit zwei Typen gleichzeitig vögeln? Ja, klar.

Meine Freundin ist die Präsidentin ihrer Studentinnenverbindung, trägt täglich Perlenkette (und nicht die spaßige Variante) und hat mich warten lassen, bis wir achtzehn waren, bevor wir uns gegenseitig die Jungfräulichkeit genommen haben. Versteht mich nicht falsch – sie ist keine verklemmte reiche Tussi mit Stock im Hintern. Sie ist witzig und warmherzig und ganz schön wild, wenn jemand versucht, sich mit ihr oder ihren Liebsten anzulegen.

Aber sie ist auch … Ich sage es einfach mal so: konventionell.

Ich habe nicht geglaubt, dass sie die Sache mit dem Dreier ernst meint, bis ich sie letzte Woche gefragt habe, was sie sich zum Geburtstag wünscht, und sie die Idee wieder angesprochen hat.

Ich lege meine Lippen an ihr Ohr, damit Tanner und Judd nicht mithören können. »Keine Sorge, Baby, es wird mehr als nur ein Gespräch geben«, raune ich.

Sie erbebt und schenkt mir dann ein strahlendes Lächeln. Ihr Gesicht ist makellos. Klassische Gesichtszüge, volle Lippen und glatte Haut, die immer gesund und frisch aussieht. Sie bemüht sich sehr um diese Haut und gibt auch sehr viel Geld dafür aus. Ich war schließlich in ihrem Badezimmer im Verbindungshaus und habe all die Produkte gesehen, die sie sich ins Gesicht schmiert, um so perfekt auszusehen. Ganz zu schweigen von den monatlichen Gesichtsbehandlungen, für die sie jedes Mal nach New York fliegen muss, weil es in dieser kleinen College-Stadt keine »kompetenten Kosmetikerinnen« gibt – ihre Worte, nicht meine.

Es ist auch hilfreich, dass ihr Vater einen Helikopter hat, der ihr für ihre monatlichen Ausflüge zur Verfügung steht. Aber ich sollte das nicht verurteilen. Mein Dad hat seinen eigenen Jet.

»Ich kann es nicht erwarten«, sagt sie, ehe sie von meinem Schoß hüpft. »Komm heute Abend nach dem Training vorbei, okay, Baby? Ich muss jetzt zum Kurs.«

»Wir sehen uns.«

»Tschüss, Jungs.« Annika winkt ihnen auf dem Weg zum Ausgang zu.

»Bis dann!«, ruft Tanner ihr nach. Und wenn ich mich nicht irre, wirft er ihrem Hintern einen sehnsüchtigen Blick zu.

»Alter«, sage ich. »Wenn du meine Freundin schon mit den Augen ausziehst, könntest du es wenigstens unauffällig machen.«

»Warum?«, fragt Tanner. »Sie würde sich geschmeichelt fühlen. Und du sollst wissen, dass du einen guten Fang gemacht hast. Außerdem bin ich harmlos.« Er lächelt mich breit an. »Was machen wir dieses Wochenende überhaupt? Das Tanzduell der Präsidenten, richtig?«

Ich schüttle den Kopf. »Das ist erst in zwei Wochen, Mann.«

»Wirklich? Warum dachte ich, es wäre früher?«

»Weil du planlos bist«, antwortet Judd hilfreich.

Tanner zeigt ihm den Mittelfinger, ehe er sich wieder an mich richtet. »Weißt du schon, was du vorführen wirst?«

Ich habe keine Ahnung. Und nein, Tanzen ist keine wirkliche Voraussetzung, um als Präsident für die Studentenverbindung zu kandidieren. Aber früher war das mal so. Vor einigen Jahrzehnten haben die Kandidaten entschieden, dass ein Tanzduell der einzig richtige Weg ist, herauszufinden, wer als Anführer am besten geeignet ist. Und damit war das Tanzduell der Präsidenten geboren. An den Wänden in unserem Aufenthaltsraum hängen alte Fotos von gut gekleideten Männern mit zurückgekämmten Haaren, die junge Frauen mit aufgebauschten Röcken im Arm halten.

Meine Verbindung pflegt Traditionen, die es schon lange vor der Erfindung des roten Plastikbechers gab. Aber inzwischen hat sich Alpha Delta weiterentwickelt. Oder zurück, je nachdem, wen man fragt. Anstatt den perfekten Twist hinzulegen, wird vom Präsidentschaftskandidaten erwartet, die anderen Mitglieder mit einem atemberaubenden Event zu beeindrucken. Ich rede hier von etwas Epischem. Monumentalen. Die Art von Party, an die man sich noch in den Folgejahren erinnern wird.

Allerdings bin ich mir wie bei den Tanzschritten nicht sicher, ob Partyplanung ein solider Messwert dafür ist, ob jemand einen guten Präsidenten abgibt. Sicher, Verbindungen schmeißen viele Partys, aber dafür gibt es schließlich ein Komitee.

Laut Reed, unserem aktuellen Präsidenten, ist die eigentliche Rolle ziemlich öde. Er hat mich zur Seite genommen, als ich meinen Namen ins Spiel gebracht habe, und hat zugegeben, dass es der langweiligste Job der Welt ist und ich es mir noch einmal überlegen soll. »So viel Verantwortung, Kumpel«, hat er sich beschwert.

Einen Moment lang hätte ich beinahe einen Rückzieher gemacht. Ehrlich gesagt trete ich nur an, weil mein Dad in seiner Glanzzeit Präsident von Alpha Delta war und mein Großvater vor ihm. Aber das ist auch der Grund, warum ich keinen Rückzieher machen kann. Mein Vater würde einen Tobsuchtsanfall bekommen, wenn das Hayworth-Vermächtnis mit mir endet.

Also habe ich noch zehn Tage, um eine legendäre Party zu planen.

»Vielleicht beauftrage ich einfach einen Eventplaner?«, schlage ich vor.

»Auf keinen Fall«, erwidert Judd sofort. »Wenn dieser Mistkerl Bailey das herausfindet, lässt er dich absetzen.«

»Man kann niemanden absetzen, der noch gar nicht gewählt ist«, wirft Tanner ein.

Trotzdem will ich mir nicht vorwerfen lassen, geschummelt zu haben. Diese ganze Sache ist supernervig. »Wir können uns Sonntagabend darüber Gedanken machen. Am Samstag müssen wir erst mal ein Spiel gewinnen.«

»Oh, wir werden gewinnen«, verspricht Tanner.

Da bin ich mir nicht so sicher. Ich mache mir nicht nur Sorgen um die Offense der Northern Mass, ich glaube auch, dass mein Vater zum Spiel kommt. Ein Sieg reicht also nicht. Wenn die Spieler der Northern Mass nach dem letzten Viertel nicht in ihre Helme heulen, wird mir mein Vater beim Brunch am nächsten Tag trotzdem die Hölle heiß machen.

Und ich dachte, Wochenenden wären zum Entspannen da.

»Na schön«, sagt Judd. »Wir sprechen nach dem anderen Meeting am Sonntagabend über deine Kampagne.«

»Welches andere Meeting?« Ich zerbreche mir den Kopf, doch mir fällt nichts ein.

»Initiationskomitee«, antwortet er und stürzt den Rest seines Kaffees hinunter.

Oh, Gott sei Dank. »Da muss ich nicht hin. Ich bin dieses Jahr nicht im Komitee.«

»Aber ich hab dir die E-Mail geschickt?« Judd winselt. »Ich hab dir gesagt, dass ich dich dort brauche. Der Initiationsabend steht an, und das Komitee ist so langweilig.«

»Wer ist überhaupt dabei? Was habt ihr geplant?« Memo an mich: am Samstagabend zufällig keine Zeit haben. Auf keinen Fall werde ich wieder in diesem Komitee sein. Es hat mich letztes Jahr unheimlich genervt, mich um die neuen Anwärter zu kümmern.

»Also Ahmad, der klug, aber langweilig ist. Paul ist einfach nur langweilig. Owen ist witzig, aber nicht wirklich kreativ. Und Paxton, der allerdings ziemlich naiv ist.« Er seufzt. »Egal. Immerhin ist Bailey dieses Mal nicht dabei. Erinnerst du dich, was für ein Stimmungskiller er letztes Jahr war? Ich hasse diesen Typen.«

Das ist kein großes Geheimnis. Judd hat es auf Luke Bailey abgesehen, seit der Kerl Alpha Delta im zweiten Studienjahr beigetreten ist. Und man kann über Judd sagen, was man will, aber er ist kein Arsch, es sei denn, er hat das Gefühl, man gibt ihm einen Grund dafür. Er ist durch und durch ein Bro – er glaubt an Männerfreundschaften und High Fives, und in seiner Vorstellung ist eine Freundschaft erst offiziell, wenn man zusammen geblutet, gefeiert und am nächsten Morgen den gemeinsamen Kater zelebriert hat.

Luke Bailey teilt diese Philosophie nicht. In dem Moment, in dem er über Judds Fist Bump die Nase gerümpft hat, hat er sich Judd Keller zum Feind gemacht.

Seitdem hat sich ihre turbulente Beziehung immer weiter verschlechtert. Luke kann ein großspuriger Mistkerl sein, wenn er will, und Judd hat nicht gern das Gefühl, verspottet oder verurteilt zu werden.

Ach ja, und dann hat Bailey mit Judds Ex geschlafen. Das hatte ich fast vergessen.

»Du verschwendest zu viel geistige Energie an den Kerl«, informiert Tanner ihn. Tanner macht gerade seinen Master in Psychologie und schmeißt deshalb ständig mit (ziemlich guten) Ratschlägen um sich, die wir alle größtenteils ignorieren. »Sich an Wut festzuklammern ist einer robusten psychischen Gesundheit nicht zuträglich.«

»Erstens, wenn du noch einmal ›robust‹ sagst, hau ich dir eine rein. Du weißt, was ich davon halte, Kumpel.« Empörung flammt in Judds Blick auf. »Und zweitens, Luke Bailey hat meine Freundin gevögelt! Ich werde niemals nicht wütend auf diesen Scheißkerl sein.«

»Ex-Freundin«, werfe ich zögerlich ein, was mir einen finsteren Blick von Judd einbringt. Wir sind Teamkollegen, und ich verspüre ihm gegenüber eine gewisse Loyalität, scheue mich aber nicht, ihm die Meinung zu sagen. »Du und Therese wart schon seit Monaten getrennt.«

»Therese und ich sind nie getrennt. Klar, wir machen kleine Pausen und hatten die eine oder andere Auszeit. Aber sie ist mein Mädchen«, erwidert Judd angespannt. »Jeder weiß das.«

»Bailey sagt, er wusste es nicht«, sagt Tanner.

»Das ist Schwachsinn. Er ist ein Lügner. Und jetzt versucht er, K fertigzumachen!« Judd knurrt. »Er kandidiert für die Präsidentschaft, um sich an mir zu rächen. Das weiß ich einfach.«

»Meinst du?« Tanner sieht skeptisch aus. »Denn das wäre ein geradezu soziopathischer Aufwand, nur um dich zu ärgern.«

»Ja«, stimme ich leise lachend zu. »Bailey ist ein Arsch, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er sich die große Verantwortung aufhalst, eine Verbindung zu leiten, nur um dir den metaphorischen Mittelfinger zu zeigen.« Allerdings habe ich keine Ahnung, warum Luke Bailey als Präsident kandidiert, wenn ich ehrlich bin. Der Typ hat kein großes Interesse an Verbindungsaktivitäten gezeigt, seit er beigetreten ist.

»Das würde er auf jeden Fall tun«, widerspricht Judd.

»Hey, wir müssen jetzt zu unseren Vorlesungen«, erinnert Tanner unseren schmollenden Kumpel. »Wir sollten rübergehen.«

»Na schön.« Judd schiebt seinen Stuhl zurück und steht auf. Dann sieht er mich erneut finster an. »Ich meine es ernst, Mann. Bailey bedeutet Ärger, und wir müssen es ihm in dieser Kampagne zeigen. Ich lasse auf keinen Fall zu, dass er unser Präsident wird.«

»Keine Sorge. Das wird er nicht.«

Sobald meine Freunde weg sind, seufze ich müde. Im Moment ist mir Judds Streit mit Bailey ziemlich egal. Ich muss ein Football-Spiel gewinnen, eine Kampagne planen und einen Vater beeindrucken.

Und eine Freundin zufriedenstellen.

Ich hole mir am Tresen Nachschub, ehe ich es mir in einer gemütlichen Ecke des Cafés bequem mache und die App öffne, die ich letzte Nacht heruntergeladen habe. Ich habe Annika vorhin nicht angelogen – ihr Geburtstagsgeschenk steht ganz oben auf meiner Liste. Ich muss nur erst ein paar Nachforschungen anstellen.

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Das hatte ich gestern Abend schon ausfüllen wollen, aber meine Verbindungsbrüder haben mich zu einer epischen Session Red Dead Redemption überredet, die bis drei Uhr morgens gedauert hat. Jetzt scrolle ich hastig durch die Fotos auf meinem Handy, bis ich ein passendes finde. Es ist von Annika von mir in East Hampton letzten Sommer. Sie sieht in dem knappen Bikini unheimlich heiß aus, und meine Bauchmuskeln sind der Hammer, wenn ich das so sagen darf. Ich schneide unsere Gesichter ab und lade das Foto hoch.

Die Beschreibung überspringe ich fürs Erste, weil ich ungeduldig bin. Ich will sehen, was diese App zu bieten hat, statt mir den Kopf darüber zu zerbrechen, wie ich in einhundertfünfundvierzig Zeichen erklären soll, dass meine Freundin mit zwei Männern gleichzeitig schlafen will.

Eigentlich ist das schon das Wesentliche.

Trotzdem bin ich neugierig auf die Mitglieder. Kink ist eher eine Aufriss- als eine Dating-App, und es freut mich, dass man nach Nutzern suchen kann, die Interesse an bestimmten Konstellationen haben.

Ich klicke das Dreier-Kästchen in der Suchspalte an. Es gibt eine sehr aufschlussreiche Anzahl an Optionen und Kombinationen, die mir nie in den Sinn gekommen wären. Annika will allerdings einen anderen Kerl, also ziehe ich die einfachsten Optionen in Erwägung.

m/f/m

m/m/f

Mein Finger schwebt über m/f/m. Ich glaube, die andere Option bedeutet, dass sich die Männer auch berühren dürfen. Das ist der Moment der Wahrheit. Einige Typen würden diese Vorstellung hassen. Ich allerdings nicht. Ich bin Wissenschaftler. Experimentieren ist mein Job.

Ich habe sogar einmal von Sex mit einem Mann geträumt. Oder zweimal. Das habe ich Annika gegenüber nie erwähnt. Aber warum auch? Ich habe auch schon von einem Drachen geträumt, der Zigaretten aus Kleeblättern geraucht hat. Die Dinge, die mein Gehirn im Schlaf so fabriziert, sind nicht sensationswürdig.

Aber es wäre gelogen zu behaupten, dass mich Annikas schockierender Geburtstagswunsch abtörnt. Ich probiere alles zumindest einmal aus. Und in der App kann man so viele Kästchen anklicken, wie man will. Nachdem ich also einen weiteren Blick über die Schulter geworfen habe, um sicherzugehen, dass mich niemand beobachtet, wähle ich beide Optionen aus und öffne damit die Tür für einen Abstecher ins Abenteuer.

Der Dreier muss jedoch mit einem Fremden sein. Ich bin sicher, dass jeder meiner Verbindungsbrüder sofort bereitwillig aushelfen würde, meiner Freundin eine denkwürdige Nacht zu schenken. Na ja, bis auf Dan, der nur auf Kerle steht. Und, klar, Bailey, der mich für einen Arsch hält. Das beruht auf Gegenseitigkeit, also sind wir wohl quitt.

Aber ich kann das nicht mit jemandem machen, den ich kenne. Was, wenn die ganze Nacht unheimlich peinlich wird? Wenn es ein Verbindungsbruder ist, muss ich weiterhin mit ihm zusammenleben. Wenn es ein Teamkollege ist, muss ich ihm weiterhin in der Umkleide gegenübertreten.

Und dann ist da noch das entgegengesetzte Szenario. Was, wenn es nicht unheimlich peinlich wird? Was, wenn es mir mächtig gefällt?

Ich will nicht von meinen Kumpels verurteilt werden. Also ist ein Fremder super.

Ich lehne mich zurück und fange an zu swipen.

2

STATISTISCH NICHT UNWAHRSCHEINLICH

LUKE

Heute Abend zweifle ich all meine Lebensentscheidungen an. Und das nur wegen eines Snackautomaten.

Hier stehe ich um acht Uhr abends an einem Donnerstag im Studentenzentrum und bin am Verhungern. Da ich erst morgen Abend wieder eine Schicht im Club habe, ist das Geld knapp. Also stecke ich meine letzten Münzen in den Automaten und drücke den Knopf für die Erdnussbutterbrezeln. Die Metallspirale dreht sich, und die Tüte bewegt sich langsam.

Mein Magen knurrt vorfreudig. Vermutlich war es wohl nicht der klügste Schachzug, das Abendessen ausfallen zu lassen, um wie ein Streber in der Bibliothek zu sitzen. Aber ich versuche, sowohl Geld als auch Zeit zu sparen – zwei Dinge, die in meinem Leben Mangelware sind.

Allerdings habe ich kein Glück. Bevor mir mein dürftiges Abendessen in die Hände fallen kann, stoppt die Metallspirale. Meine Brezeln sind gefangen und hängen vom Gestell, sie werden nur noch an einer Ecke der Plastiktüte festgehalten.

»Mist«, murmle ich. Ich schlage mit der Faust einmal beherzt gegen den Automaten. Nichts passiert. War ja klar. »Verfluchtes Pech!«

»Es ist echt Pech …«, stimmt mir eine leise Stimme zu. »… aber statistisch gesehen nicht unwahrscheinlich.«

Ich drehe mich um und entdecke eine dünne, junge Frau mit einer riesigen Brille. Sie wartet darauf, selbst an diese verfluchte Maschine zu können. »Willst du zufälligerweise auch Erdnussbutterbrezeln?«

Sie schüttelt den Kopf. »Von Erdnüssen bekomme ich einen anaphylaktischen Schock.«

»Schade. Das ist auch Pech, aber statistisch gesehen nicht unwahrscheinlich.«

Sie grinst. »Brauchst du ein paar Dollar?«

»Nein danke«, erwidere ich schnell. Ich borge mir aus Prinzip nie etwas von den reichen Kids, mit denen ich zur Uni gehe. Wenn ich dann nämlich meinen Abschluss mit Auszeichnung in der Tasche habe und mir den bestmöglichen Job angle, wird niemand behaupten können, dass ich es nur mit seiner Hilfe geschafft habe.

Ich wünsche ihr Glück und verlasse die Bibliothek. Meine einzige Option ist, nach Hause zu Alpha Delta zu gehen und mir wieder einmal ein Käsesandwich zu machen. Also ziehe ich meinen Rucksack etwas höher und gehe zur Tür.

Ich fühle mich jedes Mal wie auf einem Filmset, wenn ich über den belaubten Campus schlendere. Die roten Pflastersteine. Die klassischen Gaslaternen, die einen gelben Lichtkreis auf die Wege werfen. Die jungen Rockefellers und Carnegies und wer auch immer sonst noch Gold wert ist, laufen in ihren noblen Bootsschuhen an mir vorbei.

Ich liebe und hasse es zugleich. Ich habe mein ganzes Leben am Rand dieser Stadt verbracht. Niemand vom College verlässt den Campus, es sei denn, sie müssen zum Flughafen. Für sie ist es, als würde die Stadt hinter den gepflasterten Wegen nicht existieren.

Doch sie existiert sehr wohl. Und sie ist nicht schön. Darby ist eine alte Textilstadt, die etwa ein Jahrhundert nach Gründung des Colleges schwere Zeiten durchgemacht hat. Früher war sie idyllisch und malerisch. Jetzt ist sie ein Drecksloch.

Mit achtzehn habe ich jedoch das goldene Ticket in meinem Schokoladenriegel gefunden. Ernsthaft, es war beinahe so magisch. Der Studienberater auf der Highschool hat mir empfohlen, eine Bewerbung für das Darby College auszufüllen. »Ortsansässigen wird die Studiengebühr erlassen. Versuch einfach dein Glück, Junge. Man kann nie wissen. Bei deinen Testergebnissen schaffst du es auf jeden Fall auf die staatliche Uni. Diese Bewerbung ist nur zum Spaß.«

Ich habe sie eingereicht und dann vergessen. Aber im April hatte ich einen dicken Umschlag im Briefkasten.

»Willkommen am Darby College, gegründet 1804. Hier ist Ihr Stipendium.«

Ein Freifahrtschein für den Jungen aus dem Ort. Ich habe es anfangs nicht geglaubt. Anscheinend hat der Staat Connecticut Druck auf das College ausgeübt, seine Beziehung zur Stadt zu verbessern. Und Stipendien für die Einwohner waren das Ergebnis.

Die Studiengebühren entfallen. Wenn ich jetzt noch drei Semester lang dafür sorgen kann, dass mein Leben nicht in sich zusammenfällt, habe ich einen Abschluss von einem der berühmtesten Colleges in Amerika.

Leider sind in dem Stipendium Kost und Logis nicht inbegriffen. Man geht hier davon aus, dass die Ortsansässigen nicht in Studentenwohnheimen unterkommen müssen. Und bis letztes Jahr war es für mich kein Problem, bei meiner Mom zu wohnen.

Aber das ist jetzt keine Option mehr. Deshalb ging es in den letzten beiden Jahren für mich darum, die Obdachlosigkeit und den Hungertod abzuwehren, bis ich meinen Abschluss habe. Die Studentenwohnheime und die Verpflegung auf dem Campus sind teuer, also bin ich Alpha Delta beigetreten und habe das billigste Zimmer genommen. Problem gelöst.

In gewisser Weise.

Letztes Jahr hatte ich gleich zwei beschissene Jobs, bis ich eine bessere Anstellung in einem Club gefunden habe. Hier bekomme ich für zwölf Stunden Arbeit mehr als bis dahin für den doppelten Zeiteinsatz. Aber die späten Arbeitszeiten bringen mich um.

Im letzten Studienjahr wird das Unipensum noch brutaler werden. Also habe ich darüber nachgedacht, wie ich meine Arbeitsstunden reduzieren kann. Vor zwei Wochen haben mir ein paar Verbindungsbrüder während eines Filmmarathons mit viel Alkohol etwas erzählt, was ich bis dahin nicht wusste.

Funfact: Der Präsident der Verbindung muss keine Miete zahlen. Er bekommt sein Zimmer kostenlos.

Ein kostenloses Zimmer.

Ratet mal, wer als Präsident kandidiert?

Das Alpha-Delta-Haus ist eine große alte Tudor-Villa am Rand des Campus. Ich marschiere durch die Eingangstür, als würde mir das ganze Gebäude gehören. Denn so ist es – zumindest genauso sehr wie allen anderen. Es ist egal, dass ich nicht in dritter Generation hier bin wie einige der Schönlinge, die hier wohnen. Meine Schecks für die Mitgliedsbeiträge platzen nicht, und das ist im Grunde alles, was zählt.

»Hey«, begrüße ich vier meiner Verbindungsbrüder. Es ist zwanzig Uhr, und da keiner dieser Typen einen Job hat, spielen sie Poker.

»Bailey«, brummt Jako, mein engster Freund hier im Haus. »Wie mach ich mich?«

Ich trete hinter ihn und betrachte sein Blatt. Er hat ein Paar Damen, und dank des Flops liegen zwei Zehnen und eine Acht auf dem Tisch. Ein Paar ist kein schlechtes Blatt, aber es wäre sinnlos, es zu übertreiben. Judd braucht nur eine Zehn für einen Drilling. Während ich zusehe, erhöht Judd, und Jako geht mit.

Ich mustere Judds Gesicht einen Augenblick und stelle fest, dass er keine drei Zehnen hat. Er blufft. Aber natürlich bin ich nicht so naiv, etwas zu sagen. Judd hasst mich. Also warte ich einfach und sehe zu. Nach dem Turn – die Herzkönigin – hat Jako ein Full House. Er erhöht noch mal, und alle anderen steigen aus.

»Du hast größtenteils die richtigen Entscheidungen getroffen«, sage ich zu Jako, während er seinen Gewinn einstreicht. »Wahrscheinlich hättest du mehr aus Judd rausquetschen können, wenn du auf die letzte Runde gesetzt hättest.«

»Auf keinen Fall«, widerspricht Judd, weil der Typ mich nicht ausstehen kann. Aus Unwissen habe ich letztes Jahr auf einer Toga-Party mit seiner Ex geschlafen, und das ist ein ernsthafter Verstoß gegen den Bro-Code.

Zu meiner Verteidigung, es ist wirklich nicht aus Bosheit passiert. Therese war süß, ich ein wenig angetrunken, und sie hat Judds Namen kein einziges Mal erwähnt. Selbstverständlich war das die letzte Alpha-Delta-Party, zu der ich je gegangen bin. Jetzt nehme ich nur noch an den Pflichtveranstaltungen teil.

Laut Jako hätte sich dieses ganze Desaster vermeiden lassen, wenn ich einfach etwas »zugänglicher« wäre. Angeblich bringe ich mich nicht genug ein.

Das stimmt, aber es ist nicht allein meine Schuld. Ich wünschte, mein Leben hier wäre eher wie in einer Hollywood-Komödie, in der meine besten Kumpels und ich bis in die Morgenstunden Witze reißen und die Kameradschaft unserer wilden Collegejahre genießen. Und vielleicht leben die anderen Jungs diesen Traum. Aber ich schufte wie ein Hund und versuche, meine ganzen Verpflichtungen zu jonglieren. Diese Typen hier haben keine Ahnung von meinem Leben.

Und ich sage es ihnen nicht, weil dieser Mist sowohl düster als auch langweilig ist.

Ich habe mich also nicht übertrieben bemüht, jeden einzelnen Bruder kennenzulernen, und das ist wohl ein Kapitalverbrechen. Jako meint, dass ich von Therese gewusst hätte, wenn ich mich auch nur dreißig Sekunden lang mit Judd unterhalten hätte.

Aber warum sollte ich das tun? Er ist unausstehlich, seit wir uns kennengelernt haben. Im Leben werden nicht alle Menschen zu besten Freunden. Manche Persönlichkeiten ziehen einen an, andere stoßen einen ab. Deshalb bin ich mit den Brüdern befreundet, mit denen ich klarkomme, und ignoriere den Rest.

Oder habe es zumindest getan.

Leider muss sich diese vollkommen vernünftige Strategie ändern, wenn ich zum Präsidenten der Verbindung gewählt werden will. Ich kann es mir nicht leisten, Feinde zu haben. Deshalb schlucke ich meinen Stolz hinunter und spreche Judd an. »Echt klug gespielt«, lobe ich. »Dein Bluff war klasse. Du hast nichts durchblicken lassen.«

Er zieht misstrauisch die Brauen zusammen, und während er mich mustert, breitet sich unangenehmes Schweigen aus. »Danke?«

Ich zucke mit den Schultern und gehe zur Treppe.

»Willst du eine Runde mitspielen?«, ruft Jako mir nach.

»Kann nicht. Muss einen Bericht schreiben.« Das ist nicht gelogen. Allerdings ist ein einziges Kompliment für Judd auch alles, wozu ich fähig bin. Und außerdem bin ich am Verhungern.

Ich gehe erst ein und dann noch ein Stockwerk nach oben. Die Suite im zweiten Stock besteht aus einem großen Badezimmer und zwei seltsam geschnittenen Schlafzimmern – einem riesigen und einem winzigen.

Natürlich wohne ich in dem Raum mit Kleiderschrankgröße. Es ist das billigste Zimmer im Haus und das, was nie jemand wählt. »Das ist, na ja, das Dienstbotenzimmer«, hat einer der Jungs während der Auslosung letztes Jahr gesagt.

Ich habe so getan, als würde ich ihnen allen einen Gefallen tun, indem ich diesen winzigen Raum nehme, aber selbst den kann ich mir kaum leisten. Als ich das Ende der Treppe erreiche, halte ich mit dem Schlüssel in der Hand auf dem Absatz inne. Ich höre keine Stimmen. Oder Sexgeräusche.

Süße, süße Stille! Keaton muss bei seiner Freundin sein.

Ja, mein Nachbar heißt Keaton. Und es ist noch viel schlimmer: Er ist Keaton Hayworth III. Und noch schlimmer als das?

Er ist mein Gegner im Kampf um das Amt als Verbindungspräsident.

Die meisten Jungs halten ihn für den sicheren Gewinner. Und, schön, er erfüllt alle Anforderungen an einen Präsidenten – auf dem Papier. Er wird von so gut wie allen gemocht. Seinem Vater gehört ein multinationales Pharmazieunternehmen, also hat er genug Vermögen. Er spielt Football und hat damit einen Vorteil als Athlet.

Aber wie ich schon sagte, das ist alles auf dem Papier. Im wahren Leben ist er ein wenig – na schön, ziemlich – selbstbezogen. Der Verbindungspräsident muss die Bedürfnisse der anderen über seine eigenen stellen. Ich glaube nicht, dass Keaton dazu fähig ist, und die anderen werden das im Laufe des Wahlkampfs feststellen.

Sollte ich mich für eine Schmutzkampagne gegen Mr Sportgesicht entscheiden, werde ich ihn definitiv als »hohl« und »selbstsüchtig« beschreiben.

»Echt heiß« ginge auch, obwohl es mich umbringt, das zuzugeben. Trotzdem, auch wenn er gut aussieht, ist er überhaupt nicht mein Typ. Ich stehe nicht auf reiche Sportler. Wenn ich mal Lust auf einen Kerl habe, sind mir die Ungeschliffenen am liebsten. Aber, hey, wenn man auf attraktive reiche Typen steht, ist Keaton der Richtige.

Ich schließe die Tür hinter mir ab. Mein Magen knurrt wie ein wildes Tier.

Man könnte meinen, dass die Küche der geeignete Ort für meine Sandwichzutaten wäre. Aber damit läge man falsch. Die Jungs, mit denen ich zusammenlebe, bedienen sich an allem, was im Kühlschrank ist, weil sie keinen Anstand haben. Und sie können sich eine Welt nicht vorstellen, in denen diese letzten vier Scheiben Käse alles sind, was ich zu essen habe.

Diese Lektion habe ich auf die harte Tour gelernt. Jetzt lagere ich mein Essen in meinem Zimmer. Ich habe einen uralten Wohnheimkühlschrank unter meinem Tisch. Der Kompressor ist laut, kühlt aber Käse und Mayonnaise. Und auf dem Tisch liegt Brot.

Es dauert nur eine Minute, das Sandwich zu machen. Ich lege es auf einen Pappteller und setze mich mit dem Handy aufs Bett, damit ich mich beim Essen beschäftigen kann.

Ich muss noch lernen, aber ich kann ein paar Minuten an ein Spiel verschwenden. Oder – und das könnte lustiger sein – ich scrolle durch die Kink-App.

Es ist schon eine Weile her, seit ich jemanden aufgerissen habe. Ich hatte zu viel für die Uni zu tun und musste gleichzeitig viele Wochenenden im Club arbeiten. In letzter Zeit falle ich in den frühen Morgenstunden ins Bett und versuche, ein paar Stunden zu schlafen, bevor Mr Sportgesicht lauten Classic Rock spielt, während er in seinem Zimmer Sit-ups und Liegestütze macht. Ich wette, dass er zu Hause einen ganzen Flügel für sich hat. Wahrscheinlich ist es ihm noch nie in den Sinn gekommen, auf andere Rücksicht zu nehmen.

Die App lädt und stellt mir eine verlockende Frage.

Worauf hast du heute Lust?

Als wäre Sex ein ständig griffbereites Buffet, an dem ich mich bedienen kann, wenn mir der Sinn danach steht.

Tatsächlich passt diese Betrachtungsweise ziemlich gut zu meinen sexuellen Gelüsten. Manche Leute benutzen Kink, um Partner zu finden, die eine sehr präzise sexuelle Fantasie erfüllen können. Aber ich sehne mich eher nach Abwechslung. Gelegentlich habe ich Lust auf Kurven und die feinen Berührungen von femininen Händen. Aber auch Typen bringen im Bett eine Menge Spaß.

Manchmal muss ich mich überhaupt nicht entscheiden. Bei Kink können Paare auch nach jemandem für gemeinsamen Spaß suchen. Das klicke ich jetzt an. Dreier geplant.

Für mich ist heute Abend natürlich gar nichts geplant. Ich muss meine Hausaufgaben für zwei Kurse erledigen, bevor ich am Wochenende lange Schichten im Club schiebe. Aber ein Mann kann ja träumen. Außerdem braucht es Zeit, um einen Dreier einzufädeln. Man muss sicher sein, dass alle auf derselben Wellenlänge sind.

Ich überspringe einige Bilder, die mir bekannt sind. Auf einem Bild ist ein heißes Pärchen zu sehen, mit dem ich schon gefeiert habe. Es hat Spaß gemacht, aber der Typ war für meinen Geschmack etwas zu dominant. Er wollte, dass ich knie, und ich habe ihm erklärt, dass das keine Option ist. Dann ist da noch ein schwules Paar. Da ich nicht in der Stimmung für zwei Kerle bin, scrolle ich weiter.

Und, hey! Frischfleisch. Das Foto dieses Paares kenne ich noch nicht. Sie sind irgendwo am Strand. Ihr Bikini überlässt nichts der Fantasie. Perfekte Brüste und ein so flacher Bauch, dass sie durchaus auch auf das Titelbild einer Zeitschrift gehören könnte.

Der Typ hat einen muskulösen Arm um ihre schlanke Taille gelegt. Er ist ziemlich kräftig, aber die Proportionen sind gut. Ich würde meine Hände gern an diesen definierten Bauchmuskeln hinab und in seine Badehose gleiten lassen. Darauf sind kleine rote Hummer abgebildet, und ich verdrehe die Augen. Aber alles in allem sind sie ein heißes Paar. Definitiv ansprechend. Das Foto zeigt sie erst ab den Schultern, sodass ich ihre Gesichter nicht sehen kann. Aber das ist vollkommen normal. Mein Foto sieht genauso aus.

Ich swipe nach rechts.

Das Handy vibriert. Du bist ein Match, heißer Typ, verrät mir die App.

»Ach, du machst mich ganz verlegen«, sage ich laut, weil es mir gefällt, wenn mir meine Apps Komplimente machen. Dann widme ich mich der schwerwiegenden Aufgabe, das Profil genauer anzusehen.

Männlich, Anfang zwanzig, in einer Beziehung mit einer Frau, Anfang zwanzig. Sie will einen m/f/m-Dreier zum Geburtstag. Ich bin dafür völlig offen. Suche nach einer einmaligen Sache in ein paar Wochen.

Mehr gibt er mir nicht. Oh, und sein Nutzername ist LobsterShorts, was mich zum Lachen bringt. Immerhin weiß er, dass seine Hummerbadehose im Preppy-Style lächerlich ist. Noch etwas, was für ihn spricht.

Mein Nutzername ist SinnerThree. Weil auch ich für die Wahrheit bin.

Ich esse mein Sandwich auf und stelle den Teller zur Seite. Auf dem Profil des Typen leuchtet ein Punkt in der Ecke, was bedeutet, dass er online ist. Ich würde all mein Geld (also keins) darauf verwetten, dass er das Profil erst vor ein paar Stunden erstellt hat. Er wirkt irgendwie unbedarft. Aber das turnt mich nicht ab. Ich würde den Rest meines nicht existenten Vermögens darauf verwetten, dass er noch nie in Anwesenheit eines anderen Kerls gekommen ist.

Den Horizont eines anderen zu erweitern macht ja schon die Hälfte des Spaßes aus, richtig?

Die Standorterkennung der App habe ich aus Prinzip ausgeschaltet. Es geht niemanden etwas an, wo ich bin. Aber wenn ich überlege, ob ich jemanden anschreibe, schalte ich sie ganz kurz ein, nur um herauszufinden, ob ich es mit einem Studenten vom Darby College zu tun habe.

Bei dieser Badehose? Wahrscheinlich. Aber ich ändere trotzdem die Einstellung.

Position: 1,5 Kilometer entfernt.

Ich schalte sie wieder aus. Hm. Weniger als zwei Kilometer ist ziemlich nah. Er könnte Student sein oder Assistenzarzt im Krankenhaus. Oder – und das ist wäre das Worst-Case-Szenario – ein Doktorand, der plötzlich meinen nächsten BWL-Kurs unterrichtet. Das wäre wirklich peinlich.

Mein Finger schwebt über dem Chat-Symbol. Es schadet ja nicht, ihm zu schreiben, oder? Ich klicke es an und schicke ihm die Standardbegrüßung. Jo.

Er lässt mich nicht warten.Jo.

Nettes Profilbild, schreibe ich. Weil Schmeicheleien funktionieren.

Danke. Ähm … Ein lachendes Emoji erscheint. Ich hab noch nie mit einem Typen geschrieben. Aber was soll’s: ebenso. Wie ich sehe, lässt du die Ab Curls nicht aus.

Du hast ja keine Ahnung, antworte ich. Meine straffen Bauchmuskeln sind mein Kapital. Du willst also einen Typen für einen Dreier, findest es aber seltsam, mich auf einer App anzuschreiben? Du könntest ja – oh je – tatsächlich meinen Schwanz zu sehen kriegen.

Am besten bringen wir die ganz kniffligen Fragen gleich hinter uns.

LobsterShorts:Beruhig dich. Gib mir einfach eine Sekunde, um mich an die Vorstellung zu gewöhnen. Du bist der Erste, der mir schreibt.

SinnerThree:Oh, ich hab dir die Unschuld genommen? Ich fühle mich geschmeichelt. War ich sanft?

LobsterShorts:Es hat mein Leben verändert. Ich fühle mich wie ein vollkommen neuer Mensch.

Er fügt noch ein Emoji hinzu, das die Augen verdreht, und ich lache schnaubend. Sinn für Humor ist ein gutes Zeichen. Zeigst du mir eure hübschen Gesichter? Sollten wir Pläne schmieden, werde ich sie ohnehin sehen.

Kann nicht, antwortet er sofort. Nicht auf einer App. Meine Freundin und ich haben noch nicht darüber gesprochen, wann wir persönliche Informationen preisgeben.

SinnerThree:Machst du dir keine Sorgen, dass ich hässlich bin?

LobsterShorts:Bist du es?

SinnerThree:Auf keinen Fall. Ich habe meinen Job, weil ich die Damen glücklich mache.

LobsterShorts:Na ja, mein Zahnarzt hat mich auf seiner Broschüre abgedruckt, bis ich ihn gebeten habe, es zu lassen. Also ist das geklärt.

Ich lache erneut. Darf ich dir einen kleinen Rat geben? Wenn sich deine Freundin Sorgen um Privatsphäre macht, solltest du die Sache mit dem Geburtstag von deinem Profil nehmen. Der Computergeek von nebenan könnte Kreuzverweise mit den sozialen Medien herstellen und ziemlich schnell herausfinden, wer ihr seid.

Shiiiiiit, antwortet er. Bin gleich wieder da.

Tatsächlich hat sich seine Profilbeschreibung geändert, als ich es einen Augenblick später aktualisiere.

Danke, schreibt er daraufhin.Benutzt du die App oft?

SinnerThree:Definiere oft. Ich logge mich ständig ein, habe aber keine Zeit für viele Treffen.

LobsterShorts: Student?

Teilzeit, lüge ich. Man sollte ja etwas Abstand wahren. Du?

LobsterShorts: Student. Vollzeit.

Schade. Ich würde lieber mit Leuten schlafen, die nicht zur Studentenschaft des Darby College gehören. Solche Dinge sind knifflig.

Hattest du schon mal einen Dreier mit einem Pärchen?, will er als Nächstes wissen.

Ja, antworte ich. Das ist ja wie bei einem Bewerbungsgespräch. Die lassen sich nicht so leicht organisieren wie ein guter alter One-Night-Stand. Aber wenn es funktioniert, kann man echt viel Spaß haben.

LobsterShorts:Klingt vielversprechend.

SinnerThree:Du bist Neuling, richtig? Glaub mir, es macht unheimlich Spaß, zuzusehen, wie ein Pärchen die eigenen Grenzen auslotet. Als würde man bei einem Pornodreh dabei sein. Außer, dass es echt ist.

Ich verstehe, warum das heiß sein kann, antwortet er.

Und – das füge ich nicht hinzu, aber es ist der beste Teil – wenn es vorbei ist, ist es vorbei. Im Gegensatz zu sonst gibt es keine Erwartungen. Wir gehen getrennte Wege.

SinnerThree:Erklär mir mal, wonach genau du suchst. Von welchem Level reden wir?

Es dauert ein paar Sekunden, bis seine Antwort kommt. Ich bin nicht sicher, was du meinst. Absoluter Neuling, schon vergessen?

Ich lächle, denn ich weiß seine Ehrlichkeit zu schätzen. Sehr. Okay, du hast gesagt, es wäre die Idee deiner Freundin. Und du hast geschrieben, dass du offen dafür bist. Aber, offen wofür?Ich entscheide mich für Unverblümtheit. Willst du zusehen, wie ich sie vögle? Will sie uns zusehen? Willst du meine Hände auf dir oder nur auf ihr? Willst du mich ficken? Willst du von mir gefickt werden? Die Möglichkeiten sind endlos …

LobsterShorts:Oh Mann. Okay. Viel zu bedenken.

SinnerThree:Wem sagst du das. Deshalb klärt man diese Dinge vorher. Man kann es nicht einfach spontan entscheiden.

LobsterShorts:Du musst aber zugeben, dass es Vorteile hat, alles im Moment zu klären. Woher zum Teufel soll ich wissen, was ich will, wenn ich es noch nicht ausprobiert habe?

Ich lache schnaubend. Bittest du den Kellner, dir eine Kostprobe von allen Gerichten auf der Karte zu bringen, bevor du dich für eins entscheidest?

LobsterShorts:Was, ist das etwa unüblich? Erwartest du, dass ich mich ohne Vorkenntnisse zwischen dem Burger und den Fish & Chips entscheide???

Dieser Kerl. Hoffentlich werde ich nicht von irgendeinem Hornochsen verarscht, der überhaupt nicht vorhat, die Sache durchzuziehen, weil ich langsam anfange, ihn zu mögen.

SinnerThree:Okay, pass auf. Was für Pornos magst du?

LobsterShorts:Die mit Nackten.

Ich schicke ihm ein Emoji, das die Augen verdreht. Nackte Frauen?

LobsterShorts: Ja.

SinnerThree: Nackte Männer?

LobsterShorts:Klar, ich denke schon? Ich sehe mir viele Gangbang- und Orgien-Pornos und so an. Nackte Frauen mit nackten Männern in allen möglichen Kombinationen. Keine Ahnung. Mein Pornogeschmack ist vielfältig. Ich bin eher ein Gourmand als ein Gourmet.

Als wüsste ich, was das bedeutet. Ich öffne tatsächlich das Wörterbuch auf meinem Handy und gebe »Gourmand« ein. Es stört mich ungemein, wenn ich die Bedeutung von Wörtern nicht kenne. Als würde sich meine Armut dadurch zeigen.

Gourmand: jemand, der gut und viel isst und trinkt.

Ich wusste, dass ich den Kerl mag. Klingt, als könnte man mit dir Spaß haben, schreibe ich. Wenn dich zwei Schwänze in einem Porno nicht abturnen, spricht das für dich. Aber es gibt einen Unterschied zwischen ansehen und mitmachen.

LobsterShorts:Stimmt.

SinnerThree:Darf ich dich was fragen? Hattest du schon mal was mit einem Mann?

LobsterShorts:Nein. Warum?

SinnerThree: Hab mich nur gefragt, ob du schon mal in Versuchung warst.

LobsterShorts: Ich bin schon lange mit meiner Freundin zusammen, deshalb denke ich nicht darüber nach.

Allein in meinem Zimmer schüttle ich den Kopf. Deshalb habe ich keine Beziehungen. Wenn ich einen Drang verspüre, muss er befriedigt werden.

LobsterShorts:Als meine Freundin meinte »Lass uns einen Dreier mit einem Typen haben«, hätte ich mich beinahe an meiner Zunge verschluckt. Aber ich bin ein Draufgänger. Ich liebe Skydiving. Ich hab als Mutprobe mal eine ganze Packung Heuschrecken gegessen.

SinnerThree:Widerlich. Ich verspreche dir, dass es mehr Spaß macht, mit mir nackt zu sein.

LobsterShorts:Gut zu wissen. Obwohl die Heuschrecken mit Chili und Zitrone gewürzt und schön knusprig waren.

Ich lache laut auf.OMFG.

LobsterShorts: :) Ich will damit nur sagen, dass ich nicht leicht zu verschrecken bin.

SinnerThree:Gut. Aber du musst immer noch genauer erklären, was du dir von dieser Begegnung erwartest. Und wie weit du gehen willst. Denk darüber nach, okay? Wie ich schon sagte – Dreier machen Spaß, aber nur, wenn die Grundregeln klar sind. Keine Enttäuschungen, kein Bedauern.

LobsterShorts:Roger.

Wie hast du meinen Namen erraten?, scherze ich.

Jetzt bekomme ich das Emoji, das die Augen verdreht.

SinnerThree:Ich muss jetzt los. Ich muss einen Bericht schreiben, damit ich am Wochenende arbeiten kann.

LobsterShorts:Was machst du?

Klar. Als würde ich ihm das jemals verraten.

SinnerThree:Ich sage nur, dass du dich kaputtlachen würdest, wenn du es wüsstest. Und warte – ich geb dir noch eine Hausaufgabe mit.

LobsterShorts:Als bräuchte ich noch mehr davon.

Wo er wohl gerade ist? In der Bibliothek? In einer Lerngruppe? Irgendwie ist die Vorstellung heiß, dass er in der Öffentlichkeit sein könnte, wenn er so etwas bespricht.

SinnerThree:Keine Sorge, das hier sind spaßige Hausaufgaben. Ich möchte, dass du dir vorstellst, einen Blowjob von mir zu bekommen. Du lässt dir von mir die Hose aufmachen. Dann greife ich in deinen … Slip?

Es folgt eine kurze Pause.

Boxershorts, schreibt er schließlich.

SinnerThree: Soll ich weitermachen?

Wieder eine kurze Pause.

LobsterShorts:Mach weiter.

SinnerThree:Ich greife in deine Boxershorts, und du bist bereits hart für mich.

Ich schreibe nicht weiter und lege mein Handy aufs Bett. Ich warte.

Und???, fragt er eine Minute später. Ich warte hier mit nacktem Schwanz. Na ja, metaphorisch, fügt er schnell hinzu.

Ich lache so laut, dass es von den Wänden meines winzigen Zimmers widerhallt. Mehr sage ich nicht. Es ist deine Hausaufgabe, dir den Rest des Szenarios vorzustellen. Melde dich morgen.

LobsterShorts:Was? Du lässt mich hängen?

SinnerThree: Nacht, Hummermann.

Ich schließe die App. Leute hängen zu lassen ist ohnehin so was wie meine Spezialität.

Und ich muss wirklich diesen Bericht schreiben.

3

EINGEÖLTE KOLLEGEN

LUKE

Den Großteil des Freitags verbringe ich in meinem Zimmer, um meinen Aufsatz für den BWL-Kurs zu beenden. Die Wochenenden sind dem Hausaufgabenmachen überhaupt nicht zuträglich. Meine Schicht beginnt um einundzwanzig Uhr, und obwohl um ein Uhr morgens Schluss ist, übernehme ich manchmal noch eine Spätschicht an der Bar im Club nebenan, der später schließt. Häufig komme ich erst nach fünf Uhr morgens nach Hause, je nachdem, wie lange das Duschen, Umziehen und Geldzählen dauert.

Trotzdem verschlafe ich den Tag lieber, damit ich für heute Abend gut ausgeruht bin. Oder vielleicht mit LobsterShorts sexten kann. Es war gestern Abend echt hart gewesen, mich aus der App auszuloggen. Ebenso wie mein Schwanz. Ihr habt keine Ahnung, wie heiß es ist, einem Typen dabei zu helfen, seine Sexualität zu erkunden.

Es ist ja so, dass Lobsters Freundin bei dieser Sache nichts schockierend Neues erleben wird. Anstatt eines Schwanzes bekommt sie zwei. Aber was LobsterShorts angeht – er hatte noch nie einen Schwanz im Mund. Oder einen anderen Mann mit Händen und Mund berührt.

Grundgütiger. Vielleicht muss ich mir jetzt einen runterholen. Mit einem Ständer zu lernen ist unmöglich.

Ich schiebe gerade meine Hand unter den Bund meiner Jogginghose, als mein Handy vibriert.

Als ich den Anrufernamen auf dem Display erkenne, wird mein Schwanz in Rekordgeschwindigkeit wieder schlaff. Und ich knirsche unwillkürlich mit den Zähnen.

Ich will nicht rangehen, kenne aber meine Mutter – sie wird es weiter versuchen, bis ich antworte. Wenn es um ihre Söhne geht, ist ihre Hingabe ohnegleichen. Oh, Moment, habe ich Söhne gesagt? Wie albern von mir. Es gibt nur einen männlichen Spross, für den sich Marlene Bailey interessiert, und ich bin es ganz sicher nicht.

»Hey«, melde ich mich kurz angebunden, aber ich kann nicht anders. »Was gibt’s?«

»Hi Baby. Ich bin’s, Mom.«

»Ich weiß, wer dran ist.« Stirnrunzelnd setze ich mich auf und lehne den Kopf an die Wand. »Was gibt’s?«, wiederhole ich.

»Ich …« Ihr Tonfall klingt verzweifelt. »Du bist immer noch böse auf mich. Ach, Luke. Es ist ein Jahr her – du kannst mich nicht auf ewig hassen!«

»Ich hasse dich nicht.«

»Dann sei bitte nicht böse. Welche Wahl hatte ich denn?«

»Ich bin nicht böse«, lüge ich. »Was willst du, Ma? Ich bin gerade ziemlich beschäftigt.«

»Ich …« Ihre Stimme bricht, und sie schnieft.

Das kaufe ich ihr nicht ab. Meine Mutter kann auf Knopfdruck weinen. Und glaubt mir, sie macht sich diese Fähigkeit sehr zunutze. Während meiner gesamten Kindheit habe ich mit angesehen, wie sie ihre ständig wechselnden Freunde mit Tränen um den kleinen Finger gewickelt hat. Dieser Schwachsinn funktioniert auch bei meinem Bruder. Aber bei mir nicht. Ich habe ihre Jungfrau-in-Nöten-Nummer schon immer durchschaut.

»Mom, ernsthaft«, sage ich genervt. »Sag mir, warum du anrufst, oder ich lege auf.«

»Ich wollte dich für Sonntag zum Abendessen einladen.«

Ich lasse beinahe das Handy fallen. Ähm. Was für ein Spiel soll das denn werden? »Abendessen«, wiederhole ich, unfähig, das Misstrauen aus meiner Stimme zu verbannen.

»Ja, Abendessen.« Sie hält inne. »Wir haben Neuigkeiten.«

»Was für Neuigkeiten? Und wer ist wir?«

»Das erfährst du beim Essen«, erwidert sie stur.

»Mhm. Und wird Joe bei diesem Essen dabei sein?« Allein den Namen meines älteren Bruders auszusprechen, löst Übelkeit in mir aus.

Joe ist der Grund, warum ich nicht zu Hause wohnen kann. Vor einem Jahr wurde er auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen, wo er drei Jahre wegen schweren Diebstahls abgesessen hatte. Bei seiner Entlassung hat er meine Mutter gefragt, ob er wieder nach Hause kommen kann. Und natürlich hat sie Ja gesagt. »Ich kann es nicht erwarten, dass wir wieder eine Familie sind«, waren ihre genauen Worte.

Leider bedeutet eine Familie sein, dass sie weggesehen hat, während mein Bruder seine illegalen Aktivitäten wieder aufgenommen hat. Und es ist ein kleines Haus, deshalb war es unmöglich, Joe und seinen zwielichtigen Freunden zu entkommen.

Einen Monat nach Joes Rückkehr habe ich einige leere Tuben einer Betäubungscreme im Küchenmüll gefunden. »Keine Ahnung, was das ist«, hat Joe beharrlich behauptet. »Vielleicht hat Mom Schmerzen.«

Aber ich erkenne einen Lügner, wenn ich einen sehe. Mit etwas Hilfe von Doktor Google habe ich herausgefunden, das Lidocain häufig benutzt wird, um Kokain zu strecken und die Käufer davon zu überzeugen, dass es eine hohe Qualität hat. Ich habe ihn damit konfrontiert, und er hat so getan, als ob ich mir das alles einbilde.

Und dann habe ich die Waffe unter seiner Matratze gefunden. Geladen. Das ist nicht nur gefährlich, sondern ein gravierender Verstoß gegen seine Bewährungsauflagen. »Die gehört nicht mir«, hat er gesagt. »Bix hat sie hier vergessen. Das wusste ich nicht.«

»Er wusste es nicht«, hat meine Mutter wiederholt. Sie glaubt nur das, was sie will.

»Du kannst nicht hierbleiben«, habe ich ihn angefaucht. »Pack deine Sachen und verschwinde.«

»Zwing mich.«

Mom hat nur Tränen zu dieser Situation beigetragen.

Also war ich schließlich derjenige, der gegangen ist. Ich wollte mir kein Zimmer mit jemandem teilen, der zweifellos wieder verhaftet und eingesperrt wird. Tatsächlich bin ich erstaunt, dass er es ein Jahr lang geschafft hat.

Ich habe Joe seit Juli nicht mehr gesehen, als Mom mir solche Schuldgefühle gemacht hat, dass ich zu einem »Familien-Barbecue« gekommen bin, bei dem ihr neuester Freund Hotdogs auf dem Grill gemacht hat und sie dann hat anbrennen lassen. Ach ja, und ich wurde gebeten, das Bier mitzubringen. Ganz klar.

»Bitte komm zum Essen«, fleht mich meine Mutter nun an. »Du musst nicht mal was mitbringen.«

Ich Glücklicher. »Du hast mir immer noch nicht gesagt, ob Joe da sein wird.«

»Natürlich wird Joe da sein. Es ist sein Zuhause.«

Ich schlucke ein müdes Seufzen hinunter. »Weiß er, dass du mich einlädst?«

»Es war seine Idee.«

Wenn ich schon vorher argwöhnisch war, bin ich jetzt voll im Misstrauensmodus. Es war Joes Idee, mich einzuladen?

Genau. So etwas wie die Rote Hochzeit würde ich gern vermeiden, vielen Dank auch.

»Tut mir leid, ich habe am Sonntag was vor«, antworte ich. »Wenn du mir deine großen Neuigkeiten jetzt mitteilen willst, bin ich ganz Ohr, ansonsten muss ich los.«

»Luke«, jammert sie.

»Okay, bin weg, Ma. Wir reden später.«

Wir beide wissen, dass wir nicht später reden werden.

Als ich mein Handy auf den Milchkasten lege, der gleichzeitig als Nachttisch dient, fühlt sich mein gesamter Körper ermattet an. Ich weiß, dass viele Menschen verkorkste Familien haben, aber meine ist etwas Besonderes. Ein älterer Bruder, der mich mit sich in den Abgrund reißt, wenn ich es zulasse. Ein Versager von Vater, den ich seit meinem zweiten Lebensjahr nicht mehr gesehen habe. Eine Dramaqueen als Mutter, die wahrscheinlich ihren ältesten Sohn heiraten würde, wenn es nicht verpönt wäre. Das ist nicht mal ein Witz – Moms Liebe für Joe ist fast schon … unheimlich.

Ich sollte mich wohl glücklich schätzen, dass ihre Liebe für mich nicht existent ist?

Hurra.

Schritte erklingen vor der Tür, und ich versteife mich instinktiv. Egal, wie lange ich schon bei Alpha Delta wohne, habe ich immer noch das Gefühl, nicht hierher zu gehören.

Sagt der Typ, der als Präsident kandidiert.

Verdammt. Worauf lasse ich mich da nur ein?

Laute Musik dröhnt durch den kleinen Flur zwischen unseren Zimmern. »Sweet Emotion« von Aerosmith. Wunderbar. Mr Sportgesicht ist zu Hause. Und es ist Zeit für sein abendliches Workout.

Ich werfe einen Blick auf die Lehrbücher auf meinem Tisch, während Steven Tylers schrille Stimme aus Keatons Zimmer dringt. Wenn ich das Geld hätte, würde ich es in teure, geräuschunterdrückende Kopfhörer investieren.

Leider habe ich das Geld nicht.

 

***

 

Ich bin nicht gerade bester Laune, als ich ein paar Stunden später meine Schicht antrete. Mein Bericht ist nicht fertig, und dank Hayworth konnte ich auch nicht eine Minute die Augen zumachen. Ich verstehe ja, dass er Footballspieler ist, aber, verdammt noch mal, wie viele Stunden müssen diese Hohlköpfe denn Gewichte stemmen?

Und als ich gerade eingenickt war, ist seine Freundin vorbeigekommen und hat sich eine gute Stunde über eine ihrer Verbindungsschwestern ausgelassen. Die beiden hatten nicht mal den Anstand, miteinander zu schlafen. Ihnen dabei zuzuhören wäre durchaus interessanter gewesen, als mir anzuhören, wie eine gewisse Lindy zu Annika gesagt hat, dass ihre Strähnchen nicht »natürlich« aussehen. Lindy ist ganz eindeutig ein richtiges Monster.

Ich muss wohl nicht erwähnen, dass ich heute Abend mürrisch bin. Und hungrig. Allein bei dem Gedanken an mein Trinkgeld heute läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Endlich werde ich mir was zu essen kaufen können.

»Du bist zu spät«, informiert mich meine Managerin.

Ich betrete die Umkleide. »Nein, bin ich nicht.« Ich runzle die Stirn. »Oder doch?« Es gibt hier keine Uhr, also kann ich nicht sicher sein. Aber normalerweise bin ich verlässlich und pünktlich.

»Nur eine Minute«, sagt Heather und grinst. »Ich habe einfach nur schon eine Ewigkeit darauf gewartet, mal mit dir fürs Zuspätkommen zu schimpfen. Es ist öde, dass du so ein braver Junge bist.«

Ich erwidere ihr Grinsen. »Tja. Das ist das erste Mal, dass mich jemand einen braven Jungen nennt. Normalerweise wird mir gesagt, wie böse ich bin.« Ich zwinkere die ältere Brünette an, und sie verdreht die Augen.

Heather führt zwei zusammengehörige Clubs – Jack’s und Jill’s. Ich arbeite seit fast einem Jahr im Jill’s, aber Heather und ich sind bereits gute Freunde. Sie ist eine ehemalige Stripperin, die den Besitzer ihres alten Clubs geheiratet hat, und jetzt leiten die beiden die Clubs.

Oh, hab ich erwähnt, dass ich Stripper bin?

Einige Typen bezeichnen sich lieber als »männliche Entertainer« oder »exotische Tänzer«, aber ich nenne die Dinge beim Namen. An zwei Abenden in der Woche halte ich glücklichen Frauen meinen Schritt vor die Nase und ziehe mich bis auf einen Tanga aus. Also bin ich Stripper.

»Na ja, du bist gleich dran, böser Junge, also zieh besser dein Kostüm an.« Heather tätschelt mir durch die Jeans den Hintern und schubst mich zu der langen Kleiderstange, die einmal quer durch den Raum führt.

»Hey, Heather?«, halte ich sie auf, bevor sie gehen kann. »Könnte ich diese Woche ein paar Schichten an der Bar im Jack’s übernehmen? Ich bin knapp bei Kasse.«

»Na klar doch, Süßer!« Sie lächelt mich an. »Ich mache einen Aushang. Vielleicht möchte jemand einen freien Abend. Aber ist alles in Ordnung?«

»Ja, natürlich. Ich muss eine Party schmeißen, ob du’s glaubst oder nicht.« Es ist zutiefst ironisch, dass die Verbindung diese Sache als »Tanzduell« bezeichnet. Denn wenn ich tatsächlich durchs Tanzen zum Präsidenten werden könnte, dann hätte ich schon so gut wie gewonnen.

Aber nein. Ich muss meine Brüder mit einem tollen Abend umhauen. Doch das ist in Ordnung, denn ich habe einen Plan.

»Freut mich zu hören«, sagt sie. »Und jetzt husch, husch, mach dich hübsch.«

Ich verdrehe die Augen und gehe zu meinem Platz in der Mitte der Reihe.