The Five Crowns of Okrith 3: The Rogue Crown - A.K. Mulford - E-Book
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The Five Crowns of Okrith 3: The Rogue Crown E-Book

A.K. Mulford

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Beschreibung

** Eine tote Königin. Ein Thron in Gefahr. Und eine Prophezeiung, die alles ins Wanken bringt … ** Als die Königin des Westlichen Hofes umgebracht wird, ist die Fae-Kriegerin Briata fest entschlossen, den Mörder aufzuspüren. An der Seite der trauernden Prinzessin Lina bricht sie ins Reich des Westens auf, um die Hexenjäger zu besiegen. Doch als sie am Hof ankommt, wird sie mit einer verhängnisvollen Prophezeiung konfrontiert: Angeblich wird Bri dem dortigen Herrscher die Krone entreißen! Zudem sind die Hexenjäger weiterhin auf königliches Blut aus, sodass Bri alles daran setzen muss, Prinzessin Linas Leben zu schützen. Diese ist noch immer unter Schock nach dem Mord an ihrer Mutter; sie vertraut Bri nicht und lässt diese nur widerwillig als eine ihrer Wachen dienen. Während die Prinzessin langsam Vertrauen zu ihrer Wächterin aufbaut, verfolgt Bri unbeirrbar ihren eigenen Kurs. Fest entschlossen, die Hexenjäger zu besiegen, unterdrückt sie jegliche Gefühle, die Lina in ihr auslöst … Dieser actiongeladene Band der Five Crowns of Okrith-Reihe dreht sich um die Fae-Kriegerin Bri, die den Mord an ihrer Königin untersucht und zugleich eine schöne Prinzessin beschützen muss … The Rogue Crown ist der dritte Band einer Serie voller Intrigen, Magie und Leidenschaft. In jedem Band geht es um neue Protagonist*innen, weswegen die Bücher der fesselnden New-Adult-Romantasy-Reihe unabhängig voneinander gelesen werden können.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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A. K. Mulford

The Rogue Crown

The Five Crowns of Okrith III

Aus dem Englischen von Ulrike Gerstner

Als die Königin des Westens umgebracht wird, ist die Fae-Kriegerin Briata fest entschlossen, den Mörder aufzuspüren. An der Seite von Prinzessin Lina bricht sie auf zum Hof des Westens. Dort ist der eisige Empfang durch die Fae noch das geringste ihrer Probleme: Es kursiert eine Prophezeiung, nach der Bri dem dortigen Herrscher die Krone entreißen wird. Zudem sind die Hexenjäger weiterhin auf königliches Blut aus, sodass Bri alles daran setzen muss, Prinzessin Linas Leben zu schützen. Fest entschlossen, die Hexenjäger zu besiegen, unterdrückt sie jegliche Gefühle, die Lina in ihr auslöst …

The Rogue Crown ist der dritte Band einer vierteiligen Serie voller Intrigen, Magie und Leidenschaft. In jedem Band geht es um neue Protagonist*innen, weswegen die Bücher unabhängig voneinander gelesen werden können.

Wohin soll es gehen?

Content Note

Landkarte

Buch lesen

Danksagung

Über die Autorin

Für die Freundinnen und Freunde, die zu einer Familie wurden und dafür sorgten, dass sich selbst fremde Ecken der Welt wie ein Zuhause anfühlten.

CONTENT NOTE

Liebe*r Leser*in,

dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte. Hier findest du eine Themenübersicht:

Blut

Gewalt

Krieg

Tod und Verlust

Explizite Sexszenen

Gehe während des Lesens achtsam mit dir um. Falls du auf Probleme stößt und/oder betroffen bist, bleibe damit nicht allein. Wende dich an deine Familie und an Freund*innen oder suche dir professionelle Hilfe.

Wir wünschen dir alles Gute und das bestmögliche Erlebnis beim Lesen dieser besonderen Geschichte.

A.K. Mulford und das Carlsen-Team

KAPITEL 1

Briata Catullus.« Der ältere Fae spuckte in den Staub. »Bist du gekommen, um die Krone an dich zu reißen, während der Palast Trauer trägt? Du solltest nicht hier sein.«

Die Prophezeiung verfolgte sie, die Worte quollen aus unwissenden Mündern seit dem Tag ihrer Geburt. Zwei Fae, die vorne auf dem Wagen saßen, starrten sie finster an. Es waren eindeutig Vater und Sohn. Der eine hatte graues Haar und ein faltiges Gesicht, der andere war jünger und besaß dieselbe schmale Nase und die gleichen dünnen Lippen. Ihre Augen weiteten sich, und Bri wusste, dass sie mit ihrer goldbraunen Haut, dem kastanienbraunen Haar und den Adleraugen unverwechselbar war. Sie war einer der Adlerzwillinge – mehr Mythos als Person.

»Ihr kennt die Prophezeiung über mich, aber offensichtlich nicht viel mehr«, erwiderte sie und schenkte ihnen ein schiefes Grinsen, während sie den Staub von ihrer Tunika klopfte. »Ich lasse mir nicht gerne etwas vorschreiben.« Misstrauisch kniff Bri die Augen zusammen, als ein dritter Fae den Kopf aus dem hinteren Teil des Wagens hervorstreckte. »Meine Hilfe wurde von der Kommandantin der Wache selbst angefordert, deren Autorität sicher über der euren steht.«

»Die Kommandantin hat eindeutig den Verstand verloren, wenn sie eine Catullus so weit in unseren Hof einlädt«, höhnte der silberhaarige Fae. »Ich habe gehört, dass sie bei dem Angriff in Stücke gehackt wurde. Sie ist wahrscheinlich längst tot, noch bevor du ankommst.«

Deltas drängende Stimme hallte in Bris Ohren wider. Sie musste in Bewegung bleiben. Sie ließ die Hand von den Zügeln zu ihrem Lieblingsdolch an ihrer Hüfte wandern.

»Du bist im Westen nicht willkommen«, schnauzte der Sohn.

Er hatte ein Messer an seinen Gürtel geschnallt, sein Vater trug einen einzelnen Dolch. Sie sahen aus wie Handwerker, die nicht im Kämpfen geübt waren, aber Fae waren schneller und stärker als Menschen oder Hexen. Von allen dreien waren die Fae auch am eigensinnigsten. Bri fasste wieder nach den Zügeln. Sie würde ihren Dolch nicht brauchen, um die drei zu erledigen.

»Fahrt ihr nun den Wagen zur Seite oder nicht?«

Ihre Miene verfinsterte sich, als sie zu dem schmalen Pfad blickte, der sich zwischen den Ausläufern der weißen Felsbrocken hindurchschlängelte. Der Wagen stand genau in der Mitte dieses Nadelöhrs. Sie bezweifelte, dass sie ihr Pferd nach oben über das steile Terrain führen konnte. Wenn die drei Fae sich nicht bewegten, würde sie gezwungen sein, zurückzureiten und abzuwarten. Bri lenkte ihr Pferd zur Seite und wartete im hohen Gras. Sie betete, dass alle Schlangen, die sich zwischen den sonnenerwärmten Felsen versteckten, davongekrochen waren. Das Letzte, was sie brauchte, war, von einem verängstigten Pferd abgeworfen zu werden.

»Wie ich schon sagte, du bist in Schwalbheim nicht willkommen«, zischte der Sohn. Der jugendliche Trotz in seinen Augen brachte Bri zum Schmunzeln.

»Ihr seid wirklich ein mürrischer Haufen.« Mit einer geschmeidigen Bewegung stieg sie von ihrem Pferd ab. Sie rollte mit den Schultern, griff nach dem Halfter des Pferdes, das vor den Wagen gespannt war, und führte es vorwärts. Sie schnalzte mit der Zunge. »Komm, los geht’s.«

»Halt!«, brüllte der Vater und zerrte an den Zügeln des Pferdes.

Der Sohn sprang von seinem Sitz, und Bri grinste in der Hoffnung, er könnte so leichtsinnig sein, sie anzugreifen.

»Mist«, knurrte der Hintere, hüpfte von der Ladefläche des Wagens und rannte zu seinem Freund, um ihm den Rücken zu stärken. Der Vater fluchte leise vor sich hin und kletterte widerstrebend ebenfalls herunter.

Was war das nur mit Männern und Handgreiflichkeiten? Jede Tavernenschlägerei endete auf diese Weise – ein Idiot verstärkte die Dummheit des nächsten, bis schließlich ein chaotischer Mob tobte.

»An jedem anderen Tag würde ich nachsichtig sein, Freunde.« Bri grinste, als sich der erste Fae auf sie stürzte. In den letzten zwei Tagen hatte sie wegen des ständigen Umherreisens keine Gelegenheit zum Trainieren gehabt. Normalerweise würde sie ihm ein paar Schwinger verpassen und seine unvorsichtigen Bewegungen berichtigen, selbst wenn sie ihn besiegt hätte, aber nicht heute. Sie musste den Palast erreichen und herausfinden, wie schlimm die Lage nach dem Angriff war.

Die Königin des Westlichen Hofes war tot. Das war alles, was Bri mit Sicherheit wusste. Delta hatte sie durch die magischen Fae-Feuer verzweifelt um Hilfe angefleht. Bri hatte sich bereits an der Grenze zum Westlichen Hof aufgehalten und in Valtene gegen Balorns verfluchte blaue Hexen gekämpft. Der Schmerz dieser Schlacht pochte noch immer in ihren Muskeln, selbst als sie eilig in Richtung der westlichen Hauptstadt ritt.

Der jüngste Fae schlug wild nach ihr, und Bri wich ihm mit Leichtigkeit aus. Sie wartete, bis sein Schwung ihn zur Seite riss, bevor sie einschritt und ihm einen schnellen Hieb versetzte. Sie erwischte seinen Kiefer und trat ihm zur Sicherheit in den Magen. Er fiel rückwärts ins Gebüsch und stöhnte, während er sich den Bauch hielt. Er würde schnell wieder auf den Beinen sein, aber er war klug genug, liegen zu bleiben.

Eine Hand landete auf ihrer Schulter, und sie packte das Gelenk. Instinktiv verdrehte sie es so weit, bis ihr Angreifer aufschrie wegen des unnatürlichen Winkels, in dem sein Arm sich befand. Er war nicht ausgekugelt, aber es würde in den nächsten Wochen jedes Mal schmerzen, wenn er ihn benutzte. Sie hatten keine Ahnung, wie viele Jahre sie und ihr Zwillingsbruder Talhan damit verbracht hatten, diese Bewegung zu perfektionieren. Sie fegte ihm das Bein unter dem Körper weg, und er knallte auf den Kies. Weiße Staubwolken wirbelten um ihn herum auf, als Bri zu dem Vater aufblickte.

Dieser hielt ihr seinen Dolch entgegen und staunte nicht schlecht über die Geschwindigkeit, mit der sie seine Kameraden außer Gefecht gesetzt hatte.

»Ich will dir nicht wehtun«, sagte sie und schaute finster auf den Fae, der seinen Arm umklammerte, und den anderen, der stöhnend im Gebüsch kauerte. Sie musterte den silberhaarigen Fae und seinen Dolch, dann sprach sie mit bedrohlicher Stimme weiter: »Du kannst deinen Wagen wegfahren, oder ich mache das für dich. Wofür entscheidest du dich?«

Er schluckte, und seine Hände zitterten, als er den Dolch in die Scheide schob. Die beiden verletzten Männer standen auf und eilten zurück zum Karren.

Bri nickte. »Gut.«

Sie stieg auf ihr Pferd, das hastig im Strauchwerk gegrast hatte. Wenn dieses Pferd zu erschöpft war, um mit ihrem anstrengenden Tempo mitzuhalten, war es vielleicht besser, in der nächsten Stadt ein neues Pferd zu stehlen, als zu versuchen, eines zu kaufen. Sie durfte nicht anhalten, und sie wollte nicht, dass wegen ihres unverwechselbaren Gesichts in jeder Stadt, an der sie vorbeikam, ein neuer Kampf angezettelt wurde. In den Wäldern im Schlagschatten des Hohen Gebirges lebten hauptsächlich Menschen des Westens und Hexen. Sie schenkten Bri kaum Beachtung, aber als die Wälder in eine ausgedehnte Savanne übergingen, tauchten entlang der Straße nach Schwalbheim immer mehr Fae-Städte auf. Je näher sie der Hauptstadt kam, desto stärker würde ihre Anwesenheit unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Der Klang von Deltas flehender Stimme schallte ihr durch den Kopf. Ich brauche deine Hilfe, Bri, bitte. Sie hätte einen Berg voll Gold darauf verwettet, dass Delta diese Worte unter normalen Umständen niemals in den Mund genommen hätte. Der Angriff auf den Palast des Westlichen Hofes musste verheerend gewesen sein. Wie viele Verräter hatten den Hof von Königin Thorn infiltriert? Bri würde sich vor ihnen allen in Acht nehmen müssen.

Als der Wagen das Nadelöhr passierte und ihr den Weg frei gab, wappnete sich Bri für das, was vor ihr lag. Wenn es sein musste, würde sie sich durch die Hauptstadt kämpfen, um zu Delta zu gelangen. Die Meuchelmörder der Königin waren nie gefunden worden, und die Prinzessin hatte den Angriff nur knapp überlebt. Bri musste den Palast erreichen, bevor die Verräter zurückkamen, um zu beenden, was sie begonnen hatten.

Sie war mehr als reif dafür, diese Reise zu beenden und sich den Pferdegestank herunterzuwaschen, aber der Anblick ihres Geburtsortes brachte ihr keine Erleichterung. Die Landschaft wechselte von frostbedeckten Wäldern zu trockener roter Erde, auf der dornige Sträucher sprossen. Die Sonne brannte auf Bri herab und vertrieb die Winterkälte. Sie entledigte sich ihres Umhangs und trieb ihr müdes Pferd in Richtung der hohen Sandsteinmauern, während sie sich für ihr Vorhaben verfluchte. Wieder einmal erinnerte sie sich daran, wer sie für diese Leute war. Briata Catullus war eine Feindin, die schon am ersten Tag ihrer Existenz verbannt wurde.

Ein riesiges bronzenes Tor beschirmte die Hauptstraße nach Schwalbheim. Bri spähte zwischen den Lücken des Gitterwerks hindurch und blickte auf die Stadt dahinter. Dächer, die wie Pilzköpfe anmuteten, lugten im Stadtbild hervor und wurden in konzentrischen Ringen zur Mitte hin immer größer. Die weißen Lehmdächer waren mit silbernen und goldenen Kringeln verziert, die mit den Symbolen der einzelnen Haushalte bemalt waren. Jenseits der Stadtmauern, hoch oben auf der Klippe, thronte der Palast.

Das Schloss aus braunem Stein hatte die Form eines Sechsecks mit sechs hohen Türmen, deren nadelförmige Bronzetürme in den Himmel ragten. Vom nächstgelegenen Turm wehte nur eine Fahne, die das Westliche Wappen trug – einen Widderschädel über gekreuzten Äxten. Das Dach des Palastes flimmerte in verschiedenen Grüntönen, während sieben Bäume aus dem Gebäude herauswuchsen und ihre Äste wie Wolken über die goldenen Ziegeldächer wogten. Jeder der fünf Paläste in Okrith spiegelte den Stil seines Hofes wider, aber das hier … Etwas in Bris Brust zog sich zusammen, während sie es betrachtete. Dieser Ort war anders.

Ein Wächter trat auf der anderen Seite des Stadttors hervor und lenkte Bris Aufmerksamkeit von dem Palast weg. Seine Augen weiteten sich, als er sie musterte. »Die Adlerin«, knurrte er und sprach Bris Spitznamen mit einem gemurmelten Fluch aus. »Du solltest nicht hier sein.«

Eine Schurkin, die die Krone der Westlichen Königin an sich reißen wollte – das dachten sie alle von ihr.

»Wenn ich jedes Mal eine Münze bekäme, wenn ich das höre«, brummte Bri und wischte sich über die Stirn, während die heiße Mittagssonne auf sie niederbrannte. Sie setzte ihre geübte Miene der Gleichgültigkeit auf und wandte sich an die Wache. »Du irrst dich. Ich wurde von Delta Thorn herbeordert.«

Er hielt inne und erwog ihre Worte mit finsterem Blick. »Die Kommandantin wurde in dieser Nacht fast getötet. Wahrscheinlich hat sie wegen der Schmerzen halluziniert.«

Bri zupfte an der verschwitzten Tunika, die an ihrer Brust klebte. »Sehe ich so aus, als würde ich in die Schlacht reiten?«

»Du verträgst die Sonne des Westens nicht, Verräterin«, höhnte die Wache.

»Man gewöhnt sich daran«, rief eine Stimme hinter ihr.

Ein unglaublich großer Mann mittleren Alters ritt auf sie zu. Er war schlank und saß kerzengerade auf seinem Pferd. Seine blasse Haut war auf Wangen und Nase verbrannt. Bri betrachtete seine zimtbraune Tunika und den Totembeutel, den er um den Hals trug – ein Hexer, wahrscheinlich ein brauner Hexer, immerhin war dies sein Heimathof.

»Lady Catullus wird hier gebraucht. Ich habe sie um Hilfe gebeten.« Der Hexer wandte sich an die Wache. »Lass uns bitte rein, Lifa. Ich werde sie persönlich zum Schloss begleiten.«

Der Wächter hielt inne, beäugte den braunen Hexer und richtete seine Aufmerksamkeit dann wieder auf Bri. Er spuckte auf den Boden, verschwand aber trotzdem hinter den Sandsteinmauern, um das Tor zu öffnen. Bri zog die Augenbrauen hoch. Ein Fae-Wächter, der Befehle von einem Hexer entgegennahm? Wer auch immer dieser Typ war, er musste wichtig sein.

»Danke«, brummte Bri.

Das Bronzetor ruckelte und stieg unter lautem Quietschen langsam nach oben. Bri starrte auf die spitzen Zähne des Tores, die sich in den Himmel hoben. Sie wollte nicht darunter hindurchreiten, aber als der Hexer sein Pferd anspornte, folgte sie ihm und war erleichtert, dass das Tor nicht auf sie herabstürzte.

Bri zwinkerte der stirnrunzelnden Wache zu und lenkte ihr Pferd über die Hauptstraße ins Herz der Stadt. »Vielen Dank, dass du das tust«, sagte sie und ließ ihr Pferd zu dem braunen Hexer aufschließen.

Der Hexer strich sich das strohblonde Haar aus der Stirn und rückte seine goldene Brille zurecht. »Dieser Wächter weiß nicht, wie nötig deine Anwesenheit ist«, antwortete er und richtete seinen Blick auf sie. »Ich bin Cole, der oberste Heiler der königlichen Familie.«

Sie sah ihn scharf an. »Eine männliche Hexe, die so mächtig ist, dass er der oberste Heiler sein darf? Ich bin beeindruckt.«

»Du wirst feststellen, dass die Grenzen zwischen uns weitaus verwaschener sind, als es unsere Sprache erlaubt.« Um Coles himmelblaue Augen bildeten sich Fältchen. »Zu sagen, dass es keine mächtigen männlichen Hexen gibt, ist genauso lächerlich, wie zu sagen, dass es keine mächtigen weiblichen Krieger gibt.«

»Ich mag dich, Cole.« Bri schnaubte. »Ich verstehe, warum Königin Thorn dich ausgewählt hat.«

Er schaute zu einem Baum, der das Dach des Palastes überragte, und flüsterte das westliche Gebet: »Auf dass wir ihren Geist in den raschelnden Blättern sehen.« Er trug es in der Gemeinsprache Ific vor, aber sie erkannte, dass es aus der Hexensprache Mhenbic übersetzt war.

»Mein Beileid zu deinem Verlust.« Bri senkte den Kopf. »Ich bin sicher, du bist nach dem Angriff völlig erschöpft. Wie viele wurden verletzt?« Wenn jemand über die Schwere der Verletzungen Bescheid wusste, dann war es der Oberheiler.

»Es war schlimmer, als der Rat behauptet hat«, murmelte er und ließ seinen Blick über die ruhigen Straßen schweifen. Er lenkte sein Pferd in eine Seitenstraße und entfernte sich von den geschäftigen Marktständen, die vor ihm lagen.

Bris Pferd folgte ihm und trabte über die weizenfarbenen Ziegelsteine. »Wie viele Verluste?«

»Zwölf«, antwortete Cole. »Und dazu jede Menge Verletzte.« Er klopfte auf die Satteltasche. »Ich komme gerade aus den Bergen. Wir brauchten mehr Vorräte, als unsere Gärten hergeben, selbst mithilfe grüner Hexenmagie.« Sein Tonfall war ruhig und warm, so wie es unter Heilern üblich war.

Im Palast des Westlichen Hofes gab es wahrscheinlich Hexengespanne von jeder Farbe – grüne Hexen, die Gärten anlegten und köstliche Speisen zubereiteten, braune Hexen, die Heilelixiere herstellten, rote Hexen, die Gegenstände beleben konnten, und blaue Hexen, die die Zukunft vorhersahen. Die violetten Hexen des Ostens waren schon lange verschwunden … zumindest hatte Bri das gedacht. Sie erschauderte, als sie an den violetten Rauch dachte, der während der Schlacht in Valtene den Himmel erfüllt hatte. Welchen uralten Zauber hatte Augustus Norwood angezapft, um Heerscharen von Hexen zu verfluchen und giftigen Rauch zu erzeugen? Schlimmer noch, er war nach der Schlacht nicht mehr aufzufinden gewesen. Er war mit seinen verbliebenen Soldaten geflohen und mit seiner Armada auf das Kalliphoische Meer hinausgesegelt.

Bri betrachtete die tiefen Furchen in der Straße, riesige Rinnen, die zu riesigen Abflüssen führten. Der Südliche Hof wies ähnliche Konstruktionen auf, obwohl sie sich nicht sicher war, ob im Westen die gleichen Monsune auftraten. Doch die tiefen Rinnen sagten ihr genug – wenn es regnete, regnete es stark.

»Delta? Wie geht es ihr?«

Cole räusperte sich. Seine Miene verfinsterte sich, und Bri griff die Zügel fester. Es war also schlimm.

»Ich habe es ernst gemeint, als ich sagte, dass du hier gebraucht wirst«, entgegnete er. »Delta braucht dringend Hilfe, aber … Ich glaube, sie wartet, bis du kommst, damit ich …«

Bris Puls trommelte in ihren Ohren. »Damit du was?«

Sein Blick fiel auf seine Hände. »Ihr Arm wurde während des Kampfes fast abgetrennt. Sie hat kein Gefühl mehr darin … Er muss abgenommen werden.«

Unglaube durchströmte sie. »Nein.«

Delta würde am Boden zerstört sein. Ihr größter Stolz war es, Kommandantin der Wache der Königin zu sein. Bris Gedanken wirbelten umher, und sie suchte krampfhaft nach einer Möglichkeit, diesen Schock zu lindern. Delta konnte immer noch kämpfen. Sie konnte den einhändigen Kampf trainieren. Es würde alles gut werden, versuchte Bri sich selbst zu beruhigen.

»Sie wird es nicht zulassen«, sagte Cole, wobei die Wärme in seiner Stimme bemüht klang. »Ich glaube, sie wartet auf dich.«

Bri tippte ihr Pferd mit der Wade an, um es zur Eile anzutreiben. Sie beschleunigten und passierten den Stadtrand, wo sie nur von ein paar neugierigen Blicken verfolgt wurden.

»Du willst, dass ich sie überzeuge, ihren Arm amputieren zu lassen?« Bri konnte es noch immer nicht fassen.

»Ich kann die Wunde nicht auf ewig heilen. Dafür gibt es nicht genug Chae-Holz in den gesamten westlichen Wäldern.« Cole stieß einen frustrierten Seufzer aus, da er dieses Gespräch offensichtlich schon einmal geführt hatte. »Die Fae-Heilung kann nur begrenzt etwas ausrichten. Unbehandelte und nicht geheilte Wunden werden einen trotzdem umbringen.«

Mit verengten Augen musterte Bri das über ihnen aufragende Schloss, rieb sich mit einer Hand über die verspannten Nackenmuskeln und seufzte. Delta war die sturste Soldatin, noch schlimmer als Bri selbst.

Sie trabten durch das offene Stadttor und den Weg hinauf in Richtung des Palastes. Eine Ziegenherde trottete zwischen den goldenen Büschen umher. Der Weg verengte sich und bildete eine Brücke, während die Landschaft zu beiden Seiten des Weges steil abfiel. Auf dem Hochplateau war der Palast rundherum geschützt. Die Angreifer mussten sich demnach als Wachen oder Bedienstete getarnt eingeschlichen haben. Eine Kavallerie würde auf keinen Fall unbemerkt über diese Brücke gelangen, und es wäre ein unmöglicher Aufstieg, um die Klippen rund um das Palastgelände zu erklimmen.

Sie blickte über die hügelige Landschaft voller Pflanzen mit gezackten Blättern und spindeldürrer Bäume, die sich bis zu einem saphirblauen Streifen erstreckte. Goldene Sandstrände lockten mit den schaumgekrönten Wellen des Ozeans dahinter. Sie fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis sie zum Meer reiten konnte. Die Hitze ließ die Landschaft wie eine Fata Morgana flimmern und machte den Gedanken an ein erfrischendes Bad nur noch verführerischer.

Bri entdeckte eine Silhouette in den Gärten, eine einsame Person, die zum Horizont starrte.

»Und die Prinzessin? Geht es ihr gut?«

»Ich glaube, alle sind noch von der Ermordung ihrer Mutter geschockt«, erwiderte Cole diplomatisch. »Ich habe den Mitgliedern des Rates viele Mittel verschrieben, um deren Nerven zu beruhigen … aber die Prinzessin hat keines davon angenommen.«

Bri verstand die Bedeutung, um die Cole vorsichtig herumschlich: Prinzessin Abalina war zwar unverletzt, doch noch lange nicht gesund und offenbar genauso stur wie ihre Cousine, wenn es darum ging, Hilfe anzunehmen.

Sie fragte sich, ob Abalina immer noch so aussah wie früher. Es war viele Jahre her, dass die Prinzessin an einer königlichen Veranstaltung an einem anderen Hof teilgenommen hatte. Abalina war in der Nacht von Neelos Pokerspiel in Saxbrynt dabei gewesen, aber Bri und Tal hatten im Salon ein Stockwerk tiefer gewartet und die Prinzessin nie zu Gesicht bekommen. Bris Magen zog sich zusammen, als ihre Gedanken zu ihrem Zwilling wanderten. Sie hatten sich schon öfters gestritten, aber nicht so wie jetzt. Talhan hatte sie angeschaut, als wäre sie eine Verräterin, weil sie nach Schwalbheim gegangen war.

Sie schüttelte den Gedanken ab und drehte sich wieder zu Cole um. »Hat man einen der Angreifer gefangen?«

»Keinen, der noch am Leben ist.« Cole rückte seine Brille zurecht und neigte den Kopf, um die Sonne nicht in die Augen zu bekommen. »Es waren aber Dutzende von ihnen. Einige sind entkommen.«

»Bei den Göttern«, stöhnte Bri.

»Die Hexenjäger waren schon immer ein Problem, das die Königin bequemerweise ignoriert hat.« Coles Ton wurde rauer. »Sie verdienten gutes Geld, und der Westen war von den Nachwirkungen von Yexshir weitgehend verschont geblieben. Ich verstehe, weshalb die Königin das getan hat, denn wenn sie sie aufgehalten hätte, hätte sie sich Hennen Vostemur zum Feind gemacht.«

Bei dem Namen des gefallenen Königs aus dem Norden zog Bri eine Grimasse. Sein Schatten lastete noch immer auf Okrith, selbst nach seinem Tod. Seine Tyrannei hallte in allen Königreichen wider, und sein Tod legte Wunden frei, die jahrelang geschwärt hatten.

»Sie hätte trotzdem die Kontrolle über die Hexenjäger erlangen sollen«, sagte Bri.

»Da stimme ich zu.« Cole seufzte. »Sie hat zugelassen, dass so viele ihres Volkes starben – Menschen, Fae und vor allem Hexen.« Seine Stimme sank zu einem Flüstern, und Bri fragte sich, was mit seiner eigenen Familie passiert war, dass er so hohl klang. »Diese Hexenjäger sind tollwütige Fanatiker, und es ist an Prinzessin Abalina, sie zu zähmen.«

Als sie näher kamen, bemerkte Bri die schwarzen Schleier, die durch die offenen Fenster wehten und die Sonne verdeckten. Im Palast herrschte Trauer, denn die Königin war von den Monstern ermordet worden, die sie selbst geschaffen hatte. Bri biss die Zähne zusammen und trieb ihr Pferd über die schmale Landbrücke auf die Klippe zu. Jetzt war es zu spät, um umzukehren.

KAPITEL 2

Bri folgte dem buckligen Diener durch die dunklen Gänge, ihre Schritte hallten auf dem Steinboden wider. Cole hatte sich in den Ställen hastig verabschiedet und den nächstbesten Diener damit beauftragt, sie in ein Gästezimmer zu führen. Zu zweit durchschritten sie die unheimliche Stille, in der die Nachwirkungen des Angriffs noch am Stein zu haften schienen. Bri rollte die Schultern und schob die Riemen ihres schweren Rucksacks zurecht, damit sie nicht an ihrer schweißnassen Tunika scheuerten. Der Diener hatte ihr nicht angeboten, den Rucksack für sie zu tragen, aber sie hätte es ihm ohnehin nicht erlaubt.

»Ich hätte nie gedacht, dass ich den Tag erlebe«, sagte er mit einem Kichern. Sie verdrehte die Augen. Sogar die Dienerschaft riss ihre Witze. »Eine Catullus in Schwalbheim … Vielleicht bin ich ja bei dem Angriff gestorben, und das hier ist das Jenseits.«

»Wie viele Angreifer waren es?« Bri ließ ihren Blick durch jeden Raum schweifen, den sie passierten, und prägte sich jeden Gang und jede Tür ein. Es gab keine Anzeichen eines Kampfes, keine zerbrochenen Fenster oder eingeschlagenen Türen. Sie musste so viele Berichte wie möglich über den Angriff hören. Jeder der Überlebenden würde eine geringfügig andere Geschichte erzählen. Angesichts der panikartigen Angst würden sie die Details übertreiben, und sie musste herausfinden, womit sie es wirklich zu tun hatten.

»Ein Dutzend, nicht viele«, brummte der Mann. »Erst nachdem die Königin vergiftet wurde, haben sie angegriffen und versucht, auch Prinzessin Abalina zu töten.«

»Vergiftet?« Bri hob die Augenbrauen, als wäre das eine neue Information. »Was für ein Gift?«

»Das wissen sie noch nicht.« Der Mann zuckte mit den Schultern und bog in einen düsteren Flur ein. »Der braune Hexenheiler versucht immer noch herauszufinden, was sie benutzt haben. Drei andere Fae am Esstisch sind auch tot, aber …« Er hielt inne und beugte sich vor, um den Klatsch auszuplaudern, und Bri musste sich ein Grinsen verkneifen, weil sie ihn so leicht an die Angel bekommen hatte. »Es gibt immerhin Vorkosterinnen. Das Gift kann also nicht in der Mahlzeit selbst gewesen sein.«

»Wo dann?« Bri machte sich eine Notiz, um mit diesen Vorkosterinnen zu sprechen. »War irgendetwas in der Luft?«

»Es waren noch andere im Raum, denen es gut ging«, sagte er. »Manche behaupten, es war ein magischer Fluch, der das verursacht hat.«

»Ich habe noch nie von einem solchen Fluch gehört«, murmelte Bri und lockte ihn so auf ihre Seite.

»Ich auch nicht«, antwortete er. »Aber es sind seltsame Zeiten, in denen wir leben. Die dunkle Magie wird wiedererweckt. Wer weiß, welche Magie die Angreifer benutzt haben könnten?«

Sie betrachtete ihn – seinen kahlen Kopf und den struppigen Bart. Hatte er von den Kämpfen mit Balorn Vostemur und Augustus Norwood in Valtene gehört? Hatte sich die Nachricht von der seltsamen Magie, die in Okrith wieder zum Leben erwacht war, bis nach Schwalbheim herumgesprochen? Wenn Norwoods violetter Rauch die Luft verpesten konnte, wer wusste schon, welche anderen Gifte er beschwören konnte? Rua schien zu glauben, dass die Ermordung der Königin sein Werk war.

»Habt ihr welche am Leben gelassen?«, fragte Bri und kniff die Augen zusammen, als ob sie die Antwort noch gar nicht kannte.

»Nein.« Der Mann kicherte. »Sie hat das Ende ereilt, das sie verdient haben.«

»Dieser Mangel an Zurückhaltung könnte noch mehr Leuten das Leben kosten.« Die Wut verwandelte sie alle in Narren. Sie machte die Rachsüchtigen blind, bis sie sich selbst verletzten, bloß um ihr Recht einzufordern. »Wie können wir wissen, was sie planen, wenn es niemanden mehr gibt, den wir befragen können?«

Er bog auf eine Wendeltreppe ab, wobei seine offenen Sandalen über jede Stufe schrammten. »Der Rat der Königin stellt Untersuchungen an.«

Bri schnaubte. »Untersuchungen.«

»Vielleicht sind sie leistungsfähiger, wenn eine Goldadlerin hier ist«, erwiderte er sarkastisch.

»Du bist sehr unverblümt mit deiner Meinung.« Bri schüttelte sich, als würde sie die Federn sträuben. »Sprichst du auch so unverfroren mit Ihrer Majestät?«

»Du bist nicht meine Königin.« Er gluckste viel herzhafter, als es nötig gewesen wäre, um seinen Standpunkt klarzumachen. »Du bist nicht einmal eine Landsfrau. Du bist hier eine Fremde. Es spielt keine Rolle, dass du eine Fae bist und ich ein Mensch. Ich bin ein Westländer und du nicht.«

»Ihr Götter, ich hab’s verstanden.« Bri rollte die Schultern, so wie sie es immer tat, wenn sie sie zu verkrampft zu ihren Ohren hochzog. »Bist du immer so?«

Seine Lippen kräuselten sich. »Ja.«

»Wo ist Delta?« Diese Frage brannte ihr auf der Zunge, seit sie von ihrem Pferd abgestiegen war. Trotz ihrer Verletzungen hatte Bri erwartet, dass die Kommandantin sie begrüßen würde, zumal es Delta war, die sie angefleht hatte herzukommen.

»Sie ist im Moment sehr beschäftigt.« Sie erreichten den vierten Stock, und der Mann keuchte, als hätte er gerade einen Berg erklommen. Er humpelte den halben Flur hinunter und gestikulierte dann zu einer Tür. »Euer Zimmer, Mylady.«

Bei der Anrede runzelte Bri die Stirn, nickte aber kurz und warf ihm eine Goldmünze zu. Noch während er die Münze in der Luft auffing, drehte er sich bereits um. Sie seufzte angesichts seines eisigen Empfangs, doch sie musste die Meuchelmörder finden, um diesen seltsamen und ungastlichen Ort zu verlassen.

Bri schloss die Tür und ging durch einen kleinen Flur in ihr Zimmer. Der Steinboden wich großen Terrakottafliesen. Sie schienen perfekt zu sein, um sich in der Wintersonne aufzuwärmen und in den heißen Sommern kühl zu bleiben. Die Abdeckungen vor den Fenstern hielten den Raum frisch, da sie die starken Strahlen der westlichen Sonne abfingen.

Das gefilterte Licht warf lange Schatten auf die Sitzecke. Kräftige Muster aus Schwarz, Creme und Bronze zierten die Möbel. Der Raum triefte geradezu vor den Insignien des Westlichen Hofes, von den fein gearbeiteten Vasen bis zu den gemusterten Stoffen in Erdtönen. Obwohl die Königin Bris Familie aus dem Westen verbannt hatte, hatten sich im Laufe der Jahre Schmuckstücke vom Westlichen Hof in ihrem Haus angesammelt – bemalte Tongefäße, geflochtene Korbmöbel und farbenfrohe Wandteppiche in den Bronzefarben des Westens. Die Einrichtung kam ihr gleichzeitig fremd und seltsam vertraut vor.

Von der anderen Seite des Raumes ertönte ein Rascheln, und Bri spähte mit verengten Augen auf die Tür, von der sie annahm, dass sie zu ihrem Schlafzimmer führte. Es konnte ein Vorhang sein, der im Wind wehte … oder ein Meuchelmörder. Immerhin war der Königin gerade der Garaus gemacht worden. Sie konnte gar nicht vorsichtig genug sein.

Ihr Rucksack landete mit einem dumpfen Schlag auf dem Boden. Gleichzeitig zog sie den Bernsteindolch, der an ihrer Hüfte befestigt war, aus der Scheide. Mit leisen Schritten näherte sie sich der Tür und bereitete sich auf den Kampf mit dem Eindringling vor, während sie den Knauf drehte.

Als sie die Tür aufstieß, traute sie ihren Augen kaum.

Carys lümmelte in einem Sessel und wirbelte mit ihrem Messer herum. Ein schelmisches Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als sie Bri ihre Aufmerksamkeit zuwendete. »Freust du dich, mich zu sehen?«

»Wie, im Namen aller Götter, konntest du vor mir hier sein?« Bri strauchelte bei ihren Worten, während ihr Verstand sich überschlug, um Schritt zu halten. »Und was machst du überhaupt hier?«

»Du bist so versessen darauf, dich vom Westen fernzuhalten, dass du gar nicht so genau weißt, wie man sich dort zurechtfindet. Es ist nur ein Tagesritt von Valtene entfernt, wenn du die richtigen Straßen kennst.« Carys zwinkerte. »Ich habe Talhans Gesicht gesehen, als er in die Taverne zurückkehrte, nachdem du gegangen warst, und ich habe ihn dazu gebracht, mir alles zu erzählen.« Sie schwang ihre Beine von der Sessellehne und stellte die Füße auf dem Plüschteppich ab. Carys drehte ihr Messer in der Hand. »Du dachtest, du könntest einfach verschwinden, ohne dass ich es merke? Ich?«

»Carys …«

»Nein«, unterbrach sie Bri, während sie ihr Messer einsteckte. »Ich habe dich mit Rua nach Norden gehen lassen, aber das hier? Das ist Schwalbheim, Bri. Das ist der Ort, den du dein ganzes Leben lang gemieden hast, und ich lasse nicht zu, dass du dich ohne mich in den Schlund dieser Bestie stürzt.«

Mit einer Hand fuhr sich Bri über das Gesicht. »Was ist mit dem Hof des Ostens? Solltest du nicht die Wahl eines neuen Oberhauptes beaufsichtigen?«

»Der Rat ist jetzt dort versammelt. Sie können die meisten Dinge regeln, außerdem wird Talhan auch dabei sein, sobald er sich erholt hat.« Carys zuckte mit den Schultern, als ob es so einfach wäre.

Bri runzelte die Stirn. »Tal wird dem Rat helfen?«

»Sein schlimmster Albtraum, nicht wahr?« Carys gluckste. »Aber er wird ein Auge auf die Dinge haben, während wir uns um den Westen kümmern. Im Moment ist er nicht in der Lage, gegen jemanden zu kämpfen. Außerdem wurde Augustus Norwood zuletzt gesehen, als er an der Westküste aufs Meer hinausfuhr. Hier zu sein, ist auch für mich von strategischer Bedeutung. Ich werde nach Norwood Ausschau halten, während du Delta hilfst, die Hexenjäger unter Kontrolle zu bringen.«

Bris Mundwinkel verzogen sich nach unten, während sie zum Bett schlich. Sie ließ sich auf der Kante nieder und senkte seufzend für einen Moment den Kopf. »Sie sind keine Hexenjäger mehr. Sie jagen jetzt königliche Fae.«

»Was hat Augustus ihnen versprochen, damit sie ihre eigene Königin töten?«, grübelte Carys.

»Das ist eine gute Frage.« Bri rieb sich den Nacken. »Ich muss Delta finden.«

»Das kann ich mir vorstellen.«

»Hör auf damit«, schnauzte Bri ihre grinsende Freundin an. »Sie war ein lustiger Zeitvertreib, sonst nichts. Mein Schicksal ist es, eine Krone zu gewinnen, keine Partnerin.«

Bri starrte auf ihre Stiefel hinunter und dachte an die Worte, die sie ihr ganzes Leben lang immer wieder gehört hatte: Die Adlerin wird dem Oberhaupt die Krone entreißen. Die Prophezeiung, die über ihr schwebte, war nun endlich weniger beängstigend, da der Östliche Thron unbesetzt war. Der Gedanke, die Krone des Ostens von dem bockigen Gör, das Augustus Norwood war, zu übernehmen, reizte sie. Es war ihr Schicksal, den Osten zu regieren, das Land, in dem sie aufgewachsen war. Sie würde die Dinge in Schwalbheim regeln und dann zum Hof des Ostens zurückkehren, um zu beweisen, dass das Schicksal recht hatte.

»Ich bin hier, um dem Westen zu helfen, und dann hau ich wieder ab«, erklärte Bri. »Delta hat damit nichts zu tun.«

Carys stand auf. »Mm-hmm.«

»Ich hasse dich.«

»Ich lieb dich auch.« Carys wuschelte Bri durch die Haare. »Jetzt lass uns etwas zu essen suchen und danach ein paar Antworten.«

Bri stand auf, schlang widerwillig die Arme um ihre Freundin und zog sie in eine feste Umarmung. »Ich bin froh, dass du hier bist.«

Carys grinste gegen ihre Schulter. »Ich weiß.«

Bri und Carys stapften durch das weitläufige Schloss und das Labyrinth der verwinkelten Treppen hinunter. Auf jedem Treppenabsatz fanden sie kurze Gänge, die sich wie die Äste eines Baumes verzweigten. Die Böden wellten sich von Stein zu Fliesen in detaillierten Mustern, sodass Bri sich fragte, wie die Leute es schafften, nicht zu stolpern.

»Das lässt die Einrichtung im Osten ziemlich dürftig erscheinen, nicht wahr?«, bemerkte Carys und betrachtete die Tische im Flur, die mit bemalten Tonvasen und dicken Duftkerzen geschmückt waren und über denen Webkunst hing. »Erinnert mich an dein Zuhause.«

»Meine Mutter hat sich im Hof des Ostens ihr eigenes kleines Schwalbheim geschaffen«, antwortete Bri und betrachtete stirnrunzelnd ein Gemälde der Savanne. Die Schlichtheit der geschnitzten Holzverzierungen im Osten ließ im Vergleich zur Wärme der westlichen Einrichtung tatsächlich zu wünschen übrig. »Sie war sich so sicher, dass das meine Bestimmung ist.«

Carys brummte zustimmend. »Was wird sie wohl tun, wenn sie erfährt, dass du hier bist?«

»Feiern«, knurrte Bri. »Ich bin sicher, sie kauft schon Kleider für eine Krönung.«

Carys trat vor Bri und brachte sie zum Anhalten. »Bist du sicher, dass du hier sein willst, Bri?«, bohrte sie nach und zog eine Augenbraue hoch. Carys war eine der wenigen Personen, die etwas über Bris Mutter wussten. Wie Bri als Kind behandelt wurde und weshalb Bri schon vor langer Zeit den Kontakt zu ihrer Mutter abgebrochen hatte. »Wir könnten jemand anderem die Aufgabe übertragen … das musst nicht du sein.«

»Du hättest Deltas Stimme hören sollen.« Bri schob ihr Kinn zur Seite. »Ich habe sie noch nie so panisch klingen hören. Niemals.«

»Manche Leute sind froh, dass du hier bist, Bri. Ich habe schon Getuschel in der Stadt gehört, bevor du überhaupt angekommen bist.« Carys warf ihr einen wachsamen Blick zu.

»Das ist das Werk meiner Mutter«, bestätigte Bri. »Sie versucht schon mein ganzes Leben lang, die Saat der Zwietracht im Westen zu säen.« Mit der Hand rieb sich Bri über das Gesicht und stieß einen frustrierten Seufzer aus. »Lass uns einfach die Krone sichern und von hier verschwinden, okay?«

Sie eilten zu den Gemächern der Königin, die leicht zu finden waren. Wachen patrouillierten an jeder Ecke entlang der Gänge bis hin zu der letzten großen Holztür. Keine einzige Wache hielt sie auf, offensichtlich waren sie über ihre Ankunft informiert worden.

Bri klopfte und trat zurück. Die Tür öffnete sich knarrend, und ein Fae-Mann mit dunkelbrauner Haut und grauem Haar spähte heraus. Er starrte sie aus seinem tief zerfurchten Gesicht an.

»Lass sie rein, Vater«, befahl eine Stimme von drinnen.

Das Gesicht verschwand aus dem offenen Türspalt, und der Raum wurde freigegeben. Es war nur ein kleines Empfangszimmer, aber dennoch elegant. Ein Dutzend Leute säumten die Wände und schauten gebannt zu, als Bri und Carys eintraten. In der Mitte des Raumes befand sich ein leerer Korbsessel, während der Rest des Rates auf den Beinen war.

»Ich hätte nie gedacht, dass ich den Tag erlebe«, sagte der Fae, der in der Mitte des Raumes stand. Er hatte hellbraune Haut, grünbraune Augen und eine charmante Ausstrahlung, wie man sie von den Höflingen gewohnt war. »Briata Catullus, bist du endlich gekommen, um die Krone zu stehlen?«

»Zum letzten Mal, ich habe kein Interesse an der Krone«, brachte Bri zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und musterte die Streitäxte, die auf seine goldene Tunika gemalt waren. »Wer bist du?«

»Verzeih mir«, sagte er mit einer Verbeugung. »Ich bin Tem, Tem Wystron.« Er wies mit einer Geste auf den ruppigen Mann, der sie hereinließ. »Das ist mein Vater, Darrow. Wir sind Mitglieder des Rates der Königin.«

»Ist Lina jetzt Königin?«, fragte Carys und stellte sich vor Bri. Der Spitzname zeugte davon, dass Carys mit Abalina vertrauter war, da sie am Südlichen Hof im Kreise des Adels aufgewachsen war. Wahrscheinlich kannte sie die Prinzessin schon ihr ganzes Leben lang, auch wenn sie mit Bri nur selten über sie sprach.

»Noch nicht«, sagte Darrow und reckte das Kinn. Er hatte eine tiefe, raue Stimme, scharf und herablassend. »Ihre Mutter ist noch nicht verbrannt, ihre Seele hat noch nicht einmal einen Fuß ins Jenseits gesetzt. Es können keine Zeremonien stattfinden, bis die Grabschleier heruntergeholt werden.«

»Ich verstehe«, flüsterte Carys, und ihre Miene wurde sanfter. »Aber es ist eine Zeit des Aufruhrs und …«

Darrow hielt seine wettergegerbte Hand hoch. »Wir müssen die Trauerzeit vor der Krönung abwarten.« Er stützte seine Hand demonstrativ auf die Lehne des leeren Korbstuhls. »Eine ganze Woche muss vergehen, bevor wir diesen Ort reinigen können.«

Eine hochgewachsene Gestalt in zimtbraunen Gewändern zog Bris Aufmerksamkeit auf sich. Cole. Er hatte sich bereits umgezogen und war in die Ratskammer gekommen. Er sah aus, als ob er etwas sagen wollte, aber er hielt seine Zunge im Zaum.

Carys warf einen Blick in die Menge der schweigenden, misstrauischen Gesichter. »Wo ist Lina?«

»Die Prinzessin hat sich unwohl gefühlt und sich heute Abend früh zurückgezogen«, erklärte Tem und schaute zu Cole, der ihm zunickte. »Ich bin sicher, dass es ihr morgen besser geht.«

»Dann werden wir morgen mit ihr sprechen«, sagte Carys entschlossen.

Bri trat von einem Fuß auf den anderen. Sie wusste, was ihre Freundin meinte: Es waren zu viele Leute hier, um offen darüber zu sprechen, was passiert war.

»Was immer ihr zu sagen habt, könnt ihr auch vor dem Rat äußern.« Tem machte eine Geste, die den Raum umfasste. »Wir können eure Worte an Ihre Hoheit weitergeben.«

»Es ist schon in Ordnung, Tem«, sagte Darrow mit giftigem Ton in der Stimme, während er Bri anstarrte. »Sie werden nicht lange bleiben. Wir brauchen keine Hilfe von Fremden.«

Das Wort kratzte über Bris Haut. Sie verstand die Warnung des Ratsherrn als das, was sie war – Bri gehörte nicht in den Westen. Ihre Mutter hatte sie zwar am Hof des Westens zur Welt gebracht, doch das machte sie noch lange nicht zu einer Westländerin, auch wenn ihre Mutter sich sehr darum bemühte, es so aussehen zu lassen. Denn sie war wie eine Westliche Prinzessin erzogen worden. Ihre überhebliche Mutter hatte sie weitaus intensiver in der Kunst des königlichen Lebens unterrichtet, als es Talhan im Umgang mit dem Schwert vergönnt gewesen wäre. Mit ihren kurzen Haaren, der muskulösen Statur und ihrer Vorliebe für Tuniken und Kampfleder anstelle von Kleidern und Bändern war Bri nicht die Person, die ihre Mutter in ihr sehen wollte.

»Dann besprechen wir eure Angelegenheiten morgen beim Frühstück«, sagte Tem, der beide Parteien mit einer leichten, routinierten Anmut bändigte. Er machte einen Schritt auf seinen Vater zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

Darrow schloss die Augen und nickte. »Ihr könnt euch auf eure Abreise am Morgen vorbereiten.« Er winkte mit der Hand und entließ sie.

»Gut«, presste Bri hervor, drehte sich um und ging, ohne sich zu verbeugen. Wenn sie ihr nicht einen Funken Respekt zollten, würde sie deren Beispiel folgen.

»Hältst du das immer noch für eine gute Idee?«, murmelte Carys und eilte ihr hinterher, als sie den Flur hinunterrauschten.

»Es war nie eine gute Idee«, brummte Bri. »Aber wir machen es trotzdem.«

»Wohin gehen wir?«, fragte Carys, ohne ihr von der Seite zu weichen, als sich Bri in die entgegengesetzte Richtung wandte, aus der sie gekommen waren.

Sie ballte die Fäuste an ihrer Seite. »Wir suchen Delta.«

KAPITEL 3

Stirnrunzelnd betrachtete Carys den schwarzen Stoff, der in den Flur wehte. »Ich habe geträumt, dass mich jemand mit einem dieser Dinger erwürgt hat.«

»Erinnere mich daran, dir vom Tempel von Hunasht am Nördlichen Hof zu erzählen. Diese Leichen …«

»Nein, das will ich gar nicht wissen«, schnitt Carys ihr das Wort ab. »Remy hat mir schon erzählt, was du ihr berichtet hast, und das hat mich bereits in meinen Träumen heimgesucht. Ich brauche nicht noch die Bri-Version.«

Ein Diener hatte ihnen den Weg zu Deltas Quartier gezeigt, das nicht weit von dem der Königin entfernt war. Sie erreichten die Tür am Ende des düsteren Gangs. Bri wollte gerade anklopfen, doch noch bevor ihre Fingerknöchel das Holz berührten, öffnete eine schüchtern wirkende Fae die Tür. Ihr dunkelbraunes Haar umrahmte ihre spitz zulaufenden Ohren, während sie aus großen Rehaugen zu ihnen aufblickte.

Ein Grinsen umspielte Bris Lippen. Das war genau Deltas Typ – schön und grazil. Wahrscheinlich kam die Fae gerade von einem mittäglichen Stelldichein. Sie würde es Delta zutrauen, selbst auf dem Sterbebett um Geliebte zu buhlen.

»Oh«, sagte sie und hielt auf der Schwelle inne. »Kann ich euch behilflich sein?«

Bri lächelte wissend. »Wir suchen nach Delta.«

»Sie ist drinnen.« Die Fae zog die Stirn kraus. »Ich war gerade dabei zu gehen.«

Bri schluckte ihr Kichern hinunter.

»Seid ihr Freundinnen von Delta?«, fragte sie und schaute zwischen den beiden hin und her.

»Gut möglich«, gab Bri zurück. »Wer bist du?«

»Ich bin Saika«, antwortete sie und strich sich eine mit Silberfäden umwickelte Haarsträhne hinters Ohr. »Deltas Ehefrau.«

Ehefrau.

Die Worte trafen Bri wie ein Schlag in die Magengrube. Noch nie zuvor hatte Delta eine Ehefrau erwähnt. War die Beziehung frisch? Wie frisch? Delta und Bri waren gerade erst zur Wintersonnenwende zusammen gewesen … Sie starrte Saika stumm an und versuchte, ihren Gesichtsausdruck neutral zu halten, während sie ihre Erinnerungen durchging. Delta hatte eine Frau?

»Oh, wie reizend«, bemerkte Carys, die sich schneller als Bri von ihrem Schock erholt hatte. »Wie lange seid ihr schon zusammen?«

Bri schickte ihrer Freundin ein stummes Dankgebet, da ihr jede Frage auf der Zunge erstarb.

»Neun Jahre«, erwiderte Saika und lächelte sanft.

Bri überdeckte ihre Überraschung mit einem rauen Husten.

»Neun Jahre? Und ihr seid euch die ganze Zeit über treu geblieben?« Carys verschluckte sich an ihren letzten Worten, als Bri ihr einen Ellbogen in die Rippen stieß. Sie konnte nicht glauben, dass ihre Freundin die Dreistigkeit besaß, das überhaupt zu fragen.

»Natürlich.« Saika runzelte die Stirn und warf den beiden einen neugierigen Blick zu. »Aber ich wüsste nicht, was dich das angeht.«

»Sie schnüffelt gerne herum«, sagte Bri mit einem gezwungenen Lachen und schob Carys zur Seite, um Saika den Weg frei zu machen. »Jedenfalls hat es mich gefreut, dich kennenzulernen.«

»Gleichfalls«, bekräftigte Saika und schürzte die Lippen, als sie sich an den beiden vorbei in den Flur schob. Sie drehte sich noch einmal zu ihnen um, und ihre Miene wurde weicher. »Delta hat nicht viele Freunde, außer Lina. Ich bin froh, dass ihr zu Besuch gekommen seid.«

Bris draufgängerische Art bröckelte, als sie die kleine, hübsche Fae den Flur entlangschlendern sah.

»Bei den heiligen Göttern«, flüsterte Carys und stieß Bri in die Seite, so wie sie eben selbst getroffen wurde.

Bri zog eine finstere Grimasse.

»Wir müssen nicht sofort mit ihr reden, Bri.« Carys’ Gesicht war verkniffen. »Vielleicht sollten wir später wiederkommen.«

Bri verbannte ihre rasenden Gedanken in den Hinterkopf und holte tief Luft, so wie sie es immer tat, wenn sie sich auf einen Kampf vorbereitete. Sie konnte später in Panik geraten, nicht jetzt. »Ich verspreche, dass ich sie nicht umbringe.«

»Ja, aber ich mach’s vielleicht«, meinte Carys, ballte die Faust und stapfte durch die Tür in das Quartier.

»Car…«, rief Bri, doch Carys stampfte bereits davon.

Die Räumlichkeiten sahen ähnlich aus wie die von Bri, nur dass dieses Zimmer deutlich bewohnter war. Kleider hingen über den Stuhllehnen, und Schmuckstücke bedeckten die Beistelltische. Neben einer Kohlezeichnung zweier lächelnder Fae blieb Bri stehen. Die glücklichen jüngeren Gesichter von Delta und Saika versetzten ihr einen Stich ins Herz.

Das Geräusch der sich öffnenden Schlafzimmertür lenkte ihren Blick ab. Delta trat heraus und zerrte den Saum ihrer Tunika herunter, sodass ihre glatte braune Haut und ihr muskulöser Oberkörper unter dem grauen Stoff verschwanden.

Delta grinste sie an. »Oh, hey …«, setzte sie an.

Im Nu war Carys da und verpasste ihr einen so harten Schlag gegen das Kinn, dass Delta rückwärts gegen die Wand taumelte.

»Was stimmt nicht mit dir?«, rief Carys, und Bri stürzte herbei.

Sie packte ihre Freundin um die Mitte und zerrte sie von Delta weg. »Sie ist bereits verletzt …«

»Hervorragend.« Carys wehrte sich gegen Bris Griff.

»Es ist in Ordnung, Carys.« Bri umschlang sie fester, bis sie aufhörte zu zappeln.

»Es ist nicht in Ordnung«, knurrte sie Delta an, blieb aber endlich neben Bri stehen. »Du bist ein lügendes, betrügendes Stück Dreck, und du musstest auch noch Bri in deine Lügengeschichten verwickeln.«

»Ich vermute, ihr habt meine Frau getroffen«, sagte Delta und rieb sich den Kiefer.

»Ja, deine Frau, von der keiner von uns wusste!«, brüllte Carys.

Bri schob sich langsam vor ihre Freundin und machte sich bereit, sie wieder aufzuhalten.

»Ich hätte es dir sagen sollen.« Delta stieß sich mit einer Grimasse von der Wand ab. »Es wurde mit jedem Jahr schwieriger und schwieriger und … Ich weiß nicht, wenn ich nicht in Schwalbheim bin, bin ich gerne eine andere Person …«

»Jemand Unredliches?«, spie Carys aus. »Eine Lügnerin?«

Delta wandte ihren bronzefarbenen Blick zu Bri. »Es tut mir leid.« Sie schüttelte den Kopf und zerzauste ihr kurzes Haar. »Diese Sache zwischen uns … ich wollte sie nicht aufgeben.«

Bri umklammerte den Griff ihres Dolches, zog ihn aber nicht aus der Scheide. »Wie auch immer, Del, es ging sowieso nur um ein bisschen Spaß«, presste sie hervor. »Warum hast du mich überhaupt herbestellt?«

»Sie haben meine Tante getötet.« Angst stand in Deltas Augen. »Lina hätten sie auch fast ermordet. Ihr Götter, sie waren so nah dran. Sie werden es wieder versuchen, ich weiß es.«

»Habt ihr irgendwelche Hinweise?« Bri verschränkte die Arme und beobachtete, wie Delta zum Stuhl humpelte und sich vorsichtig hinsetzte, während sie sich mit einem Arm abstützte. Der andere war in ihrer Tunika verborgen, eine Schlinge lugte aus dem Kragen. Dem Hinken nach zu urteilen, war also nicht nur ihr Arm verletzt. Delta war eine wilde Kriegerin. Ihre Verletzungen mussten verheerend gewesen sein, wenn ihre Fae-Heilung sie noch nicht wiederhergestellt hatte.

Delta schüttelte den Kopf. »Sie haben die Königin vergiftet, und als die Heiler ihr zu Hilfe eilten, tauchten sie auf.«

»Wer?«

Tief und keuchend atmete sie ein. »Die Hexenjäger … oder zumindest glauben wir das. Sie trugen geschnitzte Holzmasken, die ein wenig wie Löwen aussahen.« Delta rieb sich die Schulter, als ob sie einen Knoten lösen wollte.

»Wenn sie Masken trugen, dann waren es wahrscheinlich Leute, die du kennst«, wandte Bri ein. »Hast du eine Liste mit Verdächtigen?«

»Natürlich.« Delta nickte. »Ich setze dir eine Kopie auf.«

»Löwen bieten sich an«, murmelte Carys. »Das Schutztier des Ostens. Augustus Norwood ist das Löwenjunge, das um den Thron seines Vaters kämpft.«

»Was ist passiert, nachdem die Königin vergiftet wurde?« Bri registrierte jeden von Deltas zitternden Atemzügen. Hatte sich eine Infektion auf ihre Lunge ausgebreitet? Cole hatte recht – sie musste schnell behandelt werden.

»Ich habe Lina aus dem Speisezimmer geholt, der Weg war jedoch versperrt. Wir haben uns in einem Schrank versteckt, aber sie haben uns gefunden.«

»O Götter«, hauchte Carys und ließ sich auf den Stuhl gegenüber von Delta fallen. Das ganze Feuer in ihr verschwand angesichts des ernüchternden Grauens von Deltas Worten.

»Ich habe sie abgewehrt, so gut ich konnte, aber sie haben sich Lina geschnappt.« Deltas Stimme zitterte, und sie musste husten. »Sie hätten sie fast umgebracht. Darrow hat ihr an diesem Tag das Leben gerettet, nicht ich.«

»Er scheint ein richtiger Arsch zu sein«, sagte Bri. »Er tut so, als solltest du die Mörder der Königin erst nach der Trauerzeit jagen.«

»Er ist ein Arsch, aber er hat meine Tante geliebt.« Delta zeigte auf den Tisch neben der Tür. »Zweite Schublade.«

Bri öffnete sie und zog einen silbernen Dolch heraus, dessen Griff mit amethystfarbenen Edelsteinen verziert war. Es schienen Symbole zu sein, die in der Hexensprache Mhenbic verfasst waren, aber sie konnte nicht entziffern, was sie bedeuteten.

»Was ist das?«

»Die Waffe wurde von einem der Eindringlinge zurückgelassen«, erklärte Delta. »Ich habe sie zu unserem blauen Hexenorakel gebracht, aber sie konnte nicht sehen, zu wem sie gehörte.«

»Eine Hexe also?« Bri zog die Augenbrauen hoch. »Glaubst du, dass Augustus Norwood dahintersteckt?« Ihre Finger fuhren über die violetten Steine. »Seine Magie hat verhindert, dass die blauen Hexen im Norden seine Machenschaften wahrnehmen konnten. Wir glauben, dass er vielleicht eine violette Hexe wiederbelebt hat – oder zumindest ihre Magie.«

»Das würde erklären, warum wir den Träger der Klinge nicht sehen können.« Delta zog eine Grimasse und rückte ihren Stuhl wieder zurecht.

»Norwood arbeitet mit den Hexenjägern zusammen«, fuhr Bri fort. »Das hat er auch gegenüber Rua zugegeben. Er meinte, er wolle den Westlichen und Südlichen Hof zerschlagen und Okrith zusammen mit Balorn zurückerobern.«

Carys grinste halbherzig. »Wenigstens hat Balorns Teil des Plans nicht geklappt.«

Remy und Rua hatten Balorn nur wenige Tage zuvor in der Schlacht von Valtene besiegt, einer Schlacht, die sie alle fast das Leben gekostet hätte. Ihr Einfluss auf die Macht von Okrith entglitt ihnen immer wieder. Als Hennen Vostemur getötet wurde, war das ein Moment der Hoffnung nach einem Jahrzehnt der Finsternis gewesen, aber die Welt würde nicht auf magische Weise in einen Zustand der Glückseligkeit zurückkehren – der Friede würde mit einer spitzen Klinge erfochten, da war sich Bri sicher. Augustus Norwood war ein Unruhestifter, mit dem niemand gerechnet hatte. Bri hatte Augustus sein ganzes Leben lang als kleinlichen, wehleidigen Bengel kennengelernt, aber jetzt zeigte er eine überraschende Gerissenheit. Mit der Magie, die er auf seiner Seite hatte, schien er den anderen immer einen Schritt voraus zu sein.

»Wie lautet also dein Plan?«, fragte Bri.

»Wir müssen die Jäger demaskieren, Lina beschützen und die Bedrohung für den Thron ausschalten.« Delta keuchte, und ihre Augen füllten sich mit kaum zu bändigender Wut, als sie auf ihren verletzten Körper hinunterblickte. »Ich kann es nicht allein tun, und es gibt keine bessere Kriegerin als dich, Bri.«

»Autsch«, warf Carys ein und fasste sich an ihre Brust.

Bri musterte ihre ehemalige Freundin und Geliebte. Delta war so stolz wie nur möglich. Dass sie Bri zu Hilfe gerufen hatte, war so erschreckend gewesen, dass sich Bri sofort auf den Weg gemacht hatte – und jetzt war auch klar, warum. Ihre Verletzung würde vielleicht nie heilen. Delta hatte zugesehen, wie ihre beste Freundin und zukünftige Königin – jemand, dem sie einen Eid geschworen hatte, sie zu beschützen – fast vor ihren Augen gestorben war.

»Abalina wird nicht glücklich darüber sein, dass ich hierbleibe«, warnte Bri. »Sie wird nicht wollen, dass ich sie beschütze.«

»Sie wird dich gewähren lassen, meinetwegen«, versicherte Delta. »Ich bitte dich nicht, lange zu bleiben. Hilf mir einfach, die Mörder meiner Tante zu finden. Dann kannst du weiterziehen, wohin du willst.«

»Du nimmst den Mund ganz schön voll«, fauchte Carys.

Delta verdrehte die Augen und schaute dann wieder zu Bri. »Bitte?«

Der flehende Ton in ihrer Stimme ließ Bri auf ihren Fersen zurückwippen. Das war nicht die Delta, die sie kannte. Die Kriegerin war sowohl körperlich als auch geistig gebrochen, ihre Angst war förmlich in der Luft zu spüren.

»Wir werden dir helfen, bis es dir besser geht, und dann verschwinden wir.« Bri stieß einen langen Seufzer aus. »Und du sagst deinen Leuten Bescheid, dass ich nicht vorhabe zu bleiben.«

Delta ließ den Kopf hängen. »Danke.«

Bri sah auf den verzierten Dolch hinunter und drehte ihn in ihren Händen um. Sie würde ihnen ein paar Wochen Zeit einräumen, dann würde sie aufbrechen, damit sie um die Krone des Östlichen Hofes kämpfen konnte.

Bri nickte Carys zu und ging mit ihrer Freundin zur Tür hinaus. Sie waren auf der Jagd nach maskierten Meuchelmördern und einem wahnsinnigen Prinzen mit violetter Hexenmagie. Angesichts dieser Absurdität konnte sie sich ein Schnauben nicht verkneifen. Ein Schauer durchfuhr sie, als sie an die erste Person dachte, der sie es erzählen wollte – Talhan. Er hatte schon als Kind Rätsel und Geheimnisse geliebt. Dies wäre die perfekte Aufgabe für ihn gewesen. Sie hatten so viele Abenteuer zusammen erlebt: Als sie noch klein genug waren, um gleich auszusehen, hatten sie sich in die Städte geschlichen und füreinander ausgegeben. Sie hatten ihre eigene Sprache erfunden, eine Mischung aus Worten und Handlungen, die ihre Mutter wütend machte. Doch selbst ein einziger Blick, den die beiden austauschten, genügte für ein ganzes Gespräch.

Bri schüttelte die Erinnerungen aus ihrem Kopf. Sie hatte eine Aufgabe zu erledigen.

Der beißende Geruch von Kräutern zog durch den Flur und wurde immer überwältigender, als Bri und Carys sich der Tür näherten. Das Arbeitszimmer des Heilers befand sich im Untergeschoss neben den Küchenkellern. Schmale Fenster säumten die Flure über ihren Köpfen, und das Sonnenlicht strahlte von den niedrigen Decken herab. Bri betrachtete die rechteckigen Glasscheiben. Sie waren zu klein, als dass jemand hindurchpassen konnte.

»Verdammte braune Hexen«, sagte Bri und tat so, als würde sie bei dem Geruch würgen müssen.

»Benimm dich«, schimpfte Carys. »Je schneller wir herausfinden, was hier los ist, desto schneller können wir hier raus.« Sie klopfte zweimal an die Tür.

»Herein«, rief jemand.

Bri stieß die Tür auf. Cole saß über einen großen Schreibtisch gebeugt und schaute durch ein Vergrößerungsglas, das an einem silbernen Ständer befestigt war. Mit vergrößerten Augen sah er zu Bri und erhob sich dann.

»Ah, gut«, sagte er. »Willkommen in meinem Studierzimmer, Lad-«

»Einfach Bri«, unterbrach sie ihn und zeigte mit dem Daumen auf Carys. »Und Carys. Wir sind nicht an höfischen Titeln interessiert.« Lady Catullus war ihre Mutter, mit der sie nicht in Verbindung gebracht werden wollte, schon gar nicht in dieser Gegend.

»Klar«, entgegnete Cole mit einem Nicken. »Ich dachte, das hier würde euch interessieren.«

Carys schlenderte in den Raum und lehnte sich gegen das hintere Regal mit den Gläsern.

Das Studierzimmer der braunen Hexe war ein überfüllter Raum mit Regalen voller Körbe und blickdichter Gläser. Getrocknete Kräuter hingen über einer Kommode mit nummerierten Schubladen. Die Werkbank nahm den größten Teil des Raumes ein. Mörser und Stößel, Krüge mit Ölen und Metallinstrumente übersäten die Oberfläche.

Bri schluckte die seltsame Mischung aus überwältigenden Kräuterdüften auf ihrer Zunge hinunter und schlenderte zur anderen Seite der Werkbank hinüber. Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete sie den Haufen feinen Tafelsilbers, der sich in der Mitte des Tisches auftürmte.

»Ist das das Silberbesteck aus der Nacht, in der die Königin ermordet wurde?« Carys’ Augenbrauen schossen in die Höhe. »Wie kann jemand Metall vergiften?«

Cole rückte seine goldene Brille zurecht. »Siehst du diese Gabel?« Er deutete mit der langen Pinzette in seiner Hand darauf. »Siehst du, dass sie anders ist als diese?«

Bri spähte zwischen den beiden Gabeln hin und her. Sie zeigte auf diejenige, die unter dem Vergrößerungsglas lag. »Die sieht aus, als müsste sie dringend mal poliert werden.«

Das Besteck sah stumpf aus, als ob ein schmieriger Seifenfilm darauf getrocknet wäre.

»Das waren die, die in der Nacht des Mordes an der Königin ausgelegt wurden.« Cole wies auf das stumpfe Besteck. »Die Bediensteten sagten, sie hätten es kurz zuvor poliert. Seht euch das an.«

Mit seiner Pinzette zupfte er ein grünes Blatt von einer Topfpflanze neben ihm. Vorsichtig wischte er das Blatt am Griff der Gabel ab und hielt es dann gegen das Licht. Bris Augen weiteten sich, als das grüne Blatt verschrumpelte und zu schwarzem Sand zerfiel.

»Ihr Götter, ist das mit der Königin passiert?« Carys schnappte scharf nach Luft.

»Innerlich, ja«, sagte Cole, und seine Lippen wurden schmaler. »Ich habe eine der Leichen untersucht. Ihre Adern hatten sich schwarz verfärbt.« Sein ohnehin schon blasses Gesicht verlor noch mehr an Farbe, als er sie betrachtete und dann wieder auf seine Pinzette blickte. »Es ging auch nicht so schnell wie hier.«

»Ihr Götter«, flüsterte Carys. »Wie lange hat es gedauert?«

»Eine halbe Stunde.«

»Scheiße«, knurrte Bri. Ihr Magen krampfte sich bei dem Gedanken zusammen, dass das Gift so lange in den Adern ihrer Opfer brannte, bis es sie schließlich tötete.

»Die Angreifer sind durch den Palast gestürmt.« Coles Stimme zitterte, woraufhin er sich räusperte. »Ich konnte die Königin nicht erreichen. Ich glaube aber nicht, dass eines meiner Gegengifte funktioniert hätte. Alle Gifte, die ich kenne, werden mit der Nahrung aufgenommen. Dieses hier scheint über die Haut zu wirken.«

Er tauschte seine Pinzette gegen einen Messschieber aus und nahm ein Stück Stoff in die Hand. Damit rieb er über den Griff eines stumpfen Messers.

»Es ist schon seltsam. Es scheint sich nicht auf andere Materialien zu übertragen.« Cole wischte den Stoff an einem anderen Blatt der Topfpflanze ab. Sie beobachteten es, aber das Blatt verdorrte nicht. »Irgendetwas an der Art, wie sich das Metall mit dem Gift vermischt, scheint nur bei lebenden Organismen zu wirken.« Er hob das Tuch an und schnupperte daran. »Es hat auch einen seltsamen Geruch. Irgendwie süßlich.« Er schüttelte den Kopf und legte das Tuch zurück auf den Tisch. »Aber was auch immer es ist, es ist magisch. Kannst du es fühlen?«

Bri hielt ihre Hand über das Silberbesteck und spürte den Hauch von Magie in der Luft. »Das ist unmöglich zu sagen. Das Studierzimmer ist von deiner Magie erfüllt.«

»Für mich fühlt es sich anders an«, murmelte Cole.

»Ich glaube nicht, dass ich den Unterschied zwischen den verschiedenen Arten von Hexenmagie spüren kann. Es fühlt sich einfach wie Magie an.« Carys schaute sich im Raum um. »Vermutlich hat niemand länger einen Gedanken daran verschwendet. Wahrscheinlich haben sie angenommen, dass es die grüne Hexenmagie beim Kochen war.«

»Können braune Hexen solche Gifte herstellen?« Bri nickte in Richtung des Silberbestecks.

»Wir können alle Arten von Giften herstellen, auch wenn das sehr verpönt ist«, erklärte Cole und rückte seine Brille wieder zurecht, obwohl sie ihm nicht die Nase heruntergerutscht zu sein schien. »Meine Ururgroßmutter war berühmt für ihre Gifte.« Er deutete auf eine Sammlung von Porträts auf der Kommode hinter ihm. »Aber ich glaube nicht, dass das hier braune Hexenmagie ist.«

»Das war auch keine.« Carys zog die Brauen zusammen. »Denkst du, es ist violette Hexenmagie?«

Cole verschränkte seine Arme und seufzte. »Ja, das denke ich.«

»Wie?«

»Ich habe keine Ahnung.« Er nahm die Brille ab und rieb sich die Augen. »Entweder haben sie einen Weg gefunden, dass andere Hexen ihre Magie einsetzen können, oder der violette Hexenzirkel ist doch nicht so ausgestorben, wie wir alle dachten.«

»Und sie arbeiten mit Norwood zusammen«, knirschte Bri.

»Er ist streng genommen immer noch der Erbe ihres Königreichs«, warf Carys ein. »Vielleicht fühlen sie sich ihm gegenüber verpflichtet?«

»Das ergibt keinen Sinn. Warum jetzt?« Bri wusste, dass sie keine Antwort bekommen würde. Sie lockerte die Schultern. Sie musste in einen Kampfring steigen, bevor sie noch mit der Faust durch die Wand schlug. »Also gut, wir müssen mit demjenigen reden, der für das Polieren des Tafelsilbers zuständig war.«

»Ein Junge namens Francis«, sagte Cole. »Er ist in jener Nacht gestorben.«

»Du glaubst, er war eingeweiht?«

»Warum sollte er das Besteck sonst auslegen?« Carys deutete auf das seifig aussehende Silber. »Die Gäste haben es vielleicht nicht bemerkt oder sich nicht darum gekümmert, aber wenn es sein Job war, die Sachen zu putzen, hätte er es registriert.«

»Wir sollten mit seiner Familie sprechen«, schlug Bri vor, und Carys nickte. »Danke, dass du uns das gezeigt hast.«

Sie waren schon halb aus der Tür, als Cole einwarf: »Ich bin es eher gewohnt, Kopfschmerzen und verstauchte Knöchel zu behandeln. Darum bin ich froh, dass sich jemand anderes darum kümmert.«

»Wir werden tun, was wir können«, antwortete Carys und winkte ihm noch einmal zu, bevor sie und Bri die Tür hinter sich schlossen. Sie gingen noch ein paar Schritte, erst dann flüsterte Carys: »Glaubst du, wir können ihm vertrauen?«

»Ich glaube nicht, dass wir im Moment irgendjemandem trauen können«, murmelte Bri. »Aber wenn du mich fragst, sagt er die Wahrheit. Trotzdem sollten wir ihn genau im Auge behalten.«

»Wir sollten die anderen per Fae-Feuer benachrichtigen.«

»Auf jeden Fall«, erwiderte Bri. »Ich habe das Gefühl, dass Handschuhe in absehbarer Zeit groß in Mode kommen werden.« Sie dachte an das verschrumpelte Blatt auf dem Tisch. Die violetten Hexen waren zurück und hatten ein tödliches und schwer zu entdeckendes Gift im Gepäck.

»Warum konnte das nicht einfach ein normaler Meuchelmörder sein?«, stöhnte Carys.

Bri gluckste. »Wo bliebe denn da der Spaß?«

KAPITEL 4

Bis in den Abend hinein sprachen sie mit dem Palastpersonal und den Wachen, vermochten allerdings keine neuen Informationen zu sammeln. Alle hatten die vage Vermutung, dass es die Hexenjäger gewesen waren, die angegriffen hatten, aber niemand konnte den beiden eine neue Spur liefern. Schließlich gab Carys auf und ging zurück in ihr Zimmer, während Bri sich auf den Weg in den Weinkeller machte. Mit zwei Flaschen in der Hand stieg sie die Wendeltreppe hinauf, die zum Dach führte, um endlich die Aussicht zu genießen.