Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Herbert schreibt gerade ein Buch über seine Weltreise, als ihm ein Job in Afrika angeboten wird. Kurzerhand bricht er in Deutschland die Zelte ab und reist ins Nigerdelta, um dem Ruf nach Abenteuer zu folgen. Dort findet er sich in einer anderen Welt wieder. Mangels eines Lehrbuches kann er nur aus seinen Fehlern lernen und versuchen, die mühsam gewonnenen Erkenntnisse in Zauberformeln umzuwandeln. Als Mitarbeiter einer internationalen Spedition bekommt er es mit verrückten Leuten unterschiedlicher Nationalitäten zu tun und gerät in manch lebensbedrohliche Situation. Doch das ist erst der Anfang von Herberts irrwitzigem, genreübergreifendem Abenteuer. Dieses Buch handelt von seinen privaten und beruflichen Eskapaden während der ersten fünf Jahre in Nigeria. Folgen Sie ihm ins Paradies, das ganz und gar nicht dem herkömmlichen Bild Afrikas entspricht.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 658
Veröffentlichungsjahr: 2021
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Herbert Hoddow aus Hude arbeitete viele Jahre als Logistiker für verschiedene Unternehmen, bis ihn das Reisefieber packte und er einen lang gehegten Traum realisierte: Die Sehnsucht nach unbekannten Ländern und neuen Horizonten ließ ihn eine zweijährige Weltreise unternehmen. Seine Erlebnisse in Westafrika brachte er in dem 1995 erschienenen Buch „Götter Geister Generatoren“ zum Ausdruck. Von 1995 – 2019 lebte und arbeitete Herbert in Port Harcourt, Nigeria. Sein neues Buch „The Fucking Paradise“ handelt von dieser Zeit und ist das erste in der Reihe „Wahoodow Adventure“.
Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen oder Gegebenheiten sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Head Hunting
Albatros Port Harcourt
Über Arschlöcher
Der erste Kunde
Philippas Bar
Mogus Hochzeit
Die Raffinerie
Philippa
Logistik
Polizeikontrolle
Aliyu
Moon Paper Aba
Lagos
12A Forces Avenue
Etim
Papa Afrika
Juliette
Andere Gedanken
Unter Beobachtung
Rohre im Creek
Mein Karton
Ach, wie gut, dass niemand weiß
Martijn de Boer
Soziale Aktivitäten
Der Großwildjäger
Überfall
Die Prinzessin
Hass und Liebe
Little John
Chief Oghene
Die Geschäftsfrau
CHIH-CHII
Ikot Abasi
Frau mit Hund
Helmut Wolf
Kidnapping
Grenzenlos
Glücksritter, Hochstapler, Bauernfänger
Der Großmeister
Diamanten und Bücher
Zoll (Theorie und Praxis)
Missionen
Andere Umstände
Legrand
FCKW-Erweiterung
Stratmann
Andere Länder, andere Sitten
So ein Tag
Hochzeitsfeierlichkeiten
Christian
Der Truckerclan
Bei Tiffany
Das wahre Gesicht
Tiffanys Hochzeit
Der katholische deutsche Sohn
Umzugsgut
Der zitternde Punchingball
Die Vision
Lee
Die Ritter der Tafelrunde und die Kneipenszene
Angst
Wer hoch steigt
Onkel Sam
Der letzte Marathon
Mit Gertrude, Manny und Allgöwer
Rückkehr unter veränderten Umständen
419
Big Bush
Bye-bye Madam
VHN
Der Mann in Blau
Braune Getränke
Der Juju-Mann und der Analphabet
Tote und Rednecks
Vor dem Sturm
Hausfrauen und Studentinnen
Seelsorge inbegriffen
Der Job
Boot und Klub
Verdammt clever
Wer die Musik bezahlt
Alles bricht zusammen (Der ringende Eunuch)
Ehrenwerte Gesellschafter
Vertrauenswürdige Gesellschafter
Ein guter Freund
Im Paradies
Danksagung
Glossar
»Wahoodow Adventure« sollte es heißen. Oder war »Götter, Geister, Generatoren« nicht doch besser? Ich dachte beim Frühstück über den Titel meines Buches nach, als das Telefon klingelte. Julius war am Apparat. Ich freute mich riesig, meinen alten Freund und Kommilitonen nach so langer Zeit an der Strippe zu haben.
»Wo steckst du und was machst du?«, lautete meine erste Frage. »Bist du auf dem Hof deiner Eltern, um Kühe zu zählen, oder im Büro, um vertrauensselige Kunden zu übervorteilen?«
Mein Freund war ein kleines Schlitzohr, das sowohl bewährte Bauernweisheiten als auch sämtliche Tricks und Kniffe der internationalen Spedition kannte. Nachdem wir uns darüber ausgetauscht hatten, wie wir mit Skatspielen einen Teil unseres Studiums finanzierten, kam Julius gleich zur Sache.
»Herbert, ich habe einen Job für dich!«
Verwundert über das unerwartete Angebot fragte ich: »Job? Wie kommst du denn darauf, dass ich einen Job suche? Ich schreibe momentan ein Buch über meine zweijährige Weltreise.«
»Wenn ich es richtig auf dem Schirm habe, müsstest du jetzt schon seit einem Jahr zurück sein und solltest daher bestimmt auch einmal wieder ans Geldverdienen denken? Außerdem hast du mir immer schöne Postkarten aus Afrika geschickt. Jetzt habe ich einen gut bezahlten Job für dich und – du wirst es nicht glauben – in Afrika!«
Plötzlich war ich hellwach; kleine Zellen begannen langsam zu arbeiten und Erinnerungen an Afrika kamen auf. Sofort verwarf ich die schönen Gedanken jedoch und kam auf den Boden der Tatsachen zurück. »Julius, ich bekomme Arbeitslosengeld und werde wahrscheinlich noch ein Jahr am Buch arbeiten. Vielen Dank für das Angebot, aber schmink dir das bitte ab. Nur interessehalber, über welches afrikanische Land reden wir überhaupt?«
»Nigeria natürlich, eines der reichsten Länder der Welt in Bezug auf Bodenschätze!«
Ich schüttelte den Kopf und lächelte: »Nigeria, machst du Witze? Um dieses Land habe ich immer einen großen Bogen gemacht. Es ist mir schon klar, dass ihr keinen Mitarbeiter für Nigeria findet. Wer will denn da hin? Das ist doch nur etwas für Lebensmüde!«
Julius wurde lauter. »Herbert, hast du gestern getrunken?«
»Nicht übermäßig. Was soll die dumme Frage?«
»Dann werde mal schnell wieder nüchtern und trink noch einen Kaffee. Ich rufe in zehn Minuten noch einmal an.«
Mein Freund legte den Hörer auf und ich dachte darüber nach, was für eine komische Nummer das gerade war. Genau zehn Minuten später läutete der Fernsprecher erneut und Julius begann dort, wo er aufgehört hatte.
»Herbert, bist du langsam wieder klar im Kopf und hast du über mein Angebot nachgedacht?«
Ich wiederholte, dass ich momentan an meinem Bestseller schrieb, damit bestimmt noch für ein Jahr beschäftigt sein würde und dass ich absolut kein Interesse an einem Job in einem Traumland wie Nigeria hatte. Mein Freund hörte mir jedoch nicht zu. Er sagte, dass er, weil der Direktor der Firma Albatros Nigeria schon morgen wieder nach Afrika fliegen würde, für heute Nachmittag um sechzehn Uhr ein Vorstellungsgespräch für mich arrangiert hatte.
»Und wo soll das bitte schön stattfinden?«, wollte ich belustigt wissen.
»In Wiesbaden.«
Jetzt konnte ich einen Lachkrampf nicht mehr unterdrücken. Als ich eine Pause einlegte, meldete sich Julius wieder zu Wort. »Bist du jetzt fertig? Wo liegt das Problem?«
»Das Problem? Unabhängig davon, dass ich aus den bereits genannten Gründen momentan kein Interesse an einem Job in Nigeria habe, kann ich den Termin auch aus rein technischen Gründen nicht wahrnehmen.«
»Welche technischen Gründe?«
»Erstens habe ich schon mal keinen Anzug. Ich weiß nicht, wo die Dinger geblieben sind. Wahrscheinlich hat Mutter sie auf den Dachboden gehängt und Mottenkugeln in die Taschen gestopft. Zweitens ist meine Bewerbungsmappe nicht up to date. Außerdem habe ich kein Auto. Die Fahrzeit von Hude nach Wiesbaden beträgt schätzungsweise fünf Stunden. Wie soll ich denn um sechzehn Uhr dort sein?«
»Ich kläre das und ruf gleich wieder an«, erwiderte mein Freund.
Kurz darauf hatte ich ihn wieder an der Strippe.
»Herbert, es gibt keinen Anzugszwang. Mach dich ohne Bewerbungsunterlagen auf die Socken, so wie du bist. Ich habe dem Direktor bereits alles über dich erzählt und der möchte dich unbedingt kennenlernen. Du nimmst den Zug um zwanzig nach elf von Hude nach Bremen. Dort steigst du in den Zug nach Frankfurt um. In Frankfurt hast du gleich Anschluss nach Wiesbaden. Du kommst um zehn vor vier an und nimmst dir ein Taxi zum Steigenberger Hotel. An der Rezeption fragst du nach Konrad Dietrich. Hast du noch Fragen?«
Überrumpelt stotterte ich: »Äh, ja. Werden die Fahrkosten erstattet?«
»Selbstverständlich!«
»Na gut, du hast mich überzeugt.«
»Gute Reise und viel Glück! Melde dich nach dem Gespräch bei mir.«
Es war nicht schwer, Konrad Dietrich zu lokalisieren. Er und sein glatzköpfiger, pechschwarz glänzender, nigerianischer Partner waren die einzigen Gäste in der Hotelbar. Beide Herren saßen an einem runden Tisch in der Ecke, hatten ihre marineblauen Jacketts abgelegt, die Krawatten gelockert und diskutierten lautstark. Einige Dokumente waren auf dem Tisch ausgebreitet. Zwei schwarze Pilotenkoffer standen auf dem Boden. Es schien um Geld zu gehen. Auf jeden Fall vernahm ich das Wort Millionen mehrmals, bevor ich die Herren erreichte.
Konrad, ein kleiner, schlanker Mann Ende fünfzig mit Hornbrille und kurzem, zurückgekämmtem, immer noch schwarzem Haar, sprang gleich auf und begrüßte mich herzlich. »Herbert, mein Junge, da bist du ja endlich! Wir warten doch schon. Möchtest du etwas zu trinken? Äh, Herr Ober, bitte bringen Sie unserem Gast einen Gin Tonic. Und mir können Sie auch gleich noch einen mitbringen. Isaka, möchtest du noch etwas?« Dietrich grinste den Nigerianer mit den drei langen Stammesnarben auf der rechten Wange an. Der verdrehte seine großen, dunklen Augen und schüttelte den Kopf. Er schien schon gut zufrieden zu sein.
Sobald die Getränke serviert waren und wir uns zugeprostet hatten, begann Konrad Dietrich mit seinem Referat. »Zwanzig Jahre in Nigeria! In dieser Zeit habe ich die Schweizer Alpen Spedition groß gemacht. Die sind jetzt mit Abstand die Nummer eins im Lande.« In der Folgezeit durfte ich mir jede Menge Anekdoten anhören, bevor Konrad seinen einstündigen Vortrag zu Ende brachte. »Und wie hat man es mir gedankt? Nichts! Deshalb habe ich die Konkurrenz, Albatros Deutschland, kontaktiert und wir haben die Firma Albatros Nigeria gegründet. An der bin ich mit zwanzig Prozent beteiligt. Die meisten Kunden der Alpen Spedition habe ich zur neuen Firma mitgenommen. Das Geschäft brummt. Aus diesem Grunde benötigen wir noch weitere, junge Mitarbeiter, die bereit sind, richtig mit anzupacken. Das Big Business ist da. Das Geld liegt auf der Straße! Wenn du in Nigeria richtig einschlägst, mache ich dich zum Millionär! Du willst doch Millionär werden, oder?«
Mir hatte seine Rede die Sprache verschlagen und ich starrte Konrad mit offenem Mund an.
Der wiederholte sich: »Oder?«
»Äh, ja, doch, klar!«
»Isaka, was ist denn mit dir los?« Konrad rüttelte den zwischenzeitlich eingeschlafenen kräftigen Nigerianer am Arm. »Hier sind fünfzig Pfennig. Wir parken an der Straße. Lauf bitte zum Auto und schmeiß das Geld in die Parkuhr. Die Zeit müsste mittlerweile abgelaufen sein. Herbert, zu deiner Information: Ich habe ein schönes Anwesen in Bad Schwalbach. Isaka wohnt selbstverständlich bei mir.«
Der Nigerianer verließ wankend die Bar und ich setzte an, ein wenig über mich zu berichten. Beginn der Lehre in einer internationalen Spedition im stolzen Alter von fünfzehn, zwanzig Jahre Berufserfahrung, abgeschlossenes Wirtschaftsingenieursstudium mit dreißig etc.
Schon nach kurzer Zeit winkte Konrad vehement ab. »Herbert, das interessiert mich doch alles einen Scheißdreck! Weißt du was? Mir gefallen dein Gesicht und deine Art. Und das ist die Hauptsache. Ich glaube, du bist der richtige Mann für Nigeria. Erfahrung mit Afrika hast du ja bereits. Wann kannst du anfangen?«
»Ahm«, begann ich verlegen, »Julius hat dir ja sicherlich schon erzählt, dass ich momentan ein Buch schreibe und voraussichtlich noch ein Jahr damit beschäftigt sein werde. Ich könnte also in ungefähr einem Jahr anfangen.«
Konrad stieg die Röte ins Gesicht und er schlug mit der Faust auf den Tisch. Ein Glas ging dabei zu Bruch. »Herbert, du bist nicht mit dem nötigen Ernst bei der Sache und ich glaube auch, dass du etwas durcheinander bist! Was verdienst du denn an so einem Buch?«
»Ungefähr drei Mark pro Stück, wenn ich einen Verlag finde.«
»Und, wie viele Bücher gedenkst du zu verkaufen?«
»Vielleicht maximal fünftausend?«
»Hm, das sind folglich fünfzehntausend Mark, oder?«
»Ja.«
Konrad lehnte sich im Sessel zurück, blickte mir in die Augen und sagte ganz langsam mit bibbernden Lippen: »Ich zahle dir fünftausend Schweizer Franken im Monat, Mann. Steuerfrei! Nach drei Monaten in Nigeria hast du mehr Geld verdient als nach einem Jahr Bücherschreiben. Vergiss deinen Bestseller und setz dich in den nächsten Flieger. Ich erwarte dich in spätestens drei Monaten!«
Im klimatisierten Zimmer des Presidential Hotels schlief ich wie ein Stein. Dazu trugen auch einige große Flaschen Star Bier bei, die ich am Abend an der Bar genossen hatte. Der Weckdienst des Hotels funktionierte und das englische Frühstück mit Rührei, Speck, verschrumpelten Würstchen, Orangensaft, Kaffee und allem, was ein richtiger Brite begehrte, ließ während des ganzen Tages kein weiteres Verlangen nach Nahrung aufkommen.
Der mir zugeteilte Fahrer – er hieß Godfrey – erkannte mich sofort und empfing mich mit breitem Grinsen an der Rezeption. Anschließend fuhren wir mit einem stahlblauen Peugeot 504 auf dem völlig verstopften Aba Expressway zum Büro. Die Klimaanlage war ausgefallen und wir brauchten für die fünf Kilometer eine Stunde. Schon nach kurzer Zeit war mir klar, dass ich die falsche Garderobe gewählt hatte. Ich entledigte mich der Krawatte und des völlig durchgeschwitzten hellbraunen Leinenjacketts, dessen Tropentauglichkeit der motivierte Verkäufer des Modehauses Hosen Hermann in Bremen in den höchsten Tönen gelobt hatte. Ich saß hinten rechts auf der Rückbank, auf dem Platz für den Boss oder Oga, wie die Nigerianer sagten, und Godfrey beobachtete mich immer noch grinsend und belustigt durch den Innenspiegel.
Die Albatros-Zentrale lag direkt an der Straße, gegenüber des riesigen, luxuriösen Shell Residential Camp, das ausschließlich Expatriates (Weiße) bewohnten. Das zweistöckige, von einer weißen Mauer umgebene Gebäude wirkte eher unscheinbar und beeindruckte mich nicht besonders. Vor allem störte eine danebengelegene, nicht fertiggestellte, wesentlich höhere Konstruktion, eine halb verrottete und grünlich verschimmelte Bauruine. Sechs Peugeot und ein Toyota Land Cruiser waren vor dem Generatorhaus im Hof geparkt. Die den Fahrzeugen entsprechende Anzahl Chauffeure saß auf einer hölzernen Bank neben dem Eingang. Die meisten trugen grüne T-Shirts mit Albatros-Emblem. Godfrey stellte mich seinen Kollegen vor. Danach ging es in den ersten Stock zum General Manager, Mats van der Vaart, dessen Stimme ich schon nach Ankunft während der Fahrt vom Flughafen zum Hotel über das Funkgerät im Auto gehört hatte. Der übergewichtige, über einen Meter neunzig große, glatzköpfige Holländer begrüßte mich mit einem seiner Masse entsprechenden Händedruck und nahm dann wieder pastorenhaft hinter seinem Schreibtisch Platz. Der Mann funkelte regelrecht, trug eine dicke goldene Panzerkette unter dem offenen Hemd, eine noch dickere goldene Uhr und einen Siegelring, an dem er ständig herumspielte. In väterlichem Ton erklärte er mir die Firma und wiederholte mehrfach, dass ich mich bei Problemen, die Neulinge in Nigeria sicher haben würden, immer vertrauensvoll an ihn wenden könnte. Für den Abend lud er mich in die CHIH-CHII Bar ein.
Dem Gespräch mit van der Vaart folgte ein Rundgang durch die Abteilungen und die Vorstellung der Mitarbeiter. Zuerst ging es in die Buchhaltung zum Financial Controller, Charles, einem jungen, hageren Mann mit Nickelbrille. Charles schien aus besserem Hause zu stammen. Er war gut gekleidet, hatte vorbildliche Manieren und sprach ein hervorragendes Englisch. Der verschmitzte kleine Kassierer, Mr. Nwoke, wurde als Nächstes begrüßt. Seinen schwarzen Anzug hatte der kräftige Mann, ein Biafra-Kriegsveteran, offensichtlich eine Nummer zu klein gewählt. Wie fast alle Schädel der männlichen nigerianischen Mitarbeiter, waren auch Charles' und Mr. Nwokes Köpfe kahl geschoren. Das Shipping Department war mit zehn Mitarbeitern die größte Abteilung im Hause. Die Manager waren der kleine Kingsley und der ihn um zwei Köpfe überragende Emmanuel. Chefin des Funkraumes war eine Frau namens Gift. Sie trug ein hübsches, traditionelles afrikanisches Kleid. Die geflochtenen Zöpfe ihres schwarzen Haares glichen Drahtseilen, die am Hinterkopf zu einem Pferdeschwanz vereint wurden. Ihre Eltern hatten das Mädchen Gift (Geschenk) getauft, nachdem ihr Kinderwunsch nach vielen Jahren des Wartens endlich erfüllt wurde. Gift und zwei weitere Mitarbeiterinnen hielten Funkkontakt zu sämtlichen Albatros-Fahrzeugen sowie zu den Häusern des Managing Directors und des General Managers. Über ein SSB-Kurzwellenfunkgerät stellten sie auch Verbindungen zu weit entfernten Schiffen her.
Nach dem Rundgang wurde ich in mein oben gelegenes Büro gebracht, wo mein Mitarbeiter und Assistent, Mogu, schon auf mich wartete. Wir mussten ein ausführliches Gespräch vertagen, denn plötzlich wurde es laut im Gebäude. Grußfloskeln ertönten und überall wurde geschäkert und gelacht. Ein Mann schleppte einen riesigen Pilotenkoffer in das Büro des Managing Directors. Und dann erschien er auch schon – der Großmeister, der Boss, der Oga: Konrad Dietrich! Wenig später wurde ich zur Begrüßung in sein Büro gebeten. Der kleine Deutsche gab sich manchmal als Jude und manchmal als Moslem aus. An was, außer der Macht des Geldes, er wirklich glaubte, fand ich nie heraus.
Konrad saß hinter seinem Schreibtisch und schaute mich über seine Brille an. Er hatte eine sehr sympathische Art und kam gerade bei Nigerianern hervorragend an (bestimmt auch, weil er ihnen gern mal kleine Geldgeschenke überreichte).
»Herbert, mein Sohn, ich freue mich, dass du endlich hier bist«, begann er seine lange, nicht enden wollende Ansprache. Ich erfuhr erneut, wie erfolgreich er war. Natürlich war Konrad auch schon für seinen vorherigen Arbeitgeber unersetzlich gewesen. Dieser Firma ging es jetzt, nachdem er sie verlassen hatte, sehr schlecht. Der Boss gab mir immer wieder zu verstehen, dass er sehr vermögend sei und die besten Verbindungen in Nigeria hatte. Konrad beendete seinen Vortrag mit dem Appell: »Herbert, wenn du Geld brauchst, sag es mir bitte. Nur eins darfst du nie machen: Beklau mich niemals. Das musst du mir versprechen. Das mag ich nicht! Hast du mich verstanden?«
Im Anschluss an Konrads langer Rede und seinem vierten Gin Tonic kam ich endlich auch einmal zu Wort. Ich erkundigte mich nach meiner Job Description, der Arbeitsplatzbeschreibung.
»Wie, Job Description? Was ist denn das?«
»Na, ich muss doch meinen Aufgabenbereich kennen und wissen, was ich machen soll«, nuschelte ich verunsichert.
»Ich sag dir, was du tun sollst!«, rief Konrad mit der flachen Hand auf den Tisch klopfend. »Du machst einfach gute Sachen, nur gute Sachen!« Er legte eine Pause ein und seine Stirn legte sich in Falten. »Nur eins darfst du niemals machen und das musst du dir gut merken! Bau niemals Scheiße!«
Mir summten noch immer die Ohren von Konrads nicht enden wollendem Gerede und ich war froh, als Mats mich um acht Uhr vom Hotel abholte. Wie vereinbart ging es zum CHIH-CHII Club. Unten im Club, vor der Wand links neben der Eingangstür, befand sich eine lange, aus rotem Holz gefertigte Theke. Am Ende der Theke begann die weiträumige Tanzfläche, die links von einem Podest überragt wurde. Über eine Wendeltreppe führte uns der Barmanager, Chukumar, den Mats gut kannte, zu einer kleinen Bar auf dem Podest. Hier hatte er uns zwei Barhocker freigehalten. Zur Belohnung spendierte Mats ihm ein Bier und stellte mich vor. Der schleimige Typ, der, wie mir schien, alle weiblichen Gäste kannte und sie nicht umsonst in den Club einließ, verlangte von jetzt an immer ein Begrüßungsbier von mir. Anfangs kam ich seiner Bitte nach, dann zeigte ich ihm ein paarmal den Mittelfinger. Später fragte er nicht mehr.
Ich schaute mich um. Der Laden war proppenvoll und ich konnte meinen Mund vor lauter Staunen nicht schließen. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Wo war ich denn hier gelandet? Das war wie Karneval in Rio. Wir blickten auf zwei- bis dreihundert tanzende Mädchen hinunter. Alle waren extravagant gekleidet, trugen Miniröcke, sexy Kleider, Jeans und Tops. Lichteffekte kamen aus Discokugeln, die Musik war laut, die Masse grölte. Es wurde von Snap! »The Power«, von Haddaway »What Is Love« und von Culture Beat »Mr. Vain« gespielt. Wir tranken Bier und Gin Tonic. Irgendwann gesellten sich Sandy und sein Chef, der kleine, fette, schweinsäugige Roger, zu uns. Sandy war zwar erst Mitte dreißig, hatte aber schon weißes Haar. Der schmächtige lustige Mann war mir auf Anhieb sehr sympathisch und wir verstanden uns ausgezeichnet. Ich erfuhr, dass seine Mutter Engländerin und sein Vater Inder war. Unsere Bosse, besonders Roger, konnten gar nicht über unsere Witze lachen. Roger saß reglos mit gesenktem Kopf am Tresen, wodurch sein Doppelkinn noch ausgeprägter wirkte. Ab und zu blickte er mal auf und glotzte uns verächtlich an.
Zum Glück zogen sich unsere Vorturner schon bald an die untere Bar am Eingang zurück, um sich besser geschäftlich unterhalten zu können. Später verschwand dann auch Sandy. Weil er nicht zurückkam, ging ich auch nach unten. Dort stieß ich gleich auf meinen neuen Freund. Von mehr als zwanzig lachenden, grölenden Mädchen umringt, tanzte Sandy vor der Bar auf und ab. Immer wieder deutete er mit dem Zeigefinger in Richtung Theke, an der der kleine, dicke Roger und der große, dicke Mats saßen. Beiden waren die Hosen tiefer gerutscht, wie es bei stabilen, gürtellose Hosen tragenden Männern häufig vorkam, und ihre nackten Ärsche waren zu sehen. Sandy zeigte unentwegt in diese Richtung. Manche Mädchen liefen weg, andere hielten sich vor lauter Lachen die Hände vor den Mund.
»Sandy, was ist denn los?«, wollte ich wissen.
»Ja, Herbert, siehst du das denn nicht? Schau dir doch mal unsere fetten Bosse an. Egal, wie groß die sind, das Arschloch sitzt immer auf derselben Höhe.«
Ich schaute genau hin, sah die behaarten … in der Mitte der rosafarbenen Backen. Sandy hatte gut beobachtet und völlig recht. Auch ich bekam Lach- und Weinkrämpfe und flüchtete wieder nach oben.
Wie ich nach Hause kam, wusste ich nicht mehr, wohl aber, dass ich immer mal von Arschlöchern und dann wieder von großen, übergewichtigen Typen träumte. Trotz krampfhafter Bemühungen gelang es mir lange nicht, eine Verbindung zwischen den Träumen herzustellen und sie zu deuten. Heute weiß ich mehr.
Noch nicht ganz nüchtern, wollte ich am nächsten Tag im Büro klare Verhältnisse schaffen. Ich ging zu Konrad und erbat Auskunft darüber, was er von mir erwartete.
»Ja, du sollst erst einmal Marketing machen, das habe ich dir doch gesagt«, gab er mir zu verstehen.
»Okay. Gibt es eine Liste der zu besuchenden Firmen und gibt es unter diesen Firmen Prioritäten?«
Konrad zog das Kinn auf die Brust und schaute mich ungläubig an. »Wie, Firmenliste?«
»Na, ich muss doch wissen, wohin ich gehen soll. Ich kenne hier keine potenziellen Kunden und ein Telefonbuch gibt es auch nicht.«
Konrad war erschüttert. Er musterte mich, als ob ich von einem anderen Stern käme, und antwortete im Befehlston: »Ich sag dir, wohin du gehen sollst. Du gehst ins Industriegebiet, Trans Amadi, und dort klopfst du an jedes Tor, das du siehst!«
Geschockt schnappte ich mir meine Aktentasche und rief Godfrey, der seine Autowäsche unterbrach und mich neugierig beäugte.
»Wohin geht es, Sir?«
»Trans Amadi!«
Ein Industriegebiet hatte ich mir eigentlich etwas anders vorgestellt. Zumindest hatte ich keine kaputten, nur aus Schlaglöchern bestehenden und von Trucks und Pkw verstopften Laterit-Wege erwartet. Dennoch war ich von der Größe des mitten in Port Harcourt gelegenen Gebietes und der Vielzahl der hier ansässigen Ölfirmen, wie Total Fina Elf, Schlumberger, Halliburton, Weatherford, Francks, Baker Hughes, MI International etc. pp. beeindruckt. Außerdem gab es in Trans Amadi Speditionen, Fuhrunternehmen, Kranfirmen, Banken, Residential Camps, in denen die Mitarbeiter der Ölfirmen wohnten, sowie Bars und Restaurants, die von ihnen frequentiert wurden.
Wir hatten eine längere Besichtigungsrundfahrt hinter uns und passierten den gleich neben dem Zoo gelegenen Schlachthof. Es stank bestialisch. Ich vermutete daher, dass es sich bei dem hinter einer hohen Mauer verborgenen Betrieb um eine größere Anlage handelte. Wegen eines Staus konnten wir uns den unangenehmen Gerüchen für eine längere Zeit nicht entziehen. Eine Herde afrikanischer Langhornrinder blockierte den Weg. Trotz massiver Stockschläge ihrer Fulani-Hirten weigerten sich die Böses ahnenden Tiere, das Gelände des Schlachthofes zu betreten. Als es endlich weiterging und die Luft wieder besser wurde, entdeckte ich ein hohes schwarzes Eisentor, auf dem in großen weißen Buchstaben »Smith International« stand.
Das musste so ein Tor sein, an das ich gemäß Konrads Instruktionen klopfen sollte. Ich bat Godfrey zu halten, nahm meinen Aktenkoffer, ging zum Tor und hämmerte gegen das Eisen.
Ein Wachmann in hellblauer Uniform öffnete, blickte mich durch den Türspalt erstaunt an und stotterte: »Oyibo (weißer Mann), was willst du?«
Ich fingerte eine Visitenkarte hervor, stellte mich als Mitarbeiter der Firma Albatros vor und fragte, ob ich den Logistikmanager sprechen oder einen Termin mit ihm vereinbaren könnte.
»Logistikmanager, was ist denn das? So etwas haben wir hier nicht!« Der Uniformierte musste mir angesehen haben, dass ich ein wenig verwirrt war, und bekräftigte daher gleich im Anschluss: »Aber wir haben auch einen Oyibo. Der ist unser Boss. Wenn du den sprechen willst, füll bitte ein Formular aus. Ich werde ihn dann fragen, ob er Zeit für dich hat.«
Ich trug meine Personalien und Firmendaten in den mir überreichten Fragebogen ein. Der Wachmann schaute mir zu und half, als ich laut überlegte: »Grund des Besuches?«
»Offiziell!«
»Zu besuchende Person?«
»Managing Director!«
Der Wächter verschwand mit dem ausgefüllten Zettel, kehrte fünf Minuten später zurück und bat mich, meine Daten noch einmal in einem Besucherbuch zu verewigen. Als ich das erledigt hatte, befestigte der Wachmann ein nummeriertes Kärtchen an meinem Hemd, gab mir einen Schutzhelm und eine Brille und bat mich, ihm zu folgen. Wir überquerten den Hof. Dröhnende Geräusche eines starken Generators ließen keine weitere Unterhaltung mit dem mir vorauseilenden Führer zu. Die Rezeption befand sich in einem dunklen, fensterlosen Raum, der sicherlich auch einmal einen neuen Anstrich verdient hätte. An einem kleinen Schreibtisch, auf dem ein schwarzes Telefon stand, saß die schwergewichtige Empfangsdame. An der Wand hinter ihr hingen je ein gerahmtes Foto des Diktators und des Gouverneurs – beide in Paradeuniform. Ihr gegenüber an der Wand standen sieben Stühle, auf denen Lieferanten und Vertreter ihre Wartezeit für ein Schläfchen nutzten. Die Empfangsdame zauberte ein weiteres Gästebuch und einen Kugelschreiber hervor. Zumal ich bereits gemeldet war, brauchte ich meine Daten nur auch noch in dieses Register eintragen und durfte danach meinen Weg zum Managing Director fortsetzen. Am Ende eines dunklen Ganges klopfte mein Führer an eine Tür. Als ein lautes »Ja« zu vernehmen war, traten wir ein.
Der Wachmann salutierte und meldete: »Sir, Mr. Herbert, Sir!«
Dann war er verschwunden.
Hinter einem großen, mit Papier beladenen Schreibtisch, der nicht mit dem an der Rezeption zu vergleichen war, saß ein muskulöser, glatzköpfiger Mann mittleren Alters. Seine Unterarme waren tätowiert. Weitere, am Hals endende Tattoos verbargen sich wahrscheinlich unter seinem roten Overall.
Er lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück und brummte: »Herbert, richtig?«
Durch eine Geste bat er mich, Platz zu nehmen, und offerierte mir einen Kaffee. Wir tauschten Visitenkarten aus und ich wusste jetzt, dass ich Robert Walker, dem Managing Director der Firma Smith International, gegenübersaß. Robert erklärte mir, dass seine Firma einer der führenden Hersteller von Rock Bits (Bohrköpfen) war.
Nachdem ich meine Albatros-Geschichte erzählt und erklärt hatte, dass ich gerade erst in Port Harcourt angekommen sei, fragte Robert: »Dann kannst du doch sicherlich ein Rock Bit zurück nach Houston, Texas, schicken, oder?«
Überrascht durch die erste, unerwartete Transportanfrage stammelte ich: »Ich glaube wohl.«
»Gut, check das bitte und mach mir ein Angebot. Nimm diese Packliste mit dem Gewicht und den Maßen des Kartons mit und bring mir morgen früh deine Offerte. Jetzt musst du mich bitte entschuldigen, ich habe noch einiges zu erledigen.«
Aufgeregt und happy darüber, dass es mit dem An-Tore-Klopfen so gut gelaufen war, verließ ich die Firma Smith. Der Mann am Tor wollte noch wissen, ob ich zufrieden sei. Ich klopfte ihm auf die Schulter, bedankte mich und gab ihm fünfzig Naira.
In der Firma half mir mein Mitarbeiter, Mogu, beim Erstellen des Angebotes. Den Abend verbrachte ich an der Bar des Presidential Hotels, lernte einige Expatriates kennen und schaute zu, wie sie mit den sechs oder sieben Mädchen, denen es erlaubt war, an der Hotelbar zu sitzen, schäkerten. Die Damen sprachen mich auch immer wieder an. Von einigen Flaschen Star und den ständigen Standardfragen fast jedes der Mädchen – »Wie heißt du? Woher kommst du? Was machst du? Hast du mal eine Zigarette? Was machst du später?« – war ich jedoch müde und genervt und ging daher früh schlafen.
Am nächsten Morgen fuhren wir direkt vom Hotel zu Smith International. Der Wachmann, der jetzt aufgrund des großzügigen Geschenkes vom Vortag mein Freund war, beschleunigte die Einschreibeprozedur und ich stand, ehe ich mich versah, in Roberts Büro. Der Managing Director begrüßte mich ein wenig knurrig und kurz angebunden.
»Herbert, was machst du denn schon wieder hier? Ich habe viel Arbeit und wenig Zeit.«
»Aber du hast mich doch gebeten, ein Angebot für eine Luftfrachtsendung nach Houston zu erstellen.«
»Ach ja, das habe ich ganz vergessen. Wenn du das Angebot mitgebracht hast, leg es bitte hier auf den Tisch. Ich werde es später prüfen und mich bei dir melden.«
Ich holte den in meinem besten Englisch geschriebenen Brief aus dem Aktenkoffer, kam seiner Bitte nach und verabschiedete mich ohne Shakehands, da Robert, in die vor ihm ausgebreiteten Papiere vertieft, nicht einmal mehr zu mir aufsah.
Als ich den Türgriff schon in der Hand hatte, rief der Herr des Hauses: »Hey, hast du nicht etwas vergessen?«
Ich wandte mich um. »Nein, was denn?«
»Den Karton neben der Tür.«
»Was soll ich denn mit dem Karton?«
»Herbert, wie bist du eigentlich drauf? Du musst dich noch gewaltig ändern. An deinem Verhalten merkt ja jeder, dass du ein frischer Fisch in Port Harcourt bist. Und wie du rumläufst, Hose mit Bügelfalte. Bist du schwul?« Robert lachte. »Hast du denn keine vernünftige Jeans? Zu deiner Information: In dem Karton dort ist der Meißel, den du für mich nach Houston schicken sollst. Also klemm dir den Karton unter den Arm und verpiss dich! Tschüss.«
Ich kam Roberts Bitte nach und schleppte das schwere Gebinde nach draußen. Als er mich erblickte, stürmte mein Freund, der Mann am Tor, auf mich zu und nahm mir den Karton ab. Gemeinsam verstauten wir ihn im Kofferraum des Peugeot. Sobald ich auf dem Rücksitz Platz genommen hatte, drehte sich Godfrey um. Wie immer grinste er wie ein Honigkuchenpferd.
»Wohin, Sir?«
»Zum Büro. Kannst du dir das vorstellen, ich habe gerade meinen ersten Auftrag erhalten«, verkündete ich aufgeregt und erschöpft.
»Gut gemacht, Sir!«
Godfrey schmiss den Motor an und wir düsten, falls man das bei den örtlichen Verkehrsverhältnissen so sagen konnte, ab.
Für den Abend hatte ich mich mit Sandy in Philippas Bar verabredet. Die Besitzerin, die sich zu der Zeit in London aufhielt, hatte ein perfektes Geschäftsmodell. Unter riesigen Mangobäumen im Hof wurde eiskaltes Bier von Mädchen in sehr kurzen schwarzen Miniröcken serviert. Eine Live-Band spielte und alle Stühle an den vielleicht zwanzig Plastiktischen wurden von zwei bis drei Expatriates und der doppelten Anzahl weiblicher Gäste in Beschlag genommen. In der hinteren Ecke des Biergartens befand sich ein Friseursalon. Die beiden Betreiberinnen waren die Einzigen, die sich in Port Harcourt auf Frisuren weißer Männer spezialisiert hatten. Aus Magazinen konnte man sogar zwischen verschiedenen Haarschnitten wählen. Trotzdem entschieden sich die meisten Ölarbeiter für die klassische Rasur einer Glatze. Das Friseurgeschäft brummte, es gab keinerlei Reklamationen und alle Beteiligten waren vollauf zufrieden. Die Kunden, die während der Wartezeit Bier trinken konnten, die Friseurinnen, die von den angetrunkenen Kunden gute Trinkgelder erhielten, und die Bar, die den modebewussten Herren Getränke verkaufte. Eine weitere, gute Einnahmequelle der Philippa Bar war die Beherbergung. Die vier Zimmer oberhalb der Bar waren fast immer ausgebucht, häufig aber nur für ein Stündchen, für das sich Ölarbeiter mit ihren Bekanntschaften zurückzogen.
Sandy war wie immer gut drauf. Er versuchte, seine Theorie über die Arschlöcher der Dicken mit weiteren Argumenten zu untermauern. Das kam bei den uns umringenden Mädchen besonders gut an. Sie lachten, kreischten, klatschten in die Hände, führten sexy Freudentänze auf. Da Sandy den Damen zu viel Bier ausgegeben hatte, gingen sie uns jedoch schon bald richtig auf die Nerven. Wir konnten uns nicht mehr unterhalten, ohne dass eine oder mehrere von ihnen dazwischenquatschten. Von dem ständigen »Wie heißt du? Ich liebe dich. Hast du noch einmal eine Zigarette?« etc. pp. fielen mir langsam die Ohren ab. Alle paar Sekunden hatte man eine Hand auf dem Knie. Wenn man sie nicht rechtzeitig entfernte, arbeitete sich die Hand immer weiter nach oben vor.
Während der nächsten Tage stellte mich Mogu bei verschiedenen Firmen vor. Wir waren ein gutes Team und schon bald recht erfolgreich. Wir verschifften Kassetten mit seismischen Aufnahmen für Western Atlas, im- und exportieren Ventile für Cooper Cameron und Ersatzteile für Deutag. Leider erwies sich die Zusammenarbeit mit deutschen Unternehmen, mit meinen deutschen Brüdern, immer wieder als äußerst schwierig und kompliziert. Mit Firmen anderer Nationalitäten, außer mit den libanesischen Clans, lief das Geschäft wesentlich entspannter. Besonders beeindruckt war ich von Western Atlas. Als ich unsere Rechnung an einem Dienstagnachmittag abgegeben hatte, bat mich der schottische Projektmanager, gleich am nächsten Tag wiederzukommen und unseren Scheck abzuholen. Der Scheckausgabetag seiner Firma war der Mittwoch.
Mogu und ich verstanden uns ausgezeichnet und ich war vom Können des untersetzten, meist Jeans und ein Poloshirt tragenden jungen Mannes überwältigt. Er schrieb fantastische Geschäftsbriefe, die mit meinen stümperhaften deutsch-englischen Abhandlungen nicht vergleichbar waren. An einem Freitag lud mich Mogu zu seiner Hochzeit ein und gab mir zu verstehen, dass er sich sehr freuen würde, wenn ich kommen könnte.
Mein Gott, was war das? Die großräumige Kirche, ein Bauwerk des neunzehnten Jahrhunderts, war voll besetzt und Godfrey und ich sicherten uns gerade noch ein Plätzchen auf der letzten Bank. Es würde Mogu ein Vermögen kosten, die vielleicht tausend Gäste später zu bewirten. Ich hätte niemals erwartet, dass Mogu so ein großer Mann war, der sich solch eine Veranstaltung leisten konnte. Jetzt wurde auch schon die Braut, im weißen Kleid mit Schleier, vom Brautvater zum Altar geführt. Ich versuchte krampfhaft, Mogu auszumachen, entdeckte ihn jedoch nicht. Dann war ich ein wenig verwirrt, als ein weiterer Herr im schwarzen Anzug eine Braut zum Altar eskortierte. Okay, es handelte sich hier also um eine Doppelhochzeit, das hatte Mogu vergessen zu erwähnen. Plötzlich erschien noch eine Braut und noch eine und noch eine und noch eine. Meine Kinnlade rutschte nach unten und ich brauchte ein paar Minuten, bis ich realisierte, dass ich mich auf einer Massenhochzeit befand, auf der circa fünfzig Paare vermählt wurden.
Ob Mogu unter den Getrauten war, wusste ich nicht.
Als die Glocken läuteten, verließen wir die Kirche und gingen zum Auto, vor dem Mogu im schwarzen Anzug und seine Frau im weißen Brautkleid auf uns warteten. Ich gratulierte und überreichte mein Geschenk: eine schön verpackte gute Flasche Whisky. Mogu bat uns, seinem Pkw zu folgen, und wir passierten Straßen und Wege, die ich bisher noch nicht kannte. Schließlich hielten wir vor einem im Kolonialstil erbauten Haus, stiegen aus und schlenderten zum Hinterhof. Dort hatten sich bereits circa dreißig Personen eingefunden. Die Ehrengäste saßen an einer Art Hochtisch, zwei auf Paletten stehenden Tapetentischen. Die gewöhnlichen Gäste hatten auf zwanzig geliehenen Plastikstühlen Platz genommen. Selbstverständlich durfte ich am äußeren Ende des Hochtisches bei den Ehrengästen sitzen und direkt neben mir stand eine mit eiskaltem Heineken befüllte Kühlbox. Ich war im Paradies. Mogu hatte wirklich Organisationstalent! Die stundenlangen Reden der Chiefs und hochgestellten Persönlichkeiten interessierten mich nicht im Geringsten. Ich war zufrieden und widmete mich ganz und gar dem Heineken.
Es war eine schöne Hochzeit, die schönste, der ich in Nigeria beiwohnen durfte, nicht zu vergleichen mit einer muslimischen Heirat, zwei Jahre später im Norden des Landes, auf der ich nach drei Tagen Palaver in einem überhitzten Zelt unter Androhung meiner Abreise ein Bier verlangte und letztendlich eine pisswarme Flasche Star bekam.
Eines Tages brachte mir unsere deutsche Sekretärin, Frau Jaja, eine blonde, schon leicht ergraute Mittvierzigerin, die mit einem Enkel des legendären Königs Jaja, einem Professor, verheiratet war, die Visitenkarte eines Instandhaltungsmanagers der Port Harcourt Raffinerie. Frau Jaja fragte, ob ich den Herrn empfangen wollte. Na klar wollte ich! Der gut gekleidete Mann, grauer Anzug, blaue Krawatte, goldverziertes Brillengestell, brauner Aktenkoffer, stellte sich vor und erklärte, dass er für die sogenannte Turn-Around-Maintainance der Raffinerie zuständig war. Aktuell ging es darum, einen Generator zwecks Überholung in die USA zu schicken und ihn später wieder zu importieren. Der Besucher bat um Auskunft, ob wir so etwas machen könnten. Er gab mir eine Packliste und ich versprach, ihm nach Rücksprache mit dem entsprechenden Albatros-Büro in den USA ein Angebot zu unterbreiten. Sobald mir alle Zahlen vorlagen, ließ ich unsere Offerte schreiben und schickte Mogu am nächsten Morgen zur Raffinerie, um sie dem Instandhaltungsmanager zu geben. Schon nachmittags erhielten wir eine schriftliche Auftragsbestätigung! Ich war glücklich über einen neuen Kunden und einen Auftrag mit einem ansehnlichen Profit.
Auf dem Heimweg funkte mich Konrad im Auto an. »Eins an drei, eins an drei, bitte kommen.«
»Drei an eins, was kann ich für dich tun?«
»Bitte komm heute Abend zu mir nach Hause. Wir haben lange nicht mehr miteinander geredet.«
»Okay, bin auf dem Weg.«
Konrads Haus befand sich in der Forces Avenue, im GRA 1 (Government Restricted Area 1), dem besten Wohngebiet in Port Harcourt, in dem meist Politiker, einschließlich des Gouverneurs, Militärs und reiche Geschäftsleute wohnten.
Nach kurzem Hupen wurde das Einfahrtstor geöffnet. Ich klopfte kurz an der Haustür und trat ein, als ein lang gezogenes »Ja« ertönte. Mein Boss saß hinter der Bar und hatte ein hohes Glas Gin Tonic vor sich. Vor der Bar saß ein großer älterer Mann in schwarzer Polizeiuniform mit glitzernden Knöpfen. Drei leere Flaschen Star Bier standen vor ihm.
Konrad deutete auf den Polizisten und begrüßte mich. »Herbert, darf ich vorstellen: Das ist James, der DPO (Deputy Police Officer), der Chef der Polizeistation hier in der Forces Avenue. James ist ein alter Freund. Er hat uns schon manches Mal richtig geholfen. Wir hatten gerade etwas Geschäftliches zu besprechen, sind aber schon fertig. Hast du schon Freunde in Port Harcourt?«
»Einige wenige.«
»Das reicht nicht. Mach dir auch James zum Freund. Er ist ein toller Kerl und, wie schon erwähnt, immer sehr hilfsbereit. James, bitte, lade Herbert doch einmal in die Offiziersmesse der Polizei auf ein Bier ein.«
James gab mir seine Visitenkarte und ich überreichte ihm meine, die mit seiner, mit goldenen Schriftzügen verzierten, bei Weitem nicht mithalten konnte. Wir vereinbarten zu telefonieren.
»James wollte gerade gehen, nicht wahr, James?«, fuhr Konrad fort.
Der Polizist lallte etwas Unverständliches, trank den Rest Bier auf ex aus, salutierte und verschwand. Dass Konrad den DPO loswerden wollte, weil er bei jeder sich nur bietenden Gelegenheit zu ihm kam, Unmengen Bier trank und um Geld bettelte, verstand ich erst später, als der DPO mir, seinem neuen Freund, fast jeden Abend seine Aufwartung machte. Einmal kam er, um sich dafür zu bedanken, dass ich die Reparaturkosten für sein Fahrzeug übernommen hatte. Aus diesem Grunde wollte er mich auf ein Bier in die Offiziersmesse einladen. Es ist mir unerklärlich, wie der Halunke das hinbekommen hatte. Als wir in seinem Auto saßen, er den Motor anschmiss und einen Gang einlegte, machte das Gefährt nur einen kurzen Satz nach vorn und danach bewegte es sich keinen Zentimeter mehr, weder vorwärts noch rückwärts. Für das Abschleppen und die folgende Reparatur durfte ich natürlich wieder bluten.
Konrad blickte mich freundlich lächelnd über seine Hornbrille hinweg an. Er erkundigte sich nach meinem Wohlbefinden und bat schließlich um Auskunft darüber, welche Aufträge ich auf dem Zettel hätte. Als ich stolz vom neuen Job der Raffinerie berichtete, verfinsterten sich die Gesichtszüge meines Direktors. Ich hatte noch gar nicht ganz ausgeredet, als er schon auf den Tresen schlug und blaffte: »Herbert, wie kann man nur so dumm sein?«
Ich war geschockt und verstand die Welt nicht mehr. Kleinlaut fragte ich, was ich denn falsch gemacht hatte. Schließlich war es, wenn ich das richtig verstanden hatte, meine Aufgabe, neue Kunden und Aufträge zu gewinnen.
»Aufträge, ja, aber doch nicht von denen. Bist du bescheuert?«, schimpfte Konrad.
Ich war verwirrt, konnte nichts mehr zum Besten geben und glotzte meinen Boss mit offenem Mund an.
Der war inzwischen rot angelaufen und belehrte mich: »Die haben kein Geld und bezahlen ihre Rechnungen nicht. Versteh das doch! Zu denen geht kein vernünftiger Mensch!«
Ich blickte auf den Boden, flüsterte: »Entschuldigung, aber das wusste ich nicht. Was soll ich denn jetzt machen?«
Der Direktor hämmerte wieder auf den Tresen. Dabei ging der Kelch mit dem heiligen Wasser – das Glas Gin Tonic – zu Bruch. »Fahr dort gleich morgen früh hin und sag denen, dass sie zur Hölle gehen sollen!«
Ich verabschiedete mich kleinlaut und schloss die Tür leise hinter mir. Nachts konnte ich nicht schlafen und sann über eine Strategie nach, die mich, ohne meinem Ansehen zu schaden, aus dieser peinlichen Lage befreien könnte.
Am nächsten Morgen schaute ich das Telefon auf meinem Schreibtisch eine ganze Weile an, bevor ich den Mut aufbrachte, die Raffinerie anzurufen. Ich erklärte dem Manager, dass Albatros Houston sich gemeldet hatte und dass es technische Schwierigkeiten, die ich als Neuling in Nigeria noch nicht so richtig verstand, gäbe. Der Mann am anderen Ende der Strippe klang äußerst enttäuscht. Ich bat ihn, sich auch einmal anderweitig umzusehen, versprach aber, als ich ihn schon fast nicht mehr hörte, mich am folgenden Tag noch einmal zu melden.
Abends durfte ich wieder bei meinem Direktor antreten. Alles war wie am Abend davor. Er saß hinter der Bar, auf der ein Glas heiliges Wasser stand. Zumal mir kein Platz angeboten wurde, stand ich wie ein Sünder vor der Theke.
»Hast du das aussortiert?«
»Ja, habe ich.«
»Wie hast du das gemacht?«
»Na, gemäß deinen Instruktionen habe ich denen gesagt, dass sie zur Hölle gehen sollen.«
Der kleine Mann vor mir sprang auf, verlor dabei die Brille und der Kelch ging auch wieder zu Bruch. Wieselflink hatte er die Bar umrundet, stand vor mir und brüllte: »Wie dumm kann ein Mensch denn nur sein?«
»Aber ich habe doch nur gemacht, was du mir aufgetragen hast«, brachte ich kaum hörbar hervor.
»Du verstehst gar nichts! Absolut nichts!« Konrad schien am ganzen Leib zu zittern. Mit zusammengepressten Lippen flüsterte er dann, um Beherrschung bemüht: »Wir brauchen die doch, Mann, wir sind auch Schiffsagenten verschiedener Reedereien und deren Schiffe laden Öl und Fertigprodukte am Anleger der Raffinerie. Wir müssen mit den Mitarbeitern der Raffinerie bestens auskommen und können ihnen nicht sagen, dass sie zur Hölle gehen sollen.«
Der Oga biss sich auf den kleinen Finger und wanderte wie ein Tiger im Käfig im Raum auf und ab. Als ihm auch nach der zehnten Runde nichts eingefallen war, meinte er schließlich: »Herbert, mein Junge, bitte lass dir was einfallen und sortiere das aus. Morgen Abend erstattest du mir wieder Bericht und ich sage dir gleich, ich möchte dann nur Gutes von dir hören.«
Am nächsten Abend an gleicher Stelle wollte er wissen, was ich unternommen hatte. Ich gab ihm zu verstehen, dass ich ein gutes Gefühl hätte und glaubte, das Richtige getan zu haben.
Konrad blickte mich erwartungsvoll an und bohrte nach: »Ja, was hast du denn gemacht?«
»Ich habe mich bei dem Manager entschuldigt, ihm erklärt, dass mir ein riesiger Fehler unterlaufen sei und dass er mir, als Neuling in Nigeria, diesen Fehler bitte vergeben und sich nicht bei meinen Vorgesetzten beschweren möchte.«
»Was, welcher Fehler, spann mich doch nicht auf die Folter!«
»Ich habe ihm erklärt, dass ich mit der lokalen Währung, dem Naira, und den riesigen Millionensummen noch nicht so richtig klarkomme und dass ich aus diesem Grunde bei dem Preis unseres Angebotes eine Null vergessen hätte.«
Konrad glotzte mich an wie eine Fata Morgana. Das Schweigen unterbrechend konstatierte ich: »Das Angebot ist jetzt so teuer, dass es niemand annehmen kann.«
»Herbert, mein Sohn, hahaha.« Konrads Gesicht nahm wieder Farbe an und er schlug sich immer wieder aufs Knie. »Das ist gut, das ist so gut, das hätte auch von mir sein können.«
Ich durfte an der Bar Platz nehmen, eine neue Flasche Gordons Gin wurde geöffnet und vernichtet. Der Oga erzählte Anekdoten aus alten Zeiten und seinem langen Geschäftsleben in Nigeria. Es war ein schöner, feuchter Abend.
Zwei Tage später kam die Ernüchterung. Ich saß, nichts Böses ahnend, an meinem Schreibtisch, als Frau Jaja in mein Büro kam und mir freundlich lächelnd einen Brief vor die Nase hielt. Gut gelaunt und ein Liedchen summend verließ sie den Raum wieder. Ich blickte auf den Umschlag, auf dem in der linken oberen Ecke Port Harcourt Raffinerie stand. Mein Gott, was wollen die denn schon wieder, ging es mir durch den Kopf. Das kann nichts Gutes bedeuten. Wollten die sich etwa doch, trotz des Versprechens des Managers, bei unserer Geschäftsleitung über mich beschweren? Ich überlegte, ob ich den Brief im Papierkorb verschwinden lassen sollte, öffnete ihn dann aber und glaubte meinen Augen nicht trauen zu können, als ich die Überschrift »Auftragsbestätigung« las. Scheiße, das durfte nicht wahr sein! Die hatten den zehnfachen Preis akzeptiert und baten darum, den zu überholenden Generator umgehend abzuholen und nach Houston zu versenden. Mein Gott, was sollte ich jetzt machen und wie sollte ich das meinem Direktor, der mich mittlerweile ja schon wieder mit »mein Sohn« anredete, beibringen? Dass ich der Raffinerie ein neues schriftliches Angebot mit dem neuen Preis zukommen ließ, hatte ich Konrad verschwiegen. Nach einer Stunde des Grübelns nahm ich all meinen Mut zusammen, ging über den Flur und klopfte an der Tür des Büros des General Managers, in das sich Konrad und Mats zwecks eines strategischen Meetings zurückgezogen hatten. Als ich eintrat, drückten die Gesichter meiner Vorgesetzten aus, dass sie sich gestört fühlten.
Konrad blaffte kurz angebunden: »Herbert, falls du nichts Wichtiges hast, komm bitte später wieder.« Mats spielte wie immer mit seinem goldenen Ring.
Ich hielt den Brief der Raffinerie hoch und murmelte: »Entschuldigung, aber ich glaube, es ist wichtig.«
»Ja, was gibt es denn?«
»Konrad, du wirst es nicht glauben, aber ich habe gerade diese Auftragsbestätigung von der Raffinerie erhalten. Die haben den neuen Preis akzeptiert und bitten um Abholung der Ware.«
Konrad sprang auf, funkelte mich mit wütenden Augen an und schrie: »Was, hast du denen etwa ein neues schriftliches Angebot unterbreitet?«
Ich nickte kurz und musste daraufhin ein nicht enden wollendes Gebrüll über mich ergehen lassen.
»Mats, ich weiß nicht, wen ich da eingestellt habe! Der Kerl ist so dumm, dass es knallt! Keine Ahnung, woher er all die vielen schönen Zeugnisse in seiner fantastischen, hahaha, Bewerbungsmappe hat.« Die Sätze »Wie kann man nur so naiv sein« und »Du verspielst mein schwer verdientes Geld, wirfst es zum Fenster raus« wurden mehrfach wiederholt. Mats schien das Ganze zu belustigen und Freude war ihm ins Gesicht geschrieben. Nun war klar, dass es nur einen wirklichen Kronprinzen gab, und das war er.
Als Konrad nach zehn Minuten die Worte ausgingen und er einen kleinen Hustenanfall – der volle Aschenbecher deutete auf starken Zigarettenkonsum hin – bekam, meldete ich mich zu Wort und verkündete zu meiner eigenen Überraschung vollkommen ruhig und nüchtern: »Gentlemen, mehr Geld kann man gar nicht verdienen. Wenn wir auch nur einen Bruchteil des angebotenen Preises, und sei es nach einem Jahr, erhalten, machen wir schon einen ordentlichen Profit. Falls du, Konrad, den Auftrag nicht annehmen willst, bin ich gern bereit, mein eigenes bisschen Geld zu investieren und das Geschäft auf eigene Rechnung abzuwickeln. Lass mich bitte wissen, was du willst.«
Augenblicklich trat Stille ein. Mats spielte nicht mehr mit seinem Ring, sondern an seiner großen goldenen Uhr, die zwischen seiner riesigen Pranke und dem blond behaarten Unterarm nicht so richtig zur Geltung kam. Ich meinte an seinem Gesichtsausdruck erkennen zu können, dass er rechnete. Konrads noch dunkles Haar klebte an seiner Stirn. Schweiß lief von seinem Gesicht über den Hals in den Ausschnitt seines Hemdes. Wir hatten mal wieder einen Stromausfall und der Generator wurde gerade repariert.
»Na ja, vielleicht sollten wir es einmal probieren«, bekundete Konrad zu guter Letzt. »Ich gehe das Risiko ein. Herbert, wenn du uns jetzt bitte allein lassen würdest.«
Tief durchschnaufend zog ich mich in mein Büro zurück.
Nach Auftragsabwicklung kümmerte sich Mogu, mit dem nötigen Kleingeld ausgestattet, um unsere Rechnung. Sie wurde von zweiunddreißig Personen bearbeitet und musste dieselbe Anzahl an Schreibtischen passieren. Mogu fuhr jeden Morgen direkt von seinem Haus in die Raffinerie, um den gerade zuständigen Sachbearbeiter zu motivieren, den Scheck weiterzuleiten. Achtzehn Monate später war es endlich so weit, der Scheck befand sich im letzten Büro und es fehlte nur noch eine Unterschrift. Als Mogu das Stückchen Papier nachmittags ins Büro brachte, hätte ich ihn küssen können. Natürlich feierten wir beide den Erfolg später ausführlich. Ohne anzuklopfen, ging ich mit dem Scheck in der erhobenen Hand in das Büro meines Direktors.
Der beäugte mich kritisch, als ich ihm zurief: »Konrad, schau mal, was ich hier habe.«
»Ja, was hast du denn da, Herbert?«
»Den Scheck der Raffinerie!«
Konrad, der den Mund für eine ganze Weile nicht schließen konnte, stammelte ungläubig: »Nein, das ist ja nicht zu fassen. Wie hast du das denn gemacht, zeig mal her. Setz dich bitte.«
Der Scheck wurde fünf Minuten durchleuchtet, dabei saß Konrads Brille ausnahmsweise einmal anständig auf seiner Nase und er schaute nicht über ihren Rand hinweg. Dann sprang der Oga auf, drückte und küsste mich auf beide Wangen.
»Herbert, mein Sohn, das hast du sehr gut gemacht.«
Mir waren die Zärtlichkeiten und vor allem die feuchten Küsse äußerst unangenehm. In der Annahme, dass sich das Gemüt meines Chefs beim Thema Geld wieder abkühlen würde, erklärte ich: »Ich würde mich sehr freuen, wenn du dich ein wenig erkenntlich zeigen würdest.«
»Mach dir diesbezüglich mal keine Sorgen, das werde ich auf jeden Fall.«
»Das ist nett von dir, Konrad. An was hast du denn gedacht?«
»Na, ich werde dir selbstverständlich ein Extragehalt zahlen!«
Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, kochte jedoch innerlich. Nur ein zusätzliches Gehalt bei dem riesigen Gewinn, den der Direktor einsackte, und nach all dem Theater, das ich hatte über mich ergehen lassen müssen.
Als der Bonus nach einem Monat immer noch nicht auf meinem Konto war, ging ich wieder zu Konrad und erinnerte ihn an sein Versprechen.
»Herbert, mein Sohn, mach dir bitte keine Gedanken. Ich arbeite daran«, erwiderte er.
Die Antwort, die ich zwei Monate später erhielt, lautete ähnlich. Heute weiß ich nicht, ob Konrad noch lebt oder schon im Himmel oder anderswo ist und dort immer noch an meinem Bonus arbeitet.
Der noch junge Tag fing schon einmal schlecht an. Auf dem Weg zur Arbeit gelang es uns nicht, einen vor uns fahrenden Lkw zu überholen. Es ging nicht, weil der Schrotthaufen traversierte und so die ganze zweispurige Fahrbahn für sich in Anspruch nahm. Außerdem zog der Truck eine dicke, schwarze, undurchsichtige Rauchwolke hinter sich her. Plötzlich brach die Mistkarre nach links auf die Gegenspur aus. Bremsen quietschten, Fahrzeuge wichen auf unsere Spur aus, Motorradtaxis stürzten, Fußgänger sprangen zur Seite. Auch Godfrey stieg in die Eisen. Als wir zum Stehen gekommen waren, sah ich direkt vor meiner Nase, wie das linke Vorderrad des Lkw über den Kopf einer auf der Straße liegenden Person rollte. Knochen, Fleisch und Gehirnmasse spritzten an der Reifenseite hervor. Mir wurde speiübel.
»Was für ein blutiger Tag, Sir«, stellte Godfrey fest.
Ich war bedient und sagte nichts. Mir fiel wieder ein, was ein deutscher Lufthansapilot mir an der Hotelbar erzählt hatte.
»Als ich zum ersten Mal nach Lagos kam, war ich beeindruckt. Eine Leiche lag vor meinem Hotel auf der Straße und jemand hatte, damit die sterblichen Überreste nicht überrollt wurden, jeweils einen alten Autoreifen vor den Kopf und die Füße der Leiche gelegt. Als ich abends zum Hotel zurückkehrte, war ich geschockt. Die Reifen wurden geklaut und die Leiche war platt.«
Den halben Vormittag saß ich, in mich gekehrt, im Büro und das einzig Produktive, was ich zustande brachte, war, Papier von der einen Seite des Schreibtisches auf die andere zu verlagern. Gegen Mittag wurde es laut im Gebäude. Ich vernahm immer wieder Gelächter, freudige Ausrufe, Stimmengewirr. Der Lärm schien von unten, aus dem Funkraum, zu kommen. Neugierig beschloss ich, herauszufinden, was los war.
Zwanzig Albatros-Mitarbeiter hatten sich um eine kleine Frau mittleren Alters versammelt. Sie war stark geschminkt – knallroter Lippenstift, blauer Lidschatten, braunes Make-up, verlängerte Wimpern – und trug einen schwarzen, äußerst kurzen Minirock, der an Frauen ihres Alters nicht unbedingt vorteilhaft wirkt. Eine Afrikanerin mit Dauerwelle hatte ich bis jetzt auch noch nicht gesehen. Ich ging daher davon aus, dass die Dame Perückenträgerin war.
Als Gift mich im Türrahmen stehend bemerkte, nahm sie den Gast bei der Hand, drängte sich zu mir durch und kicherte: »Sir, wir haben Besuch. Das ist Madam Philippa. Sie ist gerade aus London zurückgekehrt.«
Philippa gab mir einen laschen Handshake und versuchte, etwas zu sagen.
Ich unterbrach sie jedoch sofort und murmelte, um ortskundig und erfahren und nicht unbedingt wie ein frischer Fisch zu wirken: »Ah, Philippa, du bist sicherlich die Besitzerin der Philippas Bar, richtig?« Ich hatte den Nagel auf den Kopf getroffen.
Philippa umarmte mich sofort und flüsterte mir ins Ohr: »Schön, dass auch du meine Bar kennst. Ich habe mir da richtig etwas einfallen lassen. Alle Oyibos in Port Harcourt lieben meinen Platz. Aber, Spaß beiseite, ich bin nicht nur zum Vergnügen hier. Ich möchte auch etwas Geschäftliches besprechen. Kannst du ein wenig Zeit entbehren?«
»Klar, gehen wir doch in mein Büro.«
Als Philippa vor meinem Schreibtisch saß und sich im Stuhl zurücklehnte, wirkte ich wohl etwas verlegen und nervös, was aber nicht der Fall war. Ich versuchte nur, nicht auf ihren Minirock, der sich in meinem direkten Blickfeld befand, und die vernarbten Beine zu blicken. Das sah nicht gerade appetitlich aus.
Die Besucherin berichtete ausführlich von ihrer fantastischen sechsmonatigen Zeit in London, in der Stadt, in der alles funktionierte und in der es alles nur Erdenkliche zu kaufen gab. Jetzt, nach ihrer Rückkehr in die Provinz, nach Port Harcourt, wo nichts funktionierte, hatte sie einen Schock erlitten.
Philippa blickte kurz auf ihre schicke, golden glänzende Armbanduhr. »Jetzt aber zum Geschäftlichen. Weil Air France viel zu viel Geld für Übergepäck verlangte, habe ich sieben Koffer per Luftfracht nach Port Harcourt geschickt. Die müssten übermorgen ankommen. Hier ist eine Kopie des Luftfrachtbriefes und hier sind die Schüssel. Könnt ihr die Koffer für mich am Flughafen in Empfang nehmen und sie mir in die Bar liefern? Sie enthalten ausschließlich persönliche Effekten, wie gebrauchte Kleidung, Schuhe etc. pp.«
Breit grinsend beugte ich mich vor und blickte der Besucherin in die Augen. »Klar können wir das. Das ist eine unserer leichtesten Übungen!«
»Okay, und was wird das kosten?«
Ich hatte die Arme vor der Brust verschränkt und erklärte, obwohl ich mich dabei ertappte, den Breiten zu machen: »Philippa, das ist eine Kleinigkeit, die wir mit Vergnügen für dich erledigen. Das kostet selbstverständlich nichts. Wenn du mir mal zwei oder drei Bier in deiner Bar ausgeben möchtest, werde ich mich natürlich nicht beschweren.«
Ich verabschiedete mich von Philippa. Anschließend legte ich den Frachtbrief, die Schlüssel und einen Zettel mit entsprechenden Instruktionen auf den Schreibtisch unseres Luftfrachtmanagers.
Drei Tage später saß ich in Arbeit vertieft im Büro und ahnte nichts Böses, als ich Gebrüll und Gezeter vernahm. Das Geschrei wurde lauter, intensiver. Und dann stand sie auch schon in meinem Zimmer, baute sich vor der Tür auf und verstellte mir somit einen etwaigen Fluchtweg. Durch die verschmierte Schminke wirkte ihr Gesicht wie die Farbpalette eines Malers. Ihre Nasenflügel waren aufgebläht. Die Frau schnaubte, schimpfte und tobte. Die Situation schier nicht verstehend und mich ihr nicht gewachsen fühlend, versuchte ich, Kollegen zu rufen. »Mogu! Charles! Gift!« Nichts geschah, niemand kam, keiner erhörte mich. Ich war mir sicher, dass alle Kollegen im Büro lauschten, sich aber nicht trauten, mir zu Hilfe zu eilen. Vielleicht hatten sich einige in ihren Zimmern verbarrikadiert? Ich war allein mit der Berserkerin. Nachdem ich die Verrückte mehrmals gebeten hatte, sich zu setzen und mir zu erklären, was eigentlich los war, kam sie meiner Bitte endlich nach. Das Geschrei, Schnauben und Schnalzen, unterbrochen vom regelmäßigen Schlagen auf meinen Schreibtisch, der ihr als Basstrommel diente, dauerte allerdings noch einige Minuten an. Ich fühlte mich äußerst unbehaglich, hatte ehrlich gesagt die Hosen voll.
Auf einmal schien die Show beendet zu sein und Philippa redete in klaren, verständlichen Sätzen. »Ich habe mir gleich gedacht, dass etwas faul ist, als ich die Gestalten gesehen habe, die auf dem Pick-up-Truck saßen, um meine Koffer zu liefern. Man sah schon von Weitem, dass das Verbrecher waren, besonders der kleine Ältere mit dem pechschwarzen Gesicht, dem kugelrunden Kopf und der ganz platten Nase!«
Ich brauchte nicht lange, um zu verstehen, dass es sich bei dieser Beschreibung nur um Gordon, unseren Luftfrachtmanager, handeln konnte.
»Zwei Koffer wurden fachgemäß an der Seite aufgetrennt! Meine besten und teuersten Sachen fehlen, sind weg, wurden von diesen Kriminellen geklaut!«
Jetzt machte ich einen Fehler, den ich sofort bereuen sollte. Ich erklärte: »Aber bei uns ist, soweit mir bekannt, noch nie etwas abhandengekommen. Unsere Mitarbeiter sind absolut vertrauenswürdig.«
»Was?« Mit einem Rundschlag räumte Philippa meinen Schreibtisch leer. Das Telefon, Ablagekörbe und Schreibgeräte kullerten über den Fußboden. Papiere flatterten im Raum herum. Der zweite Akt des Theaterstücks begann. Das Orchester setzte wieder ein: Schreien, Schnauben, Schnalzen, Trommeln!
Ich versuchte nochmals, durch die Tür zu entkommen. Meine Kontrahentin war jedoch unerwartet flink und versperrte mir erneut den Fluchtweg. Ich setzte mich wieder und ließ alles über mich ergehen. Die Zeit schien stehen geblieben zu sein und nicht zu vergehen.
Als die Durchgeknallte endlich ein wenig müde wirkte, lispelte ich: »Okay, Philippa, das ist alles gar kein Problem, wir sind ja schließlich versichert. Weißt du, was wir machen? Wir melden bei der Versicherung einen Schaden an. Hast du denn Quittungen für die fehlenden Sachen?«
»Die habe ich weggeworfen. Hab ja nicht geahnt, dass so etwas passiert!«
»Auch gut, aber du wirst dich doch noch ungefähr an die fehlenden Artikel und deren Preise erinnern können?«
»Na klar, das waren ja schließlich die besten Sachen!«
»Gut, dann geh bitte nach Hause, schreib das alles auf und gib mir eine Liste mit den Preisen, die ich bei der Versicherung einreichen kann. Wenn du eine Hauswaage hast, stell bitte die Koffer, aus denen Sachen verschwunden sind, darauf, damit wir die jetzigen Gewichte mit denen im Frachtbrief vergleichen und die Gewichtsdifferenz ermitteln können.«
»Gut«, zischte Philippa und war sogleich verschwunden.
Ich genoss die augenblicklich einkehrende Stille und war nahe dran, ein Dankesgebet zu sprechen, als die Tür geöffnet wurde und vielleicht zehn Kolleginnen und Kollegen eintraten. »Entschuldigung, Sir, wir haben gehört, was passiert ist. Das muss schrecklich gewesen sein.«
Diese und andere Mitleidsbekundungen interessierten mich nicht. Ich nahm meinen Aktenkoffer, zeigte der versammelten Mannschaft den Stinkefinger, knallte die Tür zu und fuhr ins Hotel, um mich an der Bar dem Star Bier zu widmen. Ich fühlte mich allein gelassen, mutterseelenallein.
Aus diesem und vielleicht auch anderen Gründen war es mir ganz recht, dass Juliette, die mir vorher schon aufgefallen war, sich zu mir setzte. Die Studentin im dunkelblauen Abendkleid mit kurzem, geflochtenem Haar und ihrer kleinen Narbe auf der rechten Wange war bezaubernd und ließ mich langsam alles vergessen. Juliette war stolz darauf, den einzigen lilafarbenen VW Käfer in der Stadt zu besitzen. Viele Mädchen gaben sich als Studentinnen aus, wenngleich sie keine waren. Ich fragte Juliette daher nicht über ihr Studium aus. Als ich sie jedoch Jahre später auf dem Flughafen im schwarzen Kostüm und mit einem Designer-Aktenköfferchen traf und sie mir erzählte, dass sie ihr Studium abgeschlossen und jetzt einen gut bezahlten Job in der Hauptstadt Abuja hatte, war ich stolz, ihre Bekanntschaft gemacht zu haben. Wir verbrachten eine traumhafte Nacht und am nächsten Tag ging es mir schon wieder wesentlich besser.
Philippa kam an diesem Tag nicht, aber am darauffolgenden. Sie knallte einen handgeschriebenen Zettel auf den Tisch. Das krakelige Kleingeschriebene konnte ich kaum entziffern, wohl aber die großgeschriebene Endsumme: fünfunddreißigtausendeinhundertneunundsechzig Pfund! Ich konnte meinen Mund eine Zeit lang nicht schließen, verspürte aufkommende Wut, versuchte jedoch, um eine Katastrophe zu vermeiden, ruhig zu bleiben. Ich bat um die Gewichte der betroffenen Koffer. Nach Abgleich mit dem Frachtbrief ergab sich eine Gewichtsdifferenz von sieben Kilo, falls Philippa richtig gewogen hatte.
Mir war klar, dass ich den falschen Weg einschlug, aber ich musste es auf den Tisch bringen: »Philippa, ich glaube nicht, dass wir mit dieser Sache bei der Versicherung durchkommen. Du erwähntest doch, dass sich in den Koffern nur Bekleidung und Schuhe befanden. Wie können denn sieben Kilo Klamotten fünfunddreißigtausend Pfund kosten? Das glaubt uns kein Mensch!«
»Wie, was meinst du denn, wer ich bin? Meinst du etwa, ich bin ein kleines Mädchen und trage billigen Scheißkram? Ich habe in London nur in den besten und teuersten Boutiquen eingekauft!«
Ich warf einen kurzen Blick auf den schwarzen Minirock, unter dem ein rosa Slip zu sehen war, und sagte gerade »Ja, aber«, als der Vulkan auch schon ausbrach. Wieder erfolgte der jetzt schon mit absoluter Perfektion ausgeführte Rundschlag. Wieder landeten das Telefon und alles andere auf dem Fußboden, flatterte Papier durch den Raum. Aufgeblähte Nasenflügel, Geschrei, Zisch- und Schnalzlaute, das Schlagen der Schreibtischtrommel; all das hatte ich wirklich vermisst. Es war fürchterlich. Ich versuchte gar nicht erst, nach Mitarbeitern zu rufen. Es würde eh niemand kommen. Ein erneuter Versuch, in einem Moment der Unaufmerksamkeit die Tür zu erreichen, scheiterte. Der dritte Akt der Theateraufführung endete in absoluter Ekstase und dauerte gut eineinhalb Stunden.
Zum Schluss drohte Philippa: »Ich werde das Fernsehen über eure verbrecherischen Machenschaften informieren und sie werden eine Reportage über eure Firma machen. Und wenn die dann mit ihren Kameras kommen, werde ich nackt vor eurem Tor tanzen!«
Ich stellte mir die Situation bildlich vor. Zunächst musste ich ein leises Lachen unterdrücken, konnte mich dann aber nicht mehr beherrschen und bekam, jetzt selbst immer wieder auf den Tisch klopfend, einen lauten Lachanfall.
Philippa schielte mich verdattert und erbost mit verdrehten Augen, in denen nur noch Weißes zu sehen war, an. Ihre Nasenflügel regelmäßig einziehend und aufblasend, schrie sie: »Was ist denn mit dir los?«