The Gilded Chain - Lauren Smith - E-Book

The Gilded Chain E-Book

Lauren Smith

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Beschreibung

Willkommen in einer verborgenen Welt erotischer Fantasien und ungezügelter Leidenschaft ... Callie Taylor ist seit Jahren von einem Mann besessen, der ihre Liebe nie erwidern wird. Aber alles ändert sich, als Callie Wes Thorne trifft, der nicht nur ein ebenso wohlhabender wie mysteriöser Kunstsammler ist, sondern auch ein bekannter Dominus. Trotz all der Nächte, in denen sie von einem anderen Mann geträumt hat, ist es Wes' räuberischer Blick, der plötzlich jeden ihrer Gedanken bestimmt und ihren Körper in Brand setzt. Eine Berührung von ihm verspricht unvergessliche Leidenschaft, aber Callie weiß, dass Leidenschaft oft ihren Preis hat: Die Welten, in denen die einfache Callie und der reiche Wes leben, sind zu verschieden.  Vom ersten Moment an ist Wes fasziniert von Callies künstlerischem Talent und ihrer entzückenden Unschuld. Nach einem gestohlenen Kuss will Wes Callie auf eine Weise für sich beanspruchen, wie noch keine Frau zuvor. Aber zuerst muss er sie überzeugen, ihre Kontrolle aufzugeben. Und wo könnte man eine Künstlerseele wie die von Callie besser verführen als in Paris? Wes nimmt Callie mit nach Paris - dreißig Tage hat Wes Zeit, um die Leidenschaft in der Unschuld vom Lande zu wecken und sie lustvoll zu unterwerfen. Teil 3 der romantischen BDSM-Reihe von USA Today Bestsellerautorin Lauren Smith.

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Lauren Smith

Surrender: The Gilded Chain

Aus dem Amerikanischen ins Deutsche übersetzt von Julia Weisenberger

© 2015 by Lauren Smith unter dem Originaltitel „The Gilded Chain (The Surrender Series #3)“

© 2021 der deutschsprachigen Ausgabe und Übersetzung by Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels

www.plaisirdamour.de

[email protected]

© Covergestaltung: Sabrina Dahlenburg (www.art-for-your-book.de)

© Coverfoto: Shutterstock.com

ISBN Print: 978-3-86495-479-5

ISBN eBook: 978-3-86495-480-1

Dieses Werk wurde im Auftrag von Hachette Book Group, Inc. vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Die Personen und die Handlung des Romans sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Autorin

Kapitel 1

Eines Tages, nachdem wir Herr der Winde, der Wellen, der Gezeiten und der Schwerkraft geworden sind, werden wir uns in Gottes Auftrag die Energie der Liebe nutzbar machen. Dann wird die Menschheit, zum zweiten Mal in der Weltgeschichte, das Feuer entdeckt haben.

-Teilhard de Chardin

„Sie sind herzlich eingeladen zur Verlobungsfeier von Hayden Thorne und Fenn Lockwood …“

Mit schmerzerfülltem Keuchen zerriss Callie Taylor die teure cremefarbene Einladungskarte und blinzelte intensiv gegen die dicken Tränen an, die ihr über die Wangen zu rinnen begannen. Fenn, der Mann, den sie ihr ganzes Leben lang geliebt hatte, würde ihre Freundin Hayden heiraten. Es war zu viel, um den plötzlichen und erschütternden Schmerz in ihrer Brust verarbeiten zu können. Mit einem kleinen abgehackten Atemzug sah sie sich in ihrem winzigen Schlafzimmer um, ihrer letzten Zuflucht auf dem weiten Land ihres Vaters. Der einzige Ort auf der Broken Spur Ranch, den sie wirklich ihr Eigen nennen konnte.

Ihr Zimmer war voller Leinwände, Skizzenbüchern und Paletten mit halbtrockenen Farbabstrichen. Jahrelang hatte sie ihre Träume gemalt, und zu diesen Träumen gehörte immer auch Fenn. Doch vor einem Monat war ihre ganze Welt in der kleinen Stadt Walnut Springs in Colorado auf den Kopf gestellt worden, nachdem Fenns wahre Identität entdeckt wurde. Er war der lange verschollene Zwilling von Emery Lockwood, dem auf Long Island lebenden Erben des riesigen auf Technologie aufgebauten Vermögens. Sobald Fenn erfahren hatte, wer er wirklich war, wusste Callie, dass sie ihn für immer verlieren würde, aber jetzt, als sie mit seiner Verlobungsankündigung in der Hand hier stand, hatte sie zum ersten Mal einen kalten, harten Beweis für diese Tatsache.

In dem Moment, als Wes Thorne, Fenns Kindheitsfreund und Haydens Bruder, ihr die Einladung in die Hand gedrückt hatte, war ihr Traum gestorben. Der Mann, in den sie verliebt war, würde eine andere heiraten. Und nicht irgendjemanden, sondern Hayden Thorne. Als sie Hayden zum ersten Mal getroffen hatte, hatte sie die andere Frau sofort wie eine Freundin ins Herz geschlossen. Ein Anflug von Neid durchzuckte sie, und ihr Herz bekam einen grünen Schimmer.

Ich freue mich für die beiden … aber…

Darauf folgte ein Ekelgefühl, das ihre Brust wie mit unsichtbaren Steinen beschwerte. Sie sollte nicht eifersüchtig auf Hayden sein, nicht wenn sie sich so viel aus ihrer Freundin machte. Aber die Vorstellung, ihr bei der Hochzeit mit Fenn zuzusehen? Daran konnte sie nicht denken. Es war zu schrecklich … Sie ließ die zerrissenen Stücke langsam auf den Boden ihres Schlafzimmers flattern. Kleine Verwischungen von Fingerabdrücken überzogen die Teile der Karte, wo ihre mit Farbe befleckten Hände über das teure Papier gerieben hatten, während sie es in Fetzen gerissen hatte. Diese lebhaft farbigen Schnipsel lagen ihr zu Füßen in einer sie verspottenden Collage, die nur dazu führte, dass in ihren Augen frische Tränen brannten.

Schritte auf der Treppe erregten ihre Aufmerksamkeit. Kam ihr Vater herauf, um nach ihr zu sehen, oder war es Wes? Als Wes vor ein paar Minuten mit einem Brief von Fenn auf der Broken Spur aufgetaucht war, hatte Callie sich nicht helfen können. Da sie keine Ahnung von der vernichtenden Information, die der Brief enthielt, gehabt hatte, war sie direkt in ihr Zimmer gegangen, um ihn zu lesen. Zu aufgeregt, um auch nur ein Fitzelchen Zuneigung von Fenn oder irgendein Anzeichen dafür zu erhalten, dass er sie vermissen könnte, während er Zeit mit seiner Familie auf Long Island verbrachte, war sie direkt an ihrem Vater und Wes vorbeigerannt, als ob sie nicht mehr existierten.

Gott, ich bin so eine Närrin. Wie hatte sie nur so blind sein können, nicht zu sehen, dass Fenn, während er erfuhr, wer er wirklich war, sich gleichzeitig in Hayden verliebt hatte? Himmel, sie sahen dazu noch gut zusammenaus – beide waren wunderschön und perfekt: Fenn mit seiner Größe, dem muskulösen Körperbau und dem goldenen Haar, Hayden mit ihren intensiv roten Locken und ihrer umwerfenden Figur. Eine Welle der Übelkeit rollte durch ihren Magen. Ich bin für ihn nur die traurige kleine Schwester, die an ihm hängt. Ich hatte noch nie eine Chance. Sie hatte ihm ihr Herz geöffnet, ihm alles gegeben, was sie war, und sich nie zurückgehalten. Und was hatte ihr das gebracht? Ein gebrochenes Herz. Und es war ganz und gar ihre Schuld.

Wer auch immer die Treppe hinaufgekommen war, klopfte nun an ihre Schlafzimmertür. Reiß dich zusammen, sagte sie sich und wischte mit dem Handrücken alle Spuren ihrer Tränen weg.

„Wer ist da?“, rief sie und versuchte verzweifelt, zu verbergen, dass sie gerade in Stücke zerfiel.

Ihr Vater durfte sie so nicht sehen. Er war gerade erst nach seinem Herzinfarkt vor einem Monat aus dem Krankenhaus nach Hause gekommen, und sie verletzt zu sehen, würde ihm nicht guttun. Er sollte sich ausruhen und den neuen Ranchhelfern und Bauarbeitern den Großteil der schweren Arbeiten überlassen. Nicht, dass Jim Taylor jemals das Konzept des Ausruhens verstanden hätte.

„Callie, ich bin’s, Wes.“ Wes Thornes Stimme von der anderen Seite der Tür war leise, als ob er versuchte, nett zu sein. Er war nicht nett. Er war ein Wolf, ein Raubtier. Das hatte sie in dem Moment herausgefunden, in dem sie ihm zum ersten Mal begegnet war. An dem Tag, an dem er und seine Schwester Hayden auf der Ranch aufgetaucht waren, um Fenn zu sagen, wer er wirklich war, und ihn nach Hause zu bringen, weg von ihr. Wes war die letzte Person, die sie jetzt sehen wollte.

„Gehen Sie weg“, rief sie. Als kein Geräusch von zurückweichenden Schritten zu hören war, schlich sie zu ihrer Schlafzimmertür hinüber und öffnete sie nur einen Spalt. Sie fand sich einem teuren Anzughemd und einer makellos gebundenen Seidenkrawatte gegenüber. Der Mann sah immer so aus, wie wenn er einer Anzeige in der Vanity Fair entschlüpft wäre. Sie ließ ihren Blick höher gleiten, zu seiner Kehle, dann empor zu seinen vollen Lippen und schließlich seinen kobaltblauen Augen.

Wes, der Vorbote ihres persönlichen Untergangs, stand da und runzelte besorgt die Stirn, während er auf sie hinunterblickte.

„Geht es Ihnen gut? Ich dachte, ich hätte …“ Er sah sie prüfend an und bemerkte wahrscheinlich ihre geröteten Augen. Das Letzte, was sie brauchte, war sein Mitleid.

„Es tut mir leid.“ Sie schob sich an ihm vorbei und flüchtete aus ihrem Schlafzimmer und vor seinem prüfenden Blick. Während sie die Treppe hinunterlief, blendeten sie ihre Tränen fast. Sie musste hier raus, weg von ihm, von ihrem Vater. Sie wollte einen ruhigen, dunklen Ort finden und sich zu einem Ball zusammenrollen, um ihre Wunden zu lecken, anstatt tausend Fragen von Männern zu beantworten, die keine Ahnung hatten, was sie durchmachte. Ich will allein sein. Ich muss.

Sie kam unten an der Treppe an und ging durch das Wohnzimmer, gerade als ihr Vater in der Tür der Küche auftauchte.

„Callie, alles okay, Schätzchen? Du siehst aus, als hättest du geweint.“ Jim ging auf sie zu, aber sie hielt eine Hand hoch.

„Es geht mir gut, Dad. Ich muss nur ein wenig raus, okay? Ich bin in ein paar Stunden zurück.“ Und ohne ein weiteres Wort zu ihm zu sagen, stürmte sie hinaus auf die kleine Veranda ihres Ranchhauses.

Selbst als die frische Bergluft aus Colorado in ihre Lungen drang, reichte das nicht. Sie konnte immer noch nicht atmen … Sie brauchte Platz, Abstand, um ihren Kopf frei zu bekommen. Sie hoffte, dass sowohl Wes als auch ihr Vater sie in Ruhe lassen würden. Wes würde sich hoffentlich auf das konzentrieren, was er immer tat. Das Geschäft. Wenn er in der Nähe der neu zu errichtenden Hütten blieb, konnte sie ihm aus dem Weg gehen.

Etwas an ihm verunsicherte sie. Er war so verdammt ruhig und intensiv. Sie mochte diese Intensität nicht. Sie ließ ihren Puls schneller schlagen und ihre Handflächen schwitzen. Nicht wie Fenn. Fenn war sicher, er machte sie nicht nervös oder ließ ihren Atem vor lauter Vorfreude schneller werden. Es war zu verwirrend. Wes gab ihr das Gefühl, eine scheue Stallkatze zu sein.

Sie verdrängte die Gedanken an ihn und lief zur Scheune, wo ihr Quarter Horse Volt in seiner Box stand und fröhlich Hafer mampfte. Das war es, was sie brauchte. Nach draußen zu gehen und von allem wegzureiten, was sie verletzt und verwirrt zurückgelassen hatte. Volt war schnell und würde ihr bei der Flucht helfen. Seit sie ein Kind war, war das Reiten ihr Ventil, ihre Möglichkeit, sich von allem zu befreien. Es war eigentlich die Schuld ihres Vaters. Als ihre Mutter gestorben war, war Callie erst vier Jahre alt gewesen, und ihr Vater hatte ihr ein kleines Pony gekauft, um ihr etwas zu geben, für das sie sorgen und mit dem sie Reiten lernen konnte. Von da an war es ihr Heilmittel für ein gebrochenes Herz gewesen.

Callie warf Volt ein Zaumzeug über den Kopf und legte ihm dann eine Decke und einen Sattel auf den Rücken. Volt schnaubte und stieß seine Nase voller Zuneigung gegen ihre Schulter, während sie den Gurt festschnallte und ihn dann aus seiner Box führte. Sie wartete nicht einmal, bis sie ganz aus der Scheune heraus war, bevor sie aufstieg.

Sobald sie rittlings auf dem Pferd saß, trat sie ihm in die Seiten, schnalzte mit der Zunge und Volt ruckte nach vorn. Sie brachte ihn zum Traben, um ihn aufzuwärmen. Er brauchte nicht viel, um in seinen Rhythmus zu fallen. Ein weiterer schneller Tritt, und er schoss über das hintere Feld, direkt auf die Berge zu. Der Wind peitschte ihr das Haar in stechenden Ohrfeigen ins Gesicht, aber der Schmerz fühlte sich gut an. Darauf wollte sie sich lieber konzentrieren, anstatt auf die sengende Qual in ihrer Brust.

Volt schien ihr Bedürfnis, zu fliehen, zu spüren und rannte so schnell wie der wilde Blitz in einem Sommergewitter. Vor ihnen zeigten sich die bewaldeten Berge mit Spuren von hellgrünem Gras. Callie drängte Volt, parallel zum Hain der Espen zu galoppieren, der an den äußersten Rand des Besitzes ihrer Familie grenzte. Die weißen Stämme sahen durch das gefleckte Sonnenlicht aus wie schlanke Geister. Das glänzende Gold der Blätter erinnerte sie an die Kadmiumfarbe, die sie heute Morgen auf ihrer Palette gemischt hatte. Heute Morgen. Seitdem hatte sich so viel verändert.

Vor ein paar Stunden hatte sie noch mit Acrylfarben experimentiert und sich so richtig ausgetobt, da sie keine Ahnung hatte, wie sie dieses spezielle Medium verwenden sollte. Die halb bemalte Leinwand, auf der herabfallende Espenblätter abgebildet waren, sollte ein Geschenk für Fenn Lockwood werden, um ihn an das Zuhause zu erinnern, das er auf der BrokenSpur hatte. Und obwohl er nun ein neues Leben auf Long Island besaß, würde Broken Spur immer ein Teil von ihm sein. Zumindest hatte sie das gehofft, als sie sich in die Entstehung des Gemäldes vertieft hatte. Es war fünfundzwanzig Jahre her, dass Fenn nach Walnut Springs gekommen war. Etwas weniger lang hatten Jim und Maggie ihn als Ersatzsohn bei sich aufgenommen. Ein ganzes Vierteljahrhundert, in dem Fenn nichts von der Familie gewusst hatte, die ihn Tausende von Kilometern entfernt gesucht hatte. Solche Wurzeln verschwanden nicht einfach, oder? Auch wenn sie nicht Fenns Zukunft sein konnte, so war sie doch sicher ein Teil seiner Vergangenheit, und sie klammerte sich an diesen Gedanken wie eine Rettungsleine.

Alles an Fenn war perfekt gewesen. Er war groß, muskulös, blond und hatte haselnussbraune Augen. Ein Traum in Wrangler-Jeans und einem taillierten, karierten Hemd – wie ein Gott, der vor Jahrhunderten geboren worden war, um das wilde Land zu beherrschen, ehe der Mensch hier eingedrungen war. Ein starker, ruhiger, intensiver Mann, der sich um alle um ihn herum mit einer solchen Tiefe von Gefühlen kümmerte, dass es ihr manchmal Angst machte. Aber sie konnte sich nicht fernhalten.

Sie war ihm gefolgt, wohin er auch ging, zu jedem Bullenrodeo, an dem er teilnahm, und er war sogar mit ihr zu ihrem Abschlussball gegangen, da sie achtzehn Jahre alt gewesen war und eine ältere Begleitung hatte mitbringen dürfen. Alle ihre Freundinnen waren so eifersüchtig gewesen, aber an diesem Abend hatte sie mehr als alles andere gehofft, dass er sie küssen würde. Das hatte er nicht getan, außer ihr einem brüderlichen Kuss auf die Wange zu geben, bevor er sie nach oben ins Bett schickte. Niemals hatte sie es gewagt, ihm zu sagen, wie sehr sie ihn liebte, aber sie hatte es ihm mit jedem Atemzug, jedem Blick, jeder Handlung gezeigt. Und es hatte nicht einmal gereicht, dass er ihr den Kopf zuwandte. Hätte es eine Rolle gespielt, wenn sie ihm gesagt hätte, was sie fühlte? Nein. Das hätte es nicht. Weil er Hayden auf eine Weise ansieht, wie er mich noch nie angeschaut hat. Manche Wahrheiten taten weh. Sehr weh. Schlimm genug, dass sie nach einem Schluchzen plötzlich Probleme hatte, wieder zu atmen.

Und jetzt wollte er heiraten. Hayden.

Tränen rannen ihr übers Gesicht. Sie wusste nicht einmal, ob es am Wind oder an ihrem gebrochenen Herzen lag. Als sie an den Zügeln zog, wurde Volt langsamer. Er fiel zurück in Trab und dann in Schritt.

„Ruhig, mein Junge“, sagte sie sanft und tätschelte seinen muskulösen Hals. „Du willst immer zu lange zu intensiv voran.“ So war sie manchmal selbst. Dann gab es in ihr ein wildes Bedürfnis, ihre eigenen Grenzen zu überschreiten, bis sie sich befreit hatte.

Volt warf den Kopf zurück und seine schwarze Mähne fiel über seinen Nacken, als wolle er gegen ihre Worte protestieren, aber er hielt ihr gemächliches Tempo bei, während sie sich entlang der Linie der Espen bewegten und seine Hufe die Decke aus tiefgelben Blättern aufwühlten. Sie waren noch ein paar Monate von schwerem Schnee entfernt, aber man konnte den fernen Duft des Winters bereits riechen. Irgendetwas an diesem Duft beruhigte sie. Schnee begrub. Schnee deckte zu. Er verbarg Dinge, die ausgelöscht oder zumindest vorübergehend vergessen werden mussten.

Könnte sie ihr gebrochenes Herz vergessen, wenn es unter einem frühen Schneefall läge? Vielleicht, aber das löschte nicht die Tatsache aus, dass sie zur Verlobungsfeier gehen musste. Sie zusammen lächeln sehen, wie sie für Bilder posieren und sich eng umschlungen hielten. Dinge, die sie nie mit Fenn würde tun dürfen.

Der gewundene goldene Weg, den Volt bestieg, führte bald zu einem kleinen Hügel, wo große graue Felsen den Hang bedeckten. Sie zog an seinen Zügeln, und er hielt an, so dass Callie von seinem Rücken gleiten konnte. Sie führte ihn zu einem Wäldchen. Nachdem sie seine Zügel um einen kräftigen, niedrigen Zweig eines nahe gelegenen Baumes geschlungen hatte, ging sie zu den Vorsprüngen hinüber und kletterte auf einen besonders dicken, hüfthohen Felsen, der zur Hälfte mit blassem, wintergrünem Moos bedeckt war. Sie ließ ein Bein vorn herunterbaumeln, zog das andere hoch und stützte ihr Kinn auf das Knie.

Wolken zogen über den Himmel, und ihre Schatten verfolgten sich auf den sanften Hügeln und bewaldeten Tälern darunter. Ihr Vater hatte ihr diese Stelle gezeigt, nachdem ihre Mutter gestorben war. Ohne sie waren die beiden verloren gewesen. Die Natur war zu der Mutter geworden, die sie verloren hatte. Ihr Vater hatte sie gelehrt, dass ein Mensch hier, unter dem strahlenden Himmel und in den wechselnden Winden, Frieden finden konnte.

Ein paar Tränen rannen über ihre Wangen, aber sie wischte sie nicht weg. Niemand war hier und sah, wie sie in tausend Stücke zerbrach, nur der Wind, der Himmel und die Berge, und sie würden ihren geheimen Herzschmerz so lange verbergen wie nötig.

Sie wusste, dass sie eine Närrin war, zu glauben, dass Fenn ihre Gefühle jemals erwidern könnte, aber sie hatte sich nicht davon abhalten können, zu hoffen. Aber nun stand fest: Es würde keinen Aschenputtel-Moment für sie geben, keine große Verwandlung. Nur ein Leben auf der Ranch und vielleicht eine Arbeit in der Stadt, wenn sie ihrem Vater nicht helfen müsste.

Was ich tun muss, ist einen Weg zu finden, wie ich weitermachen kann. Zu lernen, ohne ihn zu leben.

Eine Flut von Erinnerungen schwemmte über sie hinweg … die Art, wie Fenn sie immer umarmt und ihr Haar verstrubbelt hatte, wie er sie ins Bett getragen hatte, als sie zehn Jahre alt gewesen war, nachdem sie auf der Couch eingeschlafen war. Wie sein natürlicher Duft an seinen Mänteln haften blieb und sie sie immer trug, wenn er nicht da war, nur um sich ihm nahe zu fühlen.

Sie war eine solche Närrin … so sehr zu lieben und so viel zu verlieren.

Sie konnte nicht zulassen, dass sich dies wiederholte. Sie durfte sich nicht mehr verlieben. Sie durfte ihre Seele nicht mehr bloßlegen in der Hoffnung, dass jemand sie so sehen würde, wie sie war. Keine halben Sachen mehr – sie konnte diese Art von Schmerz nicht mehr ertragen.

Ich bin fertig mit den Männern, fertig mit der Liebe, fertig mit all diesem romantischen Unsinn. Das ist den Schmerz nicht wert. Callie würde sich nie wieder von ihrem Herzen dazu verleiten lassen, sich in einen Mann zu verlieben.

Nachdem sie sich wieder im Griff hatte, wischte sie ihre Handflächen an ihrer Jeans ab und erhob sich dann von dem Felsen. Sie kehrte zurück zu Volt, der geduldig auf sie gewartet hatte. Sie wickelte die Zügel vom Ast ab.

„Zeit zurückzureiten.“ Sie wollte es nicht, aber sie war ein großes Mädchen und musste sich den Dingen stellen, auch wenn es sie Stück für Stück umbrachte.

Wes Thorne stand auf der Veranda einer der brandneuen, fast fertiggestellten Luxushütten, die auf der Rückseite des Geländes der Broken Spur Ranch mit Blick auf die Berge gebaut wurden. Das Holz des Verandageländers war etwas rau, sollte aber bald mit einem Schleifgerät geglättet werden. Das Eicheholz war massiv und solide und hatte eine satte braune Farbe, die dem Auge schmeichelte. Diese Hütten würden für Jim und Callie unglaublich lukrativ sein.

Der Plan war die Idee seiner Schwester Hayden gewesen, als sie bemerkt hatte, dass Jim Gefahr lief, die Ranch zu verlieren, weil sie mit ihren hohen Hypothekenzahlungen in Verzug geraten waren. Hayden hatte Wes vorgeschlagen, auf dem Grundstück Hütten zu bauen und sie als Ausflugsziel für stressbelastete Workaholics zu nutzen, die einen Urlaub von E-Mails und superstarkem Handynetz rund um die Uhr benötigten. Das war natürlich brillant, aber er war nicht überrascht. Hayden war schlussendlich besser, was Geschäfte betraf, als er es war. Er liebte die Kunst mehr als das Business und zum Glück hatte er in seinem eigenen Beruf als Kunstexperte großen Erfolg.

Während seine Schwester mit ihren Hochzeitsplänen beschäftigt war, hatte er sich bereit erklärt, herzukommen und den Fortschritt der Hütten zu überprüfen. Er hatte gewusst, dass es nicht gut enden würde, Callie von der Verlobung von Fenn und Hayden zu erzählen. Von dem Moment an, als er die wilde, temperamentvolle Callie kennengelernt hatte, hatte er erkannt, dass sie in Fenn verliebt war. Sie trug ihre Gefühle so offen zur Schau, dass die ganze Welt es sehen konnte, und er hatte es gehasst, die Person sein zu müssen, die die Nachricht überbringen musste, die ihr süßes, unschuldiges kleines Herz in Stücke schneiden würde.

Es hatte sie schlimmer getroffen, als er erwartet hatte. Er war hinaufgegangen, um nach ihr zu sehen, und als sie die Tür öffnete, waren ihre Augen gerötet und ihre Wangen immer noch von glänzenden Tränen befleckt. In ihrem Schmerz lag eine Wildheit, die atemberaubend schön war, und etwas in ihm hatte gegrollt wie ein tiefes Beben unter der Erde. Ihr Schmerz hatte ihn verunsichert, und nur wenige Dinge hatten ihn jemals verunsichert. Deshalb hatte er beschlossen, ein paar Tage zu bleiben, um sicherzugehen, dass es ihr gut gehen würde. Falls jemand fragte, war er natürlich nur hier, um nach den Neubauten zu sehen. Das war seine Geschichte und er würde dabeibleiben. Er schüttelte den Kopf. Er konnte sie nicht verlassen, wenn sie … Wes stoppte sich selbst. Sie brauchte ihn nicht. Zum Teufel, er bezweifelte, dass sie ihn überhaupt mochte. Sie lief immer davon, versteckte sich oder vermied Blickkontakt, als ob sie in seiner Nähe nervös wäre.

Nichts davon änderte etwas an der Tatsache, dass er sie wollte. In den letzten Wochen hatte er in seiner Fantasie geschwelgt, sie in seinem Bett zu haben, mit gefesselten Handgelenken und Beinen, mit völlig entblößtem Körper und bereit, jeden Zentimeter von ihr mit seinem Mund und seinen Händen zu erkunden, während er sie in seine dunklere Welt der Lust einführte. Die Dinge, die er mit ihr tun wollte … die er ihr unbedingt antun wollte, trieben ihn langsam in den Wahnsinn.

Er hatte noch nie so sehr nach einer Frau gelüstet wie nach Callie, und er durchschaute nicht, warum das so war. Sie war jung, unschuldig, nicht sein eigentlicher Typ Frau. Warum also zuckten dann seine Hände mit dem Drang, sie zu berühren, wann immer sie in der Nähe war? Und der Hauch ihres Duftes, nachdem sie frisch geduscht und an seinem Zimmer vorbeigegangen war, schien sich in seine Knochen zu ritzen. Während er von ihr getrennt gewesen war, hatte er versucht, sich selbst davon zu überzeugen, dass es eine dumme Besessenheit war. Während er mitten in der Nacht in seinem leeren Bett hochgeschreckt und hart und frustriert war, weil sie nicht neben ihm lag, hatte er sich eingeredet, es sei nichts weiter als ein Juckreiz, den er kratzen müsse, um ihn aus seinem System herauszukommen. Aber jetzt, wo er hier bei ihr war, so nah, dass er all diese unverhüllten Emotionen auf ihrem Gesicht sehen konnte, besonders den Schmerz, den er durch sein Kommen verursacht hatte … es war unmöglich, sie wieder zu verlassen. Und das Jucken … es war nicht nur vorübergehend.

Er würde sie haben. Es war nur eine Frage der Zeit. Er hatte geschworen, dass sie ihm gehören würde, sobald er sie zu Gesicht bekommen hatte. Er musste sie zähmen, sie in seine Welt bringen. Es würde eine lange, langsame Verführung erfordern, aber Callie würde ihm gehören. Sie musste es. Ihre Unschuld gemischt mit ihrer natürlichen Sinnlichkeit war im Begriff, ihn umzubringen. Wenn er sie nur dazu bringen könnte, Fenn zu vergessen, und ihr all die verruchten Freuden zeigen könnte, die das Leben bringen konnte, dann würde er sie mit Leib und Seele besitzen.

Als er von der Veranda trat und sich die Hände an der Jeans abwischte, sah er, wie Callie das Haus der Ranch verließ und zur Scheune ging. Ihre Schritte waren fest, ihr Gesicht hoch erhoben, und sie sah entschlossen aus. Welchen Herzschmerz auch immer sie gerade durchlitt, sie zeigte ihn nicht und schien sich enorm zusammenzureißen.

Das ist mein Mädchen. Der Gedanke rutschte ihm durch, bevor er ihn zurückhalten konnte. Sie gehörte ihm nicht. Aber sie würde es. Und zwar bald. Mit einem kleinen Lächeln blieb er weiter in der Nähe der Hütten und winkte einigen Bauarbeitern zu, die gerade angekommen waren, aber er behielt die Scheune im Auge. Sie würden bald reden, und er würde seine Pläne sie zu bekommen, in die Tat umsetzen.

Callie konnte nicht anders, als Wes dabei zu beobachten, wenn er mit den Bauarbeitern zu tun hatte. Sie fütterte die Hühner in den Ställen, arbeitete mit einem neuen Fohlen, das vor einigen Wochen geboren worden war, und kontrollierte über mehrere Stunden die Futter- und Wassertröge der Rinder, und all diese Aufgaben hielten sie in seiner Sichtweite.

Er trug nicht seinen üblichen Anzug, der ihn reich und geheimnisvoll aussehen ließ. Nein, er trug eine Jeans, T-Shirt und Stiefel und … Ihr Mund wurde trocken, als sie merkte, dass er durch die legere Kleidung nicht normaler und zugänglicher aussah, sondern dadurch etwas Gefährliches ausstrahlte, das zu sagen schien: „Ich habe keine Angst davor, etwas Dreckiges zu tun und dich in diese Welt mitzunehmen, Süße.“ Der Gedanke ließ sie erröten. Das war lächerlich. Er war nur ein weiterer gut aussehender Mann in Jeans, dem sie gerade aus dem Weg ging. Das war der ganze Sinn, dass sie Männern abgeschworen hatte. Keine sexy, rauen und gefährlichen Männer für sie. Sie hatte ihr Herz in eine Stahlkiste gesperrt und diese für immer verschlossen. Kein Mann würde zu ihr durchkommen, damit er sie zertrümmern könnte. Nie wieder.

Doch trotz ihres Schwurs konnte sie ihre Blicke nicht von Wes fernhalten. Es war doch sicher harmlos, ihn nur zu beobachten, oder? Lust und Liebe waren schließlich zwei total verschiedene Dinge … oder etwa nicht?

Sie beobachtete ihn, wie er mit zwei Bauunternehmern an der Veranda einer der Neubauten in die Hocke ging und ihnen etwas gestikulierte. Sogar von dort, wo sie stand, konnte sie die Beugung der Muskeln an seinem Unterarm und das Glitzern der teuren Uhr an seinem Handgelenk sehen. Sie leckte sich die trockenen Lippen und blickte weg, nur um sich gleich dabei zu ertappen, wie sie sich ihm erneut zuwandte. Die leichte Brise trug gerade so viel von ihrem Gespräch zu ihr herüber, dass sie erkannte, dass sie über die Holzverkleidung am Steinsockel der Hütten diskutierten. Natürlich schien Wes alles über das Thema zu wissen. Gab es etwas, in dem Wes Thorne kein Experte war? Sein scheinbar grenzenloses Wissen war bereits unter den besten Umständen unglaublich einschüchternd, aber nachdem er gestern ihren Zusammenbruch miterlebt hatte … nun ja, Callie würde ihn nicht so bald zum Trivial Pursuit herausfordern.

Callie hatte es sich nicht leisten können, zu studieren. Und wenn sie es hätte tun können, hätte sie ihren Vater auf keinen Fall zurücklassen können, nicht als er zu wenig Mitarbeiter gehabt hatte und die Ranch in Gefahr gewesen war. Jetzt war sie hier, im Alter von zwanzig Jahren, und saß in derselben Stadt fest, in der sie ihr ganzes Leben gelebt hatte.

Ein Teil von ihr liebte das Leben auf der Ranch, aber die andere Hälfte wollte in die Welt hinaus, ihre Grenzen austesten und ihr Leben leben.

Wes stand plötzlich auf, schüttelte den beiden Männern, mit denen er gesprochen hatte, die Hand und verschwand dann aus ihrem Blickfeld. Das war auch gut so. Sie musste wirklich wieder an die Arbeit. Mit einem kleinen Seufzer drehte sie sich um, um zurück in die Scheune zu gehen, und prallte direkt gegen eine feste, warme männliche Brust.

„Umpf!“ Sie gab ein nicht ladylikes Geräusch von sich, während ihre Körper kollidierten und sie zurück stolperte.

Starke Hände umfassten ihre Taille. „Was machen Sie da? Haben Sie sich hinter diesem Truck versteckt?“ Dunkle Belustigung lag in seiner Stimme, als ob er sich voll bewusst wäre, dass sie ihm nachspioniert hatte.

Sie schnaubte, hob ihr Kinn an und versuchte, seine Hände von sich zu lösen. Er erlaubte es, und sie war sich dieser Tatsache mehr als alles andere bewusst.

„Ich habe nach dem Heu gesehen.“ Ich habe dich nicht in deinen engen Jeans angegafft.

„Mmm.“ Er machte ein leicht kehliges Geräusch, als ob er ihr zustimmen würde, aber sie hörte den Unglauben darin.

„Wenn Sie mich entschuldigen, ich muss noch einiges im Stall erledigen.“ Sie stapfte um ihn herum und ging direkt auf die offenen Türen ihres Fluchtortes zu. Er würde ihr nicht nachkommen. Er hatte auch Dinge zu erledigen. Das hier würde bald vorbei sein. Sie würde wieder allein sein, in Ruhe gelassen und frei von seltsam intensiven Männern. Dem Himmel sei Dank dafür, dachte sie.

Auf dem Weg zur Box von Volt entschied sie sich, ihn zu striegeln; das würde sie sehr beschäftigt aussehen lassen. Sie schob die Boxentür auf den Gleitschienen auf und schnappte sich ihren Bürsteneimer. Dann machte sie sich bereit, Volt richtig zu verwöhnen. Das Pferd schenkte ihr nicht viel Aufmerksamkeit, während es seine Nase in seinem Hafereimer vergrub und laut mampfte.

Das Geräusch von Schritten hinter ihr ließ sie sich umdrehen. Wes stand in der offenen Boxentür und beobachtete sie.

„Geht es Ihnen gut?“

Sie hielt gerade noch ein bitteres Lachen zurück. „Gut? Natürlich geht es mir gut. Warum sollte es mir nicht gut gehen?“

Aus den Augenwinkeln sah sie ihn einen Schritt näher kommen, und sie hörte das weiche Rascheln seiner Stiefel auf dem mit Heu bestreuten Boden. Wes war zu intensiv für das ruhige Leben auf einer Ranch.

„Lassen Sie mich mal.“ Plötzlich war er direkt hinter ihr. Die Hitze seines Körpers versengte ihre Haut durch die dünne Schicht ihrer Jeans und ihres Shirts. Seine rechte Hand legte sich sanft über ihre, griff nach der Bürste und schob sie von ihrer Handfläche. Sie legte die Finger auf Volts Fell, während Wes sie im Rahmen seiner Arme gefangen hielt, während er das Pferd weiter striegelte. Sie beobachtete, wie seine Hand die Bürste schnell über die Flanken des Tieres bewegte. Wusste er viel über Pferde?

Komisch, sie hatte nicht daran gedacht, zu fragen. Als sie das letzte Mal in seiner Nähe gewesen war, schien er eher ein dunkler Schatten zu sein, eine Präsenz, die außer Sichtweite blieb, während sie sich auf Fenn und die Bedrohung seines Lebens konzentriert hatte. Jetzt musste sie allerdings zugeben, dass sie neugierig war, auch wenn er ihr ein wenig Angst machte. Er klopfte dem Pferd auf den Rücken, wandte sich dann ihr zu und reichte ihr die Bürste.

„Sie scheinen zu wissen, was Sie tun“, sagte sie schließlich und blickte ihm über die Schulter ins Gesicht.

Als sie sein Profil beobachtete, bemerkte sie, dass er seine sinnlichen Lippen zu einer bloßen Andeutung eines Lächelns verzogen hatte.

„Ich besitze sechs davon. Ich sollte hoffentlich wirklich wissen, was ich tue.“ Seine Worte entzündeten ein seltsames Feuer tief in ihrem Bauch, und sie wusste, dass sie gegen ihn stoßen würde, wenn sie sich auch nur einen Zentimeter zurücklehnte.

Callie nahm ihm die Bürste ab und legte sie in das Pflegeset vor Volts Box. Sie klopfte ihre Hände an ihrer Jeans ab, während sie darauf wartete, dass Wes die Pferdebox verließ.

„Sie besitzen wirklich Pferde? Warum haben Sie das nicht früher gesagt?“ Sie hätte ihn dazu bringen können, die Boxen auszumisten … Das Bild von ihm, Heugabel in der Hand, Mist schaufelnd, brachte sie dazu, sich ein kleines Lächeln zu verkneifen.

Er lachte tatsächlich. Der volltönige Klang stellte lustige Sachen mit ihrem Magen an. Er zog sich zusammen und langsam bewegte sich eine Hitzewelle über ihr Gesicht.

„Sie wirken überrascht“, bemerkte er, während er die Stalltür schloss und dann verriegelte.

Callie zog sich ein paar Schritte zurück, denn die Scheune fühlte sich plötzlich viel wärmer an als noch vor einer Minute.

„Sie haben noch nie etwas von Pferden erwähnt. Und Sie sehen nicht so aus, als würden Sie viel reiten.“ Sie ließ ihren Blick über sein schwarzes T-Shirt gleiten, das die ausgeprägten Bauchmuskeln darunter nicht gerade verdeckte. Begaff ihn nicht, Callie. Hör auf, warnte sie sich selbst. Sie sah höher, bemerkte seine kräftigen Unterarme und konnte nicht vergessen, dass seine Hände auf ihrer Haut sie in den kurzen Zeiten, in denen er sie berührt hatte, immer zu verbrennen schienen. Oh ja, Wes Thorne verunsicherte sie, und das gefiel ihr nicht. Wenn sie immer wieder davon überwältigt wurde, wie attraktiv seine Bauchmuskeln und Arme waren, war es ihr unmöglich, ihr Gelübde einzuhalten. Sie musste hier raus, und zwar schnell. Sie schnappte sich den Sattel und machte sich auf den Weg zur Sattelkammer, in der Hoffnung, er würde den Wink verstehen und ihr nicht folgen.

Dieses stille Gebet blieb ungehört, weil er den Türrahmen zu dem Raum ausfüllte, als wollte er sie daran hindern, ihm wieder zu entkommen. Sie konzentrierte sich darauf, ihren Sattel wegzulegen.

„Sie und ich haben überhaupt nicht viel geredet, und schon gar nicht über Pferde. Ich würde mich freuen, mich jetzt zu unterhalten … über Pferde. Ich spiele Polo. Dafür muss man sehr gut auf diesen Tieren sein.“ Er machte eine Pause und das erregte ihre Aufmerksamkeit. Als ihr Blick den seinen traf, fuhr er fort. „Ich genieße das Reiten, und zwar nicht nur Pferde.“

Eine Sekunde lang hatte sie keine Ahnung, was er meinte. Reiten … Dann begriff sie und errötete vor Scham. Er deutete an, dass … oh!

„Nun, es tut mir leid, Sie zu enttäuschen, Mr. Thorne, aber ich habe keine Lust, heute oder jemals wieder geritten zu werden. Ich bin nicht daran interessiert, Punkt.“ Statt ihn so zu verärgern, dass er ging, kam er näher.

„Nein, du verspürst diese Lust nicht, noch nicht.“

Als sie sich zu ihm umdrehte, schoss sie ihm den grimmigsten Blick zu, den sie hinbekam. „Ich glaube, Sie begreifen nicht. Ich möchte in Ruhe gelassen werden. Keine Männer mehr, keine Romantik, nichts mehr …“ Plötzlich klangen ihre Worte ein wenig erstickt, als ob sie nicht atmen könnte. Sie war gerade dabei, ihm, dem letzten Menschen auf Erden, der verstehen würde, was sie durchmachte, ihren Herzschmerz zu beichten. Seine Schwester hatte Callie alles über Wes erzählt. Von den Frauen, mit denen er sich traf, dass er sich nie in jemanden verliebte. Er war nicht wie Fenn. Wes war kein Mann der Liebe, sondern der Begierde, und das wollte sie auch nicht erleben.

Wes neigte sein linkes Handgelenk, um seine teure Uhr zu konsultieren und die Zeit zu überprüfen.

„Das klingt für mich ein bisschen wie eine Herausforderung. Willst du mich herausfordern?“ Es war keine Drohung, nein, aber etwas an der Art und Weise, wie er „herausfordern“ sagte, ließ ihr Inneres sich zusammenziehen.

„Herausfordern? Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.“ Hartnäckig blieb sie beim Siezen, wie um ihn sich vom Leib zu halten.

Wes’ Lippen zuckten. „Du hast also beschlossen, dich nicht mehr zu verlieben? Ist es das? Keine Männer mehr für dich, weil ein Mann dir das Herz gebrochen hat?“

Anstatt ihm zu antworten, schluckte sie nur schwer und holte tief Luft.

„Eine kleine freundschaftliche Wette würde dich dann nicht in Gefahr bringen, oder? Was, wenn ich sagen würde, dass ich deine Meinung in dreißig Tagen ändern könnte? Dass du dann wieder einen Mann willst. Nicht irgendeinen Mann, sondern mich.“

Callie konzentrierte sich auf den Eingang und überlegte, ob sie ihm entkommen könnte, aber es schien nicht wahrscheinlich. Was wäre, wenn sie ihn einfach sein kleines Spiel spielen lassen würde? Es würde ihr nicht wehtun; er würde ihr nicht nahekommen können.

Ich bin in Sicherheit. Er wird nicht zu meinem Herzen gelangen. Da war sie sich sicher. Sicher genug, dass sie schließlich seinem Blick begegnete und nickte.

„Sie glauben, Sie können mich in dreißig Tagen verführen? Na schön. Die Wette gilt. Viel Glück dabei, Mr. Thorne.“

„Vielen Dank, aber ich habe noch nie Glück gebraucht.“ Als sie um ihn herum gehen wollte, hielt er sie mit ausgestrecktem Arm zurück. „Einen Moment noch, wir müssen die Bedingungen aushandeln. Wenn ich verliere, lasse ich dir von einem meiner Kontakte an der Kunstschule auf Long Island eine Empfehlung für die Aufnahme in ihr Programm schreiben.“

„Kunstschule?“ Wie konnte er das anbieten? Sie würde nie in der Lage sein, sich das leisten zu können.

„Ja, es gibt dort ein Stipendienprogramm, für das du dich qualifizieren würdest, und die Empfehlung meines Freundes würde deine Aufnahme besiegeln.“

Callie ließ all das auf sich wirken. Wenn sie der Versuchung widerstehen würde, mit ihm zu schlafen, würde er ihr helfen, in die Kunstschule zu kommen? Die eine Sache, die sie mehr als alles andere wollte? Da musste es einen Haken geben.

„Und wenn Sie gewinnen?“ Sie konnte die Worte ‚wenn ich verliere‘ nicht aussprechen.

„Wenn ich gewinne, wirst du eine Leidenschaft erleben, die deine kühnsten Träume übertreffen wird. Ich weiß, wie man einer Frau Lust bereitet, Callie. Jeder Trick, jedes Spielzeug, jede kleine Fantasie, die du je hattest, sie können alle dir gehören. Ich kann dir versprechen, dass dein Leben, solange wir zusammen sind, nie wieder dasselbe sein wird. Alles, was du willst, ich kann es dir geben. Alles.“ Er war so zuversichtlich, so kühn, dass sie ihm fast glaubte.

Aber es gab eine Sache, die er ihr nicht geben konnte, und zum Glück war das die eine Sache, die sie nie wieder erleben wollte. Liebe.

„Das klingt nicht nach einer schwer zu gewinnenden Wette“, antwortete sie. Warum sie das Bedürfnis verspürte, ihn zu necken, wusste sie nicht.

Er lachte leise und schien ganz und gar nicht verärgert. „Wenn du glaubst, dass diese Herausforderung so leicht zu gewinnen ist, lehnst du nichts von dem ab, was ich dir vorschlage?“

Vorschlagen? Was dachte er, was er vorschlagen könnte? „Was meinen Sie?“

„Ich muss in der nächsten Woche nach Paris reisen, und ich denke, es ist nur fair, dich mitzunehmen. Ich habe deine Kunstwerke gesehen. Ich weiß, dass es dir gefallen würde, die Museen und Sehenswürdigkeiten zu besichtigen. Es ist der perfekte Ort für einen Künstler.“

Paris … Was er ihr anbot … Die Welt, von der sie immer geträumt hatte, als wäre es ganz einfach, sie ihr zu geben … Es war unmöglich. Sie könnte sich niemals leisten, diese Reise zu machen.

Scham erhitzte ihre Wangen und sie zog den Kopf ein. „Es tut mir leid, aber ich kann mir das nicht leisten…“

Mit einem tiefen Knurren zwang er ihr Kinn hoch, so dass sie ihm wieder in die Augen sehen musste. „Ich bin vielleicht kein Mann mit ehrenhaften Absichten dir gegenüber, aber wenn auch sonst nichts, so bin ich doch ein Gentleman. Die Reise und alles währenddessen wird auf meine Kosten gehen. Alles, was du tun musst, ist, mich zu begleiten.“

„Eine kostenlose Reise nach Paris?“ Sie konnte nicht anders, als diesem hübschen geschenkten Gaul ins Maul zu schauen. Er antwortete mit einem Nicken.

Paris. Wie konnte sie das ablehnen? Er hatte den einzigen Ort auf der ganzen Welt gewählt, zu dem sie nicht nein sagen konnte.

„Alles, was ich tun muss, ist, Sie zu begleiten?“ Ihr Herz schlug so schnell, dass sie sich zwingen musste, sich zu beruhigen.

„Ja, komm mit mir. Gib mir dreißig Tage Zeit, dir den Hof zu machen, wie du es verdienst.“ Er klang so feierlich, so ernst wegen dieser albernen Wette, aber die Flammen, die in seinen Augen brodelten, waren vielversprechend und machten ihr ein wenig Angst.

Er kommt mir nicht nahe, versprach sie sich. Nein. Ich bin in Sicherheit.

„Okay. Ich komme mit.“ Die Worte ertönten, und sie fühlte sich, als lebte sie in einer Art seltsamen Traum. Sie würde mit Wes Thorne nach Paris reisen. Passierte das alles wirklich?

„Gut. Ich kann bei dir bleiben und dir mit Volt helfen, wenn du möchtest.“ Er trat nicht auf die Seite, als sie wieder versuchte, an ihm vorbeizukommen.

Callie musste von ihm weg. Nur weil sie eingewilligt hatte, mit ihm nach Paris zu reisen, bedeutete das nicht, dass sie wollte, dass er ihr den ganzen Tag hinterherlief. Sie wollte in Ruhe gelassen werden. Sie wollte sich nicht von einem Mann einschüchtern lassen, der die Verkörperung von Sünde war, obwohl sie erst gestern geschworen hatte, Männer wie ihn zu meiden. Diese Wette war wahrscheinlich nur eine Möglichkeit für ihn, sich zu amüsieren. Er wollte bestimmt nur mit ihr spielen. Mehr nicht. Es gab keine Möglichkeit, dass ein Mann wie er Interesse an ihr hatte, und sie wollte das auch nicht. Wes würde ein hochgewachsenes, schickes Model wollen, eine schlanke Schönheit der High Society, kein kleines, kurvenreiches Mädchen in Jeans mit schwieligen Händen. Es machte einfach keinen Sinn, dass er sich für sie interessierte. Er musste sich hier wirklich langweilen, wenn er ihr Aufmerksamkeit schenkte. Ich muss meilenweit die einzige Frau sein, wenn das so ist. Es war ein deprimierender Gedanke.

„Es tut mir leid. Ich bin nicht in der besten Stimmung. Sie sollten wahrscheinlich einfach gehen.“ Bitte geh einfach, flehte sie innerlich. Sie fürchtete, dass ihr Plan, Männer wie ihn zu meiden, nicht von Dauer sein würde, wenn sie noch einmal darum bitten müsste. Sie würde wieder zum Trottel werden, ihr Herz an etwas hängen und später verletzt werden. Schluss damit, das liebe Mädchen zu sein. Ich muss mich schützen!

Der intensive wölfische Schimmer in seinen Augen wurde sanfter und er näherte sich ihr. Bevor sie sich bewegen konnte, drückte er sie gegen eines der Gestelle, auf dem ein alter Sattel hing, den sie zuvor an diesem Tag eingeölt hatte. Der schwere Duft des Heus, der intensive Geruch des Öls und Wes’ Atem verzehrten sie, ließen ihr Universum zu dieser einen unendlichen und doch geschlossenen Zeitspanne zusammenschrumpfen. Er legte eine Hand auf den Sattel auf ihrer Taillenhöhe, so nah, aber er berührte nicht ihre Hüfte. Seine andere Hand legte er unter ihr Kinn und hob es sanft an, so dass sie den Kopf nach hinten neigen musste, um ihm in die Augen zu schauen. Seine sanfte, aber unerschütterliche Berührung ließ die neu errichtete Ziegelsteinmauer um ihr Herz erbeben.

Nein, ich kann nicht zulassen, dass er mir zu Kopf steigt. Sie musste ihre Emotionen und ihre Reaktion auf ihn kontrollieren.

„Vergieße deine Tränen für ihn, Callie. So viel darfst du“, flüsterte er. Sein warmer Atem strich über ihre Lippen, als sich sein Gesicht dem ihren näherte.

„Dürfen?“ Sie sträubte sich und drückte fest gegen seine Brust. Er rührte sich nicht.

„Ja.“ Er lächelte fast kalt. „Du darfst weinen, wenn dein Herz gebrochen ist, aber du sollst wissen, dass die ganze Welt auf dich wartet, wenn du bereit bist.“

Wes legte die Hand an ihre Wange, trat dicht an sie heran und presste seine Lippen auf ihre. Es war kein keuscher Kuss. Seine Zunge glitt nach innen, streichelte ihre, und sie zuckte an ihm zusammen. Er attackierte ihre Sinne. Seine Hände waren plötzlich überall, glitten langsam über ihren Rücken, folgten ihren Hüften, streichelten die empfindliche Haut in ihrem Nacken. Ihr Herzschlag dröhnte in ihren Ohren wie das Echo von donnernden Hufen eines Mustangs auf den Feldern auf der anderen Seite der Berge.

Seine Zähne sanken in ihre Unterlippe. Der kleine Stich ließ sie vor Schreck nach Luft schnappen, und ein verräterischer Hauch von Bewusstheit und Lust durchströmte sie. Er umschmeichelte ihre Lippen, neckte und spielte mit ihrem Mund und schien sich ihren Körper mit der Art einzuprägen, wie seine Handflächen ihre Kurven und Wölbungen nachzeichneten. Sie konnte nicht denken, konnte nicht atmen. Sie musste das unterbinden. Sie musste … Als sie zu zittern begann, trat er plötzlich zurück und legte seine Stirn gegen ihre. Ihre gemeinsamen Atemzüge bestanden zu gleichen Teilen aus sanftem Keuchen.

„Du bist noch nicht bereit. Noch nicht.“ Er strich eine Locke ihres Haares aus ihrem Gesicht und steckte sie hinter eines ihrer Ohren. Die Geste war intim und zärtlich. Sie zitterte.

„Bereit für was?“, wollte sie wissen, aber ihre Stimme klang atemlos.

„Für mich. Aber du wirst es sein. Ich habe dreißig Tage, um es dir zu beweisen. Leider muss ich für ein paar Tage nach Weston zurückkehren, aber ich komme zurück und hole dich ab.“ Er zog sich aus ihrem persönlichen Bereich zurück und blickte sie noch einen Moment lang an, bevor er aus der Sattelkammer heraustrat und ging.

Callie hob ihre Fingerspitzen zu den Lippen, ihre Hand zitterte. Was hatte sie getan? Wes hatte sie geküsst. Er hatte sie geküsst. Ihr erster Kuss. Es war nicht so verlaufen, wie sie es geplant hatte, und er war nicht von dem Mann gekommen, den sie wollte, dem Mann, den sie liebte. Ihr Herz bebte in ihrer Brust. Es fühlte sich an, als hätte sie Fenn betrogen, aber das hatte sie nicht. Ein Mensch konnte niemanden verraten, mit dem man nie in einer Beziehung gewesen war. Das war die harte Realität, die sie akzeptieren musste. Sie mochte Fenn geliebt haben, aber er liebte sie nicht zurück, nicht auf romantische Art. Sie würde immer nur eine kleine Schwester für ihn sein. Und das hatte ihr Herz in tausend Stücke zerschmettert. Was würde es mit ihr anstellen, in Wes’ Nähe zu sein, wenn sie nicht kalt und von seiner Leidenschaft unbeeindruckt bleiben konnte?

Was soll ich nur tun?

Sie konnte immer noch den Druck seiner Lippen auf ihren spüren, als hätte er sie mit einem einzigen sinnlichen Kuss gebrandmarkt. Sie hasste sich selbst dafür, wie ihr Körper mit seinem verschmolzen war, und für das kribbelnde Bedürfnis direkt unter ihrer Haut, das sich nach seiner Berührung, seiner Liebkosung sehnte. Aber sie wollte es nicht, sie wollte ihn nicht. Und das sollte sie auch nicht.

Wes Thorne war gefährlich. Beängstigend intensiv und von allem zu viel. Da war immer noch dieses unausgesprochene Wort, das in der Luft um sie herum surrte. Er hatte es nie ausgesprochen, aber sie hatte es in seinem Kuss gefühlt.

Bald. Erst nachdem sie wieder ins Haus zurückgekehrt war, wurde ihr klar, dass sie vielleicht die Verlobungsparty von Fenn und Hayden verpassen würde, wenn sie mit Wes nach Paris ging. Hatte er das mit Absicht getan? Gab er ihr eine Ablenkung, um sie davon abzuhalten, sich etwas entgegenzustellen, das ihr Herz zu Staub zermahlen würde? Vielleicht war Wes doch nicht so herzlos … oder er war listiger, als sie es sich je erträumt hatte.

Kapitel 2

Die Gulfstream G150 glitt in die Luft und stieg in den späten Nachmittagshimmel. Die Wolken über den Bergen von Colorado waren dicht und in einer Vielzahl von mandarin- und granatapfelroten Farben gefärbt. Wes lehnte sich in den weichen weißen Ledersitz des Privatjets seiner Familie zurück und beobachtete, wie die Flügel des Flugzeugs durch den Himmel schnitten.

Er konnte Callie immer noch schmecken – süchtig machend, süß, so atemlos und unschuldig. Bis er sich in das Flugzeug gesetzt hatte, war sein ganzer Körper vor aufgestauter Leidenschaft starr gewesen. Er hätte sie nicht küssen sollen, nicht so bald, nicht, da er für ein paar Tage fortgehen musste, bevor er sie wiedersehen würde.

Scheiße, er wollte sie. Es tat tatsächlich weh, sie nicht in seiner Nähe zu haben. War ihm das jemals zuvor passiert? Nicht, dass er sich dessen bewusst gewesen wäre. Er ließ seinen Kopf nach hinten gegen die Kopfstütze fallen und versuchte, seine Gedanken zu sammeln. Er musste nur einen Monat durchhalten, ohne sofort das zu bekommen, was er wollte.

Dreißig Tage.

Dreißig Tage waren genug Zeit, um sie zu verführen und sie Fenn vergessen zu lassen. Ihr Vater hatte ihm versichert, dass sie einen aktuellen Reisepass hatte. Sie würde eine neue Garderobe brauchen und so viele andere Dinge. Er würde ihre Tage mit Abenteuer, Leidenschaft und Kunst füllen. Er würde ihr die Welt bieten, und im Gegenzug würde er mit ihr ins Bett gehen und am Ende diese seltsame Besessenheit von ihr überwinden.

Er berührte erneut seine Lippen, obwohl er es schon auf der Rückfahrt zum Flughafen mehrmals getan hatte. Sie zu küssen hatte ihn wieder fühlen lassen. Zu lange hatte er nicht mehr viel gespürt. Er hatte sich große Mühe gegeben, auch nur das kleinste bisschen Freude in seinem Leben zurückzugewinnen. Doch Callie hatte alles verändert.

Vor einem Monat war er nach Colorado geflogen, um seinen lange verschollenen Kindheitsfreund Fenn Lockwood zu retten, nur um Fenn mit seiner Schwester im Bett vorzufinden. Die erste Begegnung zwischen ihnen, nachdem er fünfundzwanzig Jahre lang gedacht hatte, Fenn sei tot, war nicht gut verlaufen. Er und Fenn hatten sich wegen Hayden geprügelt. Sie hatten im Dreck vor einem alten Wohnwagen gekämpft, und Jim Taylor war vorgefahren und hatte mit einer Schrotflinte über ihre Köpfe geschossen. Und dann blickte Wes auf und sah sie.

Honigblondes Haar, das spielerisch von einer Brise aus den Bergen erfasst wurde und einen goldenen Heiligenschein um ein Gesicht bildete, das so schön war, dass er vergessen hatte zu atmen. Sie war nicht wie eines der Models auf den Laufstegen in Mailand oder Paris. Sie war einen Kopf kleiner als er, mit mörderisch sexy Kurven und einem klassisch schönen Gesicht. Eine Stupsnase, goldene Wimpern, braungrüne Augen und blassrosa Lippen. Lippen, die er endlich gekostet hatte, und seine Fantasie hatte nicht mit der Realität mithalten können. Ja, er hatte einen Blick auf Callie Taylor geworfen und gewusst, dass er sie haben, sie in jeder Hinsicht besitzen musste, weil sie wieder Gefühle in ihm hervorgerufen hatte. Sein Blut sang noch immer in seinen Adern, und sein Herz schlug wild bei dem Gedanken an die Jagd, die Verführung und schließlich an die Monate, die er damit verbringen wollte, die Geheimnisse ihres Körpers und ihrer Seele zu erlernen, damit sie ganz ihm gehören würde.

Sein Handy vibrierte in seiner Tasche. Er zog es heraus und fragte sich, wer wohl anrief. Corrine Vanderholt.

Das war ein Problem, mit dem er sich befassen musste, bevor er Callie in seine Welt einführte. Als eines der Elitemitglieder des exklusiven BDSM-Clubs TheGilded Cuff bestand einer seiner Vorteile darin, fast jede unterwürfige Frau nach seiner Pfeife tanzen zu lassen. Nahezu alle Clubmitglieder waren von außen betrachtet höfliche Society-Girls, mit denen er bei Spendensammlungen und Galas vor den ahnungslosen Augen der Menge plauderte und tanzte. Aber im TheGilded Cuff entblößten sich diese Frauen vollständig, knieten zu seinen Füßen und bettelten darum, dominiert zu werden. Er war dem immer gerne nachgekommen. Corrine war jedoch nicht wie die anderen, die verstanden, dass jede Beziehung aus dem Club vor den Türen endete, und so war es allen recht. Für Corrine allerdings war der Club ein Sprungbrett in die Ehe, und Wes wusste, dass sie ihn ins Visier genommen hatte. Sie war eine Närrin, zu glauben, sie könne ihn kontrollieren. Er war der Dominante.

Mit einem kleinen Lächeln ging er ans Telefon. „Thorne hier.“ Er ließ sich nicht anmerken, dass er ihren Namen auf dem Bildschirm gesehen hatte.

„Wes, Darling, ich bin’s“, hauchte Corrine heiser.

Er rollte fast mit den Augen. „Ich habe viele Darlinge. Welche davon bist du?“

Er verkniff sich ein Lachen wegen dem wütenden kleinen Zischen am anderen Ende der Leitung.

„Hier ist Corrine.“ Ihr Ton war schroff.

„Oh, Corrine, natürlich. Was gibt’s?“ Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und legte die Füße auf den Ledersitz ihm gegenüber.

„Ich dachte, vielleicht möchtest du mich heute Abend im Club dominieren.“ Sie legte jetzt eine gewisse Heiserkeit in ihre Stimme, und er versuchte, nicht zu lächeln.

„Ich fürchte, das wird nicht möglich sein. Ich fliege in ein paar Tagen nach Paris und muss Reisevorbereitungen treffen.“ Das Letzte, was er tun wollte, war, Corrine zu toppen. Das würde bedeuten, ihr Dom zu sein und eine sexuelle Szene mit ihr zu spielen. Die einzige Frau, die er wollte, war Callie.

„Dann, wenn du zurückkommst“, bestand sie darauf.

„Nein. Ich werde für eine Weile niemanden im Club dominieren.“

„Was?“ Ihre Stimme war hart und kalt. Er hatte ihre Pläne ruiniert.

„Es gibt viele Doms, die gerne mit dir eine Szene spielen. Wenn du mich jetzt entschuldigst, ich muss los.“ Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern legte einfach auf. Er steckte das Handy ein und setzte sein Studium der Wolken fort.

Alles in seinem Leben würde sich bald ändern. Es war eine Sache, in einem Club eine einfache Szene mit einer Unterwürfigen abzuhalten, aber eine Frau zu trainieren und es bei sich zu Hause zu tun, war etwas ganz anderes. Callie hatte von Natur aus submissive Eigenschaften an sich, aber sie war weder schwach noch leicht zu zähmen. Es wäre ein komplizierter Prozess, sie zu verführen und ihr seine Welt näherzubringen, ohne sie zu erschrecken. Er wollte, dass alles perfekt war, für ihn selbst, aber auch für sie.

Sie verdiente eine süße, langsame Verführung. Er war schon zu schnell vorgeprescht, war mit dem Kuss in der Sattelkammer ein Risiko eingegangen. Sie war noch nicht bereit für ihn oder seinen Lebensstil. Wenn er sie zu hart und schnell überrollte, würde sie wie ein noch nicht zutrauliches Fohlen davonlaufen. Nicht, dass er sie brechen wollte. Nein, das nie, aber Callie musste gezähmt werden, und er plante, sie mit kleinen Berührungen, winzigen Liebkosungen, leisem Flüstern und all den Dingen zu beruhigen, die ein meisterhafter Liebhaber einzusetzen wusste. Und er war der Beste. Von allen Dominanten im Club war er derjenige, der die Kunst des BDSM am besten verstand. Er konnte eine unterwürfige Frau lesen, erkannte sofort, was sie brauchte, und gab es ihr. Es war die lohnendste und erregendste Sache, ein Dom zu sein, denn er wusste, dass er die Macht hatte, einer Frau zu geben, was sie benötigte, und ihr jeden Wunsch und jede Fantasie zu erfüllen. Es wäre eine Lüge zu behaupten, das würde ihm keine Befriedigung verschaffen. Er liebte es, eine solche Macht auszuüben, in dem Wissen, dass er einer Frau solche Lust bereiten konnte.

Callie war jung und unschuldig, und so sehr sein Körper sich kopfüber mit ihr ins Bett stürzen wollte, war der Rest von ihm davon überzeugt, dass „langsam“ die beste Geschwindigkeit wäre. Ihr Herz war gebrochen worden, und es würde Zeit brauchen, um zu heilen. Er würde die Frau aus ihrem Kokon locken und die Verwandlung in ihrem natürlichen Tempo miterleben.

Als sein Telefon wieder klingelte, ging er mit einem leisen, unleidigen Knurren ran.

„Was gibt es, Corrine?“

Ein männliches Lachen ließ ihn blinzeln und auf den Bildschirm des Handys starren.

„Also … ich bin definitiv nicht Corrine“, sagte Royce Devereaux.

„Royce, was ist los?“, fauchte Wes.

Royce war von Kindheit an einer seiner engsten Freunde, auch ein Dominanter im The Gilded Cuff und Professor für Paläontologie an einer lokalen Universität in Weston, Long Island.

„Schätze, du hast die Nachrichten noch nicht gehört?“

Wes setzte sich auf. „Was ist passiert? Ist etwas mit den Zwillingen geschehen? Ist meiner Schwester etwas zugestoßen?“ Sein Blut begann in seinen Ohren zu rauschen, als alte Ängste wieder auftauchten.

„Nein! Oh mein Gott, nein. Allen geht es gut. Herrgott, Wes, du warst doch nur ein paar Tage weg. Was glaubst du, was in zweiundsiebzig Stunden passieren könnte?“ Royce lachte leise.

Wes atmete offensichtlich erleichtert aus. Nach allem, was sie kürzlich durchgemacht hatten, brauchte er Ruhe und Entspannung. Keine Attentäter, Explosionen oder Schurken mehr.

„Solange niemand tot ist oder stirbt, ist mir eigentlich alles egal“, meinte Wes. „Ich habe Urlaub von allen Dramen und lebensbedrohlichen Vorkommnissen.“

Sein Freund lachte. „Wirst du etwa langsam langweilig?“

„Du weißt, dass ich nie dermaßen langweilig werden könnte“, erinnerte er Royce. Sie hatten zu viele gemeinsame Abende im The Gilded Cuff verbracht, als dass Royce jemals das Gegenteil behaupten könnte.

„Ich dachte nur, es würde dich interessieren, dass die Mortons gestern Abend ausgeraubt wurden.“

Wes begriff nicht, inwiefern das bedeutsam war. „Und das ist für mich wichtig, weil?“

Royce seufzte dramatisch. „Es war kein typischer Raubüberfall. Nur eine Sache wurde mitgenommen. Ein Gemälde.“

Er richtete sich auf seinem Sitz auf. „Ein Gemälde? Welches?“

Er war mit der privaten Kunstsammlung der Mortons bestens vertraut. Er war an der Beschaffung der meisten Stücke ihrer Sammlung beteiligt gewesen. Die Mortons waren eine alteingesessene Familie mit viel Geld wie seine eigene, aber im Gegensatz zu seinen Eltern schätzten die Mortons Kunst, und es war ein Vergnügen gewesen, mit ihnen zu arbeiten.

„Ich habe sagen hören, es wäre ein Goya.“

Der Goya? Wes knurrte leise. Das teuerste Stück, im Wert von $450.000 Dollar. Er hatte das Gebot für die Mortons bei Sotheby’s abgegeben. Und jetzt war es verschwunden. Etwas in seiner Brust zog sich zusammen, ein Schmerzsplitter, schnell gefolgt von Wut.

„Wie konnte das passieren? Die Mortons verfügen über ein fortschrittliches Sicherheitssystem, und ihre Privatsammlung war der breiten Öffentlichkeit ziemlich unbekannt. Es ist nicht leicht, mit so etwas wie einem Gemälde davonzukommen.“

„Ja, ich weiß.“ Royce machte eine Pause. „Es sieht nach Profis aus. Das FBI überprüft das gerade. Ich sagte ihnen, sie sollen sich an dich wenden, wenn sie Fragen zu dem Gemälde haben.“

Wes strich sich mit finsterer Miene über den Kiefer. Das Letzte, was er brauchte, war, dass das FBI mit ihm beschäftigt war, nicht wenn er sich ganz auf Callie konzentrieren wollte. Das FBI war immer ein Stimmungskiller.

„Wann bist du wieder auf der Insel?“, fragte Royce.

Wes blickte auf seine Uhr. „In etwa fünf Stunden, warum?“

„Wir könnten in den Club gehen. Da gibt es eine süße kleine Sub, die ich gerne zusammen …“

„Nein danke.“ Wes schmunzelte. „Ich muss mich um ein paar Dinge kümmern, und außerdem werde ich vielleicht für eine Weile nicht in den Club kommen.“

„Oh?“

Wes entging nicht das Interesse im Tonfall seines Freundes.

„Ja.“ Er führte es nicht weiter aus. Callie war sein kleines Geheimnis. Er wollte sie mit niemandem teilen, schon gar nicht mit einem Charmeur wie Royce. Er durfte nicht das Risiko eingehen, dass sie einen anderen Mann attraktiver finden würde als ihn.

Royces Tonfall wurde ernst. „Hat das etwas mit Callie Taylor zu tun?“

Woher wusste er von Callie? Wes antwortete nicht. Eine Erwiderung würde nur mehr enthüllen. Es war am besten, das Spiel so zu spielen, als ob er keine Ahnung hätte.

„Ich habe für Fenn nach Jim und seiner Tochter gesehen. Er macht sich Sorgen um sie, da er und Hayden erst nach der Verlobungsfeier in ein oder zwei Monate nach Colorado zurückziehen werden.“

„Nachsehen, was? Nennt man das heutzutage so?“ Sein Freund lachte. „Ich wette, du hast die ganze Nacht nach dem süßen kleinen Cowgirl gesehen.“

„Ich habe meine ganze Zeit damit verbracht, an den Hütten für Hayden zu arbeiten. Es gab keine Nacht, Royce. Gib noch einmal so einen Kommentar von dir und du wirst es bereuen“, versprach er finster.

„Gib es doch zu. Du willst dieses Mädchen. Ich hörte Hayden über sie reden. Sie ist jung und süß. Alles, was deine üblichen Bettpartnerinnen nicht sind. Hast du eine Midlife-Crisis oder so was?“

Scheiße. Sein Freund wusste einfach nicht, wann er die Klappe halten musste.

„Ich bin dreiunddreißig. Ein Mann hat erst dann eine Midlife-Crisis, wenn er tatsächlich in der Mitte seines Lebens steht“, schoss er zurück.

„Aha“, antwortete Royce, als ob er ihn beschwichtigen wollte. „Weiß deine Schwester, dass du ein schwarzes Zimmer hast?“

„Meine Schwester weiß nichts von diesem speziellen Teil meines Hauses und wird es auch nie erfahren. Die wichtigere Frage ist, wie bist du da reingekommen?“ Er und Royce hatten sich Frauen im Club geteilt, sogar im Haus von Royce, aber der schwarze Raum in Wes’ Haus … das war sein Geheimnis, sein privater Ort, von dem niemand wissen sollte. Ein Zimmer mit seinen wertvollsten Gemälden und anderen Dingen, die zu wertvoll waren, um sie mit dem Rest der Welt zu teilen. Dort waren auch ein Bett und eine Kommode mit einigen ziemlich lustigen Sexspielzeugen, aber er hatte noch nie eine Frau getroffen, der er genug vertraut hatte, um ihr das alles zu zeigen. Es wurde das schwarze Zimmer genannt, weil es nicht auf den Grundrissen des Herrenhauses zu finden war, und solange niemand wusste, wo es war, konnte es nie gefunden werden. Royce hatte ihn einmal dabei gesehen, wie er es verlassen hatte, aber ihn nicht danach befragt. Anscheinend hatte der Bastard abgewartet, bis er hineinkommen konnte, um es zu begutachten.

Es gab ein schwaches klirrendes Geräusch, als ob am anderen Ende der Leitung etwas Metallisches auf Holz schlug.

„Ich wusste, dass du nicht in der Stadt bist, und Hans zeigt mir, wie man Schlösser knackt. Kannst du es fassen, dass ich nicht wusste, wie man das Klicken der Schließstifte eines Schlosses bei Türen abhört? Wir benutzen übrigens dein Zuhause als Übungsraum.“

Wes murmelte ein paar auserlesene Schimpfwörter. „Du und Emery Lockwoods Leibwächter seid in meinem Haus und knackt meine Schlösser?“ Er wusste, es hätte ihn nicht überraschen dürfen.